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Secret

Bittere Geheimnisse
von

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Aber die Leichtigkeit kehrte wieder in unser Leben zurück. Dieses klärende Gespräch war wie ein Wunder. Wir unternahmen wieder viel zusammen. Auch mit den Anderen. In der Uni redeten wir wieder viel, saßen nebeneinander. In der Bahn setzte ich mich auf seinen Schoß. Ich umarmte ihn, wann mir danach war. Keine Träne floss mehr, als er Micky vor mir küsste. Das mulmige Gefühl der Eifersucht blieb natürlich erhalten. Doch jedes Mal, wenn er mich wieder anlächelte, war meine Welt wieder heile. Denn er schenkte mir seine Zeit, seine Liebe, ohne von mir etwas zu verlangen. Also wollte ich ihm diese nette Geste zurückgeben.

Aber irgendwie …

 

An einem Abend bei mir im Zimmer, zog ich mein T-Shirt aus, um mich in meine Schlafsachen zu begeben. Julian, auf meinem Bett sitzend, hielt inne, sah vom Fernseher weg und fasste zögerlich nach meinem Körper.

»Constantin ...«, flüsterte er entsetzt, als er meine Narben an der Hüfte sah. »Wieso so viele?«

Ich beobachtete wie seine Fingerkuppen über meine Brust glitten. Dann über meine Hüften.

Wow, das war angenehm …

Ich bekam Gänsehaut.

»Die Zeit war lang, in der ich mich nicht gut fühlte ...«, säuselte ich lächelnd.

Mit traurigem Blick strich er über die einzelnen Narben. »Versprich mir, das nicht mehr zu machen, ja?«

»Wenn du mir versprichst, mich nicht mehr zu verlassen?«

Dabei grinste ich ihn frech an.

Julians Augen formten sich zu einer geraden Linie.

»Du machst mir das echt nicht leicht, Con. Das nennt man auch Erpressung«, sagte er schließlich und ließ seine Hand sinken. Ich hob eine Augenbraue.

»Was? Erpressung? Und wieso mach ich es dir nicht leicht? Ich geb' mir wirklich Mühe, damit du es nicht so schwer hast!«

»Natürlich, aber ich spüre die unterschwellige Erwartung, die bei jeder deiner Handlungen mitschwingt«, gab er schließlich lächelnd zu verstehen und ließ mich mein T-Shirt anziehen.

»Ein Kuss wäre schön, aber den erwarte ich nicht. Das ist nur ein Wunsch«, grinste ich ihm entgegen. Vorsichtig spitzte ich meine Lippen.

Julians Lächeln versiegte. Er sah mir in die Augen und schien zu überlegen. Sein Atem wurde schneller und er verkrampfte sich zunehmend. Sein ganzes Innenleben schien außer Kontrolle. Ich kam näher auf ihn zu und legte meine Arme um seinen Nacken. Da er weder auswich, noch mich wegdrückte, lehnte ich mich weiter zu ihm vor, kniete mich aufs Bett und presste langsam meine Lippen auf seine Haut.

Vorsichtig küsste ich ihn auf den Mundwinkel. Er spannte sich furchtbar an, sein Atem blieb sogar stehen, als sich unsere Lippen ein kleines Stück berührten.

Als ich mich von ihm löste, atmete er erleichtert auf.

»Und? War schlimm?«, fragte ich etwas neckisch.

Er seufzte nur laut aus und schüttelte verständnislos den Kopf. »Du bringst mich noch in die Klapse.«

 

Richtige Fortschritte verzettelten wir aber nicht. Denn im Grunde mieden wir das leidige Thema wie die Pest. Julian musste nur hin und wieder mit meinen Knutschattacken rechnen, die er aber mehr oder weniger als lustig empfand. Was mich nur wieder in die Schublade führte, dass es Spaß war. Nur ein Spaß.

Aber das war es ja schon lange nicht mehr.

 

Irgendwann kam Susa auf mich zu, setzte sich zu mir auf eine Bank im englischen Garten, wo ich genüsslich eine rauchte. Diese Angewohnheit bezwang ich nicht so gut, zumal mir Julians Sucht dabei nicht gerade half.

»Zwischen euch beiden läuft's ja wieder richtig gut«, stellte sie fest. Ich nickte zufrieden, rauchte schnell auf und drückte die Zigarette in meinen Taschenaschenbecher.

»Julian und Micky funktionieren anscheinend auch. Obwohl ich die Beziehung immer noch oberflächig finde.«

»Ach, findest du?«, hakte ich nach. »Dass du manchmal so über deine beste Freundin redest …?«

»Sie ist eben manchmal ein Biest, trotzdem ist sie nett und wirklich immer für mich da. Und dass die beiden ihre Höhen und Tiefen haben ist ja wohl allseits bekannt.«

»Wenn du meinst«, sagte ich ein bisschen schnippig, da mir nicht weiter einfiel, was ich darauf sagen sollte. Wollte sie mich verhören?

Susa fing an mit den Füßen im Kies zu scharren.

»Kommt Julian heute nicht zu dir?«, fragte sie neugierig.

»Äh, nein. Heute ist unser privater Tag. Wir brauchen beide ein bisschen Ruhe.«

»Ruhe? Schade. Wir beide haben lange nichts mehr gemacht.« Das klang schon fast vorwurfsvoll.

»Das tut mir Leid, Susa. Aber in letzter Zeit war es wirklich schwierig, sich auf andere Dinge zu konzentrieren ...«

»Ja, ich weiß. Julian stand ja schon immer bei dir auf Platz eins. Ist okay.«

Klang es aber nicht.

»Wirklich, Susa, ich bemühe mich wieder mehr. Nächste Woche? Machen wir da was?«

»Sehr gerne, aber du musst nicht deine kostbare Zeit für mich opfern«, sagte sie im Lächeln, doch der zynische Unterton war deutlich spürbar.

»Oh, Susa. Bitte, gib mir 'ne Chance. Ich will, dass es wieder besser wird. Mit allem.«

»Davon sehe ich wenig.« Auf einmal hörte sie auf zu Scharren und sah mich böse an.

»Bist du jetzt sauer auf mich?«, fragte ich sichtlich überrascht, da Susa mir doch sonst immer zusprach in den Dingen, die ich tat. Oder zumindest mit Rat und Tat zur Seite stand. Doch die letzten Wochen schienen auch bei ihr nicht unbeschadet von dannen gezogen zu sein.

»Ich bin nicht sauer, nur enttäuscht. Es ist so schade, dass du der Frauenwelt verloren gehst. Julian hat dich überhaupt nicht verdient! Er tut dir mit seinem ständigen Hin und Her nur unnötig weh«, brummte sie in den Wind. Ich verstand zwar nur die Hälfte, doch wusste genau worum es ging. Auch nach 1 ½ Jahren gab sie nicht auf. Ich belächelte es müde. Was blieb mir anders übrig?

Sie hatte einfach keine Chance bei mir. Gegen Julian kam niemand an.

»Susa, ich hab dich lieb, aber ...«

»Ich weiß. Aber Julian

Ich seufzte, sah sie entschuldigend an. Doch ihr Blick ging ins Leere. Etwas verbittert drückte sie ihre Lippen aufeinander.

»Weißt du was, Con?«, sagte sie schließlich, »Ich liebe dich auch ziemlich.«

Ich zuckte zusammen und ein Schauer lief mir über den Rücken. Unangenehme Stimmung trat auf.

»Aber ich lass dich mit Julian tun und lassen, was du willst. Die Zukunft wird zeigen, was aus euch wird. Ich kann dir nur das Beste wünschen. Und hoffen, dass du mit ihm glücklicher wirst, als du es in den letzten Tagen warst.« Sie schien traurig und enttäuscht, versuchte ruhig zu bleiben, um mich nicht anzuschreien. »Ich kann mit Schwulen nicht so, Con. Und gerade Julian ist so ein Typ Mann, der mich sehr an meinen Ex erinnert. Der wurde nämlich nach der Beziehung mit mir schwul. Das war hart. Zudem er mit einem Kommilitonen durchgebrannt ist. Die beiden hatten dann harten Sex auf meiner Toilette zu Hause. Und da seid ihr beiden auch gelandet. Vielleicht sollte ich damit mal Werbung machen? Die Parallelen sind einfach zu stark, haha«, kicherte sie sarkastisch. Dann wurde sie wieder ernst. »Im Ernst, Con. Ich habe seitdem ein etwas gespaltenes Verhältnis zu Schwulen. Aber du bist süß und sehr liebenswürdig mit deiner ruhigen und stillen Art. Deswegen kann ich, glaube ich, trotzdem noch mit dir befreundet sein. Auch wenn es das zweite Mal ist, dass man mich wegen eines anderen Mannes auf Glatteis setzt.«

Ich biss mir auf die Unterlippe.

Das war natürlich eine harte Story. Dass sie die allerdings genau jetzt auspackte, hinterließ bei mir einen bitteren Beigeschmack.

»Es tut mir so Leid, Susa …«

Ich fühlte auf einer gewissen Ebene schon mit ihr mit. Immerhin war es mit Julian nicht sonderlich differenzierter. Trotzdem verstand ich den Vergleich zum Exfreund nicht. Sie wusste von vornherein, dass ich kein Interesse an ihr hatte.

Susanne zuckte mit den Schultern. Dann grinste sie mich an. Als sie kurz an mir vorbei sah, versiegte ihr Lächeln schlagartig. Als hätte sie einen Geist gesehen. Verwundert über ihre Reaktion, wollte ich mich auch in die Richtung umdrehen - da spürte ich ihre kühlen Hände auf meinen Wangen, die mich in ihre Richtung zogen.

Sofort drückte sie mir ihre nach Erdbeere schmeckenden Lippen auf. Meine Augen öffneten sich ein Stück. Doch so schnell wie der Kuss kam, so schnell hörte er auch auf.

Ich sah sie nur perplex an, brachte kein Wort raus. Sie grinste, stand auf und ging mit ihrer Tasche in der Luft schwingend. Völlig verwirrt ließ sie mich sitzen.

Was zum Geier war das?, fragte ich mich und ging mir mit dem Handgelenk über die Lippen. Der Lipgloss klebte unangenehm auf der Haut.

Ich verstand absolut nicht, wieso sie mich küsste und was der Anlass dazu war. Erst, als ich mich in die Richtung umdrehte, wo sie den Geist gesehen hatte, sah ich in erstaunte, blaue Augen.

 

Weiter weg stand Julian mit einer Aktentasche und Rucksack. Er starrte mich an, seine Augenbrauen weit nach oben gezogen. Dann zogen seine Lippen die bekannte strenge Linie, wann immer er nicht zufrieden war. Er nickte, als hätte er verstanden, was er gerade gesehen hatte. Mit einem Mal legte er seine Stirn in Falten und ging weg.

Irgendwie hatte mich die Situation noch nicht ganz gepackt. Immer noch sichtlich verwirrt, saß ich auf der Parkbank und starrte auf die Stelle, wo Julian stand.

»Er ...«, flüsterte ich.

Da bahnte sich was an. Aber, was zur Hölle war das denn grade?

 

Tatsache. Er ging nicht an sein Handy. Den ganzen Nachmittag und Abend versuchte ich es. Zu Hause ging auch niemand ran. Vielleicht war wieder irgendein Reit-Turnier von der Schwester. Aber er hatte nichts erwähnt. Zudem er nie dorthin mitgehen würde. Und allgemein weggehen würde er auch nicht, es war Mittwoch. Auch als er nach 23 Uhr nicht an sein Handy ging, machte ich mir Sorgen, schnappte mir mein Fahrrad und fuhr zu ihm.

 

Als ich ankam, stand das Haus im Dunkeln. Nur ein kleines Licht schien im oberen Stockwerk zu leuchten.

Jemand war also zu Hause.

Ich klingelte.

Niemand öffnete.

Ich klingelte erneut. Kurzes Warten.

Ich wollte schon Annettes Nummer wählen, da hörte ich Schritte. Ein Schloss wurde betätigt. Nach einer kurzen Weile, öffnete sich schließlich die Tür. Eine schwarze Gestalt stand hinter hier und öffnete nur so weit wie nötig.

»Julian?«, fragte ich ins Dunkel, da die Gestalt von der Grüße her niemand anders hätte sein können. Da öffnete sich die Tür ein Stückchen mehr.

»Was willst du?«, ertönte es in einer seltsamen Stimmlage.

»Du bist weder an dein Handy noch an das Haustelefon gegangen. Ich hab mir Sorgen gemacht ...«

»Aha.«

Damit wollte er die Tür wieder schließen. Sofort rutschte mein Schuh durch den Schlitz. Es tat ziemlich weh, als er es erst nicht bemerkte und weiter zudrückte.

Da kam mir dieser Geruch entgegen.

»Hast du etwa getrunken, Julian?«, fragte ich aufgeregt. »Wo ist Annette? Oder Jenny? Bist du alleine?«

»Was geht’s dich an?«, raunte er immer noch von drinnen und ließ mich nicht eintreten.

Und das mitten in der Nacht, dachte ich.

»Lass mich rein, Julian!«

»Geh weg!«

»Julian, lass mich rein, oder ich hau dich um!« Ich musste etwas über meinen Kommentar grinsen. Niemals würde ich Julian umrennen können. Geschweige denn zu Fall bringen. Das verbat mir schon meine Statue.

»Sehr witzig -«

Doch der Alkohol spielte heute Abend mal für mich: Ich drückte mich mit meinem gesamten Gewicht gegen die Tür und öffnete sie tatsächlich so weit, dass ich eintreten konnte. Etwas rumpelte laut. Schnell sprang ich ins Haus, schloss die Tür und schaltete das Licht ein.

Julian lag auf dem Boden und hielt sich die Hände vor die Augen, geblendet vom Licht. Man sah sein blasses Gesicht und die rot unterlaufenen Augen.

»Und ich dachte, ich wäre das Problemkind ...«, seufzte ich, zog mir die Schuhe aus und fasste Julian unter die Arme, um ihn aufzurichten. Doch er wehrte sich, sodass er wieder zu Boden fiel.

»Verpiss dich!«, schrie er mir entgegen. Das war wohl der aggressive, betrunkene Julian, von dem uns Micky immer erzählte.

»Julian, du bist betrunken.«

»Und du ritzt dich!«, rief er aufgebracht. Ich seufzte wieder. Ruhig stand ich neben dem sich wendenden Körper, der versuchte aufzustehen. Als er sich aufgerichtet hatte, fasste er sich an den Kopf. Ohne auf den Weg zu achten, den er mit seinen Füßen ging, griff er blind zur Türklinke.

»Geh«, befahl er ein weiteres Mal, doch er bekam die Klinke nicht zu fassen. Er wankte viel zu sehr, brauchte mehrere Anläufe, um überhaupt die grobe Richtung abzuschätzen, in die er griff.

»Wir gehen in dein Zimmer«, schlug ich stattdessen vor und ging schon zur Treppe.

»Wir gehen nirgendwohin!«, lallte er und spuckte etwas, als er mich anschrie.

»Dann gehst du und ich folge dir.«

»Bestimmt nicht! Du... du... scheiß Homo!«, schrie er wieder und fasste sich ein weiteres Mal an die Stirn. Meine Lippen verkrampften sich. Er ist betrunken, Constantin, er ist betrunken, dachte ich. Das ist nicht der Julian, der mir sonst gegenüber stand.

Ich war mir ziemlich sicher, dass die Sache mit Susa der Auslöser war, so seltsam wie dieser Moment zwischen ihm und mir ablief. Was sonst?

Also versuchte ich erneut ein Gespräch anzufangen.

»Julian, bist du sauer wegen Susa?«

»Interessiert mich 'n Scheiß mit Susa! Fick die doch, wie du lustig bist, aber an mich lass ich dich sicher nicht ran«, lallte er abermals, manche Worte kaum verständlich. Er verlor kurz das Gleichgewicht, hielt sich an einer kleinen Kommode fest. Dann winkte er passiv-aggressiv ab und bewegte sich zur Treppe. Vorsichtig tätigte er einen Schritt nach dem anderen. Zwischendurch hustete er, als hätte er drei Mal so viele Zigaretten geraucht wie Flaschen Alkohol getrunken. Er verkrampfte sich am Geländer, um nicht zu fallen. Vorsichtshalber stellte ich mich ans Ende der Treppe, um ihn bei einem Fall rechtzeitig auffangen zu können.

Als er oben angekommen war, schlich er in sein Zimmer und beachtete mich nicht weiter. Langsam folgte ich ihm und betrat sein offen stehendes Zimmer, in dem der Alkoholgeruch seinen Zenit erreichte.

»Wo sind denn die anderen beiden?«, fragte ich immer noch bemüht um ein ruhiges Gemüt. Er stand an seinem Schreibtisch und trank einen weiteren Schluck von der Whiskeyflasche. Dann zuckte er die Schultern.

»Irgend eine Klassenfahrt ...«, säuselte er. Schließlich ließ er sich auf sein ungemachtes Bett fallen. Natürlich mit der Whiskeyflasche.

Ich überlegte, wie ich an diese Flasche käme, ohne seine Fäuste in meinem Gesicht zu spüren, doch das  schien schlichtweg unmöglich.

Im Fernsehen lief ein Porno. Man sah die Frau sich leidenschaftlich auf dem Mann bewegen, während sie zwei weitere Schwänze hingehalten bekam, um die sie sich gewissenhaft kümmerte.

Ich seufzte. Mir blieb nichts anderes als zu seufzen. Was tat er denn da? Wollte er sich ernsthaft extra "hetero" zeigen?

»Deine Schuld ...«, murmelte er und sah gequält zum Fernseher, als fände er es genauso eklig, wie ich. »Schuld ...«, murmelte er erneut. Ich zog meine Jacke aus, legte sie auf den Schreibtischstuhl und beobachtete dabei mehrere Zigarettenstummel im Aschenbecher. Er hatte im Haus geraucht. Und das nicht nur einmal. Annette wird das gar nicht gefallen, dachte ich bei mir.

Nicht weiter darauf achtend, setzte ich mich vorsichtig zu ihm aufs Bett.

»Woran bin ich denn Schuld?«, fragte ich ihn wie ich ein Kind fragen würde, in der Hoffnung eine verständliche Antwort zu bekommen. Er sah mich mit seinen geröteten Augen an, wehleidig und weniger aggressiv als vor ein paar Minuten.

Er richtete sich schlagartig auf und tippte mir mit seinem Zeigefinger schmerzlich auf meine Brust.

»... dass ich beim Sex mit Micky an dich denken muss! Wie es wohl wäre, mit dir zu schlafen, du Homo! Wieso denk ich so 'ne Scheiße? Fuck!«, rief er erneut und trank von seinem Whiskey. Ich versuchte die Flasche zu fassen, doch er zog sie weg und rief ein deutliches »Nein«.

Oh, dachte ich, da habe ich wohl mehr in ihm ausgelöst, als gedacht.

»Deswegen betrinkst du dich?«

»Was soll ich sonst machen? Dann fühl ich mich wenigstens … besser … und so. Kann vergessen …«

»Besser? Du siehst ziemlich fertig aus, Julian.«

»Ach ja?«, schrie er wieder und kam mir bedrohlich nah, »Aber du fühlst dich nach deinem Ritzen nicht besser? Na klar, sonst würdest du es doch nicht machen!«

Emotionslos sah ich in seine Augen. Wie gemein er werden konnte. Wirklich erstaunlich.

Dann nickte ich einfach. Julian schnaubte aus. Wieder ein Schluck von dem rotbraunen Gesöff. Dann stellte er die Flasche freiwillig weg.

Die Frau aus dem Porno stöhnte wieder auf, als der zweite Mann seinen Penis in sie einführte.

»Könntest du das bitte ausmachen, Julian?«, fragte ich zögerlich.

»Wieso? Ich find's geil.«

Ich seufzte, denn ich war mir ziemlich sicher, dass er das nicht geil fand. Ich stand auf und schaltete einfach den Fernseher aus ohne auf die anderen Geräte zu achten. Da protestierte er großspurig.

»Ey! Mach das sofort wieder an! Du scheiß -«

»Ich was?«, fragte ich sofort in einem lauten und gereizten Ton, drehte mich zu ihm um und sah ihn auffordernd an.

Julian verkrampfte nur sein Gesicht. Anscheinend hatte er nicht mit einer solch wütenden Reaktion gerechnet. Langsam ließ er sich wieder auf das Bett sinken und wankte selbst im Sitzen.

»Sag's ruhig. Homo, Arschloch, Idiot oder Hurensohn?«, schlug ich ihm vor und sah ihn erwartungsvoll an. Meine überlegene Situation ließ mich Mut schöpfen.

»Alles ...«, murmelte er, den Augenkontakt jedoch nicht abbrechend.

»Alles, aha.«

Dann schwieg er. Er deutete erneut auf den Fernseher. Weniger auffordernd, mehr bittend. Doch ich schüttelte den Kopf.

Enttäuscht sah er weg, seufzte laut auf und lehnt sich etwas nach hinten.

»Dann blas mir wenigstens einen.«

Was?

Gerade eben war ich doch noch der scheiß Homo und jetzt soll ich ihm einen blasen?

»Julian, ich blase dir bestimmt jetzt keinen.«

»Ach? Aber bei Susas Feier war's okay? Gib's zu, du kannst das nüchtern nämlich gar nicht!«, warf er mir vor. Meine Statue verkrampfte sich.

Julian, du bist furchtbar, wenn du so betrunken bist, dachte ich bei mir. Und entschuldigte mich zehnfach bei  Micky, der ich nämlich nie Glauben schenken wollte, wenn sie mir von diesem Julian berichtete.

Er sah mich immer noch erwartungsvoll an.

»Julian, du kannst das nicht nüchtern. Da liegt der Unterschied.«

Er schüttelte den Kopf.

»Ich bin ja auch nicht schwul, du bist hier der Homo«, grinste er verschmitzt. Kurz darauf wurde das Grinsen zu einem Lachen.

Das war zu viel.

 

Ich holte aus und ließ meine Handfläche gegen seine Wange schnellen. Der Schlag hallte im Zimmer nach. Julian hustete sofort los, räkelte sich auf dem Bett, hielt sich seine Wange.

Das war wohl ein bisschen zu feste, dachte ich noch und bereitete mich auf einen Konterschlag von Julian vor.

Doch der erwartete Wutausbruch seinerseits blieb aus. Ich atmete tief ein und aus.

Hatte ihn das jetzt zur Vernunft gebracht? Oder nur die restlichen Gehirnzellen getötet?

Als er regungslos auf dem Bett liegen blieb und nichts weiter tat, als sich seine Wange zu reiben, schnaubte ich aus.

»Ich hol dir ein Glas Wasser«, quetschte ich durch meine Zähne und verließ das Zimmer. In der Küche nahm ich ein Glas und eine Wasserflasche aus dem Kasten neben der Spüle. Immer noch gereizt und mit heißem Kopf, den Geruch des Alkohols in der Nase, schüttete ich ihm etwas ein und brachte beides zurück in sein Zimmer.

Julian saß mittlerweile an der Bettkante und starrte den Boden an. Emotionslos gab ich ihm das volle Wasserglas. Schweigend nahm er es an. Trank einige Schlucke davon. Setzte ab. Nippte wieder. Ich schüttete ihm etwas nach, stellte die Flasche schließlich neben sein Bett und schnappte mir die Whiskeyflasche, die ich sofort zuschraubte.

»Hast du noch mehr Alkohol hier im Haus?«, fragte ich nun im verbissenen Ton. Er nickte und zeigte auf seine Kommode. Als ich sie öffnete, lächelten mich weitere sieben Flaschen Alkohol an. Darunter Rum, Sherry, Kräuterlikör und vieles mehr. Ich stellte die Whiskeyflasche dazu und schloss die Kommode wieder.

»Diesen Schrank rührst du in nächster Zeit nicht mehr an, klar?«, befahl ich.

Wie ein reumütiges Kind nickte er abermals. Ich bezweifelte zwar stark, dass er die Disziplin aufbringen würde, sich wirklich vom Alkohol fernzuhalten, aber was blieb mir im Moment noch, als ihm zu vertrauen. Julian nippte noch einmal am Wasserglas.

Er sagte nichts, machte nichts. Trank einfach nur sein Wasserglas und versuchte weiterhin nicht im Sitzen zu Wanken.

Während ich ihn so betrachtete, kamen in mir die altbekannten Schuldgefühle hoch. Es tat mir Leid, wie ich mit ihm gesprochen hatte und vor allen Dingen, dass ich ihn geschlagen hatte. Ich hatte die Beherrschung verloren. Dabei war ich doch der Nüchterne von uns beiden und verhielt mich letztendlich genauso neben der Spur.

Doch als ich schon zur Entschuldigung ansetzen wollte, hörte ich ihn aufschluchzen. Tränen fielen auf seine Jeans. Er hielt sich die Hand vor sein Gesicht und schluchzte erneut. Das Wasserglas zitterte in seiner Hand und schwank gefährlich vor sich hin.

Erschrocken über seinen plötzlichen Ausbruch, kam ich sofort auf ihn zu und setzte mich neben ihn; nahm das Wasserglas ab und stellte es auf die Kommode.

»Julian, es tut mir Leid, nicht weinen, bitte«, flehte ich ihn an, strich ihm über den Rücken und hoffte auf ein abebben seines Ausbruchs. Doch er weinte immer schlimmer, hörte gar nicht mehr auf. Als ich meine zweite Hand nach ihm ausstrecken wollte, schlug er sie weg.

»Du bist an allem Schuld! Hätten wir nicht für immer einfach Freunde sein können? Wieso weckst du in mir solche Gedanken?«, rief er, schluchzte zwischendurch, schluckte und vermied jeglichen Augenkontakt mit mir. Ich suchte nach passenden Worten, fand jedoch keine. Egal, was ich jetzt sagen würde ... er würde mich sicherlich eh nicht verstehen.

Julian trank, um den Gefühlen auszuweichen, die er von mir vorgetischt bekam und verfiel ihnen letztendlich stärker, als nüchtern.

Es war, als würden die Gedanken nur so aus ihm heraussprudeln.

Ich strich einfach weiter über seinen Rücken.

»Es ist nicht fair«, schluchzte er erneut. Sein Brustkorb hob und sank immer wieder. Unregelmäßig atmete er in seine Hand, die er weiterhin vor sein Gesicht hielt. »Wieso? Wieso, Constantin?«

Ich sah nur verletzt zur Seite. Keine Ahnung, Julian ... Ich weiß nicht mal, was dich gerade beschäftigt, dachte ich und beobachtete weiter den traurigen Julian.

»Als Susa dich geküsst hat … Eigentlich müsste es mir egal sein ...«, setzte er ein weiteres Mal an. Ich verstand nur schwer, was er von sich gab. »Ich dachte … Wieso? Wieso küsst sie ihn? Und wieso lässt … wieso lässt er es zu? Er liebt doch mich!«

Meine Augen weiteten sich etwas und das Bild um seinen Gefühlsausbruch wurde klarer.

»Ich war … Ich war so sauer! Ich hätte sie am liebsten in Stücke gerissen, wieso machte sie das? In meiner Gegenwart, nur um mich zu ärgern! Du liebst doch mich!«

Er war also eifersüchtig auf Susa? Weil sie mich geküsst hatte?

»Und dann … War ich so enttäuscht von allem, besonders von mir, weil ich immer dachte, dass ich dich nur ... als Freund sehe... Aber ich war auf einmal so sauer... hab mich mit allem geirrt ... und dann traf's mich wie ein Schlag... weil ich dachte, dass du jetzt aufgehört hattest … mich zu lieben, also … Weil du mit ihr … Und weil ich dir ja eine Abfuhr gegeben habe … Ich hab dich warten lassen … so lange … keine Lust mehr auf mich ...«

Einzelne Wortfetzen aus seinem Schluchzen klangen wie Musik in meinen Ohren. Aber die Tatsache, dass er vor mir unaufhörlich weinte, seine Gefühle mir entgegen schluchzte und es kein Ende zu nehmen schien, machte mich so unglücklich wie noch nie.

Nach einer weiteren Weile von unzusammenhängenden Wörtern und Schluchzen, richtete er sich etwas auf und sah mich mit seinen tränenüberlaufenden Augen traurig und enttäuscht an.

»Ich dachte, du verlässt mich ...«, murmelte er. Ihn so zu sehen, ließ meine Augenbrauen zusammenziehen. Gequält sah ich in seine Augen.

»Es tut mir so Leid ...«, flüsterte ich. Vorsichtig strich ich über seine Wange und entfernte eine Träne von ihr. Sanft bewegte ich meinen Daumen auf und ab. »Ich liebe dich. Ich würde dich niemals auf eine solche Weise verlassen.«

Er fing an zu lächeln. Ah, da war es wieder. Dieses Lächeln, das mich vergessen ließ, wie blöd es eigentlich um uns stand.

Die Situation entspannte sich schlagartig, als ich ihn in der Gewissheit wog, ihn nicht zu verlassen.

»Ich bin … furchtbar betrunken ...«, grinste er mir einmal aufhicksend entgegen. »Tut mir so Leid ...«

Ich schüttelte den Kopf. »Ist okay. Nur bitte versprich mir, dass sich das revidiert, ja?«

Er nickte sofort zustimmend. »Falls doch nicht, darfst du ruhig wieder hauen.«

»Ich wollte dich nicht hauen«, lachte ich über seine kindliche Wortwahl.

Er lächelte, als wären nie Tränen geflossen. Trotzdem strich ich weiterhin mit beiden Händen über seine feuchten Wangen und versuchte die restlichen Tränen aus seinen Augen wegzuwischen.

»Stinke ich sehr nach Alkohol?«, fragte er schließlich.

»Wie ein Schnapsladen.«

Er kicherte über meine schnelle und nüchterne Antwort.

»Darf ich dich trotzdem küssen?«

 

Ich hielt den Atem an. Verunsichert lächelte ich weiter. »Du willst mich küssen?«

»Darf ich nicht?«

Ich stockte. »Doch, natürlich, aber sonst -«

 

Ah, da spürte ich sie schon auf mir. Trocken, wie immer. So rau, wie immer. Sie schmeckten nach Whiskey und Tabak. Wie immer.

Julian löste sich innerhalb von Sekunden wieder von mir, sah in meine Augen und suchte mein Einverständnis.

Dann küsste er mich wieder. Und wieder und wieder. War es jetzt also in Ordnung, dass wir intim wurden? Ich knabberte vorsichtig  und herantastend an seiner Unterlippe. Er grinste in den Kuss hinein und berührte meine Lippen mit seiner Zunge.

Sofort versanken wir in einem innigen Kuss voller Zuneigung. Er war betrunken, wie sollte es anders sein. Aber ich bekam, was ich wollte. Ließ mich das wirklich kalt? Dass es nur auf dieser Ebene zu Zuneigungen kam? Machte mir das also nichts aus?

 

Leidenschaftlich spielten unsere Zungen miteinander. Im nächsten Moment spürte ich seine heißen Hände unter meinem Pullover. Sie strichen über meinen Rücken. Sofort bekam ich Gänsehaut. So schön, so angenehm. Hingebungsvoll hätte dieser Moment ewig dauern können. Als er sich über mich beugen wollte, um mich in die Kissen zu drücken, stoppte ich jedoch sofort den Kuss.

»Julian, begeh den Fehler nicht ein zweites Mal«, mahnte ich ihn. Er hielt inne.

Eine leichte Erkenntnis streifte seine Mimik. Dann verstand er wohl, was ich meinte.

Er löste sich von mir und setzte sich aufrecht hin.

»Entschuldige.«

»Du weißt, ich würde dich sonst nicht zurückweisen, aber ...«

Doch er winkte sofort ab und lächelte. »Du hast ja Recht. Kein Sex vor der Ehe und so.«

Ich musste lachen und setzte mich ebenfalls wieder auf. »So ähnlich.«

Er stieß einen lauten Seufzer aus, immer noch sichtlich betrunken und nuschelte vor sich hin. »Trotzdem weiß ich nicht, was ich machen soll ...«

»Tut mir Leid, das kann ich dir auch nicht sagen.«

Er blinzelte mir zu, als würde er mich nicht richtig erkennen. »Und wenn wir es ausprobieren?«

Ich hustete kurz, dann hob ich eine Augenbraue. »Ausprobieren? Ich hör wohl nicht richtig?«, lachte ich mit einem gewissen Unterton.

Er zuckte mit den Schultern und lächelte mich zweideutig an. »Überzeuge mich doch, dass es mit dir besser ist.«

»Julian, du bist jetzt einfach vom Alkohol spitz und rollig. Frag mich das noch mal, wenn du nüchtern bist, dann lass ich mit mir reden«, sagte ich entnervt und strich ihm über sein Gesicht. Er grinste.

»Okay, morgen frag ich dich noch mal.« Mit diesen Worten küsste er meine Handinnenfläche.

»Tust du eh nicht.«

War Micky jetzt auf einmal kein Thema mehr? Ich dachte, er hätte streng was gegen Fremdgehen?

»Wenn doch musst du ja sagen.«

»Ist das jetzt eine Wette?«, lachte ich erneut über seinen Irrsinn auf.

»Wenn du mich erpresst, dich zu ritzen, sobald ich gehen sollte, kann ich auch eine solche Wette mit dir abschließen!«

Sein Kopf schien klarer zu sein, als vorher, aber bei Verstand war er bei langem nicht. Sein Sprechen klappte besser, doch seine Ideen wurden nicht nüchterner.

Ich schüttelte grinsend den Kopf. »Ich kann bei der Wette nicht verlieren, Julian, also bitte mache jetzt nichts, was du bereuen wirst!«

Er griff nach meinem Kopf und küsste mich erneut. Hm, dachte ich, daran könnte ich mich gewöhnen. Regelmäßig von ihm geküsst zu werden, so spontan. Der Kuss wurde schnell intensiver und ließ mich sehnsüchtig seufzen. Doch Julian löste sich eher von mir, als ich dachte, und flüsterte gegen meine Lippen

»Ich nenne das jetzt mal Selbsterziehung. Ich bin mir sicher, dass wir Spaß haben werden.«

Selbsterziehung? Dass du deinen Gefühlen nachgeben wirst?

Sehnsuchtsvoll leckte ich ihm über die Lippen. Er schnappte sie sich mit den Zähnen und biss vorsichtig auf sie. Ich lachte sofort, als er mich auf das Bett drückte und weiterhin mit Küssen übersäte.

Ja, der Überzeugung, dass wir ganz viel Spaß miteinander hätte, war ich auch. Am liebsten hätte ich sofort mit ihm geschlafen … Am liebsten auf der Stelle seinen Schwanz in mich geführt. Am liebsten gleich …

 

Doch ich behielt Julian auf Distanz. Wir küssten uns immer wieder leidenschaftlich auf die Lippen, teilweise spürte ich sogar seine pralle Erregung durch die Hose. Alles in mir schrie nach Vereinigung - mein Verstand behielt die Oberhand.

Wir kuschelten schließlich eng ineinander geschlungen für mehrere Minuten.

Irgendwann schlief er ein; sein Streicheln auf meinem Rücken hörte auf. Vorsichtig richtete ich mich auf und sah in sein schlafendes Gesicht.

»Ich soll also dann hier schlafen, ja?«, fragte ich in den stillen Raum und sah auf die Uhr. Halb 2. Schnell schrieb ich meiner Mutter, dass ich morgen nicht zur Uni gehen würde, da es Julian nicht gut ginge und ich bei ihm blieb. Zur Hälfte gelogen.

Ich zog Julian seinen dicken Pulli aus, was ihn weniger störte, da er einfach weiterschlief, und warf das Stück Stoff in eine Ecke, gefolgt von meinem Pulli. Vorsichtig kuschelte ich mich in seine Arme und küsste ihn ein letztes Mal auf die Lippen, nachdem ich ein Gute Nacht flüsterte.

Er hatte mich geküsst.

Er hatte mich geküsst.

Er …


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wo die Adult Kapitel so kurz waren - hier jetzt mal zwei längere :D

... Es ist ein Hin und Her mit den beiden, oder? Aber wer kennt das nicht von irgendwoher... Und wenn's nur mit einer Freundin oder Freund war. Irgendwie hat man ja doch immer Ärger am stecken, will aber auch nicht abschließen ;-) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Veri
2015-08-15T21:59:56+00:00 15.08.2015 23:59
Ich bin so gespannt was noch kommt ! :3


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