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All You Deliver

von

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Something About You

 

 

„Weißt du was ziemlich scheiße ist?“

 

Es war mal wieder soweit.

Aomine Daiki stand vor einem kleinwüchsigen Italiener, der Daumen, Zeige- und Mittelfinger in einer seiner typisch italienischen Handgesten zusammengeführt hatte und diese in der Luft vor Daikis Nase vor und zurück schwang. Es war sein Chef, von dem er gerade einen Waschechten Anschiss bekam, was vor allen Dingen immer dann passierte, wenn Daiki überhaupt keine Schuld daran trug. Aber heute ließ er das Lispeln des Pizzameisters relativ entspannt über sich ergehen.

 

„Ich sag‘ dir, was scheiße ist! - DU bist scheiße! - Deine ganze Lebenseinstellung ist scheiße!

Glaubst du, du bist ein Superheld, dass du unsere Kunden warten lässt? Was zur Hölle treibst du auf‘m Lieferweg?! Das Verbrechen bekämpfst du ja wohl nicht gerade, also kannst du auch schneller liefern! Leute rufen an und fragen ständig, wann ihr Essen endlich ankommt!“

 

Daiki verdrehte die Augen und verschwieg die Tatsache, dass sein Liefermoped, das für ihn eh viel zu klein war, auf dem Weg wegen jeder Kleinigkeit ständig abwürgte und er deswegen die bestellten Gerichte im Schnitt etwa 30 Minuten später brachte. Das Moped wollte sein Chef allerdings partout nicht reparieren lassen.

Eigentlich war Daiki niemand, der sich anblaffen ließ. Auch wenn es sein Chef war, der die Stimme erhob, aber er bekam ausreichend Kohle und wollte die nächsten paar Monate noch hier verbringen. Nur deswegen hielt er die temperamentvolle Meckerei seines lispelnden Chefs aus und sagte nicht groß etwas dazu. Außerdem war er seit gestern sehr ausgeglichen. Daher juckte ihn der Anschiss herzlich wenig. Vielleicht lag es ja daran, dass er wieder Basketball gespielt hatte.

Als er gestern in den Park gegangen war, um ein paar Körbe zu werfen, hatte er nicht damit gerechnet, dass es interessant werden könnte. Eigentlich hatte er nicht einmal damit gerechnet, dass er überhaupt gegen jemanden spielen würde, doch als die sieben Jugendlichen den Sportplatz für sich beanspruchen wollten und Daiki sich in der Heldenrolle gesehen hatte, ihnen mal ordentlich ‚die Leviten zu lesen‘, wenn auch auf eine eher spezielle Art und Weise, wurde es sogar richtig spannend. Von wegen, er war kein Superheld! Den pubertierenden Hosenscheißern hatte er es so richtig gezeigt!

 

Rausch.

Es war wie ein Blutrausch gewesen.

Sogar noch einen Tag später spürte Daiki den Nachhall seiner Aufregung in seinem Körper pulsieren.

Seit einer Ewigkeit hatte er so etwas nicht mehr gespürt. Und verdammt – es fühlte sich ziemlich gut an! Sein Körper brauchte offenbar diesen Ausgleich und dankte ihm nun damit, dass er – von dem Muskelkater mal abgesehen – beinah tiefenentspannt war. Daiki war seit langem sogar so etwas wie „gut drauf“! Zumindest so gut, dass er sich ohne weiteres einfach anmeckern ließ.

 

„Mach mal halblang, Chef. Ich hab’s schon kapiert“, antwortete Daiki gelassen und verstaute die frischgebackenen, dampfenden Pizzen in den dazugehörigen Pappkartons. „Wohin soll’s jetzt gehen?“

Der kleine Mann warf ihm noch irgendwelche italienischen Flüche an den Kopf, ehe er sich zum Tresen begab, um die Bestellungen auf dem Monitor des Computers zu checken.

„Heute ist dein Glückstag, sonst hätte ich dich nach diesem Spruch gefeuert“, murrte er missbilligend. „Im Extrawunsch steht nämlich, dass der ‚berühmte‘ Aomine Daiki liefern soll.“

Ja, ja, red‘ nur weiter. Als ob du mich wirklich gefeuert hättest, dachte Daiki bei sich und linste über den Kopf seines Chefs hinweg auf den Bildschirm, während er sich mit einer Hand auf der Oberfläche des Tresens abstützte.

Straße so und so, Hausnummer dies und das, Bezirk XYZ, Name- Daiki stutzte und weitete die Augen.

„WAS ZUR HÖLLE?!“, war das einzige was Daikis Mund dann verließ. Er verzog vor negativer Überraschung sein Gesicht, denn wenn ihn seine Augen nicht trogen – und das taten sie äußerst selten – dann war der Name des Bestellers ‚Kise Ryōta‘.

„Beschwerst du dich jetzt auch noch? Der Typ hat dir den Arsch gerettet, capisce?“

 

Da flog sie hin – Daikis Ausgeglichenheit.

Bye, bye.

 

Es war definitiv kein unglückliches Versehen, sondern eine nahezu streng kalkulierte Absicht! Das stand schon mal fest. Aber wie hatte Kise Ryōta bitte herausgefunden, wo genau Daiki arbeitete? Und warum musste er ausgerechnet nach ihm verlangen? Hatte es ihm denn nicht gereicht, im Eiscafé Daikis Nerven zu strapazieren? Mehr als deutlich hatte Daiki ihm vor einer Woche mit seinem Verhalten klargemacht, dass er auf weiteren Kontakt mit Kise verzichtete. Aber dieser hatte es offenbar nicht ernst genommen.

Spätestens jetzt wäre Daiki froh gewesen, wenn sein Chef ihn doch noch feuern würde. Und zwar bevor er diese beschissenen Pizzen abliefern musste. Leider war die Hoffnung vergebens. Er gab kein weiteres Wort von sich, sondern packte die beiden Kartons in die quadratische Mopedtasche und begab sich damit nach draußen in den späten, kalten Herbstabend.

So schnell konnte einem die gute Laune verdorben werden.

Zu allem Übel verschwor sich sogar das blöde Ding von Moped gegen ihn. Wenn es jetzt den Geist aufgegeben hätte, hätte der Tag noch gerettet werden können, aber es brachte Daiki krächzend und jauchzend zur notierten Adresse, ohne dass der Motor auch nur ein einziges Mal Probleme bereitete.

 

Wow – dieses Universum musste Daiki wirklich hassen …

 

 

Um 22:57 Uhr – das war ein Rekord der Pünktlichkeit – klingelte Daiki widerwillig an der Tür eines Hauses. In dieses Viertel hatte er noch nie einen Fuß gesetzt, weil es zu fancy war, als dass hier irgendjemand Pizz bestellen würde. Und von alleine würde Daiki auch nicht hierher kommen. Lauter Designer-Neubauten mit ruhigen familiären Innenhöfen, wo jeder wohl jeden beim Vornamen kannte und tagtäglich mit überschwänglicher Höflichkeit grüßte. Wie hielt es Kise hier bitte aus?

„Passwort?“, flötete ihm die nervigste Stimme aller Zeiten durch die Gegensprechanlage fröhlich zu.

„Pizza“, brummte er missgelaunt und ließ sich öffnen. Vor dem typischen Summen der Tür war noch ein leises Gelächter zu hören, das Daiki dazu trieb, sich sein Lieferantenkäppi tief ins Gesicht zu ziehen. Das war ja mal peinlich bis zum Gehtnichtmehr! Peinlich und erniedrigend! Aber gegen diese Situation ließ sich einfach nichts mehr ausrichten.

Er stieg die Treppen empor und schaute nicht einmal zur offenen Tür, als er das übliche Abrechnungsprozedere ablaufen ließ.

„Macht dann 2600 Yen“, murmelte er eintönig, während seine Finger die Summe in das Rechungsgerät eintippten.

„Ach komm schon, Aominecchi! Sei kein Spielverderber!“, hörte er Kise sagen. „Du könntest uns wenigstens ordentlich begrüßen!“ Doch bevor Daiki etwas Grimmiges darauf erwidern konnte, warf sich ihm jemand voller Freude um den Hals.

„Dai-chan! Oh Gott, ich habe dich sooo vermisst!“

Damit löste sich die ominöse Frage auf, woher Kise seine Arbeitsstelle kannte und ein regelrecht entrüstetes Schnaufen entwich Daikis Nase.

„Satsuki, du erdrückst mich gerade“, zischte er der Frau zu, die sich mit ihrem großen Vorbau an ihn schmiegte. Allerdings nicht nur mit ihrem Vorbau, sondern auch mit dem schwangeren Bauch.

„Oder besser gesagt, dein Walross da unten“, warf Daiki noch mit rachsüchtigem Jähzorn hinterher. „Gib’s zu – das mit der Pizza war deine Idee, damit du dich ungeniert vollfressen kannst.“ Dafür kassierte er einen zickigen Schlag auf den Oberarm und die angenehmen Rundungen von Momoi Satsukis Busen sowie des nicht ganz so angenehmen Schwangerenbauches entfernten sich rasch wieder.

„Idiot! Ich esse schließlich für zwei!“, quiekte die junge Frau eingeschnappt und streichelte ihre pralle Kugel, bei der sich Daiki immer fragte, wie sie nicht einfach aufplatzte. Das Ganze ließ Kise wieder auflachen. Er kramte Bargeld hervor und reichte es Daiki.

„Wie wär’s? Komm doch für ein paar Minuten rein und iss was mit uns“, schlug er vor.

„Genau! Essen umsonst, Dai-chan! Das kannst du nicht abschlagen!“, pflichtete Satsuki dem Blonden bei. Wie zu Befehl meldete sich Daikis leerer Magen mit einem Grummeln und auch wenn er liebend gern abgelehnt hätte, so musste er letzten Endes doch noch einwilligen. Sogar sein eigener Körper hatte sich scheinbar gegen ihn verschworen.

„Trinkgeld will ich trotzdem haben“, sagte er genervt, krallte sich die Scheine aus Kises Hand und ließ sich anschließend in das Innere der Wohnung geleiten.

Scheiß drauf, dass er nicht rechtzeitig zurück zur Arbeit kommen würde. Sollte er gefeuert werden, würde seine neue Arbeitsstelle geheim bleiben und das in erster Linie vor Satsuki.

 

 

Obwohl Daiki sich hier völlig fremd fühlte, hatte Kise Ryōtas Wohnung etwas Heimeliges an sich. Entgegen seiner Erwartung war es nicht vollgestopft mit irgendwelchem Kitsch, sondern war durchaus minimalistisch gehalten. Es lagen keine überflüssigen Gegenstände auf den Regalen. Das Mobiliar war durchaus geschmackvoll gewählt. Nur ein paar Kindersachen waren hier und da verstreut. Einige Spielzeuge und Malutensilien, sowie Kleidungsstücke, die eindeutig Kises Tochter gehören mussten. An den Wänden hingen ein paar Bilder, die Stillleben und Landschaften zeigten. Das Licht war gemütlich gedimmt.

Er drückte Kise die Pizzakartons in die Hand und zog sich unwirsch die Schuhe aus, die er in die offensichtliche Schuhecke im Flur warf. Währenddessen quasselte ihn Satsuki bereits über dies und jenes zu.

Tetsu hier, Tetsu da, Baby wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Daiki soll bei der Geburt auch dabei sein (Pft, als ob er es sich antun würde!) … bla, bla, bla. Satsuki prahlte mit ihren selbstgestrickten Babyschühchen und so weiter. Nichts, was Daikis Aufmerksamkeit wirklich beanspruchte. Stattdessen pflanzte er sich auf die helle Ledercouch in Kises Wohnzimmer hin und zog sich das lästige Käppi und die Jacke aus, um es sich wenigstens bequem zu machen.

Zu seinem Glück übernahmen Kise und Satsuki den Part mit dem Reden, während Daiki sich über die Pizza hermachte. Wenn am Ende für die eigentlichen Besteller kaum was übrig blieb, war das nicht sein Problem. Das hat man eben davon, wenn man sich so eine ‚lustige‘ Frechheit erlaubte.

Ohne groß hinzuhören, worüber die beiden tratschten, ließ er beim Essen den Blick wider umherschweifen.

In einer Ecke glühte ein Räucherstäbchen. Auf der Fensterbank gediehen ein paar Pflänzchen. Drüben auf dem Regal waren einige Fotos aufgestellt, von denen Daiki sogar mehrere wiedererkannte, weil sie aus dem vergangenen Jahrzehnt stammten. Die Pizza schmeckte fade. Aber das hielt Kise nicht davon ab, sich ein Stück zu nehmen und davon zu naschen, während Satsuki aus dem Erzählen nicht mehr rauskam. „Und dann sagte er … und Tetsu-kun meinte darauf nur … Kannst du dir das vorstellen, Ki-chan?“ Typisch Satsuki – wenn sie sich erst einmal in den Eifer geredet hat, machte sie erst Halt, wenn sie Informationen für ihr VIP-Insiderwissen über ihre Freunde in Erfahrung bringen wollte. Daher schaltete Daiki ganz ab. Stattdessen blieben seine Augen an Kises Gesicht hängen. Er schien wirklich aufmerksam zuzuhören, wenn auch sehr gelassen und entspannt, aber der Pizzakrümel an seiner Wange passte einfach nicht in das Bild. Eigentlich sollte Kises gepflegtes Äußeres so etwas nicht zulassen und doch saß er da, ohne es zu merken.

 

Wirklich – er hatte sich kein Bisschen verändert.

Oder?

 

Vielleicht mochte ihn das alter etwas reifer und erwachsener wirken lassen, aber die Mimik und Gestik waren fast die gleichen geblieben. Ganz zu schweigen von der Art sich in einem trauten Menschenkreis zu entspannen und Dinge zuzulassen, die in Situationen wie der Sendung gestern im Fernsehen niemals zum Vorschein gekommen wären: Tollpatschigkeit, Dummheit, Naivität, Schlampigkeit. Alles, was seine Fans auf den Covern der Illustrierten nie sahen und auch nie sehen würden.

Ein Krümel auf der Wange? Nein – so ein Bild blieb nur Freunden vorbehalten.

Und trotzdem war irgendwas anders.

Kise war zwar schon immer ausschweifend in interaktiver Kommunikation gewesen, zeigte auch jetzt noch theatralische Gesichtsausdrücke, lachte auffällig laut oder gestikulierte etwas wilder als normale Menschen, weil er es sich leisten konnte, ohne dabei völlig bescheuert auszusehen, aber jetzt schien das alles auf ein gewisses Minimum heruntergeschraubt worden zu sein. Es war Teil der neuen, etwas fremdartigen Ausstrahlung. Daiki konnte nicht ganz erfassen, was genau diese Wirkung erzeugte. Vielleicht lag es an der Art wie Kise lächelte, wenn es nicht gestellt und für die Öffentlichkeit gedacht war. Es machte einen leicht müden Eindruck. Vielleicht auch leicht geheimnisvoll a la Mona Lisa.

Oder war es die sonderbare, ungewohnte Ruhe in seinem hellen Blick? Nicht vernebelt oder mit längst erloschenem Funken, nein – man konnte eher gelassene Durchdringlichkeit darin erkennen. Vielleicht auch die Tatsache, dass er mehr zuhörte, als selbst zu reden, ganz im Gegensatz zu früher, wenn er sich ständig versuchte in den Mittelpunkt zu drängeln.

Oder war es die Art sich zu bewegen? Grazil, elegant, statt kindlich und burschikos stumpf? Jede Handgeste, wie ausladend sie auch sein mochte, war weich, fließend, wenn auch in keiner Weise weiblich.

Alles eine Anhäufung von dezenten Kleinigkeiten und Feinheiten, die man nur bemerkte, wenn man ganz genau hinsah.

Daiki war eigentlich kein guter Beobachter und ein genauer schon gar nicht, weil er Gegebenheiten stets intuitiv erfasste, wenn es etwas Relevantes zu erfassen gab. Dennoch konnte er gerade nicht wirklich aufhören hinzusehen.

Eine geschlagene Ewigkeit beobachtete er diesen nervigen Krümel auf Kises Wange …

 

 
 

~

 

 

„Alter, dir klebt dein halber Burger auf der Fresse.“

Kise zieht auf die Bemerkung hin genervt die Augenbrauen zusammen.

„Bitte, was?“

Aomine verdreht die Augen und deutet sich selbst mit dem Zeigefinger auf die Wange.

„Da. Merkst du‘s nicht?“

Es ist erheiternd wie tollpatschig Kises Versuche sind, sich die komplette Krümelkolonie von der Wange zu wischen. Seine Finger sind vom Essen noch ganz fettig, weshalb er die Stelle direkt mit dem Handgelenk zu ertasten versucht. Das sieht so bescheuert aus, dass es völlig unmöglich für Aomine ist ihn dafür nicht auszulachen.

„Aominecchi! Du bist echt das Letzte!“, zischt Kise und wendet sich Kuroko zu, damit dieser ihm hilft. Leider ist von Letzterem auf dem Sitzplatz nichts mehr übrig. Er hat sich auf seine sehr typische Art in Luft aufgelöst. Kise lässt den Kopf kurz hängen, grummelt etwas und beginnt die lange Prozedur, sich zunächst mit dem Berg an Servietten, die er mitgenommen hat, die Finger trockenzurubbeln, um dann in seiner Tasche nach dem Handy zu fischen. Die Handy-Kamera als Spiegel zu benutzen würde aber auch nur einem Mädchen einfallen. Oder einem Model.

Aomine kann nicht mehr aufhören zu lachen.

 

Sie sind 14, sie sind Freunde und sie stehen sich nah.

Vielleicht nicht unbedingt so nah wie Momoi und Aomine sich nahstehen, da diese sich seit dem Kindergarten kennen, aber Midorima bringt selbst Murasakibara manchmal Lucky Items mit, wenn er gelesen hat, dass sein Sternzeichen unter Bedrohung des Unglücks steht. Und Akashi lädt sie alle öfters auf eine Runde Eis ein, weil er Geld ohne Ende zu haben scheint. Kise klebt nervig an allen dran, wie eine hartnäckige Klette und belästigt jeden mit seinen neuen Magazinausgaben. Nur Kuroko weiß, wie man ihm richtig entkommen kann, aber er lässt es viel öfter einfach zu. Murasakibara schenkt Momoi Süßigkeiten, damit sie mit ihrer anstrengenden Mädchenstimme bloß nicht so viel quatscht. Er kann ihre Schwärmereien über Kuroko nicht mehr hören. Dabei findet sie, dass Murasakibara neben Midorima der Vertrauenswürdigste in dem Freundeskreis ist, weil er dazu neigt, alle erzählten Geheimnisse zu vergessen. Er hat zum Beispiel vergessen, dass Aomine Momois erster, total peinlicher Kuss war. Außerdem vergisst er immer, wer Kise ist, obwohl sie dieselbe Klasse besuchen. Midorima findet das albern und sucht immer einen Rat bei Akashi, der sich indes gerne ausmalt, wie Kuroko schon bald eine noch wichtigere Rolle in dem Team spielen wird.

 

Wenn der Teikou Basketball-Club so was wie ein Königreich wäre, dann wäre Akashi zweifelsohne der König und Midorima – na ja – die Königin. Momoi wäre der Spion und Kuroko der Sekretär. Kise wäre der Narr, Murasakibara der Henker, Aomine der Ritter.

Jeder hat seinen Platz in der Gruppe. So stellt sich Momoi das immer mit einem verträumten Schmunzeln auf den Lippen vor, wenn sie nicht gerade Informationen über die feindlichen Teams sammelt.

 

Sie sind furchtbar jung, sie sind Freunde und sie stehen sich so nah, dass es für Aomine keinen Umstand bereitet, sich über den Tisch zu lehnen und Kise die Krümelansammlung grob von der Wange zu wischen, bevor dieser sich vor dem ganzen Fastfood-Restaurant mit dem Handy zum Affen macht.

 

„Du bist echt bekloppt, Kise.“

„Schnauze! Selber bekloppt, Aominecchi!“

 

 

~

 

 

„Du hast da was auf der Wange, Ki-chan“, sagte Satsuki und riss Daiki aus seinen Gedanken heraus.

„Oh…!“ Kise wischte sich rasch mit der Handfläche über die Stelle und lächelte verlegen. „Wie ungeschickt.“

Noch bevor der Krümel endlich verschwand, hatte Daiki seinen Blick auch schon wieder weggelenkt. Die Erinnerung, die ihm gerade durch den Kopf geflogen war, fühlte sich fremdartig und fern an. Als ob sie gar nicht stimmte und bloß Einbildung war.

Hatten sie früher wirklich so eine Art von Beziehung? War es früher wirklich so ungezwungen und einfach?

Daiki konnte es sich gar nicht mehr vorstellen. Er konnte es sich ja noch nicht einmal vorstellen, wie Satsuki es schaffte ihn immer noch als einen essentiellen Teil ihrer Familie zu sehen. Sie trafen sich vielleicht einmal im Monat, wenn es hochkam.

 

Du bist immer bei uns willkommen“, hatte Tetsu vor etwa einem halben Jahr gesagt. Auf seinen schmalen Lippen ein typisch unscheinbares Schmunzeln, das mit den Jahren irgendwie sanfter geworden war, was nicht hieß, dass er seinen trockenen Sarkasmus verlernt hatte.

Aber die Wahrheit war, dass nicht der Rest der Welt Daiki von sich gestoßen hatte, sondern er selbst sich irgendwie immer mehr zurückzog. Er merkte das nicht einmal bewusst, schließlich war er auch früher nicht gerade sehr kommunikativ gewesen. Zumindest nicht, seit er 15 Jahre alt geworden war. Die Welt zog an ihm seitdem vorbei, aber aus unerfindlichen Gründen hatten ihn einige Menschen nicht einfach vergessen.

Satsuki, Tetsu, ja – selbst Taiga.

Nur dass es trotzdem nicht mehr dasselbe war.

Sie waren keine Teenager mehr.

Sie waren erwachsen.

Und von der Nähe, an die er sich gerade erinnert hatte, war nichts mehr übrig.

 

„Ach, passiert doch jedem mal“, sagte Satsuki und wank ab, nur um gleich darauf fortzufahren. „Jedenfalls habe ich deswegen sogar mit Akashi-kun telefonieren müssen. Gut, dass Tetsuya und ich noch den Kontakt zu ihm haben. Er war eine unglaubliche Hilfe.“

„Verstehe.“ Kise nickte verständnisvoll und goss Satsuki irgendeinen Traubensaft nach. Sich selbst gönnte er noch einen Schluck Rotwein, mit dem er danach auch Daikis leeres Glas befüllte. “ Aber vielleicht wäre es das nächste Mal wirklich angebracht, gleich die Polizei zu rufen. Pressefreiheit hin oder her.“

Jetzt kam Daiki nicht mehr so richtig mit, weil er so ziemlich alles, worüber Satsuki und Kise redeten, bisher einfach ignoriert hatte.

„Hä?“, machte er mit vollem Mund etwas verwirrt.

„Dai-chan.“ Satsuki seufzte mit hörbarer Empörung. „Wenn du an dem Gespräch teilhaben willst, dann hör doch das nächste Mal einfach hin.“

„Jetzt zick‘ schon nicht rum. Der Inhalt deiner Monologe ist meistens langweilig. Woher soll ich denn wissen, wann ich aufpassen muss und wann nicht?“, erwiderte Daiki genervt darauf und erntete einen beleidigten Blick von seiner Kindheitsfreundin.

„Wir haben nur über die Belästigung gesprochen. Du weißt schon – von den Journalisten, die Infos für diese dämliche Sendung gesammelt haben“, meldete sich jetzt Kise zu Wort, um die aufkommende leichte Spannung zu beschwichtigen.

„Die Sendung fandest du wohl nicht ganz so dämlich, wenn du für die deinen special Auftritt hingelegt hast. Also tu mal nicht so.“

„Na ja, Ich gehöre inzwischen etwas zur Publicity. Das Live-Interview war quasi mein Job.“ Daiki hatte erwartet, dass in so einer Aussage eine vorwurfsvolle Note mitschwingen würde, aber das war nicht der Fall. Die erklärende Eigenverteidigung von Kises Seite aus war neutral, ruhig und überhaupt nicht feindselig gesagt. Irgendwie entwaffnend.

„Ja, ja, whatever.“ Wenn es eins gab, das Daiki wirklich gut konnte, dann war es so auszusehen, als wäre er völlig unbeeindruckt und desinteressiert. Aber auch das schien ihm Kise nicht böse zu nehmen.

„Die Wichser sind echt hartnäckig gewesen, stimmt schon. Dachte, die würden nie mit ihren beschissenen Anrufen aufhören.“

„Daiki, könntest du bitte-“ Die etwas verärgerte Satsuki wollte wohl auf die unangemessene Nutzung von Kraftausdrücken anspielen, als sie hörbar die Luft einzog und sich die Hand auf den Mund legte. Sowohl ihr als auch Kises Blick waren in Richtung Flur gerichtet, zu dem Daiki mit dem Rücken gekehrt saß. Etwas verwundet drehte er sich herum und sah über seine Schulter auch dahin. Seine Augen weiteten sich leicht und seine Lippen glitten auseinander, als wollte er etwas sagen, aber selbst wenn er gewusst hätte, was er sagen sollte, war es nicht seine Aufgabe. Stattdessen hatte sich Kise erhoben und eilte in Richtung Flur, wo seine kleine Tochter im zuckersüßen rosa Kätzchen-Pyjama stand.

 

„Natsumi, Hase – haben wir dich geweckt? sind wir zu laut?“, fragte er besorgt und ging vor ihr in die Hocke.

 

Egal wie man es drehte und wendete – das Bild war verstörend und Daiki konnte immer noch nicht wirklich begreifen, dass Kise ein Kind hatte. Um ehrlich zu sein, hatte er es sogar schon wieder verdrängt.

 

Die Kleine nickte darauf und sah anschließend zu Daiki, dem sie wieder diesen offen neugierigen, ein bisschen vorsichtigen, aber völlig urteilsfreien Blick schenkte, den er gar nicht verdiente.

Warum sah sie ausgerechnet ihn an? Hatte er irgendwas im Gesicht?

Wollte sie ihn ihrer Puppensammlung vorstellen?

Zwang sie ihn gleich dazu, sie zu ‚heiraten‘?

Sie wollte ihm doch kein Feenkostüm andrehen, oder?

Wie alt war sie überhaupt?

 

„Tut mir leid, meine Süße, wir werden leiser sein, okay? Na komm, ich bringe dich wieder ins Bett“, gab Kise indes von sich und platzierte seine Hände sanft an den Seiten einer Tochter, um mit ihr gemeinsam aufzustehen und sie auf die Arme zu heben. Es sah völlig natürlich und gelassen dabei aus, aber Daiki hielt es dennoch für eine Illusion.

„Bin gleich wieder zurück“, sagte Kise noch über seine Schuler lächelnd und verschwand mit der Kleinen im Flur.

Genau in diesem Moment traf Satsukis Handfläche Daikis Oberarm.

„Sag mal, spinnst du?!“, zischte sie ihm leise zu. „Du kannst doch nicht so fluchen vor Kindern!“

„Was denn, soll ich riechen, dass sie wach ist?“ Diese Ausrede war für die Außenwelt zumindest nachvollziehbarer als die Wahrheit. Als würde ihm eine angehende Mutter abkaufen, dass man die Existenz eines Kindes im Haus verdrängen konnte. Mit Müttern diskutierte man nicht. Und mit solchen, die Satsuki hießen, erst recht nicht.

„Es geht doch nicht nur um Natsumi-chan! Das war ja wirklich nur ein Zufall. Aber glaubst du, mein Bauch ist schallisoliert? Mein Sohn muss solche Ausdrücke auch nicht mitkriegen. Ja, auch im Mutterleib nicht! Daiki, du bist kein Teenager mehr und vor allem bist du auch nicht von Teenagern umgeben. Es wird Zeit endlich mal erwachsen zu werden!“

Die Predigt ging noch eine gefühlte Ewigkeit lang, bis Kise leise zurückkehrte. Auf seinem Gesicht tänzelte ein entschuldigendes Lächeln und er legte sich den Zeigefinger gegen die Lippen, um zu signalisieren, dass sie ab jetzt leise sein sollten. Die Erwartung, dass von ihm zumindest ein Vorwurf kommen würde, hing in der Luft, aber auch das blieb aus und Daiki kam nicht umhin zu bemerken, dass er diese andere, erwachsene Art von Kise Ryōta sehr mochte … Zumindest im direkten Vergleich mit Satsukis erwachsener Ich-bin-jetzt-Mutter-Art, die wohl ihre Nervigkeit legitimieren sollte.

„Ernsthaft, wie hält es Tetsu aus mit dir?“, stichelte Daiki und verdrehte dabei die Augen.

Unwillkürlich hatte er seine Stimme gesenkt.

„Wie du siehst, hält er es sehr gut mit mir aus!“ Und während Satsuki ausdrucksvoll gestikulierend zu einer neuen Moralpredigt ansetzte, lehnte sich Kise leicht zu Daiki rüber.

Misdirection“, sagte er hinter leicht vorgehaltener Hand und wenn Daiki je daran gezweifelt hatte, dass er von einem Wort zum Lachen gebracht werden konnte, dann bewies spätestens das hier das absolute Gegenteil. Der Begriff, den er schon eine Ewigkeit lang nicht mehr gehört hatte und den Kise im passenden Augenblick von sich gegeben hatte, kam so unerwartet, dass es Daiki sofort ein unterdrücktes Prusten entlockte. Er erstickte es schnell mit seiner Hand, nur um darauf gleich einzugehen. „Wahrscheinlich verpisst er sich immer, ohne dass sie es merkt, hahaha!“

„Das war schon damals sein größtes Talent“, stimmte Kise zu, aber schon war Satsukis aufmerksames Ohr zur Stelle und sie blies schmollend die Wangen auf.

„Was tuschelt ihr da?! Ich zeige euch beiden gleich mal mein größtes Talent!“

„Oh!“, machte Daiki mit gespielter Ehrfurcht „Wir haben wohl den Kraken erweckt.“

Kise lachte leise auf, Daiki hielt sich die Hand vors Gesicht und dann stimmte auch Satsuki mit ein.

„Passt bloß auf, ihr beiden – der Kraken holt euch noch“, zischte sie kichernd.

 

Was war das hier?

Warum fühlte es sich plötzlich danach an, als wäre alles ein bisschen wie früher?

Irgendwie warm.

Sorgenfrei.

Ein Bisschen so als wären sie wieder 14 und allesamt unschuldige Kinder, die nichts als Blödsinn in ihren Köpfen hätten.

Dabei waren doch nicht einmal irgendwelche besonderen Worte gesagt worden. Nur ein einziger Witz war gefallen. Eine Gemeinsamkeit. Etwas, das sie alle miteinander verband und unwillkürlich die Stimmung lockerte. Sie war vorher ja nicht einmal wirklich angespannt gewesen, aber Daiki hatte sich fremd gefühlt. Nicht zugehörig. Distanziert. Er hatte es auch nicht gewollt, in diesen sanften Sog der Willkommenheit gezogen zu werden. Aber es bedurfte nur dieses einen Witzes, um ihn einzuladen. Der Rest kam von alleine.

 

Sie saßen nicht mehr lang beieinander. Nur bis die Pizzen aufgegessen waren. Sie redeten über ein paar Belanglosigkeiten, bei denen Daiki nicht viel zu sagen hatte. Hin und wieder gab er einen kleinen Spruch von sich, wie er es immer tat. Und schließlich war es an der Zeit zu gehen. Satsuki war diejenige, die sich zuerst meldete. Man sah ihr an, dass sie müde geworden war. Daiki hatte sich ebenfalls erhoben. Kise brachte sie beide zur Tür. Satsuki umarmte ihn herzlich, wechselte ein paar Abschiedsworte mit ihm, während er im Türrahmen stand. Ein letztes, leises Kichern. Ein „Gute Nacht, kommt gut nach Hause“ und der Abend endete so leicht und unverfänglich wie er angefangen hatte.

Daiki beobachtete den vertrauten Ablauf, blickte ein abschließendes Mal zu Kise – der zu ihm zurücksah und dabei auf geheimnisvolle Art irgendwie zufrieden wirkte – und hob dann die Hand zum Abschied, ehe er sich herumdrehte.

 

Irgendwas sagte ihm, dass mit diesem Tag sein Leben einen anderen Lauf genommen hatte. Vielleicht einen anstrengenden, einen unvorhersehbaren, einen ungeregelten. Aber auf jeden Fall einen angenehmeren.

 

 

 



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