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The Idol Mafia

von

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Codename: Hesiod

Die Schritte hinterließen ein dezentes Echo auf dem Flur. Es wurde mit jeder Sekunde lauter, bis schließlich jemand mit weißem Hemd und dunkelroter Krawatte vor einer massiven Eichenholztür stand. Mit unruhiger Hand wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Trotz der Tatsache, dass das Gebäude vollständig klimatisiert war, half aber selbst das nicht wirklich viel. Es war die pure Nervosität, die ihm die Schweißperlen immer wieder aufs Neue in die Augen trieb. Der Mann mit dem glatten, schwarzen Haar atmete mehrmals tief durch und klopfte danach drei Mal an die Türe.
 

Einen Moment lang gab es keinerlei Reaktion aus dem Inneren des Zimmers, bis plötzlich ein gedämpftes

"Kommen Sie herein" nach außen drang. Dem Öffnen der Türe wohnte ein leises Quietschen der Scharniere bei. Zaghaft machte der kleine Bote ein paar Schritte nach vorne und sah sich mit einer schnellen Kopfbewegung um. Drei große Fenster durchfluteten den Raum mit gleißendem Sonnenlicht. Links von ihm aus gesehen, stand an der Wand eine Couchgarnitur, einen halben Meter weiter ein Konferenztisch, der ungefähr Platz für zehn Teilnehmer bot. In einer Linie mit der Tür ragten zwei Regale bis fast unter die Decke empor. Sie waren gefüllt mit allerlei Aktenordnern und Büchern. Die schiere Masse beeindruckte ihn sichtlich. Etwas, das auch den anderen anwesenden Personen nicht entging.

"Es gibt hoffentlich wichtige Gründe, weshalb Sie mich bei meiner Arbeit stören", äußerte sich ein älterer Herr,

welcher an einem Schreibtisch gegenüber der Türe saß.
 

Ein wenig zögerlich drehte sich der Bote in die Richtung, aus der die Stimme kam. Zugleich verbeugte er sich tief, legte die Hände an und verharrte in dieser Position. Kurz darauf trat ein Mann mit schlaksiger Erscheinung an ihn heran. Graue Anzugshose und ein schwarzes Hemd mit Stehkragen hinterließen einen eleganten Eindruck. Ein Henriquatre umschloss den Mund und die linke Seite wies an der Schläfe entlang eine Narbe auf, die sich bis unter das Auge erstreckte. Trotz des üblichen Verblassens war diese jedoch noch immer gut sichtbar, nicht zuletzt wegen seiner kahlrasierten Glatze.
 

„Ah, Isamu-san. Wie ich sehe haben Sie neue Informationen für uns“, dabei deutete er auf die dünne Ledermappe, die Isamu in den Händen hielt. „Ja, natürlich, Akito-san. Bitteschön.“ Zaghaft übergab er die Mappe, ohne zu langen Blickkontakt zu halten. Mit einem leisen Murren überflog der großgewachsene Mann die wenigen Seiten. Eine unmissverständliche Handbewegung signalisierte dem Boten, sich aus dem Zimmer zu entfernen. Es verstrichen einige weitere Minuten, in denen sich Akito eingehender mit den vorliegenden Inhalten befasste.
 

Seine Laune nahm dabei Stück für Stück ab und auf der Stirn bildeten sich tiefe Sorgenfalten. Als er eine gute Viertelstunde später die Mappe beiseitelegte und sich an den Konferenztisch setzte, sprach ihn der ältere Herr von seinem Arbeitsplatz aus an. Er hatte das Geschehen stumm verfolgt und natürlich auch die negative Reaktion mitbekommen.
 

Ein lautes Räuspern war zu hören. „Bitte gib mir eine Übersicht der wichtigsten Details des Vorfalls.“ Mit einem zustimmenden Nicken erhob sich Akito langsam aus seinem Stuhl, rückte diesen wieder an den Tisch und begann mit seiner Zusammenfassung. „Wir haben jetzt die offizielle Bestätigung, dass besagte Daten tatsächlich aus der Zentrale in Mitteleuropa entwendet wurden. Es handelt sich insgesamt um verschiedene Dokumente und Listen, die offenbar nach der Aufbereitung und kurz vor einer routinierten Übertragung an weitere Standorte kopiert wurden. Ein solch unautorisierter Zugriff wurde laut dem Chef der Abteilung für IT-Sicherheit am vergangenen Freitag, den 26. Juni, registriert. Seitdem gab es diesbezüglich keine weiteren Meldungen mehr. Zusätzlich lässt sich dem Bericht entnehmen, dass dieser Diebstahl mit erhöhter Wahrscheinlichkeit nicht von außerhalb durchgeführt wurde. Stattdessen wird eine Vermutung ausgesprochen, dass es sich ebenso um einen oder mehrere Täter aus internen Kreisen handeln könnte. Soweit in aller Kürze.“
 

Im Licht der Sonne stehend, genoss er die Wärme, die ihm über das vom Alter gezeichnete Gesicht strich. Seine ergrauten Haare waren am Hinterkopf zu einem Knoten zusammengebunden. Gekleidet war er in einem traditionellen Kimono. Der dazugehörige Hakama, ein klassisch weitgeschnittener plissierter Hosenrock, besaß ein mit grauen und dunkelblauen Längsstreifen versehenes Muster. Um die Hüfte herum war der Obi, eine Art Stoffgürtel, gebunden. Dieser hielt den eigentlichen Kimono zusammen. Des Weiteren trug er einen schwarzen Haori, eine bis auf Schenkelhöhe gehende Überjacke. Das Gesamtbild wurde von einem Paar weisen Sandalen einheitlich abgeschlossen.
 

Mit verschränkten Armen und geschlossenen Augen hatte er den Worten seines Beraters Aufmerksamkeit geschenkt. „Das sind fürwahr äußerst beunruhigende Nachrichten. Es besteht demnach eine Chance, dass sich gleich mehrere potentielle Verräter in unseren eigenen Reihen bewegen. Ein Umstand, den wir keinesfalls ignorieren dürfen. Veranlasse bitte für morgen Vormittag ein Zusammenkommen des vollständigen Beraterstabs, um über das weitere Vorgehen zu diskutieren.“ „Wie Ihr wünscht, Daichi-dono.“ Mit diesen Worten verließ Akito den Raum.
 

Auf dem Weg zum anliegenden Treppenhaus, begegnete ihm auf halber Strecke ein wohlbekanntes Gesicht. „Hallo, Katsuro-san. Wohin des Weges?“ Mit einer kurzen Verbeugung zur Begrüßung und einem freundlichen, ja fast schon ansteckenden Lächeln, erwiderte der Mann. „Guten Morgen. Ich bin dabei meinem Vater die aktuellen Quartalsberichte zu bringen.“ Demonstrativ klopfte er mit der Hand auf zwei dicke Aktenordner, die er unter dem rechten Arm tragend mit sich führte. „Sehr löblich, aber ich dachte, dass das normalerweise die Aufgabe von Naoko-sama wäre. Oder täusche ich mich?“ „Keineswegs“, gab ihm Katsuro Recht. „Allerdings ist meine Frau mit ihrer Arbeit derzeit vollends ausgelastet. Ich bot ihr deshalb an, ersatzweise einzuspringen.“ Leicht argwöhnisch musterte Akito die Beschriftung der beiden Ordner. Seine Mimik verfinsterte sich zusehends. „Nichts als Probleme“, entwisch es ihm leise. Danach wandte sich Akito postwendend von seinem Gesprächspartner ab und lies ihn alleine zurück. Er wollte verhindern, dass dieser auf seine Reaktion aufmerksam wurde. Katsuro selbst wunderte sich zwar, schenkte dem Verhalten aber keine weitere Beachtung. Wie selbstverständlich betrat er das Zimmer am Ende des Flurs. Und ganz offensichtlich wurde er bereits erwartet.
 

„Katsuro, da bist du ja. Wie vereinbart, fast auf die Sekunde genau.“ Erneut verbeugte sich der junge Mann zur Begrüßung, bewegte sich zielgerichtet auf den Schreibtisch zu, um die verhältnismäßig schwere Fracht abzusetzen. „Hallo, Vater. Du weißt Pünktlichkeit ist eine Tugend“, witzelte er und schnaufte einmal kräftig durch. „Ja, da hast du nicht ganz Unrecht. In der heutigen modernen Zeit offenbart sich mir oftmals der klar erkennbare Verfall verschiedener Werte in unserer Gesellschaft.“ Vorsichtig kramte er in einer Schublade auf der rechten Seite des Schreibtischs herum. „Das Leben wird immer hektischer. Die Zahl der Menschen, die dabei die gebotenen Möglichkeiten verpassen, sich bestimmte obligatorische Eigenschaften anzueignen, steigt unaufhaltsam. Pünktlichkeit ist nur eine von vielen. Ich rede von präzisem Arbeiten, einem gesunden Pflichtbewusstsein, Respekt gegenüber Autoritäten, einer ausgeprägten Selbstbeherrschung, absoluter Loyalität, Zuverlässigkeit sowie dem ungebrochenen Willen Körper und Geist kontinuierlich zu stählen. „ Endlich fand sein Vater, wonach er gesucht hatte. Ein dunkelblaues Etui, aus dem er sich eine Lesebrille mit Goldrand direkt auf die Nase setzte. „Naoko hatte mir vorab telefonisch mitgeteilt, dass mich die neuen Quartalsberichte mit Sicherheit wieder zufriedenstellen würden. Katsuro, nimm doch bitte solange Platz, bis ich mit einer ersten Auswertung fertig bin.“ Schweigend kam er der Aufforderung nach und ließ sich auf der rechten Seite des Konferenztisches auf einem Stuhl nieder, mit dem Rücken zu seinem Vater gerichtet.
 

Während sich Daichi in aller Ausführlichkeit eine Übersicht der Resultate verschaffte, wurde Katsuro unterdessen auf eine rotbraune Ledermappe aufmerksam. Sie war mit Knopf und Kordel verschlossen. Auf der Vorderseite stand „Vertraulich“. Jedoch konnte er zweifelsohne erkennen, dass die Mappe schon mindestens einmal geöffnet worden war. Ein 2 cm breiter Streifen aus Dünndruckpapier, festgeklebt jeweils an der oberen und unteren Innenseite der Mappe, ragte mit den zerrissenen Hälften nach außen. Auf diesen waren unterschiedliche Symbole zu erkennen. Zuerst ein Kamon, ein Familienemblem. Es diente zur Verifizierung der Gültigkeit. Es folgte ein Emblem, das eindeutig auf eine bestimmte Person als Empfänger hinwies. Trotz der Beschädigung war das Zeichen seines Vaters zu erkennen. Zuletzt kam das Emblem des Absenders. Als reiner Schutzmechanismus konzipiert, konnte so ohne größeren Aufwand geprüft werden, ob sich zwischenzeitlich Unbefugte an den Inhalten zu schaffen gemacht hatte. Die entsprechenden Stempel, die unter anderem zur Nachproduktion benötigt wurden, befanden sich ausschließlich im Besitz der betreffenden Personen. Außerdem waren die Siegel durchnummeriert und deren Einsatz lückenlos dokumentiert. Selbstverständlich existierte auch hier ein gewisser Fehlerquotient, der sich allerdings im überschaubaren Rahmen bewegte. Das hatte die lange Zeit, in der dieses Verfahren seit her eingesetzt wurde, gezeigt. Besonders der letzte Teil des Siegels interessierte ihn. „Internationale Informations- und Kommunikationsverwaltung? Eine Nachricht aus dem Ausland. Was mag da wohl vorgefallen sein?“ Aus dem Augenwinkel heraus stellte er fest, dass sein Vater nach wie vor beschäftigt war. Eine gute Gelegenheit also, um sich weitere Einblicke in die vorliegenden Dokumente zu verschaffen.
 

Langsam öffnete er die Mappe und begann zu lesen. Die erste Seite war ein Deckblatt. In der oberen linken Ecke war wieder das Emblem der Abteilung für Internationale Informations- und Kommunikationsverwaltung zu sehen. Es war größer, als jenes auf dem Siegel. Daneben standen Datum, Uhrzeit und der Name des verantwortlichen Sachbearbeiters. Mittig auf dem Papier befand sich die Überschrift. „Erster Statusbericht zum Datendiebstahl vom 26. Juni 2015 in der europäischen Zentrale Frankfurt am Main“, las er in Gedanken. Im Anschluss an das Deckblatt gab es eine grobe Zusammenfassung der Geschehnisse. Ergänzend dazu folgten noch ein halbes Dutzend weiterer Seiten, die allerlei Informationen in wesentlich detaillierterer Form beinhalteten. Eine umfangreiche Aufstellung der gestohlenen Daten war hier mit weitem Abstand das Wichtigste. Den Rest bildeten eine Beschreibung über den möglichen Tathergang, Empfehlungen über zu treffende Maßnahmen und verschiedene Analysen des Datenverkehrs der vorherigen Woche. Für Katsuro nicht wirklich von Bedeutung. Behutsam legte er die Mappe zurück. Gerade rechtzeitig, um nicht von seinem Vater überrascht zu werden.
 

„Katsuro, komm bitte zu mir.“ Er tat wie ihm geheißen wurde. „Es freut mich zu sehen, dass meine Tochter noch immer nicht zu vollmundigen Versprechungen neigt. Ihre Arbeit als Direktorin macht sich bezahlt. Die Leistungen der Schülerinnen bei den letzten Prüfungen haben sich nochmals verbessert. Ein sehr positives Gesamtergebnis.“ „Und sonst?“, hakte Katsuro nach. Daichi lächelte. „Ich bin äußerst zufrieden. Vor 20 Jahren hätte ich es nicht erwartet, aber aus Naokos Projekt ist tatsächlich ein ansehnlicher Bestandteil unseres Rekrutierungssystems geworden. Ich kann mich noch genauestens daran erinnern, als Akito mir empfohlen hatte, diesen Unsinn schnell zu vergessen. Seiner Ansicht nach, hätte das Ganze ohne jegliche Zukunft bleiben sollen. Obgleich ich ziemlich skeptisch war, gibt euch der Erfolg Recht. Wir haben heuer erneut einen Zuwachs an Mitgliedern zu verzeichnen. Es färben bereits viele der Ideen und Methoden, die dank euch auf den Weg gebracht wurden, auf andere Stellen ab.“ Katsuro schüttelte den Kopf. „Es ehrt mich, dass zu hören. Lob gebührt aber in erster Linie Naoko. Schließlich war sie die Initiatorin, welche das Konzept von Projekt Hakysa entworfen und verwirklicht hatte.“ „Du zeigst dich bescheiden. Etwas, das mir an dir schon immer gefallen hat. Die Tätigkeit eines Beraters darf trotzdem nicht unterschätzt werden. Es gab viele Situationen, in denen du ihr den Rücken gestärkt hast. Situationen, in denen sie erst durch deine Unterstützung den nötigen Halt bekam, um wichtige Entscheidungen treffen zu können. Dessen solltest du dir immer bewusst sein. Ich bin davon überzeugt, dass du für meine Tochter unentbehrlich bist. Als Berater und gleichermaßen auch als Ehemann.“ Katsuro konnte es nur schwerlich verbergen, dass ihn diese Worte in eine gewisse Verlegenheit brachten. „In Ordnung. Naoko wartet sicher schon auf mich. Vielen Dank.“ Höflich verbeugte er sich zum Abschied. Daichi klopfte ihm ermutigend auf die Schulter. „Macht so weiter wie bisher. Ihr erfüllt das Herz eines alten Mannes mit Stolz.“ Bestätigend nickte er seinem Vater ein letztes Mal zu und verließ das Zimmer.
 

Geraume Zeit später saß Katsuro in seinem Auto. Er kam noch nicht mal zum Ausparken, als plötzlich sein Smartphone einen Klingelton in Form einer 8-Bit Melodie verlauten ließ. Schnell zog er das Mobiltelefon aus der Hosentasche. „Kotori, was gibt es denn?“ Zur aktuellen Uhrzeit - es war etwa 12:45 Uhr - hatte seine Tochter gerade Mittagspause. Sie besuchte die zweite Klasse der Oberstufe an der Otonokizaka High School. Derselben Schule, an der auch seine Frau als Rektorin beschäftigt war. „Papa, gut das ich dich erreiche. Ich habe etwas Dringendes mit dir zu besprechen.“ Sie klang aufgeregt und erfreut zugleich. In aller Eile gelang es ihm jedoch nur dem halben Sachverhalt zu folgen. „Und? Was meinst du? Stimmst du zu? Mit Mama hatte ich soweit schon alles geklärt und sie hat grundlegend nichts dagegen einzuwenden. Aber ohne dein Einverständnis wollte sie sich noch nicht endgültig festlegen.“ Katsuro wusste ziemlich genau, dass ein Nein in diesem Moment keine Akzeptanz finden würde. Aber da er jetzt keine Lust dazu hatte, eine unnötig lange Diskussion vom Zaun zu brechen, beschloss er, eine eindeutige Antwort seinerseits nach hinten zu verlegen. „Ich gebe deiner Mutter Recht. Wir sollten uns lieber noch einmal zu dritt ausführlicher darüber unterhalten. Heute Abend wird sich dafür bestimmt ein wenig Zeit finden.“ Das Missfallen der Oberschülerin war deutlich wahrzunehmen. Sie mochte es nicht, sich vertrösten zu lassen und hätte am liebsten noch einen weiteren Versuch unternommen, sofort eine annehmbarere Antwort zu erhalten. Dazu kam es allerdings nicht.
 

„Wo bleibst du denn so lange?“ Die Stimme gehörte einer weiteren Schülerin, die im Türrahmen des Klassenzimmers stand. Anhand der roten Schleife ihrer Uniform war zu erkennen, dass sie die gleiche Klassenstufe besuchte wie Kotori. „Wir wollten doch heute im Clubraum essen. Man wartet mit Sicherheit schon längst auf uns. Beeil dich.“ Mit diesen Worten machte sie einen galanten Hopser zurück in den Flur. „Gut. Bis später, Papa“, verabschiedete sie sich und eilte ihrer Freundin nach. Kurz darauf befanden sich beide auf dem Weg zu besagtem Clubraum. „Wie sieht es aus? Konntest du deinen Vater überzeugen?“ Kotori schüttelte den Kopf. „Aber wenn meine Eltern sich mit ihrer Antwort dem Rest anschließen, dann dürfte es keine Probleme mehr geben.“ „Hört sich klasse an. Ein Auftritt im Ausland. Wie die ganz großen Stars“, murmelte Honoka mit einem breiten Grinsen. „Lass dir das besser nicht allzu sehr zu Kopf steigen“, fing Kotori an, „Niko-chan hatte schon recht überzogen reagiert, als ich von der Einladung erzählte.“ Honoka wich mit einer abwinkenden Handbewegung aus. „Ich weiß, ich weiß. Mit solch kindlicher Vorfreude darf man es nicht übertreiben. Sonst ist die Enttäuschung im Nachhinein nur umso größer.“
 

Ein leises Kichern war zu hören. Nahezu gleichzeitig drehten sich beide nach hinten um. Eine Schülerin mit blondem Haar, gebunden zu einem hohen Pferdeschwanz, lächelte sie fröhlich an. „So etwas ausgerechnet von dir zu hören, das ist irgendwie amüsant. Es beruhigt mich jedenfalls, dass du dich von Nikos Enthusiasmus nicht so einfach mitreisen lässt.“
 

„Hallo, Eri-chan“, begrüßte Kotori ihre Senpai. „Wir haben gerade über die Einladung gesprochen. Eine gewisse Vorfreude lässt sich da wohl nicht gänzlich verbergen.“ „Das stimmt“, pflichtete Eri bei, „dennoch sollten wir uns darüber Gedanken machen, wenn auch deine Eltern ihre Zustimmung gegeben haben. Schließlich gibt es für uns hier noch genügend andere Dinge zu tun.“ Honoka seufzte. „Wenn neben dem Training nicht noch ständig der Unterricht stattfinden müsste, wäre manche Arbeit wesentlich einfacher zu erledigen.“ Beherzt klopfte Eri ihrer Freundin auf die Schulter. „Vergiss nicht: Ohne den Unterricht und ohne die Schule, gäbe es überhaupt keine Arbeit für uns, kein Training und Muse als Gruppe sowieso nicht. Dann hätte ein Auftritt im Ausland keine Zukunft.“
 

In der Tat, sie hatte vollkommen Recht. Und da Honoka es nicht vermochte, dagegen noch etwas einzuwenden, setzten die Schülerinnen ihren Weg fort. Kurze Zeit später betraten sie den Clubraum der „Idollerngruppe“. Was hier zuerst auffiel, waren drei große Regale, die bis auf den letzten Platz mit Zeitschriften, DVD- und Blu-Ray-Boxen, Figuren und diversen Autogrammkarten gefüllt waren. Der ganze Rest dieser durchaus üppigen Sammlung war ordentlich in etlichen Kisten untergebracht und an verschiedenen Stellen endgelagert worden. Zusätzlich hingen mehrere Poster und Wallscrolls an den Wänden, die einige Idol-Gruppen zeigten. Am Ende des Zimmers gab es einen Arbeitsplatz mit einem Computer. Die übrigen sechs Mitglieder saßen an zwei hintereinander gereihten Tischen in der Mitte des Zimmers.
 

„Ihr seid zu spät. Wir haben bereits mit dem Essen angefangen.“ „Bitte entschuldige Niko-senpai“, sagte Kotori, während sie sich einen der Stühle zurechtrückte. In aller Ruhe nippte das schwarzhaarige Mädchen mehrmals an ihrer Tasse. „Gibt es etwas Neues, was das gestrige Thema anbelangt?“, fragte sie anschließend. Eri verneinte rasch. Vorsichtig stellte Niko die leere Teetasse ab. „Ich verstehe. Es bleibt uns also nichts weiter übrig, als abzuwarten.“ Sie warf der Kohai, die ihr direkt gegenüber saß, einen flüchtigen Blick zu. Beschämt drehte diese daraufhin den Kopf zur Seite. „Ich hoffe sehr, dass die Direktorin uns in absehbarer Zeit positive Neuigkeiten mitteilt. Ansonsten sind Konsequenzen leider nicht auszuschließen.“ Eine andere Kohai näherte sich der Drittklässlerin von hinten und schenkte etwas vom frisch aufgebrühten grünen Tee nach. „Ich kann dir aus erster Quelle heraus versichern, dass wir derzeit keine Aussage zum Ausgang dieser Geschichte treffen können. Hältst du es deshalb für Ratsam, noch mehr Ängste zu schüren?“ „Keineswegs. Aber ich werde gewiss Nichts einfach so beschönigen.“ Mit Genuss nahm sie einen großen Schluck Tee zu sich. Ihre Mimik hellte sich zugleich ein wenig auf. „Ein köstliches Aroma.“
 

„Niko hat Recht. Maki, dein Tee schmeckt hervorragend!“, bemerkte Honoka, nachdem das Mädchen mit den roten Haaren ihr ebenfalls nachgeschenkt hatte. Scherzhaft deutete diese einen Hofknicks an und setzte sich zurück an den Tisch. Die Anführerin von Muse kippelte etwas mit dem Stuhl, ehe sie sich der Gruppe zuwandte. „Ich möchte für alle hier Anwesenden eines klarstellen:", ihre Stimme besaß nun einen unverkennbaren autoritären Unterton. „Es gibt keinen Grund, weshalb wir zum jetzigen Zeitpunkt weiter über diese Dinge sprechen sollten.“ Sie senkte den Kopf und starrte für ein paar Sekunden auf die eigenen Hände. „Keinen einzigen!“ Für wenige Minuten war der komplette Raum in Stille gehüllt. Und plötzlich knallte sie ihre Schultasche auf den Tisch. „Stattdessen…“, die Stimme hellte auf und sie holte ihr Mittagessen hervor, „…solltet ihr lieber gespannt sein, was Kotori-chan interessantes zu berichten hat.“ „Ja, gen… Warte. Was?“ Mit einem gewaltigen Satz sprang Niko von ihrem Platz auf. “Geht es um den Auftritt?” Auch die übrigen Mitglieder von Muse horchten jetzt gebannt. Das Mädchen war mit dem plötzlichen Umbruch vollkommen überfordert. Verzweifelt suchte sie nach Hilfe, abwechselnd bei Eri – sie konnte nur mit den Schultern zucken – und dann wieder bei Honoka, die lediglich herzhaft in ihr Brot biss. „Köstlich“, schmatze sie.
 

„Deine Freundin behauptete also, dass dem Konzert nichts mehr im Wege steht?“, fragte Katsuro. Er sammelte Geschirr und Besteck zusammen, stellte es auf die Kücheninsel und wischte mit einem feuchten Tuch den Esstisch ab. „Nicht wortwörtlich.“ Kotori war leicht genervt. „Eigentlich hatte Honoka sonst überhaupt nichts gesagt. Es war vielmehr eine Notlüge aus der Situation heraus geboren. Sie hatte derart abrupt das Thema gewechselt, dass mir auf die Schnelle nichts Besseres einfiel.“ Ihre Mutter räumte die Spülmaschine ein und setzte sich danach neben ihre Tochter. „Ich gehe stark davon aus, dass sie genau darauf abgezielt hatte“, sagte sie. „Bei allem was passiert ist, war es wohl die richtige Entscheidung, den Fokus auf etwas Angenehmeres zu lenken.“ Tröstend streichelte Naoko ihr über den Kopf. „Keine Sorge. Wir lassen dich mit Sicherheit nicht als Lügnerin dastehen.“ Katsuro stimmte zu. „Das ist vielleicht eine einmalige Chance, die ihr unbedingt nutzen solltet. Insofern möchten wir da natürlich kein Hindernis sein.“ Kotori wirkte spürbar erleichtert über diese Antwort. Dankbar umarmte sie ihre Eltern. „Den Brief habe ich dir auf den Schreibtisch gelegt, Mama. Vielleicht könnten wir morgen…“ „Langsam, langsam“, unterbrach Katsuro. „Wir sprechen zu gegebener Zeit über die nötigen Details. Aber erstmal brauch ich jetzt eine Auszeit“, nuschelte er und begab sich mit einer Zigarette im Mundwinkel auf den Balkon. „Naoko, würdest du mir etwas Gesellschaft leisten?“ „Gerne.“
 

An diesem Abend herrschten draußen angenehme Temperaturen bei 25 °C, in Kombination mit einer zu dieser Jahreszeit eher ungewöhnlich niedrigen Luftfeuchtigkeit. Ein sanfter Wind wehte über den Dächern Tokios und brachte zusätzlich etwas Abkühlung. Katsuro lehnte mit dem Rücken am Geländer. Er zog einmal kräftig an der Zigarette und klopfte die Asche ab. Seine Frau stand neben der Balkontür, mit einigen Metern Abstand zu ihm. „Worüber möchtest du mit mir reden?“, fragte sie direkt. „War das denn so offensichtlich für dich?“, brummte er. „In der Tat, das war es. Du weißt schließlich ganz genau, dass ich den Geruch von Zigaretten nicht ausstehen kann. Du forderst mich immer nur dann auf, dir bei deinen Raucherpausen Gesellschaft zu leisten, wenn du etwas unter vier Augen zu besprechen hast.“ Sie rümpfte die Nase. „Ich wäre froh, wenn du mir jetzt einfach sagen würdest, dass du mit dem Rauchen aufhörst. Aber das wird ja wohl kaum der Anlass für dieses Gespräch sein.“ Katsuro applaudierte begeistert der Scharfsinnigkeit seiner Frau. Er drückte die Zigarette aus und winkte Naoko zu sich heran. „Sag mir, hast du die letzten sechs Tage irgendetwas von deinem Vater gehört? Gab es einen außergewöhnlichen Grund, warum er mit dir in Kontakt getreten war?“ „Nicht wirklich“, antwortete sie. „Das letzte Gespräch, das ich mit ihm geführt hatte, bezog sich auf die Quartalsberichte.“ „Das dachte ich mir schon“, ließ er enttäuscht verlauten. „Was ist los, Schatz?“, hakte sie neugierig nach. „Was weißt du?“ Und so erzählte Katsuro in aller Ausführlichkeit von den Inhalten der rotbraunen Ledermappe, in die er sich während des Aufenthalts im Büro seines Schwiegervaters unerlaubterweise Einsicht verschafft hatte. „Interessant. Wahrlich Interessant“, kommentierte Naoko. „Ein solcher Vorfall ist nicht zu verachten. Die dortige Zentrale befindet sich nach wie vor im Aufbau. Unser Wirkungsbereich im europäischen Raum ist viel zu klein, als dass mein Vater hier lange mit einer Entscheidung über das weitere Vorgehen warten könnte.“ Er wollte sich gerade noch eine zweite Zigarette anzünden aber seine Frau nahm ihm kurzerhand das Feuerzeug ab. „Ich denke genauso“, sagte er und steckte widerwillig die Zigarette zurück in die Schachtel. „Aber uns sind leider die Hände gebunden. Zwar verfügen wir über Informationen, allerdings ohne die Möglichkeit, diese sinnvoll verwerten zu können.“ „Nein, nicht ganz“, widersprach sie zielsicher und gab ihm das Feuerzeug zurück. „Wir werden diese Situation zu unserem Vorteil nutzen. Definitiv.“ Katsuro konnte nicht ganz folgen. „Ich werde dir später alles erklären.“ Naoko zog ihr Smartphone aus der Jackentasche und ging zurück in die Wohnung.
 

Mit schnellen Schritten betrat sie das Arbeitszimmer und verschloss hinter sich die Türe. Aus einem Stahlschrank holte sie einen Aktenordner – "Teamanalysen und statistische Auswertungen, 2005 bis 2015" - und legte sich diesen auf dem Schreibtisch zurecht. Anschließend wählte sie. Es brauchte einen Moment, bis der gewünschte Gesprächspartner auf den Anruf reagierte. „Ja bitte? Hier Minami.“ „Guten Abend, Vater. Ich hoffe, dass ich dich nicht störe. Akito-san kann ja ziemlich mürrisch werden, wenn es zu Unterbrechungen kommt“, lachte sie und blätterte in den Seiten des Ordners. „Mach dir da keine Sorgen. Es freut mich, wenn du anrufst. Wir können ungestört reden.“ „Gut. Aber nicht über das Telefon.“ Behutsam versank der Aktenordner in ihrer Handtasche und gleichzeitig fischte sie nach den Autoschlüsseln. „Ich würde es bevorzugen persönlich vorbeizukommen. Heute noch. Ginge das in Ordnung?“ Daichi war hörbar überrascht. Das impulsive Verhalten, entgegen der sonst so ruhigen Art seiner Tochter, stimmte ihn nachdenklich. „Naoko, sag mir doch bitte, worüber du so dringend mit mir sprechen musst.“ Sie hielt einen Augenblick inne, griff nach einem weißen, bereits geöffneten Kuvert und musterte freudig die Absenderadresse.
 

„Es geht mir konkret um eine Ausweitung des Tätigkeitsfelds von Projekt Hakysa.

Um es zu präzisieren: Eine verdeckt operierende Spezialeinheit. Einsetzbar im In- und Ausland.“
 

„Codename: Hesiod.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Phinxie
2016-08-11T17:27:32+00:00 11.08.2016 19:27
Hallöchen :3

Der liebe Lazoo hat mich auf deine FF hier aufmerksam gemacht und obwohl mich weder das FanDom noch deine Inhaltsangabe übermäßig begeistert hat, habe ich aufgrund von Lazoos Rat mal reingeschnuppert :3

Mir ist sofort dein deutlich niveauvoller, ansprechender Schreibstil aufgefallen (das btw auch schon in der Inhaltsangabe ^^)
Ich mag ihn, du beschreibst detailreich und ausgiebig und selbst ich, die mit Japan und der ganzen Kultur wenig bis gar nichts anfangen kann, merke, dass du dich damit auseinander gesetzt hast, um es möglichst authentisch rüber zu bringen. Man findet sich gut in die Geschichte rein, aber du beschreibst auch nicht ZU ausschweifend, sodass dem Leser schnell langweilig wird.
Über die Charaktere kann ich jetzt wenig sagen - da es ist um eine FF handelt, werden es wohl Charaktere aus den jeweiligen Mangas/Animes sein und nun ja. Ob du sie so beschreibt, wie sie sind, weiß ich nicht, aber ich gehe mal stark davon aus, denn dein Schreibstil verrät mir, dass du nicht einfach so drauf los schreibst, sondern dir auch Gedanken machst ^^

Am Anfang sind da ein, zwei unschöne Absätze, aber die stören nur minimal den Lesefluss. Ich nehme mal an, es hat etwas mit dem Format zu tun, auf dem du in World tippst, das hatte ich auch schon mal^^ Also kein Qualitätsmangel, keine Sorge, ich wollte dich nur drauf aufmerksam machen :3
Ein paar Kommasetzungsfehlerchen sind drin, aber so wenige, dass man sie getrost übersehen kann, und Rechtschreibfehler habe ich ebenfalls so gut wie gar keine gefunden: Also insgesamt ein gutes, fehlerfreies Schriftbild, das kann nicht jeder von sich behaupten!

Was mir noch deutlich positiv aufgefallen ist, sind die Absätze, die du machst :3
Absätze sind immer gut, das gestaltet das Kapitel übersichtlicher und dem Leser tun beim Lesen nicht so schnell die Augen weh, wegen einer ganzen Wand von Text xD
Aber auch wenn ich diene Absätze jetzt positiv anspreche, würde ich dir ans Herz legen, auch mal Absätze innerhalb zu machen.
Momentan sieht man in deinem Kapitel nur einen Block, Absatz, Block, Absatz.
Es wäre schön, wenn innerhalb deiner Testblöcke auch noch ein paar Absätze wären (aber keine ganze Zeile, sondern eher diese Zeilenumbrüche, falls du verstehst, was ich meine xD).
Das macht das Lesen noch einmal angenehmer :3

Ansonsten habe ich keinerlei Kritik mehr (entschuldige, wenn ich zu dem Inhalt an sich wenig gesagt habe, aber es ist wirklich nicht meins :/ ) :3

Liebe Grüße,
Nymphy ^_^

Von:  HaruhiSou
2016-01-09T07:38:47+00:00 09.01.2016 08:38
Hi. Ich bin über den Zirkel Fanfiction Feedback-Club auf deine FF gestoßen.
Es war ein sehr spannender prolog.
Dein Schreibstil ist sehr niveauvoll und wie ich sehe hast du dich auch mit der japanischen Kultur auseinander gesetzt.
Ist ja nicht in jeder FF der Fall ;)
Der Prolog hat das was ein Prolog haben muss. Er lässt viele Fragen offen, regt zum nachdenken und weiter lesen an ;)
Antwort von:  Haio
09.01.2016 10:34
Vielen Dank für deinen Kommentar. Es freut mich zu hören, dass dir der Prolog gefallen hat. Ich gebe mein Bestes, um auch die nachfolgenden Kapitel mit gleicher Qualität abzuliefern. ,-)


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