Zum Inhalt der Seite

ASS! of BIKE Band 1

Leseprobe
von
Koautor:  rhyfu

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ursprünglich war der japanische Text auch wirklich in Kanji geschrieben, aber zur Verbesserung der allgemeinen Lesbarkeit habe ich meine Japanologen-Tränchen unterdrückt und ihn euch transkribiert X'3

Wie immer: Kommentare jeglicher Art sind unglaublich gerne gesehen <3
Des Weiteren gilt: dieses Werk ist Fiktion. Ähnlichkeit mit realen Personen ist nicht beabsichtigt. Zudem erhebt dieses Werk keinerlei Anspruch auf Nähe zur Realität. Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Tour 2: Schweiß, Blut und ... noch mehr Küsse?!

Wenn es etwas gab, was Olav an Deutschland ganz besonders zu schätzen wusste, dann war es die Wurst. Deutsche Wurst gab es in unglaublich vielen Formen und Farben und jede schmeckte aufregend und anders. Und auch vom Brötchenbacken hatten die sonst so mürrischen Deutschen echt Ahnung.

Das Brötchen, welches Olav aus der eingenähten Rückentasche seines Trikots zog, war auf den letzten 140 Kilometern zwar etwas zerdrückt worden, doch schmeckte die Salami darauf immer noch hervorragend. Nachdem er den letzten Bissen verspeist hatte, griff er nach einem Sport-Gel und zwang sich dazu die glibberige Flüssigkeit herunterzuschlucken. Erdbeergeschmack. Wahrlich nicht seine Lieblingssorte, doch bevor er bei der brütenden Hitze des zweiten Tour-Tages zusammenklappte, war es besser, seine Energiereserven beizeiten wieder aufzufüllen.

Die zweite Etappe hatte für die Viking Spades durchschnittlich begonnen. Am Morgen prasselte ein kleiner Regenschauer über Düsseldorf nieder, doch ihre Fans in Regenponchos waren euphorisch wie immer und hoben die Trinkhörner, wann immer ein lilafarbenes Trikot an ihnen vorbeirauschte. Das Peloton setzte sich langsam in Bewegung und mit jedem Kilometer, den sie der Stadtgrenze näherkamen, nahm die Geschwindigkeit zu.

Die Masse an Radfahrern glich bald eher einer Karawane und die deutschen Bismarck Bells, in deren Mitte das leuchtende gelbe Trikot Max Mustermanns zu sehen war, setzten sich beizeiten ab. Morten und Ebbe gaben ihr Bestes, um die erste Bergwertung im Grafenberger Wald einzunehmen, doch die Deutschen ließen sich den Sieg auf heimischem Boden nicht streitig machen.

Auch den ersten Zwischensprint in Mönchengladbach musste Olav zähneknirschend an den strammen Max abgeben. Vielleicht hatte die Boulevardpresse ja doch recht gehabt und Olav war etwas zu dick geworden, um mit der Crème de la Crème der Sprinter mitzuhalten. Doch wann immer Olav sich nach dem Duschen im Spiegel betrachtete und die festen Muskelpakete unter dem Bauchspeck erfühlte, dachte er daran, dass er nach 21 Etappen und knapp 3500 Kilometern froh über die Fettreserve sein würde, die er bis dahin mit Sicherheit abgebaut haben würde.

Lars, ein eher wortkarger Geselle mit dunkelblonden Locken, reichte ihm im Vorbeifahren eine frische Wasserflasche, die Olav gegen seine leere austauschte. Soeben war das Versorgungsfahrzeug der Viking Spades an sie herangefahren und hatte ihnen nicht nur frisches Wasser, sondern auch neue Informationen gebracht.

Als Lars nach vorne aufgeschlossen war und auch Haakon sein Wasser reichte, konnte Olav sehen, wie sich ein Lächeln in das Gesicht des Anführers stahl. Lars murmelte etwas und ließ sich dann wieder zurückfallen, um die gesammelten leeren Wasserflaschen zurück durch das offene Fenster an der Beifahrerseite des Wagens zu geben. 

Der blonde Hüne hob den Arm. „Leute, wir haben soeben die Information bekommen, dass der deutsche Panzer hinter dem nächsten Hügel ein Manöver plant. Bevor uns dieser blonde Dracula also wieder durch die Lappen geht, nehmen wir die Verfolgung auf. Morten? Ebbe?“

Haakon ließ sich zurückfallen und schickte die beiden Kletterer der Viking Spades nach vorne. Olav griff nach der Wasserflasche und nahm einen tiefen Schluck. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Der deutsche Dracula! Irgendwie passte das. Dieser Max Mustermann hatte aber auch spitze Eckzähne! Und nicht nur das. Beim Zwischensprint hatte er ihm fast wortwörtlich seine Reserven ausgesaugt.

Er schaltete einen Gang nach oben und verringerte den Abstand zwischen seinen und Mortens Rädern. Der bärtige Däne trat so heftig in die Pedale, als wäre er ein hungriges Raubtier, welches durch die verlorene Bergwertung erst recht Lust auf den Beutefang hatte. „Auf geht’s!“

Links und rechts neben den Viking Spades dünnte sich das Feld aus. Schon bald nahm das klickende Geräusch der Zahnradkränze ab und der Motorensound der Begleitfahrzeuge und Fernseh-Motorräder zu.

Haakon nickte zufrieden. Wie er es gedacht hatte, schienen die meisten Teams erst nach dem kurzen Anstieg ein strategisches Überholmanöver zu planen. Und das, so war er sich sicher, würde ihnen einen erheblichen Vorsprung verschaffen, den er, Matti und Olav zum Ausreißen auf der Abfahrt nutzen wollten.

Die meisten Teams planten so, jedoch nicht alle. 20 Meter vor ihnen tauchte plötzlich ein neunköpfiges Team mit weiß-grünen Jerseys auf. „Oh nein…“ Olav senkte den Kopf und versuchte sich möglichst unauffällig zu verhalten, doch es war zu spät. Kaum hatten Ebbe und Morten den Vorsprung der ShamroClovers aufgeschlossen, wandte sich Punyaa freudestrahlend um.

„Olav! Da bist du ja endlich! Ich dachte schon, das wird heute gar nichts mehr!“

Oh nein, bitte nicht der!

Olav spürte, wie ihm das Blut in die Ohren schoss. Bilder vom Vortag bahnten sich den Weg in sein Gedächtnis.

Geküsst. Geküsst. Punyaa hatte ihn geküsst. Einfach so, als wäre es die normalste Sache der Welt gewesen.

Olavs Puls beschleunigte sich und er nahm einen weiteren großen Schluck aus der Sportflasche. Punyaa ließ sich zurückfallen und näherte sich Olav seitlich so sehr, dass sich ihre Arme kurz berührten.

Scheiße, scheiße, scheiße!

Es durchzuckte ihn wie ein Blitzschlag. Punyaas weiche braune Lippen, seine gelockten langen Haare, die selbst unter dem Helm nicht zu bändigen waren und die lustigen, fröhlichen Augen, die ungewöhnlich bernsteinfarben waren.

Geküsst. Geküsst! Warum tat er sowas?

„Hi!“, presste er hinaus und blickte zu dem kleinen Thailänder hinüber. Nur nicht aus dem Rhythmus kommen!

„Lief nicht ganz so gut, aber heute ist ja erst der zweite Tag!“ Er hob den Daumen und versuchte dabei möglichst cool zu wirken. Um keinen Preis der Welt wollte er sich blamieren. „Du wirst schon sehen, ich werde heute der erste sein, der auf dem Boulevard de la Sauvenière über die Ziellinie brettert!“

Punyaa lächelte ganz verzückt. „Da bin ich aber ganz schön gespannt!“ Er musterte ihn von oben bis unten, während er selbst sich aus dem Sattel erhob und zu tänzeln begann. „Siehst auch schon viel fitter aus als in der Reha, auch wenn du echt ein bisschen Speck angesetzt hast!“

Er lachte und hob kurz die Hand. „Bye bye!“ Dann trat er fest in die Pedale und schloss wieder zu seinem Team auf, welches noch immer mit zehn Meter Vorsprung vor den Viking Spades fuhr.

Olav sah ihm ratlos nach. Reha… Reha… Moment mal, woher wusste dieser thailändische Wirbelwind, in welchem Zustand er sich in der Reha-Klinik befunden hatte?

Morten rotierte mit Ebbe und verdrehte darauf die Augen. „Dein Gesicht sagt mir, dass du mal wieder eine Lücke hast, Brauner?“ Olav nickte stumm.

„Na die ShamroClovers, weißt du nicht mehr?“ Er machte eine Geste, als wollte er in der Luft jemandem zuprosten und anschließend etwas trinken.

Ebbe lachte. „Ja, der gute Sheamus und seine Crew, die können ganz schön bechern! Aber mich wundert es ja, dass Punyaa so dicke mit dir ist, Olav. Ist da irgendwas in der Reha gelaufen, von dem wir nichts mitbekommen haben?“

Der Fahrtwind pfiff kühl um Olavs Ohren, doch die Hitze in ihnen wollte nicht abnehmen. „Ich weiß es echt nicht“ nuschelte er in den Energieriegel, bevor er dessen Verpackung mit den Zähnen aufriss und ihn anschließend komplett in den Mund stopfte.

Während seiner Zeit in der Reha-Klinik hatte er viel Besuch bekommen. Freunde, Familie, aber auch Sportreporter und Klatschjournalisten, die seinen bemitleidenswerten Zustand begutachten wollten. Vielleicht hatte Punyaa ihn also wirklich besucht und er hatte es als unwichtig abgetan, weil er die meiste Zeit damit beschäftigt war, alternative Trainingsmethoden zu finden, bei denen er fit bleiben und dennoch seinen rechten Ellenbogen auskurieren konnte.

Olav, wenn das wirklich stimmt, dann bist du manchmal echt ein oberflächlicher Arsch. Der nette Punyaa – ach! Apropos Arsch…

Verstohlen blickte er zu dem Zug der ShamroClovers und versuchte so beifällig, wie nur irgendwie möglich Punyaas Hintern auszumachen. Wenn nicht jetzt, wann sollte er dann die Gelegenheit haben seiner Erinnerung mit diesem Anblick auf die Sprünge zu helfen?

Ein Grinsen machte sich in seinem Gesicht breit. Ja, an Punyaa war alles etwas weicher und runder geraten. Unter der olivbraunen Haut zeichneten sich kaum Muskeln ab und sein Handgelenk schien so dünn zu sein, dass es bestimmt zwischen Olavs Zeigefinger und Daumen gepasst hätte.

Aber war das Gesäß in seiner Erinnerung wirklich so prall gewesen?

Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Wieder hatten Morten und Ebbe die Position gewechselt und erhöhten stetig das Tempo, mit denen sich die Viking Spades dem Gipfel der Anhöhe näherten. Schon machte sich Morten daran, die ShamroClovers zu überholen.

Punyaa musste Olavs Blick gespürt haben, denn er wandte sich plötzlich um und zwinkerte ihm zu. Olav hoffte inständig, dass man die Röte in seinem Gesicht nur für Anstrengung hielt.

Geküsst! Geküsst! GE-

„ZOOM-ZOOM!“

Wie aus dem Nichts schoss plötzlich das Team der Japaner wie ein gelber Lichtblitz an ihnen vorbei. Der kleinste von ihnen, Yoshiki Matsuda, hatte sich tief nach vorne gebeugt und trat mit schwindelerregend hoher Umdrehungszahl in die Pedale.

Staub wurde aufgewirbelt und Olav konnte spüren, wie der Fahrtwind der Japanese Jokers an seinem Lenker rüttelte. Und als Olav nach links blickte, kam es ihm fast so vor, als warf ihm Nobuhiko, der Sprint-Star mit der ungewöhnlichen Frisur, ein gehässiges Grinsen zu.

Haakon reagierte sofort. „Matti, Olav! Hinterher!“

Mit einem Mal wurde die Nervosität in seinem Inneren zu einem angenehmen Nervenkitzel. Sein Blick wurde fest. „Sorry, Punyaa, aber … wir sehen uns erst hinter der Ziellinie wieder!“ Er nickte dem verdatterten Thailänder noch kurz zu, dann umgriff er fest den unteren Teil des Lenkers und tänzelte hinter Haakon und Matti die Anhöhe hinauf.

Nobuhikos Grinsen wurde immer breiter. Der Neue, Yoshiki, war zwar nicht ganz dicht in der Birne, doch wenn man ihm sagte, dass er in die Pedale treten sollte, dann jagte er wie ein geölter Blitz davon.

„Deutsches Team entdeckt!“ In Yoshikis Augen blitzten die Sterne und er legte noch ein paar Umdrehungen zu. Nobuhiko beugte sich ebenfalls stark nach vorne, um den Luftwiderstand zu verringern. Hinter ihm schwitzten Mamoru, ihr Anführer, und sein Assistent, Jun. Sie taten sich schwer mitzuhalten, denn der Hügel war vorbei und die Abfahrt begann. Kleine und leichte Sprinter wie Yoshiki waren bei Abfahrten eindeutig im Vorteil. Der Abstand zum Rest des Teams, unter denen sich auch die Brüder Daisuke und Keisuke befangen, wurde immer größer.

Schon schoben sich Haakon, der mit Matti getauscht hatte, und Olav in die Lücke. Olav war nicht wiederzuerkennen. Aus dem besonnenen Zimtschnecken-Held war ein hochkonzentriertes Monster mit finsterem Blick geworden, welches sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte.

Endlich! Endlich! Endlich ging es los! Und dieses Mal würde er diesem Nobuhiko das Maul stopfen, damit der sich nicht noch einmal über sein Fahrrad lustig machen konnte!    

„Matsuda-san! Urashima Taro Manöver!“, brüllte der Teamchef der Japanese Jokers, der als einziger kein schwarzes Haar hatte, sondern es mittelbraun aufgehellt hatte.

„Roger, Mamo-chan!“ Yoshiki salutierte, dann schaltete er zwei Gänge nach oben und brüllte erneut „ZOOM-ZOOM“. Nobuhiko ließ einen kehligen Kampfschrei verlauten und er und der jüngste Japanese Joker setzten sich von ihren Teamkameraden an.

Haakons Augenbraue zuckte. Hatten die beiden tatsächlich vor, sich jetzt schon den Tagessieg zu sichern? Na wenn das so war…

„Olav, Matti! Wir lassen uns auf keinem Fall auseinanderreißen. Also Zähne zusammenbeißen und durch, die Wikingerflotte setzt die Segel!“

Olav hatte das Gefühl, als würden seine Beine ein Eigenleben entwickeln. Fester, schneller, immer schneller traten sie in die Pedale. Der Fahrtwind schnitt ihm ins Gesicht und ließ seine Lippen ganz trocken werden. Er griff nach der Wasserflasche und schüttete sich einen Schwall Flüssigkeit ins Gesicht, ohne wirklich etwas davon in den Mund zu bekommen. Und das, was über seine geöffneten Lippen in seinen Mund strömte, schmeckte ohnehin mehr nach salzigem Schweiß, als nach Wasser.

Olav sah nichts mehr außer Mattis Rücken und Gelb. Gelb-schwarze Teamoutfits direkt vor sich. Yoshikis verrückter Zauberspruch, der ihn jedes Mal, wenn sie ihn fast zu fassen bekommen hatten, erneut um mehrere Meter nach vorne katapultierte.

Es war frustrierend. Waren sie wirklich so schwach? Hatte das gesamte Team seit seinem Ausscheiden im letzten Sommer abgebaut?

Es kam ihm so vor, als würde er doppelt sehen. Plötzlich waren vor ihm nicht ein Yoshiki, sondern zwei. Zwei gelbe Haufen, die sich eine abartig schnelle Talfahrt lieferten.

Olav nahm kurz die Sonnenbrille ab und wischte sich über die Augen. Doch auch das half nichts. Das Gelb blieb doppelt. Und als Matti erneut an die Spitze rotierte und das Tempo erhöhte, erkannte Olav auch den Grund dafür: sie hatten Max Mustermann endlich eingeholt.

Die Zuschauer am Wegesrand jubelten. Wieder erschallten Gaströten, Trillerpfeifen und Rasseln. Die Straße wurde langsam breiter und die Häuser am Wegesrand nahmen zu.

Es war soweit. Sie hatten Lüttich erreicht. Olav wusste, was jetzt passieren würde: Matti, der junge Zeitfahrspezialist, würde auf den nächsten Kilometern das letzte aus sich herauspressen, um anschließend ihn und Haakon auf den Zielsprint zu schicken.

„OLAV! OLAV!“, „MAX SPEED! MAX SPEED!”, skandierten die Fans. Vereinzelte „NIPPON, BANZAI!“ Rufe waren zu hören. Wieder Gaströten. Fahnen wehten am Straßenrand. Schwarz-rot-gold, weißes Kreuz auf rotem Grund, roter Punkt auf weißem Grund, violette „GO VIKING“-Banner zwischen „Unser Kaiser Max“ und japanischen Schriftzeichen, die Olav nicht lesen konnte.

Das alles flog so schnell an dem Brünetten vorbei, dass er an gar nichts anderes mehr denken konnte als ans Atmen und in die Pedale zu treten. Schließlich hatten sich Yoshiki und Matti verausgabt und fielen zurück. Nobuhiko und Max rempelten im Sprint immer wieder gegeneinander, während Olav sich noch etwas zurückhielt.

Die Häuser wurden immer größer und schon bald kam der Stadtkern in greifbare Nähe. Aus den Augenwinkeln sah Olav die Kirche Saint Martin. Das war das Zeichen. Er holte tief Luft, ließ einen Kampfschrei verlauten und heftete sich an Max und Nobuhiko.

Die Zuschauer sahen nur gelb, gelb, lilafarben, wieder gelb. Die drei Spitzen-Sprinter schenkten sich nichts. Als sie in die letzte ausgedehnte Kurve auf dem Boulevard de la Sauvenière einbogen, explodierte das Publikum. Zehntausende jubelten ihnen zu.

Doch Olav nahm sie alle nicht wahr. Er wollte gewinnen. Gewinnen. Endlich wieder gewinnen. Morgen wollte er mit dem gelben Trikot antreten. Er wollte es SO SEHR!

Vor seinem inneren Auge blitzte noch einmal die Zeit in der Reha-Klinik auf. Die Gehirnerschütterung war nach kurzer Bettruhe wieder verheilt, doch sein rechter Ellenbogen musste mehrmals operativ gerichtet werden, bis alles wieder an seinem Platz war und normal zusammenwuchs. Die Ärzte sagten zwar, dass er es ruhig angehen sollte, doch wann immer Olav seine Kollegen und Rivalen im Fernsehen sah, kochte die Frustration wieder hoch.

Warum er? Warum musste er sich bei dieser beschissenen neunten Etappe auch so verletzen, dass die Tour für ihn gelaufen war? Das sollte auf keinem Fall noch einmal passieren!

Olav legte sich tief in die Kurve. Sein Blick war verschlossen und ernst. Nicht so wie der von Max und Nobuhiko, deren Augen hinter ihren Schutzbrillen animalischen Wahnsinn verströmten. Sie schnauften und brüllten. Niemand war bereit, seinem Gegner auch nur einen Zentimeter zu schenken.

Als die Kurve vorbei war, sah Olav seine Chance gekommen. Er schaltete einen Gang nach oben, lehnte sich weit nach vorne und trat und trat und trat in die Pedale. Schweiß tropfte von seinem Kinn. Seine Beine schmerzten und sein Herz schien in seiner Brust zu explodieren.

Jeder normale Mensch wäre lieber gestorben, als sich solchen Qualen auszusetzen. Doch nicht Olav Olsen. Olav, der Zimtschnecken-Held, war glücklich.

Die Stimmen der Moderatoren dröhnten unverständlich aus den Boxen. Noch wenige Meter, dann gehörte ihm das gelbe Trikot. Endlich. Endlich! Olav war zurück. Zurück auf der großen Radsport-Bühne dieser Welt, er…

„Niemand unterschätzt Max Speed!“

20 Zentimeter.

30.

40.

Ein halber Meter.

Nur ein gottverdammter halber Meter!

Max Mustermann brüllte triumphierend und reckte die Hände zum Himmel. Olav hatte das Gefühl augenblicklich auf dem Lenker zusammenzubrechen. Er bremste ab, ließ sein Rad ausrollen und blieb schließlich keuchend stehen.

Jemand half ihm aus dem Sattel und stützte ihn ab. Ein Handtuch wurde um seine Schulter gelegt und man reichte ihm eine Wasserflasche, die er gierig leertrank.

Das Publikum jauchzte seinen Namen.

„OLAV! OLAV! OLAV!“ Man klopfte ihm auf die Schultern und schüttelte ihm die Hände, doch Olav konnte sich nicht freuen. Ein gottverdammter halber Meter! Das waren bestimmt nicht einmal drei Hundertstel, um die er den Etappensieg verschenkt hatte. Und im Profi-Radsport bedeuteten Hundertstel manchmal leider alles...

Haakon erreichte als Vierter das Ziel. Darauf folgte der geschlossene Trupp der Bismarck Bells, schließlich Matti, Mamoru, Jun und dann die ShamroClovers.

Olav rubbelte sich das schweißnasse Haar trocken und warf das Handtuch anschließend frustriert in die Menge. Ein paar Mädchen kreischten und stritten sich zankend darum, doch Olav konnte darüber nicht mal mehr lachen. Mit hängenden Schultern trottete er zu den mobilen Toilettenhäuschen und hoffte, dass er diesmal in Ruhe sein Geschäft verrichten konnte, ohne dass Punyaa ihm um den Hals fiel.

Draußen tobte noch immer das Publikum und die Wände des Plastikhäuschens bebten, wann immer der Sprecher die nächste Zieleinfahrt ankündigte. Von Ruhe konnte also nicht wirklich die Rede sein.

Wenig später beendete Olav sein Geschäft und gähnte herzlich. Die Tür quietschte in den Angeln, als er sie aufstieß und ins Freie trat. Na also, kein Punyaa! Der hatte wohl begriffen, dass ihm die Knutschattacke gestern doch etwas peinlich war.

„Hey, Wikinger!“ Olav wollte gerade ein Taschentuch hervorholen und sich schnäuzen, doch hielt er inne und steckte das Papier wieder in seine Rückentasche. Wollte er sich wirklich auf ein weiteres Streitgespräch mit dieser rotzigen Stimme einlassen?

„Ja, bitte?“ Er lächelte freundlich und baute sich lässig vor Nobuhiko auf, den er um eine Stirnlänge überragte. In Wirklichkeit war ihm aber danach breit zu grinsen.

Nobuhiko schürzte die Lippen. Sein schwarzes Haar war ganz nass und er hatte es nach hinten gekämmt. Mit der freien Stirn sah er nicht halb so verwegen aus wie gestern.

Olav konnte sehen, wie es in dem Japaner arbeite. Nobuhiko kräuselte die Stirn, zog die Augenbrauen zusammen und blickte zur Seite.

Na los, sag es schon, sag es!

Auch wenn sich Olav sehr darüber geärgert hatte, dass Max heute schneller war als er, war der Sieg über Nobuhiko, der nur Dritter geworden war, die reinste Genugtuung. Und diese Genugtuung hätte er ihm am liebsten ins Gesicht gerieben. Doch Olav wäre nicht Olav gewesen, wenn er nicht die sportliche Fassung behalten und freundlich geblieben wäre.

„Ore ha, chigau! Eigo desu-ne! Ich wollte sagen…“

War der Gute etwa nervös? Olav verstand kein Wort von dem japanischen Gebrabbel und war froh, dass sich Nobuhiko schnell wieder gefangen hatte und Englisch sprach.

Er sah verlegen zur Seite und nuschelte etwas.

„Wie bitte? Sorry, ich habe dich nicht verstanden.“ Seine Mundwinkel zuckten. Doch er musste den netten Olav noch etwas aufrechterhalten.

„Gut gemacht…“ Nobuhiko kratzte sich am Hinterkopf. „Heute hast du gewonnen, Olav. Es war ein gutes Rennen.“

Er sah ihn immer noch nicht an und hielt ihm kollegial die Hand hin.

Olav schlug ein. „Danke! Es hat mir auch wirklich Spaß gemacht, mich wieder mit dir messen zu dürfen, Nobuhiko!“ – „Nobu to yonde mo ii-yo“ – „Was hast du gesagt?“

Der Japaner hielt seine Hand noch immer umgriffen und sah ihm plötzlich tief in die Augen.

„Jitsu ha…“

Olav schwante Schlimmes.

„Ore ha Olav no koto ga…“

Olav machte einen Schritt rückwärts und versuchte seine Hand freizubekommen, doch Nobuhiko ließ nicht los. Dann stieß er mit dem Rücken gegen das Toilettenhäuschen.

„Suki!“

Plötzlich ging alles so schnell, dass Olav am Ende nicht mal mehr sagen konnte, wie es überhaupt dazu gekommen war. Dabei hatte er die letzten Sekunden des Rennens doch so glasklar im Kopf abgespeichert, als wären diese in Zeitlupe abgelaufen! Warum ließ ihn sein Verstand also jetzt wieder im Stich?

Nobuhikos freie Hand schnellte empor und traf neben Olavs Kopf die Tür der mobilen Toilette. Der Japaner verringerte den Abstand zwischen sich und Olav. Olav kniff die Augen zusammen. Er konnte dessen heißen Atem spüren, als er noch einmal „Suki desu, Olav!“ hauchte und anschließend seine Lippen auf Olavs presste.

Und ich habe noch gedacht, dass die letzte Tour de France das schlimmste Radturnier war, das ich jemals gefahren bin!

…ich nehme alles zurück!



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Akira-Akuma
2017-05-12T20:22:36+00:00 12.05.2017 22:22
Hey hey !

Also jetzt muss ich echt mal was schreiben xD
Ich hab eure Flyer auf der Animuc gesehen (und sofort einen eingesteckt XD) und wusste nicht was mich erwartet !
Aber ich finde super klasse was ich gefunden habe !

Ich kenne mich null aus mit Radrennen und das Genre Sport war auch eigentlich nie meins, aber wenn ich das hier lese, habe ich das Gefühl so schnell zu lesen wie Olav fährt XD

Es liest sich super flüssig und ist verdammt gut erklärt (für jemanden der keine Ahnung hat, kann ich mir das super vorstellen XD) Es ist so spannend und an manchen Stellen kommen Wendungen, die ich nicht erwartet habe!

Besonders solche wie die am Schluss gerade ಥ⌣ಥ

Alles in allem finde ich es sau geil und bin weiterhin extrem gespannt und freue mich auf neue Kapitel !
Antwort von:  Atsusa
13.05.2017 07:29
OMG ich freue mich! Jemand, der durch den Flyer hergefunden hat. Dann hat es sich ja schon gelohnt, die drucken zu lassen *__*

Ehrlich gesagt: bevor ich durch Yowamushi Pedal auf die Idee kam, mal so eine Story über Radrennen zu schreiben, hab ich das auch nie verfolgt. Und jetzt fiebere ich jeden Tag beim Giro d'Italia mit und bin voll erleichtert über jeden Aspekt und Kommentar, der mich in meiner Recherche bestätigt. Hab von November bis Januar erstmal zwei Monate Berichte gesammelt und Videos geguckt, bevor ich mich da rangetraut habe. Wenn ich damit also wenigstens eine Person begeistern kann, dann wars das wert, haha^^


Zurück