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Der Drache und die Nacht

OneShots
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
So... Unerwartet schnell fertig. Allerdings ist das auch nicht die Idee, die ich hatte, als ich mir den Prompt ausgesucht habe. XD" Egal, diese Idee war einfach da und wollte unbedingt niedergeschrieben werden. Sie hat derweil auch noch Eigenleben entwickelt und das Ganze ist in eine Richtung gewandert, die ich nicht erwartet habe, aber tatsächlich bin ich ziemlich zufrieden mit dem Ergebnis.

Enjoy. :) Komplett anzeigen

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[Februar | Unwetter] Nighttime Dialogue

Der Regen prasselte so laut gegen die Fensterscheiben, dass er selbst das Radio übertönte, das hinter der Bar leise vor sich hin dudelte. Darunter war gut das Heulen des Sturms zu hören, der um die Häuser pfiff, an den Bäumen riss und immer wieder schwere Gegenstände durch die Straßen schleuderte. Das laute Krachen, das letzteres stets begleitete, ließ Juvia jedes Mal zusammenzuckten.
 

Ansonsten war es still und wann immer sie einen Blick aus den Fenstern warf, offenbarten sich ihr nur menschenleere Straßen. Doch das war kein Wunder bei dem Wetter und der Uhrzeit. Wer jetzt freiwillig noch vor die Tür trat, war verrückt oder verzweifelt.
 

Sie zog fröstelnd die Schultern hoch und war froh, nicht mehr hinaus zu müssen. Es hatte doch etwas für sich, direkt über dem Arbeitsplatz zu wohnen, und sie dankte ihrer Chefin im Stillen dafür.
 

Nach einem letzten, prüfenden Rundumblick durch den edel-gemütlichen Barraum mit seinen Holzvertäfelungen, den eingerahmten, alten Showpostern an den Wänden und der zusammengewürfelten Ansammlung an Möbeln kippte sie ihr Putzwasser in den Abfluss und wischte kurz das Becken sauber. Zufrieden sah sie sich in dem hell beleuchteten Raum um; alles war aufgeräumt und ordentlich, die wenigen Spuren des Abends beseitigt.
 

Auf einer kleinen Bühne im hinteren Teil standen einige Instrumente; eine freie Fläche davor war für Tanzende vorbehalten worden und direkt daneben führte eine unauffällige Tür, halb verborgen hinter den schweren Samtvorhängen, in die Hinterzimmer. Die hohe Bar bestand aus edlem, rötlichem Holz und an der Backsteinmauer hinter Juvia hingen schmiedeeiserne Regale, in denen Seite an Seite eine ganze Armada von Flaschen stand.
 

Auf den ersten Blick wirkte die Bar düster, vor allem, wenn das Licht stimmungsvoll gedimmt war, und ein bisschen eng. Trotzdem war sie einladend und gefällig, sie hatte ihre eigene einnehmende, ja verführerische Atmosphäre. Juvia fühlte sich immer ein wenig an das Film Noir-Genre erinnert, was ihr romantisch und aufregend vorkam, auch wenn sie nur die Barkeeperin war.
 

Ein letztes Mal wischte sie über die bereits blitzblanke Oberfläche des Tresens, ehe sie den Lappen in die Spüle warf und den Eimer darunter in den Schrank räumte. Ein Blick auf die große, mechanische Uhr hinter der Bühne, deren Mechanik freilag, zeigte, dass es bereits kurz nach vier war. Zeit, endlich Schluss zu machen.
 

Tatsächlich war die Bar regulär schon seit zwei Stunden geschlossen und heute hatte sie sogar noch früher dicht gemacht. Nachdem am Abend sowieso tote Hose geherrscht hatte und nur eine Handvoll Gäste hereingetröpfelt war, hatte Juvia erst ihre Helfer und dann die Musiker schon lange vor der offiziell letzten Runde nach Hause geschickt.
 

Sie hatte lange genug Erfahrung im Geschäft um zu wissen, dass der weitere Andrang nicht groß sein würde – tatsächlich war danach nur noch eine einsame Gestalt hereingewandert, aber wieder verschwunden. Bei diesem Wetter zogen selbst die feierlustigsten Leute es vor, Zuhause zu blieben.
 

Vielleicht mochte in den großen Clubs in der Innenstadt mehr Betrieb herrschen, selbst jetzt noch, aber das Alegria Soul war eher ein Geheimtipp. Sie konnten sich nicht über zu wenig Kundschaft beklagen, an nicht wenigen Abenden war teilweise sogar jeder Platz besetzt, doch sie waren keiner der Schuppen, die gerade absolut in waren.
 

Nachdem sie das Radio ausgeschaltet hatte, ging Juvia zum Klavier hinüber, dessen Klappe noch offenstand. Vorhin hatte sie damit eine Weile den stetigen Regen aus ihren Gedanken verdrängt und als sie jetzt mit einem feinen Lächeln erneut ein paar Tasten anschlug, war es ihr beinahe, als würde sie im Rhythmus mit den Tropfen spielen, die gegen die Scheibe schlugen.
 

Erneut ließ sie sich auf den Hocker hinter dem Flügel gleiten, ein altes, aber wunderschönes Piano, das hervorragend in Schuss gehalten wurde. Eine Weile ließ sie selbstvergessen die Finger über die Tasten gleiten, bis plötzliche Helligkeit und rollender Donner sie zusammenzucken ließ.
 

Die Lampen über ihr knisterten und flackerten nervös und Juvia starrte mit aufgerissenem Mund nach oben. Der Regen entwickelte sich zu einem richtigen Gewitter. Auch das noch! Hastig sprang sie auf und schloss die Klappe des Pianos, ehe sie einen besorgten Blick aus dem Fenster warf. Sie konnte kaum die Tropfen sehen, die gegen die Scheibe trommelten, geschweige denn irgendetwas in der Schwärze dahinter.
 

Fröstelnd zog sie die Schultern zusammen, plötzlich war ihr unwohl zumute. Sie wusste, dass es nur ihre Einbildung war, aber davon hatte sie seit jeher genug gehabt. Trotzdem war es Zeit, sich jetzt zurückzuziehen. Oben in ihrer kleinen, gemütlichen Wohnung würde die Welt anders aussehen.
 

Rasch trat sie zu den Schaltern, die neben der unauffälligen Tür in die Wand eingelassen waren, um alle Lichter zu löschen bis auf die gläsernen Lampen, die über der Bar in einer Reihe hingen. Die würden ihr reichen, die letzten Handgriffe zu tun.
 

Mit hastigen Schritten eilte Juvia noch einmal zur Eingangstür, um zu überprüfen, ob sie geschlossen war. Hinten raus hatte sie das bereits erledigt, als sie den Müll hinausgebracht hatte, und auch diese war bereits verschlossen, wie sie gleich darauf feststellte. Sie drehte den Schlüssel noch einmal um und zog ihn dann ab.
 

Durch das Fenster drang undeutlich der ferne Lichtschimmer der Straßenlaternen herein, die die Bordsteine säumten, auch sie matt bei dem Unwetter, das draußen herrschte. Erneut zuckte ein Blitz über den Himmel, Donner zerriss die Stille und Juvia riss erschrocken die Augen auf, einen leisen Schrei ausstoßend.
 

Draußen hatte sich für den Bruchteil einer Sekunde die deutliche Silhouette eines hünenhaften Mannes abgezeichnet.
 

Für einen Moment überschlugen sich ihre Gedanken. Wer war das, was wollte er, was war das…? Ihr Herz schlug doppelt so schnell wie vorher und für einen Moment übertönte ihr gehetzter Atem selbst das Geräusch des Regens. Am liebsten wäre sie davongelaufen, einfach hinauf in ihre Wohnung, ihr sicheres Reich.
 

Dann schalt sie sich energisch. Sie machte sich hier selbst zur Närrin…! Es war ziemlich schwer, in das Alegria Soul einzubrechen und viel zu holen gab es hier eh nicht. Außerdem war sie nicht so wehrlos, wie sie aussah.
 

Dort draußen stand nur eine arme Sau, die versuchte, das kleine Vordach als Schutz vor dem Regen zu benutzen, als würde der Wind ihn nicht in alle Richtungen treiben. Die Schultern straffend überlegte sie, ob es sich lohnte die Person zu fragen, ob sie ihr nicht ein Taxi rufen sollte, aber dann schüttelte sie den Kopf. Vermutlich war der Fremde bereits weg, weitergeeilt durch den Regen und den Wind, in der Hoffnung auf sein gemütliches Zuhause, vielleicht ein warmes Bad und ein Bett…
 

Ein weiterer Blitz tauchte die Welt für einen Moment in scharfe Helligkeit und noch immer war die Person draußen vor der Tür, den Rücken zur Bar gekehrt. Doch diesmal war sie nicht überrascht, dass dort jemand war, und konnte mehr Details aufnehmen. Die defensive Haltung, die vertraute Linie der Schultern, das markante Profil…
 

Sie kannte diesen Mann dort draußen.
 

Verwirrt hielt sie mitten in der Bewegung inne. Das machte keinen Sinn! Was tat er hier? Er war Stammgast hier, er wusste ganz genau, dass die Bar um diese Uhrzeit eigentlich geschlossen war und selbst Juvia meistens schon ins Bett gekrochen war. Eigentlich wusste er noch nicht einmal, dass sie in eines der Apartments im oberen Stockwerk gezogen war. Es gab einfach keinen Grund für ihn, jetzt hier zu sein.
 

Zögerlich schob sie den Schlüssel erneut in das Schloss und drehte ihn in die andere Richtung herum, um sie zu öffnen. Sofort schlug ihr Regen ins Gesicht, eiskalt und hart, geradezu schmerzhaft. Gemeinsam mit dem scharfen Wind brachte er Juvia dazu, die Arme um sich zu schlingen und jeden zu bedauern, der sich jetzt noch draußen aufhalten musste.
 

Der Mann stand nur wenige Schritte von ihr entfernt, die Schultern hochgezogen und die Hände in den Hosentaschen seiner Jeans vergraben, die ihm klatschnass an den muskulösen Beinen klebte. Er war sehr viel größer als sie und selbst in dieser in sich gekehrten, niedergeschlagenen Haltung und bei dem wenigen Licht eine beeindruckende, massive Gestalt. Sein langes Haar klebte ihm im Gesicht und unter dem einfachen T-Shirt zeichneten sich deutlich seine Muskeln ab, als wäre es nur aufgemalt.
 

Sie war regelrecht erschrocken über den Anblick und gleichzeitig spürte sie die Sorge aufsteigen. Wie lange stand er schon dort draußen?! Wenn er so weitermachte, würde ihn selbst seine besondere Natur nicht davor bewahren, ernsthaft krank zu werden!
 

„Wenn Juvia dich reinlässt, bringst du sie dann um?“, fragte sie durch den Spalt der offenen Tür, laut genug, damit er sie verstehen konnte. Ihr leichter Tonfall zeigte, dass sie die Worte nicht ernst meinte. Tatsächlich waren sie ein Echo aus der Vergangenheit, eines, das sie Mal um Mal wiederholte und ihm stets ein kleines Grinsen damit entlockte.
 

Doch jetzt wandte er sich ihr nur zu, just in dem Augenblick, in dem ein weitere Blitz den Himmel zerriss, so dass sie ihn gut sehen konnte. Seine Züge waren verschlossen, geradezu steinern, und in seinen Augen flackerte etwas. Dann war der Moment vorbei und die Dunkelheit umfing sie wieder.
 

„Du musst es wohl drauf ankommen lassen.“, war seine Antwort, die Worte vertraut, doch seine Stimme war rauer als sonst und ebenso emotionslos wie sein Gesicht.
 

Besorgt runzelte Juvia die Stirn und öffnete die Tür einladend weiter, so dass er an ihr vorbeigehen konnte. Er tat es, aber erst nach einem sichtbaren Zögern, das ihm so gar nicht ähnlich sah.
 

Rasch zog sie hinter ihm die Tür wieder zu und drehte den Schlüssel dreimal um, während sie ihn von oben bis unten musterte. Wasser lief aus seiner völlig durchnässten Kleidung und seiner schwarzen Mähne, die ihm bis zu den schmalen Hüften hing. Seine Stiefel quietschten bei jedem Schritt und noch mehr Wasser quoll daraus hervor.
 

Er schien das nicht einmal zu bemerken, auch wenn ihm fürchterlich kalt sein musste. Noch dazu waren nasse Kleider sehr unbequem, wie sie aus eigener Erfahrung wusste. Doch er tat, als wäre alles normal, steuerte auf direktem Wege die Bar an, um sich auf einen der hohen Hocker davor gleiten zu lassen.
 

Missbilligend folgte Juvia der Spur aus nassen Flecken auf den hölzernen Bohlen, doch sie sagte nichts, sondern trat nur hinter die Theke. „Whisky, pur.“, verlangte er und schlug mit der flachen Hand auf den Tresen, als wäre er zu regulären Öffnungszeiten hier und nicht mitten in der Nacht, wenn normale Menschen in ihren Betten lagen und schliefen.
 

Sie zögerte einen Moment, dann stellte sie ein Glas vor ihn und zog eine der weniger benutzten Flaschen aus einem der Schränke unter der Theke hervor, um ihm einen Daumenbreit einzuschenken. Nach einem Blick auf sein finsteres Gesicht verdoppelte sie die Portion und schob es ihm hin.
 

Er stierte einen Moment darauf, als hätte er vergessen, was man damit tat, während Wasser aus seinen Haaren auf die Baroberfläche tropfte. Sein Gesicht war hart und kantig, doch auf eine raue Art dennoch sehr gutaussehend war. Die Piercings in seinen Brauen, seiner Nase und den Ohren trugen nur noch zu diesem Eindruck bei.
 

Gerade, als sie etwas sagen wollte, nahm er das Glas auf und kippte den Inhalt in einem Zug hinunter. Der Alkohol musste in seiner Kehle brennen, doch er verzog nicht einmal das Gesicht. Mit einem Knall stellte er das Gefäß wieder vor sie auf die Bar und nach kurzem Zögern und einer ungeduldigen Geste seinerseits füllte sie es wieder auf.
 

„Das ist zum Genießen da.“, stellte sie klar. „Wenn du das weiter so runterkippst, holt Juvia den billigen Fusel.“
 

„Jaja, mach mich nicht an, Weib.“, raunzte er zurück, doch er nahm ihre Drohung ernst und nippte diesmal nur an der goldenen Flüssigkeit.
 

„Juvia versucht nur, Gajeel beizubringen, die schönen Dinge im Leben zu schätzen.“, belehrte sie ihn und er stieß ein Schnauben aus, das zumindest belustigt klingen sollte. Nach was es tatsächlich klang, konnte sie nicht bestimmen.
 

Er zuckte nicht einmal mit der Wimper über ihre fremdartige Sprechweise wie alle anderen, hatte er nie getan, nicht einmal zu Beginn. Er hatte sie immer so akzeptiert, wie sie war, mit all ihren Makeln und Unzulänglichkeiten. Manchmal fühlte sie sich, als könnte sie nur bei ihm wirklich sie selbst sein, auch wenn sie hier in Magnolia doch die Familie gefunden hatte, nach der sie sich immer gesehnt hatte.
 

Aber er hatte sie niemals in Frage gestellt. Manch einer würde argumentieren, dies war, weil er sich nicht genug für sie interessierte, aber sie wusste es besser. Er war nur … ein sehr verschossener, komplizierter Mann, der sich lieber die Arme abhacken würde, als zuzugeben, dass ihm jemand etwas bedeutete.
 

Und in der Lage, in der er steckte, war das vielleicht keine schlechte Eigenschaft… Missbilligend runzelte sie die Stirn, als sie daran dachte. Eigentlich redeten sie nie über dieses Thema, da es doch zu nichts führen würde außer zu Streit, aber er wirkte so aufgewühlt, dass es nur damit zusammenhängen konnte. Sollte sie es doch wagen zu fragen?
 

„Ich dachte, das hier ist eine Jazzbar!“, raunzte er plötzlich los und sah sich demonstrativ um. „Wo ist die Musik?! Was ein Saftladen hier! Muss ich mich selbst darum kümmern?!“
 

Juvia zuckte zusammen. So gern sie ihn auch hatte, wenn er sang, klang er wie eine Katze, der man gerade den Hals umdrehte, während jemand mit Nägeln über eine Tafel kratzte. „Wenn Gajeel das tut, wirft Juvia ihn wieder hinaus.“, warnte sie ihn und ging zu dem Radio hinüber, um es wieder anzuschalten.
 

Er wandte sich widerspruchslos seinem Glas zu und leerte es erneut, wenn auch langsam genug, dass sie nicht protestierte. „Mehr.“, verlangte er und Juvia warf ihm einen prüfenden Blick zu. Sie wusste, dass er viel vertrug, mehr noch als ein normaler Mensch, aber drei Gläser Whisky so schnell hintereinander war doch etwas viel, selbst für ihn. Trotzdem kam sie der Aufforderung nach einem Moment schweigend nach und reichte ihm dann das Glas.
 

Doch als er es an sich nehmen wollte, hielt sie es weiterhin fest. „Will Gajeel darüber reden?“, wollte sie wissen und er warf ihr einen so scharfen Blick zu, dass sie beinahe zurückgewichen wäre. Doch sie hielt ihm stand, was seine Miene nur noch finsterer werden ließ.
 

„Nein.“, raunzte er dann und riss an dem Glas, so dass es aus ihren Fingern glitt und die kostbare Flüssigkeit über den Rand schwappte.
 

„Du solltest nicht immer so grob sein.“, belehrte sie ihn. „Ein einfaches ‚Bitte‘ würde auch genügen.“ Sie leckte sich die Tropfen von den Fingern, Bewegungen, die seine rubinroten Augen mitverfolgten. Bildete sie sich das nur ein oder glomm ein Funke tief in ihnen? „Wenn Gajeel nicht reden will, warum ist er dann hierhergekommen?“
 

Er zuckte mit den Schultern und nahm einen Schluck, während er vom Hocker rutschte und sich wegdrehte, um sich lässig an die Bar zu lehnen. Sie konnte sehen, wie eines seiner Beine unruhig zuckte. „Halt so.“, war die knappe Antwort und offensichtlich musste er sich Mut antrinken, denn ehe er fortfuhr, leerte er sein Glas erneut.
 

Sie beschäftigte sich inzwischen damit, die bereits blitzblanke Bar erneut abzuwischen. Die Flasche stellte sie demonstrativ auf eine Serviette; ihr war klar, dass er noch nicht fertig war. Sie hoffte nur, dass er irgendwann während der Nacht die Zähne auseinanderkriegen würde, um sich von der Seele zu reden, was ihn offensichtlich so bedrückte. Aber sie kannte ihn besser.
 

„Ich kann jetzt nicht alleine sein.“ Seine Stimme war so leise, dass sie beinahe in der Musik unterging, und sie blickte überrascht auf.
 

„Ga-Gajeel?“ Es sah ihm gar nicht ähnlich, solche Zugeständnisse zu machen.
 

„Ich will nicht darüber reden, okay! Ich will nur einen kippen.”
 

Sie blinzelte überrascht, konnte aber das kleine Lächeln nicht unterdrücken. Dass er in dieser Situation, wie auch immer diese aussah, zu ihr gekommen war, sprach Bände. Doch da er ihr noch immer den Rücken zugewandt hatte, konnte er es nicht sehen. Ihren Gesichtsausdruck wieder unter Kontrolle bringend, legte sie ihr Handtuch weg, holte ein zweites Glas aus dem Regal und griff erneut nach der Flasche. „Dann solltest du nicht alleine trinken.“
 

Überrascht blickte er sie an, wohl wissend, dass sie Alkohol verabscheute – eine Ironie, wenn man bedachte, dass sie als Barkeeperin arbeitete und wie gut sie in ihrem Job war. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet dieses Hobby ihres Ex ihr jetzt so viel half? Ohne ihn hätte sie nie diesen Job bekommen.
 

Um Gajeel nicht ansehen zu müssen, konzentrierte sie sich darauf, ihr Glas zu füllen. Wie beiläufig fragte sie: „Ist etwas mit deinen Geschwistern passiert?“
 

Für einen Moment blieb es still, dann stellte er sein Glas etwas zu heftig ab. „Nein! Und ich sagte doch, ich will nicht darüber reden!“ Seine Stimme sackte während des Satzes zu einem gefährlichen Knurren ab, was Juvia erschrocken aufblicken ließ. Er fixierte sie aus verengten Augen, die leicht in dem Zwielicht leuchteten, das in der Bar herrschte, wie rote Glut. Seine Kiefer waren derartig fest aufeinandergepresst, dass die Muskeln deutlich hervortraten, und seine Finger ballten sich zu Fäusten, die Arme so angespannt, dass sie zitterten.
 

„Sch-schau Juvia nicht so an.“, verlangte sie und ihre Stimme schwankte. Tief im Inneren wusste sie, dass er ihr niemals etwas antun würde, doch manchmal wirkte er so bedrohlich, dass er selbst in ihr Urängste wachrief.
 

„Dann hör auf, so blöde Fragen zu stellen!“, fauchte er und sie zuckte zusammen.
 

„Juvia wird nichts mehr sagen.“, antwortete sie nach einem Moment, in dem sie sich sammeln konnte. „Sie macht sich nur Sorgen um dich!“
 

„Die kannst du dir in den Arsch schieben!“
 

Juvia kniff die Lippen zusammen und schwieg. Er war in einer seiner Launen; in dem Zustand konnte man nicht mit ihm reden. Stattdessen griff sie nach ihrem Glas und leerte es. Der Alkohol brannte in ihrer Kehle, aber sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, damit umzugehen.
 

Mit einem Knall stellte sie das Glas auf den Tresen zurück und funkelte Gajeel einen Moment lang an. Dann griff sie erneut nach der Flasche und füllte ihre Tumbler wieder. Sie hatte gesagt, sie würde nicht mehr über das Thema sprechen, also hielt sie den Mund, auch wenn sie eigentlich noch viel zu sagen hatte.
 

Am nächsten Glas nippte sie nur, während sie auf dem Tresen lehnte und an ihm vorbei zu den Fenstern starrte. Stille senkte sich über sie, so dass sie sich der Geräusche des Regens, der nicht nachgelassen hatte, plötzlich wieder voll bewusst war. Das Gedudel des Radios ging beinahe darin unter und wann immer ein Blitz über den Himmel zuckte und der Donner rollte, konnte sie nichts anderes vernehmen als das himmlische Getöse.
 

Neben ihr leerte Gajeel erst ein, dann zwei und schließlich drei Gläser und griff immer wieder nach der Flasche. Zum Glück verhinderte sein rascher Stoffwechsel, dass er so schnell betrunken wurde wie ein normaler Mensch, doch langsam musste die Auswirkungen des Hochprozentigen trotzdem spüren.
 

Langsam verschwand die gereizte Stimmung und machte etwas ruhigerem, kameradschaftlicherem Platz. Die Anspannung wich aus ihrem Körper, als sie sich wieder daran erinnerte, warum sie sich in seiner Gegenwart wohl und behütet fühlte, obwohl sie sich eigentlich weder lang noch gut kannten. In seiner Gesellschaft schmeckte sogar der Alkohol nicht so schlimm.
 

„Hast du jemals jemanden getötet?“, durchbrach er schließlich sein Schweigen und ihr Kopf zuckte so schnell herum, dass einige blaue Strähnen sie im Gesicht trafen.
 

Sein Glas stand vor ihm auf der Theke und er hatte die Finger darum geschlossen, so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Sein Kopf war gesenkt, so dass sein noch immer nasses Haar sein Gesicht verdeckte und sie nicht einmal versuchen konnte, in seiner Mimik zu lesen. Er versuchte, beiläufig zu klingen, so, als würde ihn das alles nicht interessieren, aber seine Schultern waren angespannt.
 

„Jemanden, der es nicht verdient hat?“
 

Ihre Gedanken überschlugen sich und Wörter drängten sich in ihren Mund, die aus ihr herausplatzen wollten – wen hast du getötet? Warum? Wer hat dich dazu gebracht? Geht es dir gut? Hat dich jemand gesehen? Was ist passiert?
 

Warum hast du das getan?!
 

Sie biss sich auf die Zunge, um nichts Unüberlegtes zu sagen, das ihn in die Flucht schlagen würde. Vielleicht mochte es nicht richtig sein, aber er war ihr wichtiger als eine hypothetische Person, der er etwas angetan haben mochte, ob nun freiwillig oder unter Zwang.
 

„Juvia hat noch nie jemanden getötet.“, antwortete sie schließlich langsam.
 

Jetzt hob er doch den Kopf und warf ihr einen langen Blick zu, den sie nicht deute konnte.
 

Sie lächelte unsicher und spielte nervös mit ihrem Glas. Was genau…? Sie schluckte. Was genau wollte er von ihr?
 

„Tu es niemals.“, sagte er dann und kippte den Rest seines Whiskys herunter. Doch diesmal griff er nicht sofort wieder nach der Flasche, sondern stellte den Tumbler beinahe bedächtig auf der Bar ab. „Falls du es doch mal tun musst, komm lieber zuerst zu mir.“
 

Sie blinzelte heftig. Hatte er ihr eben angeboten, einen Mord für sie zu begehen…?
 

„Ga-Gajeel…“, begann sie, doch sie bewegte nur hilflos die Lippen, ohne dass ein Laut aus ihrem Mund drang. Es gab keine Worte für die Situation. Sie wusste einfach nicht, was sie sagen sollte.
 

Dass schon alles wieder gut wurde? Er wusste genau, dass das in seiner Situation nur eine leere Phrase war.

Dass sie hinter ihm stand? Sie hatte ja nur den Schimmer einer Ahnung, was geschehen war.

Dass es nicht seine Schuld war? Das waren leere Worte ohne Bedeutung.
 

Sie schluckte erneut und fuhr sich mit der Zunge über die plötzlich trockenen Lippen, während sie den Blick nicht von ihm nehmen konnte. Er sah fürchterlich aus, wie er da stand, seine Kleidung noch immer nass und höchstwahrscheinlich eiskalt, Wasser in den Stiefeln und einen Kratzer im Gesicht, den sie erst jetzt bemerkte. Seine Mimik war verschlossen und abweisend, aber unter dieser kaltblütigen Maske konnte sie einen Mann erkennen, der kurz davor stand, endgültig in einen Abgrund zu stürzen, aus dem er nicht mehr herauskam.
 

Schließlich öffnete sie den Mund erneut und sagte das erste, das ihr in den Sinn kam: „Will Gajeel mit nach oben kommen?“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Alles weitere ist zur Interpretation offen...

Hoffe, es hat gefallen. :)
Gruß
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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Quiana
2017-05-12T18:29:04+00:00 12.05.2017 20:29
Hallo! :)

Erst einmal: Um Gottes Willen, die meisten der OS hier haben eine Länge, dass ich glatt Blass um die Nase werde. Ich brauche meistens so dreißig Jahre für hundert Wörter, geschweige denn, dass ich überhaupt wüsste, was ich schreiben soll. Es gab mal Zeiten, da sah es besser für mich aus, aber mittlerweile bin ich wieder fast ganz unten angekommen :D


Das ist eine sehr schöne Geschichte, die du hier geschrieben hast! Vor allem an Anfang kommt die Stimmung richtig schön rüber. Dunkel und verregnet eben. Auch wenn es alles eher düster ist, wirkt alles sehr harmonisch miteinander. Du hast eine schöne Art zu schreiben und zu beschreiben. Da hat das Lesen richtig Spaß gemacht :)
Als ich gesehen habe, dass es hier und Juvia und Gajeel geht, habe ich gleich das Kapitel angeklickt. Als Paar funktionieren die beiden für mich nicht (weshalb Gajeel, wenn er denn wirklich mit nach oben geht, auch einfach nur dorthin geht und sich dann abtrocknen kann und vielleicht eine Chouch zum Schlafen hat), aber die beiden haben eine gemeinsame Vergangenheit und mir gefallen die Vorstellungen davon, wie sie vor Fairy Tail miteinander agiert haben können. Deine Idee finde ich schön. Ich weiß nicht, ob es deine Intention war, aber so wie ich es gelesen habe, ist das hier wie ein Schimmer von Juvias Loyalität und ihren Sorgen ihren Leuten gegenüber, bevor sie in unsere Lieblingsgilde gekommen ist :)
Und Gajeel und sein Thema sind ... ich denke tatsächlich das, über was so ein eiserner Mann tatsächlich häufiger nachdenkt, als wir annehmen. Und ich denke, dass der Tod ein sensibles Thema, das Töten aber noch sehr viel schwerer ist. Da hats du dir aber was ausgesucht ... :D

Nur eine Sache die mir aufgefallen ist:
Wenn auf die Wörtliche Rede ein Komma und ein Verb folgt, wird das Gesagte nicht mit einem Punkt beendet.

Du schreibst
„Tu es niemals.“, sagte er dann und kippte den Rest seines Whiskys herunter.

Richtig wäre
„Tu es niemals“, sagte er dann und kippte den Rest seines Whiskys herunter.

Mit Punkt müsstest du das Komma und das Verb danach weglassen und so etwas in der Art schreiben
„Tu es niemals.“ Als er dies sagte, kippte den Rest seines Whiskys herunter.


Ich denke es ist zum Ausdruck gekommen, dass es mir gefallen hat ;D

Lieben Gruß
Quiana
Von:  Yosephia
2017-02-24T10:37:13+00:00 24.02.2017 11:37
Und mich hast du gefragt, ob ich mit meinem Februar-Prompt die Valentinssache kompensieren wollte? XDDD
Nein, ehrlich, dieser OS ist unglaublich atmosphärisch, sehr schaurig und melancholisch, mitunter sogar beängstigend. Weniger weil tatsächlich etwas Gruseliges passiert - wobei du die Unwetterstimmung mit all den Blitzen und dem Donner wirklich grandios in Szene gesetzt hast! -, sondern weil man sich auch von Anfang an fragt, was eigentlich mit Gajeel los ist. Man hat gleich gemerkt, dass da etws im Argen ist >_<

Dennoch hast du Gajeel dabei überragend gut IC bleiben lassen. Es hat so unglaublich gut gepasst, dass er eben so mit diesem Vorfall umgegangen ist - auch dass Gajeel eben nicht die ganze Geschichte erzählt hat, fand ich sehr passend, sowohl in Bezug auf Gajeels ICness als auch in Bezug auf die Dramaturgie der Szene. Eine lange Rede hätte da in jedweder Hinsicht gestört, auch wenn ich mir genau dieselben Fragen wie Juvia gestellt habe, aber gerade diese Ratlosigkeit hat das Leseerlebnis noch gesteigert!

Juvia war ein Mix aus der Juvia vor ihrem Beitritt zu Fairy Tail und der Juvia danach. Wie gründlich und eifrig sie sich um die Bar kümmert, dass sie sich gleich um Gajeel sorgt, die kleine "Tradition" zwischen den Beiden, die Belehrung über den Genuss des kostbaren Tropfens... das hat alles wunderbar gepasst! Aber dass sie dabei eben ruhig geblieben ist und keine Fragen gestellt hat und Gajeel schließlich sogar zu sich eingeladen hat, das war eben doch eher Ameona. Dieser Balanceakt ist dir unglaublich gut gelungen!

Ich bin schon so wahnsinnig gespannt, mehr zu dem Pair in diesem 'verse zu lesen! Und ich wäre echt neugierig, wie sich die Dynamik verhält, wenn dann auch noch Levy dazu kommt! >-<


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