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Forever Dream

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
.......... ich kann mich nicht mal mehr entschuldigen, so lange ist das letzte Mal her.
Keine Ahnung, was da passiert ist. Aber auf jeden Fall: Fanfiction not dead!
Immer dieses Real Life...
Here goes nothing. Ich hoffe, ich hab nicht irgendwo einen Teil vergessen..................... (x___x) Komplett anzeigen

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Misfits and Dreamers

Als Toshi die Tür zu ihrem neuen Raum aufstieß (es war immer noch ein wenig zu ungewohnt, als dass er nur Raum hätte sagen können), schwappte ihm ein harter Rhythmus entgegen. Yoshiki war bereits da und trommelte sich die Seele aus dem Leib. Toshi hatte gerade noch Gelegenheit, die sich an- und entspannende Muskulatur von Yoshikis Oberkörper zu begutachten, bevor dieser ihn bemerkte und mit einem deutlichen Akzent auf den Becken aufhörte – nicht allerdings, ohne den Takt zu Ende zu bringen. Musste so ein Schlagzeuger-Ding sein.

„He“, sagte Toshi. Seine Ohren klingelten ein wenig.

„He.“ Der Schlagzeuger zog ein Handtuch unter seinem Hintern hervor und wischte sich einmal damit übers Gesicht. Als er wieder hinter dem Handtuch auftauchte, wurde ihm bewusst, dass sein bester Freund ihn mit schiefgelegtem Kopf betrachtete. „Was ist?“, fragte Yoshiki irritiert, während er sich den Nacken abtupfte.

Der Sänger riss sich zusammen und wandte sich ab, um die Tür hinter sich zu schließen. „Nichts“, sagte er, während er sich aus seinem Mantel schälte und ihn über die Sofalehne legte, „nichts… Nur… Sag mal, wie lange bist du schon hier?“

Yoshiki drehte sich auf dem Hocker um und warf einen Blick auf seine Armbanduhr, die er schräg hinter sich auf den Boden gelegt hatte. „So zwei, drei Stunden. Warum?“ Er hängte sein jetzt feuchtes Handtuch über den Ständer, der das Ride hielt und dehnte seine Arme. Sein linkes Handgelenk knackte.

„Weil… Yoshiki, du kannst nicht so lang am Stück spielen.“

„Sagt wer?“ Herausfordernd stützte Yoshiki seine Ellenbogen auf die Snare und lehnte sich ein Stück nach vorne.

„Ich mein ja nur…“ Toshi schaltete die PA an. „Das ist nicht gesund.“

Yoshiki seufzte. „Lass mich, ok? Ich weiß, was ich tue. Hier, schau.“ Er bückte sich. „Ich hab mein Wasser, ja, und hide bringt mir was zu Essen mit, vorausgesetzt, er hat’s nicht vergessen.“ Mit einem nach oben gereckten Daumen tauchte er wieder auf. „Alles cool.“

Ein paar Sekunden versuchte Toshi, den Mutterinstinkt niederzukämpfen, doch er war zu stark. „Ich glaube trotzdem, dass du –“

An dieser Stelle fiel Yoshiki ihm ins Wort. Anscheinend wollte er es nicht hören. „Schau, ich freu mich einfach, dass ich endlich spielen kann, wann ich will, so lang ich will, so oft ich will. Das macht mich glücklich. Und ich werde besser und auch das macht mich glücklich. In Ordnung?“

Toshi schüttelte den Kopf, doch der harte Zug um seine Augen herum wurde ein wenig weicher, als er hörbar ausatmete. „In Ordnung.“ Er ließ sich auf dem Sofa nieder, tauschte noch ein paar Sätze über seinen Tag mit Yoshiki und als sich ihr Gesprächsbedarf erschöpft hatte, vertiefte er sich in die Lyrics vom letzten Mal, bis Pata, Taiji und, kurz vor knapp, auch hide auftauchten. Er hatte offenbar unterwegs gegessen und war gerade dabei, an ein paar Reiskörnern zu ersticken, die beim Rennen in der Luftröhre gelandet waren.

Taiji rettete ihn mit einigen kräftigen Schlägen zwischen die Schulterblätter und immer noch tiefrot konnte er Yoshiki sein Abendbrot hinters Schlagzeug reichen und dann eine Mitteilung machen: „Also, in zwei Wochen, das läuft. Sie haben ein paar Plakate gemacht und wir spielen um acht. Da sein so um vier. Wir müssen alles bringen außer Verstärker.“ Aus Yoshikis Ecke war ein leises Seufzen zu vernehmen, aber zumindest stöhnte er nicht. Schlagzeuge ab- und aufzubauen würde eine seiner liebsten Beschäftigungen werden, ob er wollte oder nicht. „Ich hab euch die Adresse aufgeschrieben… irgendwo…“, fuhr hide fort und tastete nacheinander alle seine Taschen ab. „Es ist in der Nähe vom Bahnhof, im Keller zwischen so zwei Läden, man muss ein bisschen suchen… Wenn ihr den Tintenfisch an dem einen Restaurant seht, seid ihr zu weit. Aha!“ Er zauberte ein arg mitgenommenes Blatt Papier hervor, auf dem er sich die Adresse notiert und einige sehr kryptische Straßenzüge aufgemalt hatte.

„Und Bezahlung?“, fragte Taiji.

„Abhängig davon, wie viel Leute auftauchen.“

„Also nicht viel.“

„Ah, Mann…“ hide ließ sich auf die Sofalehne sinken und strich sich eine wirre Strähne aus dem Gesicht. „Ich hab versucht, so viel Werbung für uns zu machen wie möglich. Aber das ist echt schwer, wenn die Leute nicht wissen, was sie verpassen. Wir sind da nur dabei, weil Nao viele gute Worte für mich eingelegt hat. Ich meine, ich beschreib das dann natürlich, aber es klingt immer irgendwie nach ‘Und dann hab ich da meine Gitarre und mach ein bisschen schrubb-schrubb-schrubb, duh.‘“ Im letzten Satz setzte hide seine Idioten-Visage und die entsprechende Tonlage auf. Toshi lachte, doch Taiji drückte frustriert Dellen in die Limonadendose in seiner Hand.

„Ja…“, drang Yoshikis Stimme hinter dem Schlagzeug vor. Er stellte seinen Reis beiseite, „darüber wollte ich ohnehin mal mit euch reden.“

Abwartend blickten alle zu ihm hinüber. Yoshiki, wie immer, wenn er im Mittelpunkt stand, ließ sich noch ein paar Sekunden Zeit. Dann meinte er: „Ich finde, wir sollten mal irgendwie was aufnehmen. Nur so ein, zwei Songs. Damit wir Werbung machen können. Mittelfristig wollen wir ja vielleicht auch mal irgendwo unter Vertrag kommen, da erscheint das eine lohnende Investition…“

„Und wenn du Investition sagst“, sagte Pata mit einem Blinzeln, das träge hätte wirken können, „wer genau investiert dann in deiner Vorstellung wie viel?“

Diese Art, den Finger immer genau auf den Knackpunkt zu legen, dachte Yoshiki, musste er auch irgendwie noch passend einsetzen lernen. Er seufzte. „Naja. Ich dachte, jetzt wo wir alle scheinbar über die Runden kommen, nehmen wir erst mal das Geld, das wir einnehmen-“

„Vielleicht einnehmen“, schob hide ein.

„Vielleicht einnehmen“, berichtigte sich Yoshiki mit einem seichten Augenrollen, „und reinvestieren das.“

„Wie teuer ist so was?“, fragte Toshi. Ihm wurde wieder einmal deutlich, wie wenig er von dem Geschäft verstand, mit dem er zu hoffen wagte, eines Tages seine Brötchen zu verdienen (und, wenn es gut lief, vielleicht noch ein wenig Wurst dazu).

„Gar nicht so schlimm. Man muss halt Zeit im Studio mieten, das geht. Und dann kommt es drauf an, wie professionell man das will.“ Yoshiki drehte auf seinem Hocker ein wenig nach links und nach rechts, behielt aber ihrer aller Gesichtsausdrücke im Blick. „Und ob man jemanden braucht, der das mischt oder ob man es selbst macht.“

Das leise Tippen, das daher gerührt hatte, dass Taiji mit den Fingern auf seiner leeren Dose getrommelt hatte, brach ab. „Bitte sag mir, dass du es nicht selbst machen willst…“, sagte er leidgetränkt doch mit der Miene eines Mannes, der bereits resigniert hatte.

Yoshiki antwortete nicht. Doch allein sein Gesichtsausdruck sagte Toshi, dass das genau war, was er machen wollte. Taiji verstand ebenfalls. Und seufzte schwer.

 
 

-X-
 

Kochend heißer Kaffee floss aus dem Hals der Kanne in die große Tasse auf der Arbeitsfläche. Vielleicht hätte er doch diese Unfallversicherung abschließen sollen. Vorsichtig stellte der Mann, dem hide vor einigen Monaten so liebenswürdig Ähnlichkeit mit einem Faultier bescheinigt hatte die Kanne ab, noch mit dem Verkäufer aus der Werbung im Ohr, der von der Häufigkeit von Unfällen zu Hause berichtete. Wenn er sich aber erst unten im Laden Verbrennungen zweiten Grades zuzog, dachte Herr Ishizuka, während er seine Tasse in den Flur balancierte, wäre es ein Arbeitsunfall und den deckte seine jetzige Versicherung ab.

Verständlicherweise war er daher sehr auf seinen Nachmittagskaffee konzentriert, während er die Stufen hinunterstieg und wäre am unteren Ende der Treppe fast in seine Frau gelaufen. Die braune Brühe schwappte über, allerdings nur auf die Treppe und nicht auf seine Finger. Dennoch: Unerfreulich. „Uhm…“, machte er fragend und mit einem missbilligenden Unterton, der dem Kenner sagte, dass da noch etwas folgen sollte, doch sofort ertönte ein „Psst!“ und ein Handrücken fand seinen Weg zu einem kleinen Klapps gegen seine Schulter. Der Kaffee schlug Wellen, blieb aber in der Tasse. Angespannt lugte Frau Ishizuka durch den schmalen Spalt zwischen Tür und Rahmen hinaus in den Laden. Ihr Mann verharrte ein paar Sekunden lang regungslos, dann beugte er sich zu ihr hinunter. „Warum stehen wir hier?“ Unwillkürlich hatte er seine Stimme zu einem Wispern gesenkt. Frau Ishizuka verrenkte sich ein wenig, winkte ihn tiefer und deutete auf etwas weiter vorne im Laden. Einbrecher? Katzenbabys? Herr Ishizuka stellte sich auf die Zehenspitzen, um über seine Frau hinweg durch den Spalt lugen zu können. Vorne, vor der Tür, zwischen der Kasse auf der einen und den Snacks auf der anderen Seite, stand seine Nichte und starrte nach draußen auf die Straße, reglos bis auf die Finger ihrer linken Hand, die sich immer wieder zittrig zur Faust ballten und wieder öffneten. Und dann streckte sie den Arm aus. Drehte den Schlüssel im Schloss. Das Knirschen und Knacken schien im Raum widerzuhallen wie ein Donnerschlag. Ihre Finger umschlossen die Türklinke und drückten sie sehr langsam nach unten, als würde es ihr alle Kraft kosten.

Verborgen im Schatten des Treppenaufgangs hielt das Ehepaar gleichzeitig den Atem an. Frau Ishizuka hatte nach der Hand ihres Mannes gegriffen und krallte die Fingernägel ein wenig fester in seinen Unterarm, als angenehm war. Dieser hatte seinen Kaffee ganz vergessen – schief hing die Tasse in seiner anderen Hand und der Inhalt lief langsam aber beständig an dem Porzellan hinunter und tropfte lautlos auf die Treppenstufe, auf der seine Frau stand und ebenfalls gebannt zusah.

Terumi zog die Tür auf. Mit einem Mal schien die Außenwelt den Laden zu fluten: Der Lärm der Baustelle an der Ecke, der helle Klang einer Fahrradklingel, das ferne Geräusch der Hauptstraße. Sonnenlicht fiel herein und fast bildete Herr Ishizuka sich ein, die frische Luft des Märztages auf der Haut spüren zu können. Ein paar lange, endlose Sekunden geschah nichts. Terumi hatte wieder innegehalten, die Hand immer noch auf der Klinke, als wäre es das Einzige, das Sicherheit versprach. Dann ließ sie los. Er konnte hören, wie sie zweimal durchatmete.

Und dann trat sie durch die Tür, hastete am Schaufenster vorbei und war verschwunden.

Die Türglocke bimmelte und dieses Geräusch löste das Ehepaar aus seiner Versteinerung.

„… wo ist sie hin?“, fragte Herr Ishizuka und warf seiner Frau einen ratlosen Blick zu. Er war sich nicht sicher, ob er sich freuen oder zutiefst beunruhigt von dieser Entwicklung sein sollte. In seiner Überforderung nahm er einen Schluck aus der inzwischen nur noch halbvollen Tasse und bekleckerte dabei sein frischgewaschenes Arbeitshemd, ohne es zu merken.

„Ich weiß nicht.“ Frau Ishizuka ging die letzte Stufe hinunter und trat vorsichtig in den Laden. Während sie nach vorne zur Ladentür ging und hinaus auf die Straße lugte sprach sie weiter. „Sie hat nichts gesagt.“ Unruhig drehte sie sich auf Höhe der Softdrinks um, ihre Finger bewegten sich nervös über ihren Rock, als wollten sie Falten glätten, die nicht da waren. „Glaubst du, wir sollten… ich weiß nicht, die Polizei rufen?“

Ihr Mann war ihr gefolgt, dann jedoch hinter die Kasse abgebogen, wo er den hohen Stuhl bezog und endlich seine Tasse auf den Tresen stellte, gleich neben die Sammelkarten. „Mit welcher Begründung? Dass unsere Nichte das Haus verlassen hat? Die werden uns für schön verrückt halten.“

„Also glaubst du, dass wir uns keine Sorgen machen müssen?“ Auf der Suche nach Bestätigung kam sie näher.

Herr Ishizuka runzelte die Stirn. „Das hab ich nicht gesagt. Aber lass uns einfach… abwarten.“

„Sie war jetzt seit über zwei Jahren nicht draußen!“ Die Finger kneteten den Rocksaum. „Sie weiß doch gar nicht mehr - was, wenn sie etwas Dummes tut?“

„Nun…“ Herr Ishizuka zog die Tageszeitung unter dem Tresen hervor und schlug sie dort auf, wo er heute Vormittag aufgehört hatte. „Dann ist sie endlich wieder eine normale Jugendliche, nicht wahr?“

Die kleine, rundliche Frau sah ihn noch eine Weile an, als habe er den Verstand verloren, doch eine Minute später vertrieb ein kleiner Kaffeesee am Fuß der Treppe die düsteren Gedanken erst einmal aus ihrem Kopf.

 
 

-X-
 

Yoshiki saß mit geschlossenen Augen vor dem Spiegel und ließ sich von hide einen Lidstrich ziehen.

„Wie sieht’s draußen aus?“, fragte Toshi. Er saß auf Yoshikis anderer Seite und sah hide beim Arbeiten zu.

„Gut“, antwortete Taiji, der gerade vom Gang hereingekommen war und warf sich die lockigen Haare über die Schulter. „Wird voller. Und bei euch so?“ Interessiert trat er näher heran.

„Fast fertig“, murmelte hide. Er hatte die Augenpartie beendet, stellte sich aufrecht hin und ging einen kleinen Schritt zurück, um sein Werk zu begutachten. Dabei trat er fast Taiji auf die Füße, doch augenscheinlich war das nicht der Grund, aus welchem er „Mäh…“ sagte.

„Mäh ist nicht, was ich hören will“, bemerkte Yoshiki und warf hide einen von langen, Mascara-getönten Wimpern umrahmten Augenaufschlag zu, der über seine wenig begeisterte Miene allerdings nicht hinwegtäuschen konnte. Kurz flackerte sein Blick zu Taiji, dessen Mundwinkel unwillkürlich eine Aufwärtswanderung begonnen hatten. Allerdings war Yoshiki sich unsicher, ob ihm gefiel, was er sah oder ob er dem Drang widerstand, lauthals zu lachen.

„Nein, Nein…“, hide wandte sich ab, um den Stift zurück in seine Kosmetiktasche zu legen. „Es ist nicht, dass es schlecht wirkt… Auf deinem Gesicht sieht alles gut aus. Es ist nur nicht wirklich, was ich wollte… Keine Ahnung. Vielleicht muss ich einfach noch dran arbeiten. Und… ach, weiß nicht. Ich glaub, ich brauch einfach meine eigenen Sachen. Von der Hälfte dieses Zeugs hier weiß ich gar nicht, wie man das benutzt. Ich meine, das hier, was ist das?“ Er hielt ein längliches Objekt mit einer glitzernden Flüssigkeit hoch, damit alle es sehen konnten, zuckte mit den Achseln und warf es mit einem leisen Klappern zurück in die Tasche. „Und warum die Grundierung nicht hält, weiß ich auch nicht.“ Er legte eine Hand an Yoshikis Wange und fuhr leicht mit dem Daumen darüber. Eine helle Schicht blieb an seinem Finger zurück. hide betrachtete sie ein paar Sekunden lang skeptisch mit gerunzelter Stirn und seufzte dann: „Ich hab das Rezept aus einem Magazin. Die KISS-Farbe. Das sollte wasserfest sein.“

Yoshiki tat es ihm gleich, mit dem selben Ergebnis. Weiße Schmiere blieb an seinen Fingerspitzen kleben. „Mmh. Tja.“

„Ja. Keine Ahnung. Irgendwas beißt sich mit… irgendwas anderem. Ich weiß aber nicht was.“

„Hättet ihr das nicht wann anders ausprobieren können als eine halbe Stunde vor der Show?“, fragte Taiji mit verschränkten Armen und einem leichten Kopfschütteln.

„Hätten wir“, gab hide zu und kramte in seinem Täschchen. „Aber zu unserer Verteidigung: Haben wir nicht. Und jetzt zu dir.“ Er hatte einen lilafarbenen Lippenstift hervorgezaubert und wandte sich Taiji zu.

Dieser musste lachen, so offensichtlich absurd fand er hides Vorhaben. „Uh-uh. Keine Chance.“

„Oh komm schon. Du willst der Einzige von uns sein, der ungeschminkt da raus geht?“

„Pata hat dich das machen lassen?“

hide zuckte mit den Schultern und nickte.

Taiji legte den Kopf schief und zog eine Schnute wie jemand, der mit sich rang. Schließlich atmete er seufzend aus und ließ sich auf den Hocker am Tisch sinken. „Ok. Lippenstift und Lidschatten. An den Rest lass ich dich, sobald du eine Ahnung hast, was du tust.“

hide arbeitete sich durch Taiji und war gerade fast mit Toshi durch, der sich der kleinen Freude hingab, für ein paar Minuten hides ungeteilte Aufmerksamkeit zu haben, als Pata mit einer Whiskey-Cola in der Hand zu ihnen stieß und interessiert guckte. So konzentriert war ihr Leadgitarrist auf die letzten Züge seiner Arbeit, dass er zuerst gar nicht merkte, dass Gefahr im Verzug war, bis: „Er hat es dich nicht machen lassen!“, rief Taiji anklagend und setzte zum Sprung auf hide an, der von Toshi abließ und sich schnell auf die andere Seite des Plastiktischs rettete, von wo aus er herzlich kicherte. Taiji warf einen Blick auf die Uhr über der Tür. „Wenn wir noch ein paar Minuten mehr Zeit hätten“, grollte er und schwenkte zurück zu hide, „ich würde dich umbringen und mich abschminken.“ Er stockte. „Nicht in dieser Reihenfolge!“, schob er hinterher.

„Aber die haben wir nicht“, trällerte hide und bewegte sich grinsend langsam in Richtung Tür, die Augen fest auf Taiji, weswegen er rückwärts gehen musste. „Also nehme ich an, wir sehen uns auf der Büüühne!“ Und mit einem letzten Lachen war er auf dem Gang verschwunden, vermutlich, um nach seinem Kumpel Nao zu suchen.

Mit einem tiefen, leiderfüllten Seufzen wandte sich Taiji an Yoshiki, der noch einmal Haarspray auf seinem Haupt verteilte, wenn auch mehr wegen seines Makeups als wegen seiner Frisur. „Wir sehr hängst du an hide?“, fragte er matt.

Yoshiki zuckte mit den Schultern.

Pata besah sich seinen Kollegen, verdrehte die Augen und wandte sich ab, um wieder durch die Tür zu verschwinden, durch die er gerade erst hereingekommen war. Er würde nicht der Einzige sein, der ungeschminkt dort rausging.

 
 

-X-
 

Das Atmen wurde mit jeder Station ein wenig schwerer und sie konnte fühlen, wie ihr der Stoff ihres Shirts unter der Jacke am Rücken klebte. Starrten alle? Bestimmt starrten alle. Doch sie wagte nicht, nachzusehen. Stattdessen steckte sie die zitternden Hände noch tiefer in die Jackentaschen, schloss die Augen und versuchte, ruhig und tief zu atmen und sich nur auf die Musik aus ihren Kopfhörern zu konzentrieren und auf das Mixed Tape, das sie aus dem Radio aufgenommen hatte.
 

Growing up, it all seems so one-sided

Opinions all provided

The future pre-decided
 

Schon allein damit, dass sie überhaupt durch die Tür gekommen war, hatte sie ihre Erwartungen an sich selbst übertroffen. Alles seither war Bonus. Sie hatte es zum Bahnhof geschafft. Sie hatte eine Fahrkarte gekauft. Sie hatte sich gesetzt und angestrengt aus dem Fenster gestarrt. Sie war umgestiegen. Und nun war sie hier, in der vollbesetzten U-Bahn. In jeder Richtung Menschen, so nah, dass sie nur den Kopf zur Seite drehen musste, um die Haare von jemand anderem im Gesicht zu haben. Sie atmete ein und wieder aus. Und ein und wieder aus.
 

Detached and subdivided

In the mass-production zone

Nowhere is the dreamer

Or the misfit so alone
 

„Shibuya“, sagte eine freundliche Frauenstimme über die Lautsprecher, „Shibuya.“

Es gab kein Durchkommen. Erst, als die Türen sich öffneten, schwemmte die Gruppe der Aussteigenden sie mit nach draußen, wo sie erst einmal stehen blieb und sich zu orientieren versuchte. Ihre Knie fühlten sich an wie Pudding und ihr Herz schlug in der Halsgegend, schnell und laut. Einen Moment lang wünschte sie sich nichts mehr, als wieder zuhause zu sein, dieser dummen Eingebung nicht gefolgt zu sein. Doch jetzt war sie schon so weit gekommen.
 

In the high school halls

In the shopping malls

Conform or be cast out
 

Sie verließ den Bahnhof durch den Westausgang und tauchte in das Gewirr an kleineren Straßen ab, wo sich die Masse schnell verlor. Es gab wieder Luft. Sie folgte dem Weg, den sie im Stadtplan so lange angestarrt hatte, bis sie ihn auswendig kannte und schließlich, endlich, erreichte sie die Adresse. Kleine Grüppchen von Jugendlichen standen auf dem Straßenabschnitt herum, kamen, gingen oder unterhielten sich.
 

Any escape might help to smooth

The unattractive truth

But the suburbs have no charms to soothe

The restless dreams of youth
 

Sie nahm die Kopfhörer ab und langsam, als hielte eine unsichtbare Kraft sie davon ab, zwang sie sich an ihnen vorbei, auf die schleimig aussehenden Kellertreppe, an deren Geländer ein angeranztes Schild montiert war und die Stufen hinunter.

Von tief unten drang Musik bis auf die Straße.

 
 

-X-

 

Es war ein guter Abend. Der Laden, obwohl ziemlich klein, war gut besucht und die Stimmung war entspannt. Toshi machte seine Ansagen jetzt fast souverän, wenn auch nicht sonderlich einfallsreich und der Rest seiner Band hatte offensichtlich Spaß.

Gerade hatten sie eine halbe Minute Pause gemacht, um etwas zu trinken und waren dann in ihren nächsten Song gestartet, als die Scheinwerfer für einen kurzen Moment ins Publikum leuchteten und ihnen so die Möglichkeit gaben, überhaupt einmal zu sehen, wer an diesem Abend gekommen war. Unbekannte Gesichter sahen zu ihnen hoch, zu sehr Masse, um wirklich Charakter zu haben, gerade sichtbar genug, um Stimmung ausmachen zu können.

Doch plötzlich erklang ein sehr dissonanter Akkord. hide fuhr ein klein wenig zusammen. Irritiert drehte er den Kopf erst nach links und dann nach rechts, um die Ursache ausfindig zu machen. Taiji war zu professionell, um sich umzublicken, doch auf seiner anderen Seite beantwortete ein zuckender Muskel in Patas Gesicht seine Frage. Obwohl seine Finger bereits wieder an die richtigen Saiten zurückgefunden hatten, waren seine Augen nach wie vor so starr in den Zuschauerraum gerichtet, als habe er ein Gespenst gesehen.

hide ging ins Solo, wandte sich wieder nach vorn und konzentrierte sich nur am Rande auf seine Finger, die Bewegungen so natürlich, dass er kaum noch Gedanken daran verschwenden musste, und suchte stattdessen im erneuten Farbenwirbel, was auch immer seinen Kollegen so verunsichert hatte, dass er nicht mehr in der Lage gewesen war, ein F zu greifen.

Ziellos wanderten seine Augen von Gesicht zu Gesicht. Dabei setzte er hin und wieder ein Grinsen auf, damit es wirkte, als wäre er voll dabei. Er war gerade so weit, es gut sein zu lassen, als sich die Scheinwerfer noch einmal drehten, und im letzten Moment des aufflammenden Lichts sah er sie ebenfalls.

 
 

-X-
 

„Wuhuuu!“, machte hide laut, kaum dass sie den Lärm des Saals weit genug hinter sich gelassen hatten, um ein Gespräch in normaler Lautstärke zu führen. Er klopfte dem anderen Gitarristen auf den Rücken. „Krass!“

Pata passierte mit dem an ihm klebenden hide den Gang und die Tür, die in den kleinen Backstage-Raum führte. Sie fiel hinter ihnen ins Schloss und auf einmal war es fast still, nur der hämmernde Bass drang bis zu ihnen herein. hide quäkte währenddessen weiter. „Sie ist gekommen! Ich wusste, dass sie kommen würde, um dich zu sehen!“ Er stand wieder auf seinen eigenen Beinen, hatte aber immer noch eine Hand auf der Schulter des anderen Jungen und drückte sie begeistert.

Dieser warf ihm einen sehr langen Blick zu und sagte schließlich neutral: „Sie ist nicht wegen mir hier, hide.“ Noch während er sprach wandte er sich ab, um seine feuchten Klamotten auszuziehen. hides Hand glitt von seiner Schulter.

Yoshiki hatte bereits sein Top ausgezogen und trocknete sich den Bauch ab, bevor er das Handtuch über einen der Plastikstühle warf und begann, sich so gut wie möglich die Pampe aus den Haaren zu kämmen, die hide zuvor hineingeschmiert hatte. Dabei warf er immer wieder kritische Blicke in den Spiegel. Sie galten eigentlich seinem eigenen Tun, doch einer davon verirrte sich in die Richtung seiner Gitarristen. Es war, als würde man einer Seifenoper zusehen.

Dort hinter ihm zog hide verwirrt die Augenbrauen zusammen und ließ den Arm sinken. „Natürlich ist sie das, weshalb sonst sollte sie-“ In diesem Moment wurde das Wummern unvermittelt wieder lauter. hide brach ab und drehte sich um. Die Tür war einen winzigen Spalt breit aufgeglitten und nun wurde sehr zögerlich ein Kopf hereingesteckt. „Oh. Hey.“

Pata, der gerade sich gerade sein Shirt über den Kopf gezogen hatte, warf seiner Schwester ein Nicken zu und sie glitt leise wie ein Schatten in den Raum. Unbeholfen blieb sie gleich hinter der Tür stehen und verhakte ihre Finger ineinander.

„Guter Auftritt“, murmelte sie.

Ihr Bruder, der gerade in seinem Rucksack nach einem frischen Hemd gesucht hatte, wirkte wie erstarrt. „Ja. Danke“, brachte er irgendwie heraus und schien dann nicht weiter zu wissen.

„Danke“, sagte auch hide. Das erste Mal an diesem Abend konnte er Terumi länger als drei Sekunden am Stück sehen – Nein, nicht nur an diesem Abend, sondern überhaupt das erste Mal seit seinem Auszug. Es war ihm nie wirklich aufgefallen, wie blass Patas Schwester war. Außerhalb des schützenden Kokons ihres Zimmers wirkte sie nervös und unscheinbar, fast zerbrechlich. Ihre Aufmachung half auch nicht direkt. Übergroßes weißes Shirt über Jeans? Warum war das nicht in jedem Modemagazin! Fast hätte hide den Kopf geschüttelt. Eine Tragödie! Er war besser angezogen als die Frau im Raum. Und trug definitiv mehr Makeup.

„Also…“, begann er noch einmal und räusperte sich. „Du… du bist hier. Der Wahnsinn.“

„Ja… Wahnsinn trifft es.“ Terumi lächelte etwas steif und sah sich unbehaglich im Raum um. Scheinbar versuchte sie noch herauszufinden, was sie hier genau machte – oder aber sie suchte bereits nach einer Ecke, um sich dort zu verkriechen.

Unwillkürlich glich hide ab, ob sie mit ihrer Größe wohl gerade noch in den Schrank hinter der Tür passen mochte und musste schief lächeln. „Du sagst mir, bevor du eine Panikattacke bekommst, ja?“

„Wer bekommt eine Panikattacke?“, ertönte Patas Stimme scharf. hide warf einen Blick zur Seite: Gerade war Patas Kopf wieder aus einem frischen Unterhemd aufgetaucht und seine Haare standen, elektrisch aufgeladen, nach allen Seiten ab. Er sah aus wie ein Papa-Löwe, der sich um den Nachwuchs sorgte.

„Niemand“, beruhigte ihn hide, doch Terumi sagte trocken: „Ich verspreche nichts.“

hide entfuhr ein Prusten.

„Ähm…“ meldete sich Yoshiki zu Wort, der gerade die linke Hälfte seines Gesichts so weit abgeschminkt hatte und dadurch aussah wie ein halber und ziemlich lächerlicher Clown. Er blickte wenig begeistert zwischen der weiblichen Störung und seinen beiden Gitarristen hin und her. „Entschuldigt die Unterbrechung, aber… Wer ist das?“ Er machte zwei Schritte zur Seite und angelte nach seinem Bademantel, den er vor dem Auftritt auf der Sofalehne zurückgelassen hatte. Er würde Regeln aufstellen müssen, was Fans – und vor allem weibliche – im Backstage anging. Entweder das, oder er wollte in Zukunft eine private Umkleide.

Wie er irgendwie erwartet hatte, war es Pata, der sich ein wenig aufrechter hinstellte und eine vorstellende Handbewegung machte. „Entschuldige. Natürlich. Das ist meine Schwester. Terumi – Yoshiki.“

Patas etwas zu ausgeprägte Höflichkeit nahm Yoshiki wie so oft den Wind aus den Segeln. Er hatte inzwischen den Verdacht, dass der Andere sich dieser Waffe sehr wohl bewusst war. Doch er setzte sie mit so viel Bedacht ein, dass es Yoshiki schwerfiel, ihn darauf festzunageln.

Von seinen Gedanken abgelenkt, hatte Yoshiki außer „Oh“ noch nichts weiter zu einem Kennenlernen beigetragen, als das Mädchen schließlich den Anfang machte.

„Ich… ämh… Freut mich. Ich… hab viel von dir gehört.“

„Interessant. Ich um ehrlich zu sein nicht so viel von dir…“ Yoshiki runzelte die Stirn.

„Das is‘ ok.“ hide grinste wie jemand, dem gerade der beste Witz des Jahres eingefallen war. „Sie kommt nicht viel raus.“

„hide!“, fluchte Pata. Anscheinend sah er das ganz anders.

„Arsch“, sagte Terumi, entschieden aber mit dem leichten Zug um den linken Mundwinkel, der hide sagte, dass sie genügend Selbstironie für diese Art von Humor aufbrachte.

„Das fällt dir erst jetzt auf?“, fragte er deshalb mit einem gespielt verblüfften Gesichtsausdruck, lachte und wandte sich dann ab, um irgendwo in seiner Ecke des Raums nach einem frischen Shirt zu suchen. Nach einer halben Minute wurde er fündig. Den Raum durchquerend teilte er mit: „Ich geh mich kurz umziehen.“

Yoshiki, der gerade sein rechtes Auge abwischte, stockte in der Bewegung und drehte sich irritiert halb zur Tür um. „Warum ziehst du dich nicht hier um?“

„Ich… ähm…“ hide umfasste den Türgriff und schien nur flüchtig über seine Antwort nachzudenken. „…hab wirklich keine Lust, mir was auszudenken.“ Er riss die Tür auf, winkte und verschwand mit einer Pirouette. „Bin gleich zurück!“
 

Als hide einige Minuten später auf dem Rückweg von der Toilette zurück zu ihrem kleinen Raum schlenderte, begegnete er dort wenige Meter vor der Tür Toshi, der scheinbar gerade aus dem Club zurückgekommen war. Zu seiner eigenen immensen Verwunderung hatte ihn eine giggelnde Traube von Mädchen davon abgehalten, früher zu seinen Kollegen zurückzukehren.

„Da bist du ja!“ hide klopfte ihm grinsen auf die Schulter und sah dann suchend den Gang einmal hinauf und hinunter. „Wo ist Taiji, ist er drin?“

„Der ist an der Bar versumpft, mit Nao“, antwortete Toshi und legte den Kopf in der Manier von jemandem schief, der eine ihm aufgetragene Nachricht überbrachte, als er mechanisch abspulte: „Du sollst auch kommen.“

hide lachte. „Na dann. Es wäre unhöflich, die Herren warten zu lassen. Lass mich nur noch mein Zeug wieder reinlegen.“ Er wedelte mit dem feuchten Hemd und packte eine Hand auf Toshis Rücken, um ihn auffordernd in Richtung Tür zu schieben.

Dieser hatte gerade genug Zeit um sich dem Gewicht und der Wärme von hides Hand dort sehr bewusst zu sein und sich zu fragen, ob er vielleicht ein paar Minuten mit ihm allein würde abgreifen können, wenn er sich dem lustigen Treffen an der Bar anschlösse. Doch dann öffnete er die Tür und erstarrte noch auf der Schwelle. Da war ein Mädchen. Und es hatte hides Gitarre auf dem Schoß. „Huch“, machte er seiner Überraschung unbewusst Luft, bevor er etwas dagegen tun konnte. Die Blasphemie der Szene schien ihm ungeheuerlich.

Dass er sich nicht weiter vorwärts bewegte zwang hide, ein wenig nachzuhelfen: Er klopfte ihm noch einmal auf die Schulter und schob sich an ihm vorbei. „Patas Schwester. Heute live dabei. Terumi – Toshi.“ Summend warf er sein Shirt über einen Stuhl, damit es noch ein wenig ausdampfte und suchte dann nach der Wasserflasche, die er vor dem Auftritt irgendwo hier abgestellt hatte. Wie voll war die noch gleich gewesen?

„Ah-ah-ah!“, machte Yoshiki, als er nach dem Wasser in der Mitte des Tischs griff. Er war mit dem Abschminken fertig und hatte sich auf einem der Plastikstühle zurückgelehnt, um eine zu rauchen. Ein paar Minuten nichts tun, bevor es weiterging – womit auch immer. Vermutlich zusammenpacken. „Meins.“ Er streckte auffordernd die Hand aus.

hide allerdings schien beschlossen zu haben, dass es von Yoshiki kein weiter Weg zu ihm selbst war, denn er zuckte mit den Schultern und schraubte ungerührt das Wasser auf. „Ah ja? Glaubst du? Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, du gibst mir eine von denen Zigaretten, yeah.“

Noch einmal machte Yoshiki eine auffordernde Handbewegung und nachdem hide die Flasche in einem Zug halb geleert hatte, gab er nach. Yoshiki reichte ihm dafür die halbe Zigarette weiter.

Toshi bekam von all dem nur reichlich wenig mit. Noch immer stand er in der Tür und betrachtete abwesend die Hand am unteren Gitarrenhals. Es war eine schöne Hand, keine Frage. Doch wie konnte sie es wagen? Niemand hatte diese Gitarre anzufassen! Toshi hatte immer geglaubt, es würde hide stören, wenn man sein wichtigstes Besitztum an sich riss. Wie konnte ihn das nicht stören?!

Erst nachdem er eine gefühlte Ewigkeit vor sich hingestarrt hatte, hob er den Blick tatsächlich zu ihrem Gesicht. Das Mädchen war bei ihrem Eintreten hochgeschossen und anscheinend auch knallrot angelaufen, denn nur langsam nahm ihr Gesicht wieder einen normalen Farbton an.

Sie sahen sich an, schweigend und immer noch überrumpelt. Dann blickten sie beide zu hide und schließlich, wieder einander an. Die peinliche Stille zog sich in die Länge.

„Ähm“, sagte Toshi schließlich, tonlos und viel zu spät. „Oh. Gut. Ja. Freut mich, dich kennen zu lernen.“

„Ja“, murmelte das Mädchen kaum hörbar, „freut mich auch.“

Sie verbeugten sich ein kleines Stück zueinander und als sie sich wieder aufrichteten, trafen sich ihre Blicke einen winzigen Moment lang. Toshi riss sich zusammen und schenkte ihr noch ein freundliches Lächeln, bevor er sich abwandte, um etwas zu trinken und sich endlich auch ein frisches Shirt anzuziehen. Kaum, dass er sich umgedreht hatte, verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht.

„Also, ich will kein schlechter Einfluss sein“, erklang hides Stimme hinter ihm, als er gerade das Wasser aufschraubte, „deswegen frag ich nicht, ob du ein Bier willst. Aber willst du noch ‘ne Limo trinken, bevor ihr nach Hause geht? Du gehst mit Pata, oder?“

Toshi drehte sich um und sah Terumi einen Blick mit ihrem Bruder tauschen. Dieser zuckte mit den Schultern. „Klar“, sagte sie also und stellte, endlich, die Gitarre zur Seite.

„Also los!“ hide winkte Pata zu sich. „Lass uns noch ein bisschen gute Stimmung abgreifen. Und Ruhm!“ Er streckte eine Hand erst von sich und ballte sie dann dramatisch zur Faust. In einer perfekten Welt hätte eine sanfte Brise sein Haar episch wehen lassen, doch der vorausgegangene ausufernde Einsatz von Haarspray verhinderte das.

Der andere Gitarrist schien jedoch wenig enthusiastisch. Noch einmal ließ er seinen Blick langsam über hide wandern und Toshi wusste so genau, nach was er suchte, als hätte Pata sich einen Zettel an die Stirn geklebt. Und genau wie Toshi fand er es nicht. Also lächelte er schließlich ein klein wenig zu spät und ein klein wenig zu schief und nickte zum Spiegel. „Ich denke, ich will mich vorher auch noch abschminken. Wenn ich lache, fällt mir das Makeup aus dem Gesicht. Und das ist ein Satz, den ich nie dachte, einmal zu sagen. Geht schon mal, ich komm nach.“

„Uhm…“ hide schien einen Moment lang irritiert, ob über die Antwort oder die Art, in der sie vorgebracht worden war und strich sich eine widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn, die sich bereits aus der Frisur gelöst hatte. Doch anscheinend kam er nicht darauf, was diese seltsame Situation ausgelöst haben mochte. „OK. Also, dann bis gleich.“

Toshi seufzte innerlich und hielt sich nur mühsam davon ab, die Augen zu verdrehen. Das wäre vielleicht zu auffällig gewesen. Doch ihm war klar: Er war verknallt in einen Vollidioten. Es war verwunderlich, dass sie nicht schon lange zusammengefunden hatten, bei dieser Übereinstimmung.

Beim Hinausgehen streifte hide ihn mit dem Blick und beim Starren ertappt hob Toshi seine Flasche etwas zu hastig, als müsse er unbedingt noch einen schrecklichen Durst löschen. Er setzte die Flasche gerade rechtzeitig ab, um noch zu sehen, wie die beiden zusammen aus der Tür verschwanden. Der Anblick versetzte ihm einen Stich und Toshi hoffte, dass es sich nicht auf seinem Gesicht zeigte. Sein Blick wanderte durch den Raum. Yoshiki hatte sich wieder seinem Spiegelbild zugewandt und schien dem Geschehen keine größere Bedeutung beizumessen, doch Patas Blick war wie eben noch Toshis an die geschlossene Tür geheftet. In seinen Augen lag etwas, das Missfallen sehr nahekam, ein Ausdruck, den Toshi noch nie an ihm gesehen hatte. Doch bevor er sich näher damit hätte beschäftigen können, bemerkte der Gitarrist seinen Blick und seine Züge kehrten über ein seichtes Lächeln in Kombination mit einem Nicken zurück zu der stoischen Ruhe, die man von ihm gewöhnt war.

Langsam ging Toshi hinüber zu Yoshiki, um ebenfalls seine Kriegsbemalung loszuwerden. Offenbar hatte Pata mit dieser Entwicklung – was auch immer das letztendlich für eine war – ein genauso großes Problem wie er. Nur, so vermutete Toshi stark, aus ganz anderen Gründen. Wenn er Patas Mikro-Mimik richtig gedeutet hatte, musste er sich keine Sorgen machen. Wenn er hide nicht im letzten Augenblick aus dieser merkwürdigen Freundschaft zerrte, würde Pata es tun.

 
 

-X-
 

Yoshiki ließ den Kopf hängen und genoss noch einige Sekunden lang das warme Nass, das seinen Rücken hinunterprasselte, bevor er schweren Herzens das Wasser abdrehte und widerwillig durch den Spalt im Duschvorhang nach dem Handtuch auf der Kommode angelte. Er wäre jetzt so bereit, in die Badewanne zu steigen. Warum nur war das Leben nie so, wie er es wollte?

Er trocknete sich ab, hängte das feuchte Stück Textil an den Haken an der Wand und schlüpfte in seine Unterwäsche.

Im Wohnzimmer war es bedeutend kühler als im nun aufgeheizten Bad, und Yoshiki fröstelte, während er über die Holzdielen zurück ins Schlafzimmer tappte. Synthesizer-Sounds wiesen ihm den Weg. Ein Teil von ihm erkannte den Song, doch seine Gedanken wanderten weiter, bevor er ihn vollständig hätte benennen können. Mit einem weiteren steinerweichenden Seufzer nahm Yoshiki seinen Pullover vom Schreibtischstuhl und drehte ihn von links zurück auf rechts.

„Meine Fresse. Dann bleib halt einfach“, brummte Taiji. Er hatte sich zur Hälfte angezogen, lag aber immer noch im Bett. Vermutlich hatte er auf den Anblick gewartet.

Obwohl er jedes Szenario schon ein paar Dutzend Mal durchdacht hatte, erwischte sich Yoshiki dabei, wie er sein Ankleiden unterbrach. Hin und her gerissen knautschte er einen Socken in seinen Händen und sein Blick wanderte fast sehnsüchtig zum Bett zurück. Wie schön es wäre, nach seiner warmen Dusche einfach wieder hineinzukriechen… Noch einmal wog Yoshiki das Für und Wider ab, fast als wolle ein Teil von ihm unbedingt einen Grund finden, der den Ausschlag zugunsten des Bleibens geben würde. Doch es waren die immer gleichen Fragen ohne Antwort, die ihn ins Straucheln brachten. Ganz oben stand: „Was soll ich denn Toshi sagen?“

Taiji seufzte. „Weil du auch mit dem Kerl zusammenleben musst. Als wäre eure Beziehung nicht schon seltsam genug gewesen.“ Er schüttelte den Kopf und versuchte es dann mit etwas Hilfreicherem. „Sag ihm… keine Ahnung. Du wärst zu lange im Raum geblieben und hättest die letzte U-Bahn verpasst.“

Yoshiki lehnte sich ein wenig zur Seite und warf einen Blick auf Taijis Wecker. Es war kurz vor neun. Noch eine Stunde, bis Toshi nach Hause kam. „Die letzte U-Bahn fährt erst nach zwölf…“ Yoshiki bückte sich endlich, um seinen Socken anzuziehen und sagte während er so kopfüber hing dumpf: „Ich kann nicht.“

Ein theatralisches Kopfschütteln antwortete ihm. „So ungemütlich…“ Um die Worte zu untermalen drehte Taiji sich zur Seite und machte eine Bewegung, als würde er etwas neben sich umarmen wollen. Natürlich fand er nur die Bettdecke. Er streichelte sie ein paar Mal.

„Du musst dich beschweren“, murrte Yoshiki. Er hätte liebend gerne mit Taiji getauscht. „Ich bin derjenige, der raus in die Kälte muss.“ Dabei wollte er einfach nur schlafen! Ach, was war die Welt grausam…

„Tja“, machte Taiji, während er sich langsam zum Rand seines Betts rollte und mehr hinausfiel als aufstand. Dennoch schaffte er es irgendwie in die Vertikale und schlenderte an Yoshiki vorbei in die kleine Wohnküche nebenan. „Dann würde ich sagen, du solltest mal an ein paar Lösungen arbeiten.“

Yoshiki folgte ihm langsam und setzte sich auf die Kante des Küchenstuhls. Abwesend starrte er durch Taiji hindurch, der ein paar Eier auf die Herdplatte legte und eine Pfanne aus dem Schrank unter dem Ofen zog. „Willst du auch noch was essen, bevor du gehst?“, fragte dieser, während er nach dem Öl griff. Als Yoshiki nicht antwortete, trat er zum ihm hinüber und wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum. „Hellooo… Mann, du musst damit aufhören.“

„Fick dich. Ich arbeite an Lösungen“, sagte Yoshiki und schob Taijis Hand weg.

Der Bassist rollte mit den Augen und wandte sich wieder dem Herd zu. „Und?“, fragte er einige Minuten später, als er gerade Reis von gestern angebraten hatte und ein Ei darüber aufschlug. „Kam schon was dabei rum?“

„Vielleicht…“, sagte Yoshiki langsam. Er starrte immer noch in Richtung Herd, ohne etwas zu sehen. „Ich… könnte…“

„Ja?“ Er warf die leeren Eierschalen in den Mülleimer. In der Pfanne auf dem Herd brutzelte es.

„Meine Mutter nervt mich schon die ganze Zeit, dass ich öfter zu Besuch kommen soll. Ich glaube, sie hat sich dieses ganze Ding mit Umzug noch Tokio anders vorgestellt.“

„Anders wie?“

„Weniger… vollständig.“

„Ah.“ Taiji schüttelte Gewürze in die Pfanne.

„Auf jeden Fall… ich könnte offiziell alle paar Wochen nach Hause fahren und… nicht fahren.“

Taiji hielt inmitten der Handbewegung, mit der er den Pfefferstreuer kippte, inne. „Du willst übers Wochenende bleiben?“, fragte er verdattert, sich halb zu Yoshiki umdrehend, während dunkle Flöckchen beständig weiter auf die Herdplatte rieselten.

„Ja… meine Sorge war nur, ob ich dich so lange ertrage.“

„Du meinst, ob ich dich so lange ertrage.“

Yoshiki verdrehte die Augen, beschloss jedoch, es zu… ertragen. „Was auch immer.“

Taiji, der inzwischen bemerkt hatte, dass er einen kleinen Pfefferberg produzierte, stellte den Pfefferstreuer beiseite und schob die Pfanne vom Herd. „Ok Mann, schau. Diese Samstagsprobe funktioniert eh nicht gescheit. hide springt dauernd auf irgendwelchen Events rum und Pata arbeitet. Lass uns das Ganze permanent auf Sonntag schieben, wie es vorher war. Du fährst Freitagabend ‘nach Hause‘ “, Taiji krümmte an beiden Händen Zeige- und Mittelfinger, um Gänsefüßchen anzudeuten, „kommst irgendwann her, wir machen ein bisschen was, essen, schauen ‘nen Film oder so, vielleicht ‘ne kleine Jam-Session. Und Sonntag sind wir pünktlich bei der Probe. Das ist nicht so viel Zeit. Die wir auch wach sind.“

Yoshiki dachte darüber nach. Es stimmte und das Arrangement käme letztlich allen von ihnen zugute, die ihr Geld verdienen mussten – also allen außer Taiji und ihm. Trotzdem zögerte er. „Ach, ich weiß nicht… Unabhängig davon gibt es so viele Stellen, an denen das schiefgehen kann…“

Taiji schnaubte belustigt und schaufelte den Inhalt der Pfanne auf zwei Teller. „Du bist so ein Weichei…“

„Bitte?“ Yoshiki versuche einen bösen Blick, der allerdings misslang. Es war schwer, nach einer warmen Dusche böse zu sein und noch mehr, wenn einem gerade etwas zu Essen hingestellt wurde.

Taiji ließ sich auf den zweiten Küchenstuhl fallen. „Es ist so eindeutig, dass du dich einfach nur schlecht dabei fühlst, deinen Toshi anzulügen...“

„Bist du eifersüchtig?“

„Nein. Ich verarsche lediglich eure leicht merkwürdige Beziehung zueinander.“

Yoshiki spürte, wie sein Hals anschwoll wie der einer Kobra. Niemand hatte Toshis und seine Beziehung zu veraschen, außer Toshi. Doch diese Diskussion konnte in einen zweistündigen Streit ausarten, den er zu bequem war, gerade zu haben. Also kehrte er wieder zum eigentlich wichtigen Thema zurück. „Was, wenn hier was schiefgeht und Toshi ruft zuhause bei meiner Mutter an und ich bin nie angekommen? Oder meine Mutter ruft hier an, obwohl ich bei ihr sein sollte?“

Eine gute Minute lang passierte nichts. „Ok, weißt du was?“, sagte Taiji, nachdem er schweigend vor sich hinkauend auf den Tisch geblickt hatte. Seine Miene sagte Yoshiki bereits, dass er auch keinen Geistesblitz hatte. „Dann erzähl es ihm halt einfach!“

„Weil wenn ich es Tohi erzähle, wirst du es früher oder später auch jemandem erzählen wollen und dann wird es sich verbreiten wie… wie… Fußpilz im Schwimmbad!“ Beim Klang seiner eigenen Worte hielt Yoshiki inne und runzelte die Stirn. Was hatte er da gerade gesagt?

„Alter. Du verbringst zu viel Zeit mit hide“, meinte Taiji trocken.

Yoshiki runzelte die Stirn und wandte sich wieder seinem Teller zu. „Ich hab eine Frage“, sagte er nach zwei weiteren Bissen.

Ein mittelmäßig interessierter Blick begegnete seinem. „Bitte?“

„Warum essen wir gerade fünf Eier?“

„Ich weiß nicht. Vorangegangener Eiweißverlust?“

Yoshiki hörte auf zu kauen und schien zu überlegen, ob er etwas sagen und/oder den Bissen ausspucken wollte, rein aus Prinzip.

Taiji musste lachen. „hide hat Recht. Du bist schnuffig, wenn du nicht weißt, was du sagen sollst!“

 
 

-X-
 

Die Kirschblüte kam und mit ihr zogen einige kleine Veränderungen durchs Land. Toshi, der beschlossen hatte, dass allein seinen Kopf anzustrengen ihn nicht ausfüllte, suchte sich einen Handball-Club und trat einem Fitnessstudio bei, was seine Laune erheblich besserte, wenn er einmal wieder von Tokios nicht enden wollenden Möglichkeiten genervt zu sein drohte. Außerdem brachte es ihm endlich wieder so etwas wie ein Sozialleben außerhalb seiner Band – etwas, von dem er fast vergessen hatte, dass es existierte. Patas Freundin, die inzwischen sogar Taiji einmal getroffen und sich von ihrer Echtheit überzeugt hatte, begann an der Universität, was seine Prioritäten ein wenig umkrempelte. Yoshiki schürzte die Lippen, sagte aber nichts, wenn er zu spät anfing oder zu früh ging. Sogar er schien einzusehen, dass er gegen einen zukünftigen Doktorgrad in Medizin nichts auszurichten vermochte. hide begann sein zweites Halbjahr, lernte Fingernägel zu maniküren, fand heraus, was das glitzernde Zeug im Schminktäschchen gewesen war und erfand eine weiße Gesichtsgrundierung, die hielt. Außerdem musste er sich Mitte März eine gewisse Geldsumme von Toshi leihen, damit er in der Lage war, den Mädchen Schokolade zu schenken, die ihm einen Monat zuvor Schokolade geschenkt hatten. Er hatte zwar die ganze Zeit gequengelt, wie nervig das doch sei, doch konnte Toshi nicht täuschen: hide war furchtbar aus dem Häuschen gewesen, dass man ihm Zuneigung bekundet hatte. Toshi hatte ihm das Geld geliehen, nachdem er sicher gewesen war, dass Patas Schwester nicht unter den Adressatinnen war. Yoshiki hatte beschlossen, seine Mutter öfter zu sehen und fuhr jeden zweiten Samstag zurück nach Tateyama. Taiji hatte beschlossen, mehr aus Tokio raus zu holen und begann, das Nachtleben überall dort unsicher zu machen, wo man ihn rein ließ. Meist Samstag.

Anfang Mai schließlich buchte Yoshiki sie für eine Woche in ein kleines Tonstudio im achten Stock eines Hochhauses ein, unter einer Karateschule und über einem Laden, der offenbar Gerümpel verkaufte. Sie alle hatten sich dafür freigenommen, nachdem Yoshiki ihnen genauestens vorgerechnet hatte, wie viel Geld es sie kostete, wenn jemand eine halbe Stunde aufs Klo ging oder einen Fehler machte. Doch hide hatte Ferien und Taiji tat ohnehin nichts für seinen Lebensunterhalt, was im Wesentlichen bedeutete, dass Toshi und Pata schauen mussten, wo sie blieben.

Dennoch war Toshi Samstagmorgen guter Dinge, als er mit einem Kaffee im Studio saß und hide dabei zusah, wie er seine Gitarre minutiös auf den exakt richtigen Klang stimmte. Eine ganze Woche mit der Band war eine ganze Woche mit hide und überhaupt war das hier aufregend! Er hatte sich noch nie selbst singen gehört. Würde es ihm gefallen?

Doch seine gute Laune hielt nicht lange vor. Sollte er bisher gedacht haben, dass Yoshiki die Sache manchmal ein wenig zu ernst nahm, wurde er nun eines Besseren belehrt: Yoshiki hatte mit dem Ernstnehmen noch nicht einmal angefangen. Es war, als habe man Yoshiki an einem schlechten Tag genommen, verzehnfacht und wieder in eine Hülle gequetscht, wo er nun keine Minute auszuhalten schien, ohne irgendjemanden zu kritisieren, inklusive sich selbst. Er war unerbittlich.

hide begann, sich unter Yoshikis vorbildlicher Anleitung in Kleinigkeiten hineinzusteigern, war schließlich mit allem was er zustande brachte unzufrieden, rauchte noch mehr als sonst und wurde zunehmend fuchsig. Pata ging nie so weit, ausfallend zu werden, doch verkündete schließlich am frühen Mittwochnachmittag, er würde jetzt nach Hause gehen, bevor er etwas tat, was er später bereute. Yoshiki schäumte vor Wut, vermied aber einen Streit. Am Ende der Woche war sogar Toshi so weit, dass er die Tür härter hinter sich zuwarf, als unbedingt nötig gewesen wäre, wenn er abends ging. Der Einzige, der in der Lage schien, Yoshikis penible und diktatorische Art auszuhalten, war, so unglaublich es schien, Taiji. Abend für Abend war er der Letzte, der noch neben Yoshiki am Mischpult saß, als alle anderen sich verabschiedeten (oder, ab Donnerstag, einfach wortlos ihre Sachen fallen ließen und gingen) und Morgen für Morgen war er der Erste, der mit Kaffee und Gebäck wieder auftauchte. Weder ruppige Kommentare zu seiner Performance noch der schreckliche Befehlston konnten ihn vertreiben, ebenso besessen wie Yoshiki schien er davon, das absolut beste Ergebnis zu kreieren, das die kurze Zeit ihnen ermöglichte. Toshi war verwundert darüber und auch wieder nicht. So oder so war er in erster Linie froh, dass er ihre Wohnung ein paar Stunden am Abend noch für sich hatte. Vielleicht hätte er seinen Mitbewohner sonst eines nachts einfach im Schlaf erwürgt.
 

Am Sonntagabend saßen sie wieder in ihrem Proberaum auf dem Sofa. hide und Toshi hatten sich einige Minuten lang über Yoshiki ausgelassen und dabei auch einige weniger schmeichelhafte Begriffe verwendet, die ihnen zwar ein bisschen leidtaten, aber sich leider auch so richtig gut anfühlten. Pata saß mit verschränkten Armen neben ihnen und sagte nichts. Insgesamt war die Stimmung also leicht frostig, als derjenige, der trotz Abwesenheit das Meiste zur Unterhaltung beigetragen hatte, die Tür aufstieß und mit vom Laufen geröteten Wangen hereinstürmte.

„Hallo!“, trällerte Yoshiki fröhlich und warf seine Sachen neben das Schlagzeug in die Ecke.

„Hi“, sagte Toshi.

„Hi“, sagte hide.

Pata nickte stumm.

„Es ist fertig!“, verkündete Yoshiki, der sich gebückt hatte und in seiner Tasche herumkramte und deswegen die Blicke, die sie tauschten nicht sehen konnte. „Wir haben heute früh noch ein paar allerletzte Sachen verändert und es ist fertig! Hier ist – wo hab ich es denn… Hier!“ Er hatte eine Kassette aus der Tasche gezogen und sie vor sich ausgestreckt wie einen Siegerpokal drehte er sich zum Rest seiner Band um. Sein Grinsen wurde ein wenig schmäler, als er merkte, dass er die Situation nicht ganz verstand.

„Ähm…“, machte er und schaute von einem zum anderen. „Alles in Ordnung? Hab ich was verpasst?“

„Ich“, meinte Toshi langsam, „bin froh, dass die Aufnahmen fertig sind… Aber wir – und ich spreche für das Kollektiv – denken, wir sollten mal über die letzte Woche reden. Den Prozess des… Aufnehmens…“

„Öhm…“ Ratlos schaute Yoshiki in die Runde. Offensichtlich verstand er immer noch nicht, was passierte, doch spürte, wo die Front verlief. „In Ordnung, worüber… sprechen wir?“

„Uhm… darüber, wie manche von uns sich sehr angestrengt haben und diese Anstrengung nicht so… gewürdigt gesehen haben…“, sagte Toshi und warf den beiden neben ihm Sitzenden einen kurzen Blick zu.

„Und darüber, wie manche von uns der Grund dafür waren“, fuhr hide fort und warf Yoshiki einen langen Blick zu.

Dieser hätte im Normalfall sofort protestiert – immerhin, wer hatte sich denn am meisten den Arsch aufgerissen in der letzten Woche und überhaupt? – doch er war zu überrumpelt, um so etwas wie Missfallen zu empfinden. Stattdessen ließ er die Schultern ein wenig in sich zusammenfallen und sank auf den Schlagzeughocker. Die Kassette legte er auf der Snare ab. Auf einmal war er nicht mehr so glücklich. Die Finger aneinander gelegt ließ er die Tage Revue passieren und musste sich eingestehen, dass sie möglicherweise, eventuell, ein klein wenig Recht hatten. Er fing Toshis Blick auf. Unter anderem dafür hatte er ihn in der Band, nicht wahr? Um ihm kräftig seine ehrliche Meinung zu geigen, ohne es böse zu meinen. Er nuschelte zerknirscht: „Tut mir leid, wenn ich ein wenig über das Ziel hinausgeschossen bin. Vielleicht… bin ich das.“

„Du warst ein tyrannisches Arschloch“, sagte Toshi schlicht.

„Jap“, stimmte hide zu. „Und ich meine das mit so wenig Vorwurf, wie es mein mitgenommenes Selbstwertgefühl zulässt.“

Yoshiki schaute weiter in Richtung des Dritten im Bunde, in der Erwartung, er würde noch einmal nachtreten, jetzt wo er schon am Boden lag, doch Pata machte einfach gar nichts. Sein Blick allerdings schien Bände zu sprechen. Der Schlagzeuger seufzte tief und sank noch ein wenig in sich zusammen. Gegen ihren vereinten Widerstand war er machtlos. „Ok, ich… Ist gut. Ich… tut mir leid.“

hide neigte den Kopf, wie er es oft tat, wenn er noch nachdachte, während er schon sprach. „Nein, Mann. Nicht gut. Wenn wir wieder so was machen, müssen wir das anders organisieren. Wir wollen alle, dass es gut wird, wir nehmen es alle ernst. Aber wir müssen einen Weg finden, der für uns alle funktioniert. Du total am Rotieren und wir alle schlecht gelaunt, das läuft nicht.“

Yoshiki nickte langsam. „In Ordnung. Wollt ihr das jetzt durchspre-“

Die Tür ging auf. „Jaja, bin zu spät, sorry, egal“, leierte Taiji in einem Atemzug herunter und schälte sich aus seiner Lederjacke, während er zu seinem Verstärker hinüber ging. Noch halb in dem Kleidungsstück stockte er, ähnlich wie Yoshiki ein paar Minuten zuvor und ließ seinen Blick zwischen Sofa und Schlagzeug hin und wieder zurück gleiten. Er verzog das Gesicht, nickte sich einmal selbst in einer Art zu, die deutlich ‘Aha, soso‘, sagte und fragte: „Und was hab ich verpasst?“

„Wir sprechen gerade über Verbesserungsmöglichkeiten der letzten Woche für die Zukunft“, teilte hide ihm mit. „Irgendwelche Gedanken?“

Taiji schlüpfte mit einem Schulterzucken vollständig aus seiner Jacke. „Also ich hatte Spaß“, meinte er gleichgültig und warf sie neben Toshi über die Armlehne.

hide bohrte sich mit dem kleinen Finger im Ohr und beugte sich dann ein Stück vor, um ungläubig nachzuhaken: „Du hattest was? Hab ich nicht ganz genau gehört, wie Yoshiki am Freitag gedroht hat, wenn du noch einmal den Bassregler raufdrehst, würde er dir die Nase brechen?“

„Woraufhin ich meinte, wenn er damit genauso erfolgreich ist wie damit, im Solo den Takt zu halten, wäre ich ziemlich unbesorgt“, erwiderte Taiji unbekümmert und wedelte mit der Hand, als wolle er eine Fliege vertreiben. „Wir sind quitt.“

Die auf dem Sofa Versammelten starrten ihn an. Yoshiki, der aussah, als wäre der Blitz eingeschlagen, lief langsam rot an, was glücklicher Weise an den anderen vorbeiging, die viel zu sehr mit ihrem Bassisten beschäftigt waren. Es hatte vage mit der Erinnerung zu tun, wie er daraufhin ‘Fick dich‘ gesagt hatte und Taijis Schlusswort (‘Hier und jetzt, oder später bei mir‘).

„Was?“, fragte der Bassist, jetzt mit zusammengezogenen Augenbrauen, als langweile ihn diese Unterhaltung allmählich. „Das war eine stressige Woche. Ihr habt doch nicht wirklich gedacht, das würde locker flockig?“

Keiner antwortete.

„Heißt das“, begann hide schließlich langsam, „du willst uns sagen, wir sollen aufhören uns aufzuführen wie zickige Mädchen?“

„Nope“, sagte Taiji und lehnte sich gegen die Wand, weil sein Stammplatz von Pata belegt wurde. „Das heißt, wir gehen alle sehr unterschiedlich mit Stress um und wir werden eine Weile brauchen, um einander in unseren Eigenheiten zu akzeptieren und Rücksicht darauf zu nehmen. So wie Toshi gelernt hat, dass er mir nicht das Bier verbieten kann, weil ich dann ausfallend werde. Oder wie du gelernt hast“, sein Blick streifte Pata, „dass Toshi es als Beleidigung auffasst, wenn du ihm ungefragt ein Deo zuwirfst – und Alter, sogar ich muss sagen, nach ein paar Stunden mit dir im Raum, puh. Und ich hab gelernt, dass ich dir nicht auf einen Riff, an dem du eine Woche geschrieben hast sagen kann, dass mein Cousin das auf Kindergartenparty spielen würde, weil du dann zu heulen anfängst.“

„Ich hab nicht geheult!“, verteidigte sich hide vehement.

Taiji schenkte ihm ein müdes Lächeln. „Ja, ne. Ist klar.“

„Ok“, schaltete sich Toshi ein. „Wie kommt es, dass du auf einmal die erwachsenste Person im Raum bist?“ Das hier war mit einem Mal sehr komisch geworden, wie in einer verdrehten Welt – wo Katzen Hunde jagten und amerikanische Sitcoms lustig waren.

„Wir sind fünf sehr talentierte, aber sehr unterschiedliche Leute“, sagte Taiji. „Klar funktioniert das nicht ohne harte Arbeit. Und das ist halt harte Arbeit nicht nur an der Sache, sondern auch an uns. Mich wundert nur, dass euch das so wundert.“ Er schüttelte den Kopf und blickte dann auf die Wand gegenüber, offensichtlich um zu zeigen, dass er die Diskussion für beendet hielt.

Die anderen allerdings warfen einander etwas bedröppelte Blicke zu.

Yoshiki setzte als Erster an, etwas zu sagen. „Ich, ähm… Also… Tut mir leid. Ich… tu mir schwer damit, meinen Perfektionismus runter zu schrauben. Ich… werde versuchen, mehr auf… euren Input zu reagieren. Weil ihr habt… gute Ideen. Und… keine Ahnung. Fang wieder an, meine Aggressionsbewältigungs-Kassetten zu hören oder so.“

„Ich nehme an“, sagte Taiji langsam, „ich könnte nur noch ein Bier vor vier trinken, wenn es dich so stört…“

Toshi grinste peinlich berührt. „Ich such mir eine stärkere Deo-Marke.“

Ein Seufzen kam Pata über die Lippen: „Gut, schön. Vielleicht sag ich euch in Zukunft, wenn mich was stört, bevor es mir bis hier oben steht.“ Er wedelte mit seiner Hand knapp über Stirnhöhe herum.

Sie sahen unweigerlich zu hide, der jetzt als Einziger noch nichts gesagt hatte. Dieser blinzelte irritiert zurück. „Was? Ich hab nichts gemacht. Oder? Nein. Ich war absolut liebenswert.“

„Du könntest weniger rauchen“, schlug Toshi vor.

„Und das hilft euch… wie?“, fragte hide belustigt zurück und verdrehte die Augen.

„Dachte dabei nur an dich.“

Sie verfielen in kurzes Schweigen, die seltsame Ruhe nach einem Streit, in der die Zeit noch nicht dazugekommen war, Wunden zu heilen, die juckten und piekten und die positive Stimmung trübten, nach der man sich so sehnte.

„Also“, fragte Pata schließlich in die Stille. „Hören wir‘s uns jetzt an, oder wie schaut’s aus?“

Dankbar nickend stand Yoshiki auf, um die Kassette in den Recorder zu legen.

Er drückte auf Play und sie alle saßen da und lauschten ihrem Werk. In der Hälfte des zweiten ihrer drei Songs hielt Yoshiki die Kassette wieder an und schaute hoch. Sein Herz schien ihm irgendwo in die Hose gerutscht zu sein. Wenn seine Band das Ergebnis nicht mochte, konnte er nicht einmal damit rechtfertigen, wie er sich anscheinend aufgeführt hatte.

„Das“, sagte Toshi schließlich und es klang fast überrascht, „ist gut.“

„Ja“, stimmte hide zu. Seine Wangen hatten einen leichten Rotschimmer angenommen und Toshi wusste, was er fühlte: erst die Befürchtung, man müsse sich gleich ganz schrecklich schämen für das, was man gemacht hatte und dann die langsame Erkenntnis, dass es nicht gab, wofür man sich schämen müsste – und dann das kribbelnde Gefühl, wie ihm die Brust langsam anschwoll vor Stolz.

Pata nickte und zog einen Mundwinkel zu einem halben Grinsen hoch. Taiji sagte nichts, doch da er am Mischen beteiligt gewesen war, hatte er das Band bereits gehört und Yoshiki kannte seine Meinung. „Und was passiert weiter?“, wollte Pata wissen.

„Ich denke, ich such uns weiter Auftritte und vielleicht ein Label“, sagte Yoshiki. „Jetzt, wo ich zeigen kann, was wir machen, sollte das Dinge vereinfachen. Vielleicht kommen wir unter einen kleinen Vertrag, mit etwas Glück. Ihr bekommt auch alle ein paar Kopien, falls ihr… schlaue Ideen habt oder… Kontakte, was weiß ich.“

„Das hier könnte funktionieren“, sagte hide ungläubig, doch mit einem Hauch Erregung in der Stimme. Offenbar hatte er nichts von dem gehört, was seine Bandkollegen gesagt hatten. „Das hier könnte tatsächlich funktionieren. Wow.“

„Ja, was dachtest du?“, fragte Taiji trocken und mit einer hochgezogenen Augenbraue – eine Mimik, von der Yoshiki sicher war, dass er sie von ihm abgeschaut hatte.

Die Frage schien hide aus seiner kleinen Gedankenblase zu holen, denn er schüttelte den Kopf und antwortete fahrig: „Keine Ahnung. Ich mach einfach vor mich hin. Um ehrlich zu sein, hab ich versucht, nicht zu viel drüber nachzudenken. Die Ungewissheit der Zukunft ruiniert mir sonst die Gegenwart oder so?“ Er lachte entschuldigend und fuhr sich durch die Haare. Toshi konnte nicht umhin, ihm da zuzustimmen und auch Pata sah aus, als sei das Gefühl ihm nicht fremd.

Doch Taiji sagte weise: „Die Zukunft ist nicht ungewiss. Nur voller Möglichkeiten."

hide zuckte mit einer Schulter und grinste schief. „An manchen Tagen."


Nachwort zu diesem Kapitel:
Rush - Subdivisions Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  SamAngel
2018-11-28T16:47:44+00:00 28.11.2018 17:47
Hahahahahahaha diese Chaoten lernen aber auch rein garnichts dazu...und das past genauso.

Ich bin froh, dass Du es geschafft hast, ein neues Pitel zu posten. Ich warte auch gerne darauf..egal wielange :)

Wir lessen uns

Sam


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