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Yu-Gi-Oh! The Last Asylum

von

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Extra Turn 00.9: Promised Eternity

Extra Turn 00.9 – Promised Eternity

 

 

„Ciao, Pablo!“ Zanthe winkte seinem Freund hinterher, wie jener in einer der schmalen Nebengassen Venedigs verschwand. „Gott, dass bei dir auch alles ewig dauern muss.“
 

Längst war die Nacht über die Stadt mit ihren vielen kleinen Gassen und Kanälen hereingebrochen. Kaum ein Licht erhellte den Weg über die gepflasterte Straße, nur hin und wieder stand hier und dort eine kleine Laterne.

Fröhlich pfeifend schlenderte der 18-Jährige Kaufmannssohn den Weg entlang. Am Tage gab es hier ein paar Verkaufsstände mit Obst, Gemüse und die ein oder andere Töpferarbeit. Sein Vater hatte immer gepredigt, dass der Anfang des 20. Jahrhunderts 'die Wende' bringen würde. Bis heute fragte sich der älteste Montinari-Spross, was genau der Alte damit meinte. Inzwischen waren schon einige Jahre des neuen Jahrtausends verflogen und noch immer lebten sie ein bescheidenes Leben.

Nicht, dass er etwas dagegen einzuwenden hätte. Seinem Vater im Laden, den er eines Tages übernehmen würde, auszuhelfen war schon nicht schlecht. Die Kundschaft nett, die Kerle mitunter ganz hübsch, wenn auch etwas verklemmt in gewissen Dingen, aber er konnte sich nicht beschweren.

 

„Hey, du“, wurde er da gerufen.

„Hm?“

Zanthes Blick wanderte herüber zu einer kleinen Nebengasse. Halb im Schatten nickte ihm ein kahlköpfiger Kerl im besten Alter zu. Dann schüttelte der junge Mann, der seinen langen, schwarzen Haarschopf zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, abweisend mit dem Kopf. „Vergiss es. Ich hab nichts mit, wofür es sich lohnt mich zu überfallen.“

„Ich hab was für dich“, gluckste der schmale, große Kerl und griff sich demonstrativ in den Schritt.

Augenblicklich blieb Zanthe stehen.

„Du bist der, der die Nähe zu Männern bevorzugt. Hab von dir gehört.“

Ein verspieltes Lächeln huschte über die Lippen des Jüngeren. „Ach daher weht der Wind.“

Er drehte sich der Gasse zu und wurde gefragt: „Hast du Lust? Vielleicht könnte ich dir das ein oder andere beibringen.“

„Glaub mir: Nein. Aber ich dir.“ Mit einem gewissen Glanz in den Augen steuerte der Schwarzhaarige auf den Glatzkopf zu. Jener winkte ihn weiter zu sich und drehte sich um.

Hier wäre es wohl trotz dieser späten Stunde zu offensichtlich. Aber gerade das wäre doch ein interessantes Experiment, fand der Montinari-Spross belustigt.
 

Bis etwas unglaublich Schweres auf ihn von oben niederkrachte. Zanthe fiel auf den Bauch, keuchte und spürte heftigen Druck auf den Lungen. Alles wurde schwarz.

 

Schmerz. Sein Rücken schmerzte, als würde irgendetwas daran entlang schaben. Oder nein, er war es, der fortgeschleift wurde! Dann ein Aufprall, der seine Sinne endgültig schärfte. Sein Herz klopfte schnell, als er die Augen öffnete. Er blickte in das Licht einer einzelnen Glühbirne, welche ihm die Sicht regelrecht ausbrannte. Er wollte sich zur Seite drehen, doch da merkte er, dass zwei Männer seine Arme mit ihren Händen fixierten.

Ein metallischer Geruch lag in der Luft.

„W-was …? Hey, lasst mich-!“

Dann geschah es. Kein Schlag, kein Tritt – ein Biss! Einer der Männer vertiefte seine Zähne in das Fleisch seines nackten Oberarms. Blut spritzte auf sein weißes Hemd.

„Ah!“, schrie Zanthe gequält auf.

Noch mehr Schmerz. Der andere Kerl – der Glatzkopf – biss in seinen anderen Arm. Grenzenlose Panik stieg in dem jungen Italiener auf. Er versuchte sich zu befreien, aber die beiden hielten ihn derart fest, dass er nur hilflos mit den Füßen strampeln konnte.

 

Irgendetwas stimmte da nicht! Wieso bohrten sich Menschenzähne so tief in sein Fleisch!? Es brannte so fürchterlich! Dann riss einer an ihm. Sehnen und Nerven lösten sich voneinander. Mit Schrecken sah Zanthe aus den Augenwinkeln, wie ein Stück Fleisch im Maul der grotesken, schwarzen Kreatur hing, die eben noch ein Mensch gewesen war. Sein Fleisch!

„Hört-“, wollte er kreischen, wurde darin aber unterbrochen, als ihm ein Stoffknebel um den Mund mit roher Gewalt gebunden wurde.

 

Hinter ihm kniete noch ein Mann. Auch ein Glatzkopf, aber kräftig. Sein brünetter Bart hatte bereits einige graue Strähnen. Zanthe sah in seine kalten, grauen Augen. Dann bäumte er sich vor Schmerz auf, als einer seiner Peiniger ihm in die Seite biss.

„Es ist bald vorbei“, sprach der Mann, der ihn knebelte, seelenruhig. „Sie sind in letzter Zeit sehr hungrig.“

Die gedämpften Schreie des Jungen schien er gar nicht zu hören. Jener zappelte und kämpfte, aber da waren plötzlich so viele andere Männer und Frauen, die ihn festhielten und verschlangen. Wo waren die alle hergekommen!? Ihre Haut verfärbte sich pechschwarz.

Aber der Schmerz war real. Sie fraßen ihn auf. In den Büchern nannte man das Kannibalismus. Tränen rollten über Zanthes Wangen, wie er in einer Blutlache von einem dutzend Monstern verschlungen wurde.

Und der Glatzkopf sah auf ihn herab und sagte nichts.

 

Eine gefühlte Ewigkeit später schwebte Zanthe. Über einer Wolke? Über dem Boden? Er wusste es nicht. Er lag im Wasser. Also schwamm er eigentlich. Seine Augen waren geschlossen. Das wenige Leben, das noch in ihm steckte, er konnte es schwinden spüren. Bald war er an einem besseren Ort.

Im Garten des allmächtigen Vaters. Schwachsinn. Er glaubte nicht an diesen katholischen Unsinn. Da wartete nur Dunkelheit auf ihn. Er würde nicht mehr existieren. Nicht mal mehr seine Gedanken. Wie schrecklich. So ein Schicksal wollte er nicht!

Also machte Zanthe bewusst einen Fehler.

Er riss die Augen auf – und blickte wieder in die kalten, grauen Abgründe des kräftigen Glatzkopfs mit dem Bart.

„Du lebst noch. Beeindruckend.“

Zanthe konnte nicht mehr antworten. Er spürte schon gar nichts mehr. Der Knebel war längst verrutscht, lag auf seinem Hals.

„Du gefällst mir. Bursche, möchtest du weiterleben?“

Natürlich! Alles würde er jetzt tun, nur um nicht in der Dunkelheit zu verschwinden.

„Wenn dem so ist, dann trink.“

Der Alte schob den Ärmel seines blutbeschmierten, gelblichen Hemds weg und präsentierte seinen nackten Arm. Mit der anderen Hand fuhr er über seine Haut. Noch während der Bewegung wuchsen aus seinen Fingernägeln Klauen, die sein Fleisch aufrissen. Dunkelrotes – oder pechschwarzes? – Blut rann aus der Wunde. Er hielt den Arm über Zanthes Kopf.

Der erste Tropfen ging daneben. Der zweite traf zwar seinen geschlossenen Mund, aber Zanthe machte keine Anstalten, diesen zu öffnen. Erst der dritte war es, der sein Schicksal besiegelte.

 

~-~-~

 

Fischgestank. So stark, dass er eine derartige Übelkeit in ihm auslöste, wie sie sich die wenigsten Menschen wohl vorstellen konnte. Zanthe beugte sich vorne über und ließ alles aus sich heraus, was auch immer 'alles' war. Eine frische Brise zog an ihm vorbei, als er sich langsam seiner Umgebung gewahr wurde. Er lag auf der Seite, am Rande eines kleinen Stegs. Ein Fischerboot schwamm an ihm vorbei. In der Ferne schimmerte das weite Meer.

 

„Zanthe!?“, empörte sich jemand. Das Knarzen von Holz dröhnte in seinen Ohren.

Generell so ziemlich alles hallte in seinem Kopf wie ein Echo wieder. Das Rauschen des Meeres, das Kreischen der Möwen, das Lästern der Fischer auf dem Boot.

Der Schwarzhaarige richtete sich auf und rieb sich die Stirn. „Ugh …“

„Wie siehst du denn aus!?“

„Pablo …?“

Benommen sah der junge Mann hoch zu seinem besten Freund, ein schlaksiger, dünner Fischersohn mit blondem Haar. Seine Hose wurde durch zwei Träger fixiert und an denen hielt er sich fest, wie er es immer tat, wenn er Leuten die Leviten las. Sein Markenzeichen, eine Baskenmützen, die er mal irgendwo gefunden hatte, hielt er unter die Achsel geklemmt.

„Zanthe, das ist selbst für deine Verhältnisse dreist.“

„Wovon …?“

Aber als der Kaufmannssohn sein mit halb verdautem Essen vermengtes Ebenbild im Wasser erblickte, wusste er sofort, was hier nicht stimme. Er war nackt. Ganz nackt.

„Oh. Ich hab's wohl gestern Nacht übertrieben, hm?“
 

Er konnte seine Gedanken noch nicht richtig ordnen. Musste wohl an dem Wein liegen, den er – so glaubte er – getrunken hatte. Auch wenn er nicht nach Alkohol roch.

In dem Moment erinnerte er sich an den Mann in der Gasse. Und mehr. Er musste hier eingeschlafen sein und einen Albtraum gehabt haben. Ja. So war es.

 

„Du solltest deine Neigungen nicht so offenkundig ausleben. Irgendwann werden sie dich dafür noch lynchen“, beklagte Pablo altklug, schlang die Träger von seinen Schultern und knöpfte langsam sein ausgebleichtes, blaues Hemd auf.

Zanthe sah ihm dabei zu und gluckste vergnügt. „Du machst es mir echt schwer.“

„Was hast du getrieben?“, fragte sein Freund und zog sich das Hemd aus.

„Du willst wohl wissen mit wem“, entgegnete Zanthe spitz, als er das Kleidungsstück entgegen nahm. Er erhob sich und streifte es über. „Verrate ich nicht.“

Vermutlich mit dem Typen aus der Nebengasse. Das war bestimmt noch Teil der Realität gewesen.

„Ich mein's ernst.“ Der Fischersohn drehte sich um und schritt davon. „Die Leute hassen dich. Nur der Respekt vor deinem Vater hält sie davon ab, dich im Meer zu ertränken.“

Zanthe folgte ihm. Das Hemd war zum Glück gerade lang genug, um bestimmte Körperzonen zu bedecken. „Mir doch egal. Dieses prüde Pack kann machen was es will, aber das gilt ebenso für mich.“

„Sie reden davon, dass du krank bist.“

„Pah.“ Zanthe wollte etwas Abwertendes sagen, aber unterbrach sich selbst, als er aufschrie: „Au!“
 

Er war in irgendetwas hineingetreten. Auf einem Bein stehen bleibend, hob er das andere an. Dabei schwankte er nicht einmal. Eine Scherbe steckte in seinem Fuß. „Ew. Welcher Dummkopf-“

„Du“, kam es knapp und grimmig von Pablo, „du bist der Dummkopf, der seine Kleidung verschlampt hat. Du bist das Ende der Kette dieser Ereignisse.“

„Wo haste den schlauen Spruch aufgegriffen?“ Zanthe zog die Scherbe raus.

„Irgendeiner hat im Vorbeigehen mal was zu seiner Frau gesagt. So'ne Reichen …“

Aber der Schwarzhaarige hörte gar nicht hin. Wie gebannt starrte er seine Wunde an, die sich vor seinen Augen schloss. Unmöglich! Hatte er doch zu viel Alkohol getrunken? Er wischte das Blut weg, aber da war kein Schnitt. Vielleicht war die Scherbe nicht so tief eingedrungen? Aber dann blutete man doch nicht, außer die Scherbe war schon vorher blutig gewesen, was … egal.

„Hörst du mir überhaupt zu?“, fragte Pablo beleidigt.

„Natürlich nicht.“

„Du solltest erstmal nach Hause und dir etwas anziehen. Das Hemd will ich zurückhaben.“

„Ja ja …“ Zanthe sah die hohen Gebäude der Altstadt vor sich an und strahlte. Er liebte seine Heimat.

 

So verabschiedete er sich von Pablo, der seinem Vater helfen musste. Er rannte durch die Gassen, über Brücken, welche sich entlang der schmalen Kanäle erstreckten, grüßte einen der gleichgesinnten Gondelfahrer und ein paar alte Damen, denen er hin und wieder bei der Hausarbeit aushalf. So wie er Venedig liebte, liebten die Leute ihn, trotz seiner Neigung. Oder zumindest einige, die, die ihm wichtig waren.

 

~-~-~

 

Er ließ sich mit dem Kopf voran ins Bett fallen. Die kleine Kammer, die er sich mit seinem jüngeren Bruder teilte, war sehr karg eingerichtet. Außer der beiden Betten, einem Nachttisch und einer Kommode mit kleinem Spiegel darauf gab es nicht viel. Alessandro hatte mal wieder seine Bauklötze überall rumliegen lassen. Zum Glück war er jetzt in der Schule. Die beste Gelegenheit für ein kleines Nickerchen, um den Rausch auszuschlafen.

 

Geschrei. Heulende Kinder. Schimpfende Mütter. Fluchende Arbeiter. Tratschende Waschweiber. Kreischende Möwen. Bellende Hunde. Und so ziemlich alles andere auch.

Zanthe hielt sich die Ohren zu, wie er mit dem Gesicht im Kissen lag. Wieso waren die alle so verdammt laut!? Er rollte sich auf den Rücken, blickte die Holzdecke an. Und den Gestank von Fisch und Erbrochenem war er auch noch nicht losgeworden, obwohl er sich die Zähne geputzt und kurz gewaschen hatte.

„Hmpf!“

Sowieso stank es im ganzen Haus. Nach irgendetwas Verfaultem. Äpfeln. Igitt. Und dem gebratenen Fisch, den es vorgestern zum Abendbrot gegeben hatte. Und … menschlichen Ausscheidungen. Doppelt igitt!

Der junge Mann fuhr sich über das Kinn und den Hals. Stoppeln. Er hasste den Bartwuchs erwachsener Männer. Nicht bei anderen, aber bei sich. Niemals würde er unrasiert hausieren gehen, das würde seinem Ruf sogar schaden. Also: rasieren war angesagt.

 

Schon stand er mit einem Klappmesser in der Hand vor dem Spiegel auf der Kommode. Das Gesicht mit Rasierseife eingeschmiert, straffte er mit der linken Hand die Haut und fuhr sich über die rechte Wange. Selbst dieses Zeug störte ihn heute zunehmend, es stank penetrant, obwohl es nicht wirklich schlecht roch. Nachdem er die rechte Gesichtshälfte fertig rasierte, widmete er sich der linken. Dann knallte draußen irgendetwas so laut, dass er glaubte, die Erde bebte. Vor Schreck rutschte er mit der Klinge ab und schnitt sich in die Wange.

„Oh Mist!“

Blut lief in einem schmalen Faden über den weißen, dünn aufgetragenen Schaum. Erschrocken betrachtete Zanthe das Missgeschick. Na das würde eine tolle Narbe geben. Vielen Dank!

Zumindest dachte er das, bis er es bemerkte. Die Wunde schloss sich! Und diesmal konnte er das nicht erklären, sie verschwand einfach! Das Blut nicht, aber der Schnitt!

 

Vor Schreck ließ Zanthe Spiegel und Rasiermesser fallen. Er strich über die Haut, die absolut glatt war. Vorsichtig las er den Spiegel auf und betrachtete sich darin. Nichts. Nur das Blut. Mit zitternder Hand beugte er sich, griff nach dem Messer. Noch in der Hocke legte er die Klinge an.

Das hatte er sich nicht eingebildet. Er riss sie einmal quer über die Wange. Das Blut spitzte an seine Nase und auf den Spiegel. Und er sah, wie die brennende Wunde sich binnen kürzester Zeit schloss.

Er erhob sich. Schnitt sich in den Finger. Fast sofort war der Schnitt verheilt. Dann zog er die Klinge über den ganzen Oberarm. Es dauerte einige Augenblicke, dann waren Schmerz und Wunde nur noch eine Erinnerung.

„Unmöglich …“

 

„Zanthe, was machst du da?“, fragte eine kindliche Stimme neugierig.

Der junge Mann schrie panisch auf und ließ Spiegel sowie Messer erneut fallen.

Sein kleiner Bruder Alessandro stand im Türrahmen und beobachtete ihn neugierig. Auch der kleine Achtjährige hatte rabenschwarzes Haar wie sein Bruder, das ganz zerzaust war.

„Ich rasiere mich“, kam von dem eine zögerliche Antwort. Dann wurde er sich der Anwesenheit des Kleinen erst wirklich gewahr. „Alessandro, was machst -du- um diese Uhrzeit schon hier? Solltest du nicht in der Schule sein?“

„Ja … die Lehrerin hat mich gehen lassen. Zu dumm.“

„Hat sie nicht“, stellte der Ältere klar, ging zu dem Knirps und beugte sich zu ihm herab. „Du bist mal wieder ausgebüchst, nicht?“

Da kamen Alessandro die Tränen. „Sie haben … sie haben mich wieder geärgert. Sie sagen, du kommst in die Hölle. Unsere ganze … ganze Familie …“

„Hör nicht auf sie.“ Zanthe legte seinem Bruder die Hand auf die Schulter. „Die nehme ich mir mal vor. Lass mich raten, es waren Nico, Mateo und Giogio, richtig?“

„Und … und Paola …“

„Paola? Paola ist ein Mädchen!“, empörte sich der Ältere. Aber wie er seinen Bruder nur da stehen und heulen sah, musste er glucksen. „Okay, die bekommt auch eine Abreibung. Alessandro, du weißt, dass ich immer für dich da sein werde.“

Der Kleine verstummte und sah ihn an. „Wirst du?“

„Ja. Versprochen.“ Zanthe lächelte sanft.

„Dann werde … dann werde ich auch für dich immer da sein.“

 

~-~-~

 

Ein Stein flog auf Zanthes Gesicht zu, aber er fing ihn gerade noch rechtzeitig auf. Derjenige, der ihn geworfen hatte, ein älterer Herr mit runden Brillengläsern, funkelte ihn verachtend an.

„Hey“, fauchte der Jugendliche neben dem Schwarzhaarigen zornig.

„Monster!“, zischte der Mann verächtlich. „Teufelsbrut!“

Und er war damit nicht alleine. Ein ganzer Mob hatte sich um die beiden Brüder gebildet, die eigentlich nur ein paar Lebensmittel einkaufen wollten. Der kleine Marktplatz mochte zwar voll von Ständen sein, die Obst, Gemüse, Fisch und andere Sachen anboten aber für die beiden Brüder hätte es genauso gut eine Wüste sein können.
 

Zehn Jahre waren seit dem Tag vergangen, an dem Zanthe begonnen hatte sich zu verändern. Die Leute brachten es auf den Punkt.

„Er sieht immer noch aus wie damals!“

„Wie macht er das? Keine einzige Falte, dabei müsste er fast dreißig Lenze alt sein!“

Die Waschweiber tuschelten vor und hinter ihren Verkaufsständen. Der Mob, der Zanthe und seinen Begleiter umzingelt hatte, war zwar unbewaffnet, aber trotzdem nicht harmlos.

„Verschwinde endlich, du Kreatur!“, schrie ein Mann den älteren der beiden Brüder an.

Alessandro, der wie Zanthe sein schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte und sogar schon etwas größer war, schnappte zurück: „Hört auf, ihn so zu nennen!“

„Er hat einmal ein Huhn mit bloßen Händen getötet! Ich hab's gesehen!“, kläffte ein kleiner Opa wie ein wild gewordener Hund.

Zanthe erwiderte schnippisch: „Und Vater hat seinem Besitzer den zehnfachen Preis entrichtet. Selbst die Huren werden nicht so gut bezahlt.“

„Man kann ihn noch so sehr verletzen“, rief eine Frau und warf einen Stein, dem Zanthe mit einem flinken Seitenschritt auswich, „er blutet nie länger als ein paar Sekunden!“

„Und keiner ist so schnell und kräftig wie er, trotz seiner schmächtigen Statur!“

„Wir wissen was du bist!“

„Ach ja?“ Die Augen des älteren Montinari-Sohns verengten sich zu Schlitzen. „Dann weißt -du- ja mehr als ich. Vielleicht willst du mich ja aufklären?“

„Genug jetzt!“ Alessandro packte den Arm seines Bruders und schleifte ihn durch die Menge, die auf ein 'Buh!' des Verhassten sofort Platz machte. Sie sahen den beiden hinterher und schrien ihnen schreckliche Dinge hinterher, aber dafür waren sie inzwischen taub geworden.

 

Was sich jedoch deutlich bemerkbar machte war die Abneigung nicht nur Zanthe gegenüber, sondern seiner ganzen Familie. Schon seit Jahren lief das Geschäft ihres Vaters immer schlechter, seine Mutter wurde gar einmal fast Opfer einer Gewalttat. Zum Glück hatte Zanthe die feigen Schweine selbst aus großer Ferne noch gehört und war rechtzeitig da gewesen, um einzugreifen.

 

Als die beiden langsam außer Reichweite waren und eine Brücke passierten, die sich über einem der Kanäle erstreckte, riss sich Zanthe los.

„Du hast recht“, sprach er leise, „es ist genug.“

Alessandro drehte sich um und betrachtete seinen Bruder mitleidig. „Du darfst dich von denen nicht fertig machen lassen. Die wissen nichts über dich! Zu dumm eigentlich, so schlimm bist du nämlich nicht. Meistens.“

Doch die Witzelei vermochte die Stimmung nicht zu heben.

„Ich weiß doch selbst nicht, was seit jener Nacht mit mir los ist!“ Tränen standen in den Augen des jungen Mannes, der seitdem scheinbar keinen Tag gealtert war. „Essen schmeckt nicht mehr. Ich höre so vieles, dass ich davon Kopfschmerzen bekomme. Und alles stinkt, aber trotzdem kann ich jeden Geruch genau unterscheiden. Als wäre ich ein Hund!“

„Zanthe …“

„Und mir ist immer übel, außer ich … töte etwas.“

„Dann töte doch dich selbst, dann geht es dir bestimmt besser.“
 

Die beiden Brüder wirbelten ob des bitterbösen Vorschlags herum. Eine Gondel hatte sich der Brücke genähert. Ein dunkelblonder, gut gebräunter Mann stand darauf und sah zu ihnen hinauf.

„Pablo“, flüsterte Zanthe leise.

„Ich habe dich immer gewarnt, deine inneren Bedürfnisse auszuleben. Das hast du jetzt davon. Hätte ich gewusst, wie du wirklich bist, hätte ich nie auch nur ein Wort mit dir geredet.“ Sein ehemaliger Freund aus Kindheitstagen stieß sich mit dem Ruder ab und schwamm unter der Brücke hindurch. Bevor er außer Reichweite war, gab er noch einen Rat von sich. „Du solltest von hier verschwinden, Zanthe. Das wäre das Beste für alle.“

 

Eine Weile stand Zanthe da, über das Geländer der Brücke gelehnt. Sein Bruder hielt den Kopf gesenkt.

„Weißt du“, krächzte der Ältere, mit der Fassung ringend, „er hat recht. Ich muss hier weg.“

„Du kannst nicht-!“

„Ich muss herausfinden, was mit mir geschehen ist! Wenn ich weg bin, dann … vielleicht lassen sie euch dann in Ruhe!“

Alessandro blickte entsetzt auf. „Du weißt doch nicht einmal, wohin. Diese Männer könnten inzwischen sonstwo sein.“

„Ich werde sie finden. Egal wie lange es dauert. Anscheinend habe ich ja die Zeit dazu“, verkündete Zanthe entschlossen, doch mit Tränen in den Augen. „Und wenn ich sie bis in die neue Welt verfolgen muss!“

„Amerika?“

„In die Antarktis, wenn's sein muss …“

„Dann werde ich mitkommen.“ Sein Bruder legte seine Hand auf Zanthes Schulter. „Denk dran, was wir uns versprochen haben. Wir sind immer füreinander da.“

Beide lächelten sich an.

 

~-~-~

 

Die Tür brach mit einem lauten Knarzen aus den Scharnieren. Der Glatzkopf, der sie bewacht hatte, landete keuchend auf ihr und als er sich erheben wollte, wurde er von einem schwarzen Gummistiefel zurückgestoßen. Draußen schüttete es in Strömen. Es donnerte, der Himmel war so düster wie die Bäume des Waldes, in der sich die Hütte befand.

 

„Nett habt ihr es hier“, schnarrte Zanthe, als er über seinen Verführer von vor über dreißig Jahren hinweg stieg und sich so Einlass verschaffte. „Warum habt ihr mir nichtmal eine Postkarte geschickt? Oder wolltet ihr den Weltrekord im längsten Versteckspiel der Welt aufstellen?“

Der Schwarzhaarige, welcher inzwischen ein weißes Kopftuch sein Eigen gemacht hatte, schob die Kapuze seines dunkelgrünen Regencapes weg und sah in die Runde. „Falls dem so ist, habt ihr kläglich versagt. Oder mit anderen Worten: Hab euch!“

 

Geradezu perplex wurde er von den Anwesenden angestarrt. Zwei Männer und ein junges Mädchen saßen an einem einfachen Holztisch und spielten gerade Karten. Hinter ihnen war eine weitere junge Frau am Herd zu schaffen. Es roch nach Schweiß, Alkohol und gebratenem Speck.

Sofort erkannte Zanthe, dass -der- nicht unter ihnen war.

„Und du“, sah er auf den Glatzkopf hinter sich herab, der gerade aufstehen wollte, „du hast -das- hier wirklich verdient!“

Ein saftiger Tritt gegen die Schläfe schleuderte jenen meterweit nach draußen, wo er durch eine Pfütze schlitterte.
 

Zanthe drehte sich wieder zu den anderen um. „Hmm, Blondie am Herd, dich erkenne ich. Die anderen waren damals nicht dabei. Aber ihr könnt euch gern -alle- eure Tracht Prügel abholen.“

„Du würdest sterben. Und das willst du nicht.“

Die Worte kamen von einer Treppe aus, die der Tür direkt gegenüber lag. Da war er, wanderte in dunklen Stiefeln Stufe um Stufe hinunter. Der Glatzkopf mit dem Bart. Der, der ihn zu dem gemacht hatte, was er jetzt war – ein Lycanthrop!

 

In den zwanzig Jahren, in denen Zanthe nach ihm gesucht hatte, hatte er einiges über seinen Zustand herausgefunden. Vermutlich war das Meiste davon Unsinn und Aberglaube, aber seit er sich ebenfalls zum Teil in eine schwarze Kreatur verwandeln konnte, glaubte er an Monster und Gespenster. Was auch der Grund war, warum er Alessandro vor einigen Jahren zurückgelassen hatte. Seine pure Anwesenheit hatte seinen Bruder gefährdet. Immer unkontrollierter war sein Drang zum Töten geworden. Nicht, dass er eines Tages noch …

 

„So viel ungenutztes Potential“, sprach sein 'Vater' hochtrabend, als er die letzte Stufe genommen hatte und sich ihm zuwandte, „ich habe immer damit gerechnet, dass du eines Tages kommen würdest. Denn du bist stark.“

„Was habt du mit mir gemacht!?“

„Dir das Geschenk der Ewigkeit gegeben.“ Der Mann sah ihn nachforschend an, lächelte dann plötzlich ein kaltes, berechnendes Lächeln. „Mein Name ist Gregory. Und du bist endlich zuhause.“

 

~-~-~

 

Es war keine Frage des Wollens gewesen. Als Gregory ihm erklärt hatte, was das 'Geschenk der Ewigkeit' war, hatte Zanthe nicht lange gefackelt und versucht ihn umzubringen. Ihn, den Anführer des Werwolfrudels. Ihn, den Allerersten. Den Unsterblichen.

Wer sein Blut trank, wurde selbst zu so einer Kreatur, wenn auch viel schwächer. Das hatte Zanthe gelernt, als er nach wenigen Sekunden mit tiefen Wunden in seiner eigenen Blutlache im Regen lag, umzingelt von sechs schwarzen Bestien. Aber sie hatten ihn nicht getötet.
 

Im Gegenteil, sie hatten ihn trotz seiner unverhohlenen Abscheu bei sich aufgenommen und ihn gelehrt, seine Gaben richtig zu nutzen. Sie raubten, plünderten, töteten. Zanthe hatte sich nie daran beteiligt, aber war auch nie dazwischen gegangen oder weggerannt. Letzteres nicht, weil er diesen Monstern ohnehin nicht entkommen könnte. Aber selbst wenn, hätte er das nicht getan.

Sie waren die einzigen, die ihn verstanden. Auch wenn sie Monster waren. Anders als er verfügten sie über die vollen Kräfte eines Lycanthrops, da sie Menschenblut gekostet hatten. Zanthe jedoch hatte sich über die Jahre ihres Zusammenseins stets geweigert, jenes zu trinken. Er war der Schwächste von ihnen. Der Außenseiter. Der, der nur Tiere jagte. Und als sie von seiner Neigung lernten, war es mit dem Zusammenhalt vorbei. Erst waren es nur böse Scherze, aber später artete es schon mal in einem Handgemenge aus, das fast immer schlecht für ihn ausging.

Der Einzige, der sich nie über ihn lustig machte, war Gregory. Obwohl er brutal und grausam war, hatte er etwas Würdevolles an sich. Aber auch seine Geduld kannte Grenzen. Und diese Grenze hieß Menschenblut, diese eine, die Zanthe nicht überqueren wollte.

 

~-~-~

 

Veränderung ist ein notwendiges Übel. Besonders wenn man nicht alterte wie Zanthe. Längst war sie vorbei, die Zeit, die er mit seinem Rudel verbracht hatte. Fast schon eine verblasste Erinnerung, wie es das ganze 20. Jahrhundert inzwischen war. Die Welt hatte sich stark verändert.
 

Alessandro … nicht. Und das hätte er nie aus den Augen verlieren dürfen. Nun war es zu spät.

Sein Bruder stand vor ihm. Langes, schwarzes Haar, wie man es seit über hundert Jahren nicht anders von ihm kannte. In einem weißen Mantel, auch seit Jahrzehnten sein Markenzeichen. Äußerlich war er vielleicht Mitte 30, aber das Äußere war inzwischen auch alles, was noch von ihm übrig geblieben war.

 

Zanthe schluckte seinen Schmerz hinunter. Sie standen sich auf einer Lichtung gegenüber, es war Nacht und es nieselte.

„Seine Seele hat die Grenze zum Limbus überquert“, sprach das, was im Körper seines Bruders steckte, gefühlskalt, „ich kann nichts mehr für ihn tun, Zanthe Montinari.“

„Durch dich … durch dich ist das alles erst …“

„Es war sein Wunsch. Die einzige Möglichkeit, die Grenzen der Sterblichkeit zu überwinden. Ich als Gründerindividuum kann meinem Gefäß vorübergehende Unsterblichkeit verleihen“, erklärte Kakyo weiter, „aber unser Pakt war von Anfang nicht dazu gedacht, erfüllt zu werden. Und der Preis war klar definiert. Der Zeitpunkt, Eden zu öffnen, ist verstrichen und damit auch die Seele deines-!“

„Halt den Mund!“, fauchte Zanthe außer sich und hob den Arm, an welchen eine Duel Disk steckte. „Red' nicht über Alessandro, als wäre er irgendein Geschäftsmann! Mit ist egal, ob ich seine Kräfte oder was auch immer geerbt habe! Ich wollte das alles nie!“

„Beruhige dich.“

 

Aber der Werwolf dachte nicht einmal daran. Im Gegenteil. Sein Bruder war tot, daran gab es nichts zu rütteln. Das Einzige, was er jetzt noch tun konnte, war ihn angemessen zu beerdigen. Aber nicht, solange dieser Kakyo noch in ihm steckte. Dieser Immaterielle, er musste verschwinden!

Und dann … und dann würde er sich zu seinen Eltern und seinem Bruder gesellen …

 

Zanthe hob den Arm mit der Duel Disk an. „Ich hatte nie Interesse daran, mich mit ihm zu duellieren. Aber ich weiß, wozu er selbst mit Duel Monsters-Karten imstande war.“

Wenn die Kraft seines Bruders auf ihn übergegangen war, konnte er das vielleicht auch. Hoffentlich, denn er musste Kakyo aus dem Körper seines Bruders vertreiben, koste es was es wolle!

„Du sehnst dich nach Zerstörung. Davor hat Alessandro Montinari mich gewarnt. Jedoch habe auch ich etwas versprochen. Und ich sehe in deinen Augen, dass ich dieses Versprechen schon jetzt einlösen muss“, erwiderte Kakyo und schwang den Arm aus. An seinem Arm weitete sich ein Reif zu einem richtigen Handschuh aus, in denen zu beiden Seiten Kartenzonen eingelassen waren. Etwas versetzt zum Handrücken platzierte Kakyo sein Deck.

„Duell!“, riefen beide hitzig.

 

[Zanthe: 4000LP / Kakyo: 4000LP]

 

Beide zogen ihr Startblatt, doch kaum hatte Zanthe seine fünfte Karte in der Hand, verkündete sein Gegenüber bereits ruhig, aber bestimmend: „Ich führe den ersten Zug durch.“

Prompt nahm der eine weitere Karte auf, schob sie zu den anderen, nur um sie zusammen mit der rechts neben ihr liegenden wieder herauszuziehen. „Vorbereitung ist essentiell. Ich setze zwei Karten verdeckt.“

Beide Fallen materialisierten sich zu seinen Füßen.

„Obwohl keine Eile geboten ist, möchte ich dieses Duell dennoch gerne so früh wie möglich beenden“, sprach Kakyo weiter und legte ein Monster in den Handschuh ein. „[Satellarknight Alsahm], du wirst gerufen.“

Ein Lichtstrahl schlug direkt vor dem Schwarzhaarigen ein, aus dem ein kleiner Krieger mit Pfeil und Bogen flog, welcher dank Flügeln nachempfunden Triebwerken über dem Boden schwebte.

 

Satellarknight Alsahm [ATK/1400 DEF/1800 (4)]

 

„Ein Warnschuss“, sprach Kakyo leise.

Schon spannte sein Engel den Bogen und schoss einen goldenen Pfeil ab, der so schnell sein Ziel fand, dass Zanthe noch im Begriff des Ausweichens war, als er mitten in der Brust erwischt wurde. Ein unangenehmes Ziepen durchzog die Stelle.

 

[Zanthe: 4000LP → 3000LP / Alessandro: 4000LP]

 

„Ugh!“, keuchte der Werwolf und hielt sich die Wunde. Sprach dann finster: „… ein Warnschuss.“

„Ja. Um dich daran zu hindern, eine Grenze zu überschreiten. Zug beendet.“

Zanthe wusste, dass Alsahm einmal pro Zug bei seiner Beschwörung 1000 Schadenspunkte austeilen konnte. Aber diesen jetzt in Aktion zu sehen, nicht etwa durch seinen Bruder sondern durch dieses 'Ding', das schmerzte mehr als die eigentliche Verletzung. Und daran war er selbst mehr Schuld als jeder andere.

 

„Draw!“, fauchte Zanthe daher zornig und riss eine Karte von seinem Deck. „Ich werde dich aus dem Körper meines Bruders vertreiben, verlass dich drauf!“

„Und was wird dann bleiben? Eine leere Hülle.“

Drauf ging der Kopftuchträger gar nicht erst ein, sondern nahm ein Monster aus seinem Blatt und legte es auf seine Duel Disk. Plötzlich tauchte in seiner Hand ein goldener Schlüssel auf, den er zur Seite ausschwang. „Open the door to the lion! Erscheine, [Constellar Leonis]!“

Dort, wo er den Schlüssel hinhielt, breitete sich eine Vielzahl weißer Ringe aus, zwischen denen diverse astrologische Symbole steckten – Sternzeichen. Das Siegel brach anschließend auseinander, als Zanthe mit der Faust dagegen schlug. Ein weißer Krieger kam aus dem Nichts gesprungen, rutschte tänzelnd über das Gras. Dabei bezog der Mann mit einem einer Löwenmähne gleichenden Helm und langen Krallen an den Handschuhen, welche allesamt hellblau zu leuchteten, vor seinem Herrn Stellung.

 

Constellar Leonis [ATK/1000 DEF/1800 (3)]

 

Doch sogleich löste er sich in hellem Licht gen Himmel auf. „Dank seines Effekts kann ich noch einen Sternenkundler als Normalbeschwörung rufen. Ich opfere ihn für [Constellar Virgo]! Open a door to the maiden!“

Noch einer dieser Schlüssel erschien in Zanthes Hand, doch diesmal warf er diesen hoch in die Luft, wodurch das entsprechende Portal sich über ihm öffnete. Daraus stieg eine engelsgleiche Kriegerin herab, deren mechanische Schwingen gänzlich von ihrem Körper getrennt waren, ebenso die beiden Sphären, die sich an ihren Seiten aufhielten.

 

Constellar Virgo [ATK/2300 DEF/1400 (5)]

 

Der Kopftuchträger, in dessen Hand abermals ein Schlüssel auftauchte, rief: „Ihr Effekt ermöglicht es mir, einen Kameraden der Stufe 5 von meiner Hand in die Defensive zu rufen! Open a door to the the scales! Spezialbeschwörung, [Constellar Zubeneschamali]!“

Diesmal stieß er den Schlüssel regelrecht nach vorne, erschuf damit das Portal, aus dem ein schlaksiger Krieger hervorbrach, an dessen Händen Rundschilde mit daraus hervorragenden Krallen befestigt waren. Der ging in die Knie.

 

Constellar Zubeneschamali [ATK/2100 DEF/1400 (5)]

 

„Wird er gerufen, kann ich einen Sternenkundler von meinem Deck ins Blatt nehmen!“ Sofort schob sich eine Karte aus seinem Deckschacht, die der jung wirkende Mann mit [Constellar Kaus] betitelte. Sofort im Anschluss spielte er eine Zauberkarte aus. „Und jetzt [Constellar Star Chart]!“

Von permanenter Natur, stellte jener sich vor ihm auf und strahlte ein goldenes Symbol in den dunklen Himmel – zwei übereinander liegende Kreuze, die sich in einem gezackten Ring befanden.

Zanthe richtete seinen Arm nach oben, in dessen Hand sich ein langer, goldener Schlüssel manifestierte, groß wie ein Schwert. Er hatte im Fernsehen vor einiger Zeit einen Profiduellanten gesehen, der es genauso machte und war seitdem sehr von diesem Deck angetan gewesen. Doch als sein Bruder es ihm dann schenkte …

Der äußerlich junge Mann biss sich auf die Lippen und schluckte schwer. Dann rief er: „Open a gate to the Sacred Star Knights! To the Overlay Network!“

Sofort verwandelten sich seine beiden Sternenkundler in gelbe Lichtstrahlen, die in den riesigen Schlüssel gezogen wurden. Ein schmales Lächeln zeichnete sich auf Kakyos Lippen ab, als Zanthe fortfuhr. „Aus zwei Stufe 5-Lichtern wird ein gleißender Stern! Rang 5!“

Vor ihm im Gras bildete sich ein kreisrundes Siegel mit diversen astrologischen Symbolen. „Xyz-Summon! [Constellar Pleiades]!“

Damit rammte er den riesigen Schlüssel in den Runenzirkel und zerschmetterte ihn förmlich. Aus diesem sprang ein anmutiger Krieger von kräftiger Statur. Zwar trug er ein langes Schwert mit sich, das er aber mit der Klinge nach unten zeigend hielt. Auf seinem Rücken befand sich eine schwarze Platte, die insgesamt sieben Spitzen aufwies und ein wenig wie ein Stern anmutete.

 

Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 2]

 

„Zuerst der Effekt von [Constellar Star Chart]! Einmal pro Zug darf ich ziehen, wenn ich ein Constellar-Xyz-Monster rufe. Und gleich darauf die spezielle Fähigkeit von Pleiades“, rief Zanthe, zog umgehend und riss dann eine der beiden unter Pleiades' Karte liegenden Monster fort. Als Folge absorbierte das Schwert seines Sternenkriegers eine der Lichtsphären, die um ihn kreisten.

 

Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 2 → 1]

 

Sein Paladin begann sich langsam um die eigene Achse zu drehen, als er erklärte: „Für eine Overlay Unit schickt er sofort eine der Karten auf dem Feld ins Blatt zurück! Ihn!“

Er deutete dabei auf den vergleichsweise kleinen Alsahm. In einer 360°-Drehung schwang Pleiades sein Schwert und erzeugte eine Schockwelle, die den Fixsternritter voll erfasste. Kakyo murmelte amüsiert: „Eine ungewöhnliche Wahl.“

Schließlich hatte er noch zwei verdeckte Karten, die ebenso gut Ziel des Effekts hätten werden können. Aber Zanthe kam es vor allem darauf an, möglichst schnell möglichst viel Schaden auszuteilen. Als der kleine Bogenschütze verschwunden war, nahm Kakyo ihn aus dem Handschuh.

„[Constellar Pleiades], direkter Angriff! Seven Star Raid!“, befahl der Werwolf unmittelbar danach energisch mit ausgestreckter Hand.

Aber Kakyo schüttelte den Kopf. „Ein typischer Anfängerfehler. Verdeckte Falle, [Stellarnova Wave]! Sie erlaubt mir die sofortige Beschwörung eines Monsters, genauer gesagt eines Satellarknight-Monsters. Wie Alsahm.“

Binnen eines Sekundenbruchteils war Pleiades verschwunden und vor Kakyo aufgetaucht, doch als er mit seinem Schwert ausholte, erschien direkt vor ihm erneut der kleine Bogenschütze.

 

Satellarknight Alsahm [ATK/1400 DEF/1800 (4)]
 

„Einmal pro Zug fügt [Satellarknight Alsahm] bei seiner Beschwörung 1000 Punkte Schaden zu“, erklärte Kakyo erneut, „du fügst dir mit deiner Beratungsresistenz nur mehr Leid zu, Zanthe Montinari.“

„Was soll das heißen!?“

„Du siehst nur das Schlechte. Hast sämtliche Hoffnung verloren. War es nicht dein Wunsch, deine Lycanthropie zu überwinden?“ Kakyo sah ihn eindringlich an. „Und der deines Bruders?“

 

~-~-~

 

Ende der 40er Jahre …

 

Schmerzhaft landete Zanthe auf dem Rücken, neben einem Heuballen. Geschubst von einem seiner sogenannten Kameraden, August, ein vermeintlich junger, großer Mann. Seine schulterlange, dunkelblonde Lockenpracht glänzte fettig im Mondlicht. Im Hintergrund drangen die Schreie einer Frau zu ihnen, die Besitzerin der abgelegenen Farm. Das Wohnhaus befand sich etwa 50 Meter entfernt, eine Scheune samt Wasserturm zu ihrer Rechten auf etwa derselben Distanz.

„Entscheide dich endlich was du sein willst“, schnauzte jener August Zanthe an. „Willst du sie kosten oder nicht?“

„Ich trinke kein Menschenblut!“, protestierte der tatsächlich ältere Werwolf zornig.

„Dann wirst du ewig schwach bleiben.“ Etwas flackerte in den Augen des Neuzugangs, der Zanthe mit Vorliebe für das verurteilte, was er war. „Zahnloses Stück Dreck.“

Der gebürtige Italiener rollte sich halb zurück und sprang dann auf. „Wenigstens töte ich keine Unschuldigen!“

„‘Wenigstens töte ich keine Unschuldigen‘“, äffte August ihn nach. Er lachte höhnisch. „Aber du tust auch nichts dagegen. Weil du genau weißt, was wir dann mit dir machen.“

Aber Zanthe blieb kämpferisch. „Ach, tue ich das? Zeig’s mir doch. Vielleicht steh ich drauf.“

Was sich sein Widersacher nicht zweimal sagen ließ. Seine Haut verfärbte sich schwarz, er ließ seine Klauen aus den Fingernägeln ausfahren. Zanthe tat es ihm gleich. Ihre grün leuchtenden Augen funkelten sich hasserfüllt an, als beide in eine gebeugte Haltung übergingen.

Doch noch bevor sie sich gegenseitig anspringen wollten, ertönte ein erneuter Schrei. Diesmal war er männlich und ihnen wohl bekannt: Jan, ein Mitglied ihres Rudels, das sich als Erstes über die Farmerfamilie hergemacht hat.
 

Sofort verwandelten sich die beiden Streithähne zurück. August murmelte: „Jan?“

Dann folgte ein weiterer Schrei, der einer jungen Frau. „April!?“

Auch sie war ein Werwolf, die Köchin der Truppe.

„Hast du Schüsse gehört?“, fragte Zanthe, der sich nichts anderes erklären konnte, bekam jedoch ein Kopfschütteln als Antwort. Natürlich, das wäre ihnen nicht entgangen.

August, der dank des Konsums von Menschenblut und somit vollkommen transformiert jedoch feinere Sinne besaß, murrte: „Nur ein Zischen. April hat sich erschreckt. Da ist jemand, der nicht hier sein sollte.“

Und so war es auch. Die Tür des Häuschens flog polternd aus den Angeln. Gespannt warten Zanthe und August auf den Dämonenjäger, der sich zweifelsohne an ihre Fersen geheftet haben musste.

Statt aber in Erscheinung zu treten, ließ der Angreifer sie warten. August sah nach rechts. Zanthe wusste, dass dort in einiger Entfernung noch ein weiteres Mitglied ihres Rudels nahe der Scheune wartete.

Dann geschah es so unvermittelt, dass selbst Zanthe trotz seiner guten Reflexe stockte. Ein weißer Speer schoss regelrecht aus dem Türrahmen zielgenau auf August zu. Jener wich geschickt mit einer Körperdrehung aus, doch weitete die Augen. Plötzlich hing an der Waffe ein Mann in weißem Mantel, wie aus dem Nichts, und verpasste dem jüngeren Werwolf einen Tritt in den Magen.

Grunzend rutschte August zurück und musste sich prompt unter dem schwingenden Speer hinweg ducken. Der Dämonenjäger, dessen Gesicht von der Kapuze verborgen war, erwies sich dabei als erstaunlich flink. Immer wieder schlug und stach er nach August, der mit Rückwärtsschritten und Drehungen jedoch mühelos ausweichen konnte.

„Amateur“, lachte der Lockenkopf dabei arrogant. Kurzerhand verwandelte er sich wieder, ließ seine Haut schwarz und die Augen grün werden. Die Krallen seiner Pranke schossen hervor, als er sich den Speer griff.

„In der Tat“, entgegnete der Dämonjäger kühl, wie er die Waffe auf sein Ziel gerichtet hatte.

Dann knallte es. Aus der Spitze des Speers schoss eine Ladung glänzendes Schrot und durchsiebte August regelrecht. Mit bläulich leuchtenden Löchern in Gesicht und Oberkörper sackte der zu Boden und rollte sich dort unter Schmerzensschreien hin und her. Sofort verwandelte er sich zurück, doch Blut floss keines.

„Die Kugeln bringen den Fluss der natürlichen Energien deines Körpers durcheinander“, erklärte der Mann, dessen Stimme Zanthe bekannt vorkam, „keine Sorge, ist nur von kurzer Dauer.“

Sprachs und rammte August die Speerkante in den Nacken, wodurch dieser das Bewusstsein verlor. Direkt im Anschluss hob er den Speer mit beiden Armen hoch, denn die rothaarige June kam aus den Schatten der offenen Scheune gesprungen und schlug ihre Pranken nach ihm. Die Rothaarige umklammerten die Waffe.

„Gut zu wissen, dann lass ich mich nicht davon treffen“, knurrte sie, die sie über zwei Meter groß war und ihn einen halben Kopf überragte.

Noch während sie sprach ließ der Dämonenjäger den Speer los und rammte beide Hände gegen ihre Brust. Meterweit flog sie über den Boden dahin, wo sie hergekommen war, den Speer auf halber Strecke loslassend. Dann fing sie sich jedoch mit einem Rückwärts-Flick-Flack und landete auf den Beinen. In der Zeit war ihr Gegner schon zum Speer teleportiert, wirbelte ihn und schoss nach ihr. June war trotz ihrer Körpergröße sehr agil und wich geschickt aus, ließ den Mann bewusst näher kommen.
 

Derweil sah Zanthe fassungslos mit an, wie seine Mitstreiterin in die Offensive ging und mächtige Schläge austeilte. Zwar konnte der Jäger diese mit seinem Speer abwehren, doch sein Tempo ließ zunehmend nach. Dafür wurden die Hiebe seiner Kontrahentin immer stärker. Schritt um Schritt drängte sie ihn zurück, begann ihn zu umkreisen, während er den Speer wie in einem Tanz um sich herum wirbeln ließ, dabei Junes Attacken abwehrend.

Es geschah, was geschehen musste. Ihre Klauen fuhren nach einer missglückten Parade über seinen rechten Oberarm und hinterließen tiefe Wunden. Instinktiv wollte Zanthe dazwischen, aber kaum hatte er sich gerührt, schoss der Fremde, der die Speerspitze schräg nach unten über die Schulter gerichtet hielt, eine Ladung Schrot ab. June wich unverletzt zurück, doch der Dämonenjäger drehte die Waffe wie ein Rad und verpasste ihr mit dem Ende des Schafts erst einen Hieb unters Kinn, der sie nur kurz lähmte. Was ausreichte, um ihr bei der nächsten Drehung des Speers eine weitere Ladung ins Gesicht zu schießen.

Keuchend sackte sie in sich zusammen, verlor mit einem ganz blau leuchtenden Kopf das Bewusstsein.

 

Und plötzlich war Zanthe ganz alleine mit dem Mann. Seine vier Kameraden waren allesamt außer Gefecht gesetzt. Obwohl der noch junge Werwolf eine kämpferische Haltung annahm, spürte er, dass von seinem Gegner keine Gefahr ausging. Ein richtiger Dämonenjäger mit solchen Fähigkeiten hätte getötet. Dieser nicht, sie alle lebten noch.

„Zu dumm“, sprach jener Mann, als er sich ihm zuwandte. Er griff nach seiner Kapuze und zog sie herunter, „die waren ja kaum eine Herausforderung. Aber keine Sorge, ich bin es nur, Zanthe.“

Langes, schwarzes Haar fiel ihm über die Schulter.

„Alessandro!?“, keuchte dessen Bruder fassungslos.

Er sah kaum älter aus als vor über fünfzehn Jahren, als sich ihre Wege getrennt hatten. Ein schwaches Lächeln zierte seine Lippen.

 

~-~-~

 

Das Lagerfeuer vor den beiden knisterte. Sie saßen sich im Schneidersitz gegenüber, der weiße Speer lag neben Alessandro, wie dieser schweigsam ins Leere starrte. Der Vollmond stand über ihnen und strahlte ein schier unnatürliches Licht aus. Als wäre dies ein vorherbestimmter Tag, so dachte Zanthe.
 

Sie hatten kaum ein Wort gewechselt, seitdem sie nach einem Rastplatz gesucht hatten. Der ältere Bruder konnte den Blick nicht von der tiefen Wunde am Arm des jüngeren abwenden.

„Ist okay“, beteuerte jener. „Sieh.“

Und es geschah. Die aufgerissene Haut wuchs binnen eines Herzschlags komplett zusammen. So etwas hatte selbst Zanthe noch nie gesehen.

„W-was!? Alessandro, sag mir endlich, woher du all das kannst!“, forderte er. „Du bewegst dich genauso schnell wie wir, bist seit damals keinen Tag gealtert und jetzt das!“

Er deutete auf die verschwundene Wunde. „Selbst wir brauchen für so etwas Stunden, gar Tage. Und schon gar nicht können wir das bewusst steuern! Sprich endlich mit mir darüber!“

Sein Bruder mied den direkten Blickkontakt. „Mach dir keine Sorgen, es ist alles in Ordnung.“

„Nichts ist in Ordnung! Ich-“ Zanthe versagte die Stimme, als er sagen wollte, dass er seinen kleinen Bruder nie hätte alleine zurücklassen dürfen. Aber das hatte er.
 

Alessandro lächelte mild. „Ich weiß, was du gerade denkst. Aber ich habe es sofort verstanden. Du hast erkannt, dass es keine Heilung gibt und bist deshalb gegangen.“

„… es tut mir leid.“

„Muss es nicht. Zu dem Zeitpunkt hatte ich die Hoffnung selbst schon fast aufgegeben. Aber“, sagte er und machte eine Pause, starrte seine Waffe an, „aber das war inakzeptabel. Und während du nach deinem Platz in dieser Welt gesucht hast, habe ich eine Entscheidung getroffen.“

Sein älterer Bruder zitterte am ganzen Leib, als der ehemals so kleine und liebe Bursche, nun körperlich älter als er, aufsah und wieder wie der Knirps von damals strahlte. „Dass ich nach einer Möglichkeit suchen würde, dich zu heilen, egal wie lange es dauert.“

„Alessandro“, stammelte Zanthe mit erstickter Stimme, „du müsstest … schon viel älter sein …“

„Ja. Ich begriff, dass meine Zeit als normaler Mensch wohl nicht ausreichen würde. Also habe ich mein Leben durch einen Pakt verlängert. Das ist jetzt schon eine Weile her.“

„W-was meinst du mit Pakt?“

„Es gibt Wesen, die man hören, aber nicht sehen kann.“ Alessandro fasste sich an die Brust. „So eines lebt jetzt in mir. Kakyo ist sein Name. Etwas steif und sehr stur, aber ich vertraue ihm.“

„W-was!?“

„Kakyo war schon der 'Beschützer' des vorherigen Besitzers des Artefakts, dieses Speers hier.“ Alessandro griff sich die Waffe und hielt sie über die Flammen. „Er hat mir beigebracht zu kämpfen. Ha ha! Stell dir das vor, obwohl er nur Anweisungen geben konnte, bin ich doch recht gut, nicht wahr? Gut, da war noch dieser alte Knacker, der mir hin und wieder geholfen hat, aber-“

Doch Zanthe sprang fassungslos auf. „Ich verstehe das nicht! D-du alterst nicht, weil so ein Ding in dir steckt!? W-wie geht das, was-!?“

„Beruhig' dich, es ist alles in Ordnung. So können wir Seite an Seite nach Heilung suchen, Zanthe. Und ich kann dich vor deinem Rudel beschützen. Hiermit!“

Er hob den Speer noch einmal demonstrativ höher.

„Was hast du bloß getan, Alessandro“, stammelte Zanthe aber gebrochen, „du solltest nicht dasselbe Leben führen wie ich. Deshalb bin ich gegangen! Es reicht, wenn einer verflucht ist.“

„Zu dumm, dass ich meinen eigenen Willen habe. Soll ich etwa zusehen, wie du daran zugrunde gehst? Und willst du zusehen, wie ich älter und älter werde, ohne etwas für dich tun zu können.“ Alessandro erhob sich. „Unsere Familie ist längst fort, wir sind alles, was wir noch haben.“

Er wirbelte den Speer und setzte ihn mit dem Ende auf dem Gras ab. „Wir haben unsere Vergangenheit an diese Monster verloren, aber nicht unsere Zukunft, Zanthe. Komm mit mir, lass uns einen Ausweg finden, egal wie lange es dauert. Wir geben nicht auf! Versprochen?“

Zanthe sah seinen Bruder mit Tränen in den Augen an. Dann nickte er zaghaft.

 

~-~-~

 

Verzweifelt erwiderte Zanthe auf Kakyos Worte: „Wir haben so lange danach gesucht, aber kein Heilmittel gefunden. Was, wenn es keines gibt? Dieser Fluch hat nur Leid gebracht!“

Sein Gegenüber beobachtete regungslos, wie der Werwolf seine Karten fallen ließ, die rechte Hand ausschwang und seine Fingernägel zu beängstigend langen Krallen anwachsen ließ. Welche er prompt an seine Kehle führte. „Und jetzt, da Alessandro fort ist, kann ich genauso gut-“
 

In dem Moment spannte der kleine Engel Alsahm seinen Bogen und schoss einen goldenen Pfeil, der die Brust des Kopftuchträgers durchbohrte, kurz bevor Pleiades ihn mit seiner Klinge in zwei Teile hackte. Zanthe wurde von den Füßen gerissen und landete auf dem Rücken im nassen Gras.

 

[Zanthe: 3000LP → 2000LP / Alessandro: 4000LP]

 

Kaum hatte er seinen Oberkörper aufgerichtet, stampfte Kakyo mit seinem linken Fuß den rechten Arm des Werwolfs nieder, als hätte er sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt. „Das ist nicht, was dein Bruder gewollt hätte.“

„Lass mich!“, schrie Zanthe außer sich und schlug mit der anderen Faust wiederholt gegen das Bein seines Widersachers, ohne etwas damit zu erreichen. Als der Werwolf ebenfalls zu der Erkenntnis kam, ließ er auch aus seiner anderen Hand Krallen wachsen und durchbohrte das Glied fünffach, doch Kakyo schrie nicht einmal.

„Zu leben, obwohl eine geliebte Person gegangen ist, ist eine große Bürde …“

„Was verstehst du davon!?“, überschlug sich Zanthe, riss die Klaue heraus und stach noch einmal zu.

„… doch dein Bruder glaubte fest daran, dass du sie schultern wirst.“

„Verschwinde endlich!“, kreischte der Niedergestreckte aber nur weiter, wiederholte das Schauspiel wieder und wieder. Blut spritzte nur so in alle Himmelsrichtungen. Als ein Tropfen Zanthes Wange benetzte, weitete der seine Augen und verstummte schlagartig. Seine Zunge verließ die Mundhöhle und wurde prompt mit einem Tritt von Kakyos rechtem Fuß in ihre Schranken gewiesen.

„Lerne, dich selbst zu kontrollieren. Gedankenlose Taten führen dich ins Verderben.“
 

Während der Werwolf hustete und spuckte, trat der Immaterielle schließlich einen Schritt zurück, sodass Zanthe sich nach und nach aufrichten konnte. Der stärker werdende Regen wusch das Blut aus seinem Gesicht, während er anfing zu schluchzen.

Kakyo sprach weiter. „Du hast eine Aufgabe zu erfüllen. Eine, die Alessandro Montinari dir auferlegt hat. Enttäusche sein Vertrauen nicht und zeige mir, dass du imstande bist, sie zu erfüllen.“

Damit drehte er sich um und schritt unter der schmatzenden Erde wieder zu seiner Ausgangsposition zurück. Zanthe sah ihm hinterher, begann zu schnaufen. Schließlich presste er hervor: „Was ich mit meinem Leben anstelle ist immer noch meine Sache! Wenn du mich an irgendetwas hindern willst, werde ich dich vernichten! Nein … das werde ich unabhängig davon!“

„Versuche es“, kam es ungerührt von Kakyo, der weiter seines Weges ging.

Mit gewecktem Kampfgeist stand der Kopftuchträger auf. Ein winziges Rinnsal Blut war auf seiner Stirn verblieben, welches er aber einfach mit dem Handrücken wegwischte. „Von mir aus. Zeit dafür habe ich ja genug …“

Es gab ihm Kraft, daran zu denken, wie er dieses Wesen zerstörte. Schließlich war es überhaupt erst für das Schicksal seines Bruders verantwortlich. Dann nahm er eben erst Rache an Kakyo, bevor er die Welt von seiner verfluchten Existenz befreite.

Kakyo indes wandte sich ihm wieder zu. „Du magst über einhundert Jahre alt sein, doch dein Verhalten ist das eines Kindes. Hört etwa auch der Verstand eines Werwolfs auf zu altern? Ich werde dich Disziplin lehren.“

„Ach ja!?“, keifte Zanthe zurück. „Mal sehen, wie du das anstellen willst, du neunmalkluges Arschloch! Eine Karte verdeckt! Du bist dran!“

Die Falle materialisierte sich zischend zu seinen Füßen, womit beide drei Karten auf der Hand hielten.

Warum musste es so enden? Zanthe sah seinen Bruder vor sich, wie er den Speer in den Händen hielt und ihm erstmals von seinem Schicksal erzählte.

 

Zanthe, wir haben uns versprochen, immer füreinander da zu sein. Aber meine Zeit ist begrenzt. Der Pakt wird nicht ewig halten und wenn das passiert, wird meine Seele von dieser Welt verschwinden.“ Alessandro sah auf den Speer herab. „Sollte das geschehen, bevor wir unser Ziel erreiche, habe ich zwei Bitten. Bleib stark. Und … beschütze dieses Artefakt. Es ist von größter Wichtigkeit, dass du es als sein Wächter aufbewahrst, wenn ich fort bin. Bis zu dem Tag, an dem ein Auserwählter es abholen kommt.“

 

Was auch immer das bedeutete. Alessandro hatte diese Person stets als jemanden betrachtet, der die Welt retten würde. Wovor auch immer. Aber so jemand war nie erschienen. Und es spielte für Zanthe auch keine Rolle.

 

Kakyo zog, nachdem er sich seinem Gegner wieder gegenüber gestellt hatte, seelenruhig eine Karte und betrachtete sie. Dann rief er aus: „Ich benutze den Effekt meiner Falle [Stellarnova Wave] und beschwöre das gerade eben gezogene Monster, [Satellarknight Deneb]!“

Eine Lichtsäule schoss aus dem Himmel hinab und brachte einen humanoiden, hellblauen Falkenritter mit sich, der ein Schwert mit sich führte, dessen beide Klingenblätter ineinander wie zwei Wurzeln verschlungen waren. Um seinen Unterleib schwebte ein Ring mit einem Miniaturstern daran.

 

Satellarknight Deneb [ATK/1500 DEF/1000 (4)]

 

„Nach seiner Beschwörung erhalte ich einen neuen Fixsternritter von meinem Deck, welchen ich ohne Verzögerung als Normalbeschwörung rufe: [Satellarknight Vega]!“

Noch eine Lichtsäule schoss aus der Endlosigkeit des regnerischen Himmels herab und brachte eine in Rosa gehüllte Kriegerin mit sich, um die ebenfalls ein Ring schwebte. Zwar war sie unbewaffnet, dafür aber dank einer Stola aus Gold zumindest anmutig wie eine wahre Diva.
 

Satellarknight Vega [ATK/1200 DEF/1600 (4)]

 

„Monstereffekt von [Satellarknight Vega]! Sie erlaubt es, zusätzlich einen weiteren Fixsternritter von meiner Hand als Normalbeschwörung zu rufen: [Satellarknight Altair]!“

„Noch einer!?“, staunte Zanthe, der das Deck seines Bruders nur einige, wenige Male in Aktion gesehen hatte. Zum Beispiel, als ein Unwürdiger sich des Speers bemächtigen wollte und doch gar nichts über ihn zu wissen schien. Alessandro hatte kurzen Prozess mit ihm gemacht.

Zum dritten Mal schoss eine Lichtsäule aus dem Himmel herab. In ihr befand sich ein geflügelter, dunkelblauer Kämpfer, der ebenfalls unbewaffnet war. Wie um die anderen seiner Art, umkreiste auch ihn ein goldener Ring.
 

Satellarknight Altair [ATK/1700 DEF/1300 (4)]

 

Altair streckte den Arm zur Seite aus, wodurch diesmal eine Lichtsäule aus dem Boden geschossen kam. Dazu erklärte Kakyo: „Zu guter Letzt ruft dieser junge Mann einen gefallenen Kameraden zurück ins Leben, doch dürfen für den Rest des Zuges auch nur Tellarknight-Monster Angriffe durchführen. Sei in Verteidigungsposition wiedergeboren, [Satellarknight Alsahm]!“

Und aus genau jener Lichtsäule stieg zu Zanthes lautstarkem Entsetzen der kleine Bogenschütze, der sofort einen Pfeil von der Sehne ließ. Der Werwolf wurde direkt in die Brust getroffen und torkelte keuchend zurück.

 

Satellarknight Alsahm [ATK/1400 DEF/1800 (4)]

 

[Zanthe: 2000LP → 1000LP / Alessandro: 4000LP]

 

Noch einmal so ein Treffer und er war erledigt, wusste der ältere Bruder, wie er sich die schmerzende Stelle unterhalb seines Halses hielt. „Immer … dieselbe Leier …“

„Ich bin noch nicht fertig“, hielt Kakyo jedoch unbeeindruckt dagegen und streckte seine Hand nach vorne aus, „ich errichte das Overlay Network!“

Sofort öffnete sich vor ihm ein Schwarzes Loch und zog Deneb, Vega und Altair als gelbe Lichtstrahlen in sich hinein. „Aus meinen drei Stufe 4-Monstern wird ein Rang 4-Monster!“

Eine Explosion in seinem Inneren brachte das finstere Phänomen dazu, sich auszuweiten. „Xyz Summon! Zeige dich, Herr des Sommerdreiecks, [Stellarknight Delteros]!“

Schon stieg besagter Ritter aus dem Overlay Network empor. Golden leuchteten die dünnen, spitzen Auswüchse seiner Flügel von seinem Rücken, nicht anders als der aus drei Ringen bestehende Schild an seinem Arm. Zwischen jenen drei sich überschneidenden Einzelteilen zogen sich Energielinien und formten ein aufrecht stehendes Dreieck. In der anderen Hand hielt er ein Schwert, wurde von drei Lichtsphären umkreist.

 

Stellarknight Delteros [ATK/2500 DEF/2100 {4} OLU: 3]

 

„Gleichstand“, murmelte Zanthe grimmig.

„Nicht lange. Ich aktiviere Delteros' Effekt und hänge eine Overlay Unit ab“, rief Kakyo energisch und riss eines der Monster unter der schwarz-umrandeten Karte in seinem Handschuh hervor, „damit er eine deiner Karten zerstören kann! Navigator's Strike!“

Sofort erhob der Krieger seine Klinge gen Himmel, wobei eine der Lichtkugeln ihn dabei überholte und zu einem Lichtstrahl wurde, in dem Delteros sein Schwert badete. Kaum hatte es die Strahlen absorbiert und gab selbst ein immenses Gleißen von sich, richtete sein Besitzer es nach vorn auf [Constellar Pleiades].

Zanthe fauchte zurück: „Du willst mein Monster vernichten!? Fein, aber es wird deines mitnehmen! Der Effekt von Pleiades kann auch in deinem Zug aktiviert werden!“

Sofort wirbelte Pleiades um seine eigene Achse und feuerte im Schwung von seinem verkehrt herum gehaltenen Schwert eine Lichtsichel auf den vor Kakyo schwebenden Ritter ab, der seinerseits einen vernichteten Lichtstrahl von seiner Waffe losließ.

 

Stellarknight Delteros [ATK/2500 DEF/2100 {4} OLU: 3 → 2]

Constellar Pleiades [ATK/2500 DEF/1500 {5} OLU: 1 → 0]

 

Die beiden Attacken passierten einander, doch plötzlich rief Kakyo aus: „Konterfalle, [Stellarnova Alpha]! Ich opfere Alsahm und negiere den Effekt deines Monsters, zerstöre es und ziehe zudem eine Karte! Das Resultat ist, dass ich dich direkt angreifen kann!“

Besagter kleiner Bogenschütze löste sich in Luft auf, gab dabei eine grelle Lichtwelle in alle Richtungen ab, die Pleiades' Leuchtsichel kurz vor dem Einschlag in Delteros neutralisierte. Zanthe, der den Lichtstrahl des Ritters auf sich zukommen sah, hob schnaubend den Arm. Dann erfolgte eine Explosion, die den Werwolf vollkommen einhüllte.

Kakyo zog eine Karte und schloss wissend die Augen. „Gut gemacht.“

 

[Zanthe: 1000LP → 3500LP / Alessandro: 4000LP]

 

Denn als der Rauch sich verzog, stand Zanthe aufrecht mit einem stählernen Rundschild am Arm und erklärte: „Meine Falle [Draining Shield] hat mich beschützt und den Schaden in Lebenspunkte umgekehrt!“

Die vor ihm aufgerichtet stehende Karte löste sich samt des Schildes an Zanthes Arm auf.

„Du weißt dich zu verteidigen, trotz deiner Unerfahrenheit. Sehr gut. Zug beendet“, verkündete Kakyo, doch sein Lob klang in Zanthes Ohren wie Hohn.

„Verteidigen!? Was soll ich verteidigen!? Ich habe doch schon alles verloren!“

„Du lebst noch.“

„Dieses Leben ist wertlos!“ Der Kopftuchträger überschlug sich dabei förmlich. „Ich habe keinen Grund mehr zu leben! Warum willst du das nicht verstehen!?“

Sein verhasster Widersacher blieb stumm. Er senkte das Haupt und schwieg.
 

„Ja, das dachte ich mir“, setzte Zanthe bitter nach, als er aufzog, „ich weiß nicht einmal, warum ich mich überhaupt mit dir duelliere …“

„Weil dein Bruder vor seinem Ende nur einmal gegen dich spielen wollte.“ Kakyo sah auf, sein Gesicht war ausdruckslos. „Schließlich war er es, der dich an Duel Monsters herangeführt und dir die Regeln beigebracht hat. Aber ihr habt nie gegeneinander gespielt.“

 

~-~-~

 

Etwa fünfzehn Jahre zuvor …

 

„Hör auf zu maulen, das Hotel ist nicht mehr weit entfernt“, meinte Alessandro scherzhaft, wie sie den Bürgersteig entlang schlenderten.

Zanthe sah ihn nicht an, sondern konzentrierte sich auf die Schaufenster zu seiner Linken. Es dämmerte bereits. Sie waren hier, um ihre derzeit einzige Spur zu verfolgen. Gerüchten zufolge lebte in dieser Stadt ein legendärer Dämonenjäger, der die Macht seiner Feinde absorbieren konnte.

Diese Information hatten sie von einer Dämonin, die vor etwa einem Jahrzehnt besagtem Mann zum Opfer gefallen war.
 

Doch um ehrlich zu sein erhoffte sich Zanthe davon absolut gar nichts. Seit fast einem Jahrhundert war er nun schon Mal um Mal enttäuscht worden. Es gab keine Heilung. Es gab keine Erlösung. Und er war müde, bereit, die Augen für immer zu schließen.

Nur Alessandro hielt ihn noch am Leben. Selbst jetzt war er immer noch so aufgeweckt und optimistisch wie damals. Obwohl auch er in seinem Inneren doch schon längst ein Greis sein müsste. Aber sein Lächeln, sein Lebensmut steckte an.

 

„Wenn wir den Kerl gefunden haben, lassen wir uns am besten erstmal seine Kräfte erklären. Diese Frau hat es überlebt, das ist schon mal gut.“

„Sie sah aber nicht danach aus, als wäre sie undämonisch. Hast du ihre Augen gesehen?“, murmelte Zanthe abwesend.

Alessandro schnalzte mit der Zunge. „Hast du nicht zugehört? Er hat ja nur einen Teil ihrer Macht absorbiert. Sie ist weiterhin ein Sukkubus.“

„Ja, -das- hast besonders -du- zu spüren bekommen.“

„Was soll ich tun, ich bin nun mal ein Mann!“, klagte sein kleiner Bruder, der optisch mit seinem langen, offenen Haar und der Sonnenbrille doppelt so alt wie Zanthe aussah.

Der nuschelte abfällig: „Yeah …“

 

In dem Moment erregte etwas seine Aufmerksamkeit. Sie hatten gerade einen Elektronikladen passiert, in dem ein Fernseher Nachrichten zeigte. Zwar war er auf stumm gestellt, aber dank der unten eingeblendeten Texte konnte man trotzdem erahnen, worum es ging. Zanthe blieb davor stehen.

Die Schlagzeile lautete: Sieger des Battle City-Turniers in New York steht fest!

Dazu sah man zwei Personen, die sich in gebeugter Haltung auf einer Art Balkon gegenüber standen. Erst bei genauem Hinsehen erkannte Zanthe, dass sie sich auf einem Zeppelin befanden.

Der Mann links hatte schwarzes Haar, war vom Alter her sehr schwer einzuschätzen, aber definitiv schon ein etwas älteres Semester. Zanthe konnte noch einen Blick auf seinen Nachnamen erhaschen, ehe dieser ausgeblendet wurde, irgendetwas mit „auer“.

Dessen Widersacherin, ein Mädchen, bestach durch eine unvergleichliche Schönheit. Ihre lange, blonde Mähne war gewellt und hypnotisierend. Dazu hatte sie knallroten Lippenstift aufgetragen und kein Pickel zeichnete ihre makellose Haut, obwohl sie allenfalls alt genug war um Auto zu fahren. Gegen sie war der Sukkubus von damals nicht ansatzweise so attraktiv, was dessen Daseinsberechtigung arg infrage stellte.

Während sich vor dem älteren Herrn eine Art Drache mit Falkenkopf aufhielt, wurde die Blonde ebenfalls von einer Art goldenem Vogel mit flammenden Flügeln gedeckt.

 

„Was ist das?“, fragte Zanthe irritiert und sah zu seinem Bruder herüber.

„Oh, das? So ein Kartenspiel, was seit einiger Zeit immer beliebter wird. Nennt sich Duel Monsters.“

Zanthe sah zurück auf den Bildschirm, beobachtete, wie der goldene Phönix Feuer aus seinem Maul spie. „Die sind doch wohl kaum echt.“

„Das sind Hologramme. Keiner weiß, wie so ein derart großer, technologischer Sprung möglich ist, aber sie können wohl über die Apparate an ihren Armen dargestellt werden. Aber die Animationen sind etwas steif, siehst du?“

Denn der Drache wurde zwar von den Flammen getroffen, fiel aber erst zeitversetzt zu Boden und das so zuckend, als wäre er eigentlich durch einen Schlag niedergestreckt worden.

„Das ist bescheuert“, murrte Zanthe. „Komm, lass uns zum Hotel gehen.“

„Vielleicht kommst du irgendwann noch auf den Geschmack“, gluckste Alessandro, als er seinem etwa einen halben Kopf kleineren Bruder folgte, „ich liebäugle ja damit, selbst mit diesem Spiel anzufangen. Als Zeitvertreib und Entspannung. Sieht schon toll aus.“

Zanthe rollte mit den Augen. „Dann rechne aber nicht damit, dass -ich- dabei mitmache. So'n Kram interessiert mich nicht.“

„Da gibt’s wohl auch den ein oder anderen gut aussehenden Kerl als Monsterkarte“, neckte sein Bruder ihn, als er ihm auf die Schulter klopfte.

„Trotzdem kein Interesse!“

„Hast ja Recht, wir müssen uns aufs Wesentliche konzentrieren! Diesen Mann zu finden!“

 

~-~-~

 

Aber sie hatten ihn nie gefunden. Er war am Ende doch nur eine von so vielen Legenden gewesen.

 

Zanthe sah die Karten in seiner Hand an. Irgendwann war Alessandro doch mit zwei Decks angewackelt gekommen. Zwar hatte er sich stets geweigert zu spielen, sich aber trotzdem die Regeln erklären lassen, Zeitschriften zum Thema verschlungen und Fernsehsendungen verfolgt.

Einzig gespielt hatte er nie. Sein Stolz war zu groß gewesen, er war doch kein Kind mehr, so etwas hätte es vor hundert Jahren nie gegeben und sowieso und überhaupt. Alles Ausreden.

Tränen stiegen in seinen Augen auf. Hätte er doch bloß 'ja' gesagt und seinem Bruder die Freude gemacht …

 

„Ich rufe [Constellar Rasalhague]!“, sagte Zanthe mit erstickter Stimme. „Dank seines … seines Effekts kann ich ihn opfern, um einen anderen Sternenkundler von meinem Friedhof in Verteidigung zurückzurufen!“

Statt die Beschwörung wie sonst mit einem Schlüssel auszulösen, rieb sich Zanthe mit seinem Arm die Augen. Stattdessen öffnete sich von selbst ein astrologisches Runenportal und brachte einen kleinen Burschen in weiß-goldener Rüstung hervor, der einen Schlangenstab in der Hand hielt.

 

Constellar Rasalhague [ATK/900 DEF/100 (2)]

 

Jenen rammte er in den Boden und verschwand mit ihm, öffnete ein neues Portal, aus dem der Löwenkrieger entstieg. Jener fuhr seine hellblau leuchtenden Krallen aus, als er in die Knie ging.
 

Constellar Leonis [ATK/1000 DEF/1800 (3)]

 

Nachdem er seine Tränen getrocknet hatte, sah Zanthe kämpferisch nach vorne. „Ich rufe ein neues Monster!“

Diesmal schnappte er sich den Schlüssel, der vor ihm erschien, schwang ihn zur Seite aus und rief dabei: „Open a door to the archer! Komm, [Constellar Kaus]!“

Das dabei entstehende Portal zersplitterte und befreite einen weißen Zentaurkrieger, der einen mächtigen, goldenen Bogen führte. „Sein Effekt lässt ihn die Stufe eines Constellars um 1 verändern! Ich wähle ihn selbst und reduziere seinen Level!“

Sofort schoss Kaus einen Lichtpfeil kerzengerade in die Luft, der urplötzlich seine Ausrichtung veränderte und auf ihn zurückgeschossen kam, bis er ihn durchbohrte.

 

Constellar Kaus [ATK/1800 DEF/1000 (4 → 3)]

 

Zanthe nahm die beiden Monster von seiner Duel Disk, legte sie übereinander und platzierte sie zusammen auf derselben Kartenzone. Anschließend streckte er seine Hand aus, in der ein riesiger, goldener Schlüssel erschien. Jenen an die Stirn lehnend, sprach Zanthe: „Open a gate to the Sacred Star Knights! To the Overlay Network!“

Leonis und Kaus verwandelten sich daraufhin in gelbe Lichtsphären, die von der Spitze des Schlüssels absorbiert wurden. „Aus zwei Stufe 3-Lichtern wird ein gleißender Stern! Rang 3!“

Damit rammte er das Schwert vor sich in den Boden. „Xyz-Summon! [Constellar Hyades]!“

Um den Schlüssel herum bildete sich ein Runenportal. Zanthe zog das Werkzeug heraus, was dazu führte, dass ein stolzer Krieger in weiß-goldener Rüstung nach oben gefahren kam, als befände er sich in einem unsichtbaren Aufzug. Dessen Klingen in seinen Händen zeigten nach unten, wobei rot glühende Ringe am Schwertknauf befestigt waren. Der goldene Helm war mit Hörnern bestückt. Um Hyades kreisten zwei Lichtsphären.

 

Constellar Hyades [ATK/1900 DEF/1100 {3} OLU: 2]

 

Zanthe riss eine Karte von seinem Deck, als das Symbol der Sternenkundler am Himmel aufzuleuchten begann. Aber das war noch nicht alles. Hyades reichte nicht aus, um es mit Delteros aufzunehmen. Er brauchte mehr.

Und es gab da ein Monster in seinem Deck, das 'mehr' war. Angepriesen als Vorreiter einer neuen Beschwörungstechnik für Xyz-Monster, sofern Zanthe das richtig verstanden hatte.

Er streckte die Hand weit aus. „Ich rekonstruiere das Overlay Network!“

Unter seinem Krieger öffnete sich ein Schwarzes Loch und sog Hyades in sich hinein. Gelbe und schwarze Blitze schlugen um sich. „Aus meinem Rang 3-Monster wird ein Rang 6-Monster!“

In Zanthes Hand materialisierte sich ein Schlüssel ganz aus Platin, der zu leuchten begann, ehe er ihn in den Schlund warf. „Open a gate to the Sacred Star Knights! Incarnation Summon! [Constellar Ptolemy M7]!“

Von gewaltiger Größe war dieser weiß-goldene, mechanische Drache mit den schwarzen Schwingen und dem gleichfarbigen, langen Schweif, der aus dem Sog empor stieg und wütend brüllte. Drei goldene Lichtsphären umkreisten ihn dabei.

 

Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 DEF/2000 {6} OLU: 3]

 

„Beeindruckend“, lobte Kakyo ihn und verschränkte die Arme. „Ein Prototyp, wenn ich mich recht entsinne. Speziell entworfen von Hendrik Benjamin Ford. Ich frage mich, ob ein Immaterieller involviert war.“

„Was redest du da?“

„Unwichtig. Konzentrieren wir uns auf das Wesentliche.“

Zanthe schnaubte wütend. Dann griff er nach einer Zauberkarte aus seinem Blatt: „Ich aktiviere [Stoic Challenge]! Diese Karte können nur Xyz-Monster verwenden und verlieren durch sie die Fähigkeit, ihre Effekte zu aktivieren! Im Gegenzug erhalten sie für jede Overlay Unit 600 Angriffspunkte!“

Um den mächtigen, mechanischen Drachen begann eine goldene Aura aufzuflammen.

 

Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 → 4500 DEF/2000 {6} OLU: 3]
 

Voller Trotz in den Augen schwang Zanthe den Arm aus und rief: „Damit zwinge ich dich in die Knie! Angriff auf [Stellarknight Delteros]! M7 Star Launcher!“

Messier 7, so sein ausgeschriebener Name, öffnete das Maul und feuerte einen orangefarbenen, von gelbem Dunst umgebenen Lichtstrahl auf seinen Widersacher ab. Dabei schrie Zanthe noch aufgebrachter denn je: „Und so besiegte der unsterbliche Werwolf den Körperdieb! [Stoic Challenge] verdoppelt den Kampfschaden!“

Doch zu seinem Entsetzen tauchte irgendetwas zwischen dem Strahl und seinem Ziel auf, zerteilte ihn, sodass er zu beiden Seiten an Delteros vorbei schoss. Kakyo sprach und klang dabei strenger denn je: „Du bist stark, das ist wahr. Doch es gibt nur einen einzigen Werwolf, der Unsterblichkeit erlangt hat. Mache nicht den Fehler, dich für ihn zu halten.“

Sofort wusste Zanthe, wer damit gemeint war. Gregory, der Mann, der ihn einst zu dem gemacht hatte, was er heute war. Sein wahrer Erzfeind. Auch wenn dessen Schicksal ihn schon seit Langem nicht mehr interessierte. „Das wäre auch eher hinderlich für mich, unsterblich zu sein …“

In dem Moment zuckte Kakyo kurz zusammen, fasste sich an die Stirn und murmelte etwas. Dann sah er auf.

„Wie du siehst, habe ich den Effekt eines Monsters von meiner Hand aktiviert“, sprach das Monster im Körper seines Bruders schließlich, „jeder sollte ihn oder einen seiner Artgenossen im Deck spielen! [Rainbow Kuriboh]!“

„Tch!“

Jene kleine Blockade, die den mächtigen Energiestrahl zerteilte, entpuppte sich als ein kugelförmiges, dunkelblaues Monster mit Fischflosse und einer regenbogenfarbenen Locke am Kopf. Und großen Kulleraugen, welche sich weiteten, als es plötzlich nach vorne schoss, den Strahl immer mehr auseinander riss und schließlich in M7s Maul verschwand.

„[Rainbow Kuriboh] ist besonders effektiv wenn es darum geht, ein Monster vom Angreifen abzuhalten“, erklärte Kakyo munter weiter, „es ist jetzt an M7 ausgerüstet, also wirst du dir wohl was anderes ausdenken müssen.“

Mit einem genervten Stöhnen nahm Zanthe eine Falle aus seinem Blatt und legte sie in seine Duel Disk ein. Zischend materialisierte sie sich vor ihm. „Schon geschehen. Zug beendet!“

 

„Mein Zug! Draw!“, rief der Sonnenbrillenträger energisch aus und verkündete sofort: „Ich benutze Delteros' Effekt! Im Austausch gegen eine Overlay Unit vernichtet er eine deiner Karten! M7! Navigator's Strike!“

Wieder hob der Sternenritter sein Schwert gen Himmel, wodurch eine der beiden verbliebenen Sphären ihr Licht auf es herab scheinen ließ. Dann feuerte er einen gebündelten, grellen Strahl auf den Maschinendrachen ab. Aber Zanthe ließ bereits seine Falle hochfahren. „Dann nimm dieses Geschenk von mir an! [Collected Power]! Alle Ausrüstungskarten auf dem Feld werden auf ein neues Ziel übertragen: Delteros!“

Plötzlich war es der Sternenritter, der in goldener Aura aufflammte. Kurz darauf wurde Messier 7 von dem Strahl getroffen und explodierte lautstark.

 

Stellarknight Delteros [ATK/2500 → 3100 DEF/2100 {4} OLU: 2 → 1]

 

Zanthe grinste plötzlich bitterböse. „Ich fürchte, du hast dir mit deinem [Rainbow Kuriboh] selbst ein Bein gestellt.“

Die goldene Aura verfärbte sich bunt.

„Clever. Aber ich kann dich trotzdem angreifen, und zwar mit dem hier: [Satellarknight Rigel]! Wird er gerufen, verstärkt er einen Fixsternritter um 500 Angriffspunkte, in dem Fall sich selbst!“

Vor ihm materialisierte sich ein weißer Krieger mit lockigem, blondem Haarschopf unter seinem Helm, welcher ein langes Cape mit schwarzem Innenfutter mit sich schwang. Er schrie kämpferisch auf, erstrahlte in gelber Aura.

 

Satellarknight Rigel [ATK/1900 → 2400 DEF/500 (4)]

 

„Angriff!“, befahl Kakyo aufgeregt, gar hektisch.

Etwas, das Zanthe dann doch zunehmend irritierte. Nicht nur hatte dieser Typ es urplötzlich eilig, er zeigte gar etwas wie Emotionen.

Mehr Zeit zum Nachdenken gewährte Rigel ihm jedoch nicht, als der vor dem Werwolf auftauchte und ihm mit einer Körperdrehung in den Magen trat. Zanthe spürte den Aufprall und wurde von den Füßen gerissen, schlitterte erneut durch das nasse Gras. „Uff!“

 

[Zanthe: 3500LP → 1100LP / Alessandro: 4000LP]

 

„Eine Karte verdeckt! Zug beendet!“, verkündete sein Gegenüber, als sich vor ihm besagte Karte manifestierte. „Dadurch kommt die Nebenwirkung von Rigels Effekt zum Tragen: Das gestärkte Monster verschwindet vom Feld.“

Der eben erst erschienene Krieger winkte zum Abschied, ehe er sich in weiße Lichtfunken auflöste.

Zanthe richtete den Oberkörper auf. „Tja, das ist aber nicht die einzige Karte mit Nebenwirkungen! Während deiner End Phase wird das Monster zerstört, das mit [Stoic Challenge] ausgerüstet ist.“

„Was!?“

Ein lauter Knall zeugte von der Explosion, in der [Stellarknight Delteros] unterging. Doch als der Rauch sich verzog, war eine einzelne Lichtsphäre zurückgeblieben.

„Nun“, begann Kakyo aufmüpfig, „dein Fehler. Wird Delteros auf den Friedhof gelegt, kann er einen Satellarknight von meiner Hand oder meinem Deck rufen! Ich wähle die zweite Kopie von Altair in meinem Deck! Und wenn der gerufen wird, reanimiert er einen Kameraden vom Friedhof! Wie Alsahm!“

Die Kugel aus Licht verformte sich zu der humanoiden Gestalt des geflügelten Kriegers, der seine Hand ausstreckte und eine Energiesäule im Boden erscheinen ließ, aus der der kleine Bogenschütze geflogen kam. Welcher ohne Umschweife einen Pfeil auf Zanthe abfeuerte, vor dem jener sich nur durch eine Seitwärtsrolle retten konnte.

 

Satellarknight Altair [ATK/1700 DEF/1300 (4)]

Satellarknight Alsahm [ATK/1400 DEF/1800 (4)]

 

[Zanthe: 1100LP → 100LP / Alessandro: 4000LP]

 

„Ich“, keuchte Zanthe und quälte sich mühselig auf, „bin noch nicht am Ende!“

„Nein. Und? Genießt du es?“, fragte Kakyo neugierig. „Dieses Spiel?“

„Warum sollte ich!?“

Sein Gegenüber lächelte. „Weil Spiele dazu da sind.“

 

Alles, was dieses Spiel ihm brachte, war Leid! Zanthe biss die Zähne zusammen und zog schwungvoll eine Karte von seinem Deck. Jener neue Zauber war genau das, was er jetzt unbedingt brauchte. „Ich aktiviere [Monster Reborn]! Damit rufe ich [Constellar Ptolemy M7] zurück von den Toten! Und weil ich ein Xyz-Monster beschworen habe, darf ich dank [Constellar Star Chart] eine Karte ziehen!“

Seine offene stehende, dauerhafte Zauberkarte leuchtete auf, genau wie das Wappen am Himmel. Brüllend erhob sich der Mechadrache aus seinem Grab und stieg über Zanthe hinweg in die Luft.

 

Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 DEF/2000 {6} OLU: 0]

 

„Spiele verbinden Menschen. Dich und mich.“

„Ich will keine Verbindung zu dir, du-!“, keifte Zanthe außer sich und zog in leicht gebeugter Haltung seine Karte auf. Aus den Augenwinkeln erkannte er sie. „Das ist-!?“

Er richtete sich gerade auf und betrachtete seine beiden Handkarten, beides Magien. Damit konnte er gewinnen!

„Ich spiele [Overlay Regen] aus!“ Zanthe hielt den Zauber demonstrativ zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt. „Welcher zu einer Overlay Unit für Messier 7 wird!“

Im Anschluss rammte er die Karte in seine Duel Disk, woraufhin sich eine Lichtsphäre vor seinem Drachen bildete, die diesen zu umkreisen begann.

 

Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 DEF/2000 {6} OLU: 0 → 1]

 

„Und als Letztes“, sprach der Werwolf plötzlich leise, „die Geheimwaffe meines Decks. Ausrüstungsmagie: [Constellar's Ultimate Magic – VRANO METRIA]!“

Tatsächlich sprach er sie jedoch als Uranometria aus, da die Schreibweise dem im 17. Jahrhundert erschienen, gleichnamigen Himmelsatlas des Astronomen Johann Beyer entsprach. Die zwölf Symbole der Tierkreiszeichen begannen in einem Ring um Messier 7 zu rotieren.

„Diese Karte rüstet mein Monster für jede seiner Overlay Units mit einer passenden Ausrüstung direkt von meinem Deck aus“, erklärte Zanthe weiter und verzog finster das Gesicht, „du bist nicht der Einzige, der mehrere Kopien einer Karte im Deck spielt. [Stoic Challenge]!“

Jene schoss aus seinem Deck hervor und wurde prompt ausgespielt. Sofort begann der weiß-goldene Drache wieder in einer flammenden Aura aufzuleuchten.

 

Constellar Ptolemy M7 [ATK/2700 → 3300 DEF/2000 {6} OLU: 1]

 

Kakyo gab ein überraschtes „Oh!?“ von sich.

Voller Tatendrang schwang Zanthe den Arm aus. „Schluss mit lustig! Greif' [Satellarknight Altair] an! M7 Star Launcher!“

Gehorsam lud Messier 7 in seinem Maul einen orangefarbenen Odem auf, den er unter lautem Dröhnen auf den geflügelten, großen Sternenkrieger abfeuerte. Gelber Dunst umgab die Attacke dabei.

„Denk dran, dass [Stoic Challenge] den Kampfschaden verdoppelt!“

„Zu dumm, dass meine Monster sich verteidigen!“

„Zu dumm, dass Uranometria auch einen Ausrüstungseffekt besitzt, der Verteidigungen durchschlagen kann!“ Zanthe weitete die Augen. „W-warte mal!“

Dieser Wortlaut. Den benutzte doch Alessandro immer! Es gelang ihm jedoch nicht mehr, ihn darauf anzusprechen, denn sein Gegner rief bereits: „Dann benutze ich den Effekt von [Stellarnova Wave]! Eigentlich hatte ich das sowieso vor: Sie beschwört einen Fixsternritter von meiner Hand! Erscheine, [Satellarknight Procyon]!“

Ein unbewaffneter Jüngling tauchte zwischen seinen Kameraden auf, von Kopf bis Fuß in einem weiß-orangefarbenem Bodysuit steckend. Auch um ihn drehte sich ein goldener Ring.

 

Satellarknight Procyon [ATK/1300 DEF/1200 (4)]

 

„D-das ändert gar nichts“, stammelte Zanthe verdutzt. „Alessandro, bist-!?“

„Doch, es entscheidet dieses Duell!“ Sein Bruder lächelte verschmitzt. „Zu dumm, denn ich habe noch eine Falle hier zu liegen, extra für diesen Moment! [Wonder Xyz]!“

Die purpurn umrandete Karte sprang auf und zeigte ein Schwarzes Loch am Himmel, in das zwei Monster hineingezogen wurden. „Damit kann ich sofort mit den Monstern auf meinem Feld eine Xyz-Beschwörung durchführen! Ich errichte das Overlay Network!“

Genau wie auf der Abbildung gezeigt, öffnete sich über Alessandro ein dunkler Vortex, der alle drei Krieger als gelbe Lichtstrahlen einsog. „Aus meinen drei Stufe 4-Satellarknights wird ein Rang 4-Stern! Xyz Summon!“

Eine Explosion in seinem Inneren brachte das Schwarze Loch dazu, sich auszudehnen. „Erscheine, Herr des Winterdreiecks! [Stellarknight Triverr]!“

Im Zentrum des Getoses zeigte sich ein Ritter ganz in Weiß, der einen Leuchtdegen zog und um seine linke Faust ein nach unten zeigendes Dreieck als Schild erzeugte. Sein Cape flatterte wild, als er herab zu Alessandro stieg. Seine drei Overlay Units folgten ihm dabei.

 

Stellarknight Triverr [ATK/2100 DEF/2500 {4} OLU: 3]

 

„Und jetzt lernst du seinen mächtigen Effekt kennen! Alle anderen Karten auf dem Feld werden auf die Hände ihrer Besitzer zurückgegeben!“ Der in Schwarz gekleidete Alessandro schwang seinen Arm aus. „Great Southern Triangle!“

Immer schneller werdend begann der weiße Ritter sich um die eigene Achse zu drehen. Dabei ließ er sein Schwert nach links und rechts ausschwenken, bei jeder Bewegung löste sich eine eisige Schockwelle von der Klinge. Eine der Wellen riss Alessandros [Stellarnova Wave]-Fallenkarte fort, gleich vier dagegen trafen erst Zanthes drei offenen Zauberkarten, dann schließlich seinen Drachen, der sich sofort in weiße Eissplitter auflöste.

„N-nein!“, schrie Zanthe, doch wusste er gar nicht mehr, ob er dieses Duell noch gewinnen wollte.

„Haha. Das war doch ein gelungener Abschluss“, zwinkerte Alessandro ihm zu.
 

„Du bist es! Ich dachte, du wärst-!“ Der Werwolf nahm einen hastigen Schritt nach vorn, doch mit erhobener Hand gebot sein Bruder ihm Einhalt.

Plötzlich stand ihm tiefe Traurigkeit ins Gesicht geschrieben. „Nicht. Ich … sollte gar nicht mehr hier sein.“

„Aber du bist es! Der Pakt-!“

„Wird meine Seele in den Limbus ziehen und das jeden Moment.“ Alessandro seufzte. „Es dauert eine Weile, ehe dieses Tor geöffnet wird, das Kakyo erscheinen lassen kann. Damals, als ich ihn getroffen habe, haben wir es zum Zentrum unseres Pakts gemacht. Sobald es sich zeigt, hätte ich es sein sollen, der es öffnet.“

„W-was!?“

Der Jüngere sah hinauf in den Regen, der sein Gesicht benetzte. „Uns beiden ist natürlich von Anfang an klar gewesen, dass es nicht dazu kommen wird, da wir nie die Absicht dazu hatten. Aber es war der einzige Weg, mein Leben derart zu verlängern. Jetzt, da es jeden Moment von jemand anderem geöffnet wird, werde ich als Paktbrecher dastehen und meine Seele verlieren.“

„Wie konntest du nur so einen Vertrag abschließen!?“ Tränen stiegen in Zanthes Augen auf. „I-ich wollte das nicht! Warum hast du mir nicht gesagt, wie dieser Pakt funktioniert!? Wir hätten-“

„Es ist egal. Selbst wenn das Tor von mir oder gar nicht geöffnet wird, kommt es immer aufs Selbe hinaus. Ich wusste das und war mit den Konsequenzen einverstanden.“ Alessandro lächelte schwach. „Bitte gib dir selbst nicht die Schuld dafür. Eigentlich wollte ich, dass du dich an Kakyo gewöhnst, während ich still und heimlich ins Nichts verschwinde. Aber … das Duell war wirklich toll, also wollte ich es selbst zu Ende bringen.“

Zanthe streckte seine Hand nach ihm aus: „N-nein!“

„Danke … und versprich mir, nichts Dummes anzustellen, ja?“ Sein Bruder lächelte breit, als er die Hand anhob und auf sein Deck legte. „Ich liebe dich, Zanthe. Vielleicht sehen wir uns ja eines Tages wieder. Und bis dahin werd' gefälligst besser. Ich hätte … dich … besieg-!“

 

[Zanthe: 100LP / Alessandro: 4000LP → 0LP]

 

Ein ohrenbetäubendes Donnern erschütterte die Wiese. Alessandro war fort, Zanthe spürte es am ganzen Leib.

Er sackte in die Knie. Vor ihm materialisierte sich eine weiß-umrandete Karte mit einem darauf abgebildeten Drachen. Ein unangenehmes Kribbeln unter seiner Haut machte sich breit.

„Es tut mir leid“, drang die mechanische Stimme Kakyos zu ihm. „Unser Pakt ist gebrochen.“

Was war das alles!? Was spielte sich hier ab!? Eben war er noch … und jetzt war er von einem Moment vom anderen weg, ausgelöscht durch was genau!?

Tränen stiegen in Zanthes Augen auf. Das war nicht, was er wollte. Dass sein Fluch die einzige Person, die ihm wichtig war und der er wichtig war, einfach so verschwinden ließ.

 

Indes eilte Kakyo an dem Werwolf vorbei. Ein neuer Geruch war unvermittelt hinter ihm aufgetaucht.

„Er ist noch nicht soweit“, sprach das Wesen im Körper seines Bruders.

„Verstehe. Dann komme ich zu einem späteren Zeitpunkt wieder“, sagte der alte Mann, der so plötzlich hier aufgetaucht war. Ein Zischen später erschien es, als hätte es ihn nie gegeben, selbst der Geruch war fort.

„Wir müssen gehen. Dieser Ort ist nicht sicher“, sprach Kakyo unheilvoll. „Etwas Böses wird bald hier erscheinen, nun da-“

„Geh weg“, presste der Werwolf mühsam mit zitternder Stimme hervor.

Inmitten dieser schicksalsträchtigen Nacht ragte über die Bäume hinaus ein riesiger Turm. Von zahlreichen Explosionen heimgesucht, stürzte er langsam ein, doch verschwand inmitten dieses Prozesses urplötzlich.

„Er hat dich als seinen Nachfolger auserwählt, Zanthe Montinari“, sprach Kakyo, der hinter dem jungen Mann stand und versuchte, nach ihm zu greifen.

„Ich will das nicht! Und jetzt verschwinde!“, wimmerte Zanthe.

Kakyo sah auf seinen vor sich ausgestreckten Arm herab. Er nahm den Duellhandschuh daran und zog ihn von der Hand, doch nicht, ohne vorher das Deck daraus zu entfernen. „Dein Bruder-!“

Mit einem Ruck sah der Kopftuchträger mit geweiteten Augen über seine Schulter. „Auch wenn du im Körper meines Bruders steckst, werde ich-!“

Er verstummte, als etwas Nasses seine Wange streifte. Doch es waren nicht seine eigenen Tränen, sondern die des Himmels. Die letzten, denn der Regen war verebbt.
 

„Dein Bruder wollte, dass du das hier hast“, sprach Kakyo schließlich und warf den Handschuh neben Zanthe hin. „Und er wollte, dass ich dich im Auge behalte. Aber ich werde dich nicht dazu zwingen, meine Anwesenheit zu dulden.“

Mit einem Handschwenk ließ er ein schwarzes, ovales Portal neben sich erscheinen. „Ich muss nun meinen eigenen Kampf austragen. Unsere Wege werden sich allein schon deshalb erneut kreuzen. Bis dahin gib auf dich Acht, Zanthe Montinari.“

Zanthe schwieg, als dieses Wesen schließlich durch das Portal schritt und mit einem Mal verschwunden war.

 

Nun war er allein. Ganz allein. Er rieb sich über die Augen, schnappte sich den Duellhandschuh sowie die Karte, die ihn nun als Wächter auszeichnete, und erhob sich. Doch als er zu laufen begann, spürte er die Erschöpfung. Als wäre er unendlich schwach. Gerade noch so schaffte er es, sich zu einem nächstgelegenen Baum zu schleppen und sich an diesen anzulehnen.

„Ugh!“ Er rutschte hinab und landete auf dem Hinterteil. „Scheiße …“

Flüchten vor dieser ominösen Gefahr erschien ihm so sinnlos. Er war ein Werwolf, er würde damit fertig werden. Und wenn nicht … was auch immer.

Zanthe legte beide Arme um seine Beine und zog diese an sich heran. Also würde er weiterleben, obwohl er nicht wollte. Was ihm blieb war sich zu verstecken, damit zumindest nie wieder jemand wegen ihm so leiden würde wie sein Bruder. Und doch hoffte er, dass er eines Tages wieder einen Grund finden würde, nach vorne zu schauen. Einen Hoffnungsschimmer.

Was ihm in diesem Moment jedoch blieb, war nur eine Erkenntnis: Worte können ein Fluch sein, besonders, wenn sie von jemandem gesprochen wurden, den man liebt.

 

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Das letzte Special folgt dann Ende April. :)



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  fubukiuchiha
2018-02-25T20:41:14+00:00 25.02.2018 21:41
Hey
Es gefällt mir, dass man etwas über Zanthes Vergangenheit erfährt, aber die war ganz ehrlich ziemlich im Arsch... der arme Kerl musste ganz schön was über sich ergehen lassen.
Man kann einfach nur mit ihm Mitleid haben, aber dass gerade so eine Person wie Anya ihn aus seiner Einsamkeit holt ist schon eine Verrückte Wendung.
Ich freue mich schon auf das nächste Special und vor allem auf die Season 3.
Lg fubukiuchiha


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