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Mesmerize Me!

The Play of Snake and Lion
von

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Gespräche

„ Eine kleine Rache ist menschlicher, als gar keine Rache.“
 

Friedrich Wilhelm Nietzsche, Philosoph
 

Es regnete und ein kalter Wind wehte auf dem Friedhof. Unter diesen Umständen war es nicht möglich, sich eine Zigarette anzuzünden und das verleitete den Patriarchen dazu, etwas wehmütig zu seufzen.

„Das Wetter meint es wohl nicht gut mit uns. Da treffen wir uns schon am Grab und einem alten Mann ist nicht mal eine Zigarette vergönnt.“

„So alt bist du nun auch wieder nicht“, gab Araphel zurück und legte den Strauß weißer Lilien ans Grab seiner Schwester, nachdem er auch welche für seine Adoptiveltern hingelegt hatte. Auch Sergej war gekommen, nachdem sich der Tod von Stephen Mason schon zum vierten Mal jährte. Und bald würde auch Ahavas Todestag folgen. Jedes Mal, wenn er ihr Grab besuchen kam, kehrten diese quälenden Fragen zurück, die ihn wie Geister verfolgten. Was hatte er nur falsch gemacht, dass er sie nicht hatte retten können? Warum war er nicht fähig gewesen, sie zu beschützen? Was hätte er tun können, um sie zu retten? Eine Hand legte sich auf seine Schulter und er hörte Sergej leise seufzen.

„Mag sein, dass ich mit 51 Jahren in der heutigen Zeit noch gut sieben Jahre davon entfernt bin, alt genannt zu werden. Aber ich finde, dass das Alter wesentlich mehr Vorzüge hat als die Jugend. Man hat dann eine gute Entschuldigung, um unliebsamen Dingen aus dem Weg zu gehen, indem man einfach sagt, dass man zu alt für diesen Unsinn ist. Außerdem kann man sich das Recht ausnehmen, die Dinge auch langsamer anzugehen. Ich mag zwar noch nicht gänzlich alt sein, aber es ist auch eine Frage des Gefühls. Ich habe in meinem Leben schon viele Menschen zu Grabe tragen müssen. Meinen älteren Bruder Iwan, meine erste Ehefrau Catherine und später meine zweite Frau Lucia. Dann stirbt mir noch derjenige weg, der vor elf Jahren eine Kugel für mich abgefangen und mir das Leben gerettet hat. Das Leben ist manchmal wirklich eine grausame Ehefrau.“

Es erstaunte Araphel so manchmal, wie Sergej solche Dinge so locker dahersagen konnte, wenn er schon so viel im Leben verloren hatte. Seine Familie, seinen besten Freund…

„Wie schaffst du es nur, so stark zu sein und über solche Sachen drüber zu stehen?“

„Das entwickelt sich mit den Jahren. Außerdem muss man gewisse angeborene Charakterzüge für so etwas besitzen, was heißt: man muss von Geburt an eine gesunde Kaltherzigkeit besitzen, um schnell über solche Dinge hinwegzukommen. Ich war schon immer ein abgebrühter Geschäftsmann gewesen und habe schon in der Schule die anderen Schüler um ihr Essensgeld betrogen. Dafür besitze ich aber nicht mehr diesen Elan und Kampfgeist wie du, Junge.“

Nachdem der Wind immer stärker wurde und auch der Regen zunahm, gab es Sergej auf, sich eine Zigarette anzuzünden und steckte sie wieder ein, wobei er leise „Beschissenes Wetter“ auf Russisch murmelte. Eine Weile des Schweigens verging, ohne dass einer der Beteiligten Anstalten machte, etwas zu sagen, dann aber beendete Sergej schließlich die Stille, indem er wieder zum Reden ansetzte.

„Beim Treffen hat Shen versucht, mich zu töten. Offenbar kümmern ihn auch unsere geschäftlichen Beziehungen kaum noch mehr. Oder aber er wollte mich auf die Probe stellen, ob ich noch fit genug bin, um ihm die Stirn zu bieten und ihm ein ebenbürtiger Gegner zu sein.“

„Das ist doch Irrsinn!“ rief Araphel und schüttelte den Kopf. „Wieso tötet er seine besten Geschäftspartner? Das würde ihm doch mehr schaden als nützen. Wo liegt darin die Logik? So geht doch kein vernünftiger Boss vor.“

„Er ist auch kein Mafiaboss“, erklärte Sergej und blieb gelassen. Es wirkte fast schon unheimlich, wie ruhig er war angesichts der Tatsache, dass er knapp einem Mordanschlag entgangen war. „Er ist ein Wolf im Schafspelz, der die Mafia nur für seine Zwecke missbraucht. Und dabei kann er seine Rolle nahezu perfekt spielen. Allerdings hab ich ihn gleich schon zu Anfang durchschaut und deshalb will er mich loswerden, weil ich ihm offenbar zu gefährlich bin. Aber da muss er früher aufstehen. Er ist ja nicht der Erste, der mich umbringen will und mit Sicherheit nicht der letzte. Tja, der Posten eines Bosses ist und bleibt eben ein Damoklesschwert. Und wenn wir nicht Acht geben, wird die Schlange alles verschlingen und immer weiter wachsen, bis sie die ganze Welt umspannt.“

Hier aber stieß Araphel einen ungläubigen Laut aus und fügte hinzu „Das Glaubst du doch wohl selbst nicht. Es ist unmöglich, dass der Kerl weltweit so eine Kontrolle erlangen könnte.“

„Vielleicht hast du Recht und es geht der Schlange nicht ums Wachstum, sondern einfach nur ums Fressen. Darum will ich dir raten: gib Acht auf dich und biete ihm keine Angriffsfläche. Denn wenn du es tust, wird die Schlange dich mit ihrem ganzen Körper umspannen und dich mit ihrer ganzen Kraft an sich binden und dann erbarmungslos zerquetschen. Ich sage dir nicht, dass du deine Rache vergessen sollst. Es wäre nur ein Zeichen von Schwäche für uns, wenn wir solche Dinge stillschweigend hinnehmen, ohne es unseren Feinden gebührend heimzuzahlen. Ich sage immer, dass Rache im Allgemeinen keine Lösung ist, ebenso wenig wie keine Rache. Menschen brauchen die Rache, um sich Gerechtigkeit zu verschaffen, das war schon immer so gewesen. Aber man darf sich nicht zu sehr hineinsteigern, ansonsten verlieren wir noch unseren Blick fürs Objektive und das ist sehr gefährlich. Denn blind hast du keine Chance gegen Shen. Zwar denken meine Leute, ich könnte es locker mit ihm aufnehmen, aber sie irren sich. Ich kann ihn lediglich in seine Schranken weisen, aber vernichten kann ich ihn nicht. Vor fünfzehn Jahren hätte ich das vielleicht noch geschafft. Naja, das bringt uns aber auch nicht weiter. Die beste Art, sich an seinem Feind zu rächen ist die, besser als er zu werden. Ich habe Kontakte zu einem Drogenring in Russland. Das sollte dir eine kleine Hilfe meinerseits sein, um deine Macht weiter zu festigen und dir ein zusätzliches Standbein zu verschaffen.“

Damit reichte Sergej ihm unauffällig einen Zettel mit den Kontaktdaten.

„Könntest du mir im Gegenzug deinen wunderbaren Informanten ausleihen? Ich wollte da ein paar Dinge in Erfahrung bringen, für die ich seine Hilfe bräuchte.“

„Klar, das sollte kein Problem darstellen. Aber sag mal… warum machst du mit diesem Kerl eigentlich Geschäfte, wenn du mich gleichzeitig unterstützt, um ihn zu Fall zu bringen? Mir kannst du ja erzählen, dass du mir hilfst, weil du meinem Vater was schuldest, aber du ziehst deinen Profit aus Shen und demnach wäre es wiederum von Nachteil für dich, wenn er wegfällt. Es sei denn, du nutzt unsere Fehde aus, um dir seine Geschäfte unter den Nagel zu reißen und deine eigene Macht auszubauen, was wiederum bedeutet, dass ich nur ein Mittel zum Zweck für dich bin. Das würde dich nicht zu einem Fuchs machen, sondern zu einer Hyäne, die sich über die Kadaver von Beutetieren her macht, die bereits von Raubtieren erlegt worden ist.“

Araphel warf Sergej einen misstrauischen und zugleich prüfenden Blick zu, doch der Patriarch lächelte nur selbstsicher und konnte sich ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen.

„Nun, du hast sowohl Recht als auch Unrecht, mein Junge. Ich unterstütze dich hauptsächlich deswegen, weil ich deinem alten Herrn versprochen habe, mich um dich und deine Schwester zu kümmern, sollte er der Triade zum Opfer fallen und ich bin ein Mann, der sein Wort hält. Selbst als Mafioso sollte man sich zumindest seine Ehre bewahren. Aber was hätte ich denn davon, wenn die Triade aus Boston vertrieben ist und sowohl das Rotlichtviertel als auch Chinatown an irgendwelche kleinen Fische gehen und mir ein gutes Geschäft abhanden kommt? Ich bin in erster Linie Geschäftsmann, vergiss das nicht. Wer Schulden bei mir hat, der muss sie abbezahlen. Und wenn er das nicht kann, muss er entweder seinen Körper oder seine Organe verkaufen. Und warum sollte ich die Triade vernichten, ohne mir meinen Vorteil aus dem Geschäft zu ziehen? Selbst aus einem räudigen Schaf kann man noch ein Büschel Wolle gewinnen. Du solltest das auch machen. Ich würde mich also nicht unbedingt mit einer stinkenden Hyäne vergleichen lassen, sondern viel eher mit einem Krokodilwächter. Ich unterstütze dich und nehme im Gegenzug das, was ich selber brauche. So funktioniert letzten Endes unsere Zusammenarbeit. Die Einflussgebiete der Yanjingshe sind deine Hauptbeute, was also auch Chinatown betrifft. Die Rotlichtviertel hingegen sind die Würmer und Parasiten, von denen ich mich hingegen ernähren werde, weil du damit sowieso nichts anfangen willst. Spätestens seit diesem Vorfall von vor vier Jahren. Es ist ein unangenehmes Kapitel für dich, mit dem du dich genauso wenig befassen willst, wie mit dem Menschenhandel, von dem letztendlich ich lebe. Also ist es letztendlich nur fair, wenn ich Shens Bordelle und Nachtclubs erhalte und du dafür Chinatown. Mit den Asiaten kann ich ohnehin nichts anfangen. Für mich sehen die eh alle gleich aus.“

Zuerst schien es, als würde sich Wut in Araphel breit machen, doch stattdessen erwiderte er nur das selbstsichere Lächeln seines Mentors und mit einem Handschlag besiegelten sie ihre Abmachung.

„Sergej, du machst deinem Titel als Patriarch und alter Fuchs wirklich alle Ehre.“

„Tja, ich weiß eben meine Brötchen zu verdienen. Und solange wir uns bei unseren Geschäften nicht in die Quere kommen, besteht auch kein Anlass, dass sich an unserer Freundschaft etwas ändert.“

Damit kehrten sie wieder zu ihren Wagen zurück. Sergej hätte wohl noch eine Verabredung mit seiner Verlobten (er gedachte nämlich trotz seines Alters ein drittes Mal zu heiraten) und Araphel hatte auch einige Dinge, die er zu erledigen hatte.
 

Sam erwachte langsam aus einem sehr tiefen Schlaf und fühlte sich ziemlich gerädert. Er hatte einen seltsamen Traum gehabt, den er erst nicht so wirklich deuten konnte. Er hatte von einem schwarzen Löwen geträumt, der aus zahlreichen Wunden blutete. Sein lautes Brüllen war ihm durch Mark und Bein gegangen und da war noch eine Schlange gewesen. Sie war so gewaltig, dass man sie kaum noch als Schlange bezeichnen konnte. Viel größer als eine Anakonda und ihr Körper war dicker als ein Baumstamm. Immer und immer wieder schlug der Löwe seine Krallen in den Körper der Schlange, doch er hinterließ nicht einmal Kratzer bei ihr. Stattdessen riss die Schlange nur ihr Maul auf, ließ ein gefährliches Zischen vernehmen, was dem angriffslustigen Fauchen einer Katze nachkam. Immer und immer wieder schnellte der Kopf der Schlange vor und vergrub ihre Zähne in den Körper des Löwen und visierte dabei immer wieder seine Vorderläufe an, um ihn zu Fall zu bringen. Doch der Löwe kämpfte ungeachtet seiner Verletzungen immer weiter, um es mit der Schlange aufzunehmen. Sam hatte dieses grausame Schauspiel beobachtet und versucht, die beiden aufzuhalten und hatte immer wieder gerufen, dass sie damit aufhören sollten. Doch es hatte nichts gebracht. Die Schlange schnappte immer wieder nach dem Löwen, während der Löwe vergebens versuchte, ihren Kopf zu erreichen. Und als er dann nahe genug war, umwickelte die Schlange ihn und zerquetschte ihn. Im selben Moment biss ihr der Löwe ins Genick, woraufhin beide starben. Und in dem Moment, wo der Löwe noch während seines Todes ein letztes Mal sein Brüllen erklingen ließ, da war Sam auch schon aufgewacht. Zuerst war er völlig orientierungslos, denn als er die Augen öffnete, fand er sich selbst gar nicht die grauen Betonwände des Kellers wieder. Und er lag nicht in diesem alten Bett. Der Raum war hell und als er sich aufsetzte, erkannte er, dass er sich in einem gewöhnlichen Zimmer befand. Es gab Schränke und auch ein Fenster. Was war nur los? Wieso war er hier? Träumte er noch? Nein, das hier fühlte sich viel zu real für einen Traum an. Araphel hatte ihn offenbar aus einem unerklärlichen Grund in ein richtiges Zimmer verlegt, oder aber es war der Hilfe dieses Doktors zu verdanken. Sein erster Gedanke war, die Gelegenheit gleich beim Schopf zu packen und zu verschwinden. Also stand er auf und eilte zum Fenster hin. Tatsächlich ließ es sich öffnen und zu seinem Glück war er gerade mal im ersten Stockwerk. Unter ihm befanden sich Sträucher und Büsche. Wenn er also raussprang, würde er sich allerhöchstens ein paar Prellungen und Kratzer holen. Eine bessere Gelegenheit konnte man ihm kaum bieten. Schnell kletterte er auf den Fenstersims und wollte sich schon dem Abstieg widmen, da durchfuhr ihn plötzlich ein heftiger Schlag, der jeden Muskel in seinem Körper verkrampfen ließ. Es war ein Stromschlag, der ihn fast an den eines Tasers erinnerte. Er verlor augenblicklich die Kontrolle über seinen Körper, der unter schmerzhaften Krämpfen unkontrolliert zu zucken begann und er wäre schlimmstenfalls noch hinuntergefallen, wenn ihn da nicht jemand am Kragen gepackt und zurückgezogen hätte. Etwas ungeschickt fiel er zu Boden und sogleich hörten auch die Stromstöße auf.

„Oi, ich deiner Stelle würde das lieber lassen. Du kriegst nur eine gewischt, wenn du abzuhauen versuchst.“

Sam blieb erst mal stöhnend liegen und brauchte einen Moment, um wieder ein Gefühl in seinem Körper zu bekommen. Er erkannte einen Mann mit dunkelrot gefärbtem Haar, der einen Hut trug und eine Zigarette rauchte. Den Gesichtszügen nach war er Asiate.

„Und mit wem habe ich das Vergnügen?“ fragte er und bekam sogleich auch schon eine Hand gereicht, die er annahm. Der Mann half ihm wieder hoch und brachte ihn zum Bett.

„Mein Name oder besser gesagt mein Deckname ist Morphius Black. Du hast ja schon von mir gehört.“

Etwas ungläubig starrte Sam den Mann an, der einen eher desinteressierten und etwas zynischen Eindruck machte, so als wäre er nicht gerade an Smalltalk interessiert. Er konnte nicht glauben, dass das wirklich der Morphius Black war. Noch nie hatte er ihn persönlich getroffen und es war auch schwierig, ihn persönlich zu treffen, denn er zog es vor, möglichst anonym seine Informationen weiterzugeben. Und nun stand dieser leibhaftig und wie selbstverständlich vor ihm. Das ließ nur einen Schluss zu und auch wenn Sams Hirn noch ein wenig geröstet war, schnallte er ziemlich schnell, was Sache war.

„Du bist Morphius? Dann bedeutet das, dass dieser Hinterhalt deine Schuld war?“

„Schuld würde ich es nicht nennen. Ich hab lediglich die Anweisungen befolgt, die ich erhalten habe und mehr nicht.“

„Dann arbeitest du für die Mafia? Aber ich dachte, du würdest ausschließlich der Polizei helfen.“

Morphius blies eine Nikotinwolke aus und starrte Sam mit Augen an, die ihn im Moment irgendwie an die einer grimmigen Katze erinnerten. Anders konnte man es einfach nicht beschreiben. Irgendwie machte dieser Kerl den Eindruck, als würde ihm alles am Arsch vorbeigehen, oder als würde ihm alles auf die Nerven gehen.

„Wer sagt, dass ich nur der Polizei helfe? Ich verkaufe Informationen an den, der welche haben will und ob es nun ein Cop oder ein Krimineller ist, ist nicht mein Bier. Aber dass ich für die Mason-Familie arbeite, ist korrekt. Seit zwei Jahren schon, wenn du es genau wissen willst.“

Sam konnte es nicht glauben, dass jener Informant, auf den die Bostoner Polizei baute, so gestrickt war und tatsächlich sogar gegen die Polizei arbeitete. Dabei hatten Marco und die anderen immer so positiv von ihm gesprochen und dank seiner Hilfe unzählige Verbrecher schnappen können. Und dann stellte sich jetzt heraus, dass Morphius Black nicht den leisesten Hauch von Prinzipien hatte? Das war in Sams Augen einfach nur unvorstellbar und vor allem unverzeihlich. Wie konnte ein solcher Mensch nur ehrlos sein?

„Und ich habe immer gedacht, du wärst ein Informant mit Prinzipien, weil die Polizei dank dir so viele Verbrechen aufklären konnte. Und jetzt stellt sich heraus, dass du ein ehrloser und geldgeiler Kleinmafioso bist?“

„Willkommen in der Realität“, gab Morph nur zurück und begann sich am Ohr zu kratzen. „Ist doch egal, für wen ich arbeite. Ob nun für die Cops oder die Mafia, keiner von denen hat eine weiße Weste. Die Polizei ist nicht so toll, wie du es dir in deiner naiven Welt ausmalst. Die Realität sieht nun mal so aus, dass sie ziemlich korrupt ist und die meisten von denen ohnehin von der Camorra-Familie und der Yanjingshe bestochen werden. Auch die Mason-Familie hat viele Kontakte. Oder was glaubst du, warum dein bester Freund dir den Job mit der Beschattung aufs Auge gedrückt hat? Ganz einfach: weil er seinen eigenen Arsch retten wollte.“

Ja, das hatte auch schon Araphel gesagt, aber so ganz wollte Sam das einfach nicht glauben. Marco und seine anderen Freunde waren ehrliche Menschen und er wollte einfach nicht glauben, dass sie als Polizisten wirklich so korrupt waren, dass sie ihn einfach an die Mafia verraten würden. Doch dann warf Morphius ihm einen Umschlag aufs Bett mit den Worten „So langsam solltest du der Realität ins Auge sehen. Boston ist ein verdammt heißes Pflaster geworden und so etwas wie Aufrichtigkeit und Prinzipientreue wirst du hier kaum finden. Marco Illes hat hohe Schulden bei illegalen Pokerrunden gemacht und steht seitdem in der Schuld der Mason-Familie. Und dein Bruder macht gemeinsame Geschäfte mit der Yanjingshe, indem er Bestechungsgelder annimmt und er hat dafür vor vier Jahren eine 20-jährige Studentin an die Yanjingshe verkauft. Deine anderen Kumpels Joe Banner, Tyson Dyer und Nigel Bless sind in Drogengeschäfte verwickelt. Das halbe Polizeirevier ist ein einziger korrupter Sauhaufen und du gehörst leider zu denen, die verraten wurden, damit die ihren Arsch retten konnten. Du kannst es noch so oft abstreiten und in deiner heilen Welt leben, oder einfach mal der Realität ins Auge sehen und akzeptieren, dass sie dich verraten haben. Ich mach das hier nur, weil du die Wahrheit wissen solltest und endlich aus deinem Traumland aufwachst. Du hast wirklich tapfer gekämpft, um deine Ideale und Prinzipien zu verteidigen, aber letzten Endes sind dir jene in den Rücken gefallen, denen du vertraut hast und die du für deine Freunde gehalten hast. In der Hinsicht hast du wirklich mein Mitgefühl. Glaub nicht, dass es mir leicht gefallen ist, dir das anzutun. Zu hören, dass die eigenen Freunde und die eigene Familie bereit ist, jemanden zu verraten, um sich selbst zu retten, ist wirklich das Allerletzte und geht sogar mir gegen den Strich.“

„Warum sollten sie mich verraten? Wieso ausgerechnet ich?“

„Das ist eine komplizierte Kiste“, erklärte Morphius und blies nun einen Rauchkringel aus, während er gedankenverloren gegen die Wand zu starren schien. „Dein älterer Bruder Lawrence hat es sich ziemlich mit Araphel verscherzt und aus Rache hat er dich in die Falle gelockt. Du musst wissen: Araphels Schwester war mit deinem Bruder zusammen. Sie waren ein Paar, aber Lawrence hatte Ärger mit der Yanjingshe und hat die Schwester daraufhin an die Yanjingshe verraten. Und die ist durch diese Leute zu Tode gekommen.“

Sam wich das Blut aus dem Kopf und ihm war, als würde er den Halt unter den Füßen verlieren. Sein Bruder sollte den Tod eines Menschen verantwortet haben? Nein, das würde Lawrence doch niemals tun! Zumindest hätte er das noch zu Anfang gesagt. Aber inzwischen begann er selbst zu zweifeln, dass da gar nichts dran war. Morphius Black war ein brillanter Informant und er irrte sich mit seinen Informationen nie. Er musste wissen, was passiert war und welchen Grund sollte er haben, das Ganze hier zu erfinden? Es wäre eine zu schlechte Lüge und er hätte sich jederzeit eine bessere einfallen lassen können. Und nun verstand Sam auch, was der Grund war, wieso es ausgerechnet ihn treffen musste: es war ein Ausgleich. Lawrence hatte Araphel seiner Schwester beraubt und nun nahm er diesem Mann ebenfalls einen Geschwisterteil weg. So war die Vorgehensweise der Mafia. Aber das erklärte nicht, warum er jetzt hier war. Als er Morphius diese Frage stellte, erklärte dieser: „Araphel hat seine Pläne halt geändert. Anstatt, dass er mit dir kurzen Prozess macht, will er dich am Leben lassen, aber dafür wirst du hier bleiben müssen. Und da der Keller wohl auf Dauer keine vernünftige Lösung ist, hat er entschieden, dir ein richtiges Zimmer zur Verfügung zu stellen. Allerdings unter gewissen Bedingungen.“

Damit tippte er auf ein Halsband, das Sam trug. Da dieser aber schon durch die Halsfessel im Keller so sehr daran gewöhnt war, hatte er erst nicht realisiert, dass er immer noch so etwas um den Hals trug.

„Das ist eine andere Halsfessel als die im Keller. Funktioniert eigentlich fast genau nach dem Prinzip einer Fußfessel. Du kannst dich in einem bestimmten Radius bewegen, nämlich innerhalb des Hauses und dem Garten am Festflügel. Da du das äußerste Zimmer im Ostflügel hast, kannst du nicht aus dem Fenster klettern. Wenn du den Radius verlässt, kriegst du ordentlich eine gewischt wie bei einem Hundehalsband. Zudem verfügt die Halsfessel über ein GPS, mit dem man dich orten kann, solltest du dennoch abhauen. Falls du versuchst, die Fessel zu zerstören oder zu beschädigen, wird ein ziemlich lautes Alarmsignal gesendet, das genauso laut und nervtötend ist wie die Alarmanlage eines Autos. Solltest du dennoch das Halsband zerstören und abhauen, wird ein versteckter Sender ein GPS-Signal senden, sodass man dich sofort wiederfindet. Das sind die Rahmenbedingungen, dass du nicht im Keller versauern musst. Dafür hast du wesentlich mehr Bewegungsfreiheiten und vor allem deutlich mehr Komfort. Ach ja, bevor ich es vergesse: Araphel wies mich an, dir eine Zusatzinfo auszurichten.“

Damit holte Morphius noch einen versiegelten Briefumschlag hervor und gab ihn Sam.

„Solltest du Kontakt nach draußen aufnehmen, werden die Bilder im Netz landen und dann wirst du dich nirgendwo mehr blicken lassen können. Das sind seine Worte. Keine Bange, ich hab nicht reingeschaut. Auch ein „ehrloser“ Informant wie ich hat Prinzipien.“

Zögernd öffnete Sam den Umschlag und als er die Fotos sah, durchfuhr ihn ein eisiger Schreck. Auf den Fotos war er abgebildet. Nackt, an der Halsfessel gekettet, gefesselt und in einer mehr als eindeutigen Situation. Entsetzt starrte er auf die Bilder. Wenn diese an die Öffentlichkeit gerieten, wäre das sein Ende.

„Was verspricht er sich davon, mich hier gefangen zu halten? Und wieso hat er mich in dieses Zimmer gesteckt und nicht im Keller gelassen?“

„Er hat eben seine Gründe. Eigentlich plaudere ich nicht mehr als nötig über meinen Boss aus, aber Araphel ist nicht der schlechte Mensch, für den man ihn halten mag.“

„Und warum arbeitest du für die Mason-Familie?“

„Tja, das hat verschiedene Gründe. Der Hauptgrund ist der, weil die Mason-Familie mir, meiner Tochter und jenen, die mir nahe stehen, Sicherheit garantieren.“

„Sicherheit vor wem?“

„Na vor wem wohl? Vor der Yanjingshe. Sie haben versucht, mich abzuknallen, indem sie einen gekauften Polizisten mit meiner Ermordung beauftragt hatten. Allerdings bin nicht ich dabei draufgegangen, sondern meine Ex-Frau, mit der ich zu dem Zeitpunkt unterwegs gewesen war. Aus diesem Grund haben sich auch viele andere der Mason-Familie angeschlossen: weil sie entweder aus der Triade ausgestiegen sind oder anderweitig verfolgt werden. Denn da Shens Einfluss sehr weit in der Polizei reicht und er sogar Beziehungen zu Politikern hat und diese auch ausnutzt, wird er das ausnutzen, um seine Feinde zu verfolgen und zu töten. In solchen Zeiten ist auf die Polizei kein Verlass. Aus diesem Grund schließt man sich lieber dem Feind seines Feindes an, weil dieser einen besser beschützen kann. Du solltest dich also vorsehen. Denn es ist weitaus gefährlicher, sich Shen zum Feind zu machen und wenn er schon deinen Bruder im Visier hat und erfährt, dass dieser dich an Araphel verkauft hat, wirst du der nächste sein, den er jagen wird. Überlege dir also, was du tun willst. Ich für meinen Teil kann gerne darauf verzichten, in einer Stadt zu leben, die von einem Psychopathen regiert wird. Natürlich respektiere ich auch deine Ideale und deine Bemühungen, das organisierte Verbrechen in Boston zu bekämpfen. Aber du solltest dein Augenmerk lieber auf die größere Bedrohung richten. Wenn die Yanjingshe erst einmal Araphel gestürzt hat, wird ihm niemand mehr standhalten können. Der Patriarch ist alt und kein Kämpfer mehr, die Polizei ist längst unter Shens Kontrolle und darum würde ich dir anraten: überdenke deine Vorgehensweise. Ist es wirklich sinnvoll, einen Pfeiler einzureißen, wenn über dir dann das gesamte Gebäude zusammenbricht? Unser Ziel ist es, Shen aus dem Weg zu räumen und die Yanjingshe zu zerschlagen, um Rache zu nehmen und seinem Terror ein Ende zu setzen. Jeder in der Mason-Familie hat große Verluste durch die Yanjingshe erlitten. Am meisten Araphel. Naja, ich hab auch erst mal genug gequasselt. Dir raucht sicherlich schon die Birne. Bevor ich mir noch endgültig den Mund fusselig rede, lass ich dich erst mal alleine. Araphel kommt sowieso gleich und da will er sicher nicht, dass ich noch hier bin.“

Bevor Morphius aber ging, holte er noch etwas aus seiner Tasche und warf es Sam zu. Es war eine Tafel Schokolade. Dabei sagte der Informant noch „Sorry übrigens für die linke Tour, betrachte es als kleine Wiedergutmachung“, bevor er ging. Sam sah ihm nach, bis er durch die Tür verschwunden war, dann sah er sich die Schokoladentafel an. Als er sie öffnete, fand er einen Schlüssel, der darin versteckt worden war.

Verwirrt runzelte der Detektiv die Stirn. Wozu der Schlüssel wohl gut war? Jedenfalls nicht der für das kleine Vorhängeschloss am Halsband, das stellte er bei einem Test schnell fest. Nein, es sah aus, als könnte man damit einen Raum aufschließen. Aber was bezweckte Morphius damit? Wollte er ihm irgendetwas Bestimmtes zeigen? Nun, dazu musste er wohl erst mal die passende Tür finden. Doch dazu kam er nicht, denn da betrat auch schon Araphel das Zimmer.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Na was das wohl für ein Schlüssel ist? ;-)
Nach vielem Gerede geht es ab dem nächsten Kapitel wieder heiß weiter. Aber dieses Mal nicht mehr im kalten und ungemütlichen Keller. Wenigstens eine gute Nachricht für den armen Sam. Aber Araphels Herz ist ja nicht ganz aus Stein und wir dürfen gespannt sein, wie sich das in Zukunft für die beiden weiterentwickeln wird. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  ruehrbesen
2015-08-18T11:32:51+00:00 18.08.2015 13:32
Ich hab schon als ich die Zusammenfassung gelesen hab gedacht dass mich das schwer an "Finder" erinnert... :D Die Story gefällt mir, hat mich von Anfang an gepackt.
Ich freu mich auf die nächsten Kapitel - weiter so!
Von:  niki28
2015-08-18T09:19:20+00:00 18.08.2015 11:19
Entlich ist Sam aus dem keller raus in ein richtiges zimmer, und das er halbwegs auch die warheit weiß ist gut das sein bruder verantwortlich ist das der schwester won maffiosi boss gestorben ist, bin gespannt wie sam damit umgehen kann!
Ja eine gute frage für was ist diese schlüssel zu welche tür bin neugierig!
Freu mich aufs nächste kapitel!

Gruß

Von:  San-Jul
2015-08-18T09:00:22+00:00 18.08.2015 11:00
Yay,
kein Kellerverließ mehr, aber des hatte schon was;)
Der Schlüssel ist vermutlich für Sam´s Zimmer oder irgendeinem Speziellen Raum (ich Tippe auf Aphrael´s Schlafzimmer;))
Aber schön viele Hintergrundinformationen :)
Ganz liebe Grüße
San-Jul
Von:  marie_jane
2015-08-18T08:14:07+00:00 18.08.2015 10:14
Super spannendes Kapitel!
Es ist wirklich Wahnsinn wie schnell du deine Kapitel schreibst 😊
Bin gespannt wie es weitergeht 😆


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