Heartquake
Regen. Piepen. Atmen.
Ich hörte nur das. In einer Sekunde den Regen, in der nächsten das Piepen, ehe es vom leisen Atmen ersetzt wurde, nur um dann den Kreislauf von neuem zu beginnen. Ich hörte nur diese Drei. Die Regentropfen, die seit vier Stunden ununterbrochen gegen das Glas des Fensters hämmerten. Das Piepen der Maschine, das zeigte, dass er noch lebte. Und das Sauerstoffgerät, das ihn am Leben hielt.
Regen. Piepen. Atmen.
Ich saß mit müden Knochen und erschöpftem Herzen direkt neben seinem Bett. Meinen Kopf hatte ich auf die Bettkante gelegt, während mein Blick zum Fenster gerichtet war.
Regen. Piepen. Atmen.
Oder war das mein Atmen? Ich zuckte zusammen, unterdrückte das Brennen in den Augen und das Beben in meinem Herzen. Sein Anblick, die Geräusche, der Tod, der über unseren Köpfen schwebte – es schnürte mir die Kehle zu. Sein Gesicht war so bleich, dass es grau wirkte. Leblos.
„Hey.“ Meine Stimme klang brüchig. „Wach schon auf.“
Regen. Piepen. Atmen.
Seine Haut war so kalt, so eisig, als sei keine Wärme mehr vorhanden. Als sei alles verschwunden. Als wäre er nicht existent. Nicht real. Ich japste nach Luft, die sich brennend in meinen Lungen ausbreitete. „Bitte.“
Regen. Piepen. Atmen.
Die Tür öffnete sich, doch mein Blick blieb weiterhin auf sein Gesicht gerichtet. Ich wollte kein Zucken der Lider verpassen. Meine Finger umschlangen seine Hand.
„Sakura. Du solltest dich ausruhen.“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich lass ihn nicht alleine.“
„Sakura.“
„Tsunade-sama. Bitte.“
Regen. Piepen. Atmen.
Ich brauchte Luft. Einfach nur Luft. „Bitte. Mach die Augen auf.“ Es war nur ein Wimmern. Ein Laut, der vom Regen erdrückt, vom Piepen zerstreut und mit dem Atmen verschwand. Als sei es nie vorhanden gewesen.
„Ich dachte, unsere Zukunft sei nun endlich frei von all dem hier.“
Meine Augenlider schlossen sich. Ich spürte den Schmerz in meiner Kehle.
Regen. Piepen. Atmen.
„Sakura.“
„Geh weg.“ Es war nur ein Flüstern.
Aber er blieb. Kam in seinem Rollstuhl näher heran. „Sakura.“
„Er wacht nicht auf.“
Ich spürte seine warme Hand auf meiner Schulter, während meine Hand nur Kälte empfing. Das war nicht fair.
„Sakura.“
„Naruto. Er wacht nicht auf. Da ist nichts mehr.“ Ich schluchzte und vergrub mein Gesicht im Laken. „Du hast es versprochen. Versprochen hast du es.“
War es mein Körper, der bebte? Oder war es mein Herz?
Regen. Piepen. Atmen.
Dieses Leben war schuld. Wieso wählten wir es? Wir besiegelten unser Schicksal. Unser Leben. Ich schluchzte erneut. Warum wählten wir dieses unbeständige Leben?
„Wach bitte auf. Hörst du mich?“ Ich strich ihm eine dunkle Strähne von der Stirn und spürte das Zittern in meinen Fingern bei jeder Berührung. Er war so kalt. „Bitte.“
Mein Herz überschlug sich, als seine Lider zuckten. Seine dunklen Augen in die meinen blickten.
„Sasuke.“
Panik flackerte in seinen Augen.
„Nein, Sasuke. Bitte nicht.“
Das Piepen wurde schneller.
Lauter?
„Sasuke.“ Ein Flehen.
Mit dem nächsten Regentropfen am Glas waren sie geschlossen. Das monotone Piepen kehrte zurück. Ein Herzstoppen in seiner Brust. Das war das dritte Mal. Er kämpfte sich hervor, um dann zurückzuweichen.
Regen. Piepen. Atmen.
„Sasuke?“ Ich kroch zu ihm aufs Bett, schlug die Decke zurück und schmiegte mich an seinen Körper. „Hörst du mich? Ich bin da.“
Er antwortete mir mit einem Herzschlag. Oder hörte ich nur meinen eigenen?
„Sasuke. Bitte. Ich kann das nicht mehr. Es zerreißt mich. Ich… verliere mich. Uns. Lass mich jetzt nicht allein.“
Seine Finger zuckten.
„Leb oder stirb. Tu nicht beides.“ Wieder ein Wimmern.
Regen. Piepen. Atmen.
„Sakura.“
„Wieso lasst ihr mich nicht einfach in Ruhe, Kakashi?“
Ich spürte seinen durchdringenden Blick und die Angst dahinter, Sasuke zu verlieren. Mich zu verlieren.
„Du musst etwas essen“, erwiderte er und stellte das Tablett auf den kleinen Tisch.
„Er wacht nicht auf.“ Ich schluchzte. „Naruto ist doch auch aufgewacht. Warum nicht er?“
Kakashi schloss die Augen, ließ seine Schultern hängen und ich erkannte, wie schmerzhaft es war, Sasuke so zu sehen.
„Ich dachte, wir wären wieder vereint. Wie früher. Team 7.“
Regen. Piepen. Atmen.
Narutos Husten ließ mich zusammenzucken. Ließ mich für einen Moment das Geräusch von Regen, Piepen und Atmen vergessen, doch die Kälte an meiner Haut zog mich sofort in das Wissen zurück.
„Sakura“, begann Naruto mit bebender Stimme, „wir waren immer Team 7.“
Kakashi nickte und schob den Rollstuhl näher ans Bett. Auf ihren Gesichtern lag ein zerbrechliches Lächeln. Wie ein Staubkorn, das drohte, vom Wind hinfort geweht zu werden. Ich schluckte den dicken Kloß hinunter, verfluchte das Brennen in den Augen und das Toben in meinem Herzen.
„Vielleicht, an der Oberfläche… ist Team 7 ein Stück zerbrochen. Sasuke und ich haben immer gestritten, gekämpft. Kakashi war ein wenig faul.“ Naruto lachte freudlos und schwelgte kurz in einer alten Erinnerung. „Unsere Kommunikation war nicht gut. Unser Genie hier“, er deutete mit einer schwachen Kopfbewegung auf Sasuke, „war unsozial. Du warst damit beschäftigt, ihm zu gefallen und ich? Ich musste aus brenzligen Situationen gerettet werden. Unser Teamwork war… hin und wieder mangelhaft. An schlechten Tagen haben wir eher versucht uns gegenseitig die Gurgel umzudrehen, statt uns auf die Mission zu konzentrieren.“ Ein schiefes Grinsen hing in seinem gequollenen Gesicht. Kratzer über Kratzer. Naruto hatte ein Veilchen. Warum fiel mir das nicht auf?
Kakashi seufzte. „Team 7 war von Beginn an Familie.“
„Wir waren näher, als Geschwister es sein konnten. Wir haben uns gegenseitig das Leben gerettet. Team 7 war nie. Team 7 ist. Und Sasuke gehört dazu. Er wacht auf. Weil er weiß, dass wir auf ihn warten.“ Narutos blaue Augen leuchteten. „Du wirst schon sehen. Morgen bin ich aus diesem Teil hier raus und Teme ist hellwach. Fit und munter. Für den nächsten Kampf bereit.“
„Eure Kämpfe haben das doch nur herbei geführt“, murmelte ich.
„Rangeleien in der Familie.“
Narutos Grinsen wackelte, aber blieb.
Regen. Piepen. Atmen.
Narutos Schnarchen und das gleichmäßige Atmen Kakashis vermischten sich mit den anderen Geräuschen im Raum. Ich presste mein Ohr an Sasukes Brust und lauschte seinem gleichmäßigen Herzschlag.
„Sasuke?“, flüsterte ich. Meine Finger strichen über seinen Bauch. „Ich will nicht, dass du dich für eines der beiden entscheidest.“ Ich befeuchtete meine Lippen. „Du sollst dich nur für eines entscheiden. Fürs Leben. Mit deiner Familie.“
Ich hörte das Herzbeben in seiner Brust. Spürte das Zucken seiner Muskeln.
Er atmete aus. Ich atmete ein.