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Froschhüpfer

Wie man zu einer Familie kommt
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Eigentlich wollte ich an ganz anderen Projekten weiter arbeiten. Ursprünglich war für dieses 'verse auch nur ein längerer NaLu-OS geplant, in dem Sting und Rogue nur Nebencharaktere waren, aber... Sagen wir einfach, eine gute Fee hat mich verhext. Schönen Gruß an dieser Stelle XP

Ich warne an dieser Stelle gleich mal für die gesamte FanFic vor: Es wird viel Fluff geben, also so richtig, richtig, richtig viel Fluff! Allerdings auch inner mal wieder Stingue-Romance und hin und wieder auch etwas Drama. Ich habe zu allen möglichen Kleinigkeiten Recherchen angestellt, dennoch erhebe ich keinen Anspruch darauf, dass alles hundertprozentig realistisch ist.

Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Und schon ist wieder eine Woche um!
Für dieses Kapitel hier habe ich tatsächlich recherchiert, bis zu welchem Alter Bettnässen eigentlich normal ist - um elf Uhr abends wollte ich nicht unbedingt meine Mutter anrufen, um sie danach zu fragen ID"

Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Weiter geht es! Und dieses Mal wird es dramatisch!
Dieses Kapitel hat mir wirklich Kopfzerbrechen bereitet, bis ich für alles eine logische Fügung gefunden habe.

Und es fällt auf: Drei Kapitel, drei Tage. Das wird sich bei den nächsten Kapitel so aber nicht fortsetzen. Die erste Zeit war halt nur besonders entscheidend. Danach gibt es immer mal wieder kleinere und größere Sprünge.

Viel Spaß beim Lesen!^^ Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Endlich ist Montag und ich kann wieder ein Kapitel hochladen!

Auch wenn Eigenlob stinkt, ich muss ehrlich sagen, dass diese beiden Szenen mir sehr gut gefallen. Dabei war die erste ein echtes Überraschungsei und die zweite wirklich knifflig. Bei der ersten war die zweite Hälfte eigentlich gar nicht wirklich geplant, aber das hat sich dann von selbst so entwickelt und im Nachhinein frage ich mich, wie ich so etwas Wichtiges überhaupt nicht hatte bedenken können.

Bezüglich der zweiten Szene eine kleine Warnung: Sie ist ganz schön politisch - durchaus mit Zeitbezug, ich gebe zu, dass da meine eigenen politischen Überzeugungen ein bisschen mit rein gespielt haben. Diese Szene ist so geworden, weil sie erstens ansonsten schrecklich langweilig geworden wäre und weil das zweitens eine gute Gelegenheit ist, um auf spätere Ereignisse in dem 'verse vorzubereiten.

Genug der Vorrede. Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ganz ehrlich, ich liiiiiiebe dieses Kapitel hier! Die erste Szene fällt ein bisschen aus dem Rahmen, aber ich wollte sie halt nicht mit in das vorherige Kapitel stopfen und streichen wollte ich sie auch nicht. Ich denke aber nicht, dass das sehr dramatisch ist.

Eine kleine Warnung: Die dritte Szene ist etwas... pikant... Würde ich mindestens als FSK 14 einstufen, denke ich. Ist das erste Mal, dass ich so etwas geschrieben habe, also bin ich sehr gespannt, was ihr dazu zu sagen habt!

Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ganz schön verspätet, dieses Mal, aber ich bin auch erst vor einer halben Stunde von einem Linum-Wochenende zurückgekehrt und hatte in Linum kein Internet. Tut mir Leid! >_<

Dieses Kapitel hier schlägt in eine ganz andere Richtung als das letzte und hat mir während des Schreibens auch einiges Kopfzerbrechen bereitet, weil sich dabei eine ungeahnte Entwicklung ergeben hat.

Aber lest selbst! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Achtung, Achtung!
Fluff im Übermaß!

Ganz ehrlich, ich liiiiiiiebe dieses Kapitel!
Die erste und die dritte Szene hatte ich schon ganz früh geplant und hatte mich so aufs Schreiben gefreut und dann hat es einfach wahnsinnigen Spaß gemacht! Auch wenn Eigenlob stinkt, ich bin super stolz auf dieses Kapitel!

Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Asche auf mein Haupt!
Beinahe hätte ich echt vergessen, dieses Kapitel heute hochzuladen ID"

Es ist dieses Mal etwas kürzer, aber es hätte inhaltlich nicht gepasst, die erste (relativ kurze) Szene aus dem folgenden Kapitel hier mit rein zu nehmen.

Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Und damit ist der letzte Froschhüpfer-Montag schon da!
Schon irgendwie komisch, wie schnell die Zeit vergangen ist. Ich hatte so viel Spaß beim Schreiben und bin wirklich sehr, sehr stolz auf das, was ich hier geleistet habe. Ich hoffe sehr, ihr hattet und habt beim Lesen genauso viel Spaß und schaut auch mal bei den anderen Fics des SaniPress'-verse vorbei! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ein Bonus-Kapitel für Arianrhod-, die mich bei der Planung so toll unterstützt und mir ganz viele tolle Ideen eingegeben hat! Komplett anzeigen

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Hüpfe einmal – und du findest Kinder


 

Es ist gleich falsch, Allen oder Keinem zu trauen.

Lucius Annaeus Seneca
 

Der Tag, an dem sich für Rogue alles ändern sollte, war ein verschneiter, trister Januartag. Die Wege waren trotz des Streusandes glatt und der Wind pfiff grausam durch alle noch so dicken Kleiderschichten. Der Himmel war vom frühen Morgen an grau. Wer es vermeiden konnte, setzte keinen Fuß vor die Tür.

Rogue jedoch konnte es leider nicht vermeiden. Er gehörte zum arbeitenden Teil der Bevölkerung. Wäre er noch Student, das musste er sich leider eingestehen – auch wenn er das ganz gewiss niemals gegenüber Sting zugeben würde –, hätte er an so einem Tag blau gemacht. Aber jetzt war er Bibliotheksreferendar und musste für sein Geld etwas tun. Davon, sich auf dem Weg zur Arbeit blaue Flecken zu holen, weil die Stadtverwaltung zu wenig Schneeräumer engagiert hatte, stand zwar nichts in seinem Vertrag, aber wie würde Sting es formulieren? Er war jung und brauchte das Geld.

In der Bibliothek waren bei diesem Wetter alle schlecht gelaunt. Ein Drittel war dauerdepressiv, ein Drittel war dauerkrank und das letzte Drittel war von den anderen beiden Dritteln dauergenervt – und alle drei Gruppen ließen nur allzu gerne ihren Frust am Personal aus.

Da kam es Rogue gerade recht, dass er morgen seinen freien Samstag hatte. Er würde das Wochenende einfach nur entspannen. Ein warmes Bad, eine leckere Mahlzeit und ein gutes Buch – und ihm würde schon noch etwas einfallen, wie er Sting die Idee mit dem Schlittschuhlaufen morgen wieder austrieb.

Als er vorsichtig den glatten Weg entlang zur Bäckerei stakste, um noch Brötchen fürs Wochenende zu kaufen, bemerkte er ein winziges Mädchen am Schaufenster. Es hielt sich am Fensterbrett fest und musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um darüber hinweg linsen zu können. Das allein war nicht weiter ungewöhnlich, die Kleidungswahl hingegen ließ Rogue schon stutzen. Das Mädchen trug eine viel zu große, abgetragene Strickmütze, die ihm immer wieder über die Augen rutschte, eine Jacke, deren Ärmel mehrere Mal umgekrempelt worden waren, und einen Schal, der so oft um den Hals gewickelt worden war, dass er über die schmalen Schultern zu rutschen drohte.

Verwirrt sah Rogue sich um. Das Kind konnte doch höchstens drei Jahre alt sein. Wo war die Mutter oder der Vater? Als er im Laden eine Frau mit einem weiteren Kind in dem Alter bemerkte, glaubte er, die Mutter gefunden zu haben. Vielleicht eine zweifelhafte pädagogische Maßnahme, aber er hatte wohl kein Recht, sich da einzumischen.

In der Bäckerei zwinkerte seine Schulfreundin Yukino ihm hinter der Theke grüßend zu, ehe sie sich wieder ihrem Kunden zuwenden musste, einem äußerst ungeduldigen Rentner, der anscheinend eine Torte für eine Party am Wochenende in Auftrag geben wollte und dabei allerlei Extrawünsche hatte. Seufzend wickelte Rogue seinen Schal ab und hängte ihn sich um den Hals, während er sich ans Ende der Schlange stellte.

Mit halbem Ohr hörte er zu, wie Yukino dem Mann geduldig die Preisstaffelung für Auftragstorten erklärte, während ihre Kolleginnen den normalen Bäckerei-Betrieb am Laufen hielten und die anderen Kunden bedienten. Rogue hätte nicht übel Lust, dem Alten einfach den Tortenflyer in die Hand zu drücken, der direkt vor seiner Nase auf der Theke auslag, aber er wusste, dass Yukino das alleine hin bekam. Er hatte sie schon immer für ihre Engelsgeduld bewundert. Da hatte sie den Anderen in ihrem gemeinsamen Freundeskreis eine ganze Menge voraus.

Die Frau mit dem Jungen steckte die beiden Brote, die sie gekauft hatte, in ihren Einkaufsbeutel und verließ die Bäckerei wieder. Das Mädchen am Schaufenster beachtete die Beiden überhaupt nicht und die Frau zog einfach von dannen. Anscheinend gehörten sie doch nicht zusammen. Jetzt bemerkte Rogue, dass das Mädchen große, schwarze Augen hatte. Unter der Mütze lugten grüne Haarsträhnen hervor. Das bisschen, was sonst noch vom Gesicht des Mädchens zu erkennen war, war rot vor Kälte und in den Augen lag nagender Hunger.

„Hey, wie war es heute in der Bibliothek?“, begrüßte Yukino ihn, als er endlich an der Reihe war. Ihrem niedlichen herzförmigen Gesicht mit den großen, braunen Augen war nicht der geringste Ärger über den unfreundlichen Rentner anzumerken.

„Meinst du die Frage ernst?“, brummte er und Yukino hob mit einem unschuldigen Grinsen die Schultern, ehe sie ihm die Tüte mit den Brötchen reichte, die er jeden Freitag hier kaufte. Er nickte zum Schaufenster hinüber. „Ihr habt heute eine Zuschauerin?“

Irritiert folgte Yukino seinem Wink, ehe sie sich zu ihrer Kollegin umdrehte. „Libra, wie lange steht das Mädchen schon da?“

„Schon seit ich aus dem Lager gekommen bin“, erwiderte die Schwarzhaarige und blickte auf ihr Kassendisplay. „Also mindestens zwei Stunden.“

Mit einem besorgten Stirnrunzeln blickte Yukino wieder zu der Kleinen. Erst jetzt fiel Rogue auf, dass das Kind wie gebannt auf die Torten starrte. „Gib mir drei von deinen Triple Chocolate Muffins“, bat er Yukino und legte das Geld auf die Theke.

Die Weißhaarige nickte erleichtert und packte zwei der Muffins ein, den dritten gab sie Rogue so in die Hand. So ‚bewaffnet’ verabschiedete Rogue sich von seiner Schulfreundin und verließ die Bäckerei wieder. Noch immer starrte das Mädchen durch das Schaufenster, obwohl es am ganzen Leib zitterte.

Rogue ging neben dem Mädchen in die Hocke und bot ihm das Naschwerk an. Verschreckt machte es einen Hüpfer von ihm weg, wobei der Schal sich zweimal abwickelte. Jetzt konnte Rogue eine niedliche Stupsnase erkennen, die puterrot war, apfelrote Pausbäckchen und zitternde Lippen. Als das Kind den Schal zu bändigen versuchte, bemerkte Rogue, dass es keine Handschuhe trug.

„Du hast Hunger, nicht wahr?“

Zaghaft nickte das Mädchen und schielte sehnsüchtig auf den Muffin, während es noch immer mit seinem Schal kämpfte. Rogue konnte nun eindeutig ein lautes Magengrummeln hören, aber er versuchte, keine Miene zu verziehen, obwohl sich bei ihm vor Sorge alles zusammen zog.

„Du kannst den ruhig essen. Ich habe auch noch mehr.“

Das Mädchen schüttelte heftig den Kopf, wobei die Mütze schon wieder über die Augen rutschte. „Lector hat verboten“, erklärte es mit Piepsstimme.

„Wer ist Lector?“

„Ich!“

Im nächsten Moment verspürte Rogue einen schmerzhaften Schlag auf dem Hinterkopf und kippte nach vorn. Gerade noch rechtzeitig konnte er sich am Fensterbrett festhalten und sich so vor einer Bekanntschaft mit dem Boden bewahren. Er drehte sich herum und erkannte einen naseweisen Rotzbengel von höchstens fünf Jahren mit kastanienbraunen, unordentlichen Haaren und sommersprossigem Gesicht, das vor Kälte gerötet war. Der Hals war blank, die Jacke viel zu dünn und zu kurz und er trug nur Turnschuhe, die wahrscheinlich schon völlig durchweicht waren.

„Lass’ Frosch in Ruhe!“, verlangte der Junge und hob seinen Stock wieder, um erneut auf Rogue einzuschlagen. Gerade noch rechtzeitig hielt der Schwarzhaarige den Stock auf und entriss ihn dann dem Jungen.

„Hör’ auf damit. Ich wollte ihr nichts tun, ich habe ihr nur einen Muffin angeboten und du kannst auch einen haben.“

„Das ist nur ein Trick!“, fauchte der Junge und umrundete Rogue, um sich schützend vor das Mädchen zu stellen, das sich sofort vertrauensvoll an seine Jacke klammerte. „Du willst sie nur in eine Falle locken.“

Beinahe wären Rogue die Gesichtszüge entgleist. Woher kamen diese Kinder, dass der Junge ihm derartige Dinge unterstellte?!

„Rogue, ist alles in Ordnung?“

Der Schwarzhaarige blickte über seine Schulter zu Yukino, die sich schnell eine Jacke über die Schultern geworfen hatte. Wahrscheinlich hatte sie gesehen, wie Lector ihn attackiert hatte. Das würde wohl auch tatsächlich eine Beule geben und Rogue brummte der Schädel deswegen, aber er konnte dem Jungen nicht böse sein.

„Ist nicht weiter dramatisch.“

„Da hast du ja noch mal Glück gehabt, du Lümmel!“, schimpfte Yukino mit Lector, der jedoch nur trotzig das Kinn vorschob und einen Arm um das Mädchen legte, das er um mehr als einen Kopf überragte. „Weißt du denn nicht, dass man andere Leute nicht schlägt?!“

„Ich habe nur Frosch verteidigt“, erwiderte der Junge widerborstig.

„Frosch denken auch“, nuschelte das Mädchen und schmiegte sich in die Umarmung des Jungen.

Als Lector für einen Moment den Blick auf seinen Schützling senkte, wurde seine mürrische Miene ganz weich und fürsorglich. Rogue wurde klar, dass Lector für Frosch absolut alles tun würde. Das war gleichzeitig niedlich – er durfte niemals irgendjemandem erzählen, dass er tatsächlich dieses Wort gedacht hatte – und traurig.

Über seine Schulter blickte er wieder zu Yukino, der er ganz ähnliche Gedankengänge ansehen konnte. Unmerklich nickte er ihr zu, damit sie wieder hinein ging. Wenn sie den Kindern zu zweit gegenüber standen, würden die wahrscheinlich irgendwann Reißaus nehmen. Das wollte Rogue unbedingt vermeiden. Er könnte nicht erklären, warum er so empfand, aber er wusste einfach, dass er diesen Kindern helfen musste.

Zu seiner Erleichterung verstand Yukino seinen Wink und zog sich wieder zurück, aber aus dem Augenwinkel konnte er sehen, dass sie durch das Schaufenster weiterhin alles beobachtete. Er achtete nicht weiter auf sie und wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Kindern zu.

„Habt ihr kein Zuhause?“

„Nein“, knurrte Lector und schielte zu seinem Stock, den Rogue noch immer in der Hand hielt. „Brauchen wir nicht.“

„Ihr friert und habt Hunger.“

„Gar nicht wahr!“, begehrte der Junge auf. Als im nächsten Moment ein lautes Magengrummeln erklang, errötete er vor Wut.

Seufzend verlagerte Rogue ein wenig sein Gewicht. So lange in der Hockstellung zu bleiben, war unbequem, aber er wollte nicht aufstehen und somit über den Kindern aufragen, damit hätte er sich sofort ihr Vertrauen verspielt, da war er sich sicher.

„Hört mal, da drin haben sie leckeren Kakao. Ich lade euch ein. Ihr könnt jederzeit gehen, ich nehme euch nirgendwohin mit, wenn ihr das nicht wollt.“ Um sein Angebot zu unterstützen, stellte er den Muffin auf das Fensterbrett.

„Versprochen?“ Froschs Blick huschte zwischen Rogue und dem Muffin hin und her.

„Versprochen.“

Ganz langsam robbte Rogue rückwärts und richtete sich erst auf, als er neben der Eingangstür der Bäckerei war. Den Stock lehnte er daneben, dann ging er zurück ins Innere und suchte sich dort eine ruhige Ecke, nachdem er einen Schwarztee und zwei Tassen Kakao, sowie zwei Stücken der Schokoladentorte des Tages bestellt hatte. Er setzte sich mit Bedacht so hin, dass zwischen ihm und den Kindern der Tisch sein würde, und dann wartete er.

Es dauerte einige Minuten, aber schließlich tapste als erstes Frosch in die Bäckerei, die den halb aufgegessenen Muffin in der einen Hand hielt und mit der anderen Lector hinter sich her zog, der zutiefst misstrauisch zu Yukino und ihren Kollegen blickte. Er wollte ganz offensichtlich tapfer und stark wirken, aber Rogue erkannte einen Schokoladenrest an Lectors Mundwinkel.

„Dankeschön!“, krähte Frosch, nachdem sie auf einen der Stühle gekrabbelt war, und stellte den Muffin auf den Tisch, um nach der Tasse mit dem Kakao zu greifen.

Schnell griff Rogue über den Tisch hinweg und hielt die winzige Hand fest. „Warte noch, das ist heiß.“

Wieder ein wenig verschreckt, nickte Frosch zaghaft und griff nach dem Löffel, um ungeschickt ein Stück von der Torte abzutrennen und sich dieses in den Mund zu schieben. Sie war es offensichtlich nicht gewohnt, mit Besteck zu essen, aber Rogue ließ sie machen. Frosch blieb mit Feuereifer dabei und ihre Augen leuchteten unverhohlen vor Freude. Lector versuchte, weiterhin taff zu bleiben, und ließ sein eigenes Stück eine ganze Weile unangetastet, aber irgendwann griff er doch nach dem Löffel und begann gierig zu essen. Nach seinem Tortenstück griff Lector wieder nach dem Muffin und vertilgte auch diesen, während Frosch noch mit ihrem Tortenstück beschäftigt war. Als die Kinder beide fertig waren, waren sie ganz schön mit Schokolade verschmiert, aber Frosch strahlte über das ganze Gesicht und auch Lector hatte sich eindeutig etwas entspannt.

„Lecker!“, verkündete Frosch und leckte sich die Finger, ehe sie nach der Kakaotasse griff. Lector versteckte seine Freude hinter seiner eigenen Tasse, die er leerte, ohne einmal abzusetzen.

„Ich bin Rogue“, stellte der Schwarzhaarige sich vor, als die Kinder ihre Tassen abgesetzt hatten – Frosch hatte sich mit Kakao bekleckert, weshalb Lector ihr unbeholfen mit einer Serviette das Gesicht und den fadenscheinigen Pullover, der unter der Jacke zum Vorschein gekommen war, abwischte. „Wie heißt ihr?“ Eigentlich hatte er ihre Namen ja bereits aufgeschnappt, aber er hielt es für besser, das Kennenlernen noch mal offiziell zu machen.

„Frosch ist Frosch“, erklärte das Mädchen eifrig und deutete auf sich selbst, ehe es auf seinen Begleiter deutete. „Lector ist Lector.“

„Frosch und Lector“, wiederholte Rogue und an seinen Lippen zupfte ein Lächeln.

Es war ungewöhnlich, ein Kind nach einer Amphibie zu benennen, aber mittlerweile vermutete er, dass die Kinder aus einem Heim ausgebrochen waren. Da war man wahrscheinlich nicht so kreativ und liebevoll mit Namen. Frosch war wahrscheinlich noch viel zu jung, um zu begreifen, was für einen kuriosen Namen sie hatte, aber sie schien dennoch Freude daran zu haben. Jedes Mal wenn sie ihren eigenen Namen nannte, leuchteten ihre großen, dunklen Augen auf.

Aus dem Augenwinkel sah Rogue, wie Yukino und Libra bereits begannen, alles für den Feierabend vorzubereiten. Ein Blick auf seine Armbanduhr verriet ihm, dass er eigentlich schon seit einer Stunde Zuhause sein könnte. Eigentlich hatte er ja kochen wollen, aber er würde stattdessen wohl Reste vom Vortag warm machen. Sting würde sich sicher nicht beklagen, der war über alles glücklich, was er nicht selbst (ver-)kochen musste.

„Wenn ihr kein Zuhause habt, wollt ihr vielleicht mit zu mir kommen?“, wagte er den Vorstoß. Als er bemerkte, wie Lector sich wieder versteifte, beeilte er sich, weiter zu reden. „Ihr könnt natürlich jederzeit wieder gehen. Ich zwinge euch zu nichts. Bei mir ist es warm und ich habe genug zu essen für euch da. Wenn ihr wieder geht, könnt ihr auch etwas mitnehmen.“

Eigentlich wollte er die Kinder überhaupt nicht wieder gehen lassen, aber wenn er das jetzt sagen würde, würde Lector sich unter Garantie Frosch schnappen und mit ihr die Flucht ergreifen. Er konnte nur hoffen, dass er die Kinder auf anderem Wege zum Bleiben überreden konnte.

„Warum hilfst du uns?“, fragte Lector misstrauisch.

Rogue entschied, bei der Wahrheit zu bleiben, und zuckte mit den Schultern. „Weil ich will.“

Mit großen, sanften Augen blickte Frosch zwischen Rogue und Lector hin und her, ehe sie schließlich die Hand des Jungen ergriff und drückte. „Frosch mag Rogue“, erklärte sie treuherzig – in Rogues Brust blühte bei diesen Worten ein wunderbar warmes Gefühl heran.

Noch immer schien Lector mit sich zu hadern, aber ein besorgter Blick aus dem Fenster, ließ ihn schließlich doch nicken. Als Rogue ebenfalls aus dem Fenster sah, musste er ein Seufzen unterdrücken. Schon wieder schneite es! Aber umso wichtiger war es, die Kinder nicht auf die Straße zurück zu lassen. Lector gab zwar offensichtlich mehr als sein Bestes, um Frosch warm zu halten, aber jeder noch so dicke Schal würde irgendwann an seine Grenzen stoßen. Ganz zu schweigen davon, dass Lector sich in dem Aufzug innerhalb weniger Tage eine Erkältung oder schlimmeres einfangen würde.

„Du gehst vor“, ordnete Lector an.

Rogue erhob keinen Protest, sondern wickelte sich nur seinen eigenen Schal wieder um – obwohl er ihn am liebsten Lector gegeben hätte, aber er glaubte nicht, dass der Junge ihn schon annehmen würde – und stand auf. Als er an der Theke vorbei kam, schob Yukino ihm eine zweite Tüte mit Brötchen und Muffins zu. „Die gehen auf mich“, erklärte sie ernst. In ihren braunen Augen lag eine inständige Bitte, die Rogue sofort verstand. Er würde die Weißhaarige auf dem Laufenden halten – und er hoffte sehr, dass es morgen auch tatsächlich noch etwas zu berichten geben würde…
 

Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu tragen: Die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen.

Immanuel Kant
 

Ein normaler Freitagabend sah für gewöhnlich so aus, dass Sting von Rogue mit einer leckeren Mahlzeit willkommen geheißen wurde. Rogue war ein phänomenaler Koch – eine von vielen Eigenschaften, die Sting an ihm liebte – und es machte ihm nichts aus, am Herd zu stehen. Sting hingegen schlemmte zwar für sein Leben gern, aber selbst besaß er überhaupt kein Talent fürs Kochen. Zum Ausgleich versuchte er, andere Haushaltsaufgaben zu übernehmen. Immerhin waren sie gleichberechtigt in der Beziehung. Tatsächlich hatte Minerva sich mal spöttisch darüber beschwert, dass sie Beide eine Bilderbuchbeziehung führen würden. Darüber hatte Sting sich eigentlich nie Gedanken gemacht. Es lief, wie es lief, und es war gut so. Er war glücklich mit Rogue und mit seinem Job.

Heute Abend allerdings roch Sting kein leckeres Essen, als er die Wohnungstür aufschloss, sondern hörte das Rauschen der Mikrowelle und das helle Kichern eines Kindes. Auf der Schuhablage erkannte er neben Rogues Schuhen ein Paar winziger Kinderstiefel und ein Paar durchweichter Kinderturnschuhe, die mit Zeitung ausgestopft waren. An der Kommode hingen neben Rogues Parka zwei Kinderjacken und ein Monster von einem Schal.

Zutiefst verwirrt folgte Sting den Geräuschen in die Küche, wo sein Freund den Tisch deckte, während ein kleiner Junge von vielleicht fünf Jahren und ein Mädchen von zwei bis drei Jahren am Tisch saßen und mit Zauberwürfeln spielten.

Rogue war ein Würfelfan. Er konnte Stunden damit verbringen, diese Dinger zu enträtseln. Neben dem normalen Drei-mal-Dreier hatte er auch allerlei Abwandlungen. Für Sting war das zu hoch. Den Zwei-mal-Zweier konnte er ganz gut lösen, die Pyramide auch und wenn er einen guten Tag hatte, schaffte er auch mal den Dreier, aber der Vierer machte ihn wahnsinnig und am Fünfer hatte er sich gar nicht erst versucht, geschweige denn an noch komplizierteren Würfeln.

Die Kinder schienen ganz begeistert davon zu sein. Besonders der Junge war offensichtlich ehrgeizig und wollte das Rätsel unbedingt lösen, während das Mädchen es einfach nur lustig fand, die einzelnen Ebenen immer wieder zu verdrehen. Rogue warf den Beiden dabei ein Lächeln zu, das Sting sehr verwirrte.

Da keiner der Drei ihn bemerkt hatte, räusperte er sich vernehmlich. Sofort ließ der Junge seinen Würfel fallen und sprang vom Stuhl, die Fäuste abwehrend erhoben, während sein Blick hastig nach einem Fluchtweg zu suchen schien. Das Mädchen verstummte und sah ihn aus großen Augen ängstlich an.

„Schon gut, das ist mein Freund, von dem ich euch erzählt habe. Er tut euch nichts“, erklärte Rogue mit sanfter Stimme, die Sting aller Verwirrung zum Trotz einen angenehmen Schauder über den Rücken jagte. „Sting, das sind Frosch und Lector. Ich habe die Beiden von der Straße aufgesammelt. Es ist doch in Ordnung, wenn sie hier übernachten?“

„Ähm…“ Was sollte man dazu schon sagen? Nein, schick’ sie wieder nach draußen, wo es arschkalt ist und schon seit Stunden schneit? Himmel, war das unfair! „Ja, klar… sicher...“

Der Junge namens Lector schien der Sache noch nicht so recht zu trauen, während seine kleine Freundin nun wieder lächelte. Als sie ihn anstrahlte, spürte Sting, wie etwas in ihm butterweich wurde. Frosch war wirklich ein Goldstück. Die Sorte Kind, die jeder einfach lieben musste. Stings Cousine Lucy wäre hellauf von ihr begeistert.

Das Piepen der Mikrowelle beendete das betretene Schweigen zwischen ihnen. Rogue holte die Auflaufform mit den Essensresten von gestern mit zwei Handschuhen heraus und stellte sie auf das bereit gelegte Brettchen. Bei der Anschaffung der Mikrowelle hatte Rogue insistiert, dass es eine sein sollte, die groß genug für Auflaufformen war. Sting, dem nur wichtig gewesen war, dass er sich damit im Notfall etwas Einfaches zubereiten konnte, hatte keine Proteste erhoben.

Beim Anblick des Essens trat in Lectors Augen die Gier und der Junge wollte schon nach der Auflaufform greifen, aber Rogue hielt ihn auf. „Erst wascht ihr euch die Hände und die Gesichter. Ich habe euch gezeigt, wo das Badezimmer ist.“

„Haben wir doch vorhin schon gemacht“, grummelte Lector, nahm Frosch jedoch bei der Hand, nachdem sie vom Stuhl gerutscht war, und ging mit ihr um Sting herum aus der Küche.

Als er das Rauschen des Wasserhahns im Badezimmer hörte, suchte Sting mit erhobenen Augenbrauen den Blick seines Freundes. „Ich darf keinen Hund ins Haus bringen, aber du darfst zwei Kinder anschleppen?“

„Wenn du einen ausgesetzten Welpen in einer Kiste findest, darfst du ihn behalten“, erwiderte Rogue mit einem verlegenen Schulterzucken. „Hätte ich sie da draußen weiter frieren und hungern lassen sollen?“

„Natürlich nicht“, seufzte Sting und ging zur Spüle, um sich dort die Hände zu waschen, während sein Freund die Zauberwürfel einsammelte und erst einmal nur auf die Küchenplatte legte. Dann gesellte Rogue sich zu ihm und wusch sich ebenfalls die Hände. Ganz automatisch verhakten sich ihre Finger miteinander. „Aber das ist eine komplizierte Sache. Irgendwoher müssen sie doch kommen.“

„Aus einem Heim, glaube ich“, murmelte Rogue. Sie standen so dicht beieinander, dass ihre Schultern sich berührten. „Und nach allem, was ich bisher mitbekommen habe, ist es ihnen dort alles andere als gut ergangen. Du hast ja bereits mitbekommen, wie wachsam Lector ist.“

„So ein Scheiß, dass man sich heutzutage nicht mehr auf solche Einrichtungen verlassen kann“, brummte Sting frustriert. „Aber du weißt, dass wir sie nicht einfach hier lassen können. Irgendjemand wird nach ihnen suchen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob das hier nicht vielleicht sogar strafbar ist.“

„Ich werde morgen Metallicana anrufen, ob er uns einen Tipp geben kann“, erklärte Rogue gedämpft.

Sein Onkel war Polizist, aber Sting war sich sicher, dass er sie nicht gleich anschwärzen würden, wenn sie ihm erzählten, dass sie zwei Straßenkinder aufgenommen hatte, die aus einem Heim entflohen waren. Immerhin etwas, was sie tun konnten. Ein Seitenblick verriet Sting jedoch, dass sein Freund dennoch sehr besorgt war. Mit einer Hand drehte er Rogues Gesicht am Kinn herum und beugte sich vor. „Uns fällt schon noch etwas ein“, erklärte er lächelnd.

Rogues Mundwinkel hoben sich zu einem sanften Lächeln. „Uns?“

„Natürlich uns. Damit lasse ich dich doch nicht alleine“, erklärte Sting und blies beleidigt die Wangen auf.

Schmunzelnd überwand Rogue den letzten Abstand und küsste ihn. Ein ungewohnt unschuldiger Kuss, nur ein sachtes Streifen der Lippen, das in Sting die Sehnsucht nach mehr weckte, aber er unternahm nichts, um es dazu kommen zu lassen. Die Aussicht, dass gleich zwei sehr junge und noch sehr unschuldige Kinder in die Küche kommen konnten, hemmte ihn und Rogue musste es ganz ähnlich gehen.

Tatsächlich kamen genau in diesem Moment Lector und Frosch zurück. Wieder führte Lector die Jüngere bei der Hand und half ihr auch auf den Stuhl. Unwillkürlich musste Sting bei diesem Anblick lächeln. Der Junge kümmerte sich geradezu hingebungsvoll um seine kleine Freundin. Es war schön mit anzusehen, aber gleichzeitig machte es Sting auch traurig, kündete es doch davon, dass die Kinder sonst niemanden gehabt hatte, dem sie vertrauen konnten. Für Sting, der wohlbehütet aufgewachsen war, war das schwer vorstellbar.

Rogue belud zuerst die Teller der Kinder. „Esst langsam“, mahnte er schon wieder mit dieser sanften Stimme, die Sting schaudern ließ. Bisher hatte er seinen Freund nicht im Umgang mit kleinen Kindern erlebt. Mit Gad, dem einjährigen Sohn seines Cousins Gajeel hatte Rogue bisher nicht so viel zu tun gehabt.

Ganz offensichtlich bekamen die Kinder dort, wo Lector und Frosch hergekommen waren, wenig über Tischmanieren beigebracht. Lector schaufelte das Essen eher in sich hinein, während Frosch sich mit dem Umgang mit dem großen Löffel offenbar schwer tat. Unter Lectors wachsamen Augen zerkleinerte Rogue daher die Portion auf Froschs Teller, um es ihr einfacher zu machen.

„Lecker!“, verkündete Frosch glücklich, als sie fertig war und schenkte ihren Gastgebern ein strahlendes Lächeln, bei dem Stings Herz flatterte.

Lector brummelte zustimmend und schielte gierig zum Rest in der Auflaufform. Kurzerhand ergriff Sting den Teller des Jungen und belud ihn mit der kleinen Portion. Als Sting ihm den Teller gab, leuchteten Lectors Augen voll kindlicher Freude. „Danke!“, rief er glücklich aus und machte sich über den Nachschlag her.

Lächelnd stützte Sting sein Kinn mit der Hand ab und beobachtete den Dreikäsehoch. So taff er auch war und so sehr er auch darum bemüht war, immer auf Frosch aufzupassen, letztendlich war er doch noch ein kleiner Junge. Es war schön mit anzusehen, wie aus dem kleinen Kampfhund ein ganz normaler Junge wurde, der sich über so etwas Simples wie einen Nachschlag beim Essen so sehr freuen konnte.

Frosch schlenkerte derweil fröhlich mit den Beinen und sah sich in der Küche um. Ihr Gesicht war beschmiert, sogar an ihrer Nasenspitze war ein Klecks Soße und ihr Pullover hatte auch etwas abbekommen. Der Pullover war an einem Ärmel schon ganz schön ausgefranst und die ehemals grüne Farbe war zu einem Graugrün verblasst. Der Pullover musste vorher Lector gehört haben, denn er war ein gutes Stück zu lang für Frosches kurze Arme und wirkte an ihr beinahe wie ein Kleid. Das war wohl auch der Grund, warum Lector nur ein dünnes Longshirt trug.

Als Lector fertig war, stand Rogue auf, ging ins Badezimmer und ließ dort die Badewanne voll laufen. Eine gute Idee. Hier in der Wohnung war es zwar schön warm, aber Lector hatte sicher immer noch kalte Füße und dreckig waren sie Beide.

Während er hörte, wie sein Freund ins gemeinsame Schlafzimmer ging und dort offenbar etwas suchte, räumte Sting den Tisch ab. Sofort griff Frosch nach ihrem eigenen Teller und brachte ihn zur Spüle, weshalb Lector sich genötigt sah, es ihr gleich zu tun. Lächelnd tätschelte Sting den Kopf des Mädchens, das ihn so arglos anstrahlte. Lector war zurückhaltender. Er schielte mehrmals zur Küchentür, durch welche Rogue verschwunden war.

„Wie verraten euch nicht“, sagte Sting zu dem Jungen und zerzauste seine Haare. „Ihr könnt uns vertrauen.“

Lector strich sich mürrisch die Haare glatt und ging zurück zum Tisch, um die Gläser zu holen. Frosch hüpfte glücklich in der Küche herum und machte lauter Schränke auf, um zu sehen, was sich darin verbarg. Mit einem wachsamen Auge auf Frosch machte Sting den Abwasch. Zu seiner Überraschung griff Lector nach dem Geschirrtuch, um abzutrocknen. Faul war der Junge nicht, auch wenn er langsam war, weil er ebenfalls ein Auge auf Frosch hatte.

Als Rogue in die Küche zurück kam, war der Abwasch bereits erledigt und Sting stellte gerade die saubere Auflaufform in den Schrank. „Die Badewanne ist fertig“, erklärte der Schwarzhaarige und hielt zwei Shirts hoch. „Eure Sachen können wir gleich in die Waschmaschine stecken, für die Nacht habe ich euch Shirts von uns raus gesucht. Die werden zwar zu groß sein, aber besser als nichts.“

„Eine Badewanne!“, jubelte Frosch und sauste an Rogue vorbei. Der beeilte sich, ihr zu folgen. Vorsichtshalber – und weil er sich zugegebenermaßen nicht daran satt sehen konnte, wie Rogue sich um die Kinder kümmerte – kam Sting auch mit.

Während Lector sich selbstständig auszog, half Rogue Frosch aus dem großen Pullover heraus und legte diesen auf die Waschmaschine. Lector, der seine Sachen zuerst auf den Boden hatte fallen lassen, beeilte sich, sie aufzuheben und auch auf der Waschmaschine abzuladen. Als Frosch vollständig entkleidet war, entwirrte Rogue noch die lieblosen Zöpfe, die man ihr gebunden hatte. Das Mädchen kicherte die ganze Zeit und zwischendurch umarmte es Rogue spontan, was diesen gleich wieder aus dem Tritt brachte.

Lächelnd ließ Sting den Blick wieder zu Lector wandern. Sein Lächeln erstarrte, als er auf den Oberarmen des Jungen blaue Handabdrücke erkannte. Jemand musste das Kind brutal gepackt haben. In Sting kochte eine wahnsinnige Wut hoch. Der Junge war großartig, er kümmerte sich hingebungsvoll um Frosch und lag nicht auf der faulen Haut. Wie konnte man ihm so etwas antun?!

„Lector…“, begann Rogue leise, der die Spuren auch bemerkt hatte.

„Ist nichts“, erwiderte Lector trotzig und hielt einen Finger ins Badewasser. Er schien es für angenehm zu befinden, denn er kletterte furchtlos in die Wanne.

Sting und Rogue tauschten einen besorgten Blick, entschieden jedoch einvernehmlich, nichts dazu zu sagen. Ob Lector schon so etwas gewöhnt war und es daher tatsächlich nicht als große Sache ansah – ein monströser Gedanke! – oder ob er einfach nicht darüber reden wollte, um weiterhin stark bleiben zu können, sie wollten ihm seinen Willen lassen. Ansonsten würden sie sein Vertrauen gleich wieder verspielen.

Rogue hob Frosch schließlich in die Badewanne und kniete sich daneben, um ihr dabei zu helfen, sich zu waschen. Das Mädchen war hellauf begeistert vom Schaum und vom warmen Wasser und planschte vergnügt herum. Mit einer Engelsgeduld, die doch sonst eher das Markenzeichen ihrer gemeinsamen Freundin Yukino war, stützte Rogue ihren Rücken, damit sie nicht ausrutschte und mit dem Kopf unter Wasser geriet, und spülte ihre Haare vorsichtig mit dem Duschkopf, ehe er nach dem Shampoo griff.

Da er nicht die ganze Zeit nutzlos herum stehen wollte, ging Sting ins Wohnzimmer und klappte schon mal die Schlafcouch aus. Er suchte alles an Kissen und Decken zusammen, was er noch finden konnte. Sie hatten nur selten Übernachtungsgäste da, weshalb sie nicht so gut ausgerüstet waren. Als er den Schlafzimmerschrank durchsuchte, fiel ihm ein kleines, altes Froschkuscheltier auf, das auf dem Schrank gesessen hatte.

Er musste lächeln. Bei ihrem ersten Date waren er und Rogue gemeinsam zum Jahrmarkt gegangen. Sie waren sechzehn Jahre alt gewesen und Sting hatte trotz der Einwände seines Begleiters sein Taschengeld für Bowle verprasst und war ein wenig angesäuselt gewesen, als er sich in den Kopf gesetzt hatte, beim Dosenwerfen mitzumachen. Rogue hatte sich erbarmt und ihm etwas Geld geliehen und nach zwei Versuchen, bei denen er den Budenbesitzer selbst abgeworfen hatte, hatte er die Dosenpyramide zum Einsturz gebracht. Der Gewinn war dieser Frosch gewesen und er hatte ihm Rogue in die Arme gedrückt und ihn dann vor allen Augen geküsst. Ihr erster Kuss. Nicht unbedingt sehr romantisch, aber heute musste Sting bei der Erinnerung schmunzeln.

Kurzerhand ging er mit dem Frosch zum Fenster und klopfte ihn dort aus, um ihn vom Staub zu befreien, ehe er ihn auf das Schlafsofa setzte. Frosch würde sich unter Garantie darüber freuen.

Als er ins Badezimmer zurückkehrte, trug sein Freund keinen Pullover mehr. Das Wäschestück lag pitschnass im Waschbecken und Rogues Haare klebten im Gesicht. Seine Jeans war ebenfalls nass und gefühlt die Hälfte des Wanneninhalts war jetzt auf dem Badezimmerboden. Sting prustete. Bei Rogues vorwurfsvollem Blick musste er lachen.

„Was habt ihr denn gemacht?“

„Wasserschlacht!“, lachte Frosch, deren Haare noch voller Schaum waren.

„Frosch hat gewonnen“, schmollte Lector, der aussah wie ein begossener Pudel und vorsichtig wieder aus der Wanne stieg, während Rogue nach dem Duschkopf griff und Froschs Haare behutsam ausspülte.

Glucksend griff Sting nach einem großen Handtuch und rubbelte Lectors Haare trocken, ehe er den Jungen einwickelte und sich vor ihn hockte, um mit ihm auf Augenhöhe zu sein. „Du hast sie gewinnen lassen, stimmt’s?“, flüsterte Sting verschwörerisch.

„Pscht!“, machte Lector empört.

Lächelnd trocknete Sting den Jungen weiter ab und half ihm in das Shirt, das Rogue raus gesucht hatte. Es reichte Lector bis zu den Knien, aber zumindest hatte er endlich mal wieder etwas Sauberes an. Als nächstes nahm Sting von Rogue eine saubere Frosch entgegen und trocknete sie ebenfalls ab. Sie kicherte immer noch vor sich hin, versuchte dabei aber, ihr Gähnen zu verstecken. Nicht sehr erfolgreich, aber es war niedlich mit anzusehen.

Als beide Kinder trocken und angezogen waren, hatte Rogue sich auch schon aus seiner nassen Jeans geschält und sich mit einem kleinen Handtuch vom Waschbecken abgetrocknet. Nur in Boxershorts und das Handtuch noch um den Hals gehängt begleitete Rogue seinen Freund und die Kinder ins Wohnzimmer.

„Froschi!“, quietschte das Mädchen, als es den Plüschfrosch entdeckte, und kuschelte sich sofort an ihn, ehe sie auf das Schlafsofa sprang. Lector kroch unter die Decken und gähnte herzhaft. Sting und Rogue gingen sicher, dass die Kinder richtig zugedeckt waren und dass die Heizung warm genug aufgedreht war, dann gingen sie gemeinsam zur Tür.

„Wir sind nur eine Tür weiter. Wenn irgendetwas ist, könnt ihr jederzeit zu uns kommen“, versprach Sting lächelnd.

„Schlaft gut“, wünschte Rogue wieder mit dieser sanften Stimme, die Sting so anregend fand.

„Ihr auch“, nuschelte Lector verlegen, während Frosch nur etwas Unverständliches vor sich hin brabbelte.

Schmunzelnd schloss Sting die Tür hinter sich und sein Freund ging ins Badezimmer zurück, um das Chaos zu beseitigen. Sting machte sich nützlich und schob die abgerissenen Kleider der Kinder in die Waschmaschine. Der Pullover war aus einem unangenehm kratzigen Material, fiel ihm auf, und die Socken waren löchrig und unförmig. Wer wusste, wie viele Kinder diese Sachen bereits abgetragen hatten, ehe sie Lector und Frosch gegeben worden waren.

„Wir sollten morgen als erstes mit den Kindern einkaufen gehen, damit sie richtige Sachen haben“, überlegte Sting laut.

Rogue, der gerade den Wischlappen auswrang, blickte ihn überrascht an. „Das alles macht dir wirklich nichts aus?“

„Du machst Witze, oder?“ Sting lachte leise. „Die Kinder sind großartig! Ich will ihnen unbedingt helfen.“

Nachdenklich legte Rogue den Kopf schief. „Und ich dachte schon, es ginge nur mir so. Sie haben etwas an sich…“

Lächelnd schloss Sting die Klappe der Waschmaschine, stellte das Kurzwäscheprogramm ein und drücke auf den Startknopf. Er wusste genau, was Rogue meinte, auch wenn es schwer in Worte zu fassen war. Sich um Lector und Frosch zu kümmern, fühlte sich vollkommen natürlich an. Als hätte es immer so sein müssen. Als wären sie eine Familie

Ein Seufzen ließ den Blonden wieder zu seinem Freund blicken, der sich den Hinterkopf rieb. „Wobei Lector einen bleibenden Eindruck hinterlassen kann. Er hat mir zuerst mit einem Stock auf den Kopf geschlagen, um Frosch zu beschützen.“

Sting ging zu Rogue und ließ seine Fingerspitzen durch dessen Haare gleiten, die noch immer feucht waren. Behutsam tastete er den Hinterkopf ab, bis er die Beule spürte. Noch viel vorsichtiger strich er die Haare darüber zurück, aber er konnte keine Verletzungen ausmachen.

„Du hättest gleich ein Kühlakku drauf legen sollen“, tadelte er. „Dabei bist du normalerweise derjenige, der mich wegen solcher Sachen ermahnt.“

Rogue blickte über seine Schulter zu ihm auf und schnitt ihm eine Grimasse. „Ich wollte mich zuerst um die Kinder kümmern. Ist ja nur ne Beule und die Kopfschmerzen sind auch erträglich.“

Diese väterliche Seite an Rogue war ungemein aufregend und anziehend für Sting. Bisher hatten sie nie über das Thema Familiengründung gesprochen – immerhin würde Rogue sein Referendariat erst in einem halben Jahr abschließen und Sting war auch erst seit einem Jahr fest bei der Konzerthalle als Violinist angestellt –, aber hier und jetzt hatte der Gedanke, sich gemeinsam mit Rogue um ein Kind zu kümmern, etwas sehr reizvolles.

Versonnen lächelnd beugte Sting sich vor und küsste seinen Freund. Ungehemmter dieses Mal, da die Kinder wohl kaum hier herein platzen würden. Der Schwarzhaarige ging sofort darauf ein, legte den Kopf schräg und drehte seinen Körper. Als ihre Zungen einander begegneten, stöhnte Sting selig und drückte sich enger an Rogues Körper, eine Hand in den schwarzen Haaren vergraben, die andere an der gefliesten Wand hinter Rogue abgestützt. Begierig fuhren Rogues Hände über Stings Pullover und seine Zunge drängte sich zwischen Stings Lippen. Rogues Stöhnen ließ dessen gesamten Körper vibrieren. Sting wurde ganz anders zumute. Er drückte seinen Freund an die Wand und seine Hand fuhr nach unten…

Das Klingeln von Rogues Handy riss die beiden jungen Männer zurück in die Gegenwart. Verlegen lösten sie sich voneinander und Rogue holte das Smartphone aus seiner Jeans, die er achtlos auf dem Klodeckel abgelegt hatte.

„Yukino, sie will wohl wissen, was mit den Kindern ist. Sie war dabei, als ich die Beiden getroffen habe“, erklärte Rogue kurz, ehe er dran ging.

Während Rogue aus dem Badezimmer heraus ging, um im Schlafzimmer weiter zu telefonieren, machte Sting hier weiter. Er hängte Rogues nasse Sachen auf und wischte den Rest des Wassers vom Boden auf. Die mittlerweile wieder leere Badewanne spülte er noch aus, dann verkündete die Waschmaschine mit einem Piepen das Ende ihrer Arbeit. Die Sachen der Kinder hängte Sting ebenfalls auf, damit sie über Nacht trocknen konnten, dann löschte er das Licht im Badezimmer und ging ins Schlafzimmer, wo sein Freund sich gerade zu seinem Bedauern ein Shirt überzog.

„Schönen Gruß von Yukino. Sie hat gefragt, ob wir dann morgen überhaupt mit zum Schlittschuhlaufen kommen. Ich habe ihr gesagt, dass wir das morgen früh entscheiden.“

„Den Kindern würde es sicher Spaß machen. Wenn wir ihnen vorher richtige Sachen kaufen, sollte das schon in Ordnung gehen“, meinte Sting, der ungern auf den Spaß verzichten würde. Immerhin hatten er und Yukino sich extra mit Bixlow abgesprochen, um sicher zu gehen, dass morgen Laxus und Minerva zur selben Zeit auf der Eisbahn waren. Er wollte ungern verpassen, wie die Beiden aufeinander stießen…

Rogue brummte leise, was Sting ein Kichern entlockte. Sein Freund hatte garantiert schon darüber nachgedacht, wie er um das Schlittschuhlaufen herum kam.

Auch Sting zog sich für die Nacht um und sie krochen Beide ins Bett. Mit der Hand stützte Sting seinen Kopf ab und sah seinen Freund an, der die Arme hinter seinem Kopf verschränkt hatte und zur Decke hoch blickte.

„Vielleicht solltest du Metallicana erst am Montag anrufen“, schlug er leise vor.

„Um es hinaus zu zögern?“, seufzte Rogue und drehte den Kopf, sodass sie einander in die Augen blicken konnten.

In Rogues roten Augen erkannte Sting dieselben widerstreitenden Gefühle, die auch ihn plagten. Der Abend mit den Kindern war großartig gewesen. Es hatte sich wunderbar angefühlt, sich um die Kinder zu kümmern, und insgeheim wünschte Sting sich, er könnte das zukünftig jeden Abend tun. Aber wenn sie Metallicana anriefen und der heraus fand, aus welchem Heim die Kinder ausgerissen waren, würden sie dorthin zurück müssen. Das würde Lector ihnen nie verzeihen. Doch sie konnten die Kinder nicht einfach hier behalten. Ansonsten bekamen sie Ärger mit dem Vermieter und wer wusste, mit was alles für Ämtern…

„Dieses eine Wochenende sollten wir ihnen einfach den Frieden lassen“, murmelte Sting, schaltete das Nachtlicht aus und drückte sein Gesicht ins Kissen.

Alles, was Rogue dazu sagte, war ein unzufriedenes „Hm“, aber Sting verstand es nur zu gut. Ein Wochenende war nicht genug…
 

Irgendwann mitten in der Nacht wurde Sting geweckt, als ein winziger Körper über ihn hinweg krabbelte und es sich in der Lücke zwischen ihm und Rogue gemütlich machte, den Plüschfrosch fest an sich gedrückt. Müde lächelnd strich Sting durch Froschs Haare und begegnete dabei Rogues Hand. Das Mädchen nuschelte selig vor sich hin und kuschelte sich an Rogues Bauch.

Einem Instinkt folgend drehte Sting sich herum. Tatsächlich stand neben dem Bett Lector. Dank des Laternenlichts, das durchs Fenster herein fiel, konnte er die Zweifel in den Zügen des Jungen erkennen. Ohne darüber nachzudenken, setzte Sting sich auf, schlang die Arme um Lectors Mitte und zog ihn zu sich aufs Bett und in die Lücke neben Frosch. Seine Decke breitete er sorgsam über den Jungen, wie Rogue es auch schon bei Frosch gemacht hatte, und strich beruhigend über die rotbraunen Haare.

„Schlaf’ gut, Lector“, gähnte Sting.

Der Junge murmelte etwas Unverständliches, was wahrscheinlich mürrisch klingen sollte, aber Sting konnte spüren, dass sich der kleine Körper neben ihm entspannt hatte. Kurz darauf hörte er Lectors und Froschs ruhige Atemzüge und er konnte sich am nächsten Morgen nicht erinnern, jemals zuvor so gut geschlafen zu haben wie in dieser Nacht mit den zwei Kindern zwischen ihm und Rogue im Bett…

Hüpfe zweimal – und es werden deine


 

Nichts ist hilfreicher als eine Herausforderung, um das Beste in einem Menschen hervorzubringen.

Sean Connery
 

Ein leises Wimmern riss Rogue aus dem Tiefschlaf. Benommen blinzelnd sah er sich um. Zuerst erkannte er Sting, der einen Arm um Lector geschlungen hatte und ebenfalls verschlafen blinzelte. Der Junge war bereits hellwach und steif wie ein Brett, die Augen starr auf Frosch gerichtet. Rogue senkte den Blick auf das winzige Mädchen, das er in der letzten Nacht fest in die Arme geschlossen hatte, als es sich an ihn geschmiegt hatte. Jetzt jedoch hockte Frosch am Fußende des Bettes und weinte.

„Was ist los?“

Besorgt richtete Rogue sich auf, knipste seine Nachttischlampe an – ein Blick auf den Funkwecker verriet ihm, dass es gerade einmal sieben Uhr früh war – und schlug die Decke zurück. Da erkannte er auch schon das Problem: Dort, wo Frosch in der Nacht gelegen hatte, war das Laken nass.

„Oh…“

Auch Sting hatte sich nun aufgesetzt und blickte betreten zwischen Frosch und dem nassen Laken hin und her. Lector krabbelte über das Bett zu seiner kleinen Freundin und zog sie in seine Arme. Der Blick, den er zwischen Rogue und Sting hin und her wandern ließ, flackerte vor Angst. Angst wovor?

Überfordert sah Rogue wieder auf das Laken hinunter. Was tat man in so einer Situation? Natürlich hatte Frosch das nicht mit Absicht getan und Rogue fand das auch nicht weiter dramatisch. Dann musste er die Bettwäsche halt in die Waschmaschine stopfen, na und? Aber wie sollte er jetzt mit Frosch umgehen? Sie trösten? Sie ablenken?

Rogues Kopf ruckte hoch, als ihm etwas anderes einfiel. War Frosch im Heim dafür bestraft worden? Hatte Lector deshalb solche Angst und weinte Frosch deshalb auch so herzzerreißend? Der Gedanke trieb Rogue beinahe die Galle hoch.

Tief holte er Luft und strich sich durch die wirren Haare, ehe er langsam auf Lector und Frosch zu kroch. Ganz behutsam strich er über die grünen Haare des Mädchens. Sting schlug sein eigenes Laken zurück und stand auf, um in seine Jogginghose zu schlüpfen.

„Komm’, Lector, wir Beide bereiten das Frühstück vor.“

Zögerlich blickte der Junge auf Frosch hinunter, die immer noch schluchzte und zitterte. Dann suchte er Rogues Blick. Der Schwarzhaarige nickte ermunternd. Auch Lector brauchte jetzt Zuwendung, das hatte Sting schneller als Rogue begriffen. Die Sorge um Frosch musste den Jungen im Heim an seine eigenen emotionalen Grenzen getrieben haben. Wahrscheinlich war er deshalb auch mit seiner viel zu kleinen Freundin ins Ungewisse geflohen.

„Ich kümmere mich um Frosch“, versprach Rogue ernsthaft.

Nur langsam nickte Lector und löste vorsichtig seine Umarmung. Sofort rutschte Rogue nach und zog Frosch auf seinen Schoß, während Lector vom Bett kletterte und zu Sting ging, der ihm geduldig die Hand anbot. Während er sich von Sting aus dem Schlafzimmer führen ließ, blickte der Junge die ganze Zeit über seine Schulter zu Frosch zurück, seine Miene noch immer voller Sorgen und Ängste.

Als er mit ihr alleine war, konzentrierte Rogue sich voll und ganz auf Frosch. Behutsam wiegte er sie in seinen Armen und drückte sie dabei sanft an sich. Ihr Körper war winzig, kam ihm beinahe zerbrechlich vor. Er wünschte sich sehnlichst, sie vor allen Ängsten und Sorgen zu beschützen. Sie sollte nicht weinen, sondern lachen und das Leben genießen!

Es dauerte einige Minuten, bis Frosch sich endlich etwas beruhigt hatte. Sobald er sicher sein konnte, dass sie nicht mehr weinte, setzte Rogue sie auf die Bettkante, kniete sich davor und ergriff behutsam ihre kleinen Hände.

„Du musst keine Angst vor Sting und mir haben, Frosch“, sagte er sanft. „Wir machen jetzt gemeinsam sauber und dann gehen wir zu Sting und Lector, um mit ihnen zu frühstücken, in Ordnung?“

Zaghaft nickte das Mädchen. Aufmunternd strich Rogue durch ihre Haare, ehe er sich aufrichtete und begann, das Bett abzuziehen. Den Plüschfrosch reichte er Frosch, doch sie setzte ihn auf Stings Nachttisch und machte dann Anstalten, ihm zu helfen. Also gab er ihr das abgezogene Bettzeug, damit sie es halten konnte. Die Matratze behandelte er mit Reinigungsmittel und Geruchsspray aus einem kleinen Schrank im Flur und öffnete das Fenster, um zu lüften, dann nahm er der geduldig wartenden Frosch einen Teil ihrer Last ab.

Mit dem Bettzeug beladen gingen sie ins Bad und stopften die Wäsche gemeinsam mit dem Shirt, das Frosch getragen hatte und das ebenfalls nass war, in die Waschmaschine. Aufgrund der Uhrzeit schaltete Rogue das Gerät noch nicht ein. Stattdessen stellte er Frosch in die Badewanne und duschte sie von Kinn abwärts an mit lauwarmem Wasser ab, damit sie wieder sauber wurde.

Als er sie abtrocknete, stupste er sanft ihre Nase an und schenkte ihr ein Lächeln. Ihm wurde warm zumute, als sie es erwiderte. Geduldig zog er ihr die trockenen Sachen an, die sie gestern getragen hatte. Der Pullover war wirklich scheußlich. Dieser kratzige Stoff war eine Zumutung, aber Frosch beklagte sich nicht darüber. Dennoch nahm Rogue sich fest vor, nach dem Frühstück mit Lector und Frosch einkaufen zu gehen, wie Sting es gestern vorgeschlagen hatte. Lector brauchte unbedingt eine richtige Jacke und vernünftige Stiefel!

Nachdem Frosch richtig angezogen war, kämmte Rogue ihre Haare durch und band sie zu einem simplen Pferdeschwanz, die einzige Frisur, die er selbst je ausprobiert hatte. Gewaschen und ordentlich gekämmt hatten Froschs Haare einen gesunden Glanz und fühlten sich seidig weich an.

„Wie Rogue“, staunte Frosch, als Rogue sie vor den Spiegel hielt, damit sie ihre Frisur betrachten konnte. Sie verdrehte den Kopf und strahlte ihn glücklich an. Verlegen erwiderte Rogue ihr Lächeln. Es war nicht beabsichtigt gewesen, einen Partnerlook herzustellen, aber wenn es sie glücklich machte, war er froh darum.

„Und jetzt gehen wir frühstücken“, erklärte er und nahm Frosch bei der Hand, um sie zur Küche zu führen, aus der bereits der Geruch frisch gebrühten Kaffees drang. Im Flur löste sie sich jedoch von ihm und eilte zurück ins Schlafzimmer, also ging er schon mal alleine weiter.

Kurz bevor er die Tür öffnen konnte, hörte er Lectors angespannte Stimme: „Seid ihr uns wirklich nicht böse?“

„Wieso sollten wir?“, erwiderte Sting ehrlich verwirrt. „Frosch hat es nicht mit Absicht getan.“

„Im Heim haben sie immer mit ihr geschimpft und sie gehauen“, presste Lector hervor.

„Wir werden euch niemals hauen, das verspreche ich dir.“ Noch immer klang Stings Stimme ruhig, aber Rogue hörte den wütenden Unterton heraus, der zweifelsohne den Angestellten des Kinderheims galt.

„Können wir nicht einfach bei euch bleiben?“ Darauf folgte unangenehmes Schweigen, das sich quälend lange hinzog, bis Lector enttäuscht weiter sprach. „Wollt ihr uns nicht behalten?“

„Doch!“, beeilte Sting sich und irgendetwas wurde abgelegt, ehe er weiter sprach. „Lector, wir haben euch sehr, sehr gern und wir wollen euch helfen, aber wir bekommen alle Ärger, wenn wir euch einfach so hier behalten. Ihr müsst doch irgendwann mal zur Schule und wenn ihr krank seid, müssen wir den Ärzten auch nachweisen, dass ihr zu uns gehört und all so was… Wir wissen nicht, ob wir euch hier behalten dürfen.“

„Warum sollte euch das jemand verbieten?“

„Ach Lector…“ Rogue hatte bildhaft vor Augen, wie sein Freund sich ratlos die Haare zerzauste. „Das ist alles so furchtbar kompliziert… Ich verstehe den ganzen Kram selbst nicht so richtig, um ehrlich zu sein. Wir rufen übermorgen Rogues Onkel an und fragen ihn um Rat. Bis dahin bleibt ihr auf alle Fälle bei uns und wir werden verhindern, dass man euch jemals wieder weh tut.“

Dieses Mal war es Lector, der schwieg. Rogue hörte Stings schweres Seufzen und zögerte, jetzt einfach in die Küche zu treten. Lector zu beruhigen, war ganz offensichtlich schwieriger als bei Frosch. Er hatte schon mehr im Heim erlebt und das hatte ihn schwer geprägt. Vertrauen fiel ihm wohl schwer und Rogue konnte es ihm nicht verübeln, auch wenn es weh tat.

Während Rogue noch unschlüssig vor der Tür stand und in der Küche Schweigen herrschte, kam Frosch durch den Flur gerannt, das Plüschtier wieder fest an sich gedrückt, und stieß die Küchentür einfach auf. Sofort kehrte das Leben in die Küche zurück. Frosch plapperte in ihrer Kleinkindersprache in einem fort über ihre Haare, umarmte spontan Lector und Sting und kletterte schließlich auf denselben Stuhl, auf welchem sie auch schon gestern gesessen hatte. Beim Anblick des reichlich gedeckten Frühstückstisches klatschte sie begeistert in die kleinen Hände, wobei ihr der Frosch aus den Armen rutschte.

Lector sammelte ihn auf und setzte sich damit neben Frosch. Ihre gute Laune entlockte ihm ein Lächeln und er nickte Rogue zu. Er wirkte gar nicht wie ein Fünfjähriger bei dieser Geste, sondern viel älter, aber Rogue versuchte, sich seine Besorgnis nicht anmerken zu lassen und setzte sich mit an den Tisch, wo Sting bereits Brötchen für die Kinder aufschnitt. Während Lector seine Hälften selbst belegte, wurde für Frosch die erste Brötchenhälfte in kleine Happen geschnitten und mit verschiedenen Käsesorten belegt, die das Mädchen selbst bestimmte.

Je länger Frosch zwischen den einzelnen Happen redete, desto lockerer wurde die Situation. Das Mädchen erfüllte den Raum mit Leben und hauchte allen in ihrer Umgebung Freude ein. Rogue tauschte einen Blick mit seinem Freund, dessen Lippen von einem so sanften Lächeln umspielt wurden, wie Rogue es nie zuvor bei ihm gesehen hatte. Und Rogue verstand, dass Sting genau wie er selbst auch von einer tiefen Zufriedenheit erfüllt wurde – einfach nur weil diese Kinder bei ihnen waren.
 

Glück ist nicht in einem ewig lachenden Himmel zu suchen, sondern in ganz feinen Kleinigkeiten, aus denen wir unser Leben zurechtzimmern.

Carmen Sylva
 

Wenn Sting auch nur geahnt hätte, was für Gesichter seine Freunde machen würden, hätte er eine Kamera mitgebracht. Für eine Sekunde erwog er sogar, ob der Moment noch lange genug anhalten würde, damit er sich mit der integrierten Kamera seines Smartphones auseinander setzen konnte, um das Bild, das sich ihm bot, festzuhalten.

Fassungslosigkeit war wohl die treffendste Beschreibung für das, was sich in den Mienen von Minerva, Orga und Rufus wieder spiegelte. Wie eine Erscheinung starrten sie die beiden Kinder zwischen Sting und Rogue einfach nur an – Frosch an Rogues Bein geklammert, während Lector sich an Stings Hand fest hielt.

Es war zugegebenermaßen auch fies gewesen, die Drei nicht vorzuwarnen, aber das konnten sie dann genauso Yukino vorwerfen, die seltsam lächelnd neben den Anderen stand und so tat, als würde sie ihren Schal fester wickeln, um so von ihrem Lächeln abzulenken.

„Wann es das denn passiert?“, platzte es schließlich aus Orga heraus, seine Stimme wie immer so laut und dröhnend, dass einige Passanten sich verwirrt nach ihm umdrehten.

„Die Frage ist eher wie“, korrigierte Minerva den Hünen, dessen grünblaue Mähne nur von einem Band gezähmt wurde. Ihre langen, schwarzen Haare waren unter einer schwarzen Strickmütze mit Ohrenklappen verborgen. Nur der dicke Zopf hing ihr über die linke Schulter. Für Sting war es eine Genugtuung, seine langjährige Freundin mal so sprachlos zu erleben.

Leider war sein Freund jedoch viel zu gut für die Welt, um die gemeinsamen Freunde weiter zappeln zu lassen. „Das sind Lector und Frosch. Ich habe sie gestern von der Straße aufgesammelt.“

„Frosch ist Frosch!“, krähte das Mädchen, als es seinen Namen hörte, und schenkte den Erwachsenen ein strahlendes Lächeln.

Seit dem Frühstück hatte Frosch glänzende Laune, die sich sogar noch mehr gesteigert hatte, als sie nach dem Essen aufgebrochen waren, um einzukaufen. Drei Stunden lang waren die Vier unterwegs gewesen. Jetzt waren Lector und Frosch komplett neu eingekleidet.

Frosch trug eine grüne Winterjacke mit Reflektorstreifen an den Ärmeln und am Rücken und eine rosa Thermohose – sie war so begeistert von der Farbe gewesen, dass Sting und Rogue ihr den Wunsch unmöglich hatten ausschlagen können. Ihre kleinen Füße steckten in gut gefütterten Winterstiefeln in ihrer Größe, ein rosa Strickschal in Kindergröße schützte ihren Hals und ihre Haare verschwanden unter einer gestrickten Zipfelmütze in allen Regenbogenfarben, deren Zipfel bis zum Hintern des Mädchens reichte.

Lector trug ähnliche Winterstiefel, eine braune Winterjacke und schwarze Thermohosen, dazu eine schwarze Skimütze und einen Strickschal in verschiedenen Blautönen. Die Farbe Blau schien es ihm wirklich angetan zu haben, auch wenn er es nicht so exzessiv auslebte wie Frosch.

In Stings und Rogues Kleiderschrank gab es jetzt für jedes der Kinder ein eigenes Fach mit Kleidung. Sowohl Lector als auch Frosch waren mit mehreren Pullovern, Shirts, Unterwäsche, Socken und Hosen ausgestattet. Außerdem lagen auf dem Wohnzimmertisch eine riesige Palette Wachsmalstifte und ein dicker Block Papier für Frosch sowie zwei Zauberwürfel ganz allein für Lector. Zu Froschi – dem Plüschtier, das Sting und Rogue all die Jahre als Erinnerungsstück gehütet hatten – hatten sich noch zwei kleinere Froschkuscheltiere gesellt. Als ob nicht auch so schon klar wäre, wie vernarrt Frosch in die gleichnamigen Amphibien war, hatte sie jetzt sogar einen Froschpyjama, ebenfalls rosa mit braunen Flecken am Rücken und am Hinterkopf. Und Lector hatte sich zwar geziert, danach zu fragen, aber als Sting ihm ein Wolfplüschtier in die Arme gedrückt hatte, hatte er sich riesig gefreut.

Es hatte ihre Geldbeutel zwar ganz schön geschröpft und sie hatten ganz schön viel schleppen müssen, aber dennoch hatte es Sting großen Spaß gemacht, mit den Kindern einkaufen zu gehen, und er war sich vollkommen sicher, dass es seinem Freund genauso ergangen war. Frosch hatte sich pausenlos gefreut und auch Lector hatte sich irgendwann von ihrer Euphorie anstecken lassen. Er war einfach nur ein Kind gewesen, begeistert von Spielzeugläden und Schokoladenbananen und Kakao.

„Von der Straße aufgesammelt, weil man das halt so macht, hm?“, murmelte Rufus, der sich immer noch nicht ganz gefasst hatte.

Sting zuckte mit den Schultern und grinste unbekümmert. Seine Freunde mochten zwar noch neben der Spur sein, aber er merkte ihnen an, dass keiner von ihnen auch nur das geringste Problem mit den Kindern hatte.

Yukino setzte sich als Erste in Bewegung und ging vor den Kindern in die Hocke. „Erinnert ihr euch noch an mich? Ich bin Yukino.“

„Die Tante mit dem Kakao“, sagte Lector, was Sting noch breiter grinsen ließ. Anscheinend dachte der Junge zuallererst mit dem Magen, was ihm sehr sympathisch war.

„Tante Yu!“, entschied Frosch begeistert.

Die Weißhaarige legte lächelnd den Kopf schief. „Wenn ihr wollt, könnt ihr mich gerne so nennen.“

„Dann bist du Tante Yu“, erklärte Lector flegelhaft und hielt Yukino die Hand zum Gruß hin. Sting gluckste amüsiert, aber Yukino erwiderte die Geste ganz feierlich, ehe sie zu den Anderen deutete.

„Wir sind alle Freunde von Sting und Rogue. Das ist-“

„Ich bin Minerva“, kam Minerva ihrer Freundin zuvor, um zu verhindern, dass diese sie mit ihrem verhassten Spitznamen Nerva vorstellte.

„Tante Mi“, verkündete Lector wie ein kleiner Herrscher. Wenn vorher noch der geringste Zweifel daran bestanden hatte, dass der Junge großartig war, war dieser hiermit endgültig aus der Welt geschafft! Um nicht laut zu lachen bei Minervas steinerner Miene, täuschte Sting ein Husten vor. Yukino kicherte unverhohlen, Orga gluckste, sogar Rufus und Rogue grinsten.

„Aber nur für euch Zwei, damit das klar ist“, sagte Minerva mit in die Hüften gestemmten Armen.

„Ist okay“, erwiderte Lector gönnerhaft. Mittlerweile hatte Sting vom unterdrückten Lachen Bauchschmerzen.

Während sich auch Orga und Rufus den Kindern vorstellten – Orga war besonders enthusiastisch bei der Sache, aber das hatten die Freunde schon immer gewusst, dass er ein Kindermensch war, das blieb wohl nicht aus, wenn man mit fünf jüngeren Geschwistern aufwuchs –, sah Sting sich auf dem Platz vor der Eishalle nach den zwei fehlenden Personen der Gruppe um, die sich zum Schlittschuhlaufen verabredet hatte. Am Eingang der Halle erkannte er einen hünenhaften Blondschopf in Begleitung eines breitschultrigen, aber schlanken Blauhaarigen, der ihm kumpanenhaft einen Arm um die Schultern gelegt hatte. Sting tauschte einen triumphierenden Blick mit Yukino. Sehr gut, auf Bixlow war eindeutig Verlass!

Aus dem Augenwinkel sah Sting Rogues Augenrollen, was ihn jedoch nur noch mehr grinsen ließ. Rogue war der Meinung, dass sie sich nicht in Minervas Liebesleben einmischen sollten, und stellte sich auch konsequent taub, wenn Sting und Yukino Pläne schmiedeten. Dabei waren Sting und Rogue damals auch mehr oder minder verkuppelt worden und man konnte wirklich nicht sagen, dass ihnen das geschadet hatte. Sicherlich, abgeneigt waren sie von Anfang an nicht gewesen und sie hatten einander auch nie so angezickt wie Minerva und Laxus, aber dafür hatten sie Beide ganz schöne Hemmungen gehabt. Immerhin war das damals mit ihrer Beider Coming Out einhergegangen. Für sechzehnjährige Bengel war das eine große Sache. Sting ging jede Wette ein, dass Minerva und Laxus hinter ihren Streitereien auch nur ihre Hemmungen verbargen!

Da! Endlich sah Sting die fehlenden Mitglieder ihrer kleinen Gruppe. Ein junger Mann mit kupferfarbenen Haaren und einem Herzensbrechergesicht und eine junge Frau mit hüftlangen, blonden Haaren, die zu einem komplizierten Zopf geflochten waren, und großen, braunen Augen, die gehetzt und übermüdet wirkten. Sie sah nicht so aus, als wäre sie ganz freiwillig hier. In Stings Brust bildete sich der mittlerweile leider altbekannte Knoten aus Sorge.

Er löste sich von Lector und tätschelte beruhigend seinen Kopf, ehe er Loke mit einem Handschlag begrüßte und dann seine Cousine Lucy umarmte. Wie so oft in letzter Zeit versteifte sie sich in seinen Armen. Seit zwei Jahren konnte sie sich nicht mehr richtig entspannen und das sah man ihr leider allzu oft an.

„Schön, dass du dich von deiner Arbeit loseisen konntest.“

„Mir blieb ja keine andere Wahl, Loke hat Telefonterror gemacht“, brummte Lucy und warf ihrem Ex-Freund einen finsteren Blick zu, der Yukino mit einem Kuss begrüßte. Der Weißhaarigen war diese Zuneigungsbekundung vor Lucys Augen offensichtlich unangenehm und sie warf der Blonden einen schuldbewussten Blick zu. Sting unterdrückte ein Seufzen. Die Situation der Drei war wirklich vertrackt.

„Leute wie dich muss man halt zu ihrem Glück zwingen“, lenkte Sting vom Thema ab und legte seiner Cousine einen Arm um die Schultern, um sie zu Lector und Frosch herum zu drehen. „Darf ich vorstellen, Lucy, das sind Lector und Frosch. Rogue hat die Beiden gestern von der Straße aufgesammelt. Lector, Frosch, das ist meine Cousine Lucy.“

„Tante Lu“, entschied Lector kategorisch und Frosch wiederholte den Namen mit einem begeisterten Händeklatschen.

Vor Überraschung vergaß Lucy völlig, ihre Schilde oben zu behalten. Ihre Schultern entspannten sich endlich einmal und ihre Lippen umspielte ein aufrichtiges Lächeln, als sie sich hinhockte, um Lector und Frosch die Hand zu reichen. „Freut mich, eure Bekanntschaft zu machen. Haltet ihr Sting und Rogue auch gut auf Trab?“

„Machen wir“, versprach Lector grinsend. Sting war so erleichtert, dass seine Cousine sich endlich einmal entspannte, dass er sich nicht einmal über ihren Versuch ärgern konnte, ihn und Rogue zu piesacken.

Da sie jetzt vollständig waren, setzten sie sich in Bewegung. Frosch hüpfte von einem zum nächsten und entschied sich irgendwann dafür, sich an Minervas Hand zu klammern, was dieser ein ungewohnt weiches Lächeln entlockte. Lector hielt sich an Yukino und fragte sie über Kuchen aus. Kaum zu fassen, hatte der Junge doch erst vor einer Stunde zwei der Muffins verdrückt, die Rogue gestern mitgebracht hatte!

Eine Berührung an seiner Hand ließ Sting zur Seite blicken. Rogue lief neben ihm. In seinen roten Augen erkannte Sting wieder dieses fürsorgliche Leuchten. Schon wieder wurde Sting ganz kribbelig zumute und er ließ sich nach einem vergewissernden Blick in Richtung der Kinder dazu hinreißen, einen Schritt schräg nach vorn zu machen und sich umzudrehen, um Rogue zu stoppen. Der Schwarzhaarige schien nur darauf gewartet zu haben, denn er zog Sting an den Enden des Schals zu sich und legte den Kopf für einen Kuss schräg. Sting seufzte selig und umfasste das Gesicht seines Freundes, während er den gefühlvollen Kuss erwiderte.

Seine Cousine entspannte sich, seine Freunde waren alle da, den Kindern ging es gut und er hatte Rogue. Er war in diesem Moment rundum glücklich…

„Tante Mi, was machen Sting und Rogue da?“

„Etwas ganz, ganz schlimmes, du musst sie in Zukunft immer daran hindern.“

„Minerva, sei nicht so garstig“, protestierte Yukino.

Seufzend lehnte Sting seine Stirn gegen Rogues. „Vielleicht hätten wir ihnen die Kinder doch nicht vorstellen sollen.“

„Ich hatte sowieso keine Lust aufs Schlittschuhlaufen“, erwiderte Rogue gnadenlos, gab Sting jedoch noch einen versöhnlichen Kuss, ehe er sich von ihm löste und weiter ging.

Frosch hüpfte jetzt wieder an Rogues Seite und fragte ihn ein Loch in den Bauch, ob das, was er mit Sting gemacht hatte, wirklich etwas Schlimmes sei und wieso eigentlich und warum sie es dennoch taten und so weiter und so fort. Rogue wand sich unter dem unschuldigen, aber sehr peinlichen Fragensturm und Sting spürte in seinem Gesicht die Hitze aufsteigen. Die Anderen hingegen amüsierten sich köstlich, während Rogue so kindgerecht wie möglich versuchte, die Situation zu entschärfen.

Das Ganze fand erst ein Ende, als sie an die Kasse heran traten. Während die Anderen alle Einzelkarten kauften, löste Sting eine Familienkarte für sich, Rogue und die Kinder. Rogue warf ihm deswegen einen missbilligenden Blick zu und Minerva hüstelte auffällig, aber Sting ignorierte Beides und nannte der Frau an der Kasse prompt die Schuhgrößen der Kinder – immerhin hatte er ihnen gerade Schuhe gekauft, da hatte er sie zum Glück noch im Gedächtnis. Mit vier Paar Schlittschuhen beladen folgte Sting seinen Freunden zu den Bänken.

Frosch war super aufgeregt und zappelte die ganze Zeit, was es Rogue schwer machte, ihr die Schlittschuhe richtig anzuziehen. Lector hingegen wollte es zuerst alleine hinkriegen und war frustriert, als er an der komplizierten Schnürung und an den Schnallen scheiterte. Seufzend ging Sting, der seine Schlittschuhe bereits anhatte und keine Probleme damit hatte, sich so im Gleichgewicht zu halten, vor dem Jungen in die Hocke.

„Darf ich jetzt?“

„Na gut“, brummte Lector, sah Sting jedoch sehr genau auf die Finger, wie er die Schnürsenkel überkreuz einharkte und die Schleife band, ehe er die Schnallen einrasten ließ, bevor er sie festmachte.

„So bequem?“

„Glaube schon.“

„Bist du schon mal auf dem Eis gewesen?“

„Nicht mit so was.“

„Ich zeige dir, wie es geht“, bot Sting an und blickte vergewissernd zu Rogue und Frosch. Letztere hatte ihre Schlittschuhe endlich an, während Rogue gerade an seinen eigenen die letzte Schnalle schloss, ehe er aufblickte und seinem Freund zunickte. Gut, Frosch war bei dem Schwarzhaarigen in besten Händen. Der mochte zwar nicht scharf darauf gewesen sein, hierher zu kommen, aber er konnte gut Schlittschuh laufen.

Sting nahm den wackeligen Lector bei der Hand und führte ihn zur Bande. Unterwegs klopfte er Minerva auf die Schulter, die eisern auf der Bank saß und keine Anstalten machte, ihre Schlittschuhe anzuziehen, während um sie herum alle ahnungsvoll grinsten. „Nur keine Müdigkeit vortäuschen, Tante Mi.“

„Du darfst sie nicht so nennen, Sting“, tadelte Lector vorwurfsvoll.

„Bist ein guter Junge, Lector.“

„Ich weiß!“

Sting verbiss sich das Lachen. Er hätte nicht gedacht, dass die Kinder ausgerechnet zu Minerva so einen guten Draht haben würden, aber sie waren offensichtlich Beide sehr angetan von ihrer Tante Mi. Und umgekehrt schien Minerva die Kinder sehr zu mögen. Immerhin erlaubte sie ihnen einfach so, ihr einen Spitznamen zu verpassen. Sting und die Anderen wurden jedes Mal wütend angeblitzt, wenn sie es wagten, sie Nerva zu nennen.

An der Bande half Sting seinem Schützling, die Schoner von den Kufen zu ziehen und dann über die hohe Schwelle der Bande aufs Eis zu steigen. Während er sicher ging, dass Lector warm eingepackt war und auch seine Handschuhe trug, hörte er Froschs unschuldige helle Stimme: „Tante Mi mitkommen?“ Bei Minervas unverständlichem Nuscheln musste Sting grinsen, weshalb Lector skeptisch zu ihm aufblickte.

„Was ist so lustig?“

„Nichts, nichts, lass’ uns loslegen“, winkte Sting noch immer grinsend ab und ergriff beide Hände des Jungen, um ihm bei den ersten Schritten zu helfen, während er selbst rückwärts lief und nur ab und an über seine Schulter blickte, um sicher zu gehen, dass er in niemanden hinein lief.

Am Anfang war Lector noch ganz schön verkrampft, aber er klammerte sich vertrauensvoll an Stings Hände. Gewissenhaft gab der Blonde ihm Tipps, wie es vor so vielen Jahren sein Vater mit ihm gemacht hatte. Da war er sogar in etwa so alt wie Lector jetzt gewesen, fiel ihm auf, und es hatte ihn gewurmt, dass Lucy, die ein Jahr jünger als er war, bereits nach kurzer Lernphase eigenständig an ihm vorbei gefahren war.

Nach drei Runden ließ Sting vorsichtig eine von Lectors Händen los. Nach einer weiteren ließ er komplett los. Unbändiger Stolz erfüllte ihn, als Lector zwar noch sehr wackelig, aber selbstständig weiter fuhr. Achtsam fuhr er neben dem Jungen her und gab ihm weiterhin Ratschläge, erlaubte sich nun jedoch, auch mal Ausschau nach Rogue und Frosch zu halten. Noch immer hielt sich das Mädchen an Rogues Händen fest, aber es hatte offensichtlich Spaß an der Sache.

Unweit von Rogue und Frosch klammerte Minerva sich krampfhaft an die Bande, ihre Knie verräterisch weiß, was Sting wieder grinsen ließ – und er musste gleich noch viel breiter grinsen, als er sah, wie Laxus mehr über das Eis torkelte, als dass er fuhr, und sich dabei so sehr auf seine Füße konzentrierte, dass er gar nicht bemerkte, wie Bixlow ihn auf Kollisionskurs mit Minerva schickte.

„Der Plan geht auf.“

Neben Sting und Lector drosselte Yukino ihr Tempo. Ihre Wangen waren gerötet von der Kälte und ihre braunen Augen leuchteten triumphierend. Sie und Sting schlugen über Lectors Kopf hinweg ihre Fäuste aneinander.

„Findet ihr nicht, dass die Beiden allmählich weit genug sind, um das alleine hin zu kriegen?“, mischte Lucy sich ein, die ebenfalls ihr Tempo gedrosselt hatte. Sting fiel auf, dass Yukino sofort schuldbewusst den Kopf einzog – dabei war Yukino wie so oft wegen einer ganz anderen Sache schuldbewusst.

„Lass’ uns doch den Spaß, Lucy, Nerva bietet sonst so wenig Angriffsfläche und es macht so großen Spaß, sie mit Laxus zu verkuppeln“, verteidigte Sting sein Vorgehen.

„Ihr wisst aber schon, dass sie euch das irgendwann heimzahlen wird?“

„Wir sind schon verkuppelt, wie soll sie uns das schon heimzahlen?“

„Sie wird schon Mittel und Wege finden, gerade du solltest das doch wissen“, seufzte Lucy und hakte sich dann bei Yukino unter, um sie zu einem schnelleren Lauf aufzufordern. Zuerst wirkte Yukino noch zögerlich, aber Lucy ging so ungezwungen kameradschaftlich mit ihr um, dass sie wieder auftaute.

„Du, Sting?“ Der Blonde blickte wieder auf seinen Schützling hinunter, der mittlerweile sicher genug lief, um nicht mehr die ganze Zeit auf seine Füße starren zu müssen. „Was ist verkuppeln?“

„Öhm… Das erkläre ich dir, wenn du älter bist!“
 

Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.

Victor Hugo
 

Die klaren, sanften Töne der Violine trugen durch die gesamte Wohnung. Eine ruhige Weise, langsam, beruhigend, fesselnd. Rogue hatte sich mehrmals dabei ertappt, wie er beim Aufräumen in der Küche inne gehalten hatte, um einfach nur zu lauschen.

Nach dem Schlittschuhlaufen waren sie mit den Kindern wieder nach Hause gegangen – Sting mit schmerzenden Rippen, weil Minerva ihm, als die Kinder gerade nicht hingesehen hatten, ihren Ellenbogen hinein gestoßen hatte. War ja klar gewesen, dass sie sich irgendwie dafür rächen würde, dass Sting sich mal wieder in ihr – wie sie viel zu energisch betonte – nicht vorhandenes Liebesleben eingemischt hatte. Rogues Mitleid hatte sich in Grenzen gehalten, immerhin hatte sein Freund von vorneherein gewusst, auf was er sich bei der Sache einließ.

Während Rogue das Essen vorbereitet hatte – tatkräftig unterstützt von den Kindern, die sich vor allem sehr eifrig als Vorkoster befleißigt hatten –, hatte Sting sich um die Bettwäsche von heute früh gekümmert. Nach dem Essen hatte Sting sich der Kinder angenommen und war nun offensichtlich dabei, sie zum Schlafen zu betten.

Obwohl sie die Kinder erst seit einem Tag bei sich hatten, arbeiteten sie bereits wie ein eingespieltes Team für sie und mit ihnen. Rogue war erstaunt darüber, aber gleichzeitig fühlte es sich für ihn beinahe wie selbstverständlich an. Er genoss es vom ganzen Herzen.

Als das Geschirr endlich trocken war, hängte er das Geschirrtuch an den dafür vorgesehenen Halter und schlich auf leisen Sohlen zur Wohnzimmertür. Sting stand neben der Schlafcouch und ließ mit geschlossenen Augen den Bogen über die Saiten seines Instruments gleiten, während er sich in der Umarmung der Melodie sanft wiegte. Seine Züge waren dabei so weich, so zärtlich, dass Rogue das Herz auf einmal bis zum Hals schlug. Der Schwarzhaarige musste wirklich an sich halten, ruhig im Türrahmen stehen zu bleiben, obwohl er nicht glaubte, dass es Sting gestört hätte, wenn er direkt neben ihm gestanden hätte.

Wenn Sting Violine spielte, schien er sich in einer anderen Welt zu befinden. Er hatte dann jedes Mal so etwas Überirdisches an sich, beinahe wie ein Nimbus aus Heiligkeit. Minerva hatte einmal scherzhaft angemerkt, dass Sting auf Rogue wie der Rattenfänger von Hameln gewirkt hätte. In gewisser Weise hatte sie damit Recht. Sonst war Rogue gar nicht so sehr der Musikmensch, aber Stings Musik hatte etwas Besonderes…

Als die letzten Töne ausklangen, öffnete Sting die Augen und blickte dabei sofort in Rogues Augen. Irgendwie schien er es immer sofort zu wissen, wenn Rogue ihn beim Spielen beobachtete. Um Stings Lippen spielte noch immer dieses zärtliche Lächeln, das so unwiderstehlich auf Rogue wirkte. Der Schwarzhaarige folgte der wortlosen Aufforderung und stieß sich vom Türrahmen ab, um ganz leise zum Sofa zu gehen und die schlafenden Kinder zu betrachten.

Frosch in ihrem rosa Pyjama hatte sich an ihre Plüschfrösche gekuschelt und lächelte selig. Lector hatte das Gesicht in seinen Wolf gedrückt. Im Schlaf wirkte der Junge so jung und weich. Das war der wahre Lector. Ein gerade einmal fünfjähriger Junge, der sich nach Frieden sehnte. Wenn er wach war, versuchte er immer, für Frosch stark und unerschütterlich zu sein. Heute war das schon nicht mehr so ausgeprägt wie gestern gewesen, aber Rogue schätzte, dass es noch lange dauern würde, bis Lector sich selbst einfach nur ein Kind sein ließ. Zu lange hatte er sich das verboten, um sich um Frosch kümmern zu können.

Rogue beugte sich runter, um Froschs Decke höher zu ziehen, und strich dem Mädchen danach eine grüne Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie nuschelte etwas, das nach Tante Frosch klang, und Rogue musste lächeln.

Als er sich wieder aufgerichtet hatte, bemerkte er den Blick seines Freundes. So intensiv, dass es ihm durch Mark und Bein ging. Wie in Trance hob er eine Hand und strich auch Sting eine Strähne aus dem Gesicht, dann ließ er seine Hand an der Wange verharren. Bereitwillig schmiegte Sting sich in die Hand und streifte mit seinen Lippen das Gelenk. Dem Schwarzhaarigen wurde abwechselnd heiß und kalt.

Lectors Gemurmel von Steak riss die beiden jungen Männer zurück in die Gegenwart. Über Stings Gesicht huschte ein Grinsen. „Der Junge denkt pausenlos ans Essen.“

„Da kenne ich noch einen Kandidaten, der so tickt“, schnaubte Rogue und trat den Rückzug aus dem Wohnzimmer an, damit die Kinder in Ruhe schlafen konnten.

„Gar nicht wahr“, schmollte Sting hinter ihm flüsternd, was dem Schwarzhaarigen ein Lächeln entlockte.

„Stimmt, manchmal denkst du auch an deine Musik“, spöttelte er weiter und zog die Tür hinter Sting bis auf einen schmalen Spalt zu.

„Du lässt mich wie einen Einfaltspinsel klingen“, brummte Sting und trollte sich mit seiner Violine ins Schlafzimmer. Als Rogue ihm nach dem Löschen der Lichter in der restlichen Wohnung folgte, war er gerade dabei, die Schnallen seines Violinenkoffers zu schließen.

Zu seiner Verwunderung bemerkte Rogue auf seiner Bettseite zwei Handtücher auf dem Laken. „Wenn Frosch diese Nacht wieder her kommt“, erklärte Sting auf seinen Blick hin. „Ich habe vorhin mit Pa telefoniert und ihn gefragt, ob er sich damit auskennt.“

Rogue zog die Augenbrauen hoch. „Tut er?“

„Na ja, ich war in dem Alter wohl auch noch nicht nachts trocken“, nuschelte Sting verlegen. „Das ist in dem Alter gar nicht weiter ungewöhnlich, meint er. Wir brauchen Windeln für Frosch, die sie zumindest nachts tragen kann. Bevor ich sie und Lector ins Bett gesteckt habe, habe ich sie jetzt einfach noch mal aufs Klo geschickt. Drüben liegen auch Handtücher. Am Montag können wir Windeln besorgen.“

Montag… Rogue seufzte schwer und zog sich den Pullover über den Kopf. Als er wieder etwas sehen konnte, stand sein Freund immer noch an derselben Stelle und sah ihn eindringlich an. Unbehaglich wich Rogue dem Blick aus, denn er wusste genau, was er bedeutete. Während er sich weiter umzog, konnte er die ganze Zeit Stings Blick auf sich spüren.

„Ist doch gut“, murmelte Rogue ergeben. „Ich will sie auch nicht wieder weg schicken.“

„Also fragst du Metallicana, wie wir sie behalten können?“

„Er wird es wohl kaum wissen, aber er kann mir hoffentlich sagen, an wen wir uns wenden müssen.“

Über Stings Gesicht breitete sich ein glückseliges Grinsen aus, bei dem Rogues Herz schon wieder heftig gegen seine Brust schlug, und dann wurde er auch noch stürmisch in die Arme des Blonden gezogen.

„Die Beiden gehören zu uns“, wisperte Sting aufgeregt.

„Natürlich tun sie das“, erwiderte Rogue und griff in die blonde Mähne seines Freundes, um diesen noch näher zu sich zu ziehen.

Ehe sie jedoch die letzte Distanz überwinden konnten, knarrte die Schlafzimmertür leise. Im Rahmen stand wider Erwarten nicht Frosch, sondern Lector. Er hielt seinen Wolf zitternd an sich gepresst und biss sich um Fassung ringend auf die Unterlippe.

„Lector, ist alles in Ordnung?“, fragte Sting und löste sich langsam von Rogue. Der Junge schüttelte nur den Kopf und seine Arme schlangen sich noch fester um das Plüschtier.

„Hast du schlecht geträumt?“, sprach Rogue seine Vermutung vorsichtig aus.

Lector blinzelte heftig und wischte sich hastig über die Augen. Als der kurze Ärmel seines Pyjamas dabei verrutschte, waren die Blutergüsse an seinem rechten Oberarm wieder zu sehen und wie schon am Vorabend regte sich in Rogues Brust ein blutrünstiges Monster, das am liebsten losgestürmt wäre, um den Verantwortlichen mit seiner Untat zu konfrontieren.

Mit wenigen Schritten war Sting bei dem Jungen und hob ihn hoch, um ihn an sich zu drücken. Lector wehrte sich nicht mehr dagegen, wie er es am Vorabend sicher noch getan hätte, sondern ließ stattdessen seinen Wolf fallen, um sich fest an Sting klammern zu können. Dieser setzte sich mit dem Jungen aufs Bett und strich ihm durch die Haare, während er ihm beruhigende Worte ins Ohr flüsterte, aber Lector drückte sein Gesicht stur in Stings Pullover und seine schmalen Schultern zitterten verräterisch.

„Rogue…“

Sofort ging der Schwarzhaarige in die Hocke und breitete für Frosch die Arme aus. Das Mädchen war wohl von Lector geweckt worden und ihm gefolgt. Erleichtert tapste es zu Rogue und schmiegte sich vertrauensvoll in seine Umarmung. Die Plüschfrösche wurden zwischen ihnen eingequetscht, dennoch spürte Rogue das Zittern des schmächtigen Körpers. Einem Impuls folgend, drückte Rogue dem Kind einen Kuss auf die Stirn.

„Alles wird gut“, versprach er wispernd. „Wir lassen euch nicht im Stich.“

Aber in seiner Brust begann dabei eine unterschwellige Angst zu gären. Konnten sie denn tatsächlich dieses Versprechen geben? Waren sie in der Lage, die Kinder zu sich zu holen? Würde man ihnen erlauben, Lector und Frosch ein richtiges Zuhause zu bieten? Die Vorstellung, die Beiden zurück ins Heim schicken zu müssen, war wie ein Dolch in Rogues Brust, der quälend langsam herum gedreht wurde. Ganz unwillkürlich drückte er Frosch noch fester an sich.

In dieser Nacht brauchte nicht nur Frosch die gegenseitige Nähe.

Hüpfe dreimal – und ihr bewältigt Krisen

Hindernisse und Schwierigkeiten sind Stufen, auf denen wir in die Höhe steigen.

Friedrich Nietzsche

„Es führt also wirklich kein Weg daran vorbei?“

Als sein Freund angespannt den Kopf schüttelte, schrumpfte Sting in sich zusammen. Rogue hatte mit seinem Onkel telefoniert und der war zuversichtlich, dass er morgen schnell herausfinden würde, aus welchem Heim die Kinder entflohen waren. Er hatte Rogue auch empfohlen, beim Jugendamt anzurufen und dort Auskunft bezüglich der Adoption zu erbitten. Aber eines hatte Metallicana bereits deutlich gemacht: Die Kinder konnten nicht einfach hier bleiben. Sie mussten zuerst zurück ins Kinderheim, ansonsten könnte man Sting und Rogue Kindesentführung oder sogar noch Schlimmeres vorwerfen.

Sting raufte sich die Haare. Den gesamten Sonntag hatten sie mit den Kindern verbracht. Sie waren mit ihnen in den Zoo gegangen, der dank der Kälte angenehm leer gewesen war, und hatten danach mit ihnen Zuhause Brettspiele gespielt. Kaum dass die Kinder nach dem Essen ins Bett gekrochen waren, hatte Rogue seinen Onkel angerufen. Er und Sting hatten schon den ganzen Tag wie auf glühenden Kohlen gestanden und nicht noch bis Montag mit dem Anruf warten wollen.

Sie waren sich einig, dass sie die Kinder behalten wollten. So absurd das für Außenstehende auch klingen mochte, Lector und Frosch waren ihre Kinder. Die Beiden gehörten zu ihnen, daran bestand nicht der geringste Zweifel. Aber würden Andere das genauso sehen?

„Wenn wir sie ins Heim schicken…“

Sting schaffte es nicht, weiter zu sprechen. Lector vertraute ihnen endlich richtig. Er hatte sich am Vorabend bei Sting ausgeweint und sich die ganze Nacht an ihn gekuschelt. Er hatte Sting sogar anvertraut, dass die Blutergüsse von einem Ladenbesitzer stammten, der ihn vor drei Tagen beim Stehlen erwischt hatte – Lector war es zum Glück mit einem Tritt gelungen, sich wieder zu befreien und dann schnell die Flucht zu ergreifen, ansonsten würde er jetzt schon wieder im Heim stecken. So wie Lector dabei vom Waisenhaus gesprochen hatte, hatte Sting entsetzliche Angst, dass er ihnen niemals verzeihen würde, wenn sie sie ihn dorthin zurück schickten.

Irgendwo im Flur erklang ein Knacken, aber Sting ignorierte es einfach. Er hatte sich schon vor Jahren daran gewöhnt, dass es hier manchmal knackte und knarrte, ohne dass jemand sich bewegt hatte. Das Haus war schon älter.

„Uns bleibt keine andere Wahl“, murmelte Rogue dumpf. Seine Hände hatten sich verdächtig fest um seine Teetasse verkrampft.

Natürlich gefiel ihm das genauso wenig. Lector hatte nur vage und Frosch gar nicht über das Heim gesprochen, aber es war offensichtlich, dass sie dort misshandelt und vernachlässigt wurden – körperlich und emotional. Den Kindern ging es dort nicht gut, sie mussten hier bleiben. Hier waren sie glücklich!

„Ich rufe morgen auf dem Weg zur Arbeit beim Jugendamt an“, seufzte Rogue und trank den letzten Schluck aus seiner Tasse. „Und du passt auf, dass die Kinder keinen Verdacht schöpfen. Sie werden nur Angst bekommen.“

„Es ist scheiße, sie belügen zu müssen.“ Sting barg müde das Gesicht in einer Hand. „Lector ist nicht dumm, er wird etwas bemerken.“

„Ich weiß…“

Sie verharrten in bedrücktem Schweigen. Sting musste schwer schlucken. Nie hatten sie über Familiengründung gesprochen. Es war einfach nicht an der Zeit gewesen. Und dann stolperten diese Kinder in ihr Leben und machten sie zu Vätern. Sting liebte Lector und Frosch so sehr, wie man wohl nur seine eigenen Kinder lieben konnte. Wenn er daran glauben würde, würde er behaupten, dass die Begegnung zwischen Rogue und den Kindern vor zwei Tagen tatsächlich Schicksal gewesen war!

Ein Knall im Flur ließ Sting und Rogue aufblicken. Sie standen auf und verließen die Küche. Im Flur konnten sie zunächst nichts Ungewöhnliches entdecken. Zuerst fiel Sting der knallrote Plüschfrosch auf, den Frosch sich heute im Zooshop rausgeguckt hatte. Er lag im Türspalt zum Wohnzimmer. Sting runzelte die Stirn. Hatte Frosch den nicht zusammen mit den anderen Plüschtieren an sich gedrückt, als sie eingeschlafen war?

Rogues Keuchen ließ Sting in die andere Richtung herum fahren. „Ihre Stiefel und Jacken sind weg“, krächzte der Schwarzhaarige.

Tatsächlich keine Spur von den Sachen, die sie den Kindern gestern gekauft hatten. Eine eisige Faust der Angst schloss sich um Stings Herz, als er erneut herumwirbelte und zum Wohnzimmer eilte, um die Tür aufzureißen. Die Schlafcouch war verlassen, keine Spur von den Kindern. Lectors Plüschwolf lag am Boden und schien mit vorwurfsvollen Knopfaugen zu Sting aufzublicken.

„Nein…“

Sting rannte zurück zur Wohnungstür und riss sie auf. Auf der Fußmatte lagen ein weiterer Plüschfrosch und ein dunkelblauer Kinderhandschuh. Sting wurde schwindelig und er ging in die Knie, um die Sachen aufzuheben.

„Lector muss uns gehört haben.“

Rogues Stimme klang gepresst und zittrig. Über seine Schulter hinweg blickte Sting zu seinem Freund auf. In dessen roten Augen erkannte er dieselbe grauenhafte Angst, die auch ihn quälte.

„Wir müssen sie finden!“
 

Offenheit ist ein Schlüssel, der viele Türen öffnen kann.

Ernst Ferstl

Schwer atmend stützte Rogue sich auf seinen Knien ab. Er wusste nicht, wie lange er und Sting nun schon auf der Suche nach den Kindern waren, aber es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Es herrschten Minusgrade und der starke Wind fuhr unerbittlich durch Rogues Kleidung. Die Kinder hatten zwar ihre Winterstiefel und –jacken angezogen, aber sie hatten sich nicht die Zeit genommen, sich auch die warmen Pullover und Thermohosen anzuziehen, die Sting und Rogue ihnen gekauft hatten. Sie liefen also nur in Pyjamahosen hier draußen rum, wo die Schneewehen teilweise fast einen halben Meter hoch waren…

Der Gedanke an die Kinder trieb Rogue wieder an. Sie mussten doch irgendwo hier in der Nähe sein! Sie hatten nur wenige Minuten Vorsprung gehabt und es war schwer vorstellbar, dass es Lector gelungen war, Frosch allzu sehr zur Eile anzutreiben. Wahrscheinlich musste er das Mädchen halb mit sich mit ziehen.

Inständig hoffte Rogue, dass Lector gar nicht erst versucht hatte, sich so weit wie möglich von der Wohnung zu entfernen, sondern stattdessen gleich nach einem Unterschlupf gesucht hatte. Die Vorstellung, dass sie just in diesem Moment durch den Schnee stapften, brachte Rogue vor lauter Sorge schier um den Verstand.

Um ein größeres Gebiet absuchen zu können, hatten Sting und Rogue sich aufgeteilt. Bislang erfolglos. Aber daran, aufzugeben, war nicht im Mindesten zu denken. In der Wohnung würde Rogue keine Ruhe finden, solange die Kinder hier draußen in der Kälte waren.

„Rogue, was ist passiert?“

Benommen blinzelnd drehte der Schwarzhaarige sich um und erkannte Minerva, die verdächtig nahe neben einem mürrisch dreinblickenden Laxus stand. Unter normalen Umständen hätte Rogue sich über das Beisammensein der Beiden gewundert, aber dafür hatte er jetzt absolut keinen Kopf.

„Lector und Frosch sind abgehauen.“

Minerva stellte keine weiteren Fragen, sie setzte sich in Bewegung, ohne sich damit aufzuhalten, Laxus irgendetwas zu erklären, und zückte ihr Smartphone, um eine Nummer zu wählen. Während sie sich das Gerät ans Ohr hielt und darauf wartete, dass endlich abgenommen wurde, legte sie Rogue im Laufen eine Hand auf die Schulter.

„Wir finden sie, Rogue. Sicher geht es ihnen gut, Lector ist ein cleverer Bursche.“

Fahrig nickte Rogue und schritt schnell aus. Mühelos hielt Minerva mit ihm Schritt und sah sich selbst suchend um. Als endlich abgenommen wurde, ließ sie der Person am anderen Ende der Leitung keine Zeit für eine Beschwerde. „Ich weiß, dass es spät ist, Rufus, aber wir brauchen deine Hilfe. Lector und Frosch sind ausgerissen. Weck’ Orga und mach’ dich mit ihm auf die Suche. Ihr nehmt die Gilden-Gassen, wir gehen die Kathedralen-Allee ab.“

Noch nie zuvor war Rogue so dankbar gewesen, eine Soldatin zu seinen Freunden zählen zu können, wie in diesem Moment. Minerva ging die Krise systematisch an, hatte sofort einen Plan und organisierte alles mit einer Selbstverständlichkeit, als würde sie jeden Tag nach entflohenen Kindern suchen.

Nachdem Minerva das Gespräch mit Rufus beendet hatte – offenbar hatte der Informatiker sofort sein Einverständnis zur Mithilfe erklärt –, rief sie Yukino an, erklärte ihr die Situation genauso knapp und schickte sie in das King-Kardia-Viertel. „Loke hilft auch mit“, sagte Minerva, nachdem sie aufgelegt hatte, und steckte ihr Handy zurück in die Tasche.

Weiter stapften sie durch den Schnee und riefen nach den Kindern. Minerva hielt jeden der wenigen Passanten an, denen sie begegneten, und fragte nach Lector und Frosch, aber niemand hatte sie gesehen.

Mit jeder weiteren Minute wuchs Rogues Angst. Er wollte losrennen, aber seine Freundin hielt ihn eisern fest. „Wenn du durch die Gegend hetzt, kriegst du gar nichts um dich herum mit. Wir müssen alles ganz genau absuchen, Rogue“, maßregelte sie ihn.

„Sie sind nicht warm genug angezogen“, krächzte Rogue.

„Ein Grund mehr, warum wir aufmerksam bleiben müssen. Lector wird nach einem windgeschützten Versteck gesucht haben und er wird sich dabei nicht viel Zeit gelassen haben, um Frosch nicht zu lange dem Wind auszusetzen“, argumentierte Minerva geduldig. „Beruhige dich, Rogue! Mit Panik hilfst du ihnen nicht weiter!“

Die beschwörenden Worte halfen dem Schwarzhaarigen, endlich zur Ruhe zu kommen. Minerva hatte voll und ganz Recht. Lector war so reif gewesen, Frosch aus dem Heim fort zu bringen, und er hatte sich mit ihr auf der Straße durchgeschlagen. Sicher war er auch so clever, wie Minerva es prophezeit hatte!

„Sting und ich wollen sie zu uns holen“, murmelte er und ließ den Blick über den Platz der Schätze gleiten, der am Südende der Kathedralen-Allee lag. Der Springbrunnen war außer Betrieb und die vielen Schaufenster waren dunkel. Es musste mittlerweile tiefste Nacht sein, aber das kümmerte Rogue nicht weiter. Was bedeutete es schon, morgen pünktlich und ausgeruht bei der Arbeit zu sein? Hier ging es um seine Kinder!

„Natürlich wollt ihr das. Das sind eure Kinder.“ Überrascht sah Rogue seine alte Schulfreundin an, die milde lächelte. „Es war ziemlich offensichtlich, wie viel sie euch bedeuten, Rogue. Ihr habt euch nicht einfach wie nette Onkel verhalten, die die Verantwortung nach ein paar Tagen wieder abtreten, ihr wart durch und durch die Väter der Beiden. Yukino und Rufus haben es auch bemerkt, Lucy wahrscheinlich auch.“

Verlegen rieb Rogue sich den Nacken. Minerva tätschelte besänftigend seine Schulter.

„Es sind tolle Kinder, Rogue. Ich mag sie sehr. Wir gehen also nicht eher nach Hause, ehe wir sie nicht gefunden haben.“

„Danke“, presste Rogue in Ermangelung einer besseren Antwort hervor.

Minerva erwiderte nichts darauf, sondern formte mit ihren Händen einen Trichter und rief wieder nach den Kindern. Rogue tat es ihr gleich und so suchten sie systematisch die gesamte Kathedralen-Allee ab, inklusive des gleichnamigen Parks am Ende der Allee. Jede Gasse gingen sie ab, schauten hinter jedem Müllcontainer nach, durchsuchten jedes noch so kahle Gebüsch, leuchteten mit den Lampen ihrer Smartphones jede enge Höhle und Spalte in hohlen Bäumen, auf Spielplätzen und dergleichen mehr ab.

Als sie wieder aus dem Park heraus kamen, lief ihnen Sting beinahe in die Arme. Sein Atem ging schwer und seine Haare waren verschwitzt – und natürlich trug er wie immer keine Mütze. Er besaß prinzipiell keine, weil er in Bezug auf seine Haare eine kleine Macke hatte. Mit den nassen Haaren würde er sich hier draußen noch etwas einfangen, also zog Rogue sich die eigene Mütze vom Kopf und stülpte sie über Stings Kopf. Sein Freund war so durch den Wind, dass er nicht einmal protestieren konnte.

„Sting, welche Straßen bist du abgelaufen?“, fragte Minerva streng. Vage deutete der Blondschopf hinter sich, woraufhin Minerva die Augen verdrehte. „Es wird nicht besser, wenn ihr Beide wie aufgescheuchte Glucken herum rennt. Das sind kleine Kinder, keine Elefanten, die man leicht finden kann. Wir gehen jetzt noch mal Stings Strecke ab.“

„Wir sind keine Glucken“, nuschelte Sting.

„Also Gockel seit ihr im Moment sicher nicht“, erwiderte Minerva trocken und setzte sich resolut an die Spitze des Suchtrupps.

Sie bogen in das Labyrinth aus engen Gassen ein, das die Altstadt von Magnolia durchzog. Minerva durchforstete vor allem die dunklen, engen Hinterhofgassen, in denen der Wind nicht so stark pfiff und in denen oft Müllcontainer oder –tonnen und zuweilen auch Gerümpel standen. Die tagsüber so lebendigen Gassen mit den vielen Geschäften ließ sie hingegen größtenteils außer Acht. Sie ließen sich sowieso meist schon mit einem Blick erfassen, da sie über Nacht vollkommen leer waren.

Auch hier gab es nirgends eine Spur von den Kindern, aber Minerva ließ ihren beiden Freunden keine Zeit, in Panik auszubrechen, sondern führte sie immer weiter durch das Gassengewirr, bis sie schließlich den Fluss erreichten. An der Promenade ging es entlang. Bei der großen Brücke der Freiheit kletterte Minerva über das Promenadengeländer und stieg die Treppe hinunter, die eigentlich nur für Schifffahrtspersonal zugänglich sein sollte, das unten am Flusshafen gebraucht wurde.

Am Hafen leuchtete Minerva mit ihrer Handylampe jedes Boot ab und Sting und Rogue schwärmten aus und taten es ihr gleich. Unter jeder Bootsplane glaubte Rogue, die Konturen zweier kleiner Körper ausmachen zu können, aber jedes Mal stellte sein rationaler Gehirnteil enttäuscht fest, dass der Schnee auf den Planen zu dick war, um allein von den paar Stunden seit dem Verschwinden der Kinder zu stammen. Er hatte schon beinahe das Ende des Hafens erreicht, als er Minervas leisen Ruf hörte.

Er wirbelte so schnell herum, dass er beinahe auf den glatten Planken ausgerutscht und ins Wasser gefallen wäre, aber er konnte sich an einem nahen Polder festhalten. Kaum dass er wieder sicher auf den Beinen war, rannte er zu seiner Freundin und erreichte sie beinahe gleichzeitig mit Sting. Minerva hatte die Plane von einer kleinen Yacht fortgezogen, in deren halboffener Steuerkabine Lector und Frosch hockten und sich schlotternd aneinander klammerten.

Frosch, das Gesicht in Lectors Jacke gepresst, weinte leise und drückte mit einer Hand die ihr verbliebenen Plüschfrösche an sich, während Lector beide Arme fest um sie geschlungen hatte und über ihren Rücken und ihre Arme rieb, um sie warm zu halten. Lectors dunkle Augen waren extrem geweitet. Er wirkte beinahe wie ein Reh im Scheinwerferlicht, nur dass seine Augen immer wieder hektisch nach einem Ausweg suchten.

„Hey…“ Vorsichtig stieg Minerva in die Yacht und ging vor den Kindern in die Hocke. Rogue wäre ihr am liebsten gefolgt, aber etwas sagte ihm, dass es besser war, sie erst einmal machen zu lassen, und er hielt Sting zurück. „Ihr habt uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Sting und Rogue haben sich große Sorgen um euch gemacht.“

„Rogue…“ Frosch hob den Blick. Als sie Sting und Rogue erkannte, malten sich in ihren Gesichtszügen Erleichterung und Freude ab und sie wollte aufstehen und zu ihnen gehen, aber Lector hielt sie fest.

„Geh’ nicht zu ihnen, Frosch. Sie wollen uns weg schicken“, sagte Lector zähneklappernd.

„Nein, Rogue ist lieb! Sting ist lieb!“, widersprach Frosch energisch.

Es schnitt Rogue ins Herz, die Kinder so zu sehen. Lector schien das Vertrauen in ihn und Sting völlig verloren zu haben, während Frosch unerbittlich an sie Beide glaubte. Ein Zerwürfnis zwischen Lector und Frosch war das allerletzte, was Rogue jemals hätte herbei führen wollen.

„Lector, darf ich mich um Frosch kümmern, damit du mit Sting und Rogue reden kannst?“, bot Minerva mit ungewohnt sanfter Stimme an.

„Nein, ich will nicht reden. Und du darfst Frosch nicht haben! Ihr wollt uns ins Heim bringen.“

„Wollen wir nicht“, krächzte Sting. „Bitte lass’ es uns erklären, Lector. Wir wollen euch helfen.“

„Lügner!“, schrie der Junge.

„Nein, Sting lügt nicht“, jammerte Frosch kläglich und versuchte, sich aus Lectors Griff zu entwinden. Aus Angst, ihr weh zu tun, ließ er sie schließlich doch los und sie stolperte über das schwankende Boot zur Reling. Schnell stieg Rogue ins Boot hinein, damit das Mädchen keinen Versuch unternahm, alleine auf den Steg zu klettern, und schloss es fest in seine Arme. Er war unglaublich erleichtert, Frosch wieder an sich drücken zu können. Die letzten Stunden hatten ihm schrecklich zugesetzt.

„Ich hasse euch!“, rief Lector mit Tränen in den Augen. „Ihr habt gelogen! Ihr bringt uns zurück ins Heim und lasst uns allein!“

„Lector, bitte…“ Sting stand wie festgefroren noch immer auf dem Steg und rang verzweifelt mit den Händen. Als Rogue zu ihm aufblickte, erkannte er sogar Tränen in Stings Augen. Er musste selbst an einem Kloß in seinem Hals schlucken. Lectors Vorwürfe taten entsetzlich weh und am schlimmsten daran war, dass sie ein Körnchen Wahrheit enthielten.

„Verräter!“, brüllte Lector und tastete hinter sich nach einem Fluchtweg. „Ihr tut Frosch weh!“

„Das reicht!“, zischte Minerva. Ihre Stimme schnitt wie ein Messer durch die Spannung in der Luft. Sofort verstummte Lector und blickte aus großen, tränenerfüllten Augen zu der Schwarzhaarigen auf, die sich zu voller Größe aufgerichtet hatte. „Sting und Rogue wollen euch zu sich holen! Sie wollen dich und Frosch adoptieren! Ihr sollt ihre Kinder werden! Aber so etwas geht nicht sofort, Lector. Wenn ihr einfach bei ihnen bleibt, kriegen die Beiden großen Ärger und dann dürfen sie euch nicht behalten. Sie müssen euch ins Heim schicken, aber nur für eine kurze Zeit, bis ihr für immer zu ihnen könnt. Verstehst du das?“

Rogue fragte sich, woher Minerva das alles wusste. War sie ihnen etwa so weit voraus gewesen, dass sie all das vorhergesehen und sich über das Thema informiert hatte? Zu zutrauen war es ihr. Immerhin hatte sie ja schon zugegeben, dass sie gestern bereits erkannt hatte, was Sting und Rogue für die Kinder empfanden.

„Nein!“, antwortete Lector, aber es klang nicht trotzig oder vorwurfsvoll, sondern verzweifelt. Die Tränen rannen jetzt ungehindert über sein gerötetes Gesicht. „Warum können wir nicht einfach da bleiben? Ich will nicht zurück ins Heim! Sie tun Frosch weh!“

„Nie wieder!“, sagte Sting und sprang so hektisch ins Boot, dass es bedenklich schwankte. Er stolperte nach vor und ging vor Lector in die Knie, um nach den Händen des Jungen zu greifen. „Wir lassen nicht zu, dass euch jemand weh tut! Wir kommen euch jeden Tag besuchen! Wir passen auf euch auf!“

„Ich glaube euch nicht“, schluchzte Lector jämmerlich und entriss Sting seine Hände wieder. „Ihr lügt! Ihr lügt!“

„Tun wir nicht“, sagte Rogue, auf einmal von ruhiger Gewissheit erfüllt. „Ihr gehört jetzt zu unserer Familie und wir kümmern uns um unsere Familie.“

Frosch hob den Blick und sah mit so viel Vertrauen und Zuneigung zu Rogue auf, dass diesem ganz warm zumute wurde. „Familie. Sting und Rogue und Lector und Frosch?“

„Genau.“ Ganz sanft strich Rogue über Froschs kalte Wange.

Das alles schien für Lector zu viel zu sein. Er brach in Tränen aus. Heulend kauerte er sich in seiner Ecke zusammen, aber er versuchte krampfhaft, die Tränen wieder einzudämmen. Frosch begann auch wieder zu weinen und Rogue musste heftig blinzeln.

Vorsichtig verließ Minerva das Boot. Rogue konnte noch sehen, wie sie ihr Smartphone zückte, ehe sie sich taktvoll von der Yacht entfernte, damit die kleine Familie das unter sich klären konnte. Sie würde sicherlich Rufus und Yukino anrufen, um sie wieder nach Hause zu schicken. Rogue wusste gar nicht, wie er der Schwarzhaarigen jemals für das danken sollte, was sie in dieser Nacht für ihn und Sting getan hatte. Ohne ihre systematische Herangehensweise hätten sie die Kinder vielleicht niemals gefunden und wer wusste, was dann aus diesen geworden wäre?

Unwillkürlich zog Rogue das Mädchen noch enger an sich und drückte sein Gesicht in die grellbunte Zipfelmütze. Vertrauensvoll schmiegte Frosch sich weiter an ihn und ließ ihren Tränen freien Lauf. Für sie musste das alles hier ein großer Schock gewesen sein. Auf einmal aus dem Schlaf gerissen, durch die halbe Stadt gezogen und dann hier der Kälte ausgesetzt zu werden. Am schwersten wog aber wohl Lectors Zustand für sie. Bisher war der Junge immer ihre unerschütterliche Säule gewesen. Lector war immer für sie stark gewesen, hatte sich hingebungsvoll um sie gekümmert, aber er war nun einmal auch nur ein kleiner Junge.

Als Lector einen markerschütternden Schrei ausstieß, zuckten Rogue und Frosch gleichermaßen zusammen. Der Junge hatte Sting angesprungen und dabei auf den Rücken geworfen und trommelte nun mit seinen kleinen Fäusten auf Stings Brustkorb ein. Dieser wiederum unternahm nichts, um Lector aufzuhalten.

„Ich will nicht weg!“, schrie Lector aus voller Kehle und noch immer weinend. „Ich will nicht ins Heim! Ich will bei euch bleiben!“ Wie eine Schallplatte mit Sprung wiederholte er diese Worte in einem fort. Seine Stimme wurde dabei immer schriller, ehe sie vor Erschöpfung erstarb.

Erst als Lector schluchzend über ihm zusammen brach, schlang Sting die Arme um den Jungen, richtete sich in eine sitzende Position auf und vergrub sein Gesicht in den rotbraunen Haaren.

„Wir lassen euch nicht im Stich. Niemals. Ihr seid unsere Kinder!“, flüsterte Sting heiser und seine Schultern zitterten verräterisch.

Vorsichtig stand Rogue mit Frosch in seinen Armen auf und ging hinüber zu Sting, um sich direkt neben ihm zu Boden sinken zu lassen. Seine und Stings Schultern drückten sich aneinander und Frosch kroch halb auf Stings Schoß, um sich auch an Lector schmiegen zu können, der sofort einen Arm um sie schlang. Mit einer ihrer winzigen Hände hielt Frosch sich jedoch weiterhin an Rogue fest und auch Lector ließ nicht vollends von Sting ab.

Erschöpft lehnte Sting seinen Kopf gegen Rogues Schulter und schloss die geschwollenen Augen. Er sah vollkommen fertig aus. Ganz unwillkürlich drückte Rogue seine Lippen gegen die Stirn seines Freundes. Die Berührung ließ Sting die Augen wieder öffnen und den Kopf heben. Was folgte, war ein unglaublich behutsamer, zärtlicher Kuss, der Rogue beinahe alles um ihn herum vergessen ließ. Der eisig pfeifende Wind, das schwankende Boot, die späte Stunde, all das war vollkommen unwichtig. Alles, was tatsächlich zählte, waren Sting und die Kinder in ihren Armen – ihre Kinder.

Ihre Familie.
 

Ehe man eigene Kinder hat, hat man nicht die leiseste Vorstellung davon, welches Ausmaß die eigene Stärke, Liebe oder Erschöpfung annehmen kann.

Peter Gallagher

Als Sting und Rogue schließlich mit den Kindern in ihren Armen die Flusspromenade erreichten, wartete Minerva bereits neben einem Kleintransporter mit der elegant-verschnörkelten Aufschrift Zodiac Kitchen. Loke saß am Steuer. Als Koch des Fünf-Sterne-Restaurants hatte er wohl auch Zugang zum Schlüssel für den Wagen – wahrscheinlich war der eigentlich dafür gedacht, um Zutaten vom Markt zu holen.

Yukino, die auf dem Beifahrersitz gewartet hatte, sprang heraus und lief ihnen entgegen, um sowohl Sting als auch Rogue zu umarmen. Die Sorgen, die sie geplagt hatten, waren der Weißhaarigen nur zu deutlich anzumerken. Mit dem freien Arm erwiderte Sting ihre Geste dankbar. Es tat gut, solche Freunde zu haben!

„Rogue, ich rede mit einem Kollegen, der kann dir eine Krankschreibung für die Woche ausstellen“, erklärte Minerva. Wieder einmal dachte sie gleich mehrere Schritte voraus.

„Wie spät ist es überhaupt?“, fragte Sting und unterdrückte dabei nur mühsam ein Gähnen.

„Die Frage ist eher, wie früh es ist“, erwiderte Loke, der ebenfalls aus dem Transporter ausgestiegen war und Sting und Rogue Decken gab, in die sie die Kinder wickeln konnten. „Es ist drei Uhr morgens.“

„Scheiße, ihr müsst morgen alle arbeiten…“

Schuldbewusst blickte Sting von Minerva zu Yukino und dann zu Loke, doch die winkten allesamt ab.

„Ich muss erst am Nachmittag anfangen und Yukino hat ihren freien Tag“, sagte Loke entspannt.

„Und selbst wenn es nicht so wäre, wären wir dennoch hier“, erklärte Yukino wild entschlossen.

„Orga und Rufus habe ich allerdings schon nach Hause geschickt, die haben nicht so viel Glück mit ihren Arbeitszeiten wie unsere kleinen Turteltauben hier“, erklärte Minerva, woraufhin Yukino rot anlief und Loke ihr einen säuerlichen Blick zuwarf.

Stings Mundwinkel zuckten müde. Es war ihm unbegreiflich, wie Minerva zu so einer unmenschlichen Stunde noch so fit sein konnte, um Yukino aufzuziehen. Allerdings war Sting auch nicht entgangen, dass die Schwarzhaarige nichts darüber erzählt hatte, wann sie wieder in der Kaserne ihren Dienst antreten musste. Beinahe traute er ihr zu, dass sie schon in drei oder vier Stunden da sein musste und deshalb gar nicht erst ins Bett gehen würde. Diese Frau war einfach unschlagbar!

Sie stiegen in den Kleintransporter und machten es sich dort so bequem, wie das eben auf der kahlen Ladefläche möglich war. Sting war so erschöpft, dass er während der kurzen Fahrt dennoch eindöste. Nur ganz am Rande hörte er Rogues gelegentliches Brummen. Der Schwarzhaarige konnte in Autos nicht gut schlafen. Die Kinder hingegen schliefen wie die Murmeltiere. Sie waren nicht einmal aufgewacht, als Loke den Wagen gestartet hatte.

Sting wurde erst wieder richtig wach, als Minerva seinen Fuß anstupste. Benommen blinzelnd sah er zu ihr hoch und fragte sich wieder, wie sie es schaffte, nicht im Mindesten müde auszusehen.

„Aufstehen, Dornröschen, Schneewittchen, wir sind da.“

„Du bist die Pest, Minerva“, brummte Sting und wuchtete sich mühsam in die Höhe, ehe er sich umdrehte und seinem Freund eine Hand anbot, um ihn hoch zu ziehen.

Mit steifen Gliedern stiegen sie aus dem Transporter heraus und verabschiedeten sich von Loke mit einem kameradschaftlichen Handschlag und von Yukino mit einer weiteren Umarmung. Zuletzt zog Sting Minerva in eine ruppige Umarmung und krächzte ihr ein heiseres Danke ins Ohr. Ehe die Schwarzhaarige sich dagegen wehren konnte, hatte auch Rogue sie umarmt. Yukino und Loke standen am Fahrerhaus und beobachteten die Szene amüsiert grinsend.

„Rührseliges Pack“, schnaufte sie, strich jedoch liebevoll durch Lectors und Froschs Haare. „Passt mir ja gut auf die Kleinen auf und haltet mich auf dem Laufenden.“

„Machen wir“, versprach Rogue und wechselte Frosch auf den anderen Arm.

Minerva stieg wieder in den Transporter, um sich von Loke nach Hause bringen zu lassen, und Sting und Rogue stiegen die Treppen hinauf zu ihrer Wohnung. Die Lichter brannten noch. Vor lauter Sorge um die Kinder hatten sie völlig vergessen, sie zu löschen.

Ohne Umschweife trugen sie Lector und Frosch ins Schlafzimmer und zogen ihnen dort die Winterjacken und –stiefel und die nassen Pyjamahosen aus. Sie waren so erschöpft, dass sie die Sachen einfach gemeinsam mit ihrer eigenen Kleidung zu Boden warfen, um so schnell wie möglich ins Bett kriechen zu können. Rogue stellte sich nur noch einen Wecker, um vor Arbeitsbeginn seinen Chef anrufen und Bescheid sagen zu können, dass er heute nicht zur Arbeit kommen würde, dann knipste er seine Nachttischlampe aus und rutschte an das Knäuel heran, das Sting und die Kinder bildeten.

Lector mit dem Rücken an Stings Bauch und Frosch mit dem Gesicht an Lectors Brust, ihren geliebten Froschi an sich gedrückt. Sting hatte einen Arm unter seinen Kopf geschoben, den anderen um die Kinder gelegt. Rogue schloss den Kreis von der anderen Seite und legte seinerseits einen Arm um Frosch und Lector, sodass die Arme der beiden jungen Männer sich über den Kindern überkreuzten.

„Rogue…“

Der Schwarzhaarige brummte müde. Sting konnte seine Gesichtszüge durch die Dunkelheit nicht erkennen, aber er wusste instinktiv, dass sein Freund die Augen noch nicht geschlossen hatte.

„Wir werden unser Versprechen halten, richtig? Wir holen sie zu uns.“

„Natürlich tun wir das“, murmelte Rogue und er tastete sich an Stings Arm nach oben und über seinen Hals, um seine Hand an Stings Wange zu legen. Seine Haut war kalt, aber Sting durchfuhr dennoch ein wohlig warmer Schauder, als Rogues Daumen über seine Wange strich. „Koste es, was es wolle, die Beiden gehören zu uns.“

„Ja, das tun sie“, murmelte Sting und verdrehte den Kopf, um seine Nase an Rogues Hand reiben zu können.

Er wusste gar nicht mehr, wann er schließlich eingeschlafen war. Das Letzte, woran er sich erinnern konnte, war, dass Rogue sich über ihn gebeugt hatte und ihm jene drei magischen Worte ins Ohr geflüstert hatte…

Hüpfe viermal – und ihr macht Fortschritte

Was wir am nötigsten brauchen, ist ein Mensch, der uns zwingt, das zu tun, das wir können.

Ralph Waldo Emerson

Das Heim war ein nichtssagender grauer Betonklotz. Nicht herunter gekommen, aber auch nicht wirklich gepflegt. Niemand hatte sich je die Mühe gemacht, das Gebäude vielleicht zu streichen, um ihm ein heimeligeres Ambiente zu verleihen. Es war monoton und langweilig. Abgesehen vom Schild über der Tür wies rein gar nichts darauf hin, dass dieses Haus Kinder beherbergte. Viele sogar.

Sie alle drängten sich jetzt an den Fenstern zusammen und drückten sich dort die Nasen platt, während sie Sting und Rogue beobachteten, die vor Lector und Frosch knieten. Letztere weinte bitterlich und klammerte sich so verzweifelt an Rogue, dass es diesem fast das Herz brach.

Sie hatten heute früh bereits versucht, Frosch auf die zeitweilige Trennung vorzubereiten, aber das Mädchen hatte sie entweder nicht verstanden oder jeden Gedanken an das Bevorstehende erfolgreich verdrängt. Jetzt brach für Frosch eine Welt zusammen.

Lector hatte sich besser im Griff. Er weinte nicht – Rogue hatte den starken Verdacht, dass der Junge sich vor den Augen der anderen Heimkinder keine Schwäche erlauben wollte – und er blieb steif, als Sting ihn in eine Umarmung zog.

Bevor sie hierher aufgebrochen waren, hatte er auch darauf bestanden, dass er und Frosch wieder die alten, abgetragenen Sachen anzogen, die sie getragen hatten, als Rogue sie Beide gefunden hatte. Frosch hatte gejammert, weil sie ihren rosa Schal nicht tragen durfte, aber Lector hatte mit einem Ernst, der weit über sein eigentliches Alter hinaus ging, erklärt, dass die guten Sachen im Heim nur allzu schnell gestohlen würden. Auch die Spielsachen, die sie geschenkt bekommen hatten, hatte Lector zurückgelassen. Als er seiner kleinen Freundin auch Froschi hatte weg nehmen wollen, hatte diese wie am Spieß geschrien und das Plüschtier so fest an sich gepresst, dass es ihr nur mit Gewalt zu entwenden gewesen wäre.

Diese Episode hatte es Rogue noch viel schwerer gemacht, die Kinder hierher zu bringen. Leider hatte Metallicana nur allzu schnell herausgefunden, wo Lector und Frosch vermisst wurden. Nur einen weiteren Tag hatten Sting und Rogue heraus schinden können und sie hatten ihn einzig und allein mit den Kindern verbracht.

Unzählige Male hatten sie Lector gestern versprochen, dass sie ihn und Frosch so schnell wie möglich wieder aus dem Heim heraus holen würden. Der Junge war das reinste Nervenbündel gewesen und hatte immer wieder geweint, aber zumindest hatte er sie nicht abgewiesen, wenn sie ihn hatten trösten wollen. Heute Morgen hatte er gezittert und sich gänzlich ohne Appetit seinem Frühstück gewidmet, aber er hatte keinen Protest mehr erhoben und auch keine Tränen mehr vergossen.

Vielleicht glaubte er, dass sie nicht wieder kommen würden, und hatte sich damit abgefunden. Womöglich plante er einen weiteren Fluchtversuch. Oder vielleicht hatte er entschieden, sein Glück auf die Probe zu stellen und abzuwarten, ob sie ihr Versprechen wahr machen und ihn morgen wieder besuchen würden. Jedenfalls bettelte er nicht. Überhaupt hatte er seit ihrem Aufbruch nichts mehr gesagt.

Bei Frosch war alles ganz anders verlaufen. Rogue war sich nicht sicher, was ihm mehr zusetzte, aber Lector würde er seine Aufrichtigkeit hoffentlich in den nächsten Tagen beweisen können, bei Frosch war die Sache jedoch akut. Sie ließ sich durch nichts beruhigen, steigerte sich vielmehr immer weiter in ihren Heulkrampf hinein.

An der Pforte stand eine mürrisch dreinblickende Frau in den Mittvierzigern, die ihre Hände in den Jackentaschen vergraben hatte und immer wieder von einen Fuß auf den anderen trat. Ganz offensichtlich wurde ihre Geduld hier überstrapaziert, aber Rogue hatte ihr nur einen vernichtenden Blick zugeworfen, als sie tatsächlich zur Eile hatte antreiben wollen, und seitdem schwieg sie und starrte die beiden jungen Männer einfach nur finster an. Sting und Rogue ignorierten sie geflissentlich und kümmerten sich um ihre Kinder.

„Frosch, bitte beruhige dich“, sagte Rogue zum wiederholten Mal und versuchte ganz vorsichtig, den Klammergriff des Mädchens an seiner Jacke zu lösen. Ihre winzigen Finger hatten sich jedoch derartig verkrampft, dass er fürchtete, ihr dabei weh zu tun, weshalb er das Unterfangen aufgab und Frosch stattdessen noch fester an sich zog. „Wir kommen doch wieder“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Wir besuchen euch jeden Tag und wir nehmen euch so schnell wie möglich wieder mit nach Hause.“

Es half alles nichts. Egal wie oft Rogue es sagte, Frosch weinte immer weiter. Rogues Kehle wurde immer enger und irgendwann brachte er keinen Ton mehr heraus, sondern drückte sein Gesicht nur noch in Froschs grüne Haare. Zum Teufel noch eins, er wusste, dass sie die Kinder hier lassen mussten, damit keiner ihnen irgendeine Regelwidrigkeit vorwerfen konnte, aber er hatte das Gefühl, daran zugrunde zu gehen!

Stings Hand auf seiner Schulter ließ ihn aufblicken. Die blauen Augen seines Freundes spiegelten dieselben widerstreitenden Gefühle wieder. Das hier war noch viel härter, als sie es sich vorher ausgemalt hatten.

„Frosch, du hast doch noch mich“, sagte Lector leise und legte seine Hände auf die bebenden Schultern des Mädchens. Seine Stimme war heiser und zittrig, aber er fuhr dennoch unbeirrt fort. „Es ist egal, wo wir sind, wir Beide bleiben zusammen. Versprochen!“

Es stach Rogue ins Herz, als Frosch von ihm abließ und herum wirbelte, um sich an Lector zu klammern, aber gleichzeitig war er dem Jungen dankbar für dessen Hilfe. Wenn Frosch sich noch lange so an ihn geklammert hätte, hätte er sich wahrscheinlich doch noch dazu hinreißen lassen, sie einfach wieder mitzunehmen.

„Geht weg“, sagte Lector zu Sting und Rogue. Seine Augen flackerten vor Angst, aber er versuchte, tapfer zu bleiben.

„Wir kommen euch jeden Tag besuchen“, erklärte Sting noch mal wild entschlossen und strich sanft durch Lectors Haare, ehe er aufstand und der Frau an der Pforte einen warnenden Blick zuwarf. „Und wenn wir merken, dass es euch hier nicht gut geht, nehmen wir euch wieder mit.“

„Besuchszeit ist von drei bis fünf Uhr nachmittags“, erklärte die Frau spitz. „Die Kinder brauchen einen regelmäßigen Tagesablauf.“

Rogue ignorierte sie und beugte sich vor, um seinerseits sanft durch Lectors Haare zu streichen. „Passt gut aufeinander auf.“

Für einen Moment schien Lector etwas sagen zu wollen. Er hatte die Lippen bereits geöffnet und blickte von Sting zu Rogue und wieder zurück, aber dann senkte er den Blick wieder auf Frosch und nickte wortlos. Er blinzelte verdächtig schnell, dann zog er Frosch behutsam mit sich zur Pforte und an der Frau vorbei. Als sie Anstalten machte, ihm eine Hand auf die Schulter zu legen, wich er ihr aus.

Langsam stand auch Rogue auf und trat neben seinen Freund, den Blick unverwandt auf Lector und Frosch gerichtet. Letztere weinte noch immer und drückte die ganze Zeit das Gesicht in Lectors Jacke. Dieser wiederum drehte sich an der Tür des Heimes noch einmal um und blickte zurück. In seinen Augen lag ein verzweifeltes Flehen. Rogue legte Sting eine Hand auf die Schulter, als er spürte, wie dieser sich in Bewegung setzen wollte.

Sie mussten jetzt durchhalten. Nur für eine kleine Weile, bis sie die Kinder rechtskräftig adoptieren konnten. Für morgen hatten sie bereits einen Termin mit einer Mitarbeiterin des Jugendamtes. Da würden sie genaueres erfahren, was sie tun mussten, um Lector und Frosch zu sich zu holen.

Auch als sich die Tür hinter den Kindern geschlossen hatte, blieben Sting und Rogue noch einige Minuten stehen. Unter seiner Hand spürte Rogue das Zittern seines Freundes. Erst das Knirschen von Schritten auf dem nachlässig beräumten Weg ließ sie Beide aufblicken.

Minerva stand nicht weit entfernt. Rogue wunderte sich gar nicht erst, wie sie die Adresse des Heims heraus gefunden hatte und woher sie gewusst hatte, wann er und Sting hier sein würden. Er war gestern während des Telefonats mit ihr nicht unbedingt sehr ausführlich gewesen, weil ihm das Thema so an die Nieren gegangen war, und Minerva hatte auch keine bohrenden Fragen gestellt. Anscheinend war sie auch so an die gewünschten Informationen gekommen. Und wahrscheinlich hatte ihr Bauchgefühl ihr auch geholfen. Darauf hatte man sich bei ihr schon immer verlassen können.

„Kommt mit“, sagte sie schließlich leise, aber unnachgiebig.

Rogue tauschte einen müden Blick mit seinem Freund. Ihm war überhaupt nicht danach zumute, sich jetzt von Minerva ablenken zu lassen. Er wollte nach Hause und sich vielleicht noch im Internet kundig machen, was alles für eine Adoption beachtet werden musste. Wahrscheinlich würde er sich schon sehr früh schlafen legen, denn in der vergangenen Nacht hatte er miserabel geschlafen und sein Körper brauchte dringend Ruhe.

Aber mit solchen Argumenten hatte er bei Minerva keine Chance. Sting musste zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen sein, denn er setzte sich einfach in Bewegung. Es war ein lustloses Schlurfen, nicht der geschmeidig federnde Gang, der Sting sonst immer auszeichnete.

Minerva sagte nichts zur offensichtlichen Unwilligkeit ihrer Freunde, sondern führte sie durch die Straßen bis zum Sabertooth, der Lieblingsbar der Freundesgruppe um Sting und Rogue. Dominiert wurde sie von einer langen, rustikalen Theke, über der eine beeindruckend schräge Kollektion an Bierkrügen an Haken für die Gäste bereit hing. Hinter der Theke standen vier echte Bierfässer mit altertümlicher Schrift bereit, daneben waren noch mehrere normale Zapfhähne, wie sie heutzutage üblich waren. Dann begannen die Regale mit all den anderen Spirituosen, von denen Rogue seinen Freund für gewöhnlich lieber fernhielt.

Der Schankraum war wie die Bar mit rustikalen Holzmaterialien ausgestattet. Die Stühle waren alle aus braunem oder schwarzem Holz, ansonsten aber bunt zusammen gewürfelt und auf den groben Holztischplatten lagen keine Tischdecken oder Platzdeckchen. Die Speisekarten mit den wöchentlich wechselnden Menüs waren dicke, auf alt getrimmte Karten, die mit echter Tinte Hand beschrieben waren. An den Wänden hingen Kopien historischer Gemälde und Tierstudien, insbesondere von Raubkatzen, sowie schmiedeeiserne Kerzenhalter, deren Verzierungen ebenfalls Köpfe oder Pranken von Raubkatzen darstellten.

Am späten Nachmittag war hier nicht wirklich etwas los. Nur zwei Gäste saßen an der Theke, einer davon hatte den Kopf auf die Holzplatte gelegt, während er der unermüdlich lächelnden Bardame stark lallend sein Leid über einen ignoranten Chef und eine nie zufrieden zu stellende Frau klagte. Der andere Gast widmete sich seinem wohl verspäteten Mittagessen. Vielleicht ein Schichtarbeiter, der jetzt erst die Chance hatte, etwas zwischen die Zähne zu bekommen. Zumindest verschlang er den Hamburger und die Pommes mit Heißhunger.

Als die violetthaarige Bardame Minerva und ihre Begleiter bemerkte, leuchteten ihre grünen Augen erfreut auf. Die Freunde waren hier gern gesehene Stammgäste. Schon vor einigen Jahren waren sie deshalb mit Kinana auf das Du umgestiegen. Falls die Violetthaarige sich darüber wunderte, dass sie zu so früher Stunde schon hier waren, ließ sie es sich nicht anmerken.

„Geht schon mal weiter“, winkte Minerva sie durch und gesellte sich zu Kinana, ohne sich um den immer noch vor sich hin brabbelnden Mann zu kümmern.

Sting seufzte frustriert. Rogue konnte es ihm nachempfinden. Ihnen war überhaupt nicht nach Feiern zumute. Bereits jetzt vermisste Rogue die Kinder schmerzlichst und er fragte sich immer wieder, was die Beiden vielleicht gerade durchmachen mussten. Würden die Beiden von den anderen Kindern getriezt werden? Wie würden die Erzieherinnen mit ihnen umgehen? Würde Frosch ihr geliebtes Plüschtier behalten können? Irgendwie hing Rogue selbst auch an diesem Plüschfrosch, immerhin war das ein Erinnerungsstück von jenem Tag, an dem er mit Sting zusammen gekommen war, aber vor allem wünschte er sich um Froschs willen, dass Froschi nicht verloren ging. Das Mädchen liebte das Kuscheltier geradezu abgöttisch.

Schicksalsergeben schlängelte Rogue sich hinter seinem Freund an den Tischen und Stühlen vorbei zu einer Nische im hinteren Bereich. Der Stammplatz der Freunde, wenn sie sich mal in der großen Gruppe trafen. Dort warteten bereits Orga und überraschenderweise auch Lucy. Letztere kam anscheinend direkt von der Arbeit, sie trug eine reinweiße, langärmelige Bluse mit perfekten Bügelfalten und eine schwarze Anzughose, die ebenso perfekt gebügelt war, und ging offenbar gerade einen Text auf ihrem Tablet durch, aber als Orga grüßend brummte, schaltete sie das Gerät ab und stand auf, um Sting mit einer kurzen Umarmung zu begrüßen.

Nur halbherzig erwiderte dieser die Geste, ehe er sich neben Orga auf die mit Decken gepolsterte Holzbank plumpsen ließ. Rogue folgte seinem Beispiel und zog sich im Sitzen seine Winterjacke aus, die er einfach auf den dafür abgestellten Stuhl zu den Mänteln von Orga und Lucy warf. Entnervt legte er danach den Kopf in den Nacken und starrte zu den dicken Deckenbalken hoch, an denen Laternen hingen.

Zu seiner Überraschung versuchten weder Orga noch Lucy, ihn und Sting aufzuheitern oder abzulenken. Orga starrte Löcher in die Luft und Lucy baute aus Bierdeckeln eine Pyramide. Allerdings entging Rogue nicht, dass die Beiden ihnen immer wieder Blicke zuwarfen. Er achtete nicht weiter darauf und machte sich auch nicht die Mühe, die Natur dieser Blicke zu ergründen. Im Gedanken war er doch immer wieder bei Lector und Frosch.

Als nächstes kam Rufus, der sich mit einem wortlosen Nicken neben Lucy nieder ließ. Von Minerva, die schon längst ihre Bestellung bei Kinana fertig haben müsste, keine Spur. Auch als Yukino und Loke dazu kamen, ließ Minerva sich nicht blicken. Yukino sah aus, als würde sie Sting und Rogue gerne in den Arm nehmen, aber Rogue war dankbar, dass sie es nicht tat. Je länger er hier saß und nichts tat, desto elender fühlte er sich. Allzu viel emotionaler Druck – und sei es auch nur in Form von Yukinos Sanftmut – könnte ihn jetzt womöglich die Fassung verlieren lassen.

Schließlich kam Minerva mit einer großen Champagner-Flasche an den Tisch, ihr folgte Kinana mit einem Tablett, auf dem acht Champagner-Gläser standen. Die Bardame stellte das Tablett auf dem Tisch ab, ehe sie sich taktvoll zurück zog. Als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, begann Minerva, am Verschluss der Flasche herum zu nesteln.

Sting riss letztendlich der Geduldsfaden – für seine Verhältnisse sehr spät und ausgesprochen zahm, aber für Rogue klang es eher matt, seinem Freund fehlte eindeutig die Energie, um sich in üblicher Manier aufzuregen. Er schlug nur mit der Faust auf die Tischplatte und beugte sich mit finsterer Miene vor.

„Was soll das hier, Minerva? Wir wollen nach Hause und-“

„Trübsal blasen, schon klar“, unterbrach die Schwarzhaarige ihn gelassen und warf die Aluverkleidung des Flaschendeckels beiseite, um als nächstes das Drahtgesell aufzudrehen, das den Korken im Flaschenhals sicherte. „Aber es gibt keinen Grund zum Trübsalblasen, deshalb sind wir alle hier.“

„Willst du uns verarschen?“ Verblüfft starrten alle Rogue an, von dem sie solche Kraftausdrücke nicht gewohnt waren, aber der blickte nur aufgebracht zu Minerva. Ungerührt warf diese auch das Drahtgestell auf den Tisch, was Rogues Puls noch mehr in die Höhe trieb. „Wir mussten gerade unsere Kinder zurück ins Heim schicken, wo sie wahrscheinlich schlecht behandelt werden. Frosch hat sich die Augen ausgeweint und Lector war das reinste Nervenbündel und wir-“

„Das ist Scheiße“, mischte Lucy sich ähnlich ruhig wie Minerva ein. „Aber ihr überseht bei der ganzen Sache etwas Grundlegendes.“

„Achso?“, machte Sting ungeduldig. Er zitterte vor unterdrückter Wut.

Wie so oft versuchte Yukino, die Wogen zu glätten, und griff über den Tisch hinweg nach Stings geballten Fäusten. „Wir wissen, wie hart das für euch ist, wir sind doch nicht blind, aber… Hört Minerva einfach zu. Was sie zu sagen hat, ist wirklich wichtig. Gerade für euch.“

Rogue war versucht, eine patzige Antwort zu geben – und hatte deswegen beinahe sofort ein schlechtes Gewissen, immerhin meinte Yukino es doch nur gut. Die ganze Sache ging ihm wirklich an die Nieren, wenn er derartig aus der Haut fuhr!

Mittlerweile hatte Minerva den Korken behutsam aus der Flasche heraus springen lassen und begann nun, die Gläser gleichmäßig zu füllen. Reihum wurden die Behältnisse weiter gereicht, bis jeder ein volles in Händen hielt oder – in Stings und Rogues Fall – vor sich stehen hatte. Als wäre alles in bester Ordnung, hob Minerva ihr Glas feierlich und die Anderen taten es ihr mit vergleichbarem Ernst nach.

„Lasst uns darauf anstoßen, dass Sting und Rogue Väter geworden sind.“

„Was?“

Minervas Lippen kräuselten sich bei Stings verwirrtem Ausruf. Reihum grinsten und lächelten ihre Freunde, während Rogue sich fassungslos umsah.

„Wir sind doch noch gar nicht ihre Väter, wir haben noch nicht einmal den Adoptionsantrag eingereicht“, sagte Rogue und versuchte dabei, nicht allzu verbittert zu klingen.

„Auf den Adoptionsantrag kommt es aber nicht an“, erwiderte Lucy lächelnd. „Sondern darauf, dass ihr die Beiden liebt.“

Rogue tauschte einen verwirrten Blick mit seinem Freund, was Orga ein Schnaufen entlockte. „Nun stellt euch doch nicht so blöd. Die Adoption ist doch nur der Papierkram.“

„Worum es bei der ganzen Sache wirklich geht, ist, dass ihr euch dafür entschieden habt, Väter zu werden“, fügte Rufus erklärend hinzu.

„Ihr habt sie doch nicht mehr alle“, murmelte Sting müde. „Unsere Kinder sind da in diesem Heim!“

Eure Kinder, ganz recht“, sagte Minerva und hielt Sting und Rogue ihr Glas zum Anstoßen hin. „Hättet ihr vor einer Woche geglaubt, so bald eine Familie zu gründen? Ihr Dumpfbacken, ihr habt eure Familie gefunden. Egal was ihr damit noch für Probleme haben werdet, das ist ein Grund zum Feiern.“

Als er begriff, spürte Rogue, wie seine Wangen warm wurden vor Verlegenheit. Minerva hatte Recht. Er hatte sich so in seine Sorge um die Kinder und in seine Angst wegen all der Formalien, um die sie sich kümmern mussten, verrannt, dass er sich überhaupt nicht die Zeit genommen hatte, sich einfach mal darüber zu freuen, dass er Vater von zwei wunderbaren Kindern geworden war. Ein Seitenblick auf Sting verriet ihm, dass es diesem ganz ähnlich ging.

„Herzlichen Glückwunsch euch Beiden“, sagte Minerva und ihre Miene war dabei wieder so ungewohnt weich, wie sie es außerhalb des Freundeskreises nie wurde. „Die Beiden sind großartige Kinder und ihr werdet sicher eine tolle Familie!“

Wieder wechselte Rogue einen Blick mit seinem Freund. In den tiefblauen Augen erkannte er den ersten Keim eines glückseligen Glitzerns und ganz unwillkürlich musste Rogue lächeln. Ja, sie würden gemeinsam mit den Kindern eine Familie gründen. Sie waren tatsächlich Väter geworden und egal wie viele Sorgen sie deswegen gerade durch machten, um nichts in der Welt wollte Rogue dieses Gefühl jemals wieder missen!

Er griff nach seinem Glas und hielt es in die Höhe. „Danke, Leute, das…“

Ihm fehlten die passenden Worte. Die Erkenntnis, was für ein Glück ihm eigentlich widerfahren war, schnürte ihm die Kehle zu. Aber seine Freunde schienen ihn auch so zu verstehen. Mit einem nachsichtigen Lächeln stieß Minerva ihr Glas an seines und dann an Stings, das nun ebenfalls in die Luft gehalten wurde. Nach und nach taten die Anderen es ihr gleich und stießen dann auch untereinander an.

„Auf die Familie“, sagte Minerva feierlich.

„Auf die Familie!“, echoten die Anderen und setzten die Gläser an die Lippen.

Während auch er an seinem Glas nippte, war Rogue der Schwarzhaarigen schlicht und einfach dankbar. Wenn sie ihn und Sting nicht hierher gebracht und das Offensichtliche ausgesprochen hätte, wäre ihnen in ihrer Wohnung die Decke auf den Kopf gefallen. Natürlich hatten sie noch jede Menge Hürden zu meistern, bis sie die Kinder endlich bei sich hatten, aber das änderte nichts an ihren Gefühlen für Lector und Frosch – und diese Gefühle waren zuallererst ein Grund zur Freude, denn sie waren das Schönste, was Rogue widerfahren war, seit er damals das erste Mal von Sting geküsst worden war!
 

Durch die Gasse der Vorurteile muss die Wahrheit ständig Spießruten laufen.

Indira Gandhi

Stings Handflächen waren schwitzig, aber der Blonde traute sich nicht, sie an seiner Anzughose abzuwischen. Heute Morgen hatte er sicher eine halbe Stunde lang vor dem Kleiderschrank gestanden und überlegt, was für Kleidung angemessen war, wenn man mit einem Mitarbeiter vom Jugendamt über gleich zwei Adoptionen sprechen wollte. Vor lauter Nervosität hatte er sogar Schwierigkeiten mit den Knöpfen seines Hemds gehabt und als er einen versehentlich abgerissen hatte, hatte er die Krise gekriegt.

Das war noch zigmal schlimmer gewesen als damals vor seinem ersten Date mit Rogue. Da war zumindest sein Vater zur Stelle gewesen. Nicht dass Weißlogia damals wirklich hilfreich gewesen wäre. Er hatte sich königlich über den Teenager amüsiert, der wie ein aufgescheuchtes Huhn durch sein gesamtes Zimmer gelaufen war, und hatte diesen mit seinen trockenen Kommentaren auf die Palme gebracht, bis dieser vor lauter Ärger tatsächlich seine Nervosität vergessen hatte.

Dieses Mal war zwar Rogue dabei gewesen, aber der war mindestens genauso nervös wie Sting – und bei Rogue äußerte sich so etwas mit verbissenem Schweigen und einer so finsteren Miene, dass Unkundige einen großen Bogen um ihn herum machten. Das letzte Mal hatte Sting ihn so erlebt, als er versucht hatte, ihn vor der Verteidigung seiner Masterarbeit anzufeuern.

Der Weg durch die halbe Stadt bis zum Gebäude des Jugendamtes war Sting unendlich lang vorgekommen. Lauter Horrorszenarien waren ihm in den Sinn gekommen, viele davon vollkommen unsinnig. Man würde ihn und Rogue beispielsweise sicherlich nicht einsperren. Sie hatten sich überhaupt nichts zuschulden kommen lassen und es war auch legitim, sich über das Prozedere für eine Adoption zu informieren. Aber für ein paar qualvolle Sekunden, als er neben Rogue vor der roten Fußgängerampel gestanden hatte, war das doch eine sehr reale Angst für ihn gewesen.

Vom Amtsgebäude selbst bekam Sting gar nichts weiter mit. Er lief einfach nur hinter seinem Freund her, dessen Gesicht blasser als sonst aussah und dessen Finger sich immer wieder zu verräterisch zitternden Fäusten ballten.

Immerhin hing von all dem hier ab, ob sie ihre Kinder zu sich holen konnten oder nicht. Wenn sie es jetzt verpatzten, würden Lector und Frosch weiter im Heim bleiben müssen. Dann hätten sie ihr Versprechen gebrochen und wahrscheinlich würden die Kinder sie dann auch gar nicht mehr wieder sehen wollen. Allein bei der Vorstellung brach Sting beinahe in Tränen aus.

In einem sterilen Wartezimmer mit unbequemen Plastikstühlen mussten sie Platz nehmen. Peinlich lange nestelte Sting am Reißverschluss seiner Jacke herum, ehe er sie sich endlich ausziehen konnte. Als er danach nichts mehr hatte, womit er sich beschäftigen konnte, begann er unwillkürlich, mit einem Bein zu wippen, was ihm jedoch erst auffiel, als Rogue ihm eine Hand aufs Bein legte. Schuldbewusst hob er den Blick, aber er erkannte in Rogues roten Augen keinen Vorwurf, sondern Verständnis und dieselbe grausame Angst, die auch ihn so quälte.

„Rogue Cheney und Sting Eucliffe?“

Die Hand drückte noch einmal sanft Stings Bein, ehe der Schwarzhaarige sich erhob. Sting folgte seinem Beispiel und sie liefen hinter der Sekretärin her, die sie in einen ungemütlichen Besprechungsraum führte, dessen Wände mit Aktenschränken voll gestellt waren. In der Mitte stand ein grauer Tisch, an welchem zwei Personen saßen. Ein untersetzter Mann in den Fünfzigern mit braun gefärbtem Haar, einem gesträubten Schnurrbart und einem vierschrötigen Kinn, dessen Augen die beiden jungen Männer scharf musterten. Und eine hochgewachsene Frau im selben Alter mit blonden Haaren, die bereits von grauen Strähnen durchzogen und zu einem Zopf hochgebunden waren, der struppig in alle Richtungen abstand. Ihr Gesicht war faltig und ernst, aber nicht so abweisend wie das des Mannes.

„Mein Name ist Mrs. Belno“, stellte sie sich auch als Erste vor und reichte Sting und Rogue nacheinander die Hand, ehe sie auf ihren Kollegen deutete, der keinerlei Anstalten machte, ihnen ebenfalls die Hand zum Gruß hin zu halten. „Dies ist Mr. Michello. Wir prüfen zuallererst, ob Sie als Personen überhaupt geeignet sind, Kinder zu adoptieren, ehe wir die äußeren Bedingungen prüfen.“

„Okay…“ Sting tauschte einen unsicheren Blick mit seinem Freund, ehe er auf Belnos Einladung hin auf einem der unbequemen Stühle Platz nahm. „Wir dachten, das sei erst einmal ein Informationsgespräch, was Sie eigentlich alles von uns wollen, damit wir die Kinder adoptieren können.“

„Zuerst einmal müssen wissen, was Sie eigentlich für Menschen sind, die sich spontan entscheiden, zwei Problemkinder bei sich aufzunehmen“, schoss Michello vor.

Sting klappte der Mund auf. Problemkinder?! Diese abfällige Bezeichnung machte ihn sprachlos, was, im Nachhinein betrachtet, vielleicht sogar ganz gut war.

„Können Sie konkretisieren, was Sie mit Problemkinder meinen?“, fragte Rogue. Sting merkte ihm die Anspannung bei diesem Wort nur zu deutlich an.

Der Beamte runzelte gespielt erstaunt die Stirn. „Ein Prügelknabe und ein Schwachmat…“

„Was?!“ Sting konnte nicht verhindern, dass sich seine Stimme hob, und wenn Rogue ihm nicht unterm Tisch eine Hand aufs Bein gelegt hätte, wäre er wahrscheinlich aufgesprungen. Sein Puls raste nur so vor lauter Wut!

„Was mein Kollege damit meint, ist, dass Lector laut den Unterlagen schon des Öfteren damit aufgefallen ist, dass er gegenüber anderen Kindern zu Gewalt neigt und gegenüber den Erzieherinnen verhält er sich respektlos und aufsässig“, erklärte Belno ruhig und mied jeden Blick in Michellos Richtung. Anscheinend war dessen Wortwahl bei ihr auch nicht auf Gegenliebe gestoßen. „Und Frosch scheint eine Lernschwäche und eine Persönlichkeitsstörung zu haben. Sie spricht von sich selbst in der dritten Person.“

„Lector neigt nicht zur Gewalt, er verteidigt nur sich und Frosch“, protestierte Sting. Er zitterte am ganzen Körper. Am liebsten wäre er über den Tisch gesprungen, um Michello dieses widerliche Lächeln aus dem Gesicht zu wischen.

„Sie halten also Gewalt für ein adäquates Mittel zur Konfliktlösung?“, fragte der kleine Mann auch gleich lauernd.

„Nein, aber wir glauben Lector, der uns gesagt hat, dass er sich nur verteidigt hat“, erwiderte Rogue, seine Hand lag noch immer schwer auf Stings Bein. „Und Frosch ist weder dumm noch gestört. Sie ist ein kleines Mädchen. Kleinkinder sind keine Lernmaschinen und in welcher Form sie von sich spricht, ist uns egal, solange sie sich damit wohl fühlt.“

Über Belnos Lippen huschte der Ansatz eines Lächelns, Michello hingegen machte eine wegwerfende Handbewegung. „Fakt ist, dass beide Kinder von den Erzieherinnen als schwierig eingestuft worden sind. Glauben Sie, dass wir bei solchen Kindern nicht so viel Wert darauf legen, dass die potenziellen Adoptiveltern der Norm entsprechen?“

„Was soll das denn nun wieder heißen?“, fragte Sting und er konnte dabei nur mit Mühe ein Knurren unterdrücken.

„Nun, für gewöhnlich brauchen Kinder eine männliche und eine weibliche Bezugsperson…“

Sting tauschte einen ungläubigen Blick mit seinem Freund. Was das ernst gemeint?! Homosexuelle waren in Fiore seit zwanzig Jahren in absolut allen Belangen für gleichberechtigt erklärt worden. Sie durften heiraten und hatten dabei dieselben Rechte und Pflichten wie Heterosexuelle. Und Homosexuelle adoptierten sogar sehr häufig Kinder, so viel wusste Sting sicher. Klar, er war seit seinem Coming Out auch mit einigen Anfeindungen konfrontiert worden, aber von einem Beamten derartig angegangen zu werden, war etwas ganz anderes. Nie und nimmer hätte Sting auch nur ansatzweise geglaubt, dass seine Sexualität seine Chancen darauf schmälern würde, Lector und Frosch zu adoptieren.

„Natürlich haben Sie als… andersartiges Paar rein formal das gleiche Recht wie ein normales Paar, Kinder zu adoptieren, aber es bedarf doch einer besonderen Prüfung“, fügte Michello gehässig hinzu.

„In welchem Jahrhundert leben Sie eigentlich?!“, fauchte Sting, der sich auch von Rogues hartem Griff nicht stoppen ließ. Er ließ sich und Rogue nicht als andersartig verunglimpfen.

„Wie meinen?“, fragte der Mann scheinheilig.

„Ich denke nicht, dass die sexuelle Ausrichtung von Mr. Cheney und Mr. Eucliffe hier zur Debatte steht“, mischte Belno sich ein und dieses Mal hielt sie mit ihrer Missbilligung gegen ihren Kollegen nicht mehr hinterm Berg.

„Ich denke doch, wenn sie die Lebensqualität von ohnehin schon vorbelasteten Kindern beeinträchtigt.“

Rogues Griff war jetzt so hart, dass es richtig weh tat. In der bemüht ruhigen Stimme des Schwarzhaarigen schwang eine scharfe Kälte mit. „Lector und Frosch brauchen keine Familie nach Schema F, sondern eine richtiges Zuhause und Eltern, die sie lieben. Das können wir ihnen bieten. Besser als jedes andere Paar.“

Bei dieser Herausforderung schnappte Michello hörbar nach Luft und riss die Augen auf, was sein unförmiges Gesicht noch alberner aussehen ließ. Sting musste sich das zufriedene Grinsen verkneifen. Stattdessen legte er seine Hand auf Rogues und drückte diese dankbar. Als Antwort drückte Rogue sein Bein, nachdem er den Griff wieder gelockert hatte.

„Es geht Ihnen also ganz speziell um diese Kinder?“, nahm Belno den Faden wieder auf, die wohl versuchte, das Gespräch endlich wieder in gesittete Bahnen zu lenken. „Haben Sie früher schon über eine Adoption nachgedacht?“

„Wir waren noch nicht so weit“, antwortete Sting aufrichtig. „Aber jetzt mit Lector und Frosch…“

„Fühlt es sich richtig an?“, half Belno verständnisvoll nach. „Was glauben Sie, wie die Kinder darüber denken?“

„Sie wollten bei uns bleiben“, murmelte Sting und so sehr er sich auch bemühte, er konnte die Bitterkeit nicht vollständig aus seiner Stimme vertreiben. „Lector hat mich gefragt, warum wir sie nicht behalten können.“

„Sie haben also auch mit Lector und Frosch darüber gesprochen?“

„Wir haben es zumindest versucht, aber es war… schwierig“, antwortete Rogue und Sting spürte das Zittern seiner Hand an seinem Bein.

Als er in der vergangenen Nacht aufgewacht war – geplagt von Alpträumen, in denen Lector und Frosch ihn beschimpften, sie im Stich gelassen zu haben –, hatte Rogue aufrecht im Bett gesessen und Löcher in die Luft gestarrt. Sie hatten nicht darüber gesprochen, Sting war einfach nur an seinen Partner heran gerutscht und hatte ihn in eine feste Umarmung gezogen. Denn er hatte irgendwie gleich gewusst, dass Rogue daran gedacht hatte, wie Frosch sich an ihn geklammert hatte…

„Natürlich werde ich auch noch mal persönlich mit den Kindern darüber sprechen, wie sie über die Adoption denken. Das gehört mit zu den normalen Abläufen, wenn es nicht gerade um die Adoption eines Säuglings geht“, erklärte Belno behutsam.

Sting nickte ruckartig. Er glaubte nicht, dass dieser Teil des Verfahrens ein Problem darstellen würde. Die Kinder würden wohl kaum auf einmal behaupten, dass sie nicht zu Sting und Rogue wollten. Die Frage war nur, wie bereitwillig sie einer Fremden Rede und Antwort stehen würden. Allerdings schien Belno verständig genug zu sein. Sie würde hoffentlich wissen, wie sie mit Lector und Frosch umzugehen hatte.

„Wie haben Sie es sich nach der Adoption vorgestellt?“, fuhr Belno mit ruhiger Stimme fort.

„Wir haben keinen Plan, wenn Sie das meinen“, antwortete Rogue vorsichtig. „Wir kennen Lector und Frosch erst seit ein paar Tagen, in der kurzen Zeit haben wir uns lieber mit den Kindern selbst beschäftigt als damit, auf welche Schule wir sie schicken wollen und all so etwas.“

„Aber Sie haben doch gewiss darüber nachgedacht, was für eine Umstellung das für Sie bedeuten wird?“

„Na ja, wir müssen natürlich umziehen“, meinte Sting und zuckte mit den Schultern.

Er mochte ihre jetzige Wohnung. Sie war zentral gelegen und sie war auch damals schon zu ihren Studentenzeiten bezahlbar gewesen. Aber es war klar, dass die Kinder eigene Zimmer brauchten. Dauerhaft war es kein Zustand, die Beiden im Wohnzimmer schlafen zu lassen. Sie brauchten Platz für sich und für ihre Sachen. Und auch wenn es noch in weiter Ferne lag, irgendwann würden Lector und Frosch auch in ein Alter kommen, in dem sie sich nicht mehr ein Zimmer teilen sollten.

Belno nickte bestätigend. „Die Vorschriften sehen eine Haus- oder Wohnungsbesichtigung vor, um sicher zu gehen, dass die Wohnbedingungen für ein Kind angemessen sind. Hier sind einige Kernfragen, die dabei berücksichtigt werden.“ Sie schob einige aneinander geheftete Zettel über den Tisch.

Darauf folgten weitere Fragen und weitere Informationsblätter. Konnten sie überhaupt für zwei Kinder aufkommen? Hatten sie eine sichere Anstellung? Wer kümmerte sich um die Kinder, wenn diese krank waren? Sollten die Kinder in den Kindergarten oder Zuhause bleiben? Hatten sie Ansprechpersonen für Notfälle? Was sollte mit den Kindern geschehen, wenn Sting und Rogue frühzeitig versterben sollten?

Bei einigen dieser Fragen waren die Antworten leicht – zum Beispiel war vollkommen klar, dass sie sich gleichermaßen um die Kinder kümmerten, sie waren gleichberechtigte Eltern –, bei anderen hingegen wurde Sting mulmig zumute.

Rogue war noch Referendar und der Bibliotheksleiter Org wollte ihn zwar danach nur zu gerne übernehmen, aber das war leider nicht seine Entscheidung und bislang war von der Personalabteilung noch keine Antwort auf Rogues Bewerbung gekommen. Das war nichts Ungewöhnliches, immerhin hatte Rogue die Bewerbung erst vor zwei Monaten abgeben können, aber Belno machte klar, dass das gesamte Adoptionsverfahren in die Brüche gehen würde, wenn Rogue auf einmal arbeitslos würde. Sting legte nun seinerseits seine Hand auf Rogues Bein und drückte dieses sachte, als er das Zittern spürte.

Er musste ehrlich zugeben, dass er an dieses Problem bisher nicht gedacht hatte. Rogue hatte sein Studium summa cum laude abgeschlossen und er hatte ausschließlich Bestnoten bei den Zwischenprüfungen während des Referendariats bekommen. Die Beurteilung durch Org war eine einzige Lobeshymne gewesen und die Abschlussprüfung in sechs Monaten war im Grunde auch nur eine Formsache. Rogue hatte die Festanstellung so gut wie in der Tasche, das stand für Sting fest. Aber solange sie das nicht auch Schwarz auf Weiß hatten, lastete auf einmal ein extremer Druck auf Rogue und Sting hatte keine Ahnung, wie er ihm da beistehen sollte.

„Das Adoptionsverfahren ist eine recht langwierige Angelegenheit. Es wird mehrere Gespräche geben, um doppelt und dreifach zu überprüfen, dass Sie zwischendurch nicht auf einmal Bedenken kriegen. Wir brauchen von Ihnen Beiden psychologische Gutachten. Mit den Kindern wird dann später auch noch mal ein Psychologe reden. Und die Paten der Kinder werden auch befragt werden müssen, um sicher zu gehen, dass die Kinder im Falle Ihres Ablebens in gute Hände gehen.“

Das war zumindest mal ein Punkt, über den Sting sich gar keine Sorgen machte. Er wusste schon genau, wer die Paten für seine Kinder werden sollten, und er war sich vollkommen sicher, dass Rogue an dieselben Personen dachte. Genauso wusste er bereits, dass diese Personen sofort Ja sagen würden.

„In welchem Kulturkreis wollen Sie die Kinder großziehen?“, meldete sich nach langer Zeit wieder Michello zu Wort. Sting hatte gehofft, dass der Griesgram es nach Rogues schlagfertigen Konter dabei belassen würde, stumm neben seiner Kollegin zu sitzen und zu zuhören, aber jetzt funkelten die Augen des Alten verschlagen, während er sie Beide anstarrte und auf eine Antwort wartete.

„Kulturkreis?“, fragte Sting und tauschte einen verwirrten Blick mit seinem Freund. „Wir wollen sie hier in Magnolia großziehen, wenn Sie das meinen…“

„Was ich meine, ist, dass Mr. Cheney ein Bosco ist…“

„Ich bin Fiorianer“, erwiderte Rogue noch immer verwirrt. „Ich bin hier in Magnolia geboren.“

„Gewiss, gewiss, aber Ihr Vater ist ein Bosco, was Sie auch zu einen Bosco macht, Papiere hin oder her.“

Das war doch nicht zu fassen! Schlimm genug, dass sie sich den homophoben Mistdreck dieses Alten anhören mussten, nun wurde Rogue auch noch seine Abstammung angekreidet? Die Halbbrüder Metallicana und Skiadrum waren vor über fünfunddreißig Jahren legal nach Fiore eingewandert und hatten sich in absolut allen Belangen integriert. Rogue beherrschte an Bosco gerade einmal das, was man im fiorianischen Unterricht vermittelt bekam, und er hatte noch nie einen Fuß auf boscanischen Boden gesetzt.

Teufel noch eins, Michello musste bei der Bosco-Krise noch in den Windeln gelegen haben und dennoch grub er die uralten Anfeindungen dieser Zeit wieder aus? Wahrscheinlich hatte er sogar etwas gegen Sevener, dabei gehörte der Landstrich schon seit zweihundert Jahren zu Fiore.

„Mr. Michello, die ethnische Zugehörigkeit ist kein Kriterium im Adoptionsverfahren“, mischte Belno sich mit scharfem Unterton ein.

„Aber wir müssen wissen, wie die potenziellen Eltern mit den Kindern umzugehen gedenken – und Boscos sind für ihren gewalttätigen Umgang bekannt.“

„Mein Vater hat mich nie geschlagen und ich wüsste auch nicht, dass mein Onkel das bei seinen Kindern jemals getan hätte“, sagte Rogue eisig und nun war es Sting, der hart nach dem Bein seines Freundes griff.

„Wenn Sie das sagen…“, lenkte Michello scheinheilig ein und stand mit einem Blick auf seine Armbanduhr auf. „Wenn Sie mich entschuldigen würden. Sie haben meine Zeit bereits über gebühr beansprucht, Sie werden von uns hören…“ Ohne eine vernünftige Verabschiedung verließ der kleine, alte Mann den Raum. Am liebsten hätte Sting nach irgendetwas Schwerem und Hartem gegriffen und es ihm hinterher geworfen.

Als sich die Tür hinter ihrem Kollegen geschlossen hatte, wandte Belno sich ihnen sehr ernst zu. „Ich entschuldige mich für das Verhalten meines Kollegen.“

„Müssen Sie nicht, Sie haben ja nicht diesen Mist verzapft“, knurrte Sting und spürte prompt wieder Rogues mahnenden Griff am Bein.

Für einen Moment huschte ein Lächeln über die Lippen der Frau, ehe sie ihre Aufmerksamkeit auf das letzte Blatt richtete, das noch vor ihr lag. „Das Adoptionsverfahren für Lector und Frosch wird von mir abgewickelt werden. Ich werde alle Unterlagen prüfen und ich bin auch in allen Fragen Ihre Ansprechpartnerin. Mr. Michello war nur als Zweitprüfer hier für den Fall, dass ich Bedenken haben sollte… und die habe ich nicht“, fügte sie ruhig hinzu und gab ihnen das letzte Formular. „Es ist noch ein weiter Weg, bis Sie Ihre Kinder rechtskräftig adoptieren können. Wenn Sie bereit sind, das alles auf sich zu nehmen, dann müssen Sie hier unterschreiben.“
 

Als sie eine halbe Stunde später das Gebäude verließen, rieb Sting sich im Laufen das Knie und sah seinen Freund leidend von der Seite an, doch der gab ihm nur einen erleichterten Kuss. Sting konnte gar nicht anders, als zu grinsen.

Egal wie viel ihnen jetzt noch bevorstand, das waren alles nur Formalien, das konnten sie alles schaffen. Sie waren nicht kategorisch abgeschmettert worden und mit Michello mussten sie sich hoffentlich nie wieder herum schlagen. Sie hatten heute den ersten Schritt bewältigt, um Lector und Frosch zu adoptieren, und das hieß, sie konnten den Beiden gleich gute Nachrichten überbringen!

Hüpfe fünfmal – und eure Freunde helfen

Ohana heißt Familie – und Familie heißt, dass alle zusammenhalten.

Stitch

Die Kinder warteten vor der Tür des Kinderheims, neben ihnen dieselbe mürrisch dreinblickende Erzieherin wie gestern. Lector trug jetzt eine Winterjacke – wenn auch eine mit viel zu kurzen Ärmeln – und eine graue Bommelmütze, die allerdings zu klein war und deshalb immer wieder abrutschte. Der monsterlange Schal um Froschs Hals war einem kürzeren gewichen. Kleine Verbesserungen, aber immerhin etwas. Froschs Augen waren geschwollen und ihr Gesicht blass, während Lector offensichtlich darum bemüht war, keine Miene zu verziehen, auch wenn seine Augen verräterisch flackerten, während sie die Straße absuchten.

Als sie Sting und Rogue sah, konnte nichts mehr Frosch halten. Jaulend rannte das Mädchen den Weg hinunter auf die beiden jungen Männer zu und ließ vor lauter Aufregung sogar den heißgeliebten Plüschfrosch fallen. Ohne einen Gedanken an seine saubere Hose zu verschwenden, ging Rogue in die Knie, um seine Tochter in seine Arme zu schließen und fest an sich zu drücken.

Gerade einmal einen Tag lang hatte er Frosch nicht gesehen, aber es kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Es war die reinste Wohltat, ihren kleinen Körper wieder zu spüren, und aus einem Impuls heraus gab er dem Mädchen einen Kuss auf die Stirn, woraufhin es die Arme um seinen Hals schlang und das Gesicht gegen seine Wange drückte.

Lector trottete den Weg langsam entlang und sammelte unterwegs Froschi ein. Direkt vor ihnen blieb er stehen und blickte über seine Schulter zurück zur Erzieherin und dann hoch zu den Fenstern, wo die anderen Kinder sich schon wieder die Nasen an den Scheiben platt drückten.

„Ihr seid wirklich gekommen“, sagte der Junge, als er sich wieder umgedreht hatte. Seine dunklen Augen schimmerten verräterisch und seine Unterlippe zitterte, aber er versuchte, sich tapfer zu halten.

Sting gab sich nicht so viel auf Tapferkeit, sondern zog Lector stürmisch in seine Arme. Die hässliche Bommelmütze segelte dabei achtlos zu Boden. „Natürlich sind wir gekommen, das haben wir euch versprochen!“, krächzte er heiser.

Der Junge ließ seine Fassade fallen und drückte sein Gesicht in Stings Jacke, um seinen Tränen freien Lauf zu lassen. Mit weicher Miene strich Sting unablässig durch die rotbraunen Haare seines Sohnes und flüsterte beruhigende Worte. Rogue wurde bei dieser Zärtlichkeit seines Freundes ganz warm ums Herz.

Nach einigen Minuten kam die Erzieherin zu ihnen, ihre Miene noch viel mürrischer. Anscheinend fror sie, aber Rogue hatte kein Mitleid für diese lieblose Frau übrig. „Die Kinder dürfen bei diesen Temperaturen nicht so lange draußen bleiben.“

„Wenn Sie ihnen vernünftige Kleidung geben würden, wäre das kein Problem“, erwiderte Rogue vorwurfsvoll, ohne Frosch auch nur eine Sekunde lang loszulassen.

„Unsere Mittel sind begrenzt“, war die spitze Antwort. „Wenn Sie bis zum Ende der Besuchszeit hier bleiben wollen, müssen Sie mit den Kindern rein kommen.“

Da er sich auf keinem Fall jetzt schon wieder von Frosch und Lector trennen wollte und nicht annahm, dass sein Partner das anders sah, nickte Rogue einfach nur und stand auf. Sting tat es ihm nach. Mit Lector und Frosch auf den Armen folgten sie der Erzieherin in den schummrigen, mit grau gesprenkeltem Linoleum ausgelegten Flur und bis zu einem kleinen Zimmer mit mehreren Stühlen, einem Tisch mit kümmerlichen Malutensilien und einer kleinen Spielecke, in der einige abgenutzte Holzklötze und Spielzeugautos verstreut herum lagen.

„Die Toilette ist gleich gegenüber, ansonsten ist es Ihnen untersagt, sich im Gebäude ohne Begleitung zu bewegen. Eine Kollegin bringt Sie um Fünf Uhr wieder nach draußen“, erklärte die Erzieherin barsch, ehe sie hinter ihnen einfach die Tür schloss.

„Was für eine Hexe“, knurrte Sting und ging mit Lector zur Spielecke. Das Spielzeug schob er mit dem Fuß beiseite, um sich auf dem Teppich nieder zu lassen, dessen braune Färbung alles andere als appetitlich war. Dennoch war der Teppich den Stühlen eindeutig vorzuziehen, weshalb Rogue sich einfach direkt neben seinen Freund setzte und sich die Mütze vom Kopf zog.

Es dauerte eine Weile, bis die Kinder sich so weit gefasst hatten, dass Sting und Rogue ihnen und sich selbst die Jacken und Schuhe ausziehen konnten, und danach kuschelte Frosch sich sofort wieder an Rogue. Er hatte nichts dagegen einzuwenden und schlang erneut die Arme um das Mädchen.

Lector hingegen setzte sich zwischen Sting und Rogue und sah hoffnungsvoll zu ihnen auf. „Können wir wieder zu euch?“

„Noch nicht“, seufzte Sting bedauernd. „Aber bald. Wir müssen ganz viel erledigen, damit sie uns erlauben, euch zu uns zu holen. Bis dahin werden wir euch jeden Tag besuchen.“

Lector war mit dieser Antwort offensichtlich nicht zufrieden, aber er erhob keinen Protest, sondern lehnte sich gegen Stings Seite, was diesem ein seliges Lächeln entlockte. Es war nur allzu verständlich, dass Lector nicht hier bleiben wollte, aber zumindest schien er ihnen wieder zu vertrauen.

„Behandeln sie euch gut?“, stellte Rogue die Frage, die ihm schon seit gestern Abend unter den Nägeln brannte.

Als Antwort erhielt er nur ein unbestimmtes „Hm…“ und dann herrschte eine ganze Weile Schweigen.

„Frosch hat die ganze Nacht geweint und nach euch gerufen. Und ich habe euch auch vermisst“, nuschelte Lector schließlich verlegen.

„Wir euch auch“, versicherte Sting und strich durch Lectors Haare. „Ohne euch ist es ganz still bei uns.“

„Keine Musik?“, nuschelte Frosch, ausgelaugt vom Weinen und von der Aufregung.

„Keine Musik“, bestätigte Sting ernsthaft. „Ohne euch sind wir traurig.“

„Frosch auch…“

Die großen, dunklen Augen fielen langsam zu. Das Mädchen versuchte, sich die Müdigkeit aus den Augen zu reiben, aber gleich darauf musste es gähnen.

Das Gähnen war ansteckend. Nach all der Anspannung beim Jugendamt spürte Rogue nun, dass er in der letzten Nacht kaum geschlafen hatte. Er lehnte sich noch etwas mehr zurück, beide Arme um Frosch gelegt und gestattete seinen Augen, einfach zu zufallen. Neben sich hörte er bereits Lectors ruhige Atemzüge und dann spürte er noch, wie Stings Kopf gegen seine Schulter sackte, ehe der Schlaf auch ihn einholte…
 

Liebe ist nicht das, was man erwartet, zu bekommen, sondern das, was man bereit ist, zu geben.

Katharine Hepburn

„So kann das nicht weiter gehen!“

Müde hob Sting den Blick von seinem extrastarken Espresso und sah zu Minerva und Yukino auf, die sich vor ihm und Rogue aufgebaut hatten. Yukino trug ihre Arbeitsschürze und ihre Kollegin Pisces blickte immer wieder vergewissernd zur Hintertür, offenbar stand sie Schmiere, damit der Chef nicht entdeckte, dass Yukino während der Arbeitszeit etwas anderes tat, als Torten zu verkaufen.

Es war ein matschig-grauer Sonntagmorgen und Sting und Rogue gingen nun schon seit drei Wochen jeden Tag zum Heim, mussten gleichzeitig arbeiten, eine neue Wohnung suchen und allerlei mehr Kram organisieren. Rogue hatte bereits eine psychologische Beurteilung gehabt, Sting hatte seinen Termin am Montag.

Sie hatten heute früh keine Lust gehabt, ein Frühstück zu zubereiten und waren deshalb zum Tarte au Stellar gegangen, der Bäckerei und Konditorei, in der Yukino arbeitete und die auch ein reichhaltiges Frühstücksangebot und ziemlich guten Kaffee hatte – und Kaffee war in den letzten Wochen zu Stings und Rogues Hauptnahrungsmittel geworden.

„Ihr seht aus wie Zombies“, erklärte Minerva und setzte sich an den Tisch, ihre Miene zutiefst missbilligend.

„Danke für die Blumen“, brummte Sting, während sein Partner gar nichts weiter sagte.

Ganz Unrecht hatte Minerva ja nicht. Rogue war blasser und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Um auf sein Stundensoll zu kommen und dennoch jeden Tag von drei bis fünf Uhr nachmittags bei den Kindern sein zu können, musste er sechs Tage in der Woche arbeiten. Zum Glück hatte Org sich überhaupt darauf eingelassen. Nach den Besuchen bei den Kindern waren sie oft noch unterwegs oder quälten sich gemeinsam durch ellenlange Formulare.

„Wann habt ihr das letzte Mal ausgeschlafen?“, fragte Yukino streng und ließ sich neben ihrer Freundin nieder.

Wahrscheinlich hatte sie Minerva angerufen, als Sting und Rogue hier aufgetaucht waren. Warum Minerva so schnell hier hatte auftauchen können, war Sting allerdings ein Rätsel. Musste diese Frau eigentlich nie in der Kaserne sein? Für einen Moment fragte er sich voller Sorge, ob die Schwarzhaarige sich deswegen Ärger mit ihrem Vorgesetzten eingehandelt hatte, aber er wusste genau, dass Minerva das niemals zugeben würde, wenn er sie danach fragen sollte.

„Das war…“, begann Rogue, verstummte jedoch wieder und runzelte ratlos die Stirn, während er weiter in seine Espresso-Tasse starrte.

Ja, wann hatten sie eigentlich in den letzten Wochen ausgeschlafen? Sting konnte sich nicht erinnern. Er war immer mit Rogue zusammen aufgestanden, wenn dessen Wecker geklingelt hatte, weil er sich alleine in der Wohnung nicht mehr richtig wohl fühlte. Dort dachte er viel zu viel an die Kinder und machte sich lauter Sorgen. Weil er wegen der Besuche bei den Kindern nicht zu den Nachmittagsproben konnte, nahm er an den Vormittagsproben teil. In den letzten drei Wochen hatte er auch mehrmals nach dem Besuch bei den Kindern noch zu irgendwelchen Gala-Abenden gehen müssen, um dort für die musikalische Unterhaltung zu sorgen. Das gehörte nun einmal auch zu seinem Job als erster Violinist der Konzerthalle.

Minerva ließ einen Flyer über den Tisch rutschen. Weil Sting so langsam reagierte, wäre er über die Tischkante gefallen, wenn er sich nicht an Rogues Untertasse verkantet hätte. Es war ein Flyer der Konzerthalle. Mit einem Textmarker hatte Minerva einen Programmpunkt mit dem heutigen Datum umkreist.

„Da wirst du auftreten, richtig, Sting?“

„Ja, na und?“

„Das geht um sechs Uhr los.“

„Ja, na-“

„Hört auf damit“, erhob Rogue das Wort, seine Stimme ungewohnt scharf. Sting konnte sich nicht erinnern, wann sein Freund diesen Ton jemals bei ihren gemeinsamen Freunden angeschlagen hätte. „Wir haben uns das so ausgesucht, wir kommen damit klar.“

„Tut ihr nicht, ihr klappt bald zusammen“, erwiderte Minerva vollkommen unbeeindruckt. „Ihr hetzt von der Arbeit zum Heim und von dort aus weiter zu Terminen.“

„Es ist nicht auf Dauer“, murmelte Sting und schnippte den Flyer lustlos zurück über den Tisch. „Wir halten das durch, es ist für Lector und Frosch.“

„Ihr seid ja solche Hohlköpfe!“, fauchte Yukino und schlug mit ihrer zierlichen Faust beeindruckend fest auf die Tischplatte, sodass sogar Rogues leere Tasse klirrte.

Wie ein Auto starrte Sting die Weißhaarige an. Normalerweise war Yukino immer diejenige in ihrem Freundeskreis, die versuchte, mit Verständnis und Entgegenkommen zu vermitteln. Um von ihr mal einen Vorwurf zu hören, musste man sich schon eine ganze Menge geleistet haben – und selbst dann fuhr sie nie so aus der Haut.

Zu Stings größter Verblüffung war Yukino mit diesem Ausbruch jedoch keineswegs fertig. Sie schlug gleich noch mal mit der Faust auf den Tisch und wetterte weiter: „Seid ihr auch mal auf die Idee gekommen, dass ihr das nicht alleine machen müsst? Nein, natürlich nicht. Ihr Blindfische! Ist ja nicht so, als hätten wir euch nicht von Anfang an unsere Hilfe angeboten, aber nein, ihr Dummdödel strampelt euch lieber zu Tode! Vollidioten! Hornochsen!“

Es dauerte einige Sekunden, bis Sting bemerkte, dass seine Kinnlade herunter geklappt war. Er blinzelte mehrmals, dann schob er seinen Ärmel hoch und kniff sich in den Unterarm. Okay, er war wirklich wach. Das hier war also kein total skurriler Traum, in dem Yukino auf einmal einen Persönlichkeitswandel durch machte. Das hier war die echte Yukino, die ihnen gerade diese farbenfrohen Bezeichnungen an den Kopf warf!

Die Weißhaarige redete sich richtig in Fahrt. Sie wiederholte sich dabei immer wieder, nur die Beschimpfungen nicht. Wo hatte sie das alles gelernt? Das hätte Sting ihr wirklich nie zugetraut! Vor allem aber fragte er sich, wann Yukino so einschüchternd geworden war. Es kam ihm so vor, als würde sie immer weiter über ihm und Rogue aufragen, während er selbst in sich zusammen schrumpfte.

Schwer atmend verschränkte Yukino schließlich die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück, ehe sie sich in gewohnt verlegener Manier zu Minerva umdrehte. „Du bist dran“, nuschelte sie und über ihr gesamtes Gesicht breitete sich eine immer dunkler werdende Röte aus.

Sogar Minerva schien beeindruckt. Sie klopfte Yukino anerkennend auf die Schulter. „Der Sex mit deinem Loke muss ja wirklich bombastisch sein. Du wirkst wie ein anderer Mensch, Yukino, steht dir.“

„D-d-darum geht es jetzt nicht!“, quiekte Yukino und fuchtelte wild in Stings und Rogues Richtung, ihr Gesicht mittlerweile tomatenrot. „Sondern um die Beiden da!“

„Richtig…“ Schlagartig wich alle Amüsiertheit aus Minervas Zügen und machte einem bitteren Ernst Platz, als sie sich an die beiden jungen Männer wandte, die noch immer sprachlos auf der anderen Seite des Tisches saßen. „Sting wird heute nicht zu Lector und Frosch gehen.“

„Was?! Aber ich-“

„Orga geht heute mit Rogue mit zum Heim“, unterbrach Minerva ihn und ihre olivgrünen Augen blitzten warnend auf. „Und morgen bleibt Rogue Zuhause und Sting geht mit Yukino zu den Kindern. Ihr werdet euch ab sofort mit den Besuchen abwechseln und einer von uns wird euch immer begleiten. Ohne Wenn und Aber.“

„Das sind-“

Ohne Wenn und Aber“, wiederholte Minerva, ihre Stimme jetzt so gefährlich leise, dass es Sting eiskalt den Rücken runter lief. „Natürlich sind Lector und Frosch eure Kinder, das steht überhaupt nicht zur Debatte, aber wir sind eure Freunde und wir können und werden euch helfen, auch wenn ihr zu kurzsichtig seid, um uns um Hilfe zu bitten.“

„Aber ihr habt doch-“

Es reichte schon, dass Minerva eine Augenbraue anhob, und Sting blieb der Protest im Halse stecken. Unsicher linste er zu Rogue, der genauso eingeschüchtert aussah, wie er sich fühlte. Ihre gemeinsame Freundin war schon immer sehr respekteinflößend gewesen, aber heute zog sie wirklich alle Register.

Minerva zog ein Blatt mit einer Tabelle aus ihrer Tasche und schob es über den Tisch. Darauf war für die nächsten vier Wochen für jeden einzelnen Tag eingetragen, wer Sting oder Rogue ins Heim begleiten würde. Neben Minerva, Yukino und Orga waren da auch Rufus und sogar Lucy vermerkt. Ausgerechnet Lucy! Die hätte selbst so einen Hilfsplan gebraucht!

Im nächsten Moment fühlte Sting sich wegen dieses Gedankens schuldig. Lucys Situation war eine völlig andere. Was sie brauchte, war jemand, der ihr Einsicht einbläute, damit sie endlich ihr Leben umkrempelte. Daran hatte Sting sich schon vor langer Zeit erfolglos versucht und er wusste, dass auch Loke und Yukino sich daran die Zähne ausgebissen hatten. Sogar Lucys beste Freundin Levy war an dieser Aufgabe gescheitert.

„Ihr könnt das doch nicht fünf Monate lang durchziehen“, wandte Rogue todesmutig ein.

Im nächsten Moment zückte Yukino eine zusammen gerollte Zeitung, die sie vom Nachbartisch gefischt hatte, und schlug Rogue damit auf den Kopf. Ihre braunen Augen funkelten warnend. Minervas Lippen hingegen wurden von einem Halblächeln geziert, während sie sich entspannt zurück lehnte.

„Wieso sollten wir nicht?“

„Weil ihr euch auch um eure eigenen Sachen kümmern müsst“, sagte Sting, duckte sich zu spät und kassierte ebenfalls einen Schlag mit der Zeitung. „Lass’ das!“ Prompt schlug die Zeitung wieder gegen seinen Kopf.

„Sture Maulesel! Sind wir nun Freunde oder nicht?“, rief Yukino anklagend.

Sting tauschte einen betroffenen Blick mit seinem Freund. So hatte er noch gar nicht über die Sache nachgedacht. Schuldbewusst hob er die Hände. „Natürlich seid ihr unsere Freunde, wir dachten nur…“

„Dass ihr das alleine schafft, schon klar. Müsst ihr aber nicht. Nur zu eurer Information, Yukino hier ist ganz scharf darauf, Zeit mit euren Kindern zu verbringen, und die Anderen freuen sich auch darauf.“

„Du doch auch“, verteidigte Yukino sich mit nun wieder roten Wangen.

Darauf blieb Minerva ihrer Freundin eine Antwort schuldig und ihre Miene verriet auch nichts, aber so langsam dämmerte Sting, dass Minerva sich bereits über gebühr für die Kinder eingesetzt hatte. Sicherlich war das auch ein Freundschaftsdienst für ihn und Rogue gewesen, aber es war ja von Anfang an offensichtlich gewesen, dass Minerva sich glänzend mit Lector und Frosch verstand.

„Also ist es beschlossene Sache, Sting, du gehst nach Hause und macht ein Mittagsschläfchen. Yukino und ich holen dich rechtzeitig ab, wir haben Karten für das Konzert heute Abend. Für dich haben wir auch eine, Orga bringt dich vom Heim aus zur Halle“, fügte Minerva an Rogue gewandt hinzu.

„Ihr könnt doch nicht einfach so unser Leben durchplanen“, protestierte Sting, obwohl er sich eingestehen musste, dass es ihn freuen würde, wenn Rogue im Publikum sitzen würde. Nicht dass Rogue sich sonst je ein Konzert hatte entgehen lassen, meistens hatte Sting ihm sogar Backstage-Karten besorgt, aber bei all dem Trubel der letzten Wochen hatte er kaum an das Konzert gedacht.

Minerva schnaubte nur und dieses Mal konnte er seinen Kopf rechtzeitig einziehen, sodass die Zeitung ihn nicht traf. Rogue neben ihm seufzte ergeben und Sting wurde klar, dass sie diese Diskussion verloren hatte. Aber wenn er ehrlich war, wollte er sie auch gar nicht gewinnen. Er hatte es sich bisher nicht eingestehen wollen, weil er um keinen Preis sein Versprechen gegenüber Lector brechen wollte, aber diese Zwangspause war wahrscheinlich genau das, was er und Rogue brauchten. Wenn sie das alles auf die Reihe kriegen wollten, mussten sie kürzer treten – und dank ihren sturen, verrückten und absolut loyalen Freunden konnten sie das zum Glück auch.
 

Ein Kuss ist eine Sache, für die man beide Hände braucht.

Mark Twain

„Und Lector war mir auch wirklich nicht böse?“

Rogue verkniff sich ein Augenrollen und konzentrierte sich darauf, die Wohnungstür aufzuschließen. Sein Partner hatte ihn den ganzen Weg von der Konzerthalle hierher über die Kinder ausgefragt.

Davon, dass er vor mehreren hundert Menschen ein bravouröses Violinen-Solo zum Besten gegeben hatte, merkte man dem Blonden überhaupt nichts an. Damit hatte Sting sowieso noch nie ein Problem gehabt. Zuhörer und Zuschauer hatten ihn nie gekümmert, solange sie ihn einfach spielen ließen. Das hing gleichermaßen mit seinem gesunden Selbstbewusstsein und mit seiner grenzenlosen Leidenschaft für seine eigene Musik zusammen. Wenn Sting spielte, dann spielte er zu neunundneunzig Prozent nur für sich selbst.

Aber kaum dass Rogue seinen Freund nach dem Konzert begrüßt hatte, hatte man diesem nichts mehr von seiner vorherigen Souveränität angemerkt. Sting hatte zig Fragen zum Befinden der Kinder gestellt und dabei pausenlos geplappert, sodass Rogue eigentlich gar nicht dazu gekommen war, auch mal zu antworten. Nach mehreren erfolglosen Versuchen hatte er es aufgegeben, Sting unterbrechen zu wollen.

Überrascht drehte Rogue sich nun in der geöffneten Wohnungstür um, als ihm auffiel, dass sein Partner nichts mehr sagte. Stings Gesichtszüge zuckten, die blauen Augen waren riesengroß. Echte Angst war darin zu erkennen. Ob Lector ihm böse war oder nicht, war für Sting ganz offensichtlich von elementarer Bedeutung, was Rogue nur zu gut nachvollziehen konnte.

Seufzend zog Rogue seinen Freund am Kragen seines blütenreinen Hemdes, das dieser unter der bereits geöffneten Winterjacke trug, zu sich und küsste ihn gefühlvoll. Mit dem Fuß schob er die Tür hinter ihnen zu, während seine Hände nach oben wanderten und Stings Gesicht umfassten.

Er spürte Stings Seufzen auf seinen Lippen eher, als dass er es hörte. „Rogue, nun sag’ schon“, murmelte der Blonde, ohne den Kuss richtig zu unterbrechen.

Der Schwarzhaarige blieb seinem Partner eine Antwort schuldig und drückte diesen gegen die Innenseite der Wohnungstür, um den Kuss zu intensivieren. Er nahm Stings Unterlippe zwischen seine Zähne und knabberte behutsam daran, während seine Daumen Besitz ergreifend über die kalten Wangen strichen. Obwohl Sting ungeduldig brummte, fügte er sich nur allzu willig in die Situation und streifte Rogue die ebenfalls geöffnete Jacke von den Schultern.

Es war schwer zu erklären, was sich auf einmal geändert hatte, aber erst bei den Kindern zu sein und danach Sting spielen zu sehen, hatte Rogue alle Erschöpfung der letzten Wochen völlig vergessen lassen. Der Anblick von Sting, wie er völlig in seine eigene Welt versunken auf der Bühne stand und Violine spielte, hatte Rogue einmal mehr bewusst gemacht, wie sehr er diesen chaotischen Blondschopf liebte und begehrte.

Schwer atmend lehnte Rogue seine Stirn schließlich gegen Stings und blickte tief in die dunkelblauen Augen. Nachdem er seine Jacke losgeworden war, hatte er erneut das Gesicht seines Freundes in beide Hände genommen. Jetzt strich er mit einem Finger die Kieferlinie nach. Die Haut war vollkommen glatt. Minerva hatte Sting offensichtlich sogar dazu gebracht, sich gründlich zu rasieren.

„Lector hat dich vermisst, aber er war nicht böse“, antwortete Rogue endlich und hauchte einen weiteren Kuss auf Stings geschwollene Lippen. „Er wäre gerne mit zum Konzert gekommen, um dich spielen zu sehen.“

„Wenn sie endlich bei uns sind, besorge ich euch Dreien beim nächsten großen Konzert Backstage-Tickets“, schnurrte Sting und hob dabei leicht das Kinn, um seine Kehle darzubieten. Rogue nahm die Einladung an und strich zärtlich über den Kehlkopf, verharrte dort, um die Bewegung von Stings Schlucken zu spüren.

Er schob den Schal beiseite, der nur noch lose über Stings Hals hing, und suchte im Übergang zwischen Hals und Schulter eine geeignete Stelle für seine Lippen. Der Körper unter seinen Händen erzitterte vor Wonne und ein Laut, der schon verdächtig nach einem Stöhnen klang, drang an seine Ohren. Als er zu saugen begann, krallten sich fahrige Hände in seine Haare und in sein schwarzes Hemd, um ihn näher zur Tür zu ziehen. Damit er nicht das Gleichgewicht verlor, stützte er sich mit einer Hand an der Tür ab, während die andere blind an den kleinen Hemdknöpfen seines Freundes herumnestelte.

Als er sich endlich wieder aufrichtete, prangte ein großer Knutschfleck an Stings Halsansatz und das weiße Hemd war halb aufgeknöpft. Stings Gesicht war die reinste Versuchung: Die Wangen gerötet, die Lippen einen kleinen Spalt breit geöffnet, die Augen verklärt. Bei diesem Anblick schlug Rogue das Herz bis zum Hals.

„Frosch hat mir ein Bild mitgegeben“, krächzte Rogue schließlich nach mehrmaligem Räuspern und sah sich suchend nach seiner Tasche um. Sie lag noch dort, wo er sie achtlos fallen gelassen hatte, als er Sting in die Wohnung gezogen hatte. Während er nach der erwähnten Zeichnung suchte, hörte er, wie Sting sich die Jacke und die Schuhe auszog. Das Rascheln der Kleidung war ausgesprochen anregend für ihn, aber er versuchte, sich auf seine Suche zu konzentrieren.

Als er sich mit dem Blatt aufrichtete, trat Sting hinter ihn und legte sein Kinn auf Rogues Schulter ab, um das Bild betrachten zu können. Es zeigte zwei große, ein mittelgroßes und ein kleines Strichmännchen, die aufgrund ihrer Haar- und Augenfarben als Sting, Rogue, Lector und Frosch zu erkennen waren. Sting und Rogue standen außen, die Kinder in der Mitte und sie alle hielten einander an den Händen. Obwohl es so kindlich schlicht gehalten war, wurde Rogue bei diesem Bild ganz warm zumute. Das war ein Bild von ihrer Familie und die kleine Frosch glaubte mit all der Inbrunst, zu der ein Kleinkind fähig war, an eben diese Familie!

„Das bekommt einen Ehrenplatz“, entschied Sting andächtig flüsternd und nahm Rogue das Blatt aus den Händen, um damit in die Küche zu gehen.

Mittlerweile war der Kühlschrank geradezu übervoll mit Bildern von Frosch. Irgendwann hatte das Mädchen es sich zur Gewohnheit gemacht, seinen Vätern bei jedem Besuch ein Bild mit zu geben. Oft waren die Motive kunterbunte Frösche oder irgendwelche Fantasietiere. Der eine oder andere Wolf hatte es auch schon geschafft, von Frosch verewigt zu werden. Wahrscheinlich Lector zuliebe. Aber in letzter Zeit waren auch immer wieder Sting, Rogue oder Lector festgehalten worden. Beim Anblick der vielen Bilder wurde Rogue jedes Mal von einer irrationalen, schier überschäumenden Freude erfüllt.

Früher hätte er so etwas einfach nur belächelt, aber jetzt war er jedes Mal unsagbar stolz, wenn Frosch ihm ein Bild schenkte oder wenn er auch nur zum Kühlschrank mit all den kunterbunten Bildern blickte. Genauso stolz war er vorgestern gewesen, als Lector das erste Mal einen Zweier-Würfel gelöst hatte. Wenn sie die Kinder besuchten, brachten sie ihnen immer Spielzeug mit, auf Lectors Wunsch hin auch Zauberwürfel. Der Junge war nach wie vor begeistert von den Würfeln und es bereitete Rogue große Freude, ihm die Lösungswege zu zeigen.

Während Sting nach einem geeigneten Platz für das Bild suchte, hob Rogue seine Jacke auf und hängte sie an die Kommode, ehe er seine Schuhe auszog und die Wohnungstür von innen verriegelte. Als er in die Küche ging, stand sein Freund andächtig vor dem Kühlschrank. Das neue Bild prangte genau in der Mitte, festgehalten mit Magneten in Form von kleinen, schwarzen und weißen Drachen.

„Lector hat sich heute wieder an der Pyramide versucht. Eine Seite hätte er fast geschafft“, berichtete Rogue voller Stolz.

Mit einem zärtlichen Lächeln drehte Sting sich zu ihm um. „Er ist bei den Würfeln genauso verbissen bei der Sache wie du“, schmunzelte er.

„Ich bin nicht verbissen“, brummte Rogue, spürte aber, wie seine Wangen warm wurden.

Sting wandte sich vom Kühlschrank ab und sie gingen ins Schlafzimmer. Vollkommen zwanglos zog der Blonde sich dort die Anzughose aus. Obwohl ihm das alles schon wohlbekannt war, musste Rogue sich zusammen reißen, um nicht zu starren. Es juckte ihm in den Fingern, seinen Freund an sich zu ziehen und erneut zu küssen.

„Wie hat es den Kindern mit Orga gefallen?“

„Sie hatten ihren Spaß. Er hat mit ihnen Jenga gespielt und absichtlich verloren“, erklärte Rogue, der bei der Erinnerung grinsen musste.

Wer den hünenhaften Soldaten sah, würde es nie im Leben glauben, aber Orga war ausgesprochen kinderlieb. Das blieb wohl nicht aus, wenn man sich um fünf jüngere Geschwister kümmern musste. Das Jüngste Nanagear-Kind war jetzt sieben, aber es war kein Nachzügler, sondern vielmehr war es so, dass Orga der Vorreiter gewesen war. Seine Eltern waren blutjung gewesen, als sie ungeplant Orga bekommen hatten. Nach der Geburt ihres Sprösslings hatten sie sich zunächst darauf konzentriert, Kind und Karrieren unter einen Hut zu kriegen, ehe sie acht Jahre später an eine Erweiterung der Nanagear-Familie gedacht hatten. Minerva nannte sie die Bärenhorde, weil alle Kinder bis auf das Jüngste Jungen waren und so wie Orga ganz nach dem massiv gebauten Vater schlugen.

Sting gluckste leise und öffnete die restlichen Knöpfe seines Hemdes, womit er Rogue freien Blick auf seinen muskulösen Oberkörper bot. Zuallererst mochte Sting ein Musiker sein, aber in seiner Freizeit probierte er sich durch alle möglichen Sportarten. Bei gutem Wetter nervte er Rogue am Sonntagmorgen oft damit, dass dieser mit ihm joggen kommen sollte – und obwohl er seinen Freund immer zuerst dafür verfluchte, machte Rogue doch meistens mit und fühlte sich im Nachhinein zugegebenermaßen richtig gut. Dann auch noch das regelmäßige Krafttraining mit Orga und Minerva und all die anderen Sachen, die er ausprobierte. Bei ihrem Urlaub letztes Jahr hatte Sting sogar Bungee Jumping gemacht. Rogue hatte beinahe einen Herzkasper gekriegt, als sein Freund sich von der Brücke gestürzt hatte.

Mühsam riss Rogue seinen Blick von Stings Oberkörper und bemerkte schließlich das anzügliche Grinsen seines Freundes. Verlegen widmete er sich seinen eigenen Klamotten, öffnete seinen Gürtel und streifte sich die schwarze Jeans von den Hüften.

„Die Kinder freuen sich darauf, dass du morgen mit Yukino vorbei kommst. Lector hat gleich gefragt, ob ihr ihnen Muffins mitbringen könnt“, erklärte er mit belegter Stimme, um sich selbst von seiner Verlegenheit abzulenken.

Es war gewiss nicht so, dass er sich dafür schämte, wie sehr er sich auch körperlich zu Sting hingezogen fühlte. Sie waren seit zehn Jahren zusammen und hatten schon viele Nächte zusammen verbracht. Im Grunde gab es nichts, was sie nicht über den Körper des jeweils anderen wussten. Aber seit die Kinder in ihr Leben gestolpert waren, hatte es nicht mehr so intensiv zwischen ihnen gefunkt. Irgendwie hatten sie andauernd andere Sachen im Kopf gehabt. Durch die lange Trockenphase war Sting gleich noch viel anziehender für den Schwarzhaarigen.

„Tante Yu hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen“, stellte Sting mit einem Glucksen fest. „Da könnte ich fast eifersüchtig werden.“

„Musst du nicht“, sagte Rogue und knöpfte sein eigenes Hemd auf, um es ordentlich auf den Bügel zu hängen, der am Griff des Kleiderschranks bereit hing. „Die Beiden waren vor allem deswegen ganz aus dem Häuschen, weil du morgen da bist.“

Nur zu deutlich hatte Rogue noch vor Augen, wie Frosch auf der Stelle gehüpft war und in die Hände geklatscht hatte. Minervas Plan mit den abwechselnden Besuchen war offensichtlich für sie alle das Beste. Sting konnte sich besser auf seine Auftritte konzentrieren, Rogue konnte sein Stundensoll erfüllen, ohne pausenlos 6-Tage-Wochen zu schieben, und die Kinder kamen dennoch voll auf ihre Kosten.

„Ich freue mich schon, sie morgen wieder zu sehen“, erklang es direkt hinter Rogue und ein Finger fuhr langsam von seinem Hals an die Wirbelsäule hinunter.

Dem Schwarzhaarigen entfuhr ein Keuchen und er stützte sich gegen den Schrank, um nicht einem Tier gleich herum zu wirbeln und Sting aufs Bett zu werfen. Seine Wangen brannten und sein Herz klopfte wie verrückt, was sich nicht unbedingt besserte, als der Finger immer tiefer kam. Heißer Atem streifte seinen Nacken und dann waren da weiche Lippen, die sich ihren Weg über seine linke Schulter bahnten. Sie hinterließen eine brennende, prickelnde Spur auf der Haut. Rogue stöhnte leise. Der Finger zupfte am Bund seiner Boxershorts.

In Rogues Kehle vibrierte ein tiefes Stöhnen und er verdrehte den Kopf. Sofort war Sting da und nahm seine Lippen in Beschlag. Ihre Zungen drückten sich leidenschaftlich aneinander, umkreisten einander und suchten in den Mundraum des jeweils Anderen vorzudringen. Rogue drehte sich herum und griff nach dem Gesicht seines Partners, um ihn an sich zu ziehen, sein Rücken gegen die Schranktür gelehnt, denn seine Knie fühlten sich nicht so an, als könnte er ihnen noch vertrauen.

Die sehnig-muskulösen Arme umschlangen seinen Körper und ihre Becken wurden aneinander gepresst, was Rogue lauter denn je aufstöhnen ließ. Sting nutzte das aus, um den Zungenkampf für sich zu entscheiden und Rogues Mundraum zu erobern. Der Kuss war hart und fordernd und wild. Die Hände fuhren rastlos über Rogues Körper und er spürte ein Reiben im Beckenbereich. Doch es reichte Rogue nicht. Er wollte noch viel mehr!

Mit einem heiseren Knurren drängte er Stings Zunge zurück und griff in die blonde Haarpracht, um den Lippen seines Freundes jede Fluchtmöglichkeit zu nehmen. Seine freie Hand fuhr nach unten und er stieß sich vom Schrank ab, um Sting zum Bett zu bugsieren. Als Sting gegen die Kante stieß, fiel er auf die Matratze.

Schwer atmend blickte Rogue auf ihn hinab, wie er dort lag, einen Arm unter seinen Kopf geschoben. Das Gesicht gerötet, die geschwollenen Lippen unter schweren Atemstößen zitternd. Die Zunge leckte einmal über die Unterlippe. Allein dieser Anblick brachte Rogue beinahe um den Verstand. Aber er ließ den Blick weiter wandern über den nackten, prachtvollen Oberkörper und bis zur verrutschten Boxershorts, an deren Bund die andere Hand des Blonden ruhte. Die reinste Einladung.

Langsam kroch Rogue über seinen Freund, um die Einladung anzunehmen…

Hüpfe sechsmal – und rette die Kinder

Gewalt ist die letzte Zuflucht des Unfähigen.

Isaac Asimov

„Ist gestern noch etwas Besonderes passiert?“

Aus seinen Gedanken gerissen blickte Sting Yukino an, die ihn mit einem seltsamen Funkeln in den Augen von der Seite betrachtete, während sie dem matschigen Weg folgten, der zum Waisenhaus führte. Auf ihren Wangen war eine Röte zu erkennen, die ein wenig zu intensiv war, um von der Kälte herzurühren, aber ihre Lippen umspielte ein ahnungsvolles Grinsen. So erinnerte sie ihn beinahe ein wenig an Minerva, nur dass diese wahrscheinlich weniger subtil gefragt hätte.

Sting hatte jedoch viel zu gute Laune, um sich davon auch nur im Ansatz in Verlegenheit stürzen zu lassen. Die gestrige Nacht mit Rogue war unglaublich gewesen. Sie waren Beide schier unersättlich gewesen, hatten einfach nicht voneinander ablassen können. Eng umschlungen waren sie irgendwann vor Erschöpfung eingeschlafen und in derselben Position waren sie heute Morgen aufgewacht, so erholt und zufrieden wie schon lange nicht mehr.

Sie waren gewiss nicht sexgeil, aber diese Nacht hatten sie eindeutig dringend gebracht. Es hatte ihnen mehr als nur gut getan, sich mal nur aufeinander zu konzentrieren. In dieser Nacht war alles einfach und schön und berauschend gewesen. Keine Ängste, keine Sorgen, kein Ärger. Es hatte nur sie Zwei gegeben und ihre tiefen, vibrierenden Gefühle füreinander!

Jetzt fühlte Sting sich wieder beschwingt und zuversichtlich. Sie würden es schaffen, die Kinder zu adoptieren, immerhin waren es ihre Kinder und sie konnten sich dabei voll und ganz auf ihre Freunde verlassen – und darauf, dass diese auf sie aufpassten, selbst wenn sie sie nicht darum baten.

Wegen des Auftritts gestern hatte Sting heute frei gehabt. Die psychologische Beurteilung am Vormittag war zu Stings Überraschung recht entspannt verlaufen. Der Psychologe namens Mikuni Shin hatte Sting bei weitem nicht so nervtötend und herablassend behandelt wie vor drei Wochen Michello und er hatte sich auch mit einem freundlichen Lächeln verabschiedet. Sting entschied, das einfach als gutes Zeichen zu betrachten. Den freien Mittag hatte er genutzt, um nach weiteren Wohnungen zu suchen. Zwei interessante hatte er auch tatsächlich gefunden und die Anzeigen für Rogue auf den Schreibtisch gelegt, ehe er aufgebrochen war, um sich mit Yukino zu treffen.

Wie er sie per SMS gebeten hatte, hatte sie eine Schachtel dabei, aus der es verführerisch duftete. Lector und Frosch würden sich unter Garantie riesig freuen. Sting freute sich selbst schon darauf, seinen eigenen Muffin zu verdrücken. Yukinos Backkünste waren schon legendär unter ihren Freunden gewesen, als sie noch gar nicht ihre Ausbildung zur Konditorin angefangen hatte!

Als sie in die Straße einbogen, in der das Waisenhaus lag, stutzte Sting. Normalerweise warteten die Kinder immer vor der Tür, überwacht von einer der immer-mürrischen Erzieherinnen. Nur bei Regen hatten die Erzieherinnen sie drin behalten. Heute waren die Kinder jedoch trotz des trockenen Wetters und der eher milden Temperaturen nicht zu sehen. Sting beschlich ein ungutes Gefühl und unwillkürlich beschleunigte er seine Schritte. Das Lächeln wich aus Yukinos Gesicht, als sie den Stimmungsumschwung bemerkte, und sie beeilte sich, dem Blonden zu folgen.

Mit langen Schritten folgte er dem kurzen, gepflasterten Weg zwischen Zaun und Eingangstür und klopfte laut gegen die Tür. Zuerst tat sich nichts und er klopfte noch mal, lauter dieses Mal. Das ungute Gefühl wurde stärker und auch Yukino schien nervös zu werden, denn sie hielt den Klingelknopf neben der Tür unnötig lange gedrückt.

Schließlich wurde die Tür einen Spalt breit geöffnet und Sting erkannte das Gesicht eben jener unfreundlichen Erzieherin, die damals die Kinder in Empfang genommen hatte, als Sting und Rogue sie zurück ins Heim gebracht hatten. Ihre Miene war genauso finster wie sonst, aber in ihrem Blick lag auch Beunruhigung und noch ehe sie den Mund aufmachte, wusste Sting bereits, dass sie log.

„Die Kinder können heute nicht mit Ihnen spielen, sie sind krank.“

„Beide gleichzeitig?“, fragte Yukino mit einem zutiefst skeptischen Stirnrunzeln, das keinen Zweifel daran ließ, dass sie der Frau auch nicht glaubte.

„Es sind Kinder, so etwas kann schnell über Nacht kommen und die Beiden glucken ja immer aufeinander“, erklärte die Frau und machte bereits Anstalten, die Tür wieder zu schließen. „Sie können in ein paar Tagen wieder kommen.“

Gleichzeitig machten Sting und Yukino einen Schritt nach vorn und hielten so die Tür auf. Die Beunruhigung im Blick der Frau wuchs und Sting schlug das Herz bis zum Hals.

Wo sind meine Kinder“, fragte er mühsam beherrscht. „Ich will sie sofort sehen!“

„Dazu haben Sie keinerlei Recht“, empörte sich die Frau aggressiv.

Ohne weiter auf sie zu achten, schob Sting sich an ihr vorbei, Yukino folgte ihm auf dem Fuße. Suchend sah er sich im Eingangsbereich um. Geradeaus befand sich eine Treppe, rechts ging es in den Verwaltungstrakt mit dem Besucherzimmer, wie er bereits wusste, und aufgrund des Essensgeruchs vermutete er, dass links der Speisesaal lag. Kurzerhand strebte er die Treppe an.

„Verschwinden Sie auf der Stelle oder ich rufe die Polizei!“, rief die Erzieherin.

„Ich gehe nicht eher, ehe ich nicht meine Kinder gesehen habe!“, fauchte Sting sie an und erklomm die Treppe, wobei er immer drei Stufen auf einmal nahm und immer wieder nach Lector und Frosch rief. Yukino und die mittlerweile beinahe hysterische Erzieherin eilten ihm hinterher.

Im ersten Stock stellte sich ihm eine andere Erzieherin in den Weg, die er auch schon vom Sehen kannte. Er hatte keine Ahnung, wie sie und ihre Kollegin hießen. Das hatte ihn nie gekümmert. Mit solchen Leuten wollte er keine Bekanntschaft pflegen.

Sting!“

Froschs schrille Stimme ließ Sting zusammen zucken. Die Panik darin schnitt ihm tief ins Herz. Mit schmerzhaft hämmerndem Herzen blickte er nach links und rechts.

„Dort kam der Ruf her“, sagte Yukino, ihr Gesicht bleich vor Sorge, als sie an Sting vorbei in den linken Gang einbog. Die zweite Erzieherin stellte sich ihnen bei der Feuerschutztür in den Weg.

„Die Kinder sind hier nicht.“

„Wo sind sie dann?“, fragte Yukino unnachgiebig.

„Sie dürfen sie nicht sehen.“

Sting!

Nichts und niemand mehr konnte Sting halten, als er den Schrei seiner Tochter und das verzweifelte Trommeln ihrer winzigen Fäuste an einer Tür hörte. Er schob sich grob an der Erzieherin vorbei und eilte den Gang entlang bis zu der Tür, hinter der er immer noch Froschs Trommeln hören konnte. Als er die Klinke herunterdrückte, begriff er, dass die Tür abgeschlossen war. Diese Hexen hatten seine Kinder eingesperrt!

„Frosch, ich bin hier! Ich hole euch da raus!“, rief er durch die Tür. Dahinter erklang ein verzweifeltes Jammern. Sting meinte, das Wort Lector zu verstehen, und ihm wurde beinahe übel vor Angst.

Er wirbelte herum und starrte die beiden Erzieherinnen an. „Schließen Sie sofort diese Tür auf oder ich trete sie ein!“, fauchte er.

„Sie können uns hier gar nichts befehlen“, zischte die erste Erzieherin, aber ihr Blick zuckte immer wieder ängstlich zu der Tür.

Schließen Sie diese Tür auf!“, brüllte Sting aus Leibeskräften. Beide Erzieherinnen wichen vor Angst einen Schritt vor ihm zurück, aber das war ihm vollkommen egal.

„Geben Sie mir sofort den Schlüssel oder ich rufe die Polizei“, sagte Yukino mit so harter Miene, wie Sting es vorher noch nie bei ihr gesehen hatte, und hob warnend ihr Handy.

Die Erzieherinnen wechselten einen beklommenen Blick, dann knickte die zweite ein und zog ihren Schlüsselbund hervor. Yukino riss ihn ihr sofort aus der Hand und war mit wenigen Schritten neben Sting. Sie musste fünf Schlüssel ausprobieren, bis sie den richtigen fand. Die ganze Zeit war Froschs Weinen und Jammern zu hören.

Als die Tür geöffnet wurde, stolperte das Mädchen heraus. Gerade noch rechtzeitig konnte Yukino in die Knie gehen und sie auffangen. Sting ging neben ihnen in die Hocke und zog seine Tochter in seine Arme. Schluchzend schlang sie die winzigen Arme um seinen Hals und die Beine um seine Hüfte.

„Frosch, wo ist Lec-“

Yukinos Keuchen ließ Sting aufblicken. Ihm wurde speiübel. Lector saß auf der Kante eines schmalen Betts, noch in einen hässlichen Einheitspyjama gekleidet, den Blick auf Froschi in seinen Händen gerichtet. Der Kopf des Plüschtiers war halb abgerissen und der Junge hielt es so fest umklammert, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Der Grund für Yukinos Keuchen war allerdings Lectors Gesicht: Die gesamte linke Gesichtshälfte schien ein einziger Bluterguss zu sein…

„DAS SIND KINDER!!!“, schrie Yukino aus Leibeskräften und wirbelte zu den Erzieherinnen herum. „Das sind kleine, wehrlose Kinder!!! Wie tief kann man eigentlich sinken, Kinder zu schlagen?! Haben Sie überhaupt kein Schamgefühl?!“

Sting hörte gar nicht mehr, was seine Freundin noch alles schrie. Er fühlte sich wie gelähmt, als er vor seinem Sohn in die Hocke ging. Vom Nahen sah der Bluterguss noch tausendmal schlimmer aus. Die linke Augenbraue war aufgeplatzt und ein getrocknetes Blutrinnsal zog sich von dort aus über die Schläfe und bis zur Wange hinunter. Am schlimmsten war jedoch die bodenlose Angst in Lectors Augen, die extrem geweitet und ins Leere gerichtet waren. Der Junge stand unter Schock, begriff Sting.

Nie zuvor in seinem Leben hatte Sting sich so schrecklich gefühlt. Er hatte den Kindern so oft versprochen, dass er sie beschützen würde – dass er verhindern würde, dass ihnen jemals wieder jemand weh tat. Er hatte geschworen, seine Kinder zu beschützen!

„Lector“, krächzte er verzweifelt und hob die Rechte, um sie vorsichtig auf die Schulter seines Sohnes zu legen, während er mit der Linken noch immer Frosch fest an sich drückte.

Lector zuckte zuerst bei der Berührung zusammen – für Sting fühlte es sich an, als würde ihm jemand einen Dolch ins Herz rammen –, doch dann trat Erkennen in seinen Blick. Tränen sammelten sich in den Augen und schon im nächsten Moment hielt Sting auch Lector im Arm. Selbst mit brennenden Augen drückte Sting sein Gesicht in Lectors Haare. Ihm lagen tausende Entschuldigungen auf der Zunge, aber er sprach keine einzige davon aus. Schon in seinen eigenen Gedanken klangen sie vollkommen bedeutungslos.

Er hatte sein Versprechen gebrochen!

Erst als Yukino ihm eine Hand auf die Schulter legte, hob er den Blick. Die maßlose Wut in ihren braunen Augen war noch nicht herunter gekühlt, aber jetzt herrschte Sorge vor. „Lass’ uns die Kinder schnell ins Krankenhaus bringen, ich habe ein Taxi gerufen.“

Wortlos nickte der Blonde und stand mit beiden Kindern auf. Als Froschi dabei runter fiel, ging Yukino rasch in die Knie und hob das Kuscheltier auf. Sie ging voraus und die Erzieherinnen wichen vor ihr zurück, keine von ihnen erhob noch irgendeinen Protest. Eine von ihnen hatte Kuchenkrümel und Schokocreme im Gesicht und am Boden lag die Packung mit den Muffins, die Yukino mitgebracht hatte. Sting ignorierte sie alle, er hielt einfach nur seine Kinder fest an sich gedrückt. Selbst als er ins Taxi stieg, ließ er Lector und Frosch nicht los, obwohl es das nicht gerade einfacher machte.

„Ruf’ Rogue an“, bat er Yukino krächzend, die auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. „Er muss es wissen…“

Zitternd vergrub er wieder das Gesicht in Lectors Haaren. Seit er den Jungen in den Armen hielt, hatte dieser nicht aufgehört, zu zittern. Stings Brust schmerzte und durch seinen Kopf echote nur ein einziger Gedanke: Er hatte versagt…
 

Einen sicheren Freund erkennt man in unsicherer Sache.

Marcus Tullius Cicero

Bereits als er gesehen hatte, wie Rufus die Bibliothek betreten hatte, hatte Rogue gewusst, dass etwas nicht stimmte. Sein alter Schulfreund hatte ihn nicht einmal angesehen, sondern war sofort weiter zu Org gegangen und hatte eindringlich mit diesem gesprochen. Der alte Bibliotheksdirektor hatte mehrmals besorgt in Rogues Richtung geblickt und dann ruckartig genickt. Erst dann war Rufus zu Rogues Schalter gekommen.

„Pack’ deine Sachen, Sting ist mit den Kindern im Krankenhaus“, hatte er nur gesagt. Rogue konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor etwas Schlimmeres gehört zu haben.

Nur vage erinnerte er sich daran, wie Rufus ihm die Hälfte seiner Sachen hinterher getragen und ihn zu seinem Auto dirigiert hatte, das er schief und im Halteverbot geparkt hatte. Rufus hatte ihn auf den Beifahrersitz gedrückt und sich hinters Lenkrad gesetzt. Während der Fahrt waren tausend Horrorszenarien durch Rogues Kopf gegeistert, obwohl Rufus ihm versichert hatte, dass weder Sting noch die Kinder lebensgefährlich verletzt oder erkrankt seien.

Als sie das Krankenhaus erreichten, sprang Rogue bereits aus dem Wagen, als dieser noch ausrollte. Nach mehreren Beinahekollisionen mit Besuchern und Patienten erreichte er das Foyer und sah sich ruckartig um, sein Atem ging nur stoßweise und sein Brustkorb tat richtig weh, so heftig klopfte sein Herz.

Ein Klopfen auf seiner Schulter ließ ihn herum fahren. Hinter ihm stand sein Vater mit todernster Miene, er trug noch seinen Anzug von der Arbeit, nur die Krawatte hatte er gelockert.

„Hier lang“, sagte er nur und strebte auf den Korridor zur Rechten zu. Rogue war zu benommen, um auch nur nachzufragen, warum sein Vater hier war. Er folgte ihm einfach nur den Korridor entlang und dann zwei Treppen hoch, dann wieder einen Korridor entlang bis zu einem verglasten Wartezimmer, wo Weißlogia, Minerva und Yukino standen und mit Belno sprachen.

Ihre Mienen waren genauso ernst wie Skiadrums und Rufus’, Yukino gestikulierte immer wieder hektisch und zitterte am ganzen Körper. „Diese Monster gehören eingesperrt!“, rief sie gerade mit schriller Stimme, als Rogue von seinem Vater an der Tür des Wartezimmers vorbei geführt wurde.

Zwei Räume weiter öffnete Skiadrum eine Tür und nickte seinen Sohn hinein. Drinnen saß Sting auf einem Kinderkrankenbett und hielt Lector im Arm, dessen linke Gesichtshälfte violett und blau schillerte, an der Augenbraue hatte der Junge ein Pflaster.

„Rogue!“

Der Schwarzhaarige wirbelte nach rechts, wo Orga mit Frosch stand, deren schwarze Augen vom vielen Weinen geschwollen waren. Mit zwei Schritten war Rogue bei seinem Freund und nahm ihm das Mädchen ab, das seine Arme nach ihm ausgestreckt hatte. Der winzige Körper zitterte haltlos und Schluchzer drangen an Rogues Ohren. Selbst zitternd drückte er seine Tochter an sich und strich ihr durch die grünen Haare.

Langsam ging er zum Bett und ließ sich neben seinem Partner nieder. Als Sting aufblickte, erkannte Rogue, dass seine Augen gerötet waren und gepeinigt flackerten. Der Schwarzhaarige wusste sich nicht anders zu helfen, als seinem Freund einen Kuss auf die Stirn zu hauchen, ehe er vorsichtig durch Lectors Haare strich. Der Junge zuckte zuerst zusammen und blickte nur vorsichtig, beinahe ängstlich hoch, doch als er Rogue erkannte, entspannte er sich wieder und klammerte sich sofort mit einer Hand an Rogues Pullover.

Vor ihnen ging Skiadrum in die Hocke. Natürlich wusste er schon längst darüber Bescheid, dass er bald Großvater sein würde. Rogue hatte ihm bereits alles erzählt, aber bisher hatte es sich nie ergeben, dass Skiadrum seine Enkelkinder kennen lernte. So hatte Rogue sich das erste Treffen der Drei wirklich nicht vorgestellt.

„Yukino hat uns alle zusammen getrommelt“, erklärte Skiadrum ruhig. „Nach allem, was Frosch uns erzählt hat, wollte die Erzieherin ihr zur Strafe fürs Bettnässen den Plüschfrosch weg nehmen. Als Lector sich eingemischt hat, wurde er geschlagen. Die Erzieherinnen wollten es vor Sting und Yukino verbergen, aber die Beiden haben sie gezwungen, die Kinder frei zu lassen, und haben sie hierher mitgenommen. Es wurde bereits ein MRT gemacht. Lector geht es… gut.“

Unter gut verstand Rogue etwas völlig anderes, aber er begriff, was sein Vater meinte. Ein Schlag, der so einen schlimmen Bluterguss verursachte, hätte noch viel schlimmere Folgen nach sich ziehen können. Ein Schädelhirntrauma oder… nein, in diese Richtung wollte Rogue wirklich nicht weiter denken.

„Danke“, murmelte Rogue dumpf und hob den Blick, um auch Orga zunicken zu können, der wie ein Wächter neben der Tür stand, in seinen Augen mühsam beherrschte Wut lodernd.

Rogue war viel zu benommen, um wütend sein zu können. Seine vorherrschenden Gefühle waren Sorge und Dankbarkeit, weil seinem Sohn nichts Schlimmeres passiert war.

Die Tür ging wieder auf und Belno betrat den Raum, hinter ihr Weißlogia, Minerva, Yukino und Rufus. Minerva hatte Yukino die Hände auf die zitternden Schultern gelegt. In ihren Händen hielt die Weißhaarige Froschi. Belno hatte die Lippen fest zusammen gepresst und ihre Miene war extrem angespannt.

„Was da passiert ist, ist absolut inakzeptabel. Ich werde ein Disziplinarverfahren gegen die Erzieherinnen in Gang setzen. Die gesamte Belegschaft des Heims muss sich für das verantworten, was mit Lector und Frosch passiert ist“, erklärte die Frau mit mühsam ruhiger Stimme. „Die Frau, die Lector geschlagen hat, wird nie wieder auch nur in die Nähe eines Kindes kommen, dafür werde ich höchst persönlich Sorge tragen.“

Das machte auch nicht wieder ungeschehen, was dem Jungen widerfahren war, aber Rogue sagte nichts dazu, sondern wischte nur behutsam neue Tränen von Froschs Wangen.

„Was Lector und Frosch betrifft… erhalten Sie die befristete Pflegschaft für die Beiden.“

Zum ersten Mal regte Sting sich. Seine Arme schlangen sich etwas fester um Lector und er blickte über dessen Kopf hinweg zu der alten Dame vom Jugendamt. „Wir können sie mit uns nehmen?“

Belno nickte ernst. „Es wäre nicht zu verantworten, die Kinder jetzt zu fremden Pflegeeltern oder gar in ein anderes Heim zu schicken. Es ist offensichtlich, dass Lector und Frosch ein Vertrauensverhältnis zu Ihnen aufgebaut haben. Doktor Shin hat das bei seinem ersten Gespräch mit den Beiden auch schon bestätigt. Sobald Doktor Marvell also das Okay gibt, können Sie Lector mit nach Hause nehmen.“

„Danke“, sagte Rogue benommen.

Sie durften ihre Kinder mit nach Hause nehmen! Mochte die Pflegschaft befristet sein und mochten daran noch so viele neue Auflagen hängen, Lector und Frosch mussten nicht zurück ins Heim – und Rogue würde sich lieber strafbar machen, als die Beiden jemals wieder dorthin zu lassen!

„Vielen Dank, dass Sie so schnell her kommen konnten“, ergriff Skiadrum das Wort, der sich aufgerichtet und seinem Sohn eine Hand auf die Schulter gelegt hatte.

„Es war gut, dass Sie mich so schnell kontaktiert haben“, erwiderte Belno und nickte Yukino anerkennend zu, die Froschi mittlerweile an ihre Brust drückte. Minervas Hände ruhten noch immer auf ihren schmalen Schultern.

Nachdem Belno sich verabschiedet hatte, wandte Yukino sich schuldbewusst an Rogue. „Es tut mir Leid, dass du es als Letzter erfahren hast. Sting wollte, dass du sofort Bescheid weißt, aber ich wollte nicht, dass du alleine durch die Stadt rennst oder fährst, und dann musste ich so viele Leute anrufen und…“

„Ich habe nichts gesagt“, erwiderte Rogue und rang sich zu einem Lächeln durch. Er fühlte sich noch immer zittrig, aber die Geste war sehr ernst gemeint. Ohne die Besonnenheit der Weißhaarigen hätte Sting sich womöglich jede Menge Ärger einhandeln können, als er die Kinder gegen den Willen der Erzieherinnen hierher gebracht hatte. „Danke, Yukino.“ Er blickte in die Runde seiner Freunde, die alles stehen und liegen gelassen haben mussten, um so schnell wie möglich hierher zu kommen. „Danke Leute.“

Sting neben ihm sagte nichts und als Rogue ihn von der Seite musterte, fiel ihm auf, wie tief die Schultern hingen und wie verbittert die fein gemeißelten Gesichtszüge waren. Hier und jetzt wollte er seinen Partner allerdings nicht darauf ansprechen, daher drehte er sich in die andere Richtung, um zu seinem Vater aufzublicken. „Kannst du uns nach Hause bringen?“

„Das erledigt Weiß, der ist mit seinem Transporter da“, erwiderte Skiadrum.

Minerva schnaubte leise. „Ihr werdet andauernd mit Transportern gefahren. Scheint wohl eure Familientradition zu sein.“

„Es gibt Schlimmeres“, meinte Weißlogia leichthin, aber Rogue entging nicht, dass der Hundetrainer seinen Sohn mit einem besorgten Blick bedachte. Allerdings schien er auch entschieden zu haben, Sting in Ruhe zu lassen, und drehte sich zur Tür um. „Ich gehe mal nach Dine suchen. Wahrscheinlich rettet sie gerade mal wieder zehn Kinder gleichzeitig.“

„Ich komme mit“, sagte Skiadrum und klopfte seinem Sohn zum Abschied auf die Schulter. Das wissende Grinsen seines besten Freundes ignorierte er gekonnt. „Ich melde mich demnächst bei euch, passt bis dahin auf euch auf.“

Auch Orga und Rufus verabschiedeten sich. Rufus steckte mitten in einem heiklen Programmierprojekt und Orga hatte eigentlich Dienst und seine Pausenzeit schon um eine Stunde überspannt. Mit einem festen Handschlag bedankte Rogue sich bei ihnen und nahm einigermaßen verlegen seine Tasche und seine Jacke von Rufus entgegen.

„Ich muss noch kurz etwas erledigen“, sagte Minerva und zückte ihr Handy, während sie den Raum verließ.

Als nur noch Yukino bei ihnen im Raum war, begann Frosch auf Rogues Schoß zu zappeln. Er ließ sie zu Boden gleiten und sie ging zu Yukino, die sofort in die Hocke ging und ihr mit einem traurigen Lächeln Froschi reichte. Das Mädchen schniefte, als es den tiefen Riss im Stoff des Kuscheltiers betrachtete, aber es brach nicht wieder in Tränen aus. Rogue nahm sich fest vor, Froschi so schnell wie möglich zu seiner Cousine Juvia zu bringen. Die würde das sicher so gut reparieren können, dass danach nichts mehr von dem Riss zu sehen war.

„Danke, Tante Yu“, flüsterte Frosch und schlang die kleinen Arme um den Hals der Weißhaarigen. Deren braune Augen waren verdächtig glasig und erst jetzt fiel Rogue auf, wie erschöpft sie wirkte und wie sehr ihre Hände zitterten.

„Tante Yu hat die Hexen in die Flucht geschlagen“, sagte Lector leise und blickte voll glühender Bewunderung zu der Weißhaarigen. „Sie hat ganz laut geschrien.“

„Ich habe die Beherrschung verloren“, nuschelte Yukino verlegen, aber eine gehörige Restwut glomm in ihren Augen auf. „Sting war derjenige, der sich sofort um die Kinder gekümmert hat.“

Der Blonde schrumpfte noch etwas mehr in sich zusammen und Rogue runzelte die Stirn. Sobald sie Zuhause und die Kinder versorgt waren, musste er das wirklich klären!

Die Tür wurde wieder geöffnet und Weißlogia steckte den Kopf herein. „Wir haben grünes Licht von Grandine, aber sie will Lector morgen noch mal untersuchen und wenn er sich erbricht, müsst ihr sofort herkommen. Das MRT hat zwar nichts ergeben, aber in den nächsten Tagen müsst ihr dennoch vorsichtig sein.“

Mit einem erleichterten Nicken stand Rogue auf und Lector rutschte von Stings Schoß, hielt sich jedoch sofort wieder an dessen Hand fest. Yukino hob Frosch in die Höhe und so verließen sie das Zimmer. Auf dem Korridor erwartete Minerva sie und wandte sich sofort an Weißlogia. „Setzt du Yukino unterwegs bitte am Kitchen ab? Loke wartet dort.“

„Aber Loke hat doch heute Schicht“, protestierte Yukino entrüstet.

„Er hat getauscht“, winkte Minerva leichthin ab.

„Musst du eigentlich nirgendwohin?“, fragte Rogue, der schon ahnte, dass Loke seine Schicht getauscht hatte, weil Minerva ihn darum gebeten hatte. Insgeheim gab er ihr Recht damit. Yukino brauchte jetzt jemanden, der sie beruhigte. „Hast du keinen Dienst heute?“

„Ich hatte Frühdienst, aber weg muss ich tatsächlich, ich habe mein Date sitzen lassen“, antwortete Minerva freimütig.

Diese Neuigkeit riss sogar Sting aus seiner Lethargie. „Ein Date? Mit Laxus?“

„Fragt ihn doch“, war die hoheitsvolle Antwort, ehe Minerva sich an Yukino wandte, um Froschs Haare zu zausen. „Pass’ gut auf die Jungs auf, ja? Die brauchen Frauenunterstützung.“

„Frosch denkt auch!“, stimmte das Mädchen treuherzig zu, was Minerva wieder einmal dieses weiche Lächeln entlockte.

Sie hockte sich hin und hielt Lector die Hand für ein High Five hin. „Und du wirst schnell wieder gesund, ja? Sobald es dir wieder gut geht, lade ich dich auf den besten Hamburger der Stadt ein.“

„Au ja!“, freute der Junge sich und schlug mit leuchtenden Augen ein.
 

Als sie vor dem Zodiac Kitchen hielten, wartete Loke bereits mit seinem Motorrad und zwei Helmen davor. Er drückte Rogue zwei Tüten mit je zwei Schachteln mit den Worten „Mit besten Grüßen von Minerva“ in die Hände, ehe er einen Arm um seine Freundin schlang. Erleichtert bemerkte Rogue, wie diese sich endlich richtig entspannte. Loke würde sich gut um sie kümmern. Eine Sorge weniger, sehr gut.

Vom Restaurant aus brachte Weißlogia sie direkt nach Hause. Er klopfte seinem Sohn zum Abschied auf die Schulter und tauschte einen besorgten Blick mit Rogue, sagte jedoch nichts, wofür dieser ihm dankbar war. Die Kinder beruhigten sich endlich etwas und wurden wieder fröhlich, Rogue wollte nicht, dass sie sich gleich wieder aufregten.

In der Wohnung angekommen, widmeten sie sich zuerst dem Essen, das Loke für sie eingepackt hatte. Es war fantastisch wie immer. Das Zodiac Kitchen war nicht umsonst ein Fünf-Sterne-Restaurant. Vor allem Lector aß mit großem Appetit, was Rogue als ein weiteres gutes Zeichen betreffend seinen Gesundheitszustand wertete. Wie in den wenigen Tagen, als die Kinder bei ihnen gewesen waren, brachte Rogue sie auch dieses Mal nach dem Essen ins Badezimmer, wo er sie wusch, während Sting im Wohnzimmer alles für sie vorbereitete und dann saubere Sachen für die Kinder heraus suchte.

Als die Kinder sauber und frisch angezogen waren, krochen sie freiwillig auf das Schlafsofa. Selig scharte Frosch ihre Plüschtiere um sich und kuschelte sich an Lector, der verlegen schnaufte, aber einen Arm um sie legte, während er im anderen Arm seinen Plüschwolf hielt, der in den vergangenen drei Wochen geduldig auf der Couch auf ihn gewartet hatte.

Erst als er endlich mit Sting alleine im Schlafzimmer war, wandte Rogue das Wort an seinen Freund, der sich mit mechanischen Bewegungen umzog. „Sting, was ist mit dir los? Die Kinder sind endlich wieder bei uns und Lector wird wieder gesund.“

„Nichts“, wehrte Sting halbherzig ab und drehte Rogue den Rücken zu.

Dem platzte endgültig der Kragen. Er schlug die Schranktür vor der Nase seines Freundes wieder zu und zwang den Blonden, sich herum zu drehen. „Rede mit mir!“, fauchte er. „Ich bin doch nicht blind, Sting! Den Anderen ist es auch aufgefallen. Wenn du es ihnen nicht sagen willst, ist das deine Entscheidung, aber du wirst mich nicht anschweigen!“

Sting biss sich auf die Unterlippe, sagte jedoch nichts, sondern starrte nur zu Boden. Nur mit äußerster Mühe konnte Rogue sich davon abhalten, ihn ordentlich durchzuschütteln. Stattdessen packte er das Kinn seines Freundes und drückte es nach oben, um ihn so zu dazu zu zwingen, ihn anzusehen. Zuerst kämpfte Sting dagegen an, aber dann gab er nach und sah Rogue endlich direkt in die Augen. In dem tiefen Blau erkannte Rogue heftige Schuldgefühle, ja, beinahe Selbstverachtung.

„Es hätte nie so weit kommen dürfen“, stieß Sting mit belegter Stimme hervor. „Ich hatte Lector und Frosch versprochen, dass ihnen niemand mehr weh tun würde!“

Jetzt endlich begriff Rogue es richtig. Seufzend nahm er das Gesicht des Blonden in beide Hände und strich mit den Daumen behutsam über die Wangen, während er eindringlich in die blauen Augen blickte.

„Das war nicht deine Schuld, Sting. Wir mussten die Kinder zurück dorthin bringen, sonst hätten wir unsere Chancen verspielt, sie adoptieren zu können. Diese widerlichen Frauen haben den Beruf verfehlt, daran trägst du aber keine Schuld.“

„Aber ich hatte es Lector versprochen“, krächzte Sting und erzitterte heftig.

„Und er macht dir nicht den geringsten Vorwurf“, erwiderte Rogue mit sanfter Stimme. „Er hat dich im Krankenhaus nicht eine Sekunde lang losgelassen und weißt du, warum? Weil er dir vertraut. Er weiß, wer ihm das angetan hat – und das warst weder direkt noch indirekt du!“ Sting blinzelte heftig und dann löste sich eine Träne und rann über die linke Wange. Behutsam wischte Rogue sie fort. „Wir sind die Väter der Beiden, aber das macht uns nicht allmächtig oder allwissend. Wichtig ist, dass wir dann für sie da sind, wenn sie uns brauchen, und das warst du. Du hast dich nicht abwimmeln lassen, sondern unsere Kinder befreit. Darauf kommt es an. So sehe ich das und so sehen das auch die Kinder. Sie vertrauen dir und sie lieben dich.“

Mittlerweile liefen die Tränen in Strömen über das Gesicht des Blonden und sein gesamter Körper erzitterte heftig. Rogue unternahm keinen Versuch, die Tränen einzudämmen, er schlang lediglich die Arme um seinen Freund und zog ihn so zum Bett. Er hielt ihn die ganze Zeit fest, während Sting seinen überschäumenden Gefühlen Luft machte, bis er seiner Erschöpfung erlag und einschlief.

Das Knarren der Tür ließ Rogue schließlich den Blick vom Gesicht seines Freundes heben. Im Türspalt standen Lector und Frosch, jeder mit seinem Lieblingsplüschtier ausgestattet. Den freien Arm hatte Lector um seine kleine Freundin gelegt, um sie daran zu hindern, den Raum zu betreten.

„Geht es Sting nicht gut?“, flüsterte er ängstlich.

„Doch, jetzt geht es ihm wieder gut. Er hatte nur große Angst um euch“, erklärte Rogue und winkte die Kinder zu sich. Erleichtert folgten sie der Einladung und krochen auf das Bett.

Der Schwarzhaarige legte sich direkt hinter seinen Freund, Frosch kuschelte sich an dessen Bauch und Lector legte sich hinter sie. Als Rogue den Arm ausstreckte, konnte er ihn um seine gesamte Familie legen. Zärtlich strich er erst durch Lectors, dann durch Froschs Haare, während er das Gesicht in Stings Haaren vergrub. Er blieb noch so lange wach, bis sich zu Stings ruhigen Atemzügen auch die der Kinder dazu gesellt hatten, dann gab er den Kampf gegen seine eigene Erschöpfung auf.

Hüpfe siebenmal – und es gibt Freude

Nenn’ ich dich, so kenn’ ich dich.

Andreas Hofer

Am Tisch herrschte amüsiertes Schweigen, während alle beobachteten, wie Lector seinen dritten Pfannkuchen in sich hinein schaufelte. An seiner Nase klebte Schokoladensoße, an seinen Wangen Puderzucker, die Spuren der ersten beiden Pfannkuchen. Die Marmelade des dritten kleckerte über seine Finger, aber der Junge störte sich nicht im Geringsten daran, sondern spachtelte munter weiter, als hätte er seit Tagen nichts zu Essen bekommen.

Stings Blick huschte zu Rogue, der ihren gemeinsamen Sohn mit einem Stirnrunzeln bedachte. Wahrscheinlich fiel es ihm schwer, den Heißhunger des Jungen nicht als Beleidigung an seine Kochkünste aufzufassen. Dabei hatte Lector sich in den letzten vier Wochen kein einziges Mal über das Essen beschwert, das Rogue ihm und Frosch vorgesetzt hatte. Ganz im Gegenteil, er hatte sich jedes Mal einen Nachschlag genommen. Sting wunderte sich nur, wo Lector das alles hin steckte, denn er wies nach wie vor die hagere Statur eines Fünfjährigen im Wachstum auf. Aus lauter Neugierde hatte Sting deshalb angefangen, seinen Sohn einmal in der Woche zu messen, aber so schnell wuchs auch so ein Vielfraß natürlich nicht. Lector war darüber am meisten enttäuscht.

Für Stings und Rogues Freunde war es eine Premiere, den gefräßigen Jungen beim Essen zu beobachten. Es hatte vier Wochen gedauert, bis Lectors Gesicht wieder Normalfarbe angenommen hatte. Der Bluterguss war zuerst noch schlimmer geworden, schwarz und violett, und hatte eine ganze Weile weh getan. Laut Stings Tante Grandine konnte eine Behandlung mit Wärme helfen, also hatten sie Waschlappen in gerade noch erträglich warmes Wasser getaucht und vorsichtig auf Lectors Gesicht gelegt. Nach einer Woche hatte sich die Farbe des Blutergusses in Blau aufgehellt und danach war es stetig besser geworden. Dennoch hatten die Väter Lector nur für Einkäufe, Arztbesuche und für Stings Proben aus dem Haus gelassen. Zugegebenermaßen auch deshalb, weil sie gerade in der Anfangszeit noch große Angst gehabt hatten, dass sich der Zustand ihres Sohnes doch noch verschlechtern könnte.

Da sie die Kinder nicht alleine in der Wohnung lassen wollten und Rogue sie nicht mit in die Bibliothek nehmen konnte, nahm Sting sie immer mit zu seinen Proben. Lector vertrieb sich dort die Zeit meistens mit seinen Zauberwürfeln, während Frosch immer begeistert zuhörte und zuweilen auch auf der Bühne vor den Musikern herumhüpfte und -tanzte – Stings Kollegen waren ganz vernarrt in das Mädchen.

Seit drei Tagen war Lectors Gesicht nichts mehr anzusehen und das hatten Sting und Rogue zum Anlass genommen, um sich mit den Anderen für ein Essen – oder vielmehr ein Gelage – im Sabertooth zu verabreden. Dann konnten sie auch gleichzeitig feiern, dass sie vor einer Woche den Mietvertrag für ihre neue Wohnung unterschrieben hatten. In zwei Monaten konnten sie umziehen. Ein echter Glücksgriff, auch wenn Belno bei ihren bisherigen zwei Besuchen an ihren jetzigen Wohnverhältnissen nichts Akutes zu beanstanden gehabt hatte.

Mit einem wohligen Seufzer ließ Lector sich schließlich auf seinem Stuhl zurück sinken und leckte sich die Finger. Die Anderen kicherten und glucksten erheitert. Minerva gab dem Jungen ihre Serviette und tätschelte stolz seine Schulter.

„Und habe ich dir zu viel versprochen? Das Essen hier ist spitze, richtig?“

„Ja, Tante Mi“, antwortete der Junge mit einem glückseligen Grinsen. „Fast so gut wie Rogues Essen.“

Alle Blicke wanderten zu Rogue, der vor Stolz über dieses Lob errötete und versuchte, es hinter Froschs Kopf zu verstecken, die auf seinen Schoß gekrabbelt war, nachdem sie aufgegessen hatte.

„So so, Rogue kocht also so gut?“

„Besser“, korrigierte Lector enthusiastisch, aber auch herausfordernd, als wollte er nichts auf die Kochkünste seines Vaters kommen lassen.

Grinsend linste Sting zwischen seinem Partner und seinen Sohn hin und her. Rogues Mundwinkel zuckten verräterisch und seine Wangen waren noch ein wenig dunkler geworden. Das war zum Anbeißen! Zu schade, dass Sting sich mit Lector auf die andere Seite des Tisches gesetzt hatte, aber andererseits hätte er es vor aller Augen sowieso nur zu einem raschen Kuss kommen lassen. In Gegenwart der Kinder hielten sie sich mit Zärtlichkeiten zurück. Schon allein, weil es zwei Wochen gedauert hatte, um Frosch den Floh wieder auszutreiben, den Minerva ihr eingesetzt hatte, dass Küsse etwas ganz Schlimmes seien.

„Vielleicht sollte ich mal bei euch vorbei kommen und mich von Rogue bekochen lassen“, schlug Minerva grinsend vor, der es offensichtlich riesigen Spaß machte, Rogue in Verlegenheit zu stürzen. Yukino, die links von Rogue saß, kicherte hinter vorgehaltener Hand. Rufus zu Rogues Rechter versteckte sein Grinsen hinter einem Hüsteln. Orga an der Stirnseite des Tisches gluckste unverhohlen.

„Gute Idee, Tante Mi!“

„Ich habe nur gute Ideen“, sagte die Schwarzhaarige erhaben.

„Das stimmt.“

Sting schnaufte amüsiert und Yukino presste sich eine Hand auf den Mund, als ihr Kichern lauter wurde. Es war wirklich faszinierend, was für ein Dream Team Minerva und die Kinder abgaben. Als sie sich alle vor dem Sabertooth getroffen hatten, hatten die Schwarzhaarige und Lector sich mit einem High Five begrüßt, als hätten sie das schon tausendmal gemacht, und Frosch war vor Freude um ihre Tante Mi herum gesprungen.

„Du, sag’ mal, Lector“, erhob Orga das Wort und beugte sich vor, um den Jungen besser in Augenschein nehmen zu können. Er wirkte ausgesprochen eifrig, was Yukino schon wieder kichern ließ. „Wenn Minerva, Yukino und Lucy eure Tanten sind, sind dann nicht Rufus, Loke und ich eure Onkel?“

„Onkel?“ Nachdenklich blickte Lector von einem zum nächsten, ehe er schließlich ratlos den Kopf schüttelte. „Aber wie nennen wir dann Sting und Rogue?“

„Ihr könnt sie auch Onkel nennen?“, schlug Rufus mit einem ahnungsvollen Lächeln vor.

In Stings Bauch rumorte es auf einmal und die Hitze stieg in sein Gesicht. Wenn er ehrlich war, hätte er etwas dagegen, wenn die Kinder ihn Onkel nannten. Er war nicht ihr Onkel, er war ihr Vater und das galt auch für Rogue. Aber wie sollte man das Kleinkindern schon erklären? Sie hatten nie versucht, Lector und Frosch einzuimpfen, dass sie sie als ihre Väter betrachten und benennen sollten. Es war vollkommen in Ordnung gewesen, von ihnen einfach beim Namen gerufen zu werden. Aber Orga war wohl ein bisschen eifersüchtig auf Minerva und Yukino.

„Nein, keine Onkel“, entschied Lector kategorisch und rieb sich die Nase, wie er es immer tat, wenn er intensiv nachdachte. Und dann erhellte sich seine Miene und er deutete der Reihe nach auf die Männer in der Runde. „Onkel Orga, Onkel Rufus, Papa und Papa!“

„Papi!“, jubelte Frosch und drehte sich herum, um Rogue umarmen zu können.

Dessen Gesicht war auf einmal knallrot und seine Haltung steif. Sting fühlte sich, als wäre er von einem Zug erfasst worden. Sein Herz hämmerte so heftig wie selten zuvor gegen seinen Brustkorb und sein Gesicht wurde heißer und heißer. Vollkommen sprachlos sah er seinen Sohn an, der begeistert zu ihm hoch blickte.

Lector und Frosch hatten ihn Papa genannt. Sie hatten ihn und Rogue voll und ganz als ihre Väter angenommen! Ein unglaubliches Glücksgefühl stieg in Sting hoch, die Rührung trieb ihm die Tränen in die Augen. Impulsiv zog er Lector auf seinen Schoß und drückte ihn voller Liebe an sich. Sofort erwiderte der Junge die Geste.

„Ja“, krächzte Sting heiser. „Ich bin dein Papa.“

„Mein Papa“, sagte Lector andächtig und Sting hätte schwören können, dass auch in den Augen seines Sohnes Tränen der Freude schimmerten!
 

Erst bei den Enkeln ist man so weit, dass man die Kinder ungefähr verstehen kann.

Erich Kästner

Stings Elternhaus lag in einem ruhigen, mittelständischen Randbezirk Magnolias, der überwiegend aus beschaulichen Einfamilienhäusern mit großen Gärten bestand. Als Rogue als Teenager das erste Mal hier gewesen war, hatte er sich gefragt, wie der wilde Blondschopf es nur ausgehalten hatte, jedes Mal den weiten Schulweg auf sich zu nehmen, aber er hatte nie auch nur ein Wort der Klage diesbezüglich gehört. Dabei war Sting damals nicht einmal mit dem Bus unterwegs gewesen, sondern immer mit dem Fahrrad gefahren oder zuweilen sogar gejoggt. Zu Fuß brauchte man eine Stunde von hier aus zur Schule, das wusste Rogue noch sehr genau, immerhin hatte er diesen Weg mehrmals unter verschiedenen Vorwänden auf sich genommen, um Sting nach Hause zu begleiten und so noch etwas mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Heute musste er über sein damaliges Verhalten lächeln.

Das Haus war eher ein Bungalow, ebenerdig und nicht sehr groß, aber für Sting und Weißlogia hatte es wohl immer gereicht. Das wirklich Beeindruckende war der große Garten, der ganz und gar auf die Unterbringung und das Training von Hunden ausgelegt war. Es gab hinterm Haus einen großen Parcours und vorm Haus einen teilweise überdachten, großzügigen Zwinger, der aus vier Bereichen bestand. Zwei davon waren belegt, einer mit einer apathisch herum sitzenden gelben Dogge, der andere mit einem überdrehten Jack Russel Terrier. Neben dem Haus war ein großes Gartenhaus mit angrenzendem, abgezäuntem Auslauf, in welchen die Hunde nach Lust und Laune durch eine Folienklappe in der Wand des Hauses hinaus konnten. Dort standen drei halbwüchsige, schokoladenbraune Labradore neben ihrer gleichfarbigen Mutter und kläfften aufgeregt, als sie die Besucher bemerkten.

„Hundis!“, rief Frosch aufgeregt und wollte schon in Richtung der Labradore davon laufen, aber Rogue fing sie rasch wieder ein.

„Das sind noch Kinder, Frosch, und ihre Mama mag Fremde nicht“, erklärte Sting sanft und deutete auf das Muttertier, das die Lefzen hochgezogen hatte und ein leises Grollen ausstieß.

„Oh…“, machte Frosch enttäuscht.

Wie Rogue es sich gedacht hatte. Weißlogia nahm als Hundetrainer des Öfteren auch sogenannte Problemtiere auf, um sie wieder schrittweise an den Umgang mit Menschen zu gewöhnen und dann an verlässliche Halter zu vermitteln. Bei seinem ersten Besuch hier war Rogue damals eingebläut worden, dass er sich niemals unbedacht einem der Zwinger nähern dürfe, da die Tiere darin aufgrund ihrer Traumata zuweilen auch zu heftigen Abwehrreaktionen neigten, selbst wenn man sich ihnen gegenüber gar nicht bedrohlich verhielt.

Sie folgten weiter dem ausgetretenen Pfad, der vom Grundstückszaun bis zum Bungalow führte. An der Tür wurden sie von Skiadrum erwartet, der seinen sonst üblichen Anzug gegen legere, dunkelblaue Jeans und ein schwarzes Longshirt ausgetauscht hatte. Selbst so hätte man ihm noch den erfolgreichen Architekten abgenommen, wenn da nur nicht die Hundepantoffeln an seinen Füßen gewesen wären.

Im Haus Eucliffe gab es die in allen möglichen Größen und Formen für Gäste. Nur zu gut konnte Rogue sich noch erinnern, was für ein Gesicht Minerva gezogen hatte, als die gesamte Freundesgruppe an Stings siebzehnten Geburtstag hier aufgeschlagen und mit solchen Pantoffeln ausgestattet worden war.

Neben Skiadrum wartete ein Berner Sennenhund mit altersweißer Schnauze und gutmütigen Augen. Bedenkenlos stellte Rogue seine Tochter wieder auf die eigenen Füße, damit sie den Vierbeiner begrüßen konnte. Hunde, die auf dem gesamten Grundstück und im Haus frei herum laufen durften, gehörten Weißlogia selbst und waren daher auch keine Gefahr für die ungestüme Frosch. Lachend schlang das Mädchen die Ärmchen um den Hals des Tieres, das alles geduldig zuließ.

„Ihr seid spät dran“, grüßte Skiadrum amüsiert.

„Wir haben das Möbelhaus unterschätzt“, wich Rogue aus.

Um genau zu sein, hatten sie unterschätzt, wie begeistert Frosch von dem Gebäude sein würde. Selbst zu dritt hatten Sting, Rogue und Lector alle Hände voll zu tun gehabt, damit das Mädchen nicht verloren ging, weil es ständig auf Entdeckungstour gegangen war. Lector war da leichter zufrieden zu stellen gewesen, er hatte auf ein paar Betten Probe gelegen und auf einen blauen Schreibtisch mit höhen- und winkelverstellbarer Schreibplatte insistiert, danach hatte er schon gefragt, wann es endlich wieder etwas zu essen gab.

Sie traten ins Haus – Frosch wurde von dem Hund geführt, der gemütlich hinter den Menschen her trottete. Im Flur standen bereits mehrere Pantoffeln bereit. Rogue suchte sich das schlichteste Paar heraus, das er finden konnte, und bemühte sich dabei, das Grinsen seines Freundes zu ignorieren, der ohne viel Federlesen in riesige Bernhardiner-Pantoffeln geschlüpft war.

„Da seid ihr ja endlich“, grüßte Weißlogia, der aus dem Ess- und Wohnzimmer kam. „Das Essen ist so gut wie fertig.“

„Essen“, seufzte Lector erleichtert.

„Du hattest doch vorhin einen Hot Dog“, tadelte Sting den Jungen, doch der blickte nur wehleidig zu ihm hoch und rieb sich den Bauch.

„In dem Alter hast du auch wie ein Scheunendrescher gegessen“, lachte Weißlogia, weshalb Sting einen Schmollmund zog. Der Hundetrainer zauste die Haare seines Sohnes, woraufhin dieser missmutig seine Haare wieder richtete, begrüßte Rogue mit einem kräftigen Handschlag und ging dann vor Lector und Frosch in die Hocke. „Hallo ihr Zwei, beim letzten Mal wurden wir einander nicht ordentlich vorgestellt. Ich bin Weißlogia, Stings Pa.“

„Der Papa von Papa?“, fragte Frosch und sah ratlos zu Lector auf.

Der kratzte sich kurz an der Nase, ehe er in Weißlogias dargebotene Hand einschlug. „Opa Weiß“, erklärte er mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der er schon Minerva und den Anderen ihre Spitznamen verliehen hatte.

„Opi Weiß!“, echote Frosch glücklich und umarmte den Mann, der sich mit einem gutmütigen Grinsen wieder aufrichtete und das gurrende Mädchen dabei hoch hob.

„Und du?“, wandte Lector sich an Skiadrum. Als der sich mit seinem Namen und als Rogues Vater vorstellte, wurde er kurzerhand Opa Ski getauft, was er mit einem Lächeln hinnahm. Obwohl Lector zuweilen ganz schön dreist daher kam, konnte ihm niemand je böse sein.

Nachdem die Kinder sich die Hände gewaschen hatten – Sting und Rogue waren natürlich mit gutem Beispiel voran gegangen –, nahmen sie am Esstisch im Nebenraum Platz. Das Wohnzimmer erfüllte alle Klischees eines reinen Männerhaushalts. Es gab keine Vorhänge, die Möbel passten farblich nicht zusammen und der Fernseher war eindeutig größer, als es nötig gewesen wäre – Stings Vater war ein leidenschaftlicher Fan der Basket Dragons, dem Basketballteam Magnolias. Dennoch hatte der Raum seinen eigenen Charme. Auf den Regalen standen lauter Bilder von Hunden, einige waren schon verblasst, so alt waren sie. Neben einigen standen Pokale oder lagen Medaillen. Der Bücherschrank war vollgestopft mit allen möglichen Handbüchern zur Hundeerziehung, mit Rasseportraits und mit Erfahrungsberichten.

Was Rogue jedoch immer am meisten in diesem Raum beeindruckt hatte, war das schmale Wandstück zwischen den beiden Türen, die in Flur und Küche führten. Dort hingen unzählige Bilder über dem kleinen Schrank, der ein Sammelsurium an… Zeugs beherbergte, das oft nur im Vorbeigehen dort abgelegt und irgendwann einmal doch zurück an seinen eigentlichen Platz gebracht wurde. Der Schrank selbst war auf seine Art auch ein Paradebeispiel, wie dieser Haushalt hier funktionierte, aber die Bilder waren es, die Rogue seit jeher gefesselt hatten.

Auch Lector fielen sie auf und er blieb staunend davor stehen – da vergaß er sogar mal seinen Hunger. Auf den Bildern war Weißlogias Familie festgehalten. Angefangen beim Hochzeitsbild der Eltern über Kinderbildern der Geschwister Eucliffe bis zu Weißlogias eigenem Hochzeitsbild. Stings Mutter Violet war eine wunderschöne Frau mit weißblonden Haaren und lustig funkelnden, grünen Augen gewesen. Sie war ein Jahr, bevor Weißlogia und Sting nach Magnolia gezogen waren, bei einem Autounfall gestorben.

Unter diesem Hochzeitsbild waren weitere Bilder von Weißlogia und seiner Frau, vor allem aber Bilder von Sting und seinen Cousinen Lucy und Wendy. Sting als Säugling in einem Teddy-Strampler – als Rogue das erste Mal hier gewesen war, hatte Sting dieses Bild mit feuerrotem Gesicht von der Wand gerissen und zu verstecken versucht –, Sting mit Latzhose im Sandkasten, Sting mit einem riesigen Wolfshund im Wald, Sting beim Sandburgbauen am Strand, Sting beim Fußballspielen… und irgendwann kamen Bilder, auf denen auch Rogue auftauchte.

Es hatte den damals achtzehnjährigen Rogue schrecklich verlegen gemacht, als er das erste Mal ein Bild von sich an dieser Wand gesehen hatte. Es war ein Bild von Stings achtzehnten Geburtstag, das auch heute noch einen Ehrenplatz an der Wand hatte. Darauf waren Sting und Rogue am Morgen nach der Party zu sehen, wie sie sich eng umschlungen, die Stirnen gegeneinander gelehnt, auf Stings Bett aneinander schmiegten.

Rogues Blick glitt weiter. Da waren Bilder von ihrem gemeinsamen Freundeskreis. Der Gruppenurlaub in den letzten Sommerferien. Sie hatten damals in einer Jugendherberge am Meer in Veronica Quartier bezogen. Ein sehr chaotischer Urlaub, in dem eine Unmenge an Fotos entstanden war, aber nur ein einziges vollständiges Gruppenbild und eben dieses hatte es hier an die Wand geschafft. Es zeigte die Gruppe am Strand. Sting hatte einen Arm zwanglos um Rogues Schulter gelegt, den anderen um Minervas, die ihn pikiert von der Seite ansah. Yukino hatte sich bei Rogue eingehakt und neben ihr stand Lucy mit wirren, langen Haaren. Damals waren die Beiden ein Herz und eine Seele gewesen. Hinten stand der alle überragende Orga und hielt sein Surfbrett grinsend in die Höhe. Vorne hockte Rufus zur Rechten einer riesigen und halb eingestürzten Sandburg, die sie damals gemeinsam gebaut hatten. Auf der anderen Seite der Sandburg hockte der Letzte ihrer Gruppe, bei dessen Anblick ein mittlerweile altbekannter Schatten aus Ärger und Sorge über Rogues Gemüt huschte, weshalb er den Blick weiter wandern ließ.

Ein Bild von Stings erstem Auftritt in der Konzerthalle. Ein Bild von der Einweihungsfeier von Stings und Rogues gemeinsamer Wohnung. Ein Bild von Weißlogia, Skiadrum und Metallicana beim Kartenspielen, die Drei waren begeisterte Skatspieler. Eine Rückenansicht von Sting und Rogue, letzterer hatte den Kopf auf die Schulter seines Freundes gelegt – wieder einmal fragte Rogue sich, wer all diese kitschigen Bilder von ihnen gemacht und Weißlogia gegeben hatte. Und ein Bild von Stings Tante Layla in einem Krankenbett, ihr Blick verträumt ins Leere gerichtet…

Lector war anzusehen, dass er viele Fragen zu den Bildern hatte, aber als Weißlogia mit einer Fleischplatte und Skiadrum mit einer Schüssel mit Petersilienkartoffeln in den Raum traten, beeilte er sich, zurück auf seinen Platz am Tisch zu kommen. Nachdem der Gastgeber auch noch eine Schüssel mit Blumenkohl und eine Sauciere auf dem Tisch abgestellt hatte, schnitt er den Braten auf der Fleischplatte an. Wie es ihnen schon zur Gewohnheit geworden war, schnitten Sting und Rogue das Essen für ihre Kinder klein. Lector mochte zuweilen noch so erwachsen tun, die beiden Väter wollten ihn definitiv noch nicht mit einem Messer hantieren lassen.

Während des Essens unterhielten sich Sting und Rogue mit ihren Vätern über den bevorstehenden Umzug. In einer Woche war es so weit. Die alte Wohnung war bereits vollgestopft mit Umzugskartons und in der neuen Wohnung waren bereits alle Zimmer tapeziert oder gestrichen, die Kinderzimmer mit Teppichen ausgelegt und einige der neu gekauften Möbel aufgebaut. Da alle ihre Freunde sich für den Tag frei genommen hatten, hatten Sting und Rogue nur einen Umzugswagen für den Tag gemietet. Orga hatte ja zum Glück einen LKW-Führerschein bei der Armee gemacht. Sogar Rogues Cousins Gajeel und Juvia und Stings Cousine Wendy würden mit anpacken.

Nach dem Essen – als Nachtisch hatte Skiadrum Schokoladenkuchen mitgebracht, womit er bei seinem Enkel auch gleich einen dicken Stein im Brett hatte – glitten die Kinder von ihren Stühlen, um mit dem Berner Sennenhund zu spielen, der während des Essens artig in seinem Korb in einer ruhigen Ecke des Wohnzimmers gelegen hatte.

„Wie sieht es eigentlich mit dem Adoptionsverfahren aus?“, fragte Weißlogia ernst, als sicher war, dass die Kinder mit dem Hund beschäftigt waren und nichts mitbekamen.

„Gut, denke ich“, sagte Sting gedehnt. „Mrs. Belno meint, unsere neue Wohnung entspricht genau den Richtlinien, die Gutachten durch Doktor Shin sind alle zu unserem Gunsten ausgefallen…“

„Es hängt nur noch daran, dass ich den Job in der Bibliothek kriege“, fügte Rogue hinzu und versuchte, sich dabei nicht anmerken zu lassen, wie viel Bauchschmerzen ihm die Sache bereitete.

Er hatte immer noch keine Rückmeldung von der Personalabteilung bekommen, obwohl er schon zweimal nachgefragt hatte. Dabei war seine Prüfung in zwei Monaten. Er hatte bereits mit dem Gedanken gespielt, sich nach anderen Jobs umzusehen, aber während des Umzugsstress’ war dafür absolut keine Zeit übrig.

„Ach, darum mache ich mir keine Sorgen. Du hast Sting durch die Matheprüfungen geboxt, deine Abschlussprüfung bestehst du sicher mit Bravur und spätestens dann werden sie dich mit Kusshand nehmen“, erklärte Weißlogia zuversichtlich.

„Hey, ganz so blöd war ich nun auch nicht“, protestierte Sting beleidigt.

„Was denn, willst du endlich zugeben, dass du dich damals nur doof gestellt hast, um an Rogue ran zu kommen?“

Rogue achtete kaum auf die Kabbelei zwischen Vater und Sohn. Je näher seine Prüfung rückte, desto schwerer fiel es ihm, nicht daran zu denken. Dabei neigte er sonst nicht zu so extremer Nervosität. Sicher, vor der Verteidigung seiner Masterarbeit war er auch nervös gewesen, aber das war erst ein paar Tage davor losgegangen und nicht schon Monate vorher. Aber dieses Mal hing auch viel mehr von dieser Prüfung ab als nur ein tadelloses Zeugnis. Dieses Mal war diese Prüfung der entscheidende Faktor, damit er und Sting ihre Kinder behalten durften!

Ein Stoß in seine Rippen ließ ihn nach rechts blicken, wo sein Vater saß und ihm aufmunternd zunickte. „Das wird schon, Rogue. Die haben keine besseren Kandidaten als dich und du hast das Empfehlungsschreiben vom Bibliotheksleiter persönlich.“

Da war was dran. Org hatte sich wirklich sehr energisch für ihn eingesetzt und er war Rogue auch sehr entgegen gekommen, als der wegen der Kinder so viel um die Ohren gehabt hatte.

„Papi, was das?“

Rogue blickte zu Frosch, die auf den Klavierhocker geklettert war und nun auf die Klappe klopfte, unter der sich die Tasten befanden. Sein Blick huschte zu Sting und Weißlogia. Das war Violets altes Klavier. Sie war Musikerin wie Sting gewesen. Seit Sting ein Säugling gewesen war, hatte sie mit ihm am Klavier gesessen. Zwar war Stings Hauptinstrument die Violine, aber auch heute noch konnte er überragend gut Klavier spielen.

Nach einem vergewissernden Blick auf seinen Vater, der bekräftigend nickte, stand Sting auf und setzte sich neben seine Tochter auf den Hocker. „Gut aufpassen“, sagte er und stupste Frosch gegen die Nase, dann öffnete er die Klappe, schüttelte einmal kräftig die Finger aus und legte dann die Hände auf die Tasten. Er begann mit einem einfachen, aber schnellen Motiv, das sich mehrmals wiederholte, ehe ein wiegendes, fröhliches Lied daraus wurde. Rogue erkannte das Stück, es war eines von Stings Lieblingsstücken auf dem Klavier.

Wenn Rogue sich nur darauf konzentrierte, hatte er den plätschernden Bergbach vor Augen, an dem er und Sting während ihres ersten gemeinsamen Urlaubs während einer Wandertour Rast gemacht haben, sah das wilde Gras mit vereinzelten Farbtupfern daneben, das sich leicht in einer Brise wiegte, betrachtete das Profil seines Freundes, so perfekt, als sei es mit einer Feder gezeichnet worden. Beinahe spürte er wieder die angenehm klare Bergluft und das Kitzeln der Sonnenstrahlen auf seiner Haut, hörte nichts als Stings Lachen und das Plätschern des Wassers…

Ein weiterer Rippenstoß riss ihn zurück in die Gegenwart. Sein Vater grinste vielsagend. „Na, wo warst du gerade?“, flüsterte er.

Rogues Wangen wurden heiß. Um sich abzulenken, blickte er wieder zum Klavier, wo Frosch sich selig hin und her wiegte, während Sting das Lied zärtlich ausklingen ließ.

Als der letzte Ton verstummt war, klatschte das Mädchen begeistert in die kleinen Hände. „Frosch auch! Frosch auch!“

Leise lachend zog Sting seine Tochter auf seinen Schoß, nahm ihre Hände in seine und führte sie für eine ganz einfache Kindermelodie über die Tasten. Frosch quietschte und gurrte bei jedem Ton und strahlte über das ganze Gesicht. Die herzliche Szene ließ Rogue auch seine letzten Sorgen um die Prüfung vergessen. Solche Gedanken gehörten definitiv nicht an einen Abend wie diesen.

„Wie damals mit Sting und Violet“, murmelte Weißlogia gleichermaßen wehmütig und stolz.

Lector, der bisher aufmerksam dem Klavierspiel gelauscht hatte, während er den alten Hund gekrault hatte, kam nun zurück zum Tisch und zupfte an Skiadrums Ärmel. „Opa Ski, darf ich bitte noch ein Stück Kuchen?“

Der Architekt grinste amüsiert. „Bist nicht so der Musikfan?“, fragte er, während er nach dem Kuchenheber griff.

„Ich höre lieber zu“, meinte Lector und zuckte mit den Schultern. Er wollte schon auf den Stuhl klettern, als er innehielt, auf seine Hände hinunter blickte, dann zu Rogue aufsah und schließlich, ohne dass sein Vater auch nur ein Wort gesagt hätte, einen Flunsch zog, ehe er ins Badezimmer trottete.

Schmunzelnd reichte Skiadrum seinem Sohn den Teller mit dem Kuchenstück. „Ich hätte ehrlich nicht gedacht, dass es so viel Spaß macht, Großvater zu sein.“

„Hätte ich auch nicht vom Vatersein gedacht“, gab Rogue mit gedämpfter Stimme zu, stellte den Kuchen auf den Platz neben sich und sprühte Sahne darüber, genau wie Lector es am liebsten hatte.
 

Die Freunde, die man um vier Uhr morgens anrufen kann, die zählen.

Marlene Dietrich

Stöhnend ließ Sting sich zwischen Minerva und Yukino auf die Couch fallen. Sein Rücken fühlte sich an, als wäre er um zwanzig Jahre gealtert, und der linke Fuß tat immer noch weh, seit ein Karton mit Büchern drauf gefallen war. Er wäre gerne deswegen sauer auf seinen Freund – immerhin waren das seine super schweren Wälzer gewesen! –, aber leider hatte Rogue vorhin in einer kurzen Atempause, als sie tatsächlich mal kurz alleine gewesen waren, ein sehr überzeugendes Argument auf den Tisch gebracht, es nicht zu sein. Also hatte Sting beschlossen, lieber wehleidig zu sein. Von einer besorgten Frosch betüddelt zu werden, hatte zugegebenermaßen auch etwas Schönes.

„Wer Freunde wie euch hat, braucht keine Feinde mehr“, knurrte Minerva übellaunig.

„Wer Freunde wie mich hat, kriegt leckeren Kuchen“, erwiderte Yukino träge.

„Kuchen macht dick.“

„Aber glücklich.“

„Nicht so glücklich wie S. E. X.“

„Ich will nichts über eure Sexleben wissen“, mischte Sting sich ein.

„Bist ja nur neidisch.“

Darauf antwortete er nur mit einem Schnaufen. Seit Minerva dazu übergegangen war, mit Laxus auszugehen – ob die Beiden nun auch so richtig zusammen waren, wusste dabei jedoch keiner, wahrscheinlich nicht einmal sie selber –, war sie noch garstiger als sonst schon.

Da würde er ihr gewiss nicht auf die Nase binden, was für eine Geduldsprobe es für ihn war, so lange auf dem Trockenen zu sitzen. In den beengten Verhältnissen der alten Wohnung war es einfach undenkbar gewesen, mit Rogue auf Tuchfühlung zu gehen. Allein der Gedanke, dass eines der Kinder vielleicht herein platzen und sie in flagranti erwischen könnte, war unglaublich abtörnend gewesen…

Trotz ihres Gebrummels und ihrer Garstigkeiten war Sting Minerva jedoch genau wie den Anderen unendlich dankbar. Der Umzug war endlich geschafft. Die alte Wohnung war vollkommen leer und auch schon ordentlich gestrichen, der Transporter war wieder beim Verleihservice und dank Minervas strategischem Verteilungsplan war die neue Wohnung nicht hoffnungslos mit Kartons verstopft. Die wichtigsten Kartons waren sofort erreichbar und die übrigen so geschichtet worden, dass Sting und Rogue das Auspacken nicht innerhalb weniger Tage übers Knie brechen mussten. Dank Loke und Yukino war für das leibliche Wohl auch gesorgt worden und für die Kinder war auch immer jemand da gewesen.

Frosch hatte sich auf dem Sessel eingerollt und seinen Sohn hatte Sting zuletzt auf dessen neuen Bett schlafend gesehen. Die meisten der Helfer hatten sich mittlerweile verabschiedet. Nur Minerva und Yukino waren noch da, weil sie noch bei ein paar Kleinigkeiten hatten helfen wollen. Loke hatte nicht so lange bleiben können, weil er morgen wieder arbeiten musste.

„Könnt ihr aufhören, über dieses Thema zu reden, wenn meine Tochter im selben Raum ist?“, grollte Rogue übellaunig, der sich vor den Sessel gesetzt und daran gelehnt hatte.

„Sie schläft doch wie ein Murmeltier“, nuschelte Sting, fühlte sich aber doch schuldig.

„Wir müssen unser Glück ja nicht herausfordern.“

„Och, ich hätte nicht übel Lust darauf, wie ihr dieses Gespräch mit ihr führen würdet“, sinnierte Minerva.

„Ich schwöre dir, Nerva, ein falsches Wort zu Frosch und wir sind geschiedene Leute!“, zischte Sting leise, um seine Tochter nicht zu wecken.

„Als ob ihr ohne mich etwas auf die Reihe kriegen würdet“, war die gelangweilte Antwort.

Ächzend rappelte Rogue sich auf und nahm seine Tochter auf den Arm, um sie in ihr Zimmer zu bringen. Sting quälte sich mühsam in die Höhe, um noch mal nach Lector zu sehen. Der Junge schnarchte leise und drückte sein Gesicht in seinen Plüschwolf. Zärtlich zog Sting ihm die Bettdecke unters Kinn, schaltete das Nachtlicht an, damit Lector sich im noch fremden Zimmer orientieren konnte, sollte er wach werden, und löschte die Deckenlampe. Gewohnheitsmäßig schloss er die Tür nicht komplett, sondern ließ einen kleinen Spalt offen.

Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, hing sein Freund im Sessel. Sting setzte sich auf dessen Armlehne und boxte Rogue gegen den Oberarm. „Wollen wir?“

„Jetzt?“, murmelte der Schwarzhaarige benommen.

„Na ja, ist ja kein Heiratsantrag oder so.“

Rogue verdrehte die Augen und setzte sich etwas aufrechter hin, um zu Minerva und Yukino blicken zu können. Letztere blinzelte angestrengt, Minerva hingegen sah mit einem verwirrten Stirnrunzeln von Sting zu Rogue und wieder zurück.

„Worüber redet ihr?“

„Darüber, dass wir euch fragen wollen, ob ihr die Paten für unsere Kinder werden wollt“, antwortete Rogue gewohnt ruhig.

„Was?!“, japste Yukino und riss die Augen extrem weit auf. „Was hast du gesagt?!“

„Wir wollen, dass ihr euch um Lector und Frosch kümmert, wenn uns etwas passieren sollte“, erklärte Rogue geduldig.

Vollkommen verdattert starrte Yukino sie Beide an, dann kniff sie sich in den Arm.

„Kein Traum, Yukino, oder Alptraum oder was auch immer. Du bist wirklich wach und wir meinen das ernst“, gluckste Sting.

Das Gesicht der Weißhaarigen wurde immer dunkler und dann traten auch noch Tränen in die braunen Augen. Jetzt war Sting doch etwas verunsichert und tauschte mit seinem Freund einen vorsichtigen Blick. Hatten sie die Dinge doch falsch eingeschätzt? War das vielleicht zu viel für ihre Freundinnen? Die hatten in den letzten Monaten immerhin schon genug auf sich genommen, um ihnen zu helfen.

Yukino hatte zwar versucht, es zu verheimlichen, aber Sting und Rogue hatten von Belno erfahren, dass die Erzieherinnen aus dem Heim versucht hatten, Yukino wegen Körperverletzung anzuzeigen, weil diese einer der Frauen die Muffins ins Gesicht geschleudert hatte, die sie damals eigentlich für die Kinder mitgebracht hatte. Zum Glück war es nicht zu einer Anzeige gekommen.

Und wie oft Minerva in den letzten Monaten Laxus sitzen gelassen oder zumindest versetzt hatte, um ihnen zu helfen, ging auf keine Kuhhaut. Nie hatte sie sich auch nur mit einem Wort darüber beklagt oder irgendwie Unwillen oder dergleichen erkennen lassen, aber das mit Laxus war ihr wichtig – egal ob es nun schon eine richtige Beziehung war oder nicht.

Gerade wegen dieser Opferbereitschaft und weil die Beiden so einen phänomenal guten Draht zu den Kindern hatte, waren Sting und Rogue sich einig gewesen, dass sie Minerva und Yukino als Paten wollten – und das nicht nur, weil sie für das Adoptionsverfahren Paten benennen mussten. Aber womöglich war diese Frage jetzt doch zu viel des Guten.

Als Yukino auf die Beine sprang, zuckte Sting überrascht zusammen. Im nächsten Moment hing Yukino weinend an ihm. Vollkommen perplex tätschelte er ihren Rücken und schielte Hilfe suchend zu Rogue, der jedoch genauso ratlos war.

„Yukino, wenn das zu viel für dich ist…“

„Du machst wohl Witze!“, schniefte Yukino und blickte zu ihm auf. Ihre Augen leuchteten regelrecht. „Natürlich kümmere ich mich um eure Kinder, wenn euch etwas passieren sollte, aber wehe ihr nehmt das als Freibrief! Ich liebe die Beiden, aber ihr…“ Ihre Stimme ging in einem Schluchzen unter.

„Hey, das ist doch nur eine Vorsichtsmaßnahme“, sagte Rogue, wuchtete sich wieder in die Höhe und klopfte unbeholfen auf Yukinos Arm.

„Das will ich euch auch geraten haben!“, jaulte Yukino und zog Rogue mit in ihre Umarmung.

Verlegen tätschelte Rogue weiter ihre Schulter. Sting tat es ihm von der anderen Seite gleich und blickte dann Hilfe suchend zu Minerva, die von ihnen allen immer noch diejenige war, die am besten mit der emotionalen Yukino umzugehen wusste.

Überrascht riss er die Augen auf, als er sah, wie die Schwarzhaarige sich hastig über die Augen wischte. „Nerva, weinst du?!“

„Ja, über eure Dummheit!“, fauchte Minerva und sprang auf die Beine. „Als ob wir Lector und Frosch zurück ins Heim schicken würden! Was traut ihr uns eigentlich zu?!“

„Ähm…“

„Weich gespülte Vollidioten“, schimpfte Minerva weiter und wischte sich schon wieder über Augen. „Gebt die Kinder lieber gleich zu mir, damit ich etwas Vernünftiges aus ihnen machen kann!“

Mit zwei Schritten war Minerva bei Yukino, zog diese an sich, boxte Sting und Rogue übertrieben hart gegen die Schultern und bugsierte ihre Freundin dann aus dem Wohnzimmer und aus der Wohnung.

„Wow…“ Sting rieb sich die Schulter. „Das war… spektakulär…“

„Vielleicht hätten wir sie doch einzeln fragen sollen“, murmelte Rogue überrumpelt.

„Wer hätte denn ahnen können, dass sie so reagieren?“

Dass die Freundinnen die Kinder liebten, hatte für Sting immer außer Frage gestanden. Das war vom ersten Treffen an vollkommen klar gewesen und das beruhte offensichtlich auch auf Gegenseitigkeit. Aber diese Gefühlsausbrüche waren wirklich überwältigend. Irgendetwas hatten die Kinder an sich, dass sie alle viel emotionaler agieren ließen.

„Na ja, zumindest haben sie nicht Nein gesagt, oder?“, versuchte Sting es positiv zu betrachten. „Und irgendwann mussten wir sie ja fragen…“

Noch immer verwirrt schleppten sie sich in ihr neues Schlafzimmer, das etwas größer als das vorherige war. Abgesehen von einem neuen Schreibtisch für Rogue war es jedoch mit denselben Möbeln wie in der alten Wohnung ausgestattet. Seufzend ließ Sting sich auf die Matratze sinken, kaum dass er sich ausgezogen hatte, und tastete im Dunkeln nach der Hand seines Freundes neben ihm. Hier war es abends dunkler, weil sie keine Straßenlaterne mehr direkt vor ihrem Fenster hatten.

„Natürlich ist es nur eine Vorsichtsmaßnahme, aber ich bin echt froh, dass wir im Notfall die Beiden für die Kinder haben“, gestand er nuschelnd.

Er erhielt keine Antwort, aber seine Hand wurde zustimmend gedrückt.

Hüpfe achtmal – und das Ziel naht

Prüfungen sind deshalb so scheußlich, weil der größte Trottel mehr fragen kann, als der klügste Mensch zu beantworten vermag.

Charles Caleb Colton

Grübelnd saß Rogue an seinem neuen, großen Schreibtisch und starrte auf seinen Laptop-Monitor, wo er vier Fenster so verkleinert hatte, dass er sich gleichzeitig vier Stellenausschreibungen ansehen konnte. Keine der Stellen gefiel ihm besonders. Es mochte verbissen und unvernünftig klingen, aber seit er als laufender Meter das erste Mal in die Stadtbibliothek getreten war, hatte für ihn immer festgestanden, dass er dort mal arbeiten wollte. Das hatte sich einfach immer richtig angefühlt und während seiner Praktika und auch während seines Referendariats war er nie in diesem Entschluss ins Wanken geraten.

Aber konnte er jetzt wirklich noch wählerisch sein? Er brauchte dringend einen Job, sonst konnte auch Belno, die ihnen so gewogen war, nichts mehr ausrichten, damit ihre Kinder bei ihnen bleiben konnten. Und wichtiger als alles andere waren die Kinder. Nie wieder wollte Rogue sie fort geben. Lector und Frosch bedeuteten ihm die Welt!

Mit einem schweren Seufzen öffnete er vier andere Stellenausschreibungen, schloss eine davon wieder und öffnete noch eine weitere. Sie ödeten Rogue beim Überfliegen an, aber sie waren gut bezahlt und die Arbeitszeiten waren familiengerecht. Vielleicht sollte er sich einfach mal überall bewerben? Danach konnte er die Stellen immer noch ablehnen, wenn er sich dabei partout nicht wohl fühlte – obwohl er schon wusste, dass er sogar lieber als Tellerwäscher in einer Spelunke arbeiten würde, als zu riskieren, die Kinder zu verlieren.

Er griff wieder nach der Maus, um das Bewerbungsportal für die erste Stelle zu öffnen, als der Laptop einfach vor seiner Nase zugeklappt und er mit seinem Bürostuhl herum gedreht wurde.

„Das ist unnötig, Rogue, du wirst die Prüfung morgen bestehen und dann kriegst du den Job“, erklärte Sting, seine blauen Augen von aufrichtiger Zuversicht erfüllt, während er sich auf den Armlehnen des Stuhls abstützte und sich über Rogue beugte.

Rogue hatte gar nicht bemerkt, wie sein Partner herein gekommen war. Der hatte sich heute Abend alleine um die Kinder gekümmert, damit Rogue noch etwas Zeit zum Lernen hatte – allerdings war aus dem Lernen nichts geworden, darauf hatte der Schwarzhaarige sich gar nicht konzentrieren können.

„Es gibt keine Garantie, Sting“, sagte Rogue und versuchte, dabei keine Miene zu verziehen. „Nadal hat heute gesagt, dass die endgültige Entscheidung immer erst nach der Prüfung gefällt wird und dass ich ein Wackelkandidat bin, weil…“

Er verschluckte die weiteren Worte. Noch immer kochte die Wut in ihm hoch, wenn er an die Worte des Sekretärs aus der Personalabteilung dachte, den er in den letzten Monaten andauernd wegen seiner Bewerbung genervt hatte. Nadal war selbst nicht sehr angetan davon gewesen, ihm mitteilen zu müssen, dass Rogues plötzliche Vaterschaft sich negativ auf die Bewerbung ausgewirkt hatte. Väter von Kleinkindern neigten schließlich dazu, häufiger auszufallen. Im Nachhinein tat es Rogue Leid, dass er seine Wut an Nadal ausgelassen hatte. Der konnte doch auch nichts dafür.

„Weil du Vater bist?“, schnaufte Sting und auf einmal war sein Gesicht ganz dicht vor Rogues. „Dann wirst du denen bei der Prüfung zeigen, wie clever ein sogenannter Wackelkandidat sein kann! Rogue, du bist der Beste für den Job und das wirst du denen auch beweisen.“

„Sag’ das nicht so, als ginge es dabei nur um mich“, widersprach Rogue mühsam beherrscht. „Wenn ich das verbocke oder sie mich einfach so nicht einstellen, dann…“

„Dann wird uns etwas einfallen, aber du wirst keinen Job annehmen, den du nicht leiden kannst.“ Stings Tonfall war unnachgiebig.

„Aber die Kinder…“

„Niemand nimmt uns unsere Kinder weg, Rogue, ganz egal was passiert.“

Unruhig rutschte Rogue auf seinem Stuhl herum. Die Art, wie Sting das sagte und ihn dabei ansah… So unerschütterlich, so entschlossen. Beinahe wie besessen!

„Sting, wir können nicht einfach mit den Kindern abhauen, wenn das mit der Adoption nicht klappt. Was sollen wir ihnen dann für ein Leben bieten?“

„Das wird alles sowieso nicht passieren“, erwiderte Sting, überwand den letzten Abstand und küsste Rogue.

Dem Schwarzhaarigen stockte der Atem, als sich die weichen Lippen zärtlich gegen seine bewegten, und ganz automatisch erwiderte er den Kuss, versuchte die Lippen länger auf seinen zu halten, aber Sting zog sich jedes Mal zurück. Als Rogue die Hände heben wollte, um das Gesicht seines Partners festzuhalten, kam dieser ihm zuvor und hielt seine Arme fest.

„Das sind alles nur Hirngespinste, Rogue“, flüsterte Sting gegen seine Lippen und lehnte seine Stirn gegen Rogues. „Du machst dich wegen dieser Prüfung schon seit Monaten verrückt, aber ich glaube an dich. Du haust die Prüfer vom Hocker!“

„Du traust mir zu viel zu“, nuschelte Rogue und schrumpfte in sich zusammen.

„Du traust dir zu wenig zu“, war die undeutliche Antwort und die Küsse wanderten über Rogues Kinn und den Hals hinab.

Ein wohliger Schauder jagte über Rogues Rücken, als die Lippen seinen Kehlkopf liebkosten. Er legte den Kopf in den Nacken, um Sting mehr Bewegungsspielraum zu geben, und zuckte mit den Händen. Doch Stings Hände hielten ihn unnachgiebig fest, während seine Lippen langsam wieder nach oben wanderten. Hungrig empfing Rogue den Kuss auf seinen Lippen, aber er war kaum mehr als ein zartes Hauchen.

Unwillig blickte er in Stings tiefblaue Augen, die vergnügt funkelten. „Na, denkst du endlich mal an etwas anderes?“, gluckste der Blonde.

Rogue presste die Lippen aufeinander. Er würde jetzt nicht zugeben, dass Sting Recht hatte. Das Thema war zu ernst, um es mit ein paar Küssen vom Tisch zu wischen!

Offenbar waren ihm diese Gedanken anzusehen, denn Sting seufzte leise und lehnte seine Stirn wieder gegen Rogues. „Was wäre, wenn unsere Rollen vertauscht wären?“

„Was?“

„Na, wenn du den Job in der Bibliothek schon hättest, ich aber von der Konzerthalle abgelehnt worden wäre.“

„Wie hätten die dich jemals ablehnen können? Du bist ein Genie!“

„Aber nehmen wir mal an, sie hätten mich abgelehnt und ich stünde ohne Job da.“

„Du würdest denen beweisen, dass sie einen Fehler gemacht haben!“

Kichernd richtete Sting sich auf und verschränkte die Arme vor der Brust. Seine Lippen umspielte ein siegesgewisses Lächeln. Rogue war so perplex, dass er nichts anderes tun konnte, als seinen Partner anzustarren.

Als wäre alles geklärt, wandte Sting sich ab und zog sich das T-Shirt über den Kopf. „Die Kinder schlafen schon wie die Steine.“ Über seine Schulter hinweg grinste er Rogue lüstern an und wackelte mit den Augenbrauen.

Langsam wuchtete Rogue sich in die Höhe und rang mit den Händen. Wie konnte sein Freund das alles so leicht nehmen, wo doch so viel von dieser Prüfung abhing?

Seufzend verdrehte Sting die Augen und ließ sich auf die Bettkante plumpsen. „Rogue, ich nehme das ganz bestimmt nicht leicht. Solange ich dich kenne, wolltest du immer nur diesen Job, und hier geht es auch um meine Kinder. Ich will garantiert nicht, dass die Adoption scheitert, aber… ich glaube einfach nicht daran, dass sie das tut.“ Er hob die Schultern. „Ich bin davon überzeugt, dass du das schaffen wirst. Ich kann es nur nicht erklären.“

„Das ist alles? Du willst nicht, dass ich nach anderen Stellen suche, weil du an mich glaubst?“

„Ja, brauche ich noch einen anderen Grund?“

Fassungslos schüttelte Rogue den Kopf und ließ sich neben seinen Freund lang aufs Bett fallen. Eigentlich sollte ihn das nicht mehr wundern. Sting war schon immer so gewesen. Wenn er etwas gewusst hatte, hatte er es einfach gewusst, ohne noch großartig nach einer Erklärung zu suchen. Das war unlogisch und unvernünftig, aber es war auch einer der Punkte, die Rogue seit jeher so sehr an seinem Freund fasziniert hatten. Stings Art, das Leben zu nehmen, war in vielen Dingen so ganz anders als seine. Nicht einmal die Tiefschläge in seinem Leben konnten etwas daran ändern. Der Tod seiner Mutter, die Sache mit seiner Tante und der fragwürdige Zustand seiner Cousine. Sting blieb doch immer er selbst, impulsiv und optimistisch und emotional.

Rogue wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sein Freund sich rittlings auf seinen Schoß setzte und sich in sein Gesichtsfeld hinunter beugte. Auf seinen Lippen lag schon wieder dieses lüsterne Grinsen, das Rogues Herz heftig zum flattern brachte. „Können wir jetzt zu dem Punkt kommen, an dem wir uns darüber freuen, dass die Kinder schlafen?“

„Du bist echt…“

„Unschlagbar?“, schlug Sting noch immer grinsend vor und beugte sich noch weiter runter. „Verboten scharf?“

„Verdammt eingebildet“, erwiderte Rogue trocken und schnippte seinem Freund gegen die Stirn.

Der Blonde schnaufte leise und wollte sich schon wieder aufrichten. Als das Gewicht auf seinem Becken leichter wurde, drehte Rogue sich, warf Sting auf den Rücken und hockte sich über ihn. Ehe es zur Gegenwehr kommen konnte, hielt er die Hände seines Freundes fest und forderte endlich den Kuss ein, den Sting ihm vorhin verweigert hatte. Ihre Lippen verschmolzen miteinander und ihre Zungen umkreisten einander heftig. Rogue konnte das Vibrieren spüren, als sein Partner stöhnte. Mehrmals zuckten Stings Hände in Rogues Griff, aber sie wurden nicht frei gelassen. Der Kuss artete zu einem Zungenkampf aus, was Rogue sich niemals getraut hätte, wenn Sting ihm nicht versichert hätte, dass die Kinder tief und fest schliefen.

Als die Kinder sich nach einem Monat in der neuen Wohnung endlich daran gewöhnt hatten, in ihren eigenen Betten zu schlafen, hatten Sting und Rogue sich hinreißen lassen, auf Tuchfühlung zu gehen. Der Moment, als Frosch in ihrem rosa Pyjama auf einmal neben ihnen am Bett gestanden und mit großen Augen gefragt hatte, was sie da machten, würde auf ewig der peinlichste in Rogues Leben bleiben.

Dagegen war sogar jener denkwürdige Abend harmlos, als Skiadrum sie Beide als Siebzehnjährige gemeinsam unter der Dusche erwischt hatte, weil sie vergessen hatten, die Badezimmertür zu verriegeln.

Wenn Minerva jemals irgendwie Wind davon bekommen sollte, würde Rogue seines Lebens nicht mehr froh werden!

Schwer atmend richtete Rogue sich ein Stück weit auf, ohne die Hände seines Freundes loszulassen. Dessen Augen funkelten triumphierend und das lüsterne Grinsen war nur noch intensiver geworden, wenn das denn überhaupt noch möglich war.

„Du bist echt unmöglich“, keuchte Rogue und rollte sich wieder von Sting herunter, um sich auszuziehen.

„Wohl eher unwiderstehlich“, feixte der Blondschopf und kickte seine Bermuda-Shorts von sich.

Nachdenklich betrachtete Rogue seinen Partner. Das blonde Haar hing ihm unordentlich ins Gesicht und die Lippen waren geschwollen. Die Wangen waren erhitzt. Die markante Kieferlinie. Der sehnige, muskulöse Oberkörper, die breiten Schultern, die geschmeidigen und doch starken Finger, die langen Beine. Bevor Rogue ihm das erste Mal begegnet war, hatte er nicht gewusst, was Perfektion bedeutete, aber seitdem hatte er es tagtäglich vor Augen.

Mehr als nur das. So naiv Stings Worte auch wirken mochten, sie zeugten von so unerschütterlichem Vertrauen, dass Rogue ganz unwillkürlich daran glauben musste, dass er die Prüfung bestehen und den Job bekommen würde. Wie könnte es auch anders sein? Sting hatte es geradezu prophezeit! Um nichts in der Welt wollte Rogue ihn enttäuschen!

„Rogue?“

Der Schwarzhaarige blickte direkt in Stings verwirrte, blaue Augen und musste lächeln, als er sich wieder über ihn beugte.

„Du hast ja keine Ahnung, Sting“, flüsterte er und bevor sein Freund nachfragen konnte, verschloss er dessen Lippen erneut mit seinen eigenen und drückte ihn aufs Bett…
 

Die Zukunft kann man am besten voraussagen, wenn man sie selbst gestaltet.

Alan Kay

Eine sehr ungehaltene Sekretärin starrte Sting finster an, als er zum gefühlt hundertsten Mal an ihrer offenen Bürotür vorbei tigerte, aber der Blondschopf ignorierte sie, wie er auch schon ihren übertriebenen Augenaufschlag ignoriert hatte, als er das erste Mal an ihrer Tür vorbei gelaufen war. Sollte sie die blöde Tür doch zu machen, wenn sie ein Problem damit hatte, dass er hier lief. Irgendetwas musste er doch tun, während er auf seinen Freund wartete!

Was dauerte diese Prüfung auch so lange? Über eine Stunde war Rogue schon da drin! So viele Fragen konnte es doch unmöglich darüber geben, wie man Bücher in ein Regal stellte und Leuten die Versäumnisgebühren abknöpfte! Okay, das war fies. Sting wusste sehr wohl, dass Rogues Job aus mehr bestand, aber allmählich schob er hier wirklich Panik, da war er nicht dazu aufgelegt, fair zu bleiben!

Wenigstens musste er sich keine Sorgen um die Kinder machen, die waren bei ihrem Opa Ski gut aufgehoben. Lector hatte sich ganz besonders gefreut, als er erfahren hatte, dass sie den Tag bei Rogues Vater verbringen würden – für ihn war Skiadrum anscheinend der Kuchen-Opa, während Weißlogia der Hunde-Opa war. Unter normalen Umständen hätte Sting das alles extrem lustig gefunden, aber jetzt flatterten seine Nerven wie Fahnen im Wind, da war er einfach nur froh, dass er sich um die Kinder vorerst keine Gedanken machen musste.

„Ähem…“

Wie schon die vorherigen Male ignorierte Sting auch dieses Mal das Räuspern der Sekretärin und tigerte wieder an ihrer Tür vorbei zehn Schritte bis zum Ende des Korridors, Wendung, zehn Schritte bis zur Tür und dann noch sieben weitere bis zum anderen Ende des Korridors, wo die Tür des Prüfungsraums war.

Anders als das historische Hauptgebäude mit seinem Marmorfußboden, den fünf Meter hohen Eichenholzregalen, den Marmorsäulen und –pilastern, den Spitzbögen und Buntglasfenstern war der Verwaltungstrakt der Stadtbibliothek ein Neubau, hässlich und lieblos und für viele Hobbyfotografen ein furchtbares Ärgernis, da sie kaum eine Möglichkeit hatten, die Bibliothek ohne den Verwaltungstrakt aufs Bild zu kriegen. Die Wände waren hier langweilig weiß und der Bodenbelag war dunkelgraues Linoleum. Die Türen sahen alle gleich aus, einzig und allein die Schilder daneben gaben dem unkundigen Besucher einen Anhaltspunkt darüber, was für ein Raum sich dahinter verbarg.

Und Sting ging jede Wette ein, dass die Räume im Großen und Ganzen genauso langweilig waren wie das winzige Kabuff, das die Sekretärin da Büro nannte. Graue Schreibtische, graue Aktenschränke, graue Regale, graue Bürostühle. Da half auch die halb vertrocknete Orchidee auf dem Fensterbrett nicht, um darüber hinweg zu täuschen. Von allen langweiligen Verwaltungsgebäuden in ganz Fiore war das hier unter Garantie das langweiligste!

Jetzt verstand Sting, warum sein Freund ihm eigentlich geraten hatte, Zuhause zu warten oder durch die Straßen zu ziehen. Rogue wusste nur zu gut, dass Sting bei langweiligen Wartezimmern den Koller bekam. Aber in diesem Fall glaubte der Blonde nicht, dass es ihm anderswo besser ergangen wäre. Zuhause wäre ihm die Decke auf den Kopf gefallen und in seinem desorientierten Zustand sollte er wohl nicht in die Nähe von Straßen kommen – und so groß war die Fußgängerzone in der Altstadt nun auch wieder nicht, dass es Sting dort lange gehalten hätte.

Wo war bloß die Coolness geblieben, mit der er Rogue gestern abgelenkt hatte? Böse Zungen könnten jetzt natürlich behaupten, dass das eher Lüsternheit als Coolness gewesen war, aber Sting hatte es nicht vorrangig darauf angelegt, mit seinem Freund zu schlafen, auch wenn er sicher nicht leugnete, dass es ihm gefallen hatte. Auch als Vater durfte er ja wohl ein reges Sexleben haben und genießen! Aber zuallererst hatte er sich wirklich Sorgen gemacht, dass sein Freund sich selbst zu sehr unter Druck setzte. Er hatte das gestern wirklich ernst gemeint: Er hatte vollstes Vertrauen darin, dass Rogue diese Prüfung bestand und den Job bekam.

Aber jetzt war er eben doch nervös. Nicht weil er sich richtige Sorgen machte, Rogue könnte doch durchfallen, sondern weil das Warten an und für sich ihn einfach wahnsinnig machte. Er hasste es, untätig warten zu müssen. Vor großen Auftritten war er deshalb immer nur knapp vor Auftrittsbeginn da, denn wenn er überpünktlich am Set erscheinen würde, hätte er nur umso mehr Zeit, die er absitzen müsste. Die Organisatoren würden ihm für diese Marotte am liebsten den Hals umdrehen, aber bisher waren sie nach den Auftritten dann doch immer viel zu begeistert gewesen, um sich noch über ihn ärgern zu können. Der Erfolg gab der Methode also Recht.

Selbst wenn er versucht hätte, sich mit irgendetwas zu beschäftigen, hätte er gedanklich doch die ganze Zeit auf eine Nachricht von Rogue gewartet. Das war bei der Verteidigung von Rogues Masterarbeit auch schon so gewesen. Minerva und Yukino, die mit ihm zusammen gewartet hatten, hatten wegen seiner Nervosität beinahe einen Anfall gekriegt. Rückblickend betrachtet war es interessant, wie ähnlich die so ungleichen Freundinnen einander in solchen Fällen werden konnten.

Sting war gerade wieder bei einer Wendung, als die Tür des Prüfungsraums geöffnet wurde. Er drehte sich so schnell herum, dass er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Hastig sprang er zur Seite, um den Männern und Frauen des Prüfungskomitees Platz zu machen, die aus dem Raum und in unterschiedliche Richtungen davon strömten. Zuletzt kam Org heraus, der Bibliotheksleiter, der im Gegensatz zu den Anderen keinen grauen oder schwarzen Anzug trug, sondern ein weiß-braun-kariertes Hemd, einen roten Pullunder und braune Anzughosen.

Der alte Mann lächelte verständnisvoll, als er an Sting vorbei kam, und winkte ihn in den Prüfungsraum. Das ließ der Blonde sich nicht zweimal sagen! Er stürmte regelrecht in das Zimmer und wäre auf der Schwelle beinahe umgekippt, weil ihm so ein schlimmer Prüfungsmuff entgegen schlug.

Sein Freund stand mit bleichem Gesicht am weit geöffneten Fenster und lehnte die Stirn gegen dessen Rahmen. Höchst wahrscheinlich hatte ihm der Mief hier während der gesamten Prüfung zugesetzt.

Rasch schloss Sting die Tür hinter sich und eilte zum Fenster. Frische Frühsommerluft wehte ihm dort um die Nase, die reinste Wohltat. Beinahe sofort setzte die beruhigende Wirkung der Luft ein und Sting lehnte sich tief einatmend neben seinem Freund ans Fensterbrett.

Wortlos schob Rogue ihm zwei Blätter zu: Sein Abschlusszeugnis – natürlich mit Bestnote, was denn sonst?! – und sein Arbeitsvertrag. Ein seliges Grinsen breitete sich langsam auf Stings Gesicht aus.

„Siehst du, was habe ich dir gesagt?!“, rief er begeistert aus und nahm seinen Freund in den Schwitzkasten. „Wusste ich doch, dass du sie aus den Socken haust, Mr. Bibliothekar!“

Rogue schnaufte leise und versetzte ihm einen Rippenstoß, um sich zu befreien, ehe er Sting am Kragen zu sich zog und küsste. Es war ein Kuss, bei dem Sting der Atem stockte und die Knie weich wurden. Eine konsequent zärtlich-fordernde Bewegung der Lippen. Genüsslich seufzend schloss Sting die Augen und erwiderte den Kuss.

Als sie Atem schöpfen mussten, lehnten sie sich Beide in einträchtigem Schweigen wieder gegen das Fensterbrett und blickten aus dem Fenster hinunter auf den Bibliotheksboulevard, wo wie immer reges Treiben herrschte. Stimmen und Motorengeräusche drangen als Einheitsbrei zu ihnen herauf, ein stetiges Brummen, aus dem höchstens einmal das Hupen eines ungeduldigen Fahrers oder ein besonders lautes Rufen hervorstach. Vom nahen Park wehten frische Blumendüfte herüber und ein Hauch von Bratwurst mischte sich dazu – direkt vor dem Verwaltungstrakt stand eine Currywurstbude.

„Geschafft“, murmelte Rogue schließlich und als Sting den Kopf drehte, erkannte er, dass sein Freund erleichtert lächelte. „Jetzt steht der Adoption nicht das Geringste mehr im Weg!“

Wieder breitete sich ein Grinsen über Stings Gesicht aus und er schielte auf seine Armbanduhr hinunter. Es war noch genug Zeit. Vorfreudige Erregung machte sich in ihm breit. „Nicht ganz.“

Als der Schwarzhaarige ihn verwirrt ansah, nahm er dessen Gesicht in beide Hände und gab ihm einen stürmischen Kuss, ehe er sich die Papiere auf dem Fensterbrett schnappte und Rogue an der Hand zu seiner Tasche zog. „Pack’ schnell ein, einen letzten Punkt müssen wir erledigen, dann haben wir alles von Belnos Liste abgehakt.“

„Wovon sprichst du?“ Verständnislos schüttelte Rogue den Kopf.

„Wirst du schon sehen. Beeil’ dich, wir haben nicht den ganzen Tag dafür Zeit.“ Aufgeregt klatschte er in die Hände, um seinen Partner anzutreiben.

Da er wohl schon eingesehen hatte, dass er keine vernünftige Antwort bekommen würde, wenn er noch mal nachfragte, fügte Rogue sich in sein Schicksal, packte seine Sachen ordentlich ein und schulterte seine Umhängetasche. Kaum dass er fertig war, packte Sting ihn wieder bei der Hand und zog ihn aus dem Raum. Als sie an der immer noch offenen Sekretariatstür vorbei rauschten, grüßte Sting die empörte Büromieze mit einem dreisten Salut.

Auf der Straße zog er Rogue nach links. Er hatte sich im Vorfeld den Weg auf dem Stadtplan angesehen und genau eingeprägt. Vor lauter Aufregung schritt er schneller als sonst aus, sodass sein Freund ihm im Laufschritt folgen musste. Wenn sie an einer Fußgängerampel warten mussten, sprang Sting von einem Fuß auf den anderen und schlenkerte mit Rogues Arm, ohne jemals dessen Hand los zu lassen.

Als sie vor dem Ziel hielten – ein sanierungsbedürftiger Altbau am Ende einer Sackgasse mit Kopfsteinpflaster – runzelte Rogue zuerst noch verwirrt die Stirn, bis sein Blick an dem Schild neben der Tür hängen blieb. Ihm klappte der Mund auf und Sting lachte vergnügt.

„Das hast du total vergessen, gib’s zu!“

„Ja… nein… doch… irgendwie“, nuschelte Rogue und seine Wangen wurden entzückend rot. „Sting, das können wir doch nicht so übers Knie brechen, wir brauchen doch…“

„Geburtsurkunden habe ich eingepackt, unsere Ausweise haben wir sowieso dabei“, unterbrach Sting ihm und zog eine Mappe aus seiner eigenen Tasche. „Oh, und bevor du fragst…“ Er zog ein Kästchen hervor, das er schon seit einigen Wochen mit sich herum schleppte, und öffnete es. Auf einem Samtkissen lagen zwei schlichte Silberringe, durch jeden war eine feingliedrige, versilberte Kette gezogen worden.

„Hoffentlich gefallen sie dir, ich habe sie mit Pa, Skia und den Kindern ausgesucht. Lector fand es ganz schön langweilig, sich Ringe anzusehen, aber Frosch war ganz aus dem Häuschen. Es war gar nicht so einfach, sie davon zu überzeugen, dass sie dir nichts verraten darf. Du hast so viel gebüffelt, ich wollte dich nicht damit ablenken. Gold fand ich doof, oh, und ich bin nicht so der Ringträger, also dachte ich, das mit den Ketten wäre eine gute Lösung. Und-“

Als Rogue ihm eine Hand auf den Mund drückte, unterbrach er seinen aufgeregten Plapperanfall. Die Mundwinkel seines Freundes zuckten nachsichtig.

„Ich kann’s nicht fassen, dass du das alles hinter meinem Rücken abgezogen hast!“

„Na hör’ mal! Ich konnte dir ja beim Lernen nicht großartig helfen und das hier stand ganz unten auf der Liste, du hast wahrscheinlich gar nicht so weit runter geguckt und Belno hat es auch nie erwähnt. Vielleicht ist es auch nicht so wichtig, aber es steht mit auf der Liste. Wir könnten das also heute auch noch abha-“

Schon wieder wurde ihm der Mund verschlossen, dieses Mal allerdings mit einem Kuss. Innerhalb weniger Sekunden war er so sehr von Rogues Lippen vereinnahmt, dass er das Kästchen mit den Ringen und die Mappe beinahe fallen gelassen hätte.

„Eine Sache hast du bei deinem großartigen Plan aber vollkommen vergessen, Sting“, schmunzelte Rogue, als er den Kuss wieder beendet hatte.

Jetzt war es Sting, der verwirrt die Stirn runzelte. Hatte er? Er hatte sich doch extra vorher schlau gemacht. Fehlten doch noch irgendwelche Dokumente? Blöder Papierkram, das hatte ihn schon immer halb in den Wahnsinn getrieben!

Rogue schnippte ihm gegen die Stirn. „Wir brauchen Trauzeugen.“

„Achso!“ Sting lachte befreit. Wenn es weiter nichts war.

Vor dem ungläubigen Blick seines Freundes zückte er sein Handy und wählte Yukinos Nummer. Er wusste, dass sie bereits Feierabend hatte, sie hatte ihn ja extra gebeten, sie gleich nach Rogues Prüfung anzurufen, damit sie das Ergebnis erfuhr.

Als die Weißhaarige sich mit einem atemlosen Fragenschwall meldete, grinste Sting seinen Freund triumphierend an und nutzte die erstbeste Pause, um dazwischen zu reden: „Rogue, der Streber, hat die Prüfung natürlich mit Bestnote bestanden und den Arbeitsvertrag hat er auch, aber kannst du vielleicht vorbei kommen, Yukino? Wir brauchen deine und Nervas Hilfe bei einer Kleinigkeit… Oh, Nerva ist bei dir? Sehr gut, kommt schnell her, das Standesamt hat nur noch zwei Stunden offen und wir brauchen Trauzeugen.“

Rogue schlug sich gegen die Stirn, während am anderen Ende der Leitung geschocktes Schweigen herrschte.

Hüpfe neunmal – und ihr seid eine Familie

Nur wer sein Ziel kennt, findet den Weg.

Laozi

Das Klimpern eines Spielzeugklaviers erfüllte die Wohnung, während Rogue am Herd stand und darauf wartete, dass die Nudeln al dente wurden. Lector saß bereits am Tisch und vertrieb sich die Wartezeit mit einem Dreier-Würfel. In das Klimpern mischten sich immer wieder Stings geduldige Erklärungen. Die Kindermelodie wurde ein ums andere Mal wiederholt, langsam und tonweise, damit Frosch es sich merken und es nachspielen konnte.

Seit dem ersten Essen bei Weißlogia hatte Frosch am Klavierspielen Gefallen gefunden und Sting war Feuer und Flamme, es ihr beizubringen, aber leider waren ihre Ersparnisse beinahe vollständig aufgebraucht. Die vielen Anschaffungen für die Kinder, der Umzug, die neuen Möbel… das hatte mehr als nur ein Loch in ihre Finanzen gerissen. Sie hatten den gemeinsamen Sommerurlaub, den sie Ende letzten Jahres gebucht hatten, deshalb wieder storniert. Den hätten sie ohne die Kinder sowieso nicht antreten wollen, daher war es ihnen nicht schwer gefallen, ihn zu zurück zu nehmen.

Bei der Haushaltslage war es jedenfalls nicht möglich, ein Keyboard zu kaufen, geschweige denn ein Klavier, daher lernte Frosch auf dem Spielzeugklavier. Es hatte zwar nur eine Oktave, aber für die Kindermelodien reichte das vorerst. Außerdem ging Sting zweimal in der Woche mit den Kindern zu seinem Vater, um dort mit seiner Tochter auf dem Klavier seiner Mutter zu üben. Für ein Kleinkind legte Frosch dabei einen beeindruckenden Ehrgeiz an den Tag.

„Pa…“

„Gleich, Lector, du kannst dir schon mal die Hände waschen und den Anderen Bescheid sagen“, schmunzelte Rogue und während sein Sohn den Würfel beiseite legte und die Küche verließ, tunkte er zum Abschmecken einen sauberen Teelöffel in die Käse-Sahne-Soße, die er für die Nudeln selbst angerührt hatte.

Nichts besonders originelles oder gar aufwendiges, aber das musste ja auch nicht jeden Abend sein. Lector hatte bei der Wahl zwischen Nudeln und Bratkartoffeln jedenfalls nicht lange gefackelt, er war ein Nudelfan, wie er im Buche stand – nicht dass er Bratkartoffeln nicht auch mit Heißhunger verspeist hätte.

„Papa, Fro, das Essen ist fertig“, rief Lector, woraufhin das Klimpern verstummte. Frosch quietschte vergnügt, Sting lachte, Lector blubberte protestierend.

Lächelnd goss Rogue die Nudeln ab und stellte den Topf dann auf ein bereitliegendes Brettchen. Daneben stellte er den Topf mit der Soße, ehe er sich selbst an der Spüle auch die Hände wusch. Geistesabwesend tastete er kurz nach dem Ring, der an der Kette um seinen Hals hing. Das Gewicht war immer noch ungewohnt für ihn, wo er doch bisher nie Schmuck getragen hatte, aber es war kein unangenehmes Gefühl, war es doch eine beständige Erinnerung daran, dass er jetzt verheiratet war.

Nachdem Sting ihn so damit überfallen und dann auch noch Minerva und Yukino zum Standesamt zitiert hatte, hatten sie es tatsächlich noch am selben Tag geschafft, zu heiraten. Im Grunde war es kaum mehr gewesen als das Ausfüllen von ein paar Formularen und das Unterschreiben der Heiratsurkunde, aber für Yukino war es Grund genug gewesen, vor Rührung zu weinen, während Minerva auf Rogue eher den Eindruck gemacht hatte, als würde sie darüber nachdenken, ihn zum Witwer zu machen. Stings Überfall hatte sie aller sonstiger Überlegenheit zum Trotz auf dem falschen Fuß erwischt. Für Rogue war es beruhigend gewesen, zu sehen, dass er das mit der Heirat nicht als Einziger vollkommen verschwitzt hatte.

Mit je einem Kind unter jedem Arm betrat ein breit grinsender Sting die Küche. Erst neben dem Tisch setzte er Lector und Frosch wieder ab. Der Junge beeilte sich, auf seinen Platz zu kommen und griff schon nach seiner Gabel, die Augen begierig auf den Topf mit den Nudeln gerichtet.

Als es an der Tür klingelte, verzog er so enttäuscht das Gesicht, dass Sting auflachte. „Du wirst schon nicht verhungern, wenn du noch zwei Minuten wartest.“

„Doch“, brummte Lector.

Kopf schüttelnd ging Rogue in den Flur und öffnete die Wohnungstür. Verblüfft sah er sich einer milde lächelnden Belno gegenüber. Zuletzt hatte er sie vor einer Woche gesehen, als er mit Sting am Tag nach seiner Prüfung und der darauffolgenden Eheschließung in ihrem Büro vorbei gegangen war, um persönlich die Kopien seines Arbeitsvertrag und ihrer Heiratsurkunde abzugeben.

„Verzeihen Sie die späte Störung, aber da ich auf dem Heimweg war, wollte ich das hier gerne persönlich bei Ihnen abgeben.“

Rogues Mund wurde trocken, als die Frau einen Umschlag aus ihrer Aktentasche heraus zog. Er war aus stabilem Karton und ganz schön dick, aber unbeschriftet und unverschlossen. Wie ein Wunder starrte Rogue ihn an. War das wirklich das, was er hoffte? War das das, worauf er und Sting so hart hingearbeitet hatten?

„Rogue, was ist denn los?“

Langsam drehte er sich herum. Sting stand in der Küchentür, neben ihm ein mürrisch dreinblickender Lector und eine neugierige Frosch. Als die Drei Belno erkannten, griff Lector unwillkürlich nach Frosch und zog sie an sich. Er hatte nichts gegen Belno, aber er hatte bei ihren vorherigen Besuchen bereits begriffen, dass sie einer der Entscheidungsträger war, von denen abhing, ob er und Frosch für immer hier bleiben durften. Und er verschenkte sein Vertrauen nicht leichtfertig.

„Mrs. Belno, was…“

Stings Blick blieb an dem Umschlag hängen und seine Augen wurden riesengroß. Mit wenigen Schritten war er an der Tür und streckte die Hand nach dem Umschlag aus, zögerte dann jedoch, wirkte nun beinahe ängstlich.

Verständnisvoll lächelnd klemmte Belno sich die Aktentasche unter den linken Arm, nahm den Umschlag in die linke Hand und zog mit der rechten Hand zwei Blätter daraus hervor, um sie Sting und Rogue hin zu halten. In großen Lettern stand oben Adoptionsurkunde und darunter stand Lectors Name. Zitternd ergriff Rogue die Blätter und legte das untere nach oben. Die Adoptionsurkunde für Frosch.

„Das ist es“, flüsterte Sting mit belegter Stimme. „Endlich…“

„Im ersten Jahr sind Hausbesuche alle zwei Monate üblich und am Ende des Jahres wird noch mal mit allen Beteiligten ein Gespräch geführt, aber ich denke nicht, dass das irgendwelche Probleme bedeuten wird“, erklärte Belno ruhig und hielt ihnen den Umschlag hin. „Darin befinden sich alle Unterlagen für die Kinder und noch einige Informationsblätter. Die Kinderausweise werden Ihnen in etwa einem Monat mit der Post zugesandt, bis dahin können Sie weiter die vorläufigen Ausweise verwenden, die ich Ihnen mit Antritt der Pflegschaft gegeben habe.“

Rogue kam es so vor, als würden seine Muskeln ihm gar nicht mehr gehorchen. Es kostete ihm einige Anstrengung, die Hand auszustrecken und den Umschlag zu ergreifen. Er wollte irgendetwas sagen, wollte sich bei Belno dafür bedanken, dass sie ihnen so vorbehaltlos geholfen hatte, aber er brachte kein Wort hervor.

Doch Belno schien gar keinen Dank zu erwarten. Sie lächelte weiterhin verständnisvoll und nahm ihre Aktentasche wieder richtig in die linke Hand, ehe sie ihnen die rechte hin hielt. „Wenn Sie irgendwelche Fragen haben, können Sie sich jederzeit an mich wenden, ich bin weiterhin die Betreuerin für Ihren Fall. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und alles Gute mit den Kindern.“

Alles, was Rogue tun konnte, war, die Hand der Frau zu schütteln. Seine eigene Hand fühlte sich vollkommen kraftlos an. Stings Bewegungen, als er Belno ebenfalls die Hand schüttelte, wirkten mechanisch und das Danke, das er hervor brachte, klang gepresst.

Mit einem letzten Lächeln nickte Belno, dann ging sie einfach die Treppe hinunter. Mit dem Umschlag und den Adoptionsurkunden stolperte Rogue zurück und Sting schloss die Tür.

„Pa, Papa, was ist das?“, fragte Lector beunruhigt und kam, noch immer einen Arm um Froschs Schultern geschlungen, langsam zu ihnen.

Sting nahm die Adoptionsurkunden an sich und hockte sich vor den Kindern hin, um ihnen die Dokumente zeigen zu können. „Diese Urkunden hier…“ Er musste schwer schlucken und Rogue erkannte, dass er heftig blinzelte. „Die beweisen, dass ihr zu uns gehört. Für immer. Wir sind jetzt ganz offiziell eure Väter. Keiner kann euch uns noch weg nehmen!“

Lectors Augen weiteten sich. „Wir dürfen für immer hier bleiben?“

„Für immer und ewig!“, krächzte Sting und als er wieder blinzelte, rannen Tränen über seine Wangen.

Achtlos legte Rogue den Umschlag auf die Kommode und nahm dann Sting wieder die Urkunden ab, um sie auch beiseite zu legen. Erst dann kniete er sich neben seinen Mann, schlang einen Arm um ihn und zog mit dem anderen die Kinder an sich.

„Papa traurig?“, fragte Frosch betroffen, die offensichtlich nicht verstanden hatte, was gerade passiert war.

„Nein, Fro… Wir sind nicht traurig“, erklärte Rogue heiser. Endlich hatte er seine Sprache wieder gefunden. Er konnte spüren, wie auch über seine Wangen Tränen rannen und seine Unterlippe zitterte. Dass Lector leise schniefte, trug nicht unbedingt dazu bei, dass er seine Fassung wieder erlangte. „Wir sind…“

Überwältigt… Selbst mit tausend Worten hätte Rogue nicht erklären können, wie glücklich er in diesem Moment war. Als er vor einem halben Jahr Frosch mit ihrem Monsterschal vor dem Tarte au Stellar gesehen hatte, hätte er nicht einmal im Ansatz geglaubt, dass er einmal hier enden könnte: Mit seinem Mann, seinem Sohn und seiner Tochter in ihrem gemeinsamen Heim. Mit seiner kleinen, glücklichen Familie!

Mit einem Laut, der halb Lachen, halb Schluchzen war, drückte er seine Familie fester an sich. Er spürte, wie Sting die Umarmung erwiderte, spürte die Schluchzer seines Mannes. Er spürte, wie auch Lector sich noch enger an ihn schmiegte, spürte eine von Froschs kleinen Händen, die sich in sein Hemd krallte. Und alles, was er tun konnte, war, sie alle ganz fest zu halten und gleichzeitig zu weinen und zu lachen, während Sting und Lector und schließlich auch Frosch einstimmten.
 

Lachen und Lächeln sind Tor und Pforte, durch die viel Gutes in den Menschen hineinhuschen kann.

Christian Morgenstern

Das Sabertooth war heute für eine geschlossene Veranstaltung ausgebucht. Für die der Familie Eucliffe-Cheney, um genau zu sein. Und das war beileibe keine kleine Veranstaltung. Skiadrum und Weißlogia hatten alles an Familie und Freunden zusammen getrommelt, was sie greifbar gehabt hatten, um zu feiern, dass ihre Söhne geheiratet hatten und dass ihre Kinder endlich auch rechtskräftig zu ihnen gehörten. Die Bar war ordentlich voll und der Barbesitzer Pantherlily hatte mit seiner Angestellten Kinana ganz schön zu tun, um alle Gäste zu versorgen. Pantherlilys Frau Shagotte und die gemeinsame Tochter Charle waren auch mit eingesprungen, um es familiär zu halten – denn irgendwie gehörten sie ja auch mit dazu, immerhin war Pantherlily der Pate von Rogues Cousins Gajeel und Juvia.

Sting saß neben seinem Mann auf einer Bank und beobachtete, wie seine Großmutter sich mit seinen Kindern bekannt machte.

„So so, das sind also meine Urenkel“, stellte Anna Eucliffe fest und blickte prüfend auf Lector und Frosch hinab.

Sie war trotz ihres hohen Alters von fünfundsiebzig Jahren eine hoch aufgerichtete, beherrschte Frau, der noch anzusehen war, was für eine Schönheit sie einmal gewesen war, ihre ehemals goldblonden Haare nun schlohweiß, ihre Züge trotz der Falten straff. Wann immer Sting sie traf, hatte er nicht das Gefühl, dass sie tatsächlich älter geworden war, weiße Haare und Falten hin oder her.

Lector drehte den Schirm seiner Mütze nach hinten und erwiderte ihren Blick unverfroren. Sting musste bei diesem Anblick grinsen. Es gab nur wenige Menschen, die es wagten, sich mit seiner Großmutter anzulegen, aber Lector gehörte offensichtlich dazu – und damit hatte er auch schon automatisch die Sympathie der alten Dame gewonnen, das wusste Sting nur zu gut.

„Frosch ist Frosch“, meldete sich Lectors Schwester mit einem strahlenden Lächeln zu Wort und hob die freie Hand. Mit der Linken presste sie ihren geliebten Froschi an sich. Nachdem das Plüschtier durch die Heimerzieherinnen so malträtiert worden war, hatte Rogue es zu seiner Cousine Juvia gebracht, die es geflickt hatte. Seitdem war Froschi wieder der beständige Begleiter des Mädchens.

„Ich bin Lector. Wer bist du?“, fragte Lector abschätzig.

„Die Mutter von eurem Großvater Weißlogia“, erklärte Anna und wedelte nachlässig in Richtung ihres Sohnes, der mit seinen Freunden Skiadrum und Metallicana an der Bar saß.

„Also die Mama von Opa…“, murmelte Lector und kratzte sich lange an der Nase.

„Ihr könnt mich einfach Oma nennen“, verfügte die alte Dame hoheitsvoll.

Offensichtlich in Ermangelung einer Alternative zuckte Lector mit den Schultern. „Okay.“

„Omi!“, rief Frosch glücklich und hielt ihrer Urgroßmutter Froschi hin.

„Sehr schön, Frosch, aber der sollte bei dir bleiben, sonst wird er traurig.“ Anna griff in ihre Handtasche und holte zwei kleine Päckchen hervor. Ein rosafarbenes gab sie Frosch, das blaue erhielt Lector. Als die Kinder die Geschenke auspackten, kam bei Frosch eine Kollektion an Haargummis, -klammern und –spangen zu Tage. „Eine junge Dame von Welt muss etwas aus ihren Haaren machen, dann müssen deine Väter eben dazu lernen“, war Annas Kommentar dazu. Lector bekam eine Panflöte mit der Begründung, dass eine musikalische Grundausbildung Pflicht für einen adretten, jungen Mann sei.

Neben Sting ächzte Rogue leise und zupfte an seinem Pferdeschwanz. Bisher hatte Frosch auch immer nur Pferdeschwänze getragen. Sie hatte nie nach anderen Frisuren gefragt, aber das würde sich jetzt garantiert ändern. Im Geiste ging Sting bereits durch, wen sie um Unterricht bitten konnten. Solange er sich erinnern konnte, hatte Yukino ihre Haare immer kurz getragen, also schied sie wohl eher aus. Blieben noch Minerva oder Lucy. Letztere hatte vom Gefühl her jedes Mal, wenn Sting sie sah, eine andere Frisur, bei der einfach jedes Haar perfekt zu sitzen schien, eben ganz die professionelle Geschäftsfrau. Dabei hatten ihr die offenen, flatternden Haare, die sie früher immer getragen hatte, auch gut zu Gesicht gestanden. Minerva hatte nur eine kleine Auswahl an Frisuren. Für den Dienst in der Kaserne flocht sie ihre Haare immer. Das war wohl noch das Einfachste. Die Frage war nur, was Sting und Rogue auf sich nehmen mussten, damit ihre Freundin ihnen zeigte, wie sie Frosch die Haare flechten konnten…

Als Anna sich ihm und Rogue zuwandte, straffte Sting unwillkürlich die Schultern. Seine Großmutter war einschüchternder als jeder Lehrer und jeder Ausbilder während seines Wehrpflichtjahrs, mit dem er es je zu tun bekommen hatte.

„Das sind gute Kinder, Sting, ich bin stolz auf dich“, erklärte Anna gnädig und überreichte ihm einen Umschlag. „Alles Gute zur Hochzeit und zur Vaterschaft.“

„Ähm… danke…“

Langsam öffnete Sting den Umschlag. Darin befanden sich zwei Sparbücher, die für Lector und Frosch angelegt worden waren. „Eine gute Ausbildung kostet viel und es soll den Beiden schließlich an nichts mangeln“, erklärte die alte Dame resolut.

Das alles war so typisch für sie. Anna Eucliffe war nun einmal in einer anderen Zeit aufgewachsen, in der man noch weniger Möglichkeiten gehabt hatte und in der eine gute Ausbildung oft vom Geld abgehangen hatte. Heute hatte man da viele Förderungen zur Verfügung und die Studiengebühren waren auch nicht mehr so hoch, dennoch würde das Geld auf diesen Sparbüchern sicher irgendwann nützlich sein und Sting war seiner Großmutter wirklich dankbar dafür.

Dann wurden ihnen noch mehr Umschläge hingehalten. „Sting hat mir erzählt, dass du sehr gut kochen kannst, Rogue“, sagte Anne an den Schwarzhaarigen gewandt.

„Hat er, ja?“, fragte dieser und für einen Moment funkelten seine roten Augen amüsiert, ehe er dem Umschlag öffnete. Ein ziemlich hochdotierter Gutschein für einen edlen Feinkostladen kam zum Vorschein.

Neugierig öffnete Sting seinen Umschlag und fand zwei Karten für ein weltberühmtes Konzert in Crocus. „Ich würde euch ja anbieten, dafür bei mir zu übernachten, aber ihr zieht vielleicht ein Hotel vor…“ Die alte Dame machte eine vage Geste, von der Sting heilfroh war, dass seine Kinder sie nicht sahen.

„Danke, Großmutter“, stammelte er mit heißen Wangen und stand auf, um die alte Dame ungelenk zu umarmen.

„Kein Grund für Verlegenheit, ihr seid verheiratete Männer in den besten Jahren.“

Wo waren eigentlich die Löcher, die sich unter einem auftaten, wenn man sie mal wirklich brauchte? Sting freute sich, dass seine Großmutter, die immerhin zu einer Generation gehörte, in der Homophobie noch salonfähig gewesen war, überhaupt kein Problem mit seiner gleichgeschlechtlichen Ehe hatte, aber sie war nach Minerva, Lector und Frosch die letzte Person, mit der er über sein Sexleben reden wollte.

Nachdem Anna schließlich von ihm abgelassen und sich an seine Cousine Wendy gewandt hatte, um sie darüber auszuhorchen, wie es im Studium lief – sie hatte letztes Jahr ihr Lehramtsstudium begonnen –, ließ Sting sich mit einem Seufzer wieder neben seinen Mann plumpsen.

„Deine Großmutter ist der Hammer, Sting.“

Mit schalkhaft funkelnden Augen baute Minerva sich vor ihm und Rogue auf, hinter ihr Orga, Rufus und Lucy.

„Ja, ein Vorschlaghammer“, murmelte Rogue, der die Umschläge alle mit in die Kiste zu den anderen Geschenken legte, die sie bereits erhalten hatten.

Eigentlich hatten Sting und Rogue nur im kleinsten Kreis feiern wollen, weil sie für mehr einfach nicht das Geld hatten, aber ihre Väter hatten kurzerhand die Organisation und die Kosten der Party übernommen. Als Hochzeitsgeschenk, hatten sie gesagt, aber Sting hatte so das Gefühl, dass die Beiden noch nicht fertig mit ihnen waren.

„Danke, Tante Mi!“, rief Lector glücklich, gefolgt von lautem Trommeln.

Sting stöhnte entsetzt, als er sah, dass jedes seiner Kinder mit einer Spielzeugtrommel ausgestattet war. Beide waren hellauf begeistert und trommelten bereits wild herum.

„Warum bestraft du mich mit?“, wandte Rogue sich wehleidig an die Schwarzhaarige. „Er war es doch, der dich und Yukino zum Standesamt zitiert hat.“

„Mit gefangen, mit gehangen“, erwiderte Minerva gnadenlos.

„Hey, es gibt Leute, die so etwas romantisch finden!“, protestierte Sting und blies beleidigt die Wangen auf.

„Durch die halbe Stadt zum Standesamt gezerrt zu werden, um spontan zu heiraten?“, hüstelte Rufus und Lucy kicherte amüsiert.

„Ihr seid ja solche Banausen!“

Ein Pfiff lenkte alle Aufmerksamkeit auf den Kücheneingang hinter der Bar, wo jetzt Loke rückwärts heraus kam, ihm folgte ein Meisterwerk von einer Torte, die an der anderen Seite von Yukino balanciert wurde. Die Torte war vierstöckig, mit weißem Fondant überzogen, geschmückt mit knallgrünen Fröschen aus Fondant, die sich teilweise zwischen kunstvollen Seerosenblüten aus Fondant versteckten. Bunte Zauberwürfel, Bücher und Noten aus Fondant tanzten an den Wänden der einzelnen Geschosse und ganz oben auf waren ein schwarzer Drache, ein weißer Drache, ein rotbrauner Wolf und ein grüner Frosch.

„Das ist von Yukino, Loke und mir“, erklärte Lucy lächelnd. „Auch wenn Yukino die Hauptarbeit geleistet hat.“

„Gar nicht wahr, ihr habt unglaublich viel geholfen“, wehrte Yukino verlegen ab und hätte beinahe eine Hand von der Tortenplatte genommen. Loke dirigierte seine Freundin zum Tisch. Als die Torte sicher stand, wandte er sich grinsend an Sting und Rogue.

„Hört nicht auf Yukino, wir waren nicht mehr als niedere Küchenhelfer, sie hat uns ganz schön gescheucht.“

„Loke!“

„So eine ist Yukino also“, sagte Minerva und wackelte anzüglich mit den Augenbrauen.

„Minerva!“

Lucy lachte laut und ausgelassen und die Anderen stimmten ein. Sting sprang wieder auf die Füße und zog erst Yukino, dann Lucy in eine stürmische Umarmung. Seine Cousine wirkte heute losgelöst und heiter. Sie hatte einen guten Tag. Wahrscheinlich hatte es ihr wirklich gut getan, für die Torte so viel Zeit mit Loke und Yukino zu verbringen. Die Beiden verhielten sich auch viel entspannter als früher in Lucys Gegenwart. Die Wogen schienen sich allmählich endgültig zu glätten. Lange genug hatte es ja gedauert und das, obwohl Lucy dem Paar nie irgendwelche Vorwürfe gemacht hatte.

„Tante Yu, darf ich ein Stück haben?“ Lector stand mit leuchtenden Augen vor der Torte – wie sollte es auch anders sein?

„Erst müssen Sting und Rogue ihn gemeinsam anschneiden“, erklärte Yukino energisch und zog ein Schleifenband hervor.

„Wieso das denn?“, fragte der Junge irritiert.

„Das ist so Tradition“, war die sehr ernsthafte Antwort.

„Komisch.“

„Du sagst es, Lector, aber deine Tante Yu wird böse mit uns, wenn wir nicht artig sind“, seufzte Sting ergeben und er und Rogue hielten ihre rechten Hände übereinander, damit Yukino sie zusammen binden konnte.

„Ihr seht doof aus“, kommentierte ihr Sohn freiheraus.

„Gut erkannt. Daran wirst du dich noch gewöhnen müssen“, sagte Minerva und klopfte ihrem Patensohn auf die Schulter.

„Sei ruhig, Tante Mi“, brummte Sting.

„Du darfst sie nicht so nennen, Papa!“

Unter Yukinos leuchtenden Augen und dem Grinsen der Anderen schnitten Sting und Rogue ein großes Stück aus dem unteren Tortenboden, der mehrschichtig war, unten Schokoladenkuchen, dann eine Buttercreme, dann wieder Schokoladenkuchen, dann eine Himbeermarmeladenschicht und dann wieder Schokoladenkuchen. Sting hatte so eine Ahnung, dass die drei Bäcker schon seit gestern an diesem Meisterwerk gearbeitet hatten. Als das Stück endlich auf einem bereitgehaltenen Teller lag, griff Lector nach einer der Gabeln, die Lucy derweil geholt hatte.

Rogue löste mit der Linken den Knoten, der ihre Hände aneinander band, und nahm das Messer an sich, um danach den Kuchen alleine weiter zu schneiden. Sting hielt ihm immer die Teller hin und reichte sie dann an die einzelnen Gäste weiter, die sich in einer Reihe bei ihnen anstellten.

Die oberen Stockwerke der Torte waren ähnlich aufgebaut, wenn auch jeweils mit einer anderen Kuchenart. Der zweite Stock war mit rosa eingefärbten Kuchen ausgestattet, der dritte grün, der letzte weiß. Als alle Gäste ein Stück erhalten hatten, stand Lector mit seinem leeren Teller wieder neben der Torte und Sting gab ihm das Stück mit dem Fondant-Wolf von der Spitze – Frosch hatte natürlich auf das Spitzenstück mit dem Fondant-Frosch beharrt.

Die beiden Familienväter genossen noch ihre eigenen Stücke, als Minerva zu ihnen trat und ihnen einen Umschlag unter die Nase hielt. „Das ist unser Geschenk für euch.“

Sehr misstrauisch stellte Rogue seinen Teller beiseite und öffnete den Umschlag. Als er den Inhalt sah, hob er überrascht den Blick. „Ihr seid doch verrückt!“

„Na klar, anders würde man es mit euch Turteltauben gar nicht aushalten“, erwiderte Minerva und verdrehte die Augen. „Ein einfaches Danke hätte es auch getan.“

Sting rutschte auf der Bank näher an seinen Mann heran, um zu sehen, worum es ging. Es war ein Gutschein für einen einwöchigen Familienurlaub in den Bergen. Genau dort, wo Sting und Rogue ursprünglich zu zweit hatten Urlaub machen wollen, was sie aus Kostengründen ja storniert hatten.

„Minerva, das ist zu viel, das können wir doch nicht annehmen…“, zierte Rogue sich.

„Wir hätten doch meine Variante nehmen sollen“, schnaufte Minerva an die Anderen gewandt. „Dann hätte ich die Kinder bei mir gehabt, um ihnen etwas Ordentliches beizubringen, während die Beiden undankbaren Hohlköpfe hier sich das Hirn weg-“

„Minerva!“, rief Yukino mit knallrotem Gesicht. „Es sind Kinder im Raum!“

„Piepen“, endete die Schwarzhaarige ungerührt.

„Lass’ uns einfach in diesen Urlaub fahren und dann da bleiben, Rogue, unsere Kinder dürfen nie wieder in die Nähe dieser grässlichen Person“, schlug Sting mit feuerroten Wangen vor, was vor allem daran lag, dass die Vorstellung an ein komplettes Wochenende nur mit Rogue auch gar nicht so schlecht klang.

„Ein Jewel für Stings Gedanken“, murmelte Rufus süffisant grinsend. Der Blonde hätte ihm zu gerne eine uncharmante Antwort gegeben, aber ein sehr schmerzhafter Griff an seinem Knie ließ ihn verstummen.

Kichernd klopfte Lucy ihm auf die Schulter. „Nun ziert euch doch nicht so. Wir haben alle zusammen gelegt und ihr habt euch das wirklich verdient.“

Seufzend strich Sting sich eine Strähne aus der Stirn und sah reihum in die Gesichter seiner Freunde. Auch wenn sie sich die Kosten für diesen Urlaub geteilt hatten, hatte jeder einzelne von ihnen ganz schön tief in die Tasche gelangt, das war ihm sehr wohl klar. Und das, nachdem sie zuvor schon so viel für ihn und Rogue getan hatten. Er fragte sich, womit er sich so fantastische Freunde verdient hatte.

„Im Gegenzug müsst ihr jedem von uns eine Postkarte schicken“, insistierte Yukino eifrig, als Rogue den Umschlag zu den anderen Geschenken legte und aufstand, um sich reihum zu bedanken.

„Du und deine Postkarten“, neckte Loke seine Freundin, woraufhin diese errötete und ihm auf den Arm schlug.

Egal wie kurz Yukino verreiste, sie schickte ihren Freunden immer Postkarten und sie erhielt auch für ihr Leben gerne selbst Postkarten. Zum Glück hatte sie eine Schwester, die mit ihrem Team ständig in einem anderen Teil von Fiore stationiert war und sie daher regelmäßig mit neuen Postkarten beglücken konnte.

„Das war deine Idee, richtig?“, flüsterte Sting Minerva ins Ohr, als er sie umarmte.

„Nein, meine Idee war das Sexwochenende, Lucy meinte, ihr könntet nach all dem Rummel mit dem Umzug und der Prüfung und so mal eine Pause gebrauchen“, erwiderte Minerva flüsternd und für einen Moment verriet ihr Blick, was für eigene Gedanken sie sich dabei machte. Lucy könnte so eine Pause auch mal gebrauchen.

Als er sich auch bei Lucy mit einer Umarmung bedankte, drückte Sting sie etwas fester als nötig an sich, sagte jedoch nichts dazu. Er machte sich wirklich Sorgen um seine Cousine, aber sie war selbst so glücklich über die gelungene Überraschung, dass er sie jetzt nicht deswegen behelligen wollte. Aber irgendwann musste er noch mal versuchen, mit ihr darüber zu reden. Nach allem, was sie für ihn getan hatte, war er ihr das mehr denn je schuldig!

„Sting, Rogue, das hier war heute Morgen in unserem Briefkasten.“

Verwirrt drehten die Beiden sich um, als Shagotte zu ihnen trat. Mit ihren elegant geknoteten, weißen Haaren und der schlanken Statur wirkte sie ausgesprochen filigran, das völlige Gegenteil von ihrem muskulösen und dunkelhaarigen Mann Pantherlily. Sie war eine langjährige Freundin von Stings Tante Grandine und die Patin von Wendy. In gewisser Weise war sie für Sting auch beinahe eine Tante.

Die Kuratorin hielt ein kleines, ungeschickt eingewickeltes Päckchen in Händen, an welchem eine Karte hing. Als Rogue das Päckchen entgegen nahm und die Karte aufklappte, scharten sich die Freunde um ihn und Sting, um zu sehen, was es damit auf sich hatte. Die Karte war mit einer blockartigen Schrift beschrieben: Wurde ja auch Zeit, ihr Turteltauben. Lasst euch schön von Nerva ärgern.

„Von wem ist das?“, fragte Yukino Stirn runzelnd.

„Außer euch traut sich keiner, mich so zu nennen“, brummte Minerva. „Mach’ es auf, Rogue, vielleicht verrät ja der Inhalt mehr.“

Der Schwarzhaarige folgte der Anweisung und löste die Klebestreifen am Geschenkpapier. Zum Vorschein kam eine Packung alter Pokerkarten. Sie waren angegilbt und abgegriffen, aber sorgsam gehütet, keine Spur von Knicken oder Rissen oder auch nur von angestoßenen Ecken. Die Bilder waren mit Comicfiguren statt mit den klassischen Motiven versehen.

Auf einmal war Sting mulmig zumute und er klammerte sich mit einer Hand an den Arm seines Mannes. Dieser hob den Blick. Seine roten Augen waren extrem geweitet. Keiner der Anderen sagte etwas. Sie standen unter Schock.

„Das ist die mieseste Entschuldigung aller Zeiten“, krächzte Sting, als er endlich seine Stimme wieder gefunden hatte.

„Immerhin ist es überhaupt eine“, murmelte Rogue und wickelte sehr sorgsam die Karten wieder ein. Als er sie mit in den Geschenkkorb legte, zitterte seine Hand verräterisch. „Das erste Mal seit drei Jahren…“

Yukino schniefte leise und Loke schlang einen Arm um ihre Schultern, um sie fort zu führen. Immer noch benommen sah Sting ihnen hinterher und beobachtete, wie die Weißhaarige das Gesicht in den Händen barg und sich an ihren Freund lehnte. Orga und Rufus verzogen sich an die Bar und bestellten bei Pantherlily Bier. Sie brauchten offensichtlich einen Absacker nach dieser Neuigkeit. Nachdem sie kurz eine Hand auf Stings Arm gelegt hatte, entfernte sich auch Lucy. Ihre braunen Augen flackerten verräterisch und sie hatte es auf dem Weg zur Toilette eindeutig eilig.

„Er muss einen Grund gehabt haben“, sagte Minerva leise und legte sowohl Sting als auch Rogue je eine Hand auf die Schulter. „Den hatte er immer. Aber er ist wohl doch nicht vollkommen von der Bildfläche verschwunden. Vielleicht erklärt er es uns irgendwann.“

„Hoffentlich“, murmelte Sting matt.

Minerva klopfte ihnen beiden auf die Schulter und strebte dann auch der Bar zu, sodass die Ehemänner alleine blieben. Noch immer klebte Stings Blick an dem Päckchen mit den Karten. Wie oft hatte er diese Karten damals in Händen gehalten? Er war meistens abgezockt worden, aber, Himmel, an diesen Karten hingen so viele tolle Erinnerungen…

Ein Klopfen auf seiner Schulter veranlasste Sting, sich zu seinem Vater und Skiadrum herum zu drehen, die teilnahmsvoll lächelten, weshalb Sting sofort wusste, von wem sie geschickt worden waren. Typisch.

„Minerva meinte, wir seien jetzt dran“, erklärte Weißlogia und sein Freund hielt ihnen ein Paket entgegen, in dem sich eine kunterbunte Kollektion an Bilderrahmen befand, die Bilder von Sting, Rogue und den Kindern enthielten.

Einige der Bilder erkannte Sting wieder. Da war auch das Bild von ihm und Rogue vom Morgen nach seinem achtzehnten Geburtstag. Ein Bild von ihm als Dreijähriger auf dem Schoß seiner Mutter am Klavier. Ein Bild von Baby-Rogue in den Armen seiner Mutter, einer wunderschönen Frau mit braunen Haaren, dunklen Augen und zierlicher Statur. Sie war kurz nach Rogues Geburt gestorben, aber Sting wusste, dass Rogue ihr Andenken immer in Ehren gehalten hatte. Bilder von Sting und Rogue mit ihren Vätern, Einzelbilder von Lector und Frosch. Ein Gruppenbild, das nach dem erfolgreichen Umzug gemacht worden war. Bilder von Stings und Rogues Freundeskreis.

„Wir haben gesammelt“, erklärte Skiadrum lächelnd.

Als Rogue ein Bild heraus zog, auf dem er und Sting mit den Kindern in Winterjacken aneinander gekuschelt im Frachtraum eines Transporters lagen, überkam Sting eine Ahnung und er blickte hastig zu Minerva, aber die hatte ihm den Rücken zugedreht und war verräterisch schwer damit beschäftigt, Frosch zu zeigen, wie sie besonders laut trommeln konnte. Sting tauschte einen verblüfften Blick mit Rogue aus. Nie im Leben hätte er gedacht, dass die vielen kitschigen Bilder von ihnen auf Minervas Kappe gegangen waren!

Weißlogia reichte ihnen als nächstes einen Zettel, auf dem ein Termin in einer Woche gekritzelt war. „Den müsst ihr euch frei halten, an dem Tag wird das Klavier angeliefert.“

„Das Kla… Pa, das ist doch Mas Klavier!“, rief Sting mit großen Augen.

„Und sie hätte gewollt, dass ganz viel darauf gespielt wird. Natürlich würde ich mich freuen, wenn ihr dennoch oft mit den Kindern vorbei kommt, aber so kann Frosch auch viel einfacher üben und jetzt habt ihr ja auch ein Wohnzimmer, das groß genug dafür ist“, erwiderte Weißlogia mit einem ungewohnt sanften Lächeln.

Sting fehlten die Worte. Er liebte diese Klavier abgöttisch und als er mit Rogue in die erste gemeinsame Wohnung gezogen war, hatte er es zugegebenermaßen wirklich vermisst, nicht mehr jederzeit Klavier spielen zu können, aber sie hatten wirklich keinen Platz für ein Klavier in der alten Wohnung gehabt und obendrein war ein Klaviertransport schweineteuer.

Erst als Rogue vortrat und erst seinen eigenen Vater und dann seinen Schwiegervater umarmte, riss Sting sich aus seiner Starre und tat es ihm gleich. Danach musste Sting sich hastig über die Augen wischen.

All diese Geschenke hatten ihn ganz schön aufgewühlt. Es bedeutete ihm unglaublich viel, dass seine Freunde und Verwandten sich so viele Gedanken um ihn und Rogue gemacht hatten und dass sie sich die Zeit genommen hatten, um hier mit ihnen zu feiern. Sogar der Partymuffel Gajeel war da und hielt seinen einjährigen Sohn Gad auf dem Schoß, der ihm abgesehen von den blauen statt schwarzen Haaren wie aus dem Gesicht geschnitten war, während seine Frau Levy angeregt mit ihrer besten Freundin Lucy plauderte, welche sich nach einigen Minuten auf der Toilette wohl wieder gefangen hatte. Nur Gajeels jüngere Schwester Juvia fehlte, aber wer mit Zwillingen hochschwanger war, brauchte keine weitere Entschuldigung – und sie hatte ihnen von Gajeel selbstgestrickte Handpuppen für die Kinder und feinmaschige, warme Handschuhe für die gesamte Familie überreichen lassen.

Pantherlily und Kinana gaben das Buffet frei, das sie während der langwierigen Geschenkeübergabe aufgebaut hatten. Drei Tische waren dafür zusammen geschoben worden und trugen jetzt eine kunterbunte Auswahl an Salaten, Aufläufen, Pasteten, Snacks, Aufstrichen, Broten und dergleichen mehr. Jeder der Gäste hatte etwas für das Buffet mitgebracht und Pantherlily hatte auch noch mal einiges dazu gegeben, ebenso wie die Getränke.

Natürlich war Lector als erster am Buffet, begleitet von seiner Patentante Minerva, die sich mit ihm zusammen durch alle Gerichte durch probierte. Frosch hielt sich während des Essens bei ihren Vätern auf. Als nach dem Essen die Musik aufgedreht wurde, klatschte sie begeistert in die Hände und wiegte sich hin und her. Euphorisch, wie er war, stand Sting auf, schnappte sich seine Tochter und ging mit ihr auf die Tanzfläche.

Man konnte das, was Frosch machte, kaum Tanzen nennen. Es war ein wildes Herumgehüpfe und –gedrehe, aber sie war mit ganzem Herzen bei der Sache und Sting ließ sich von ihrer Begeisterung gleich noch mehr anstacheln. Ausgelassen drehte er sich mit ihr, zeigte ihr einfache Tanzschritte und wirbelte sie mehrmals wild in der Luft herum, was ihr jedes Mal ein lautes Jauchzen entlockte.

Während die meisten anderen Gäste auch irgendwann auf die Tanzfläche kamen – Lucy tanzte mit ihrem Onkel Weißlogia und Levy hatte den kleinen Gad ihrem Schwiegervater in die Arme gedrückt, um den widerwilligen Gajeel auf die Tanzfläche zu ziehen –, blieb Rogue jedoch beharrlich neben dem Geschenkkorb sitzen und auch Lector machte keine Anstalten, von Minervas Seite zu weichen, obwohl er endlich nicht mehr kaute.

„Wie wäre es, wenn du deinen Papi zum Tanzen aufforderst und ich hole deinen Bruder?“, raunte Sting seiner Tochter zu, nachdem er sie zum Abschluss eines Liedes wieder herum gewirbelt hatte.

„Frosch denkt auch!“, rief das Mädchen begeistert und klatschte wild in die Hände. Als Sting sie absetzte, rannte sie sofort zu Rogue und streckte bettelnd die Hände nach ihm aus. Der Schwarzhaarige lächelte gezwungen und stand auf, um sich von seiner Tochter auf die Tanzfläche ziehen zu lassen.

Zufrieden grinsend tänzelte Sting zu Minerva und Lector. Die Schwarzhaarige hob die Augenbrauen an. „Frosch als Lockvogel, sehr gerissen.“

„Der Zweck heiligt die Mittel“, erwiderte Sting erhaben und griff nach den Händen seines Sohnes, der eine wenig begeisterte Miene machte. „Ach ja…“ Er beugte sich weiter vor, damit nur Minerva ihn hören konnte. „Danke für die Bilder und für alles andere, du Mega-Softie.“

Ohne abzuwarten, wie seine Freundin darauf reagierte, zog er Lector mit sich auf die Tanzfläche. Mit verbissenem Ernst versuchte der Junge, die Tanzschritte zu meistern. Er war eindeutig nicht so begeistert wie seine Schwester, aber er gab sich redliche Mühe – Sting hatte den starken Verdacht, dass Lector das Mädchen einfach nicht enttäuschen wollte, wenn es ihn zum Tanzen auffordern sollte.

Aus dem Augenwinkel beobachtete Sting, wie Yukino und Lucy Partnerwechsel machten und einander dabei in die Hände klatschten. Loke und Lucy zogen das Tempo an und wirbelten ausgelassen lachend über die Tanzfläche, während Yukino mit Weißlogia etwas gemütlicher tanzte und sich dabei angeregt mit ihm unterhielt.

Mit einer galanten Verbeugung forderte Rufus Stings Cousine Wendy zum Tanzen auf, woraufhin diese heftig errötete, während Orga kurz mit Pantherlily redete und dann Kinana auf die Tanzfläche zog. Skiadrum lud Anna galant auf ein Tänzchen ein, die hoheitsvoll annahm. Und Rogue tanzte ausgesprochen souverän mit einer noch immer quirligen Frosch.

So sehr Rogue sich auch davor zieren mochte, er war ein ausgezeichneter Tänzer. Leider kam Sting nur selten in den Genuss, mal mit ihm zu tanzen, weil sein Mann immer versuchte, sich von solchen Festlichkeiten fernzuhalten. Er hatte da einfach zu viele Hemmungen, aber bei Frosch hatte er natürlich nicht ablehnen können. Das Mädchen hatte ihn vom ersten Tag an in der Hand gehabt.

„Papa, willst du mit Pa tanzen?“

Überrascht blickte Sting auf seinen Sohn hinunter, der treuherzig zu ihm aufblickte.

„Dann tanzt du mit Fro?“ Ernst nickte der Junge und impulsiv hob Sting ihn hoch, um ihn an sich drücken zu können. „Du bist der beste Sohn auf der ganzen, weiten Welt. Ich habe dich lieb!“

„Ich dich auch, Papa“, murmelte Lector verlegen und erwiderte die Umarmung.

Sting setzte ihn wieder auf die eigenen Füße und führte ihn tanzend an den anderen Paaren vorbei bis zu Rogue und Frosch, die so in den gemeinsamen Tanz vertieft waren, dass sie die Annäherung nicht bemerkten. In einer Drehung fing Sting seine Tochter ab, herzte sie überschwänglich, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und schob sie dann in Lectors erwartungsvolle Arme. Der ergriff sehr ernsthaft ihre kleinen Hände und tanzte mit ihr weiter. Überglücklich fügte das Mädchen sich in diesen Partnerwechsel und tanzte nun genauso ausgelassen mit seinem Bruder.

Mit einem breiten Lächeln wandte Sting sich an seinen Mann, über dessen Wangen sich ein Rotschimmer legte. „Das hast du von Anfang an geplant, gib es zu!“, brummte Rogue, wehrte sich jedoch nicht, als Sting ihn zum Tanz aufforderte.

„Was soll ich zugeben, dass ich an diesem Abend mit jedem aus meiner Familie tanzen möchte?“, lachte Sting und drehte sich stürmisch mit Rogue, was diesen jedoch nicht eine Sekunde lang aus dem Tritt brachte. „Schuldig im Sinne der Anklage.“

Die Musik wechselte auf ein langsameres Lied. Schmunzelnd beobachtete Sting, wie Frosch mit ihrem Bruder kuschelte, der sich unbeholfen mit ihr auf der Stelle drehte, sie jedoch keine Sekunde lang los ließ. Yukino und Lucy tauschten wieder. Eng umschlungen tanzte Yukino mit ihrem Freund und küsste ihn dabei von Zeit zu Zeit, während Lucy sich zu Minerva gesellte und Weißlogia mit seiner Mutter zur Bar zurückkehrte, wo Metallicana seinen Enkel Gad auf den Knien schaukelte.

Rogues Vater war auch auf dem Rückweg zur Bar, als ein breit grinsender Weißlogia seine Schwester Grandine in dessen Arme schob. Skiadrum fügte sich bemerkenswert schnell in sein Schicksal und führte die Ärztin auf die Tanzfläche, wo sie die Arme um seinen Hals legte und sich im Takt wiegte.

Dann richtete Sting seine volle Aufmerksamkeit auf Rogue. Unter dem schwarzen Hemd, dessen obere zwei Knöpfe offen waren, erkannte Sting die silberne Kette mit dem Ring. Er wusste, dass sein Mann die Kette nur zum Duschen abnahm, und er verfuhr ebenso. Auch wenn sie dieses äußeren Zeichens gar nicht bedurften, um zu wissen, dass sie zusammen gehörten, irgendwie gab es Sting doch ein gutes Gefühl, das Metall auf seiner Haut zu fühlen und zu wissen, dass sein Mann zu jeder Zeit genau dasselbe Gefühl verspürte.

„Das hätte ich vor zehn Jahren nicht geglaubt“, sagte Rogue sanft und zog Sting enger an sich.

„Was? Dass wir einmal zwei Kinder adoptieren und heiraten würden?“, fragte der Blonde, der nicht mehr den Blick von den Augen seines Mannes abwenden konnte.

„Das auch“, schmunzelte Rogue und gab Sting einen flüchtigen Kuss, was diesen beinahe aus dem Takt brachte. „Ich hätte vor allem nie geglaubt, dass alles, was ich brauche, du bist.“

Eine wohlige Gänsehaut bildete sich auf Stings Armen und er musste den Kloß in seinem Hals herunter schlucken. Vor zehn Jahren war er Rogue in die Arme gerannt und vom ersten Augenblick an hatte er gewusst, dass dieser attraktive Schwarzhaarige etwas ganz Besonderes war, aber er hätte sich nicht einmal im Ansatz vorstellen können, wie besonders er war.

„Rogue…“ Stings Stimme war heiser und er hielt mitten im Takt inne, um seinen Mann noch enger an sich ziehen zu können. Es schien diesen nicht im Mindesten zu überraschen. Seine Arme legten sich fester um Stings Körper und sein Gesicht kam ihm immer näher. „Ich liebe dich!“

Die einzige Antwort war ein Kuss, lang und gefühlvoll und mit einem Hauch von Unendlichkeit…

Hüpfe noch einmal – und ihr seid komplett

Die einzigen Geschöpfe, die weit genug entwickelt sind, um reine Liebe auszudrücken, sind Hunde und Kleinkinder.

Johnny Depp

Wenn Rogue an einem Freitagnachmittag nach Hause kam, war der Erste, der ihn begrüßte, immer Lector – in der Hoffnung, dass Rogue ihm etwas aus dem Tarte au Stellar mitgebracht hatte. Dicht gefolgt von seiner Schwester, die sich einfach nur freute, ihren Vater zu sehen, und begierig darauf aus war, ihm von den Ereignissen des Tages zu erzählen. Zuletzt kam immer Sting mit funkelnden Augen und diesem Raubtiergang, der Rogue jedes Mal aufs Neue eine Gänsehaut bescherte.

So lief es seit mehr als einem halben Jahr ab, seit sie Vier in der neuen Wohnung lebten, und Rogue konnte wirklich nicht behaupten, dass ihn etwas daran störte. Sie waren ein eingespieltes Team, sie hatten ihre Traditionen, ihre Macken. Eine Familie eben. Weder die rechtskräftige Adoption noch die Heirat hatten etwas daran geändert. Sie hatten lediglich dazu beigetragen, diesen Status quo aufrecht zu erhalten und zu festigen.

Vor einem Jahr hätte Rogue sich nicht träumen lassen, dass sein Leben sich so rasant ändern würde, aber er war von ganzem Herzen glücklich mit seinem Mann und den gemeinsamen Kindern. Er hatte den Job, auf den er immer hin gearbeitet hatte. Seinen Freunden ging es gut – hey, Minerva hat es endlich geschafft, offen zu zugeben, dass sie mit Laxus zusammen war, nachdem sie noch zwei Monate versucht hatte, zu verheimlichen, dass aus ihrer Sexbeziehung mit dem Soldaten mehr geworden war, und Loke hatte Yukino vorletzte Woche einen filmreifen Heiratsantrag gemacht. Seine Familie war wohlauf – seine Cousine Juvia hatte ein gesundes Zwillingspärchen auf die Welt gebracht, sein Cousin Gajeel würde in sieben Monaten ein zweites Mal Vater werden, und soweit Rogue die Zeichen deutete, lief es für seinen Vater mit einer gewissen Ärztin auch gar nicht mal so schlecht.

Soweit es also Rogue betraf, war sein Leben perfekt.

Am heutigen Freitag allerdings wurde Rogue nicht von Lector begrüßt, als er die Wohnungstür aufschloss. Um genau zu sein, wurde er gar nicht begrüßt und das, obwohl er aus dem Wohnzimmer ganz deutlich das Lachen seiner Familie hören konnte. Mit einem verwirrten Stirnrunzeln schlüpfte er aus seinen Schuhen und stellte sie ordentlich auf die Ablage, ehe er zur Wohnzimmertür ging, die aus irgendeinem Grund geschlossen war.

Im Wohnzimmer saß Sting im Schneidersitz auf dem Teppich und beobachtete lachend, wie seine Kinder mit einem… Welpen spielten. Ein kleines, plüschiges Knäuel von grauer Farbe, die zum Bauch und zur Schnauze hin zu Weiß aufhellte, während über die Wirbelsäule ein beinahe schwarzer Strich verlief, und mit braunen Augen. Rogue verstand bei weitem nicht so viel von Hunden wie sein Mann, aber selbst er erkannte, dass der Vierbeiner noch extrem jung war, wahrscheinlich noch nicht einmal in dem Alter, in dem Welpen normalerweise von ihren Müttern entwöhnt wurden.

Mit einem Klopfen am Türrahmen machte Rogue sich bemerkbar. Der Erste, der zu ihm eilte, war der Welpe, während die Kinder und Sting ihn verblüfft anstarrten. Der kleine, pummelige Fellball schlitterte über das Parkett und stolperte über Rogues Füße, ehe er sich auf sein Hinterteil setzte, den neuen Zweibeiner ankläffte – oder es zumindest versuchte, es war vielmehr ein Fiepen – und mit seinem Stummelschwanz auf den Boden klopfte.

„Was machst du denn schon hier?“, fragte Sting überrascht.

„Ich wohne hier?“, schlug Rogue trocken vor. „Auch um diese Uhrzeit.“

Verwirrt blickte Sting auf seine Armbanduhr hinunter, die schon seit einer Woche nicht mehr funktionierte, dann blickte er zur Wanduhr über dem Klavier und seine Lippen bildeten ein großes O. „Tut mir Leid, Rogue, ich habe völlig die Zeit vergessen“, sagte Sting mit einem verlegenen Grinsen und rappelte sich auf.

„Ich weiß auch, wieso“, murmelte Rogue und blickte wieder auf den Welpen hinunter, der ihn erwartungsvoll anstarrte.

Lector und Frosch schienen sich endlich wieder zu erinnern, dass Rogue ihr Vater war. Sie sprangen auf die Beine und eilten zu ihm. Die fröhlichen Rufe der Kinder stachelten den Welpen noch mehr an und er sprang an ihren Beinen hoch und kläffte noch lauter und höher. Ein wenig überfordert ging Rogue in die Hocke, drückte jedes seiner Kinder kurz an sich und erbarmte sich dann, den Welpen hinterm Ohr zu kraulen, der daraufhin vor Freude fast ausflippte.

„Wollt ihr Drei mir vielleicht erklären, woher dieser Hund kommt?“, fragte Rogue und blickte von einem begeisterten Gesicht zum nächsten.

„Gefunden!“, rief Frosch und riss die Arme hoch.

„Wir waren auf dem Heimweg und mussten diese blöde Baustelle am Rathaus umgehen und in einer Seitengasse haben wir eine Transportbox mit der Kleinen hier gefunden“, erklärte Sting.

„Ein Mädchen! Wie Frosch!“, rief Frosch und hüpfte vor Aufregung auf der Stelle.

Rogue wusste ganz genau, dass er in dieser Familie nicht die Hosen anhatte. Wenn Frosch ihn um etwas bat, wurde er nur selten nicht schwach. Frosch zuliebe hatte er sich aller Hänseleien zum Trotz von Minerva das Zöpfeflechten beibringen lassen. Frosch zuliebe tanzte er auf jeder Party. Er war im Grunde Wachs in ihren winzigen Händen. Nicht dass es Sting da anders ginge, der war ihrer gemeinsamen Tochter genauso verfallen. Lector ja auch. Frosch hatte einfach etwas an sich, das sie die Herzen aller im Sturm erobern ließ.

Aber das hier war wirklich fies. Er kam nach Hause und die Familie hatte einen Hund. Er hatte überhaupt keine Chance gehabt, irgendwelche Präventivmaßnahmen einzuleiten und jetzt würde er den Teufel tun, irgendwelche Einwände zu erheben. Es war doch jetzt schon absehbar, dass Frosch den Hund behalten wollte.

„Was ist, wenn sie irgendwelche Krankheitserreger mit sich rumschleppt?“, wandte er dennoch ein und sah vorwurfsvoll zu seinem Mann auf.

„Wir waren schon beim Tierarzt und haben sie durchchecken lassen“, erklärte dieser stolz.

Seufzend richtete Rogue sich wieder auf. Der Welpe fiepte empört und richtete sich auf, die Vorderpfoten an Rogues Schienbein abgestützt. Rogue spürte, wie sein innerer Widerstand dahin schmolz. Das war wie Frosch in Hundegestalt. Echt unfair!

„Wir haben vom Tierarzt ein Notfallkit bekommen. Die Kleine braucht noch Welpenmilch. Das, was wir haben, reicht für das Wochenende“, fuhr Sting fort.

„Pa, sie darf doch bei uns bleiben, richtig?“, fragte Lector und schielte unter seiner Schirmmütze, in die er schon seit einer Weile vernarrt war, flehend zu Rogue auf. „Sie hat doch kein Zuhause.“

Rogue lag die Frage auf der Zunge, ob der Welpe stubenrein war, aber er konnte sich die Antwort schon denken – und wenn er mal ehrlich war, war ihm das auch egal. Streng genommen war Frosch damals auch nicht stubenrein gewesen, aber das war kein Grund gewesen, ihr böse zu sein oder sie gar weniger zu lieben.

„Okay, aber damit das klar ist: Sie darf nicht in die Betten, solange sie nicht stubenrein ist, und keine Hundehaare in meiner Küche!“, erklärte er kategorisch und vermied dabei jeden Blick in Froschs Richtung, damit er gar nicht erst Gefahr lief, sich von ihr zu noch mehr Zugeständnissen erweichen zu lassen. „Sonst kann ich nicht mehr kochen“, fügte er einer Eingebung folgend schnell hinzu.

„Na gut“, beeilte Lector sich zu sagen.

„Spielt noch ein bisschen mit der Kleinen, ich helfe Rogue beim Kochen“, erklärte Sting mit zuckenden Mundwinkeln.

„Wirklich?“, fragte Lector zweifelnd, woraufhin Sting ihn in den Schwitzkasten nahm und seine Haare zauste.

„Soll das etwa eine Beschwerde sein?“

Lector entwand sich aus dem lockeren Griff und hob seine heruntergefallene Mütze wieder hoch, ehe er zu Rogue hoch blickte. „Du passt auf?“

„Als ob ich deinen Vater an meinen Herd lassen würde“, schnaubte Rogue. „Pass’ du hier auf. Lass’ die Kleine nicht aufs Sofa klettern, das ist zu hoch für sie.“

Nachdem auch Lector sich wieder dem Welpen zugewandt hatte, ging Rogue zunächst ins Schlafzimmer, um seine Tasche dort abzuladen. Statt gleich zu Sting in die Küche zu gehen – wahrscheinlich schmollte der jetzt, aber er würde sich schon wieder beruhigen –, klappte Rogue seinen Laptop auf und suchte im Internet heraus, bei welchem Amt man eigentlich einen Hund anmelden musste. Das lag sogar auf seinem Arbeitsweg, stellte er fest.

Als er in die Küche kam, hing sein Mann wie ein gescholtener Bengel auf seinem Stuhl, das Gesicht mit beiden Händen abgestützt. „So schlecht koche ich auch nicht!“

„Bissfeste Nudeln und eine aufgewärmte Bolognese aus der Dose sind kein Kochen“, erwiderte Rogue trocken und öffnete den Kühlschrank, um die benötigten Zutaten für die heutige Mahlzeit heraus zu holen.

„Du kannst ja so grausam sein.“

„Gleichfalls. Du hättest mich ja wenigstens vorwarnen können.“

„Du hast es mir versprochen!“

Verwirrt drehte Rogue sich zu seinem Mann herum. In den letzten Monaten war kein einziges Mal die Sprache auf die Anschaffung eines Hundes gekommen, da war er sich sehr sicher. Sie hatten mit dem Umzug und dem Adoptionsverfahren genug um die Ohren gehabt und ihre Finanzen hatten sich auch noch nicht voll und ganz von den vielen Extraausgaben erholt. Da war an einen Hund gar nicht zu denken gewesen.

„Am ersten Abend als die Kinder hier waren“, half Sting nach, seine Augen funkelten vergnügt. „Du hast gesagt, wenn ich einen ausgesetzten Welpen in einer Kiste finde, darf ich ihn behalten. Und eine Transportbox ist eine Kiste.“

Rogues Kinnlade klappte herunter. Wie kam es, dass sein Mann, der schon seit einer Woche eine nicht funktionierende Armbanduhr trug und der sich nicht einmal seine eigene Handynummer merken konnte – oder wollte –, sich ausgerechnet an so etwas erinnern konnte, was Rogue vor Urzeiten nur so dahin gesagt hatte?

Lachend kam Sting um den Tisch herum und gab Rogue einen Kuss, ehe er ihm die Zutaten abnahm. „Also ist es beschlossene Sache?“

„Als ob mir da überhaupt eine Wahl bliebe“, murmelte der Schwarzhaarige und wandte sich wieder den Schränken zu, um eine ausreichend große Auflaufform heraus zu suchen. „Aber das mit der Küche habe ich ernst gemeint.“

„Habe ich gemerkt, sehr ausgefuchst von dir, mit Arbeitsverweigerung zu drohen, damit hast Lector gleich für deine Zwecke rekrutiert“, gluckste Sting und begann damit, die Kartoffeln zu schälen.

„Der Zweck heiligt die Mittel.“

„Das ist mein Spruch.“

Im einvernehmlichen Schweigen bereitete sie das Essen zu und lauschten dabei dem fröhlichen Kindergelächter im Nachbarzimmer, das vom Fiepen des Welpen begleitet wurde. Ganz unbewusst musste Rogue dabei lächeln.

Während der Auflauf im Herd stand, ging Sting mit dem neuen Familienmitglied für eine kurze Runde nach draußen und die Kinder gesellten sich zu Rogue in die Küche, der seinen Laptop geholt hatte und sich eine Liste anlegte, worum sie sich alles kümmern mussten. Sie brauchten eine Hundehaftpflichtversicherung, sie mussten Hundesteuer bezahlen, sie mussten sich um die Impfungen und Wurmkuren kümmern, sie mussten den Vermieter informieren und dann auch noch all die Anschaffungen. Gut, das meiste konnten sie sicherlich auch erst einmal von Weißlogia kriegen und zur Hundeschule mussten sie auch nicht, immerhin war Sting der Sohn eines Hundetrainers.

Um sicher zu gehen, dass es kein Hund war, für den es Sonderauflagen gab, suchte Rogue eine Weile herum, bis er schließlich heraus fand, dass es sich bei der kleinen Hündin um einen Pergrande Malamute handelte, eine sehr robuste Rasse, die früher als Schlittenhund verwendet worden war und in Pergrande auch heute noch dafür im Einsatz war. Laut den Informationen, die Rogue fand, waren Malamute die perfekten Familienhunde, treu und anhänglich und sehr verspielt. Na, wenn das mal nicht passte.

Da er an seinem Grundsatz, dass der Hund nicht in die Küche durfte, festhalten, aber auch nicht so grausam sein wollte, das Tierchen komplett alleine zu lassen, ließ Rogue sich erweichen, dass sie im Wohnzimmer aßen. Dank Stings Ermahnung, dass die kleine Hündin krank werden könnte, wenn die Kinder ihr etwas von ihren Tellern fütterten, war auch für die Hygiene gesorgt. Nachdem der Welpe ein paar Minuten um den Tisch herum getrottet war, rollte er sich auf der Decke ein, die Sting für ihn ausgebreitet hatte, und ließ schon nach kurzer Zeit ein beeindruckendes Schnarchen hören, das Lector in sein Essen schnauben ließ.

„Habt ihr eigentlich schon einen Namen für die Kleine?“, fragte Rogue, als er schließlich die Teller zusammen stellte, nachdem sowohl Sting als auch Lector noch Nachschlag genommen hatten.

„Ich habe einen“, erklärte Sting im Brustton der Überzeugung. „Wir nennen sie Minerva!“

„Minnie!“, rief Frosch glücklich, was den Welpen müde den Kopf heben ließ.

Rogue fasste sich an die Stirn und unterdrückte ein Stöhnen. Frosch und Lector mochten die Hündin Minnie nennen, aber der Schwarzhaarige wusste jetzt schon, dass sein Mann nicht davon abzubringen war, das Tier nach ihrer gemeinsamen Freundin zu benennen. Ob er jemals damit aufhören würde, Minerva zu ärgern?

Seufzend stützte Rogue sein Kinn mit einer Hand ab und beobachtete, wie Sting und die Kinder unter vielen Späßen den Tisch abräumten. Ob verheiratet und Vater oder nicht, gewisse Dinge an Sting würden sich wohl nie ändern.

Aber das war auch gut so.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Übrigens habe ich anfangs geglaubt, dass diese Geschichte mit einem OS von um die 15.000 Wörtern zu erzählen wäre, mittlerweile hat dieser OS allerdings fast 50.000 Worte, deshalb habe ich ihn in mehrere Kapitel unterteilt. In den nächste zweieinhalb Monaten könnt ihr euch also darauf freuen, jeden Montag ein Kapitel zu lesen ;)

Ich würde mich sehr über Kommentare freuen. Insbesondere ob mir das Verhalten der Kinder richtig gelungen ist und ob Sting und Rogue nicht zu kitschig drauf sind^^'

Bis nächste Woche!
LG
Yosephia Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Anspielungen auf Laxerva und auf Lucys Zustand sind extra nebulös gehalten. Wie der Crash von Minerva und Laxus ausgegangen ist, wird in einer anderen Fic erzählt werden. Und Lucys "Heilung" bekommt auch eine eigene Fic.

Ich habe dass Gefühl, dass Lector in der ersten Szene zu erwachsen ist... Help! >__< Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und ups, hatte Minerva da ein Date? Verrate ich nicht XP
Das kommt in einer eigenen Fic ganz alleine für Laxerva!

Die Szene auf der Yacht war echt ein schwerer Brocken, darüber habe ich lange gegrübelt. Insbesondere Lector war in der Szene wieder furchtbar schwierig. Die Vertrauenskrise ist damit übrigens auch noch nicht bewältigt, aber das seht ihr dann im nächsten Kapitel!

Und ja, ich weiß, dass das Kapitel schon wieder kürzer als das vorherige ist, aber hätte ich die nächste Szene noch mit rein genommen, wäre der Sinnabschnitt nicht so gut gewesen und obendrein wäre das Kapitel dann auf einmal extrem lang geworden. Das nächste Kapitel ist wieder länger, versprochen!

Würde mich sehr über einen Kommentar freuen!^^
Yo Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Im weiteren Verlauf der Story hier wird Michello übrigens nicht noch mal auftauchen. Das war ne einmalige Nummer dieses Kotzbrockens. Er wird auch keinen weiteren Ärger machen, das hat Belno ja bereits deutlich gemacht - in Wahrheit sind ihm Lector und Frosch ja vollkommen egal. Der Ärger wird aus einer anderen Ecke kommen.

Wie realistisch das ganze Informationsgespräch war, kann ich echt nicht einschätzen. Ich habe mich bisher nie mit dem Thema befasst, ich habe einfach versucht, alles zu berücksichtigen, was mir für das Thema wichtig erschien und was ich irgendwann mal irgendwo aufgeschnappt habe.

Zwei der Punkte während des Informationsgesprächs werden übrigens auch erst später wieder aufgegriffen. Ich wollte sie nur an der Stelle schon mal eingebracht haben. Nicht wundern also, wenn da etwas wirkt, als wäre es nur in den Raum geworfen worden, das war schon so beabsichtigt!

Wie immer freue ich mich über Feedback!
Yosephia Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ist vielleicht ein bisschen ungewöhnlich, dass Sting und Rogue da eingeschlafen sind, aber die Beiden hatten in der letzten Nacht nicht unbedingt viel Schlaf und die Sache mit Belno und Michello war auch ganz schön nervenaufreibend!
Und endlich vertraut Lector ihnen richtig! Hach, das war mir so wichtig! >_<

Yukino und Minerva sind einfach super! Ich liebe die Beiden! Ganz besonders in dieser Story habe ich soooooo viel Spaß mit ihnen! Minerva ist die große Heldin der Story und Yukino ist einfach... Yukino X////D

Und Stingue-Romance! *//////*
Ehrlich, es hat so wahnsinnigen Spaß gemacht, das zu schreiben, und ich bin mega stolz darauf, auch wenn es wahrscheinlich megakitschig ist. War so intensiv auch gar nicht geplant, aber Sting und Rogue wollten es dann einfach so. Ich war machtlos >__<

Würde mich sehr über Feedback freuen!
Danke^^
Yo Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Yukino ist die Heldin des Kapitels!
Habe ich schon mal erwähnt, dass ich sie liebe? XD

Und ENDLICH der erste Auftritt von Weiß und Skia! Ich mag die Beiden! *~*

Dass Sting so eine Krise durch macht, war am Anfang gar nicht geplant, aber beim Schreiben kam das ganz automatisch. Ich habe nur eine Weile gerätselt, wie ich ihn da wieder raus kriegen soll. Übrigens kriegt Rogue auch noch seine Krise. Die Andeutung dafür kam schon mal in einem der vorherigen Kapitel.

Das nächste Kapitel wird dann reiner Fluff! Freut euch schon mal!^^

Vielen Dank im Voraus für alle Kommentare!
Yosephia Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Die zweite Szene ist schon wieder gespickt mit Andeutungen. Dieses Mal sogar für insgesamt vier andere Fics: Katzentapsen, Affentanz, Löwenkampf und Mauseschleichen. Wenn euch da Dinge komisch vorkommen, dann ist das Absicht. Ich zumindest hatte viel Spaß daran, die vielen Andeutungen einzubauen XD

Aber wisst ihr was? Noch zweimal Hochladen, dann ist die Fic schon vorbei!
Der Wahnsinn, wie schnell die Zeit vergangen ist. Es kommt mir vor wie gestern, als ich das erste Kapitel hochgeladen habe >_<

Ich bin mega happy über jedes Feedback!
Danke im Voraus!
Yosephia Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Oft genug habe ich die Sache mit Rogues Job ja angedeutet und nun ist das auch endlich geklärt!
Übrigens bin ich bei Stings Ablenkungsmanöver echt ins Stocken geraten, weil ich mir unsicher war, wie man jemandem in so einer Situation überhaupt noch über die Prüfungsangst hinweg helfen kann, aber mit dem Ergebnis bin ich sehr zufrieden.

Und auf das Ende der zweiten Szene habe ich mich schon während der Planung für diese Fic riesig gefreut! *~*
Sting ist einfach so.... kyaaaaah! >////////////<

Aber ich habe leider eine schlechte Nachricht: Mit dem Kapitel nächste Woche ist die Fic auch schon vorbei! Denn das Bonuskapitel werde ich gleich am selben Tag online stellen, da es auch recht kurz ist und eher ein kleines Extra.

Wie immer würde ich mich sehr über Feedback freuen!
Yo Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Kitsch lass' grüßen ID"
Aber ganz ehrlich: Ihr wart vom ersten Kapitel an vorgewarnt und dass es so kommen musste, war doch wohl klar, oder? XD

Obwohl ich selber gar nicht so kreativ bei Geschenken bin, ist es mir echt leicht gefallen, mir diese ganzen Geschenke auszudenken. Einige der Geschenke waren sogar von langer Hand geplant, andere sind spontan gekommen.
Und ja, schon wieder Andeutungen XP
Nein, ich werde nicht verraten, von wem die Pokerkarten sind. Das wird in einer der anderen Fics klar ;)

Und Skandine am Rande hat sich während des Überarbeitens spontan ergeben, wird in einer der späteren Fics eine größere Rolle spielen. Auf alle Fälle gefällt es mir so sehr, zumal es eine witzige Familienverkettung ergibt - immerhin ist Rogue somit irgendwie gleichzeitig auch noch Stings Cousin XD

Bitte hinterlasst mir einen Kommentar, wenn es euch gefallen hat!^^
Yo Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Puppy! *~*
Hach, es hat wirklich Spaß gemacht, die kleinen Szenen mit Minnie zu schreiben X////D Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (15)
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Von: Arianrhod-
2017-01-21T20:22:20+00:00 21.01.2017 21:22
OMG, noch ein echtes Kitsch-Kapitel drauf, für alle, die es bis jetzt ausgehalten haben, ohne Karies zu kriegen, damit du auch jeden erwischst, oder was? XD

Die Vorstellung von Sting und Frosch und dem Klavier (egal welchem) ist aber auch zu süß. >////< Die kleine, häusliche Szene gefiel mir sowieso, sie war ein kleiner Einblick in den Alltag und das Leben der neuen Familie. Und dann taucht Belno auf und macht alles perfekt. :) Ein wirklich schöner Moment!

*lol* @ die Aufzählung aller Charaktere. Klar, die gehören alle rein und so, aber es war trotzdem etwas viel. XD"
Anna ist auch zum Schreien. |D Ihre Begegnung mit den Kindern fand ich einfach witzig, ich weiß auch nicht. Und sehr lieb. :) Ihre Geschenke waren natürlich auch sorgfältig ausgewählt, auch wenn ich nicht glaube, dass Lector mit seinem viel anstellen kann/wird. Froschs dagegen war sehr passend. Dass sie sich auch Gedanken um die Zukunft der beiden macht, war natürlich auch toll. + ihre Bemerkungen... >D Vorschlaghammer, absolut!
Ich hab gerade erst bemerkt, dass du sogar die verschiedenen Stockwerke der Torte auf die kleine Familie abgestimmt hast. :O Die Figuren obendrauf waren ja offensichtlich, aber das andere nicht so. ^^" Shame on me. Die anderen Geschenke fand ich auch sehr schön und aufmerksam. (Zumindest die meisten. Ich hätte Minerva für das Geschenk an die Kinder vermutlich umgebracht. Allein dafür verdient sie es, dass der Hund 'Minerva' gerufen wird. XP)
Das geheimnisvolle Geschenk war übrigens sehr fies eingebaut. Ich meine, ich weiß, von wem es stammt, aber alle anderen lässt du jetzt ganz gemein mit dieser Frage hängen. >__>
Und Rogue wird doch zum Tanzen gezwungen und nicht nur mit Frosch, sondern auch mit seinem Mann, wie es sich gehört. >D Der soll sich bloß nicht so anstellen, da muss er durch. Sehr geschickt eingefädelt, Sting. *g*
Random stuff I liked: Ganz besonders haben mir all die Neckereien und Stänkereien zwischen den Charakteren gefunden, das fand ich klasse! Das Gespräch hatte einen sehr natürlichen Fluss und ließ sich ziemlich gut runterlesen. :) Rufus & Wendy fand ich ja irgendwie süß. ^^" LoLu-Tanz, yay! :D Lector, der sofort bei Stings kleinem Plan mitmacht. Der Stingue-Tanz ganz am Ende, ich bin fast geschmolzen. >////< Loke und Lucy, die Yukino beim Backen helfen. Kinana darf auch tanzen, yay! :D Diverse Sticheleien...

Alles in allem hat mir die Fic sehr gefallen, wobei ich jetzt auch froh bin, dass sie hier zu Ende ist. Trotz diverser Dramaeinschläge war sie doch sehr ... ruhig und kitschig, mehr als sowas darfst du mir nicht zumuten, glaube ich. XD" Ist eben doch nicht ganz mein Genre... Trotzdem. Ich freu mich auf diverse andere Fics. :P

Gruß
Arian
PS. So, und jetzt musst du nur noch on kommen und all die mühsam geschriebenen Kommentare lesen. XP (Spaß beiseite, langsam frag ich mich echt, ob was passiert ist? Ist vermutlich nur das Internet, aber... >.<)
Von: Arianrhod-
2017-01-21T19:12:05+00:00 21.01.2017 20:12
OMG, ich hab die ganze Zeit vor mich hingekichert. Das Kapitel hat echt Spaß gemacht, nicht nur wegen dem Inhalt, sondern auch wegen der Art wie du es geschrieben hast, die Formulierungen und so. ❤ Zum Beispiel der kleine Abschnitt über Frosch oder 'Wie kam es, dass sein Mann, der schon seit einer Woche eine nicht funktionierende Armbanduhr trug und der sich nicht einmal seine eigene Handynummer merken konnte[...]' Und die Seitenhiebe gegen Stings nicht vorhandene Kochkünste. XDD

Minnie ist natürlich arg süß, kein Wunder, dass Sting nicht an ihr vorbeigehen wollte und die Kinder hin und weg von ihr sind. ❤ Kann ich seeeehr gut verstehen. X3
Dass Sting sich noch an Rogues dahingeworfene Worte von vor x Monaten erinnern kann, wundert mich gar nicht. Immerhin geht es um etwas, das ihn interessiert, solche Dinge merkt man sich halt. Und damit hat Rogue sich auch sich auch selbst eine Falle gestellt, da kommt er jetzt nicht mehr raus. Nicht, dass er das wirklich wollen würde. XD" Wenigstens hält er den Hund aus seiner Küche raus. Geschickter Schachzug, dafür gleich Lector zu rekrutieren.

> Soweit es also Rogue betraf, war sein Leben perfekt.
Ist natürlich fieses Foreshadowing. >__> Wenn ich daran denke, was die noch alles erwartet... >.<

Gruß
Arian
PS. Ups, ich hab grad gesehen, dass ich ein Kapitel übersprungen habe... Ich hab mich schon gewundert. XD"
Von: Arianrhod-
2017-01-20T22:44:27+00:00 20.01.2017 23:44
Okay, das mach ich jetzt auch noch. >.<

Auch wenn ich in diesem Fall Stings Meinung bin, ich kann Rogues Sorgen gut verstehen. Sowas ist nie einfach, aber wenn dann gleich noch so viel dranhängt... Das ist eine sehr blöde Situation für ihn und wenn genau das, was den Job so wichtig macht, ihm im Wege steht, ist das nochmal schlimmer. Sting hat da leicht reden. Und seine Logik ist natürlich unschlagbar. *rolls eyes* Der Spinner. Der sehr selbstbewusste, unwiderstehliche (zumindest für Rogue) Spinner. XD

Wenn ich die Sekretärin wäre, mich hätte Sting auch genervt. XDD Wobei ich ihn natürlich verstehen kann, aber vielleicht hätte er sich einen kurzen Spaziergang im Park gestatten sollen oder sowas. Dass er nicht warten kann, passt jedenfalls ziemlich gut zu ihm. Wenigstens lässt Org ihn nicht länger warten als nötig. Und yay, Rogue hat seinen Job! Nicht, dass daran jemals jemand gezweifelt hätte. (Außer er selbst natürlich.)
Stings Aktion danach ist natürlich typisch Sting! Kaum jemand anderes würde sowas bringen. XDD Wenigstens hat er an alles gedacht, was sie dafür brauchen, außer natürlich an die Romantik. Aber Rogue schient es ihm nicht übel zu nehmen, aber der wusste ja, worauf er sich da einlässt. Das Ende des Kapitels fand ich übrigens überaus perfekt. XD

Gruß
Arian
Von: Arianrhod-
2017-01-20T22:22:32+00:00 20.01.2017 23:22
*snicker* Lector kann genauso gut futtern wie sein Vater. x)
Aber wenigstens geht es ihm wieder besser, die Erlebnisse im Kinderheim scheinen keinen bleibenden Schaden hinterlassen zu haben, weder bei ihm noch bei Frosch. Und jetzt haben sie ja alles überstanden. :) Niemand wird sie mehr woanders hinbringen. Die kleine Anekdote mit dem Messen fand ich lustig. Und Frosch ist eine kleine Dancing Queen, hm? XD Und das Essen...! XD Da kann Rogue ja froh sein, dass seine Kochkünste vor Lectors Augen Gnade finden und sogar noch! besser! (!!!!) sind als das Essen im Sabertooth.
Ich find es immer wieder toll, wie du den Rest der Bande um Sting und Rogue einbringst, hab ich das schon mal gesagt? Nicht nur Minerva & Yukino, auch Rufus und Orga find ich klasse. Du triffst sie echt gut. Diese Fragen nach den 'Onkel' waren schon ein wenig hinterhältig, wenn auch nicht bösartig. Jedenfalls fand ich die Szene sehr süß! :)

Und endlich lernen die zwei Kids ihre Großväter kennen! :D
Weißlogias Heim stelle ich mir sehr beschaulich vor. Und Froschs Aufregung wegen der Hunde kann ich mir gut vorstellen! Aber sowas ist nun mal auch wichtig. XD (Dass Lector so gar nicht reagiert hat, fand ich allerdings ein wenig seltsam. ^^")
*lol* @ Pantoffeln. Das fand ich damals schon so witzig, als du sie das erste Mal erwähnt hast. XDDD Ich kann mir gut vorstellen, wie begeistert Minerva darüber war. |D Aber wenigstens kriegt Frosch jetzt einen Hund zum Kuscheln!
Die Begegnung mit den Großvätern fand ich auch sehr süß. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich sonst noch groß dazu sagen soll! Der Ton im Gespräch war sehr schön familiär. :)
Die kleine Bildergalerie ist natürlich toll! Meine Eltern haben auch so eine, sowas find ich immer sehr schön. :) Es ist einfach... Es erzählt eine Geschichte und auch wenn diese für die meisten Leute sehr uninteressant ist, für die Betroffenen ist sie doch sehr wichtig und sowas gibt eine schöne Erinnerungen daran.
Und dann die Sache mit dem Klavier! Nicht nur Frosch & Sting, nein, auch Rogues kleine Träumereien... Uff, du legst es auch wirklich darauf an, dass hier alle an Zuckerschock sterben, oder? >__>

Ich meine, bei der letzten Szene setzt noch einen oben drauf. >__< Erst die kleinen Neckereien, wie es sich unter richtigen Freunden gehört, dann kümmern sie sich so süß um ihre Kinder und dann die Frage nach der Patenschaft... Die beiden haben diese Ehre auch wirklich verdient! :) Auch wenn es sie offensichtlich kalt erwischt hat, sogar Minerva. ^^"

Bis dann ^^~
Arian
Von: Arianrhod-
2017-01-20T14:41:27+00:00 20.01.2017 15:41
Aw, man, diese FF ist ein Auf und Ab der Emotionen. Ein Kapitel ist schlimmer als das nächste. >.<
Dieses fängt so positiv an, Sting und Yukino auf dem Weg zu den Kindern, ein toller Tag - und dann die komplette 18o° Wendung. Erst sind die Kinder nicht da, wo sie sein sollten, dann blocken diese widerlichen Erzieherinnen auch noch ab - klar, die haben Angst, was passiert, wenn man ihre Taten entdeckt. Zu Recht natürlich, aber die haben das natürlich auch verdient. Kleine Kinder zu schlagen ist unentschuldbar.
Gut, dass Sting sich nicht so einfach abwimmeln lässt, aber das hab ich auch gar nicht erwartet. Der setzt sich schon durch. Die folgende Szene war ja echt dramatisch, mit Froschs Rufen und den Erzieherinnen, die sie aufzuhalten versuchen. >.< Zeig's ihnen, Sting! >:| Und Yukino! Yukino erklimmt hier ganz neue Höhen und ich kann mir das sehr gut vorstellen, dass sie sowas absolut tun würde, wenn es um kleine Kinder geht. Frosch und hier vor allem auch Lector tun mir so leid. :( Der Schlag (die Schläge?) muss ja extrem hart gewesen sein, dass er eine blutende Wunde davonträgt.
Dass die Situation so mitnimmt, wundert mich gar nicht, zusätzlich dazu noch das 'gebrochene' Versprechen. Nicht, dass er etwas hätte tun können, er kann ja nicht 24/7 anwesend sein, aber das will er natürlich nicht gelten lassen.

Rogues Sorge ist durchaus nachvollziehbar. Kein Wunder, dass er am Rad dreht und nicht ganz zu Unrecht. >.< (Und hey, Weiß und Skia! :D Auch wenn die Situation, in der wir sie kennenlernen, nicht gerade die beste ist...) Kleinigkeit: Frosch, die sofort zu ihm will, fand ich sehr süß. Das zeigt, wie sehr sie ihm bereits vertraut und wie wichtig er ihr ist. Find ich schön. :) Genauso Lector mit dem Pullover. Oder auch, wie Rogue sofort bemerkt, dass etwas mit Sting nicht stimmt, obwohl er das erstmal nach hinten schiebt und sich um die wichtigeren Dinge kümmert.

Die letzte Szene fand ich auch gut. :) Schön zu sehen, dass die Szene Lector und Frosch nicht zu sehr mitgenommen hat.
Sting dagegen... Den hat die Sache auf eine ganz andere Art und Weise mitgenommen und wenn Rogue auf jeden Fall recht hat, sind solche Schuldgefühle nicht so einfach abzuschütteln. Aber wie toll Rogue sich um ihn kümmert, das brauch ich ja nicht zu erwähnen. Und das Bild von den Vieren, wie sie sich zusammenkuscheln, fand ich so süß! :3

Ein Gutes hatte die Situation zumindest: Lector und Frosch dürfen sofort ganz legal mit ihnen nach Hause.
Gruß
Arian
Von: Arianrhod-
2017-01-19T22:58:28+00:00 19.01.2017 23:58
Das Kapitel hat mir sehr gefallen! :) Solche Freunde sind echt Gold wert.

Aber von vorne. Die erste Szene... Es war so süß, wie Frosch sich über die beiden gefreut hat. >////< Und Lector auch! In solchen Szenen blitzt mehr und mehr durch, dass er doch noch ein kleines Kind ist und Stütze und Trost bedarf, jemanden, der hinter ihm steht und ihm hilft und für ihn da ist. Wie gut, dass er (und Frosch!) gefunden hat.
Die Erzieherinnen und das Kinderheim sind fürchterlich (nach wie vor.) *schüttel* Nur um das nochmal zu wiederholen.

Die zweite Szene war natürlich der Höhepunkt des Kapitels und sie ist dir echt gelungen! Minerva und vor allem Yukino hast du wunderbar getroffen. Letztere mag nicht sehr oft ausfällig werden, aber gerade in Situationen wie diesen kann ich es mir sehr gut vorstellen. Minerva war natürlich kompetent wie immer. Und irgendwem musste den zwei Trotteln mal sagen, dass sie sich nicht schon übernehmen dürfen, bevor alles richtig angefangen hat. >.< Und dass Freunde auch helfen wollen! (Die Sache mit der Zeitung fand ich sehr lustig. ^^")

Die letzte Szene ist ja ziemlich schizophren. XD Auf der einen Seite ist da die doch sehr intime Zweisamkeit und auf der anderen Seite führen sie ihr Gespräch über Kinderbilder, Tante Yu und Zauberwürfel weiter. Und da sagt man immer, Männer können sich nur auf eine Sache auf einmal konzentrieren. *shakes head* (Orga und seine Geschwister und ihren Spitznamen find ich übrigens ein süßer Gedanke.)

Bis dann ^^~
Arian
Von: Arianrhod-
2017-01-18T20:59:26+00:00 18.01.2017 21:59
Aaaaaah, diese Trennung war ja fürchterlich. :( :( :(
Nicht nur, dass die kleine Familie auseinander gerissen wird, diese Atmosphäre im Kinderheim ist ja einfach nur traurig und trostlos. Da gibt es ja gar nichts, worüber man sich freuen kann, und die anderen Bewohner sind genauso unsympathisch wie das Haus selbst bzw. sogar noch schlimmer. Da würde ich auch nicht freiwillig blieben wollen. Kein Wunder also, dass Frosch so absolut nicht zurück will. Und kein Wunder, dass Rogue sie am liebsten wieder mitnehmen würde. Aber dafür war Lector sehr tapfer!
Die kleine Feier hinterher war auch nötig, finde ich, und eine sehr gute Idee (egal, von wem sie letztendlich stammt. Minerva?) Sie hat den beiden frischgebackenen Papas die Ereignisse doch ins rechte Licht rücken können und sie daran erinnert, dass etwas Tolles passiert ist. Es ist nur schade, dass die Kinder nicht dabei sein konnten. :( Und sogar Lucy hat sich lange genug von ihrer Arbeit loseisen können! Das will schon was heißen. XD"

Und die zweite Szene... Die hatte auf ihre eigene Art ihre Tücken. >.<
Aber kein Wunder, dass sie ziemlich nervös da reingelaufen sind, das kann man gut nachvollziehen. Und das Gespräch selbst war auch sehr gut. Ich fand es ziemlich realistisch, aber ich hab eigentlich keine Ahnung von sowas, also... ^^" Michello ist natürlich zum An-die-Wand-klatschen, aber was will man von so einer Ratte auch erwarten? Eigentlich ein Wunder, dass Sting sich so beherrschen konnte. Will Michello auch allen Alleinerziehenden das Sorgerecht wegnehmen, oder was? >.< Und was er über die Kids loslässt... *grummel* Und was sollte der Seitenhieb mit dem ~Kulturkreis~??? >.<
Belno dagegen war klasse! Das ausgleichende Element und zum Glück auch die mit der Entscheidungsmacht. (Ansonsten wäre das vermutlich ein Kampf gegen Windmühlen geworden.) Dass sie auch keine Scheu hat, ihren 'liebenswerten' Kollegen über den Mund zu fahren, macht sie nur noch sympathischer. XD"
*lol* @ Rogue, der nebenbei Stings armes Bein malträtiert.
Und das Ende das Kapitels ist natürlich sehr hoffnungsvoll! :D

So, das war's aber für heute. >.<
Gruß
Arian
Von: Arianrhod-
2017-01-18T18:31:15+00:00 18.01.2017 19:31
So, ich habe mir jetzt nämlich vorgenommen, diese Fic auch endlich zu kommentieren. Wenn ich meinen Plan durchziehe, kriege ich bis Sonntag alle hin! :)

Das war ja ein sehr emotionales Kapitel. Kein Wunder, dass sie alle am Ende geschlaucht und mitgenommen waren. >.< Aber ich finde, du hast alles wunderbar in Worte gefasst und rübergebracht. Die Verbitterung darüber, die Kinder wieder zurückzubringen, die Panik der beiden, dann der Gefühlsausbruch der Kinder...

Das fängt schon mit der ersten Szene an, als sie feststellen, dass sie ihre Kinder weggeben müssen. :( Nicht nur, dass das für die beiden selbst schon schlimm ist, dann hört Lector sie auch noch. Natürlich packt er sich sofort Frosch und rennt mit ihr davon, ungeachtet der Tatsache, wie blöd und tatsächlich gefährlich diese Idee ist (zumal sie ja auch noch so überstürzt aufgebrochen sind.) Auf der anderen Seite hätte es mich auch gewundert, wenn das anders gelaufen wäre - Lector ist ein impulsiver Typ und noch ein kleines Kind, also~
Aber dass die Aktion Sting und Rogue völlig den Boden unter den Füßen wegzieht, wundert mich gar nicht.
Zum Glück trifft Rogue rasch auf Minerva, ansonsten wären sie noch eine Weile weiter wie kopflose Hühner durch die Gegend gerannt, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Wer weiß, was dann geschehen wäre. :( Aber das ist es ja nicht und Minerva ist einfach eine tolle Freundin! Und natürlich hat sie auch gleich gesehen, wie viel die Kids den beiden wirklich bedeuten.
Süß fand ich auch die kleine Szene, wo Rogue seine Mütze an Sting abgibt. Nicht nur, dass es ziemlich niedlich war, es war auch so eine liebevolle Geste. >////<

Und dann als sie die Kinder gefunden haben... :( Man, das hat mich auch richtig mitgenommen. Sting und Rogue waren ja komplett durch den Wind und die arme Frosch hat gar nichts verstanden und für Lector ist vermutlich eine Welt zusammengebrochen. Zum Glück haben sie es geschafft, sich doch wieder irgendwie zusammenzuraufen und nach Hause zu gehen. (Ein Hoch auf die tollen Freunde, btw!)

Der Abschluss hat das Kapitel schön rund gemacht. :) Wenigstens sind sie jetzt an dem Punkt angelangt, wo ihre Entscheidung definitiv fest steht, da gibt es wohl kein Rütteln mehr dran.

Gruß
Arian
Von: abgemeldet
2017-01-03T00:49:42+00:00 03.01.2017 01:49
wundervolle Geschichte
es war wirklich amüsant zu lesen
ich mag voll die Idee von Frosch und Lector als Kleinkinder
wäre toll, wenn du noch so eine Story in diese Richtung verfassen könntest ;)
Von:  Chiiby_Art
2016-10-10T16:21:37+00:00 10.10.2016 18:21
Wieder mal ein klasse Kapitel ich freue mich schon auf das Nächste!
LG Chiiby_Art


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