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Mesmerize Me!

The Play of Snake and Lion
von

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Verzweiflung

„Weder die Toten noch ein Gott verlangen nach Blutrache.“
 

Torsten Marold, Spieleautor
 

Es roch dezent nach Räucherstäbchen und vermittelte dem Zimmer eine fernöstliche Atmosphäre. In dem Stil waren Shens Räume auch gestaltet worden und auch wenn Sergej kein Freund dieses Stils war, musste er zugeben, dass dieser Kerl Geschmack hatte. Er selbst würde sich hier nicht wohlfühlen. Er hatte diesem asiatischen Flair nie etwas abgewinnen können. Mochte es an der Vietnamgeschichte liegen, mit der er aufgewachsen war und durch die er einige Freunde der Familie verloren hatte. Mit Asiaten hatte er nie etwas am Hut gehabt. Er hasste sie nicht, konnte aber auf ihre Gesellschaft verzichten, da dieses Völkchen ihm schon immer ein Rätsel war. Während er wartete, zündete er sich eine Zigarre an. Diese verdammten Sargnägel, die ihm erst diesen Ärger mit dem Lungenkrebs eingebrockt hatten, der ihn in ein paar Monaten töten würde. Er hatte Araphel selbst jetzt noch nichts erzählt und dabei sollte es auch bleiben. Denn wenn seine Einschätzungen richtig lagen, würde dies hier eh seine letzte Zigarre sein. Seine letzte schlechte Angewohnheit, die ihm so viele Scherereien gemacht hatte. Er wusste, dass von ihm alles abhing. Wenn er einen Fehler machte, würde das nicht nur Sam, Christine und den beiden anderen das Leben kosten. Dann würde auch Araphel wieder in Shens Fänge geraten und er würde dann nicht da sein, um ihm helfen zu können. Es stand viel auf dem Spiel und es lag an ihm, alles zu tun, damit Araphels Befreiungsaktion erfolgreich war.

Schließlich öffnete sich die Tür und Shen trat herein. Obwohl er wie immer sehr vornehm gekleidet war und eine sehr erhabene Erscheinung wie die eines ehrwürdigen antiken Kaisers hatte, nahm Sergej etwas wahr. Der Geruch von Blut haftete an Shen. Ganz unverkennbar. Selbst mit den Räucherstäbchen roch er es ganz deutlich, dazu war dieser Geruch ihm einfach zu vertraut. Offenbar hatte Shen sich bereits um seine „Gäste“ gekümmert und Sergej hoffte insgeheim, dass es noch nicht zu spät war. Er erhob sich, grüßte seinen Gastgeber mit einem Nicken und setzte sich dann wieder. Es war ein leichtes für ihn, sich nichts anmerken zu lassen. Schon seit seiner Jugend war er ein hervorragender Schauspieler und gewissermaßen auch abgebrüht genug.

„Es überrascht mich, dass Sie sich so plötzlich bei mir gemeldet haben und sagten, es gäbe dringende Angelegenheiten zu besprechen, Mr. Camorra.“

Shen nahm ihm gegenüber Platz und goss sich eine Tasse Tee ein. Sergej beobachtete ihn aus den Augenwinkeln und erklärte dann schließlich „Nun, wir machen immerhin Geschäfte zusammen und im Falle einer besonderen Entwicklung ist es natürlich von enormer Wichtigkeit, wenn man seinen Geschäftspartner so früh wie möglich informiert. Wissen Sie, ich hatte während der letzten Zeit, in der Sie in Shanghai waren, ein wenig Zeit mit meiner Familie verbracht. Wie Sie wissen, habe ich einen Sohn und eine Stieftochter. Es ist immer wieder unfassbar, wie schnell die eigenen Kinder erwachsen werden. Gestern wechselt man ihnen noch die Windel und heute studieren sie schon und stehen im Berufsleben. Kinder sind wirklich etwas Wunderbares, aber man merkt an ihnen auch, dass man selbst alt wird.“

Sergej lachte und über Shens Lippen zog sich ein kleines Lächeln, welches wohl ein Schmunzeln andeuten sollte, aber sie wussten beide, dass es nur gespielt war, genauso wie das Lachen.

„Ich bin schon 51 Jahre alt und zähle in spätestens sieben Jahren bereits zum alten Eisen. Wir beide haben sehr viel erlebt, mein sehr verehrter Mr. Yuanxian und ich denke, Sie sehen das auch so, wenn ich sage, dass man in unserem Alter auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgreifen an, nicht wahr?“

Dem stimmte Shen in der Tat zu und sogleich fragte er auch nach dem Grund, warum Sergej ihn sprechen wollte. Der Mafiaboss mit den italienisch-russischen Wurzeln blies den Rauch seiner Zigarre aus und betrachtete den Rauch, wie er in der Luft tanzte.

„Ich konnte mich in meiner jahrelangen „Berufserfahrung“ stets auf gewisse Dinge verlassen. Und das sind meine schlechte Angewohnheit zum Rauchen, mein Geschäftssinn und meine gute Einschätzung. Ich habe da einiges über Sie erfahren, Mr. Yuanxian. Von der Geschichte, wie Sie an die Yanjingshe geraten sind und von dem Massaker, das Sie im Kindesalter in diesem Bordell angerichtet haben. Sie haben im sehr jungen Alter die Macht über die Triade an sich gerissen und eine Säuberung nach der anderen durchgeführt. Aber wissen Sie, aus einer Sache bin ich nie ganz schlau geworden. Und das ist die Tatsache, wie Sie in Ihrer Rolle als Boss einer Mafiaorganisation vorgehen.“

Shen verlor sein Lächeln nicht für eine Sekunde und blieb souverän wie immer. Man hätte ihm nicht angesehen, dass er gerade eben noch zwei Menschen eiskalt enthauptet, einen gebrandmarkt und einem anderen den Arm gebrochen und ein Bein abgetrennt hätte. Er war die Ruhe selbst und das allein war erschreckend, doch Sergej hatte noch keine Vorstellung davon, was sich vor wenigen Minuten noch im Keller abgespielt hatte. Er ahnte es zumindest. Allein anhand des Geruchs von Blut und seinem Wissen, wie brutal und sadistisch Shen war.

„Ich glaube, ich kann Ihnen nicht ganz folgen, Mr. Camorra“, erklärte der Chinese schließlich. „Inwiefern soll mein Handeln als Boss denn für Ungereimtheiten sorgen? Alles, was ich tue, ist rein geschäftlich.“

„Ach ja?“ fragte der Patriarch herausfordernd und sein Ton war nun nicht mehr so locker wie zuvor, als würde man mit einem alten Freund reden. Sergejs Augen wurden ernst und auch sein Ton verhärtete sich. Nun sah man, wie der Patriarch hinter seiner Maske wirklich war.

„Sie haben den Polizeipräsidenten ermordet, mehrere Menschen getötet, die nicht in Verbindung zur Mafia oder zu Ihrer Triade standen, Sie stacheln die Mason-Familie zu einer Vendetta an und provozieren einen Mafiakrieg. Was Sie da tun, ist irrational für unser Gewerbe. Und es ist vor allem gefährlich. Wir führen unsere Geschäfte im Verborgenen aus, meiden den Ärger mit der Polizei und töten niemals hochrangige Polizisten und Politiker, weil es zu gefährlich ist. Die meisten Ihrer Morde hatten nichts Geschäftliches an sich und ich erkenne sehr gut, wann jemand die Mafia als Deckmantel für seine persönlichen Ziele missbraucht. Ihnen geht es nicht um Geschäfte und das wissen wir beide. Es geht Ihnen lediglich darum, Ihre Macht gegen andere auszuspielen und einen Mafiakrieg anzuzetteln, damit sich die großen Familien gegenseitig vernichten und eine Blutfehde heraufbeschwören. Denn wir beide kennen die Heimtücke der Vendetta: sie ist ein Fass ohne Boden. Eine Rache zieht eine weitere nach und es entwickelt sich zu einem einzigen Rattenschwanz. Und das Ergebnis wird ein Blutbad auf internationaler Ebene werden, wenn die Mason-Familie ihre Vendetta an der Triade vollbringt. Denn diese wird zurückschlagen, um wiederum Rache für ihr Oberhaupt zu nehmen. Ich mag vielleicht ein alter Hase sein, der nicht mehr die modernsten Ansichten einer Mafia hat. Vielleicht sind meine Vorstellungen in dieser Hinsicht auch ein wenig romantisch. Aber ich erkenne sehr gut, wenn jemand eine Gefahr für das eigene Gewerbe wird.“

Sergej griff in die Innenseite seiner Jacke, wo er eine geladene Tokarev aufbewahrte. Doch er war nicht schnell genug und war nicht in der Lage, mit Shens Reaktionsgeschwindigkeit mitzuhalten. Noch ehe er die Waffe auf den 42-jährigen richten konnte, zog dieser ein Messer aus seinem Ärmel hervor, warf es mit gefährlicher Präzision und dann bohrte sich die Klinge in Sergejs Brust. Doch er war nicht sofort tot. Nein, er schaffte es noch, die Waffe auf Shen zu richten und zu schießen. Er schoss drei Male. Der erste Schuss streifte Shens Seite, der zweite ging daneben, doch der dritte Schuss traf sein Knie. Mehr brauchte es auch nicht. Er hatte getan, was getan werden musste und konnte nun sterben. Nun, es war gewiss nicht sein Lebensziel gewesen, durch einen solchen Psychopathen sterben zu müssen, aber es war immer noch besser, als krank ans Bett gefesselt und nach Luft röchelnd an diesem verdammten Lungenkrebs zu verrecken. Doch eigentlich war dieser Tod auch ganz gut so. Denn er hatte getan, was getan werden musste. Sein Tod würde es seinem Sohn Victor ermöglichen, Araphel in der Art und Weise zu unterstützen, die von Nöten war, wenn sie diesem psychopathischen Monster Einhalt gebieten wollten. Und dieser Schuss ins Knie würde Shen daran hindern, nach seinem Mord zu Araphel zu eilen und ihn wieder gefangen zu nehmen und seine Geiseln vor dessen Augen zu Tode zu foltern. Selbst wenn er keinen Lungenkrebs im Endstadium gehabt hätte, wäre er zu diesem Opfer bereit gewesen. Denn er war zwar ein Geschäftsmann, aber davor war er in erster Linie Vater und er hatte seinem alten Freund Stephen versprochen, auf Araphel aufzupassen und für ihn da zu sein. Er kannte Araphel schon seit dem Tag, an dieser mit seiner kleinen Schwester im Arm in die USA kam und kaum ein Wort Englisch sprechen konnte. Verdreckt, abgemagert und krank. Er war wie ein Sohn für Sergej und er hatte ihm auch als väterlicher Freund und Mentor zur Seite gestanden. Ein Stück weit bedauerte er es wirklich, dass er sich nicht mal von ihm verabschieden konnte, aber das war vielleicht auch besser so. Denn so konnte sich sein Schützling auf das konzentrieren, was wichtig war.

Sergej spürte, wie das Leben aus seinem Körper wich und die Welt um ihn herum dunkel wurde. Und seine letzten Gedanken, die er noch formulieren konnte, als er sein Leben aushauchte, waren: es ist gut so… Und so starb er mit einem schwachen Lächeln, während Shen vor Schmerz stöhnte und eine Hand auf sein blutendes Knie presste.
 

Sam keuchte und hatte das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen. Seine Kehle war wie zugeschnürt, Übelkeit überkam ihn und in seinem Kopf drehte sich alles. Immer schwerer wurde es für ihn, Luft zu holen und er schaffte es kaum, sich so ruhig zu halten, dass er nicht gleich einen Asthmaanfall bekam. Doch er kündigte sich bereits an. Er konnte es nicht mehr aufhalten, nur hinauszögern. Und wenn er nicht bald Hilfe bekam, würde ihm die Luft ganz wegbleiben und er würde ersticken. In seiner Hosentasche musste er noch sein Asthmaspray haben, doch er konnte es nicht erreichen. Wieder zerrte er an seinen Fesseln, dieses Mal umso verzweifelter, als er Christines schmerzgeplagte Schreie hörte. Ihr Bein war sauber am Oberschenkel abgetrennt worden und sie verlor Blut. Viel sogar. Sie musste das Bein abbinden, um den Blutverlust zu regulieren, doch mit nur einer Hand war dies kaum möglich, vor allem da sie so schlimme Schmerzen hatte, dass sie kaum fähig war, geistesgegenwärtig genug zu reagieren. Doch es war noch ein anderer Schmerz, der sie lähmte. Sie hatte es nicht geschafft, Yin und Asha zu retten. Sie waren vor ihren Augen gestorben und Christine hatte es nicht verhindern können, obwohl sie keine Fesseln trug. Nur weil ihr ein gottverdammtes Bein fehlen musste, hatte sie ihre Freunde nicht vor dem Tod bewahren können. Genauso wenig wie sie damals vor vier Jahren Ahava nicht vor dem Selbstmord bewahren konnte. Und nun war sie weder fähig zu fliehen, noch war sie in der Lage, Sam zu helfen. Es gab nichts, was sie noch tun konnte.

Sam versuchte, ruhig zu bleiben und sich zu konzentrieren. Er musste sich irgendwie von den Fesseln befreien und Christine helfen. Wenn sie weiter so viel Blut verlor, würde es noch gefährlich für sie werden. Wieder zerrt er an seinen Fesseln. Seine Haut war inzwischen aufgescheuert und seine Handgelenke blutig. Sie schmerzten höllisch, doch durch das Blut hatte er das Gefühl, als würde er ein wenig mehr durch die Fesseln rutschen. Das war seine Chance. Also biss er die Zähne zusammen, mobilisierte all seine Kraftreserven und zog erneut. Es schmerzte höllisch, als würde ihm die Haut gleich mit abgerissen werden, doch er schaffte es tatsächlich, sich von seinen Fesseln zu befreien. Er verlor den Halt und stürzte zu Boden, wobei er nicht dazu kam, rechtzeitig zu reagieren und seinen Sturz abzufedern. Er schlug hart mit dem Kopf auf dem Boden auf und war für einen Moment bewusstlos. Als er zu sich kam, lag er in einer Blutlache. Doch es war nicht sein Blut, sondern das von Yin. Ihr Kopf lag direkt neben ihm und ihre toten Augen starrten ihn an. Dieses Bild wirkte so unwirklich, als wäre es der Kopf einer Puppe. Doch das war es nicht. Sein Magen verkrampfte sich und die Übelkeit übermannte ihn endgültig. Er schaffte es, seine Kräfte zu mobilisieren und sich in eine Ecke zu schleppen, wo er sich unter heftigem Würgen erbrach. Und als er sich seines Mageninhaltes entledigt hatte, blieb ihm endgültig die Luft weg. Er rang nach Atem, griff instinktiv in seine Tasche, doch zu seinem Entsetzen fand er nichts. Es war nicht mehr da. Sein Asthmaspray war nicht mehr da. Aber warum? Hatte er es vielleicht verloren, als er niedergeschlagen worden war, oder hatte Shen es ihm abgenommen? Das war nicht gut, gar nicht gut.

„Sam…“

Er rang immer verzweifelter nach Luft und spürte, wie seine Lungen vor Schmerz zu pochen begannen. Sein Drang nach Sauerstoff wurde immer stärker und alles, was er hervorbrachte, war ein ersticktes Röcheln. Er wankte durch den Raum und stützte sich an der Wand ab. Christine, die kreidebleich im Gesicht war und sah, dass er in Panik verfiel und schlimmstenfalls zu ersticken drohte, rief nach ihm.

„Sam, bleib ruhig. Sam!“

Als sie wie durch ein Wunder seine Aufmerksamkeit bekam, wies sie ihn mit lauter Stimme an, er möge die Lippen zusammenpressen, vorbei er aber die Oberlippe nach vorne stülpen sollte, während er die Unterlippe zurückstellen sollte. Es war die so genannte Lippenbremse. Sam versuchte, ihre Anweisungen zu befolgen, doch je mehr seine Lungen nach Sauerstoff schrieen, desto schwerer wurde es, nicht in Angst zu verfallen. Es gab nichts Schrecklicheres als das Gefühl, jeden Moment zu ersticken. Es fühlte sich so beklemmend an, dass ein Mensch instinktiv in Panik geraten musste, wenn er in diese Lage kam. Doch Christine schaffte es trotz der entsetzlichen Schmerzen und dem bedrohlichen Blutverlust, ihm beizustehen und wenigstens ihm helfen zu können. Sam wandte seine ganze Kraft auf, sich allein auf diese einfache Übung zu konzentrieren, die vielleicht sein Leben retten konnte. Immer schlimmer wurde der Schmerz in seiner Lunge und sein Verlangen nach Sauerstoff wurde zu einer unendlichen Qual. Seine Brust tat ihm weh, doch es zeigte langsam Wirkung. Er spürte, wie dieser immense Druck wich, der ihm die Luft abschnürte. Und als schon Sterne vor seinen Augen zu tanzen begannen, weil der Sauerstoffmangel langsam gefährlich wurde, wich dieser Druck wieder. Und auch wenn sein Atem immer noch laut rasselnd war und er spürte, dass er jeden Moment wieder einen Anfall erleiden konnte, bekam er wieder Luft. Er sog die Luft ein und kam sich entsetzlich kraftlos vor. Seine Handgelenke bluteten, seine Brandwunde schmerzte und seine Lungen pochten schmerzvoll.

Keuchend schleppte er sich zu Christine, deren Gesicht fast schneeweiß war. Ihr Blutverlust war bereits gefährlich und wenn nicht schnellstens Hilfe kam, dann würde es schlecht aussehen. Er nahm seinen Gürtel ab, kniete sich neben sie hin und sah, wie ihre Augenlider schwer wurden.

„Das wird jetzt sehr wehtun“, warnte er sie. „Halt durch, okay? Bleib bei mir!“

„Ich kann mein Bein nicht spüren“, keuchte sie und ihr Blick wirkte leicht desorientiert. Offenbar hatte sie ihre ganze Kraft mobilisieren müssen, um ihm zu helfen und nun zeigte sich das Ausmaß ihres Blutverlustes.

Sofort begann Sam mit der rettenden Maßnahme und band eine Schlaufe um ihren blutenden Beinstumpf, dann schnürte er den Gürtel so fest er konnte zu, woraufhin Christines Bewusstsein wieder zurückkehrte und sie vor Schmerz aufschrie, als würde man ihr noch etwas abschneiden. Es tat ihm weh, sie so schreien zu hören und es kostete ihn Mühe, bei der Sache zu bleiben, denn sein Atem ging wieder schwerer und kürzer, während seine Lungen immer noch schmerzten.

„Christine, bleib bei mir!“

Während sie schrie, sammelten sich Tränen in ihren Augen. Es war ein schrecklicher Anblick und es tat ihm weh, sie so sehen zu müssen. Dann beobachtete er, wie sich ihre Augen in den Höhlen verdrehten und wie ihr Körper erschlaffte. Der Schmerz hatte ihr endgültig das Bewusstsein geraubt und sie lag regungslos da.

„Christine!“

Die Tür wurde aufgestoßen. Zuerst fürchtete Sam, es könnte Shen sein, doch unendliche Erleichterung überkam ihn, als er sah, dass es Araphel war. Es war tatsächlich Araphel. Und bei ihm waren ein paar seiner Leute, auch Dr. Heian, der einen Koffer bei sich trug. Sie sahen das Bild, das sich ihnen bot und Sam sah, wie sich Entsetzen und Fassungslosigkeit auf Araphels Gesicht zeichneten.

„Sam, Christine!“ Er wollte zu ihnen eilen, doch Dr. Heian drängte ihn weg und lief zu der Schwerverletzten, deren Lippen fast genauso schneeweiß waren wie ihre Haut. Sam, der nichts für sie tun konnte, eilte zu Araphel und umarmte ihn erleichtert. Und kaum, dass er in seinen Armen lag, brach er in Tränen aus, während er Gott dafür dankte, dass endlich Rettung gekommen war. Sie waren gerettet…
 

Da Sam einigermaßen laufen konnte, lief er neben Araphel her, der Christine auf dem Arm trug, deren Bewusstsein zumindest teilweise wieder zurückgekehrt war. Doch so ganz bei Sinnen schien sie nicht mehr zu sein. Ihre Augen schafften es nicht, einen bestimmten Punkt zu fixieren und wahrscheinlich war auch alles, was sie erkennen konnte, verschwommene Konturen. Ihr Puls war sehr schwach und sie musste dringend behandelt werden. Dr. Heian hatte ihr zwar etwas gespritzt, doch es würde bei weitem nicht reichen. Fakt war, dass sie sie schnell in ein Krankenhaus bringen mussten.

„Araphel…“, brachte sie mit schwacher Stimme hervor, während ihr Atem immer langsamer ging. Ihr Blutverlust musste bereits über den kritischen Punkt hinaus sein. Der Mafiaboss rannte so schnell er konnte durch das Haus, um sie auf dem schnellsten Weg behandeln zu lassen. Jede Sekunde zählte, das wusste er. Und als er sah, in was für einem Zustand sie war und dass sie mit dem Leben rang, vergaß er schlagartig seine Wut auf sie. Er konnte sie nicht hassen, nicht wütend auf sie sein. Das Einzige, was er empfand, war Angst. Er hatte Angst, sie zu verlieren. Allein der Anblick der beiden enthaupteten Leichen war entsetzlich gewesen und hatte ihn bis ins Mark erschüttert. Und nun rang auch noch Christine mit dem Tod.

„Bleib bei mir“, sprach er immer wieder zu ihr, damit sie bei Bewusstsein blieb. Egal wie schlimm ihre Schmerzen auch gerade waren, egal wie schwach sie war, sie durfte jetzt nicht das Bewusstsein verlieren. Wenn sie ihm jetzt wegstarb, nachdem er ihr solch schlimme Dinge gesagt und sie sogar geohrfeigt hatte, würde er sich das niemals verzeihen können. „Christine, bitte bleib bei mir.“

„Es tut… mir leid“, brachte sie mit schwacher Stimme hervor. Sie versuchte sein Gesicht zu erkennen, doch die erkannte kaum noch etwas. Ihr Körper befand sich durch die Schmerzen und dem hohen Blutverlust in einem kritischen Schockzustand. Kaum, dass sie im Wagen Platz genommen hatten, fuhren sie los und Dr. Heian, der zusammen mit Araphel bei Christine auf der Rückbank saß, während Sam vorne neben dem Chauffeur saß, versuchte alles erdenkliche, um Christines Kreislauf einigermaßen zu stabilisieren. Er bereitete eine Infusion vor, die er für absolute Notfälle im Koffer dabei hatte, doch er bezweifelte, dass das ausreichte. Es sah nicht gut aus. Es sah ganz und gar nicht gut aus, das wusste er. Solche Fälle sah er nicht zum ersten Mal und er konnte inzwischen ganz gut abschätzen, wann ein Fall gut aussah und wann keine Hoffnung mehr bestand. Und in Christines Fall standen die Chancen sehr schlecht. Tief in seinem Herzen wusste er, dass sie nicht lange durchhalten würde. Selbst wenn sie das Krankenhaus erreichten, war die Chance sehr gering, dass sie noch bis zur Operation durchhielt. Doch seine Ehre als Arzt verbot es ihm, einfach so aufzugeben, denn es konnte durchaus medizinische Wunder geben, auch wenn sie extrem selten war. Er würde tun was in seiner Macht stand, um sie zu retten. So gab er ihr erst mal ein Schmerzmittel, um wenigstens ihre Qualen zu lindern, die sie litt. Dann legte er die Zufuhr für die Kochsalzlösung an, auch wenn das herzlich wenig brachte. Damit ließ sich zwar der Kreislauf stabilisieren, aber nicht in solch einem Zustand. Eigentlich konnte nur eine Bluttransfusion helfen, doch das war nicht möglich, solange ihre Wunde nicht geschlossen wurde. Außerdem war eine wichtige Arterie verletzt, wodurch sie unfassbar schnell Blut verlor und bei so einer Wunde würde sie sich auch nicht so leicht schließen lassen. Wieder fühlte er Christines Puls, doch er war kaum noch vorhanden. Auch ihr Atem wurde immer schwächer. Sie lag bereits im Sterben.

Araphel hielt ihre Hand fest und rang mit den Emotionen. Er hatte Angst um sie. Trotz der Dinge, die an diesem Morgen passiert waren, hatte er entsetzliche Angst davor, dass er sie nicht retten konnte. Sie durfte nicht sterben, nicht nachdem er schon seine Schwester, Yin und Asha verloren hatte.

„Christine“, sprach er und hielt ihre totenblasse Hand fest. „Bitte bleib bei mir.“

Es war ein so herzzerreißendes und verzweifeltes Flehen, das selbst dem Arzt die Brust zuschnürte. Es war so unsagbar schrecklich, dass das hier geschah. Er kannte sie beide seit zwei Jahren, lebte mit ihnen zusammen und schätzte sie als gute Freunde. Er hatte sich immer um Christine gekümmert, wenn sie ihre Anfälle hatte und sie lag ihm aufgrund ihrer Krankheit sehr am Herzen. Und umso schrecklicher war es nun, dass er nichts tun konnte, um ihr zu helfen.
 

Endlich erreichten sie nach einer gefühlten Ewigkeit das Krankenhaus und Christine wurde sofort in den OP-Saal gebracht. Sam, dem es inzwischen wieder etwas besser ging, nachdem Dr. Heian ihm das benötigte Asthmaspray gegeben hatte, wartete zusammen mit Araphel vor dem OP-Saal, nachdem seine aufgeschürften Handgelenke und seine Brandwunde behandelt worden waren. Als er in den Wartebereich kam, sah er bereits einen der Chirurgen auf Araphel zukommen. Er eilte zu dem Mafiaboss hin, um zu hören, was es Neues gab. Doch er ahnte nichts Gutes. Der Chirurg kam viel zu früh aus dem Saal und sein Gesicht sah ernst und gefasst aus. Dieser Blick verriet bereits alles.

„Mr. Mason“, begann der Chirurg und blieb vor ihm stehen. Araphel erhob sich und fragte „Ja?“

Der Chirurg schwieg einen Moment, dann holte er tief Luft und teilte mit, was Sam bereits befürchtet hatte.

Danach kamen die Ereignisse ihm wie eine entfernte und unwirkliche Erinnerung vor. Es war, als wäre er ab diesem Zeitpunkt in einem schrecklichen Alptraum gefangen. Er wusste nur noch, wie er Araphel am Arm festhielt und mit ihm zusammen in einen kalten und sterilen Raum ging, der nur spärlich beleuchtet war. Auf einem Tisch lag Christine. Ihre Augen waren geschlossen und sie sah aus, als würde sie friedlich schlafen. Jegliche Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen und sie wirkte auf ihn wie eine Puppe. Es war so unwirklich für ihn, dass sein Verstand es nicht schaffte, es als Realität zu akzeptieren. Doch für Araphel war es weitaus schlimmer. Als er vor ihr stand und durch ihr feuerrotes Haar strich, da zerbrach etwas in ihm. Seine Kraft, sein Wille und sein Stolz waren endgültig zerstört und was übrig blieb, war ein gebrochener Mann. Er sank auf die Knie und brach in Tränen aus. Es war das allererste Mal, dass Sam ihn weinen sah. Und ihn so zu sehen, machte für ihn nur allzu deutlich klar, wie schrecklich das alles für ihn sein musste. Araphel hielt Christines leblose Hand fest, wie er es die ganze Zeit im Auto getan hatte und ließ seiner Trauer und seiner unendlichen Verzweiflung freien Lauf, während er weinte und Tränen vergoss. Sam, der seinerseits emotional unter Schock stand und für sich selbst gar nicht realisiert bekam, was da passiert war, weinte nicht. Er konnte es nicht, selbst wenn er es gewollt hätte. Und doch fühlte er einen unendlich tiefen Schmerz in seiner Brust, gefolgt von einer entsetzlichen Leere und Verzweiflung. Er kniete sich neben Araphel hin und nahm ihn in den Arm. Er hielt ihn im Arm, um ihm wenigstens etwas Halt geben zu können. Doch er selbst kam sich so verloren vor in diesem Moment.

Yin und Asha waren tot… und nun auch Christine…


Nachwort zu diesem Kapitel:
Das ist für mich das schlimmste Kapitel, was ich für diese FF geschrieben habe. Christines Tod war für mich persönlich der schlimmste von allen vieren gewesen, weil ich sie so ins Herz geschlossen habe. Sie war die gute Seele der Familie und hat so viel erleiden müssen. Und dann stirbt sie noch im Operationssaal an ihrem Blutverlust. Die Schlussszene, wo Araphel weinend zusammenbricht und dabei ihre Hand festhält, hat bei mir Tränen ausgelöst. Allein die Tatsache, dass er ihre Hand die ganze Zeit festhält, ist ein allzu deutliches Zeichen dafür, wie wichtig sie ihm ist und wie sehr er an ihr hängt. Für ihn ist es nicht nur deshalb so schlimm, weil er eine so enge Freundin verliert, sondern weil für ihn seine Schwester quasi ein zweites Mal wegstirbt und er es nicht verhindern konnte. Das hier ist wirklich die dunkelste Stunde von „Mesmerize Me!“ Vier Menschen mussten durch Shens Wahnsinn sterben. Und er lebt immer noch. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (8)

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Von:  Mewney
2015-10-12T06:54:21+00:00 12.10.2015 08:54
Gut geschrieben. Aber es ist so traurig....
Von:  Sayuri_Hatake
2015-10-11T19:22:53+00:00 11.10.2015 21:22
Oh mein Gott...mein Herz blutet.
Das ist wirklich hart und bin gespannt wie es weiter geht.
Lg Sayu
Von:  mor
2015-10-06T17:47:00+00:00 06.10.2015 19:47
es mag zwar Eiskalt klingen aber......währe die ff ohne Tote währst keine Mafia Story
Von:  Seranona
2015-10-06T11:21:52+00:00 06.10.2015 13:21
omg...
Was ein Kapitel.
Wenigstens ist sie nicht verbrannt...das wäre ja noch schlimmer gewesen.
Araphel musste bisher so viel erleiden und hat soviele Menschen verloren.
Und Christines verlust hat ihn nochmal schwer getroffen.
Das Kapitel ist mal wieder super geschrieben und ich bin gespannt ob Sam Araphel die nötige Kraft geben kann um Shen endlich das Handwerk zu legen.
Von:  San-Jul
2015-10-05T15:29:44+00:00 05.10.2015 17:29
Du hast es echt geschafft, ich heul wie ein Schlosshund.
Erst Sergei, der sich heldenhaft für die anderen geopfert hat und dessen Opfer so gut wie umsonst war und dann auch noch Christine.
Und Aphrael der zusammenbricht.
Ich packs gard einfach nicht.
Ganz liebe verheulte Grüße
San-Jul
Antwort von:  Sky-
05.10.2015 17:32
Ach herrje, du Ärmste *Taschentücher reich*
Nun, so ganz umsonst war Sergejs Opfer ja nicht. So konnte er zumindest Sam retten und sicherstellen, dass Shen nicht auch noch Araphel in die Hände kriegt. Und er hatte schon so seine eigenen Gründe gehabt, wieso er durch Shen gestorben ist.
Antwort von:  San-Jul
05.10.2015 17:34
Dankeschön *schnief*
Ich glaube zu erahnen, was du damit bezwecken willst, hoffentlich läuft das auch gut ab.
Ich pfeif mir jetzt erstmal eine Tafel Schokolade rein. *dir auch eine reich* Als Nervennahrung zum weiterschreiben;)
Von:  Onlyknow3
2015-10-05T04:32:15+00:00 05.10.2015 06:32
Ja das geht einem ganz schön an die Nieren dieses Kapitel, vier Tode, und Araphel weiß nur von dreien den seines Mentors und Ziehvaters noch nicht. Doch das war ja die Absicht des Russen, das Araphel es nicht erfährt vorab.
Bleibt nur zu hoffen das es Sam gelingt ihn aufzufangen und wieder aufzurichten damit er Shen endlich besiegen kann.
Mir tut Araphel sehr leid, nicht nur das er unter Shen selbst gelitten hat, nein er hat seine Schwester und bester Freuendin verloren. Mach weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  FannyNeko
2015-10-04T22:14:24+00:00 05.10.2015 00:14
ich hoffe das araphel sich wieder aufrappeln kann, denn wenn nicht dann hat shen gewonnen und wenn ich ein was nicht will dann das dieser kerl in irrgendeiner weise am ende als siegen hervor geht und zwar tod oder lebendig, ich will nicht das er araphel verdirbt, hoffentlich kann sam ihn retten wenn er sich selbst erst msl wieder berühgt hat

PS ich hasse diesen shen und wünsche ihn einen schmerzhaften und langsamen tod, aber das würde nur araphel mit rache vergiften


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