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Forever Dream

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Mit diesem Kapitel bin ich noch nicht zu 100% glücklich, aber wenn es heute nicht passiert, passiert die nächsten Wochen erst einmal nichts, also... ja, passiert es jetzt. Es ist aber einiges Schöne dabei...
Ha. Hahaha. Ha.
Das Wort zum Sonntag.
Ok, ich geh jetzt. Komplett anzeigen

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When Life Gives You Lemons

„Hast du’s inzwischen gemacht?“

„Nein.“ Toshi lehnte an dem niedrigen Schränkchen im Flur, auf dem das Telefon stand.

„Toshi!“

„Ja, ich hatte-“

„Überhaupt nichts zu tun!“

Toshi hielt den Hörer eine Handbreit von seinem Ohr weg. Yoshiki vergaß manchmal, dass er die Entfernung zwischen sich und seinem besten Freund nicht durch sein Organ überbrücken musste, wenn er das Telefon benutzte.

„Ja, gut! Ich hab mich gedrückt. Ich mach es!“

„Wann?!“

„Übermorgen, 15 Uhr 12!“

„Da hast du einen Friseurtermin! Wie wäre es mit, uhm, ich weiß nicht? Ich leg auf und du tust es?“

„Äh…“ Toshi wand sich wie ein Wurm.

Ein Knistern, von dem Toshi wusste, dass es ein Seufzen war, drang aus der Leitung. „Soll ich‘s machen?“

„Nein“, antwortete Toshi, den kleinen Teil von ihm, der das für eine tolle Idee hielt entschieden niederringend und zupfte das Deckchen unter dem Telefonapparat zurecht. „Nein, das wäre ja unendlich peinlich.“

„Also gut. Dann leg ich jetzt auf und ruf in einer Viertelstunde zurück, und wenn du mir bis dahin kein Ergebnis nennen kannst, tauch ich morgen deinen Kopf ins Klo.“

„Uärgh“, machte Toshi und es klickte in der Leitung.

Toshi legte den Hörer auf die Gabel und zog einen inzwischen schon recht abgegriffenen Zettel aus seiner Hosentasche. (Ihm war relativ früh klar geworden, dass das mit dem Händewaschen nicht so optional war, wie er gehofft hatte.) Er las die Nummer noch einmal, atmete tief ein. Dann nahm er den Hörer ab - und legte ihn wieder hin. Es war gerade genau 16 Uhr, und er wollte nicht den Eindruck erwecken, als hätte er auf die runde Zahl gewartet, um anzurufen. Um zwei nach schließlich nahm er den Hörer noch einmal ab, wählte die Nummer, glaubte, sich verwählt zu haben und legte wieder auf. Er trocknete die schweißfeuchten Hände an seiner Hose, hob den Hörer noch einmal ab, wählte die Nummer Zahl für Zahl und presste den Hörer fest an ans linke Ohr. Dann weniger fest, weil es wehtat. Er schluckte, doch sein Mund war trocken. Die Ohnmacht schien mit jedem Tuten näher zu kommen. Wie lange musste er abwarten, bis er ohne schlechtes Gewissen wieder auflegen konnte? Viermal? Fünfmal? Nach dem sechsten Tuten schließlich zuckte seine Hand und nach dem siebten senkte er den Hörer. Statt Erleichterung spürte Toshi seltsamerweise aber Enttäuschung. Doch gerade, als seine Hand über der Gabel schwebte, knackte es. Toshi riss den Hörer wieder ans Ohr. Es meldete sich eine Stimme, die klang als wäre der Besitzer aus dem Tiefschlaf gerissen worden und auf dem Weg zum Telefon einmal über die Katze gestolpert. „Hai, Matsumoto de gozaimasu.“ Toshi rätselte ein paar Sekunden und fragte schließlich: „… Ist da Hideto?“ Einige Sekunden passierte nichts. „… ja?“, kam die Antwort dann vorsichtig. „Und wer will das wissen?“ „Ähm, hier ist Toshi – äh, mitsu Deyama.“ Das Mindestgebot der Höflichkeit war wohl der vollständige Name. Toshi wünschte sich nur, er hätte es ohne Pause und ‘äh‘ geschafft. Zum Glück war Yoshiki nicht hier, um diesen Moment mit ihm zu teilen, sonst hätte er sich das mit der Wahl seines Sängers aufgrund dieser verbalen Glanzleistung vielleicht nochmal überlegt. Er verlagerte sein Gewicht vom Standbein aufs Spielbein (verfluchtes unnützes Wissen aus dem Kunstunterricht!) und fuhr fort: „Also, ähm, der Typ vom Bahnsteig… nochmal Entschuldigung dafür.“ „Ah!“, machte die Stimme am anderen Ende der Leitung, gleich eine ganze Ecke freundlicher. „Hallo! Ich hab mich schon gefragt, ob da noch was passiert.“ „Ja, ich… wir… hatten noch… naja, egal. Auf jeden Fall hab ich – also, wir haben uns gefragt, ob du vielleicht am Wochenende mal vorbeischauen willst. So Kennenlernen, Lage besprechen. Und so.“ Standbein-Spielbein. Toshi wechselte den Hörer in die andere Hand. „Wochenende ist?“, fragte Hideto. „Samstag. So gegen Mittag.“ „Klingt gut. Soll ich was mitbringen und wo muss ich hin?“ „Uhm, deine Gitarre wenn’s ok ist. Sonst haben wir auch eine. Und 187-2 Koshigoe.“ Toshi konnte quasi hören, dass am anderen Ende der Leitung gedacht wurde. „Die fünfte Station auf der Uchibo, vom Ostbahnhof aus“, hängte er also hilfsbereit an, „dann laufen.“ „Boah, ist das am Arsch der Welt“, drang es aus dem Hörer und gleich darauf: „Entschuldigung.“ „Kein Problem“, entgegnete Toshi. „Ist nicht mein Haus.“ Dass er selbst nur eine Viertelstunde weiter wohnte, tat hier ja nichts zur Sache. „Dann komm ich erst um zwei Uhr“, sagte Hideto. „Also ich könnte dir versprechen, dass ich das früher schaffe, aber ich würde uns beide belügen.“ „Ok“, antwortete Toshi mit dem Anflug eines Grinsens. „Und du musst bei Hayashi klingeln.“ „Ist gut. Ist Haya-“ Hideto stockte und Toshi hörte durch den Hörer eine Tür knallen und eine hitzig diskutierende Frauenstimme. "Ich muss Schluss machen“, sagte Hideto abrupt. „Bis Samstag.“ Das Gespräch war weg, noch bevor Toshi auch nur ‘Mata‘ hätte sagen können. Irritiert blickte er den Hörer an, als könne er dadurch das Bildtelefon erfinden. Das Freizeichen tutete ihn an und irgendwie fühlte er sich nicht ganz so triumphal, wie er gehofft hatte… doch immerhin. Samstag. Er legte den Hörer auf die Gabel.

Samstag war plötzlich eine Million Jahre entfernt.

 
 

-X-

 

Zwanzig Minuten später und zwei Kilometer weiter, einmal über die Bahngleise hinweg und am Shinto-Schrein vorbei, saß Yoshiki am Schreibtisch und drehte seinen Stift zwischen den Fingern. Im Hintergrund lief auf seinem Recorder leise David Bowie und vor ihm auf dem niedrigen Tisch lag seine Geschichtshausaufgabe. Der hatte er bereits geschrieben. Seitdem war länger nichts passiert. Nunja. Damit waren es nur noch 699 Wörter, das musste an Arbeitsleistung erst einmal reichen. Er hätte Schlagzeug spielen wollen, aber seine Mutter hatte Freundinnen zum Kaffeetrinken eingeladen, also fiel das erstmal raus. Sie hatte ihm das Schlagzeug damals gekauft, also konnte sie sich nicht generell darüber beschweren, dass ihr das Getrommle auf die Nerven ging, doch was ihre ‘Nicht vor und nach acht Uhr, nicht bei Besuch und nicht an hohen Feiertagen‘-Regel anging, blieb sie eisern. So eine Verschwendung von guten nächtlichen Stunden… Yoshiki schüttelte den Kopf und schaute wieder auf seinen Aufsatz. Vielleicht fiel ihm doch noch ein Wort ein. Der. Er starrte weitere zwei Minuten auf das Blatt, ohne überhaupt an irgendetwas zu denken. Nein. Kein zweites Wort. Gut, Ende für heute. Er räumte Buch und Heft zur Seite. Endlich war er frei, über das nachzudenken, worüber er wollte! Wunderbar. Fast sofort dachte er an Toshis neuste Zufallsbekanntschaft. In wenigen Tagen würde hier jemand sitzen, den weder er noch Toshi wirklich kannten und das konnte dann entweder wunderbar funktionieren oder total schief gehen. Wie sagte man eigentlich jemandem, dass er scheiße war? Oder war es höflicher, sich einfach nicht mehr zu melden und zu hoffen, dass das Problem sich erledigte, wenn man es lange genug ignorierte? Yoshiki schüttelte den Kopf. Erst einmal abwarten. Er hatte ja noch einen Toshi, mit dem er solche Dinge diskutieren konnte, wenn es dazu kam. Wenn man mal vom Besten ausging, brauchte er somit also noch einen Bass. Bass… Bass… Bass... klang wie das Summen einer Fliege. Bzzzzz. Neben ihm brummte der Ventilator und pustete ihm in regelmäßigen Abständen geringfügig kühlere Luft ins Gesicht. Brrrooooooooowwwww. Dschungel der Soundwörter. Zurück zum Text. Wo konnte er nach einem Bassisten suchen? Sollte er einen Zettel in der Schule aushängen? Schlechte Idee. Wenn es dann nicht funktionierte, lief er der Person am Ende nur ständig über den Weg. Awkward lautete der englische Fachbegriff dafür. Nein… im Musikgeschäft? Das war eine Idee. Gut, dann würde er wohl mal was schreiben… Yoshiki lehnte sich zur Seite und wühlte nach einem leeren Blatt Papier. Hrrm-hrrm – mentales Räuspern. Aaaalso. Ähm. Leeres Blatt. Diese Angst vor dem leeren Blatt! Yoshiki drückte seinen Stift. Ob die jemals wegging? Das erste Wort war das schwerste. Und das erste Wort hier war… Suche. Ja. Ein gutes, solides Verb.

„Yoshiki!“

„Jaaa?“, rief er, während er mehr oder weniger kunstvoll die Kanji aufs Papier malte. … scheiße, jetzt hatte er sich verschrieben. Neues Blatt. Er beschloss, sich erst auf das Gespräch zu konzentrieren und senkte den Stift. Für einen Schlagzeuger war er erstaunlich wenig multitaskingfähig.

„Kannst du bitte einkaufen gehen?“

Yoshiki machte ein Geräusch, das wie eine Mischung aus Würgen und Röcheln klang. Ja, als guter Sohn sollte man definitiv –

„Ich bin eigentlich grade sehr beschäftigt!“

 – wieder eine Gelegenheit verstreichen lassen.

„Bitte!“

Yoshiki seufzte. Wie jeder andere Junge seines Alters auch wusste er, dass es sich hier nicht um eine echte Bitte handelte, sondern um ein ‘Sieh zu, dass du deinen Hintern hier her schwingst‘. Er rappelte sich also hoch und ging einen Stock tiefer in die Küche, wo seine Mutter ihm eine Liste und einen Geldschein in die Hand drückte und ihn mit liebevollem Nachdruck aus der Tür schob, bevor sie mit Keksen und Kuchen wieder ins Wohnzimmer zurücktippelte.

Na toll.

Yoshiki steckte die Hände tief in die Hosentaschen und machte sich auf den Weg zu dem kleinen Supermarkt auf der anderen Seite der Siedlung. Der Asphalt war aufgeheizt und zwischen den Häusern staute sich die Wärme. Bassist… Bassist… Bassist… und jetzt alle zusammen, dreimal schnell hintereinander! Warum nur war dieses Instrument so ein Problem? Er kannte einen Trompeter, drei Violinisten, vier andere Schlagzeuger und mehrere Gitarristen, die er allerdings alle nicht sonderlich mochte. Sogar jemanden, der sich leidenschaftlich auf Xylophon eingeschossen hatte! Doch jemanden der Bass spielte, den hatte er nicht. Und das war ja auch gar nicht der Kern des Problems, dachte Yoshiki, als er eine Viertelstunde später den Laden betrat, es ging ja auch darum, dass es passte. Sie waren ja kein Ponyhof…

Pflichtbewusst arbeitete er die Liste (Algen, Zwiebel, Seidentofu, Daikon, Limetten, Eier, Spülmittel) ab, packte noch eine Schachtel Seven Stars für den Eigenbedarf dazu und verließ den Laden wieder. Er war gerade um die Ecke gebogen und hatte die Zigaretten aus der Plastiktüte gefingert, als ein Geräusch an seine Ohren drang.

… Moment mal.

Yoshiki blieb stehen und legte lauschend den Kopf schief. Über das laute Brummen der Klimaanlage des Supermarkts hinter ihm hörte er eindeutig Musik. Westliche Musik. Da spielte jemand Bass. War das… Yoshiki steckte die Zigaretten wieder ein und ging ein paar Schritte weiter. Das war doch… er bog noch einmal um eine Ecke … Led Zeppelin. The Lemon Song! [Für die passende musikalische Untermalung dieser epischen Quest, klickt hier.] Und es kam näher! Yoshiki ging weiter die Straße hinunter, die Einkäufe und ihr eigentliches Ziel hatte er längst vergessen. Er bog einmal nach rechts ab, einmal nach links, ging wieder ein Stück zurück und schlängelte sich dann einen kleinen Pfad zwischen den zwei Wohnblocks hindurch. Vor einem Haus, das seinem eigenen nicht unähnlich war, hielt er an. Aus der angebauten Garage drangen tiefe, alles durchdringende Töne in die Nachbarschaft. Das war es.

Yoshiki verstand was von Musik und er erkannte Talent, wenn er es sah (oder eben hörte). Wer auch immer da spielte, er war nicht einfach gut: Er war fantastisch. Und nicht nur das: Er spielte Led Zeppelin und er spielte es unanständig laut. Entschlossen ballte Yoshiki die Hand, die nicht die Plastiktüte hielt, zur Faust. Er musste diesen Jemand sprechen! Mit wenigen Schritten war er die kurze Auffahrt hinauf und am Tor. Er klopfte. Nichts passierte. Er klopfte nochmal, heftiger. Nichts. Natürlich nicht. Er selbst hörte ja auch nichts, wenn er Schlagzeug spielte. Das war das Blöde und gleichzeitig Tolle an den Rhythmusinstrumenten – man war für echte Welt erst einmal unempfänglich. Langsam ging Yoshiki ein paar Schritte rückwärts und schaute sich um. Er konnte natürlich auch am richtigen Haus klingeln. Ja, das war eine Idee. Er wechselte von der Auffahrt zum eigentlichen Haus und drückte die Klingel durch. Doch auch hier passierte nichts. Yoshiki kratzte sich am Kopf. Scheißverein! Unschlüssig ging er zum Garagentor zurück und lugte schließlich um die Ecke. Ein schmales, hohes Fenster zog sich an der Seite entlang. Es war gekippt, vermutlich um ein wenig Luftzirkulation zuzulassen – entweder das, oder um die Nachbarn zu nerven. Beides fand Yoshiki total nachvollziehbar. Sein Blick wanderte tiefer. Unter dem Fenster stand die Mülltonne. Eine Idee schlich sich ungebeten durch eine Hintertür in seinen Kopf und Yoshiki spürte, dass er anfing zu grinsen. Ja, Eingebungen musste man folgen, wer wusste, ob sie wieder kamen! Er schaute sich einmal über die Schulter – wachsame Nachbarn und all das – und ging dann die Seite der Garage entlang. Neben der Tonne stellte er seine Einkäufe ab und schwang sich, zugegebenermaßen wenig elegant, auf den blauen Plastikdeckel. Die Tonne wackelte bedenklich, als er sich vorsichtig hinstellte. Irgendwie kam ihm das Ganze auf einmal doch nicht mehr so schlau vor, wie er gedacht hatte… aber jetzt war er schon so nah am Ziel! Er hakte die Finger auf die schmale Umrandung des Fensters und versuchte, einen Blick nach drinnen zu werfen. Doch alles, was er sah, war ein Teil der gegenüberliegenden Wand, ein paar Autoreifen und ein Poster von den Ramones. Das gab’s doch nicht! Yoshiki stellte sich auf die Zehenspitzen – und der Boden unter seinen Füßen gab nach, als die Tonne nach hinten wegrutschte. „Wohow!“, entfuhr es ihm noch, dann ging es abwärts.

Yoshiki hätte niemals gedacht, einmal in eine Situation zu kommen, die man nicht besser beschreiben konnte als mit der Konstruktion ‘Auf die Fresse fallen‘ – oder zumindest nicht in nüchternem Zustand. Doch hier war sie. Dadurch, dass seine Füße noch auf der Tonne, seine Finger aber am Fenstersims hingen und beides in etwa gleichzeitig nachgab (seine Finger vielleicht eine Sekunde früher), machte er eine Bauchlandung, die bestimmt wesentlich witziger aussah, als sie sich anfühlte. Es schepperte hinter ihm, als die Tonne genau wie er Bekanntschaft mit dem Boden machte – der Deckel klappte auf und begrub Yoshikis Waden und Füße unter sich. Etwas an seiner Hand klebte eklig glibberig. „Ahh!“, machte Yoshiki in einem leichten Anflug von Verzweiflung und schaute sich um. Er war in seinen Einkäufen gelandet. „Eier...!“

„Ähem.“

Yoshiki schielte zur Seite und nach oben, von wo ein Räuspern erklungen war. Dort stand ein Junge, der etwas jünger sein mochte als er selbst, in Jeans, einem schwarzen Shirt und halbgeschnürten Stiefeln und betrachtete ungläubig die Szene, die sich ihm bot.

„Ähm“, machte der Kerl. „Hallo?“

„Guten Abend“, quetschte Yoshiki heraus. Immerhin war er gut erzogen worden. Nur was danach geschehen war, wusste er nicht mehr.

„Was wird das hier?“

„Die Erklärung braucht ein bisschen…“

Yoshiki rappelte sich auf, wischte den Eiersabber an der Hose ab und stellte die Tonne wieder dahin, wo sie ihn gefunden hatte. Dann hob er den Blick. Er begegnete einem nicht eben freundlichen Gesichtsausdruck. Der Bassspieler hatte einen Arm in die Hüfte gestemmt und schaute ihn herausfordernd an.

„Also. Was hast du da vor meiner Garage zu suchen?“

„Erstens: Ich bin neben deiner Garage. Zweitens: Ich hab jemanden Bass spielen gehört. Also dich.“

„Schön. Das tun meine restlichen Nachbarn auch, aber die klettern nicht auf unseren Müll.“ Der Junge zog eine Schachtel Zigaretten aus der hinteren Hosentasche und die Art, wie er sich eine ansteckte, sagte Yoshiki, dass er es für den Effekt tat. Er spielte für das Publikum. Also schön. Das konnte er auch.

„Ja, ich gebe zu, die Mittel waren drastisch, aber die Zeiten sind auch schwer“, antwortete Yoshiki betont unbeeindruckt. Diese Form der direkten Konfrontation lag ihm eigentlich weit weniger, als ihm die Leute gerne unterstellten. Er war schüchtern. Aber wenn es mal nur noch die Wahl zwischen vor Scham im Boden versinken und es mit erhobenem Haupt durchziehen gab, dann nahm er letzteres.

Sein Gegenüber zog skeptisch die Augenbrauen ein wenig zusammen. Sein Gesicht sagte eindeutig ‘Willst du mich verarschen?‘, doch seine Worte waren: „Gut, lass mich die Frage anders formulieren: Wer bist du, was willst du und warum kommst du nicht zur Tür rein wie andere Leute?“

„Ich bin nicht andere Leute“, sagte Yoshiki, mit der Beantwortung der Fragen von hinten anfangend.

„Ja, das glaub ich gern“, murmelte der andere Junge abschätzig und nahm einen Zug.

„Und ich hab versucht, zur Tür reinzukommen. Du hast nichts gehört. Und ich… ich musste wissen, wer da spielt.“ Im Zweifelsfall half die Wahrheit immer noch am besten. Die glaubte nur nie jemand.

„Warum.“

„Weil du gut bist.“

„Ich weiß.“

Jetzt war es an Yoshiki, die Augenbrauen irritiert zusammenzuziehen. Das Gehabe schien ihm nicht gespielt. Wow. Da hatte jemand anscheinend ein gesundes Selbstbewusstsein. Nun ja. Wie auch immer.

„Wie heißt du?“, drehte er also kurzerhand den Spieß um, in dem Versuch, aus dem Kreuzverhör eine Unterhaltung zu machen.

„Ich bin Taiji. Und du bist seltsam“, stellte Taiji fest und verschränkte die Arme, so gut das mit einer brennenden Zigarette in der Hand möglich war.

„Nein. Ich bin Yoshiki und ich bin auf der Suche nach einem Bassisten.“

„Für was.“

„Für meine Band.“

„Und was hast du vor, mit deiner Band?“

Die Art, wie Taiji Band sagte, klang ein wenig so, als glaube er, Yoshiki dressiere Schweine und stecke sie in kleine Anzüge, um mit ihnen eine Blaskapelle zu gründen. Diese Art machte Yoshiki jetzt schon wahnsinnig. Kurz überlegte er, ob das hier eine gute Idee gewesen war. Vielleicht sollte er sich einfach verbeugen und gehen. Doch dieser Bass… dieser Bass. Er hatte ihn sicher nur auf dem falschen Fuß erwischt. Manche Leute wurden ein wenig gereizt, wenn man Hausfriedensbruch bei ihnen beging – anscheinend war Taiji einfach einer von denen. Man durfte diese Dinge nicht überbewerten.

Zurück zur Frage. Ja, was hatte er eigentlich vor? Taiji starrte ihn weiterhin gnadenlos nieder. Für einen Kerl, der nicht viel älter als sechzehn sein konnte, stand er definitiv kompromisslos seinen Mann. Der Gedanke, dass er wohl ihn vorschicken sollte, wenn es jemals um Geldverhandlungen ging, schoss Yoshiki ungefragt durch den Kopf.

„Uhm… Erst Japan erobern und dann die Welt?“ Es hatte nicht wie eine Frage klingen sollen und in seinem Kopf hatte es das auch nicht getan. Doch jetzt war Yoshiki schon froh, dass er nicht fiepte. Prioritäten änderten sich…

Der Junge schwieg einen Moment und schien darüber nachzudenken. Schließlich zog er eine Schnute und nickte. „Gute Antwort. Das bringt mich dann zu meiner letzten Frage…“ Er nahm einen letzten Zug an seiner Zigarette, ließ sie fallen und trat sie aus. „Warum genau sollte ich bei dir mitmachen wollen?“ Er machte einen weiteren Schritt in Yoshikis Richtung und dieser wurde sich auf einmal bewusst, dass das Milchgesicht größer war als er. Scheiße! Die Jahre mit Toshi als Hauptbezugsperson hatten ihn in dieser Hinsicht definitiv verwöhnt, dachte Yoshiki. Er wünschte sich die paar wenigen, kleinen Zentimeter mehr, die es ihm erlaubt hätten, Taiji anzusehen, ohne den Kopf zu heben. Doch das brachte natürlich nichts, also schluckte er den Gedanken runter, machte sich zumindest mental so groß wie möglich und sagte: „Weil ich ein scheiße guter Schlagzeuger bin und einen scheiße guten Sänger habe und einen scheiße guten Gitarristen, und du dich glücklich schätzen solltest, dass ich dich auch nur mit dem Arsch angucke.“

BÄM! Ja! Das war es! Spontane Eingebung!

Taiji starrte ihn an. Yoshiki starrte zurück. Die Sekunden zogen sich.

„Gut“, sagte der Junge schließlich und machte einen halben Schritt rückwärts. „Dann muss ich mir deine Band wohl mal anschauen. Nicht, dass ich noch was … verpasse. Also, großer Schlagzeuger… Wann und wo?“

„Samstag. Zwei Uhr. 187-2 Koshigoe“, sagte Yoshiki. „Der Name ist Hayashi.“

„Also schön“, sagte Taiji und drehte sich um, um wieder zurück nach drinnen zu gehen. „Ich bin mir sicher, das wird eine … bereichernde Erfahrung.“ Yoshiki blieb noch ein paar Herzschläge lang stehen und starrte auf die Stelle, wo Taiji um die Ecke der Garage gebogen war. Er war sich unsicher, ob ihm Taiji sonderlich sympathisch war, doch er war in jedem Fall eines: verboten cool.

 
 

-X-

 

Einen weiteren Gang zum Supermarkt, eine lange Dusche, eine Waschmaschinenladung, 699 Wörter Geschichtsaufsatz und siebenundsechzig Stunden und siebzehn Minuten später klingelte es an der Tür der Hayashis. Yoshiki sprang auf. Man konnte versuchen es zu leugnen, aber ja: Er hatte bereits seit einer halben Stunde auf der Lauer gelegen, wie eine Katze, die einen Kanarienvogel beobachtet. Und der erste Kanarienvogel hüpfte gerade unvorsichtig geworden aus dem Käfig. Oder … in den Käfig? „Ich mach auf!“, brüllte er, überholte seine verdutzte Mutter im Flur und riss die Haustür mit solcher Grandeur auf, dass sie gegen die Wand schlug. In Erwartung von Toshi brabbelte er sofort los: „Bin ich, froh, dass du –“ Doch da stand nicht Toshi und Yoshikis Satz endete etwas stumpf mit: „…hi.“

„Hallo.“ Sein Gegenüber grinste. Grinste genau so, wie Toshi es ihm beschrieben hatte. Stand im Türrahmen, mit einer Gitarre auf dem Rücken und trotz der Wärme in einem langärmeligen Pulli und grinste.

Yoshiki mochte ihn auf Anhieb.

„Ich bin richtig, oder?“

„Absolut richtig. Komm rein.“

„Ich bin so frei.“

Der andere Junge trat ins Haus und Yoshiki hielt die Gitarrentasche, während er die Schuhe auszog.

„Tut mir leid, dass ich jetzt doch zu früh bin. Ich dachte mir, lieber zu früh als zu spät.“

„Ist ok. Ich habe mich ohnehin gerade zu Tode gelangweilt“, meinte Yoshiki, während er voran durch den Flur und die Treppe nach oben ging.

Sein Gast machte es sich unkompliziert auf seinem Futon bequem und sah sich erst im Zimmer um, bevor der Blick aus großen Rehaugen erwartungsvoll zurück zu Yoshiki wanderte. Mit jedem anderen wäre vielleicht eine etwas peinliche Stille gefolgt, doch noch bevor Yoshiki den Versuch unternehmen konnte, von sich aus eine Konversation zu starten, hatte der andere Junge schon wieder weiter geschaut.

„Nette Lady“, sagte er und deutete auf das Poster an der Innenseite von Yoshikis Schiebetür, das in erster Linie dort hing, weil seine Mutter meinte, so etwas wolle sie in seinem Zimmer nicht sehen. Also hatte er es so gehängt, dass sie es nicht sah. „June Wi-… irgendwas?“ „Jap“, antwortete Yoshiki. Hideto grinste. „Ich bin ja mehr der Brünette-Typ, aber jedem das seine.“ Yoshiki grinste zurück. Man konnte sich gegenseitig nicht mehr zu ernst nehmen, sobald man mal Pinup-Girls ausgetauscht hatte.

„Und wer ist das?“ Hideto deutete weiter auf eine weniger entblößte Dame.

„Stevie Nicks“, sagte Yoshiki.

„Ach, so sieht die aus?“, fragte Hideto mit völlig neuem Interesse und schaute genauer hin. „Hab ein paar Sachen von denen gehört… Alter, deine Anlage ist ja mal mega fett.“ Er sprang wieder vom Futon auf und ging hinüber, um sie näher zu betrachten. Yoshiki rechnete es ihm allerdings hoch an, dass er sie nicht gleich antatschte.

„Da fällt mir ein“, sprach er weiter, während er nun Yoshikis Plattensammlung studierte, „wie heißt du eigentlich? Ich hab deinen Kumpel beim Telefonieren irgendwie abgewürgt.“

„Ich bin Yoshiki. Und du heißt Hideto, nicht?“

„hide. Klingt nicht so altmodisch.“

„Stimmt. Willst du was trinken?“

„Ja, danke. Saft ist ok…“ hide zog eine Platte von Genesis aus dem Regal und betrachtete das Cover. „Wer gesellt sich außer uns noch zur Party?“

„Toshi – der Typ, der dich angerufen hat. Und Taiji. Den hab ich irgendwie… aufgegabelt.“

„Aufgegabelt?“, fragte hide belustigt und drehte sich wieder dorthin, wo Yoshiki gerade Mangosaft einschenkte. „Also bei jedem anderen würde ich das für die Metapher halten, die es vermutlich ist, aber da ich selbst hier bin, weil man tatsächlich in mich reingerannt ist, muss ich jetzt nachfragen.“

„Ja, also…“, begann Yoshiki langsam, „verstehst du, es war folgendermaßen…“

Und so kam es, dass bei Toshis Klingeln gerade hide mit hochrotem Kopf und sich den Bauch haltend lachend durch Yoshikis Zimmer kugelte. Yoshiki warf ihm noch einen letzten Blick zu und ging dann, um die Tür zu öffnen. Zumindest hatte er was daraus gelernt: Manchmal im Leben, dachte er, bekam man Ideen. Und manchmal bekam man gute Ideen. Es war wichtig, diese beiden Arten voneinander trennen zu lernen!

„Guten Tag Frau Hayashi“, hörte er Toshis Stimme, als er unten von der Treppe in den Flur bog.

„Hallo Toshi“, grüßte seine Mutter freundlich und trat einen Schritt zur Seite, um den Jungen ins Haus zu lassen. „Na, wie geht es dir?“ „Sehr gut, danke.“ „Was macht die Schule?“ „Ähm“, machte Toshi und beugte sich zu seinen Schuhen hinunter. „Also…“ „He.“ Yoshiki hatte kurz überlegt, ob er seinen Freund nicht das hier aussitzen lassen wollte, einfach weil es lustig mit anzusehen war, doch er entschied sich dagegen. Der Nachmittag war lang und wenn Taiji hier auftauchte, wollte er Toshi als verlässliche Rückendeckung. Seine Mutter nickte ihm zu und wuselte an ihm vorbei in Richtung Küche. „hide ist schon da“, teilte Yoshiki mit, während Toshi sich sein Paar Hausschuhe von dem kleinen Regal fischte – dass er welche hatte sagte viel über ihre Freundschaft. „Oh“, machte Toshi, sich wieder aufrichtend. „Gut. Und?“ „Er ist nett. Wir haben noch nicht über Musik geredet. Oder welche gemacht.“ „Und Taiji?“ „Was soll mit ihm sein?“ „Noch aktuell?“ „Ja.“ Yoshiki verkniff sich ein ‘leider‘. Es war ja seine freie Entscheidung gewesen. „Komm.“

Er war gerade die untersten zwei Stufen nach oben gestiegen, als seine Mutter wieder aus der Küche kam. „Yoshiki!“ Er hielt inne. An seiner Seite stoppte Toshi ebenfalls. „Mmh?“ „Ich hab euch Daifuku mit Erdbeeren gemacht.“ Seine Mutter reichte ihm einen großen Teller voller kleiner weißer Batzen. „Danke“, sagte Yoshiki überrascht. Ach, Mütter… eine tolle Erfindung. „Wir machen dann übrigens ein bisschen Lärm.“ Er nickte den Gang hinunter, dorthin, wo in diesem Haushalt die Instrumente standen. „Das ist in Ordnung. Ich gehe ohnehin mit Kaori in die Stadt. Räumt danach auf und denkt an die Nachbarn.“ Yoshiki nickte. „Ist gut.“ „Viel Spaß, Liebling.“ „Mmh-Mmh“, machte Yoshiki in vager Zustimmung und stieg dann die restliche Treppe nach oben.

„Hier“, sagte er, als er zurück in sein Zimmer kam. „Toshi. Und hier, Daifuku.“ Er stellte den Teller auf dem Tisch ab. “Juchu!“, machte hide erfreut - über welchen der beiden Aspekte auch immer. “Hallo!” Er winkte Toshi zu und nahm dann eines der leicht angespitzten Bällchen vom Teller. „Hi“, sagte Toshi und setzte sich hide schräg gegenüber. „Boah, sind die Dinger lecker“, sagte dieser, nachdem er einmal abgebissen hatte. „Tu dir keinen Zwang an“, meinte Yoshiki. Er hatte sich nicht hingesetzt, sondern war zum Fenster hinübergegangen, um einen Blick hinaus auf die Straße werfen zu können. Soweit er sehen konnte, näherte sich kein Bassist. Vielleicht hatte er Taiji falsch eingeschätzt und er kam nicht. Dabei hatte er wie ein Typ gewirkt, bei dem Herausforderungen zogen…

Hinter ihm führte hide seine lockere Unterhaltung mit seinem neusten Opfer fort. „Also, du singst, ja?“, hatte er sich an Toshi gewandt. „Ähm… ja. Ich denke schon.“ „Du denkst schon?“, fragte hide belustigt. „Ich hab ihm schon immer gesagt, er sollte nicht so viel denken“, murmelte Yoshiki und lehnte sich aufs Fensterbrett. „Ja“, korrigierte sich Toshi, rot angelaufen. „Ja, ich singe.“ „Mach mal!“, verlangte hide. „Kann ich das auch später? Ich…“ Der zukünftige Sänger griff hastig nach einem Daifuku und steckte es sich im Ganzen in den Mund, „esche gerade.“ Hide lachte. „Also diese Nervosität müssen wir ablegen hier. Bist du auch so nervös?“, fragte er Yoshikis Rücken. „Nein…“, murmelte Yoshiki. „Klavier und Schlagzeug stehen unten. Ich zeig dir später gern alles, was ich kann…“ „Hoffentlich nicht, sonst bin ich morgen noch da“, sagte Toshi. „Aber Kompliment an deine Mutter, die Daifuku sind wirklich gut.“ „Sag’s ihr selbst, du bist oft genug hier.“ Yoshiki drehte sich der Höflichkeit wegen halb um. „Seit wann spielst du Gitarre, hide?“ „Weiß nicht“, antwortete dieser nach kurzem Nachdenken und studierte die Erdbeerbällchen. „Vier Jahre vielleicht? Fünf? Irgendwie so. Meine Oma hat mir die Gitarre mal zum Geburtstag geschenkt, aber ich hab zwischendurch ein paar Mal die Lust verloren. Also vielleicht weniger. Ich nehm das nicht so ernst.“ Er angelte sich ein weiteres Süßteil aus der Mitte des Tellers. „Bist du nervös?“, fragte Toshi. hide schob das Stück Daifuku, das er inzwischen schon wieder im Mund hatte in die Backe, bevor er antwortete. „Bevor ich herkam ja. Jetzt, wo ich mal hier bin nicht mehr. Ich meine, ihr seid ja ganz normale Typen.“ Er zwinkerte. „Wie lange kennt ihr euch?“, fragte er dann und nickte zu Yoshiki hin. „Uhm“, machte Toshi. „Dreizehn, Vierzehn Jahre? Yoshiki?“ „Im Frühling waren’s dreizehn“, antwortete der Angesprochene über die Schulter hinweg. „Krass. Das war was, Kindergarten?“ hide schaute zwischen ihnen hin und her. Toshi nickte. „Jap. Plüschtiere, Gummistiefel, Sandkuchen, das ganze Zeug.“ „Und du konntest schon damals nicht kochen“, sagte Yoshiki und stieß sich vom Fensterbrett ab. Gerade war eine Gestalt äußerst gelassen um die Ecke geschlendert. „Wir ziehen um“, teilte er mit, ein wenig an hide, aber in erster Linie an Toshi gerichtet. Er wollte Taiji nicht in seinem Zimmer, wenn es sich vermeiden ließ. „Nimm bitte das Zeug mit runter.“ Er nickte zu den Daifuku und den angefangenen Getränken hin, Toshi nickte zurück, und Yoshiki verschwand die Treppe nach unten. Das war das Schöne daran, wenn man jemanden zu Besuch hatte, der ohnehin immer hier war: Er wusste bereits, wo alles war und man musste sich nicht mehr um ihn kümmern… und auf die ganzen Höflichkeiten konnte man nach so vielen Jahren ohnehin pfeifen.

Im Flur blieb Yoshiki stehen und wartete. Es klingelte und er wartete noch weitere zehn Sekunden, in denen Toshi und hide an ihm vorbei ins Musikzimmer spazierten, bevor er schließlich zur Tür ging. Der sollte nicht meinen, er hätte auf ihn gewartet. Die Base und das Ride erklangen im Versuch eines Rhythmus, gerade als er öffnete. Offenbar testete hide sein Schlagzeug - so wie es jeder tat, der zum ersten Mal hier zu Besuch war.

Taiji ging an ihm vorbei ins Haus, ohne auf eine Einladung zu warten, oder Yoshiki auch nur eines vollständigen Blickes zu würdigen. Er streifte sich die Stiefel von den Füßen, ohne sich zu bücken und erst dann drehte er sich zurück zu seinem wenig begeisterten Gastgeber, der immer noch in der Tür stand.

„Also, wo ist diese scheiße gute Band von dir?“

„Guten Tag, ich freu mich auch dich zu sehen, ja, es geht mir gut, danke der Nachfrage, komm doch bitte rein“, sagte Yoshiki in einem Atemzug und schloss die Haustür. Nachdem also die Freundlichkeiten hiermit abgeschlossen waren, verdrehte er mit einem stillen Seufzen die Augen, schickte ein Stoßgebet gen Himmel und ging Taiji voraus.

In dem kleinen Raum hinter dem Wohnzimmer hatten seit Yoshiki denken konnte die gesammelten Instrumente der Familie gestanden und dort hatte er in den letzten sechs Jahren fast seine komplette Zeit verbracht, die er nicht mit Schule und Schlafen beschäftigt war. Manchmal saß auch seine Mutter am Klavier, doch es war selten – es schien ihr schmerzhaft und Yoshiki verstand das. Es war nicht ihr Klavier. Und um genau zu sein, war es auch nicht sein Klavier.

Außer dem Tasteninstrument standen ein Schlagzeug, eine akustische Gitarre, eine elektrische Gitarre und der dazugehörige Amp dort, außerdem das Cajon und die paar Blasinstrumente, die Yoshiki nie benutzte. Flankiert wurde das Ganze von zwei Stühlen und einem kleinen Tisch, und damit war der Raum dann auch gerappelt voll. Toshi saß auf der Klavierbank und hide auf einem der Stühle, als Yoshiki mit Taiji im Schlepptau den Raum betrat – vermutlich, um näher an den Daifuku auf dem Tisch zu sein, deren Zahl inzwischen bereits sichtlich abgenommen hatte.

„Taiji“, sagte Yoshiki und machte eine Handbewegung seitlich über die Schulter in ungefähr die richtige Richtung. „Was geht“, grüßte Taiji und lehnte seine Basstasche gegen die Wand. Toshis Blick huschte unschlüssig zu Yoshiki, als erwarte er eine Einweisung, doch dessen Gesicht blieb absolut neutral. „Hallo“, sagte er also schließlich. „Ich bin Toshi.“ „Tag“, antwortete Taiji und drehte sich abwartend zum Letzten im Bunde. Seine Augen wanderten über die Süßspeise, nahmen Verbindung zur Gitarre auf und glitten dann höher, zu einem gerade sehr hamsterartigen Gesicht. „Üch bün hüde“, nuschelte hide irgendwie an einem Mund voll Daifuku vorbei und winkte fröhlich mit der angebissenen Hälfte in seiner rechten Hand. „Ahja“, sagte Taiji und warf Yoshiki über die Schulter einen ‘Ernsthaft?‘-Blick zu. Er drehte den Stuhl um, so dass er die Arme auf der Lehne verschränken konnte und ließ sich betont lässig darauf fallen. „Also dann, hide. Lass doch mal hören.“

„Jetsch?“, fragte hide überrascht. „Uhm ok, Moment.“ Er steckte sich den Rest Daifuku in den Mund, kaute noch ein paar Mal entschlossen und schluckte runter. „Dieses Zeug wird im Mund immer dreimal so groß, kennt ihr das?“ „Nur, wenn man zwei auf einmal reinstopft“, murmelte Toshi belustigt. „Uhm, ja. Genau.“ hide stand auf und ging seine Gitarre auspacken. Yoshiki reichte ihm das Verbindungskabel zum Amp.

„Uhm“, machte hide nochmal, während er die Saiten nachstimmte, „also, ich hab mir vorgestern was ausgedacht. Das war irgendwie ganz nett, ich glaub, das kann ich euch mal zeigen… Ja… also das ging irgendwie… so…“ Ein schiefer Akkord erklang. „Ah, Nein, falsch. Ääähm…“ hide zog die Stirn kraus und griff probeweise ein paar Mal um. Taiji lächelte mitleidig. „Ah, genau, das hier war’s“, sagte hide.

Und dann spielte er.

Es konnten zwei Minuten oder zwei Stunden gewesen sein – keiner von ihnen hätte es danach noch sagen können. Doch irgendwann war es vorbei.

Yoshiki starrte hide an.

Toshi starrte hide an.

Taiji starrte hide an.

Niemand sagte ein Wort.

„Ähm“, machte hide nach einigen Sekunden, die Blicke missinterpretierend, „also ich… ich kann das besser.“ Er hob die Hand zum Nacken und schaute verunsichert von einem zum anderen.

„Heilige Scheiße“, sagte Taiji schließlich tonlos. Wäre Yoshiki nicht selbst geplättet gewesen, der erstmalige totale Mangel an Überheblichkeit hätte ihn tierisch gefreut. Er riss sich schließlich zusammen, gerade rechtzeitig, um Taiji einen ‘Tja, da schaust du blöd‘-Blick zuzuwerfen, ganz so, als wäre das alles hier ihm selbst überhaupt nicht neu.

„Ich dachte, du nimmst Musik nicht ernst!“, rief Toshi ungläubig.

„Tu ich auch nicht“, antwortete hide, jetzt irgendwo im Bereich der defensiven Verwirrung. Anscheinend verstand er noch nicht so ganz, in welche Richtung die Stimmung gerade kippte.

„Das war … richtig gut“, bekundete Taiji. Er sah immer noch aus, als erwarte er, dass jemand hinter der Wand hervorsprang und ‘Versteckte Kamera!‘ brüllte.

„… war es?“, fragte hide, jetzt mit einer seltsamen Mischung aus Misstrauen und Freude in Stimme und Mimik, als traue er dem Lob noch nicht so ganz.

Ja“, sagte Toshi.

„Uhm…“, machte hide. Ein dezenter Rotton überzog sein Gesicht. „… Danke?“ Er schaute nochmal unschlüssig vom einen zum anderen und setzte sich dann wieder auf seinen Stuhl, anscheinend in der Hoffnung, die merkwürdige Situation würde davon verschwinden. Es klappte nicht wirklich. Yoshiki reichte ihm den Teller mit den Daifuku und hide nahm die Gelegenheit wahr, sich dahinter zu verstecken. Doch seine Augen leuchteten.

„Also gut“, sagte Taiji und lehnte sich ein bisschen zurück. „Du hast bewiesen, dass du einen scheiße guten Gitarristen hast. Bleiben noch zwei große Klappen. Bitte.“ Er machte eine Handbewegung zum Schlagzeug. „Drei“, verbesserte Yoshiki. Er ließ sich auf den Schlagzeughocker fallen und gab sich ein paar Sekunden. Es war, wie er Toshi zu beschreiben versucht hatte: Da war eine Traurigkeit, irgendwo, und die eignete sich gut, um Klavier damit zu spielen und da war eine gewisse Wut. Trotz. Widerspenstigkeit. Und die brauchte er jetzt. Also dann.

Als er aufhörte, war ihm unendlich warm und seine Oberarme taten weh. Oh ja, so musste das sein. Geile Scheiße! Bujah!

„Das war energetisch!“, meinte hide und patschte zweimal die Hände zusammen wie ein erfreutes Kind. Für einen Gitarristen hatte er wirklich bemerkenswert kleine Hände, dachte Yoshiki noch, dann sagte Taiji gedehnt: „Aber dein Timing braucht Arbeit.“

Toshi fiel die Kinnlade runter. Yoshiki starrte Taiji an. Er wünschte, ihm würde irgendetwas Schlagfertiges zu sagen einfallen, doch in seinem Kopf wehte eine einsame Wüstenrose einmal von links nach rechts und das war alles. Die Uhr an der Wand tickte, während Toshi darauf wartete, dass sein bester Freund austickte. Yoshiki hatte bereits wegen kleinerer Dinge Einrichtungsgegenstände zerlegt und gerade war er unheilverkündend ruhig. hide schien die Spannung in der Luft zu spüren, denn er verlagerte unbehaglich sein Gewicht in seinem Sitz. Doch nichts passierte.

„Was? Noch nie Kritik bekommen?“, fragte der Bassist schließlich amüsiert. „Tz… Dann gewöhnst du dich besser dran.“

Yoshiki schwieg noch einige Sekunden, in denen sich langsam ein Grinsen auf Taijis Gesicht ausbreitete. Anscheinend wusste er ganz genau, was der Schlagzeuger dachte. Schließlich grinste Yoshiki zurück. Toshi war sich für seinen Teil allerdings nicht ganz sicher, ob es sich wirklich um ein Grinsen oder um ein Zähnefletschen aus der Steinzeit handelte. Er hielt die Luft an. „… es gibt so viele Orte, wo ich diesen Drumstick hinstecken könnte.“ Langsam atmete Toshi wieder aus. Entwarnung.

„Ich seh schon“, sagte Taiji weiterhin grinsend und griff nach der Cola, um sich einzuschenken. „Wir beide verstehen uns.“ Er prostete Yoshiki zu. Dieser spielte einen Tusch. Es war wohl seine Art ‘Haha, witzig, täteräterää‘ zu sagen.

„Gut“, riss hide das Zepter an sich, wohl um das Thema nachhaltig abzuhaken und eine neue, unbefleckte Seite aufzuschlagen. „Also dann - Toshi?“ Er schaute den Angesprochenen auffordernd an.

Dieser verspürte auf einmal das überwältigende Bedürfnis, schreiend davonzurennen und irgendwo in den Bergen in einem Loch ein Eremitendasein zu beginnen. Es war ihm immer schlimm genug vorgekommen, die Bühne hinter Yoshiki zu betreten. Aber die Bühne hinter Yoshiki und hide zu betreten, das konnte kein durchschnittliches Ego aushalten. Zum Glück hatte er Taiji noch nicht gehört, diesen Bassisten, für den Yoshiki bereit war, einen Wutanfall von der Größe eines Tsunami runterzuschlucken. Toshi nahm einen Schluck Wasser, während sich Yoshiki ans Klavier umsetzte. Sein Mund war immer noch trocken. Gerne hätte er etwas gesagt, irgendetwas, das verhindern würde, dass das hier passierte. Doch ihm fiel kein rationaler Grund ein, warum er genau jetzt auf keinen Fall singen konnte. Scheiße. Ob er die beiden bitten sollte, einfach mal kurz auf den Gang zu gehen und von dort zuzuhören? Es musste einfacher sein, wenn sie ihn nicht so erwartungsvoll anschauten. Oder vielleicht würde es ihm einfacher fallen, wenn er sich vorstellte, hide und Taiji wären nackt. Uuund Nein, das half überhaupt nicht!

„Ja“, setzte Yoshiki zu einer Erklärung für die anderen an. Es erreichte Toshi wie durch eine Schicht Watte. „Also das ist von mir. Uns. Aber es ist nicht fertig.“ Er spielte. Der Einsatz kam – und ging vorüber. Yoshiki runzelte die Stirn, fügte eine Wiederholung ein und der Einsatz kam – und ging vorüber. Er drehte im Spielen den Kopf zur Seite, um Toshi ansehen zu können. Dieser hatte zwar den Mund geöffnet, doch kein Laut kam heraus. Und der Einsatz kam – und ging vorüber. Toshi klappte den Mund zu und schüttelte leicht den Kopf. Yoshiki brach die Melodie auf der halben Note ab. „Ok“, sagte er und stand auf. „Wir haben technische Schwierigkeiten. Bitte bleiben Sie dran, das Programm geht gleich weiter.“

Er packte Toshi am Arm und schob ihn sanft aber bestimmt vor sich her, zur Tür hinaus und auf den Gang. Sie entfernten sich noch ein paar Schritte, dann ließ Yoshiki seinen Freund los. Obwohl hide drinnen anscheinend nun auch Taiji in eine Unterhaltung verwickelte und damit Ablenkung gegeben war, hob er seine Stimme zu kaum mehr als einem Flüstern. „Ok, sprich zu mir. Was ist los?“

Toshi hob die Hände zum Himmel und machte eine paar kleine, nervöse Schritte den Flur hinunter und wieder hinauf. „Das fragst du noch?“, wisperte er, als er wieder vor Yoshiki stand. „Ihr seid zu gut! Yoshiki, ich – ich kann das nicht!“

„Natürlich kannst du das! Ich hab’s doch schon oft gehört! Mach einfach genau dasselbe wie sonst auch und alles wird gut!“

„Ich kann nicht! Sie schauen mich an und ich bring kein Wort raus! Und das sind jetzt bloß zwei! Wie soll ich das machen, wenn da wirklich ein Publikum ist? Siehst du, das ist genau, wovor ich Angst hatte!“

„Dann mach die Augen zu!“, rief Yoshiki ein wenig lauter als beabsichtigt. Dann atmete er durch, lehnte einen Arm gegen die Wand und schaute Toshi an. Dieser betrachtete intensiv ein dunkelweißes Rechteck an der Tapete, das wie Yoshiki wusste dort entstanden war, wo lange Zeit das Hochzeitsfoto seiner Eltern gehangen hatte. Die letzten Jahre hatten nicht ausgereicht, um die Farbe dort der der restlichen Wand wieder anzugleichen. Er dachte darüber nach, was Toshi gesagt hatte … und was es wirklich bedeutete.

„Toshi“, sagte er schließlich. „Hör zu. Als ich sagte, dass ich will, dass du singst, da hab ich das nicht nur gemacht, weil ich deine Stimme mag. Ich will dich dabei haben. Wenn du das also heute nicht machen willst… dann machen wir es nicht. Dann machen wir es morgen oder nächste Woche oder nächstes Jahr. Wann immer du so weit bist. Das ist in Ordnung.“

Toshi warf Yoshiki einen schnellen Blick zu und schaute dann wieder auf das Rechteck. „Wärst du … nicht enttäuscht?“

„Doch“, antwortete Yoshiki. Es brachte nichts, an diesem Punkt zu lügen, sie wussten es beide besser. „Aber wir sind Freunde und Freundschaft hält ein bisschen Enttäuschung aus. Also, vielleicht nicht jede Freundschaft… aber unsere.“

Toshi schaute hoch, wirkte aber nicht überzeugt. „Glaubst du das wirklich?“

„Ja. Ich … tu mir nicht leicht damit, Vertrauen in Menschen zu stecken. Aber du bist mein ältester Freund. Du musst mir glauben, dass das was bedeutet. Solcher Kleinscheiß hier, der trennt uns nicht.“

Es dauerte ein paar Sekunden, dann lächelte Toshi leicht und ziemlich dankbar. „Ok.“

Yoshiki nickte ein paar Mal, zum Zeichen, dass er alles verstanden hatte, was gesagt und vor allem, was nicht gesagt worden war. „… Also: Soll ich sie wegschicken?“

Toshi biss sich auf die Unterlippe und trug innerhalb weniger Augenblicke einen epischen inneren Kampf aus. Es sind die Dinge, die man nicht getan hat, die man für immer bereut. „Nein“, sagte er schließlich. „Ich mach es. Es ist mir peinlich, jetzt mehr denn je, aber gut. Ich mach es.“

„Sicher?“

„Ja… ich hab heute die Haare schön und eine gute Haarfrisur hält ein bisschen Peinlichkeit aus. Also, nicht jede Frisur. Aber meine.“ Er grinste. Es geriet schief, aber Yoshiki beschloss, dass es reichen musste. Also lächelte er zuversichtlicher als er sich fühlte und drehte sich um, um in den Musikraum zurückzukehren. Immerhin hatte er Gäste… oder etwas Ähnliches.

Taiji hatte seinen Bass ausgepackt, sich richtig herum auf den Stuhl gesetzt und zupfte ein bisschen an den Saiten herum. Am Tisch nahm hide gerade ein weiteres Daifuku auseinander und hielt in der einen Hand Teig und Anko, in der anderen Anko und Erdbeere. Yoshiki ging zum Klavier zurück. „Werbepause vorbei?“, fragte Taiji. „Ja“, sagte Toshi und legte eine Hand aufs Klavier. hide zwinkerte ihm aufmunternd zu und steckte sich die Erdbeere in den Mund. Toshi schloss die Augen und wusste trotzdem, dass Yoshiki ihn ansah. Er nickte unmerklich. Das Holz unter seinen Fingern vibrierte leicht im Einklang mit der Melodie. Ok. Er liebte das Singen. Er konnte das, ja, das konnte er. …Veeeermutlich. Und einatmen. Und ausatmen. Und einatmen. Und los.

„I’m walking in the rain

yuku ate mo naku

kizutsuita karada nurashi

karamitsuku koori no zawameki

koroshi tsuzukete

samayou itsu made mo

until I can forget your love…”

Als er geendet hatte, hatte Toshi einen Blackout. Er hätte die letzten zwei Minuten auch La Paloma singen können. Keine Ahnung! Seine Hände zitterten ein wenig, als er die Wasserflasche aufschraubte. Er hatte keinen Durst, aber es war besser, als irgendwen anzusehen. „Das war sehr schön“, drang hides Stimme natürlich trotzdem an seine Ohren, weil Trinken dagegen nun mal nicht half. Toshi wurde viel zu heiß für diese Jahreszeit. Er musste rot sein wie ein Briefkasten. Trotzdem wandte er sich in die Richtung ihres neuen Gitarristen. „Danke.“ „Naja”, sagte Taiji. „Du brauchst noch ein bisschen Übung. Aber generell ist deine Stimme gut.” Er wurde sich Yoshikis bösem Blick aus dem Hintergrund bewusst. „Was? Das war ein Kompliment!“ Taiji schüttelte ungläubig den Kopf. „Echt mal, seid Ihr zwei ein altes Ehepaar oder was?“ Yoshiki verdrehte die Augen und beschloss, das jetzt nicht auch noch mit einer Antwort zu würdigen. Hinter ihm prustete hide verhalten in die Hülle seines Daifuku und seine Schultern zuckten verräterisch, und seltsamerweise besänftige Yoshiki das ein wenig. Statt ihm in den Hintern zu treten sagte er also: „Also los, Taiji. Ich glaube, wir haben noch nichts von dir gehört.“

„Das stimmt“, sagte Taiji und stand auf. „Ihr habt ja sowas von noch nichts gehört.“

 
 

-X-

 

Die nächsten Stunden gingen wie im Flug vorbei. Sie legten eine Jamsession ein, Yoshiki zeigte ihnen ein paar der Dinge, die er geschrieben hatte und hide spielte das Saxophon an, für das er, wie ziemlich schnell klar wurde, so überhaupt kein Talent hatte. Toshi begleitete ihn auf der Triangel.

„Ich glaub, wir müssen langsam aufhören“, sagte Yoshiki schließlich.

„Hmmh?“, machte hide, der glücklicherweise wieder an der Gitarre saß, und nahm das Plektrum aus dem Mund. „Aber es ist doch noch früh!“

„Es ist dreiviertel Neun“, sagte Yoshiki und deutete auf die Uhr an der Wand hinter hide.

„Was?“ Er drehte sich um. „Krass. Ich hatte so viel Spaß, ich hab das gar nicht gemerkt.“

“Nun, das will ich hoffen“, sagte Yoshiki. „Weil dich geb ich garantiert nicht wieder her.“

hide grinste und spielte ein paar einzelne, aufsteigende Noten.

“Gut”, fuhr Yoshiki fort. “Organisatorisches. Wollen wir das mal versuchen zusammen, ja oder nein?“

„Ja“, sagte Toshi.

„Von mir aus“, meinte Taiji gedehnt.

„Und ich hab ja anscheinend keine Wahl mehr“, schmunzelte hide.

„Dann stelle ich hiermit die große Frage: Raum. Wir müssen irgendwo proben.“

„Was ist falsch mit hier?“, fragte hide.

Yoshiki schüttelte den Kopf. „Ein oder zwei Mal können wir das machen, aber dann bringen die Nachbarn mich um. Sie sind so schon bemerkenswert nachsichtig. Taiji?“

„Nah“, machte dieser und schenkte sich Cola nach. „Gleiches Problem ein paar Minuten weiter, was hast du erwartet?“ Er drehte sich gleichzeitig mit hide zu Toshi. Dieser schüttelte ebenfalls den Kopf. „Wir haben nur eine Wohnung. Ich bin mir sicher, die Nachbarn hören mich sogar singen.“ hide nickte zustimmend. Yoshiki seufzte. „Also gut. Dann schau ich mich mal um. Wie viel Geld seid ihr willens und in der Lage im Monat da reinzustecken? Toshi?“ „Weiß nicht. Fünf-, Sechstausend?“ Yoshiki schaute weiter zu Taiji. Dieser nahm einen Schluck braunes Gesöff und dachte nach. „Zehntausend“, sagte er schließlich. „hide?“ „Uhm…“ hide zog eine Schnute und schaute auf das Griffbrett und seine Finger darauf, „ich muss mal durchrechnen… kann ich dir das morgen sagen?“ Yoshiki nickte. Wenn hide ungefähr bei Toshi rauskam, hatte er insgesamt also etwa dreißigtausend Yen im Monat. Das konnte reichen, wenn sie nicht gleich nach den Sternen griffen.

„Wie heißen wir eigentlich?“, fragte hide. „Ist das wichtig?“, fragte Toshi zurück. „Nunja, Nein. Erstmal nicht. Aber irgendwann können wir uns nicht mehr ‘Die Band‘ nennen“, sagte hide und erhob sich, um zusammenzupacken. „Ich wollte den Denkprozess nur frühzeitig mal anstoßen.“ „Dann denken wir drüber nach“, sagte Yoshiki. „Ich hab da ein paar Ideen“, sagte Taiji, der gerade seinen Bass in die Tasche legte. „Ja, und genau davor hatte ich Angst.“ Taiji zog den Reißverschluss zu und schnitt ihm eine Grimasse. „Ja, und Gesichter kannst du den ganzen Weg nach Hause ziehen, weil hier drin will ich das nicht haben, klar?“ Der Bassist salutierte äußerst ironisch, sagte aber nichts weiter und Yoshiki wertete es als Fortschritt. Sie harmonierten gut musikalisch… vielleicht konnte er das menschliche also mittelfristig zumindest auf ein Niveau bringen, das aushaltbar war.

Einige Minuten später standen sie im Flur, wo hide und Taiji in ihre Schuhe schlüpften. Yoshiki erwiderte Toshis fragenden Blick mit einem dezenten Kopfschütteln. hide kam wieder nach oben und zog sich zum Abschluss eine Kapuzenjacke über. „Du meldest dich?“, fragte er in Richtung Yoshiki, als er wieder aus dem Kleidungsstück aufgetaucht war, und dann in Toshis: „Oder du?“ „Ja“, sagten beide gleichzeitig. „Guti. Dann Dankeschön für Speis und Trank und einen schönen Abend noch.“ hide hüpfte zur Tür hinaus und Taiji glitt mit einem „Man sieht sich“ und einem laschen Winken über die Schulter hinterher. „Kommt gut nach Hause“, sagte Toshi. „Bis bald“, sagte Yoshiki.

Er schloss die Haustür. Toshi und er schauten sich an und warteten in stillschweigender Übereinkunft genau zehn Sekunden, in denen sich Schritte und Stimmen auf der anderen Seite langsam entfernten. Dann fiel Yoshiki seinem Freund um den Hals. Ein Mississippi, zwei Mississippi, drei Mississippi! Er drückte Toshi wieder von sich weg, hielt ihn aber auf beiden Seiten der Oberarme fest. „Oh mein Gott! Toshi! Wie hast du das gemacht? Ich könnte dich küssen!“

„Ich könnte dich auch küssen“, sagte Toshi, ein bisschen benommen. Vielleicht fühlte sich glücklich sein im Endstadium so an – das, oder ein Hirntumor. „Aber ich glaube, das ist nur die emotionale Überforderung und wir sollten das lieber nicht machen. Unsere Beziehung ist nicht reif dafür.“

Yoshiki schaute ein paar Sekunden lang verwirrt, als müsse er die Worte verarbeiten, dann fing er unvermittelt an, wiehernd zu lachen. Toshi konnte nicht anders als mitzulachen und es dauerte bestimmt eine Minute, bis sie sich wieder beruhigt hatten.

„Worüber lachen wir?“, fragte Toshi schließlich.

„Keine Ahnung“, keuchte Yoshiki und hielt sich die zwickenden Seiten. Seine Augen tränten.

„Aber oh-mein-Gott. hide. Hast du Taijis Gesicht gesehen?“

„Ich hab in erster Linie dein Gesicht gesehen“, sagte Toshi und musste schon wieder kichern. Yoshiki schlug ihm gegen den Oberarm. Toshi wich mit einer fließenden Bewegung aus. Er fühlte sich seltsam lebendig. „Ich hatte bei ihm ein gutes Gefühl“, sagte er.

„Ja“, stimmte Yoshiki mit ganzem Herzen zu. „Ich hab auch ein gutes Gefühl.“

„Aber dein Basser ist schon ein Kaliber für sich. Kommst du wirklich mit dem aus?“

Yoshiki zuckte mit den Schultern und nickte gleichzeitig, was aussah, als habe er Zuckungen. „Bwooab. Weiß nicht. Ja. Ich reiß mich zusammen. Vielleicht ist es ganz… gut… mal jemanden zu haben der… kritisch ist.“

Toshi betrachtete ihn skeptisch. „Ich dachte ein paar Mal, gleich flösse Blut.“

„Ja, er ist ein Arsch, aber hast du mal gesehen, wie er den Bass hält?“ Erregt fuchtelte Yoshiki vor Toshis Gesicht herum. „Es ist, als wäre er mit dem Ding in der Hand auf die Welt gekommen, dieser grandiose verfickte Hurensohn!“

„Yoshiki, Schatz!“

Yoshiki fuhr herum. Hinter ihm im Flur stand seine Mutter und sah ihn mit der mütterlich patentierten Entrüstung an. Toshi machte einen unauffälligen Schritt zur Seite, um sich aus der Affäre zu ziehen. Der angesprochene Sohn des Hauses räusperte sich, fuhr sich einmal durch die Haare, schaute zerknirscht auf seine Füße und dann wieder zu der kleinen zierlichen Frau in der blauen Schürze.

„… ich wusste nicht, dass du schon wieder zuhause bist.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Gnah. Das war lang.
An dieser Stelle fühle ich mich verpflichtet zu sagen, dass ich Taiji immer wahnsinnig mochte und ihn nur der Dramaturgie halber so darstelle, wie ich es tue. RIP. (… Aber um ehrlich zu sein find ich ihn auch so immer noch scheiße cool. xD)
Das nächste Kapitel dauert ein wenig, weil ich mir noch klar werden muss, wann und wie Pata einfließt. Hach, mein Lieblingspata…
Bis dahin, keep rocking. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  SamAngel
2017-03-19T23:06:09+00:00 20.03.2017 00:06
Boaaaahhhh *immernoch vorsichhingrinsen tut* Das ist ja mal richtig geil.

"Ah, Nein, falsch. Ääähm…“ hide zog die Stirn kraus und griff probeweise ein paar Mal um. <--- Ein Hide, der den falschen Ton trifft..is mal was anderes und laesst ihn menschlich erscheinen. Ich mag das.

Und dann spielte er.
Es konnten zwei Minuten oder zwei Stunden gewesen sein – keiner von ihnen hätte es danach noch sagen können. Doch irgendwann war es vorbei.
Yoshiki starrte hide an.
Toshi starrte hide an.
Taiji starrte hide an.
Niemand sagte ein Wort. <----Das waere dann ich, als ich ihn das erste Mal spielen han hören. Und mir läuft es heute noch eiskalt den Ruecken runter, wenn ich daran denk..das werd ich nie vergessen. *reusper und sich zusammen reißt*

„Das war energetisch!“, meinte hide und patschte zweimal die Hände zusammen wie ein erfreutes Kind. Für einen Gitarristen hatte er wirklich bemerkenswert kleine Hände, dachte Yoshiki noch, dann sagte Taiji gedehnt: „Aber dein Timing braucht Arbeit.“ <---Hahahaha Da hab ich mich weggeschmissen vor Lachen..das war klasse. So stell ich mir Taiji vor..so geil.


Oder vielleicht würde es ihm einfacher fallen, wenn er sich vorstellte, hide und Taiji wären nackt. Uuund Nein, das half überhaupt nicht! <----Armer Tosh *in den Arm nehm und knuddeln tut..alles wird gut* Ich bezweifle, daß das hilft LOL

Er spielte. Der Einsatz kam – und ging vorüber. Yoshiki runzelte die Stirn, fügte eine Wiederholung ein und der Einsatz kam – und ging vorüber. Er drehte im Spielen den Kopf zur Seite, um Toshi ansehen zu können. Dieser hatte zwar den Mund geöffnet, doch kein Laut kam heraus. Und der Einsatz kam – und ging vorüber. Toshi klappte den Mund zu und schüttelte leicht den Kopf. <---Das ist soooooo suess..Tosh hat Lampenfieber.


„Ok“, sagte er und stand auf. „Wir haben technische Schwierigkeiten. Bitte bleiben Sie dran, das Programm geht gleich weiter.“ <---Ich lieg immernoch vor Lachen aufm Boden *prust*

Und einatmen. Und ausatmen. Und einatmen. Und los.
„I’m walking in the rain
yuku ate mo naku
kizutsuita karada nurashi
karamitsuku koori no zawameki
koroshi tsuzukete
samayou itsu made mo
until I can forget your love…” <---*Taschtuecher rauskrammt* Ich war aufm Wembley 2017 Konzert dabei *ich will nochmal*


Ich freu mich schon aufs nächste Kapitel, wenn Pata dazu kommt.

Mach weiter so..ich hab die erste Version schon geliebt, aber diese hier ist eindeutig tiefgreifender.

LG,
Sam

Von:  NatsUruha
2017-03-19T13:23:48+00:00 19.03.2017 14:23
Hach ich... ich liebe die FF... ich fand die andere Version schon toll... ♡ aber die hier ist anders Besser. ♡(Was jetzt nicht heißt die andere sei schlecht... um gottes willen nein)

Ich freu mich auch schon drauf wenn Pata dazu kommt... ♡

Lg Hide_sama °~°


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