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Vielleicht irgendwann

Momoko/Aiko
von

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New York, New York

Kulturschock
 

Es waren nur noch zehn Stunden, bis der Flug nach Shanghai startete, der Flug, der Aiko Richtung Tokyo zurückbringen würde. Eigentlich, so dachte sie sich, sollte sie die letzten Stunden am Big Apple nutzen, doch alles was Aiko tat, war rücklings auf ihrem Bett in der Jugendherberge zu liegen und auf die nahe Decke zu schauen.

Sie hatte die Arme hinter ihrem Kopf verschränkt und ihr rechtes Bein über das linke geschlagen und wippte so mit dem Fuß auf und ab.

Sie spürte das Handy neben sich vibrieren, als eine weitere Nachricht sie erreichte, doch sie nahm es nicht in der Hand. Sie wusste, dass die Nachricht von Momoko war. Vielleicht auch von Beth. Sie wusste es nicht. Doch noch weniger wusste sie, was sie antworten sollte.

Eigentlich hatte es alles super begonnen. Aiko hatte sich gefreut nach New York zu kommen. Immerhin war sie geehrt gewesen, für das Athletik-Camp in den Semesterferien eingeladen zu sein, und natürlich hatte sie sich auch auf ein Wiedersehen mit Momoko gefreut, da diese während des Studiums wieder hierher gezogen war...
 

Es war kurz nach eins am Mittag Ortszeit, als Aiko in New York ankam. Auch wenn sie eigentlich für das Sportcamp hier war, so hatte sie bereits im voraus geklärt, dass sie selbst zum Sportcollege in Brooklyn kommen. Immerhin hatte Momoko bereits vorher angekündigt, sie abholen zu wollen.

Zugegebener Maßen war die Wiedersehensfreude ein wenig durch die Müdigkeit des fast 24stündigen Fluges gedämpft worden. So sehr sie sich auch auf Momoko, das Camp und die fremde Stadt freute, so wollte sie im Moment doch nur eins: Eine kalte Dusche und ein paar Stunden Schlaf, da sie während des Fluges nicht hatte schlafen können.

Dennoch spürte sie, wie sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete, als sie eine bekannte Stimme hörte: „Ai-chan!“

Sie sah sich um und tatsächlich sah sie bald einen bekannten Blondschopf, auch wenn dieser nicht mehr von den gewohnten Zöpfen verziert war.

„Momo-chan!“, rief sie und lief zu der jungen Frau hinüber, die hinter dem Absperrband in der Empfangshalle des JFK Flughafens stand. Ungeachtet der Absperrung und der Sporttasche, die Aiko mit sich trug, umarmten sie sich kurz, ehe Aiko das andere Mädchen ansah.

„Was hast du gemacht?“, fragte sie etwas schockiert.

Von Momokos eigentlich immer hübsch frisierten Haars, war wenig übrig, da die Haare auf vielleicht zwei Zentimeter Länge hinab gekürzt worden waren.

Momoko errötete etwas und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Ach, ich hatte einen kleinen Feuerunfall und danach dachte ich, ich könnte ein wenig Veränderung gebrauchen.“

Aiko lachte und betrachtete sie für ein wenig. „Sieht ungewohnt aus. Ich meine, nicht schlecht. Äh, hübsch sogar. Aber ungewohnt.“

Daraufhin nickte Momoko nur und drehte sich kurz um, um einer jungen afroamerikanischen Frau zu gestikulieren, vorzutreten. „Das ist ist Beth“, erklärte sie auf japanisch. „This is my friend Aiko“, fuhr sie dann auf Englisch fort und zeigte auf Aiko.

„Ähm“, machte Aiko. „Nice to meet you“, stammelte sie dann vorsichtig, da ihr Englisch nicht das beste war.

„Schön, dich kennen zu lernen“, erwiderte sie und lächelte.
 

Aiko war nun sechs Wochen lang hier gewesen. Die meiste Zeit hatte sie natürlich am Sportcollege in Brooklyn verbracht. Immerhin war das Programm ziemlich eng gewesen – auf sechs Tage die Woche ausgelegt – und es hatte Spaß gemacht. Nicht nur, dass Aiko es mochte, sich mit den anderen Mädchen zu messen, die teilweise aus verschiedenen Teilen des amerikanischen Kontinents, teilweise aber auch aus Europa und, wie sie selbst, aus Asien kamen. Sie hatte einige neue Freundschaften geschlossen.

Doch an den Sonntagen hatte sie sich von Momoko, Beth und Mary die Stadt zeigen lassen.

Erneut vibrierte ihr Handy. Sie seufzte und nahm es widerwillig. Tatsächlich war es eine Nachricht von Momoko.
 

Auch wenn Aiko nicht alles verstand, war es cool hier in die neusten amerikanischen Filme gehen zu können. So hatten sie an diesem Tag, Aikos zweitem Samstag hier, einen der neuen Marvelfilme gesehen. Nun hatten sie sich in die Sessel eines Starbucks am nördlichen Ende des Timesquares gesetzt und redeten.

Aiko war überrascht, wie gut Beth japanisch sprach, doch hatte sie auch das Video gesehen, dass Beth Momoko damals geschickt hatte.

Neben Beth war auch Mary mit ihnen gekommen, die andere Freundin Momokos aus Kindheitstagen, sowie zwei andere Mädchen: Lilian und Ann. Lilian war eine Kommilitonin Marys – ein zierliches, rothaariges Mädchen mit deutlich sichtbaren Sommersprossen – und Ann ein Mädchen aus dem Athletik-Camp. Sie kam eigentlich aus Kanada und hatte kurzes, braunes Haar und einen recht kräftigen Körperbau.

Anders als bei Beth war das japanisch der anderen Mädchen schlecht oder gar nicht vorhanden.

„Wie gefällt es dir bisher in New York, Aiko?“, fragte Beth.

„Ich habe bisher nicht viel von der Stadt gesehen“, erwiderte Aiko und sah aus dem Fenster auf den Broadway draußen. „Ich meine, wir hatten eine Stadtführung...“

Die Afroamerikanerin nickte lächelnd. „Warst du schon in China Town?“

„Wir sind auf Rundfahrt durchgekommen“, meinte Aiko vorsichtig.

„Dann sollten wir auf jeden Fall noch dahin“, warf Momoko ein, die sich eigentlich gerade mit Mary unterhalten hatte.

Aiko war noch immer überrascht, wie sehr Mary Tamaki ähnelte. Sicher, Tamakis Haare waren noch immer dunkler gewesen und ihre Gesichtsform japanisch, doch trotz der Sprachbarriere konnte sie erkennen, dass ihre Art zu sprechen sehr ähnlich war. Selbst die Körperhaltung der beiden wies einige Parallelen auf.

Als wüsste sie, was Aiko dachte, warf Mary ein: „Hey, you know it is not nice to keep talking Japanese, right?“

„But Aiko's Englisch ain't that good“, erwiderte Beth. „It is also not nice to speak to a guest in a language she doesn't understand.“ Dann sah sie zu Aiko. „No offence.“

„Schon okay“, erwiderte Aiko auf japanisch und hob abwehrend die Hände. „I am sorry“, sagte sie dann zu Mary. Sie wusste, dass ihre Aussprache furchtbar war, aber hey, sie schaffte es ja auch irgendwie mit den anderen Sportlern im Camp zu sprechen.

„It's okay“, meinte Mary auf dieselbe herablassende Art, auf die auch Tamaki gesprochen hätte. „But since you are here, you should try to improve your Englisch.“

„And you should be nicer“, warf nun Lilian ein und knuffte das andere Mädchen in die Seite.

Aiko sah aus dem Fenster auf den Broadway hinaus, wo sich die Menschenmassen gegenüber dem frühen Abend etwas ausgedünnt hatten. Dennoch waren immer noch einige Touristen hier unterwegs. Familien, Paare, kleine Gruppen von Leuten aus aller Welt – und fraglos auch einige Leute, die einfach hier in New York lebten und arbeiteten.

Während sie auf die noch immer von Straßenlampen, Bildschirmen und Neonreklamen erhellte Straße sah, beobachtete sie zwei Frauen, die in Bikinis mit einer Studentengruppe für Fotos posierten. Aiko hatte einige Leute gesehen, die in Kostümen oder auch mit wenig Kleidung für die Touristen posierten.

„Was ist?“, fragte Momoko, als Aiko ihre Augenbrauen zusammenzog.

„Sowas würde man in Japan nicht erlauben“, murmelte sie.

„Na ja, einige New Yorker mögen es auch nicht“, erwiderte Beth. „Man hat versucht es zu verbieten.“

Erneut mischte Mary sich ein. „What is it?“

„Oh, our Photo Mascots out there“, erwiderte Beth. „It is a bit weird for Japanese.“

„But I thought“, meinte Ann, „that in Japan there would be... You know... Like female models in cosplay like advertising for stores or something.“

Aiko zuckte mit den Schultern. „That is different.“ Aber wie sollte sie es auf Englisch erklären?
 

Es waren mehrere Nachrichten, die sie von Momoko bekommen hatte. Eigentlich nichts, das sie nicht erwartet hatte.

„Wann wollen wir uns treffen?“

„Aiko?“

„Warum antwortest du nicht?“

„Ich will mich noch verabschieden.“

„Aiko, wenn es wegen gestern ist, tut es mir leid.“

„Lass uns reden.“

Aiko seufzte und legte das Handy wieder neben sich, starrte weiter auf die grün gestrichene Decke. Eigentlich war sie nach dem Camp noch für ein paar Tage in der Jugendherberge geblieben, um Zeit mit Momoko und den anderen zu verbringen. Aber vielleicht hätte sie vorher schon wissen sollen, dass irgendetwas komisch war.
 

Am vierten Wochenende in New York gab es eine Feier von irgendeiner Studentengruppe, bei der Momoko und auch Mary Mitglieder waren. Aiko musste zugeben, dass sie es nicht genau verstanden hatte, da Mary es ihr am Telefon erklärt hatte – schnell, aufgeregt und auf Englisch. Es verwirrte sie etwas, da Momoko auf eine andere Hochschule ging, als Mary, aber was wusste sie über Studentengruppen in Amerika?

Momoko holte sie allein mit der U-Bahn ab und sie fuhren gemeinsam nach Manhatten.

„Kannst du mir noch einmal erklären, was das für eine Gruppe ist?“, fragte Aiko, als sie in Manhatten umstiegen, um weiter in den Norden zu fahren.

Sie liefen über den Broadway, um auf die andere Seite der U-Bahnstation zu kommen.

„Na ja, es ist eine Gruppe für Minderheiten“, erwiderte Momoko vorsichtig. „Eine Gruppe für Studenten aus ganz New York. Und heute haben wir Besuch von einer Gruppe aus Boston.“

Aiko nickte, während sie auf der Rolltreppe neben Momoko stand. Die U-Bahnstation stank etwas, das war ihr in den letzten Wochen schon öfter aufgefallen. Selbst hier – am Time Square – wirkte die Station ein wenig heruntergekommen, wenn sie es mit den recht sauber gehaltenen Stationen in Tokyo verglich.

„Ähm, Momo-chan“, begann sie, als sie zum Bahnsteig liefen. „Was für eine Gruppe ist das genau?“

Momoko zögerte etwas. „Eine LGBT Gruppe“, sagte sie schließlich vorsichtig.

„LGBT?“ Aiko sah sie verwirrt an. Sie wusste, dass sie die Abkürzung schon einmal gehört hatte, konnte sie aber nicht wirklich zuordnen.

„Homosexualität?“, erwiderte Momoko.

Aiko blieb stehen. Langsam begriff sie, was Momoko ihr damit sagen wollte und für einen Moment wusste sie nicht, was sie dazu sagen sollte. Es war nicht so, als hätte sie ein Problem damit, oder? Doch war es nichts, womit sie gerechnet hatte. Aber es war nicht ihre Art jemanden dafür zu verurteilen. „Das heißt... Du bist...?“, fragte sie vorsichtig.

Momoko drehte sich zu ihr um. Sie wirkte beinahe ein wenig verlegen, lächelte aber. „Na ja, ich bin bisexuell.“

Für einen Moment zögerte Aiko. Sie wusste nicht genau was sie sagen könnte. Immerhin war es in Japan bis heute unüblich über so etwas zu reden. Sicher hatte sie immer mal wieder davon gehört, dass angeblich jemand schwul oder lesbisch sei, aber man redete nicht darüber. Also: Was war die Antwort? „Und es gibt eine Gruppe für so etwas?“

„Na ja, eine Gruppe von Studenten, die sich entsprechend identifizieren“, meinte Momoko. „So etwas gibt es in Japan auch.“ Sie zögerte. „Auch wenn in Japan weniger drüber gesprochen wird.“

„Ja...“, murmelte Aiko, während ihre Gedanken noch immer rasten. Wieso schockierte sie das ganze so?

Nun, die Wahrheit war, dass sie bisher nie darüber nachgedacht hatte. Hey, sie hatte nicht mal viel darüber nachgedacht, was für Jungen sie mochte. Meistens waren es die Jungen, die sie ansprachen – aber die große Liebe hatte sie nie gefunden und so wirklich glaubte sie auch nicht daran. Sie war halt nicht wie Hatsuki, die seit einer gefühlten Ewigkeit mit Yada zusammen war, und auch nicht wie Doremi, die ständig zwischen „für Kotake schwärmen“ und „sich über Kotake beschweren“ hin und her schwankte. „Und so eine Gruppe macht eine Party?“

„Ja. Eine Feier. Aber du musst nicht... Zu uns gehören, um hinzukommen“, erwiderte Momoko und ihr lächeln wurde verlegener. „Du weißt, dass es so etwas auch in Japan gibt?“

„Äh, nein, nicht wirklich“, erwiderte Aiko. Auf der anderen Seite war es halt so in Japan: Binde dein eigenes Liebesleben niemanden sonst auf die Nase. „Wird hier so offen darüber gesprochen?“

„Na ja“, murmelte Momoko verlegen. „Nicht ganz. Oder schon. Aber wir versuchen es.“ Sie zögerte. „Es ist kompliziert.“
 

Aiko war überrascht gewesen. Sie hatte einfach nie darüber nachgedacht, ob ihre Freunde irgendeine bestimmte Sexualität hatten. Auch in der Oberschule hatte sie sich nie groß darum gekümmert, zu spekulieren, wer wohl in wen verliebt war. Es war einfach nie ihre Art gewesen.

Doch auch wenn sie überrascht gewesen war, so hatte es sie nicht wirklich gestört, dass Momoko sich nun ihr gegenüber „geoutet“ hatte. Wäre es dabei geblieben, wäre sie nun wohl mit Momoko, Beth und ein paar von Momokos anderen Freunden im Central Park. Oder vielleicht wäre sie mit Momoko noch einmal Andenken kaufen für Hatsuki, Onpu und Doremi.

Ja, wenn es dabei geblieben wäre, wäre sie jetzt nicht so verwirrt – unsicher – wie sie sich verhalten sollte. Jedoch war es nicht dabei geblieben und nun verging die Zeit, bis sie am Flughafen sein musste zu schnell. Sie wusste, es war nicht richtig, sich nicht zu melden. Es war nicht richtig, einfach nach Japan zurückzukehren, ohne sich auszusprechen.

Natürlich, normal würde sie einfach sagen, was sie dachte. Normal würde sie sich nicht so viele Gedanken machen. Immerhin hatte sie bisher auch jedem Jungen klar gesagt, was sie dachte. Selbst als sie mit Anrima Schluss gemacht hatte, hatte sie sich weniger Gedanken gemacht. Aber mit einer ihrer besten Freundinnen war es doch anders.
 

Aiko hatte sich entschlossen nach dem Camp noch für weitere fünf Tage auf eigene Kosten in New York zu bleiben. Es war kein großes Problem gewesen, den Flug zu verlegen und für die folgenden Nächte hatte sie sich ein Bett in der Jugendherberge genommen, das bezahlbar gewesen war. Immerhin hatte sie selbst etwas Geld angespart.

Dankbarer Weise war das Wetter gut gewesen und so hatte sie zusammen mit den anderen Mädchen einen Tag auf Staten Island verbracht, war in einer Arcade in China Town gewesen und in einem Musical am Broadway.

Es war der letzte Tag vor dem Tag ihrer Abreise, dass sie zusammen mit Momoko einige Orte aus Momokos Kindheit besuchte. So zeigte Momoko ihr den Laden, der einst Majo Monroe gehört hatte und die Schule, die sie einst besucht hatte.

„Ich wünschte wir hätten Majo Monroe einmal kennen lernen können“, meinte Aiko, während sie mit einem Softeis auf einer Bank im Central Park.

„Ich wünschte, das wäre möglich gewesen“, murmelte Momoko. Mit traurigen Augen sah sie auf den See, an dessen Rand sie saßen. „Ich... Ich wünschte sie wäre noch da.“

Aiko sah zu ihr hinüber. Sie wollte nicht verletzend sein. „Sie war sicher erträglicher als Majo Rika“, meinte sie. „Sei froh, dass du die im Moment nicht ertragen musst.“

„Wenn Majo Rika nicht da wäre, würden wir sie auch vermissen“, erwiderte Momoko matt lächelnd. „Du kannst ihr sagen, dass ich mich darauf freue, einmal wieder ins Mahou Dou zu kommen.“

Aiko nickte und stopfte sich das letzte Stück der Eiswaffel in den Mund. „Werde ich machen.“ Sie lehnte sie zurück und sah zum blauen Himmel hinauf. „Ich wünsche mir manchmal, dass ich häufiger vorbei schauen könnte...“

„Ich weiß, was du meinst“, murmelte Momoko. „Ich frage mich, ob ich irgendwann gar nicht mehr nach Misora komme...“

„Ach was“, meinte Aiko. „Wir werden alle einander schon noch wieder sehen!“

„Ja“, murmelte Momoko. Für einen Moment war sie stumm und knabberte an ihrer eigenen Eiswaffel. „Ich wäre traurig, wenn ich euch alle nicht mehr sehen würde.“

„Aber dazu wird es nicht kommen“, erwiderte Aiko. „Also mach dir keinen Kopf. Zumindest zum nächsten Klassentreffen sehen wir uns wieder.“

Wieder war es ein mattes Lächeln auf Momokos Gesicht, als sie nickte. „Natürlich.“ Damit aß auch sie den letzten Rest ihrer Eiswaffel und seufzte. „Ich wünschte, du würdest nicht schon morgen wieder fahren.“

Aiko lachte. „Nun, ich kann nicht hier bleiben, oder?“

„Wahrscheinlich nicht, nein“, seufzte Momoko.

„Siehst du? Also wirst du wohl bald einfach zurückkommen müssen.“

„Frühstens im Herbst.“ Momoko sah wieder zum See hinüber. „Mal sehen.“

Nun zögerte Aiko, ehe sie aufstand. Die Stimmung war ihr zu bedrückend geworden. „Lass uns weiter gehen“, meinte sie mit einem breiten Lächeln und streckte die Hand aus, um Momoko aufzuhelfen.

Diese nickte, nahm ihre Tasche und ergriff Aikos Hand.

Sie liefen weiter am Ufer des Sees entlang und für eine Weile schwiegen sie beide.

Sie waren nicht allein im Park – natürlich nicht – denn dank des guten Wetters hatte es sowohl Touristen, als auch Anwohner hierher gezogen, die teilweise wie sie spazieren gingen, teilweise jedoch auch andere Dinge taten. Da waren Kinder, die Boote auf dem See fahren ließen, Leute die sich in der späten Frühjahrssonne auf den Wiesen räkelten und Eltern, die mit ihren Kindern Ball spielten. Dazwischen liefen einzelne Hunde herum, da sich nicht jeder an die Leinenpflicht hielt.

Für eine Weile blieb Aiko stehen, um den Kindern, die mit den Booten spielten, zuzusehen. Die Atmosphäre war ganz anders, als im Ueno Park, als sie diesen im vergangenen Jahr besucht hatte.

„Aiko?“, fragte Momoko auf einmal.

Sie drehte sich zu ihr um. „Was ist?“

„Ich hoffe, dass du mich noch einmal besuchen kommst“, meinte Momoko zurückhaltend.

Aiko zuckte mit den Schultern. „Ich werde schauen. So viel Geld habe ich nicht, das weißt du doch. Otoo-san und Okaa-san verdienen halt nicht so viel und ein Studentenjob...“

Momoko seufzte. „Ich weiß.“ Für einen Moment war sie ruhig, doch dann lächelte sie. „Nun, vielleicht kann ich euch wieder besuchen.“

„Ganz bestimmt“, erwiderte Aiko und wandte sich ab, um weiter zu gehen.

Es war daraufhin, dass Momoko ihre Hand ergriff. „Warte, Ai-chan“, meinte sie. „Da ist noch etwas, was ich sagen wollte...“

Aiko drehte sich um. „Und was?“

„Nun, eigentlicht...“, begann Momoko, brach dann aber ab. Stattdessen beugte sie sich vor und gab ihr einen kurzen Kuss.
 

Der Abend kam und damit auch die Zeit sich auf den Weg zum Flughafen zu machen. Aiko ärgerte sich darüber. Sie kam sich feige vor und eigentlich war sie nicht feige. Doch es war anders als mit Anrima. Es war einfach anders.

Sie wollte sich verabschieden. Von Mary. Von Beth. Von Lilian. Von Momoko. Doch wie sollte sie jetzt mit ihr reden? Selbst sie, Aiko, die immer ihre Meinung sagte, konnte hier nicht einfach frei heraus reden – oder? Nein, sie konnte sich nicht überwinden.

Und so machte sie sich allein auf den Weg zum Flughafen, sicher, dass sie es bereuen würde, dass sie sich den ganzen Rückflug lang über ihre eigene eigene Feigheit ärgern würde. Das hatte Momoko nicht verdient. Aber eine ehrlich Antwort?

Was war eine ehrlich Antwort? Auch das wusste sie nicht. „Nein?“ Vielleicht auch nicht. Sie hatte sich nie darüber Gedanken gemacht und sie wusste, dass sie im Moment Momokos Gefühle nicht erwidern konnte.

Die Fahrt zum Flughafen war deprimierend. Wie immer war die U-Bahn voll, auch wenn sie es geschafft hatte einen Sitzplatz zu bekommen. Wie auch auf der Hinfahrt hatte sie nur ihren Rucksack und die Sporttasche dabei, während ihr Koffer bereits zum Flughafen geschickt worden war und separat verladen werden würde.

Da in einigen Ländern gerade Ferien endeten und viele Flüge nach Europa und Asien am Abend gingen, war der Flughafen relativ voll und gerade vor der Gepäckabgabe, wo sie ihre Sporttasche würde abgeben müssen, und der Sicherheitskontrolle reihten sich lange schlangen an.

Doch damit hatte sie gerechnet und war entsprechend früh hergekommen.

Und so wartete sie vor der Gepäckabgabe, sah auf ihr Handy und wartete. Vielleicht sollte sie zumindest eine Antwort schreiben. Doch das war noch feiger, oder?

Sie hörte nicht, als jemand nach ihr rief, war zu sehr in Gedanken versunken. So war es erst als eine Hand auf ihrer Schulter lag, dass sie sich umdrehte.

„Wolltest du wirklich fahren, ohne dich zu verabschieden?“, fragte Momoko leise. Sie lächelte, doch ihre Augen verrieten auch, dass sie geweint hatte.

„Ich...“, murmelte Aiko. „Es tut mir leid, Momoko.“

Momoko schüttelte den Kopf. „Nein. Mir tut es leid. Ich... Ich habe dich überrumpelt.“

Wieder wusste Aiko nicht, was sie sagen sollte. Sie schwieg und sah sie an.

„Glaub mir, Ai-chan, ich verstehe schon“, meinte Momoko. „Es ist mein Fehler. Ich... Nun, ich verstehe schon.“

Doch nun war es Aiko, die den Kopf schüttelte. „Aber ich verstehe nicht“, erwiderte sie und seufzte. „Es tut mir wirklich leid, Momo-chan. Auch dass ich mich nicht verabschiedet habe. Sag das Beth und den anderen.“

Momoko nickte. „Ja.“ Sie seufzte. „Und wirklich, Ai-chan. Gestern... Ich weiß nicht. Es tut mir leid.“

Daraufhin nickte Aiko nur. „Es ist in Ordnung. Wirklich.“ Sie seufzte. „Wenn du nach Japan zurück kommst... Ich meine... Vielleicht... Ich weiß es nicht. Vielleicht irgendwann.“



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