Zum Inhalt der Seite

Der Junge im Bus

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Besties forever!

Ganz offensichtlich hatte Stiles vollkommen unterschätzt, wie einsam Derek war und wie groß seine Sehnsucht nach einer Familie; nach jemandem, der sein Leben teilte.

Sie war so groß, dass Derek bereit war, die Realität zu leugnen; groß genug, um in Kauf zu nehmen, dass es Stiles wehtun würde:

„Ich komme damit klar, dass du diese Gefühle für mich hast.“ sagte der Ältere gerade: „Gar nicht schlimm!“
 

`Na prima!´ dachte Stiles giftig: `Und wie sollte er selbst bitteschön damit klarkommen?´
 

„Der zweite Kuss ging von dir aus, Derek! Wieso hast du das getan?“ bellte Stiles: „Du hättest sagen können `Danke, aber nein, danke!´, als ich dich geküsst habe, oder du hättest mir eine verpassen können, oder was auch immer, aber das hast du nicht! Stattdessen hast du mich zurück geküsst, auf´s Sofa geworfen und bist leidenschaftlich über mich hergefallen. So etwas tut man doch nicht, wenn da keine Gefühle sind, oder man auf die ganze Sache keine Lust hat!“ schimpfte Stiles.
 

„Aber da sind doch Gefühle!“ rechtfertigte sich Derek: „Ich habe dich ehrlich gern, Stiles! Wäre ich sonst jetzt hier? Ich habe dich irgendwie vermisst! Und als ich dich zurück geküsst habe.... wahrscheinlich war ich einfach neugierig auf diese ganze Sache?“
 

„Ach neugierig warst du?“ schnaubte Stiles aufgebracht: „Na, dann hoffe ich, dass dieses Experiment dir etwas gebracht hat. Mir hat es jedenfalls Herzschmerz beschert!“
 

„Tut mir leid!“ murmelte Derek kleinlaut:
 

„Du hattest eine Erektion, Derek! Du hättest wirklich dazu sagen müssen, dass es der unermüdliche Forschergeist gewesen ist, der dich hart gemacht hat und nicht die Lust auf mich! Vielleicht hätte ich es dann verstanden!“ knurrte Stiles sarkastisch.
 

Derek hätte jetzt sagen können, dass es Dinge gab, die Stiles nicht wusste und deswegen nicht verstand, doch dann hätte er womöglich noch mit der Wahrheit herausrücken müssen und das kam gar nicht in Frage. Zumal Derek ja noch nicht einmal selbst vollständig begriff, was da neulich in ihn gefahren war. Und im Grunde wollte er auch lieber nicht allzu genau darüber nachdenken, denn es hätte ihn beinahe fortgespült.

Nicht auszudenken, was alles hätte passieren können!

Und so zuckte er auf Stiles Worte hin lediglich mit den Schultern.
 

„Geh´ nachhause, Derek! Ich habe noch zu tun und ich will dich gerade echt nicht sehen!“

Stiles klang bitter!

Er erhob sich und verschwand wieder im Café.
 

Und Derek ging nachhause!
 

Jackson blitzte Stiles böse an, als er ihn hereinkommen sah:

„Wenn du denkst, du kannst hier einfach kommen und gehen, wie es dir passt und dich in der Dienstzeit mal eben in irgendeinem Hauseingang nageln lassen, dann...“
 

„Halt deine Schnauze, Whittemore, oder ich schwöre, ich schlage dir dein blödes Zahnpastagrinsen ein!“ drohte Stiles: „Du wirst dir schon keinen Fingernagel abbrechen nur, weil du einmal fünf Minuten lang tatsächlich arbeiten musstest.“
 

„Was ist denn mit dir los, Stilinski? PMS? Oder hat dein Stecher es nicht gebracht?“ ätzte Jackson.
 

Stiles schnaubte wütend und auf seinem Weg hinter den Tresen, stieß er seinen Kollegen absichtlich heftig mit der Schulter beiseite.
 

Er war heilfroh, dass gleich Feierabend war, so dass er sich weder Jacksons blasiertes Gesicht länger anschauen, noch so tun musste, als sei er in irgendeiner Weise charmant oder kundenfreundlich.

Er wollte einfach nur noch ins Bett!
 

Und als er sich dann schließlich schlaflos im Gästebett in der Wohnung von Agent McCall herumwälzte, versuchte Stiles seine Gedanken und Gefühle zu sortieren.
 

Derek hatte ihn gern und vermisste ihn.

Er wollte ihn bei sich haben.

Doch offensichtlich nicht in seinem Bett.
 

Und was wollte Stiles?

Ein Leben völlig ohne Derek etwa, weil es so erträglicher war?

Und warum fühlte er sich dann jetzt gerade so todtraurig und verloren?
 

War es vielleicht möglich, dass Derek und er einfach nur als Freunde miteinander leben könnten?
 

War das denn überhaupt das, was Derek wollte? Oder machte dieser sich einfach bloß etwas vor, weil er nicht wahrhaben wollte, dass er Stiles genauso mochte und wollte, wie dieser ihn?
 

Und waren ein paar gelegentliche Streicheleinheiten vom Richtigen nicht am Ende sogar besser, als Sex mit dem Falschen? Schließlich konnte Stiles auch ohne Sex leben. Dass hatte er ja bereits achtzehn Jahre lang bewiesen.

Vielleicht war Liebe ohne Sex ja besser, als Sex ohne Liebe? Und er konnte scheinbar nun einmal nicht das Gesamtpaket haben.
 

Und nun war die Katze ja auch aus dem Sack; Stiles hatte Derek unmissverständlich klar gemacht, was er fühlte. Wenn Derek nun trotzdem immer noch bei Popcorn und einem Schwarz-Weiß-Streifen mit ihm kuscheln wollte, musste Stiles sich wenigstens nicht mehr schuldig fühlen, wenn in ihm dabei mehr als geschwisterliche Empfindungen aufkamen.
 

Vielleicht konnte man sich ja an ein gebrochenes Herz als Dauerzustand gewöhnen?

Man konnte schließlich mit so vielen Dingen leben.

Zum Beispiel mit Migräne!

Nur dass Stiles nicht der Kopf, sondern das metaphorische Herz schmerzen würde.

Aber wenn der Gegenwert war, dass Stiles dafür in der Nähe des einen Menschen sein durfte, den er liebte, dann war das doch kein zu hoher Preis, oder?
 

Um sechs Uhr morgens gab er es auf zu versuchen, zu schlafen, packte seine Sachen zusammen und machte sich auf den Weg.
 

Er klopfte zaghaft an Dereks Tür, weil er fest damit rechnete, dass dieser noch schlafen würde, doch zu seinem Erstaunen war der Ältere bereits wach, hatte einen Kaffeebecher in der Hand und sah ebenso übernächtigt aus, wie Stiles sich fühlte:

„Und? Hast du dein Sofa bereits dem nächsten Straßenkind angeboten, oder steht dein Angebot noch, dass ich nachhause kommen kann?“ fragte der Junge betont cool, während sein Herz ihm davon galoppierte.
 

Derek öffnete ganz einfach nur die Tür ein Stück mehr und nahm Stiles seine Tasche ab:

„Kaffee?“ wollte er wissen.
 

Stiles nickte heftig und als er seine Tasse erhielt, stürzte er das Gebräu schwarz und viel zu heiß hinunter.
 

Derek musterte den Jungen. Zu gern hätte er gefragt, was den Sinneswandel bewirkt hatte, doch er traute sich nicht und fürchtete das Gespräch, welches sie dann führen würden. Er war einfach nur froh, ihn zu sehen:

„Musst du heute noch arbeiten?“ fragte er stattdessen.
 

Stiles schüttelte den Kopf:

„Habe vier Tage frei.“
 

Derek grinste, denn das brachte ihn auf eine Idee:

„Lust auf einen kleinen Tapetenwechsel?“
 

Eine Stunde später saßen die beiden in Dereks Wagen und fuhren die Küste hinunter.

Sie hielten in einer kleinen Ortschaft an einem `Wal-Mart´, weil Derek erklärte:

„Da, wo wir hinfahren, gibt es rein gar nichts. Nicht einmal ein Café oder ein Kiosk. Wir müssen alles mitbringen, was wir brauchen.“
 

Stiles blickte ihn überrascht an.

Wo zum Teufel war diese Ferienhütte?

Idyllisch gelegen, am fünften Kreis der Hölle?
 

Kurz fragte er sich, ob dieser kleine Trip so kurz nach der Pizza-Katastrophe wirklich so eine gute Idee war? Was, wenn Derek und er nun doch nicht mehr so einfach mit einander klar kämen, wie früher? Dann hätte er keine Chance, einfach so zu verschwinden. Dann würde er mit seinem wenig entschlussfreudigen Kumpel Derek mitten in der Pampa festsitzen.
 

Stiles verschob diesen ungemütlichen Gedanken auf später.
 

Derek schob den großen Einkaufswagen vor sich her und wollte wissen:

„Und? Was wollen wir essen, Stiles?“
 

Der Jüngere zuckte mit den Schultern:

„Das kommt darauf an. Wie ist denn dein Strandhäuschen ausgestattet? Gibt es bloß eine Mikrowelle, dann werden wir wohl auf Fertiggerichte zurückgreifen müssen.“
 

„Bitte nicht!“ rief Derek ein wenig zu schnell und mit Entsetzen: „Nein, Stiles, die Küche dort ist komplett eingerichtet.“
 

Stiles dachte zurück an einen Urlaub mit seinem Dad vor vielen Jahren und er fragte sich, was diese Aussage von einem Nicht-Koch wie Derek wert war.

Damals hatten sein Vater und er auch eine Hütte am Strand gemietet. Die Dusche war kalt gewesen, sie hatten eines dieser Chemie-Klos gehabt, es gab keinen Kühlschrank und kochen konnte man nur auf einer einzigen, winzigen Gasflamme:

„Gibt´s wenigstens eine Heizung bei?“ fragte er Derek skeptisch und fröstelte bei der Erinnerung.
 

Der Ältere lachte:

„Ehrlich! Da draußen ist alles, was wir brauchen!“ versicherte Derek.

Dann angelte er nach einer Daunenjacke in einem Regal: „Trotzdem solltest du die hier mal anprobieren, denn wenn wir mal draußen unterwegs sind, wirst du mit der dünnen Jeansjacke, die du ständig trägst nicht weit kommen!“
 

Stiles blickte skeptisch auf das angebotene Kleidungsstück und dann auf den Kerl, der es ihm hinhielt; seinen Lebensretter, seine Krankenschwester, seinen Obdach-Geber, seinen Freund Derek Hale.

Der nicht wollte, dass er fror!
 

Schließlich griff er nach der Jacke und probierte sie an. Sie passte, wie angegossen und in ihr würde er vermutlich auch einen nuklearen Winter überleben und so legte er sie mit in den Einkaufswagen.
 

Als sie in der Frischfleischabteilung angelangten, fiel Dereks hungriger Blick bald hier, bald dorthin:

„Denkst du wohl, du wirst Lust haben, so richtig zu kochen?“ fragte er harmlos.
 

Stiles kicherte:

„Werde ich bestimmt!“ versicherte er und begann damit, den Einkaufswagen so vollzupacken, als ginge es darum, einen hungrigen Wolf durchzufüttern.
 

Als sie eine Weile später bei Dereks `Strandhäuschen´ ankamen, klappte Stiles der Unterkiefer herunter.

Nachdem er seine Stimme wiedergefunden hatte, wollte er wissen:

„In San Francisco lebst du in einer winzigen Zweizimmerwohnung, obwohl dein Feriendomizil praktisch der Buckingham Palace ist?“
 

„So groß ist es gar nicht.“ behauptete Derek kleinlaut, schloss die Tür auf und sie traten in die kolossale Eingangshalle die in einen gigantischen Salon führte, an dessen Stirnseite sich ein riesiger Marmorkamin befand:
 

„Stimmt, Derek, so groß ist es gar nicht. Aber zur Sicherheit sollten wir vielleicht trotzdem lieber einen Treffpunkt vereinbaren, falls wir uns hier mal verlieren. Oder hast du vielleicht Walkie-Talkies? `Bin im Westflügel. Wo bist du? Over!´“ stichelte der Junge.
 

„Du übertreibst!“ schnappte Derek mit einer garstig geäußerten Verlegenheit und begann, die Einkäufe in die Küche zu schleppen: „Such dir lieber ein Schlafzimmer aus!“ forderte er.
 

„Nein, ich denke, ich werde einfach jede Nacht in einem anderen Raum übernachten, wenn ich schon einmal diesen Luxus habe!“ neckte ihn Stiles, lief los und begann damit, Zimmertüren aufzureißen und sich genauestens umzuschauen, wie ein dreistes, neugieriges Kind.
 

Er zählte acht voll eingerichtete Schlafzimmer, alle mit einem großen Bett, einem Kleiderschrank, einem Sofa und Kleinmöbeln wie Tischchen, Kommoden und Nachttischen; hochwertige Möbel, zum Teil Antiquitäten; kein schwedischer Kiefernholzbruch mit unaussprechlichen Namen, welche entschieden zu viele Ö´s enthielten.
 

Es gab zwei Badezimmer, beide mit riesigen einladenden Wannen, separaten Duschen und sogar noch ein Extra-WC im Erdgeschoss.
 

Aber der eigentliche Traum für Stiles war die Küche, denn die hatte wirklich alles, was das Herz eines Kochs begehrte: einen Kühlschrank, in den man hätte mit einer Kleinfamilie einziehen können, wenn man es frostig mochte, einen Gasherd, der auch ein kleines Grillfeld besaß, zusätzlich noch ein Induktionskochfeld und ZWEI Backöfen. In den Schränken befanden sich Dutzende hochwertige Töpfe, Pfannen und Kasserollen, sowie Besteck und Geschirr, um riesige Dinner-Partys zu geben.

An die Küche schloss sich eine Speisekammer mit einem Vorrat an hochwertigen Weinen an, sowie das Esszimmer mit einer langen Tafel und zwölf Stühlen daran:
 

„Was ist das hier alles?“ fragte Stiles fassungslos: „Das passt doch überhaupt nicht zu dir! Du bist doch der klassische Einzelgänger. Hast DU dieses Haus etwa eingerichtet? Wen wolltest du denn hierher einladen?“
 

„Ich habe das Haus geerbt. Es hat meiner Familie gehört.“

Die Trauer in Dereks Stimme traf Stiles mit der Wucht eines Faustschlags in den Magen.

Plötzlich hatte er eine Vision eines sehr viel jüngeren Dereks mit Geschwistern, Eltern, Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen; von Weihnachtsfesten, Zusammenhalt, Streits und Lachen.

Und dann fiel sein Blick auf den ernsten, einsamen Mann von heute.
 

„Tut mir leid!“ murmelte Stiles betroffen:
 

„Bin drüber weg!“ behauptete Derek betont gleichgültig: „Hast du schon den Pool gesehen?“
 

„Pool?“ fragte Stiles, denn er hatte schließlich schon hinter jede Tür geschaut und keinen Pool gefunden:
 

„Folge mir!“ forderte Derek und trat durch die Terrassentür nach draußen, wo sich ein schöner, großer Pool unter einer Plane befand. Und nicht nur das; es gab auch noch einen Yakuzi, groß genug für mindestens fünf Personen gleichzeitig.
 

Der Garten war gepflegt. Es gab kugelige Buchsbäumchen, eine Rosenhecke, die nun, im Winter allerdings einen eher traurigen Anblick bot, ein Baumhaus in einer knorrigen alten Eiche, eine Schaukel und eine Rutsche.
 

Derek musste wohl eine Gartenbaufirma damit beauftragen um all´ dies hier in Schuss zu halten:

„Es ist unglaublich schön hier! Und im Sommer muss es ein Traum sein!“ murmelte Stiles überwältigt: „Kommst du oft her?“
 

Derek schüttelte den Kopf:

„Ehrlich gesagt ist Peter öfter hier als ich, um seine kleinen Orgien zu feiern. Ich bin vielleicht ein, oder zweimal im Jahr hier, wenn ich mal das Bedürfnis habe, ganz allein zu sein.“ Er stutzte kurz und stellte dann fest: „Mir fällt gerade auf, dass ich noch nie jemanden hierher mitgebracht habe. Eigenartig! Du bist mein erster Gast.“
 

Ein warmes Gefühl breitete sich in Stiles Magengegend aus. Braeden war also noch nicht hier gewesen. Und auch sonst keine der Frauen, mit denen Derek sonst so geschlafen haben mochte. Er konnte nicht anders, als dümmlich vor sich hin zu grinsen. Bevor er dabei noch erwischt wurde, fragte er schnell:

„Sag´ mal stört es dich denn gar nicht, wenn dein Onkel dein Elternhaus mit seinen Körperflüssigkeiten besudelt, bei seinen kleinen... Events?“
 

Derek lächelte:

„Solange er hinterher wieder sauber macht... immerhin erfüllt er diesen Ort auf diese Weise wieder mit Leben! Außerdem ist dies hier nicht mein Elternhaus. Hier haben wir nur unsere Ferien verbracht. Mein Elternhaus ist abgebrannt. Als wir alle darin gewesen sind. Nur Peter und ich haben es hinausgeschafft. Ich schätze, der Name Hale wird wohl mit uns beiden aussterben. Auch wenn ich wetten möchte, dass da draußen Hunderte von Peters Bastarden herumlaufen.“
 

Stiles hatte Dereks Hand genommen und hielt sie:

„Tut mir leid!“ flüsterte er.
 

„Was soll man machen. Peter kann man nun einmal nicht ändern!“ erwiderte der Ältere leichthin.
 

Stiles stupste ihm in die Seite:

„Davon spreche ich nicht und das weißt du ganz genau! Und jetzt komm´ rein! Ich mache uns den polnischen Schweinebraten mit Pflaumen, Kartoffelklößen und Wirsinggemüse, nach dem Rezept meiner Großmutter. Als ihr klar wurde, dass sie keinen Enkelin mehr bekommen würde, hat sie ihre Rezeptesammlung nämlich mir vermacht. Und ich halte sie in Ehren!“
 

Wie erhofft, sah Derek bei der Mahlzeit, die ihm in Aussicht gestellt wurde, gleich schon wieder etwas weniger aus, wie ein armes, trauriges Waisenkind:
 

„Ich werde in der Zwischenzeit Holz hacken, und den Kamin anmachen. Dann wird es auch gleich ein bisschen gemütlicher im Haus.“ erklärte der Ältere.
 

In knapp zwei Stunden brachte Stiles in der Küche etwas zustande, was Grandma Stilinski gewiss stolz vom Himmel aus auf ihren Enkel hinab lächeln ließ.
 

Außerdem hatte er ein weißes Tischtuch, lang genug für die riesige Tafel gefunden und machte sich nun einen Spaß daraus, für Derek und ihn an gegenüberliegenden Enden des Tisches zu decken.

Im Garten schnitt er ein wenig Efeu ab, um den Tisch damit zu dekorieren und in Mitte stellte er einen riesigen silbernen Leuchter mit siebzehn Kerzen.
 

Als angerichtet war, rief er Derek hinzu und als der Stiles Werk erblickte, legte er den Kopf in den Nacken und lachte herzhaft.
 

Stiles hatte ihn noch nie so schön gefunden, wie in diesem Moment:
 

„Du bist so ein Quatschkopf, Stiles! Wie sollen wir uns denn so unterhalten?“ erkundigte Derek sich schmunzelnd:
 

„Du sollst ja auch nicht quatschen, sondern die Köstlichkeiten würdigen, die dir serviert wurden!“ bestimmte Stiles und schob Derek galant den Stuhl hin.
 

Und dieser ließ es stirnrunzelnd geschehen.
 

„Dein Großmutter war ein Genie!“ rief Derek nach dem Essen aus und rieb sich zufrieden den Bauch: „Und du bist auch eins! Immer wenn ich denke: `Besser kann´s nicht werden!´, legst du noch eins drauf und servierst mir etwas, dass so gut ist, dass mir beinahe die Tränen kommen.“
 

Stiles wären bei diesem Kompliment auch um ein Haar die Tränen gekommen, doch das kam gar nicht in Frage, also sagte er stattdessen lieber frech:

„Das ist alles Teil eines perfiden Plans, dir die Figur zu ruinieren, Adonis!“
 

Derek lachte:

„Kommt nicht in die Tüte! Dagegen hilft Bewegung. Und darum machen wir zwei jetzt einen ausgedehnten Spaziergang!“
 

Stiles stöhnte ein wenig. Er hätte den Nachschlag weglassen sollen. Trotzdem brachte er artig seinen Teller in die Küche, machte ein wenig Ordnung und stand eine Viertelstunde später fertig angezogen vor der Eingangstür. Derek musterte ihn von oben bis unten, erblickte die Converse und schüttelte den Kopf:

„In den Dingern hast du sofort nasse Füße. Zieh´ diese hier an!“

Er reichte dem Jungen ein paar Gummistiefel.
 

Stiles rümpfte die Nase:

„Die ruiniere das Outfit dann restlos!“ quengelte er divenhaft: „Schlimm genug, dass ich eine Jacke anhabe, in der ich wie der Marshmallowmann aussehe!“
 

„Keine Widerrede! Das ist hier nicht wie in deinem Job, wo du deine Nippel für Trinkgeld vorzeigen musst!“ knurrte Derek: „Außer mir wird dich ohnehin niemand sehen, denn nicht einmal meine Nachbarn sind zur Zeit hier. Und ICH weiß, wie du aussiehst! Also sei ein lieber Junge und zieh´ die Dinger an!“
 

Murrend gehorchte Stiles und sie brachen auf.
 

Das Meer, dass man vom Haus aus bereits hören konnte, lag keine fünfhundert Meter von Dereks Feriendomizil entfernt hinter einem Deich.
 

Seite an Seite marschierten sie mindestens eine Stunde lang in dieselbe Richtung immer am Wasser entlang.

Es war wunderschön hier, auf eine schwermütige, raue, archaische Art und Weise. Das Meer war wild und wurde vom Wind ins Land gedrückt.

Ein paar unerschrockene Seevögel legten sich elegant in die Böen.

Hier waren der Ozean auf der einen und der Strand und schroffe Felsen auf der anderen Seite.

Die Elemente Luft, Wasser und Erde lagen miteinander in einem ewig währenden Kampf, welchen keines von ihnen je gewinnen würde.

Derek passte perfekt in diese Kulisse!
 

Stiles nicht!

Der Wind blies kalt und erbarmungslos und fand in jede Ritze seiner Kleidung. Er beschwerte sich nicht mehr über die plumpe Daunenjacke, die er trug.

Im Gegenteil; im Geiste verfasste er gerade ein Liebesgedicht auf sie, während er die Kapuze noch fester zuzog, damit ihm nicht die Ohren abfroren:
 

„Arschhässlich bist du, plump und rot,

doch sterb´ ich nicht den Kältetod!
 

Der Gänse Daunen gilt mein Dank,

doch in Frisco landest du im Schrank!“
 

Derek hatte recht gehabt! Hier gab es tatsächlich weit und breit keine einzige Seele, außer ihnen. Vielleicht lag es an der Jahreszeit, denn der Winter am Pazifik war nun einmal nicht so furchtbar attraktiv.
 

Aber vielleicht lag es ja auch an der Hale-Familie, die sich vorsätzlich einen Rückzugsort weitab der Zivilisation gesucht hatte, um auch ja zu vermeiden, jemals jemandem Hallo sagen zu müssen?

Möglicherweise war Derek ja gar nicht erst durch den Verlust seiner Familie zu diesem einsiedlerischen Grantler geworden, der er heute war, sondern es war etwas Genetisches?

Gerade jetzt stellte Stiles sie sich vor: Männer, Frauen und Kinder, allesamt Drei-Tage-bärtig, einsilbig und mürrisch dreinblickend, wie sie an der langen Tafel im Strandhaus saßen und sich beim Abendessen gegenseitig anknurrten.

Er kicherte in sich hinein.
 

Dann schüttelte er den Kopf über sich selbst: Erst schlechte Poesie und dann eigenartige Visionen? Woran erkannte man eigentlich Erfrierungsschwachsinn?
 

„Wie lange müssen wir eigentlich noch hier draußen herumlaufen?“ fragte er vorsichtig nach und bemerkte bei dieser Gelegenheit, dass seine Gesichtszüge bereits mehr oder weniger eingefroren waren.
 

Derek grinste:

„Willst du umkehren, Stiles?“
 

Der Junge nickte heftig und so machten sie sich auf den Rückweg.

Als sie am Haus angekommen waren bestimmte Derek:

„Und jetzt werde ich uns den Yakuzi anmachen, damit du wieder abtaust, was Kleiner?“
 

Stiles hatte noch nie in einem Yakuzi gesessen, aber das mit dem Abtauen klang klasse, also stimmte er begeistert zu.

Und zu spät machte er sich klar, dass er sich dafür vor Derek würde ausziehen müssen. Doch zum Glück war dieser ein Gentleman und schaute gar nicht hin.
 

Stiles hingegen war KEIN Gentleman. Er war ein dauergeiler Teenager, der unfreiwillig Jungfrau geblieben war. Er SCHAUTE in einem unbeobachteten Moment hin und was er sah, würde ihn heute Nacht mit Sicherheit wachhalten, wenn er allein in seinem Bett lag.
 

Der Abend brach herauf und es dauerte nicht lange, bis sich über ihnen der gewaltigste, wundervollste Sternenhimmel erstreckte, den Stiles jemals gesehen hatte. Sie selbst saßen mehr oder weniger im Dunkeln, der Mond war abnehmend, doch Milliarden Sterne und ferne Galaxien sendeten ihr Licht in Richtung Erde und wurden hieran auch nicht durch die Lichtverschmutzung der Großstadt gehindert.

Dieser fantastische, imposante Anblick machte für einen Moment lang, dass Stiles bereit war, an alles Mögliche zu glauben; daran, dass sein Vater und er sich wieder versöhnen würden, dass er doch noch die Liebe finden würde, nach der er sich sehnte, dass seine tote Mutter irgendwo da draußen war und über ihn wachte und sogar an einen gütigen Gott, der all das geschaffen hatte.

Und Stiles musste ein klein wenig weinen.
 

Es war ihm schleierhaft, wie Derek das mitbekommen haben konnte, bei den lauten Düsen, die unermüdlich blubbernde Luftblasen im warmen Wasser produzierten, dennoch er fragte er den Jungen:

„Alles in Ordnung bei dir, Stiles?“
 

„Ja, alles okay! Ich bin nur... ein bisschen überwältigt, das ist alles!“ sagte der Junge schnell und hoffte, dass Derek und sein unglaublicher Körper auf seiner Seite der Wanne blieben.

Zum Glück tat er ihm diesen Gefallen und sagte bloß:

„Ja, man fühlt sich winzig unter diesem Himmel, stimmt´s?“
 

Als es Zeit wurde für das Abendbrot, schlug Stiles vor, dass sie ja vielleicht vor dem Kamin essen könnten und verschwand dann in der Küche, um alles vorzubereiten.

Er hatte bereits vorhin einen Hefeteig angesetzt, den er mit Rosmarin gewürzt hatte. Daraus formte er nun einen Laib und gab ihn in den vorgeheizten Backofen. Dann bereitete er die Platten vor und belegte sie mit Käse, Trauben, Räucherfisch und Gemüsestiften, für welche er noch rasch einen Dip zusammenrührte.
 

Er trug alles hinüber in den Salon und stellte fest, dass Derek bereits die Glut wieder angefacht und einige Scheite nachgelegt hatte. Was er außerdem getan hatte, war eine Art Lotterbett vor dem Kamin aufzubauen; eine Matratze, Decken und unzählige Kissen.

Im Hintergrund lief leise Klaviermusik.
 

Stiles schluckte!

Es fiel schwer, sich bei dieser romantischen Kulisse NICHT vorzustellen, dass er und Derek sich nun gleich gegenseitig füttern, dann irgendwann die Kleider vom Leib reißen und sich vor dem Feuer lieben würden.
 

Er hatte bis gerade eben darüber nachgedacht, ob er Wein zum essen reichen sollte. Nun war die Entscheidung gefallen. Nüchtern würde er das hier jedenfalls nicht aushalten.

Er rannte also zurück in die Küche, besorgte ein Flasche Roten, zwei Gläser und einen Korkenzieher.
 

Derek sah es und verdrehte die Augen:

„Du darfst noch keinen Alkohol trinken, Stiles!“ merkte er an:
 

„Pfft!“ machte Stiles lediglich, entkorkte die Flasche und nahm einen tüchtigen Schluck, ehe er sich niederließ und Derek ebenfalls ein Glas voll schenkte.
 

Sie hatten ihr Mahl beinahe schon beendet, als Stiles in die Flammen starrte und unvermittelt sagte:

„Ich danke dir!“

Derek blickte ihn fragend an, also fügte Stiles hinzu:

„Na ja, für das hier, für unseren Ausflug. Das ist einfach schön! Ich habe mich seit einer Ewigkeit nicht mehr so wohl und entspannt gefühlt.“
 

Eine ganze Weile kam gar nichts von Derek.

Dann sagte er:

„Ich mich auch nicht.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück