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Pulvis et Umbra

von

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Manchmal fragte Vector sich wirklich, wieso er überhaupt so viel Zeit mit Alit und Gilag verbrachte. Gelangweilt saß er auf der Mauer, die das Internat umgab, ließ die Beine baumeln, beobachtete, wie Alit irgendetwas von seinem neuen Trainingsplan erzählte – und Gilag klebte natürlich förmlich an seinen Lippen. Wie lästig.

Mit einem genervten Stöhnen – das übertriebene Gähnen zuvor war bereits überhört worden - ließ Vector sich zur Seite fallen, verschränkte fast schon trotzig die Arme. Sein Blick wanderte über den Schulhof. Die meisten waren wohl noch beim Mittagessen – oder wo auch immer. Interessierte ihn eigentlich auch nicht weiter. Er würde sowieso vor Langeweile sterben. Bei dem Gedanken überschlug er beide Hände vor seinem Gesicht.
 

„Unser letztes Jahr hat angefangen und du siehst trotzdem scheiße gelaunt aus.“ Alit hatte bemerkt, wie wenig ihn sein Geschwafel interessierte. Er fühlte sich ja so geehrt.

Nicht, dass er sich nicht über die Tatsache freute, dass er nur noch das zwölfte Jahr auf dieser Vollidiotenschule verbringen musste. Andererseits hätten ein paar Tage mehr Ferien auch nicht geschadet. Oder interessantere Gesellschaft.

„Will dich mal sehen, wenn ich zwei Stunden nur über’s Fußballteam rede.“

„Wir sind erst…“, Gilag warf einen spöttisch langen Blick auf das Display seines Handys, „20 Minuten hier.“ Wow, der Muskelprotz konnte zählen.

„Gut, anderes Thema. Hast du schon einen deiner berühmten Pläne für das Jahr?“, erkundigte Alit sich, ein Grinsen auf den Lippen, welches nur größer wurde, als Vector sich gleich aufrichtete und er schelmisch auf sie beide hinab blickte. Das war doch viel mehr nach seinem Geschmack.

Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, seit die Kantine wegen der Schädlinge – mit denen er natürlich nichts zu tun gehabt hatte - hatte geschlossen werden müssen. Ein zufriedenes Glucksen entkam ihm, als er daran dachte, wie die Mädchen panisch auf die Tische gesprungen waren und gekreischt hatten.
 

„Noch nicht. Ich-“

„Meinst du nicht wir?“, hakte Gilag beinahe ein wenig beleidigt nach. Stimmt, deshalb verbrachte er so viel Zeit mit den beiden. Sie machten bei jedem Scheiß mit, statt wie Durbe Spielverderber zu spielen oder schlimmer noch ihn wie Shark es tat zu verpfeifen. Hatte er beinahe vergessen.

„Jaja, klar. Wir brauchen etwas Großes. Unser Vermächtnis!“, verkündete Vector, breitete feierlich die Arme aus, ehe er sich von der Mauer fallen ließ und sich stattdessen gegen eben jene lehnte. Das Internat sollte sich noch Jahre an ihn erinnern.
 

„Ich weiß was“, meinte Alit nach einem Moment, ehe er einen Arm um Gilag legte, diesen näher zog, sodass sie in einem engen Kreis standen. Gespielt verschwörerisch sah Alit sich um, ehe er leiser fortfuhr: „Wir beschwören einen Geist, oder sowas in der Art, der dann die Schule heimsucht.“

Von Gilag ging ein Schaudern aus, während Vector nur eine Augenbraue hob. Seit wann glaubte Alit an so einen Schwachsinn?

„Es gibt keine Geister.“

„Wenn du nicht dran glaubst, kannst du’s uns ja beweisen. Oder traust du dich nicht?“ Wenn das nicht nach einer ihrer bescheuerten Mutproben klang – genau das, was er bei seiner Langeweile brauchte!

„Was krieg ich, wenn ich’s mach?“, wollte Vector wissen, lehnte sich ein wenig näher in den Kreis.

„Wir bezahlen einen Monat deine Kippen.“ Bei dem ‚wir‘ hatte Gilag bereits den Mund geöffnet, um zu widersprechen, blieb jedoch still, als Alit ihm mit dem Ellenbogen in die Seite stieß.

Selbst wenn Vector normalerweise nicht viel rauchte, würde das teuer für die beiden werden. Dafür würde er mit Freuden sorgen.

„Wenn du kneifst gibst du beim nächsten Mal im BARian alle Drinks aus. Auch für Shark und die anderen“, forderte Alit dann seinerseits, musste sich sichtlich ein Lachen verkneifen, als Vector das Gesicht verzog, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Klar, als würde er diesem Großmaul sein billiges Bier ausgeben. Wie gut, dass er nicht kneifen würde. Tat er nie.

„Abgemacht“, flüsterte er, im Gegensatz zu seiner vorherigen Mimik deutlich begeistert, schlug mit Alit ein, als jener ihm seine Hand hinhielt. Wie er einfach verdientes Geld doch liebte.
 

„Weiß einer von euch beiden, wie man so einen Geist beschwört?“, wandte Gilag nach einem Moment der Stille ein, schüttelte den Kopf, als er von beiden nur ein Schulterzucken bekam.

„Dann mach dich mal schlau“, triezte Alit, als er seine Hand zurück zog, Vector viel zu breit nachgrinste, als dieser sich auf den Weg zum Gebäude machte. Er wusste schon genau, wo er anfangen würde nachzuforschen.
 

„Du willst… Was?“

„Einen Geist oder so was beschwören, der tut, was ich ihm sage.“ Durbe sah trotz Vectors völlig überzeugtem Tonfall nicht begeistert von der Idee aus. Musste er auch nicht, solange er ihm half, denn selbst würde er sicher nicht stundenlang in der Bibliothek nach einer Antwort suchen. Sollte Durbe doch mal seinen übergroßen Kopf benutzen.

„Du meinst eher einen Dämon?“, versuchte Durbe durch die ganze Sache durchzusteigen, lehnte sich an die Kante einer der Tische in der leeren Sitzecke der Bibliothek. Er sah Vector immer noch an, als hätte dieser den Verstand verloren. Andererseits tat er das auch sonst des Öfteren.

„Von mir aus auch das.“

Als der andere daraufhin nur seine Brille richtete, jedoch nichts sagte, zog Vector die Augenbrauen zusammen, ließ sich im Schneidersitz auf dem Tisch nieder, ehe er anfügte: „Will Alit und Gilag beweisen, dass das alles Schwachsinn ist.“
 

Damit schien Durbe sich schon eher zufrieden zu geben, denn er ließ Vector wortlos zurück, kam erst nach mehreren Minuten zurück, mehrere Bücher in den Armen. Na bitte, war das nun so schwer?

Er sah mäßig interessiert zu, wie Durbe die Bücher ablegte und sich einen Stuhl ranzog, sofort konzentriert in dem größten davon anfing zu blättern. ‚Goetia‘ und ‚Lemegeton Clavicula Salomonis Regis‘ konnte er auf dem Buchrücken lesen – was auch immer das heißen mochte.

Ungeduldig trommelte er mit den Fingern auf die Tischplatte, da zeigte der andere auch schon auf eine Seite mit verschiedenen Symbolen.

„Hier ist eine Anleitung. Du musst wissen, welchen Dämon du beschwören willst. Alle erfüllen unterschiedliche Wünsche“, erklärte Durbe beiläufig, ohne von der Seite aufzublicken. So viele Möglichkeiten, wie sollte er sich da entscheiden?
 

„Ich will Herrscher über die Welt sein.“

Nun hob Durbe doch den Blick, um Vector anzusehen, als wäre er ein Kind, das eine dumme Frage gestellt hatte. Auch das kannte er schon, ließ sich davon das Grinsen nicht aus dem Gesicht wischen, erwiderte den Blick herausfordernd.

„Geht’s auch etwas weniger… Größenwahnsinnig? Wie wäre es mit…“, Durbe blätterte einige Seiten weit, überflog einige Zeilen, „Unsichtbarkeit?“

„Und euch allen mein umwerfendes Aussehen vorenthalten?“, erwiderte Vector gespielt entrüstet, schüttelte sofort den Kopf. Wozu sollte er unsichtbar sein? Er hatte jahrelange Erfahrung damit sich rauszuschleichen.

Scheinbar fiel auch Durbe genau das wieder ein, denn er seufzte nur, las weiter in dem Buch.

„Der hier kommt in der Form eines Drachen und…“, fing er nach einigen Minuten wieder an, doch Vector unterbrach ihn.

„Ich könnte Mizael seinen größten Wunsch erfüllen und ihn mit einem Drachen rummachen lassen.“ Ein genervter Blick von Durbe folgte.

„Hast du nicht irgendwen, der mich reich machen kann?“ Durbe schlug einige Seiten wieder zurück, ehe er das Buch umdrehte und es näher zu Vector schob, den Zeigefinger auf dem Bild eines muskulösen Mannes mit prächtigen Flügeln und dem Kopf eines Bullen. Wie sympathisch. Erinnerte ihn ein wenig an Gilag.
 

Er beugte sich ein Stück hinab, las laut vor: „Haagenti. Verschafft jenem, der ihn ruft, große Weisheit und lehrt jedes Wissen. … Der wär eher was für dich.“

„Lies weiter“, wies Durbe ihn an, ohne sich beirren zu lassen, woraufhin Vector fortfuhr: „Verwandelt jedes Metall zu Gold, Wasser zu Wein und Wein in Wasser.“ Damit konnte er arbeiten – nicht, dass das Ganze funktionieren würde. Doch für den unwahrscheinlichen Fall würde er sich immerhin eine goldene Nase dabei verdienen.

„Den nehm ich.“ Durbe nickte, offensichtlich froh etwas gefunden zu haben.

„Am besten machst du es in der Nacht von Montag auf Dienstag oder Freitag auf Samstag. Du brauchst das Siegel und…“ Wieder konnte er nicht aussprechen, denn Vector winkte ungeduldig ab und sprang vom Tisch. Er hatte besseres zu tun, als sich diesen Quatsch zu merken.

„Schreib’s mir auf und bring’s mir nachher in mein Zimmer“, wies er den anderen nur an, als er schon auf dem Weg zur Tür war, warf Durbe einen Luftkuss zu, als jener ansetzte sich zu beschweren.

Montag auf Dienstag hatte er gesagt? Dann würde er gleich morgen sein Glück versuchen und diese Wette gewinnen.
 

Es sollte im September noch nicht so kalt sein. Vector zog seine Lederjacke enger um sich, als er sich zwischen den Gitterstäben des Friedhoftors durchquetschte. Es war erst kurz nach elf, doch Durbe hatte ihm versichert, dass es nicht genau Mitternacht sein musste. Ein Rabe krächzte und Vector schauderte. Hoffentlich war Alits dummes Gesicht es wert, sich hier den Arsch abzufrieren – ach, natürlich war es das.
 

Als der Kiesweg sich gabelte blieb er stehen, leuchtete mit dem Handy die Umgebung ab. Sollte er sich einfach auf eines der Gräber setzen? Die Idee verwarf Vector schnell wieder, als ein eiskalter Windhauch ihm erneut einen Schauer über den Rücken jagte.

Stattdessen folgte er dem Weg Richtung der alten Kapelle. Diese war zwar nicht mehr in Benutzung, aber besser als nichts. War vermutlich auch besser so, dann würde niemand irgendwelche zurückgelassenen Kerzen oder sowas finden, denn den ganzen Kram wieder einpacken und mitnehmen wollte er sicher nicht. Er wollte so schnell wie möglich wieder in’s Wohnheim – nicht, dass er Angst hatte. Der Friedhof war zwar nicht das gemütlichste, was er sich vorstellen konnte, aber ein paar Raben auf knorrigen Bäumen und bemooste, alte Grabsteine machten ihm sicher keine Angst.

Ihr Direktor im Übrigen auch nicht, aber trotzdem konnte er auf einen Besuch bei eben diesem gleich am zweiten Tag des neuen Jahres wirklich verzichten. Genau wie auf das Nachsitzen, was ihm blühte, wenn sein kleiner Abendspaziergang rauskam. Es war aber auch wirklich nicht seine Schuld, dass die Fenster des Wohnheims sich völlig öffnen ließen und nicht vergittert waren. Zumindest im Erdgeschoss – Glück musste man haben.
 

Vector steckte sein Handy in die Hosentasche zurück, als er vor der fauligen Holztür der bereits leicht baufälligen Kapelle stehen blieb, rüttelte einige Male an ihr – ehe eines der Scharniere ächzend nachgab, sodass er beinahe von dem schweren Stück Holz erschlagen wurde. Ein leises ‚Fuck‘ verließ seine Lippen, ehe er die Tür aufstieß und das Gemäuer betrat.

Durch den Türspalt und die kaputten Fenster fiel für’s erste genug Licht von den am Weg stehenden Laternen, sodass er seinen Rucksack einfach achtlos fallen ließ, ein Stück Kreide, welches er aus einem der Unterrichtsräume hatte mitgehen lassen, daraus hervorholte. Er zeichnete einen Kreis auf den mit Laub und Moos bedeckten Steinboden – oder eher ein Oval. Wenn es nicht genau Mitternacht für diesen Spuk sein musste, musste es auch kein perfekter Kreis sein, oder?

Einen Moment betrachtete er sein Werk, bevor er ein Pentagramm in das Innere des Kreis-Ovals malte. So weit hatte er sich das Spielchen noch gemerkt. Er kramte in seiner Hosentasche nach den Anweisungen, die Durbe ihm aufgeschrieben hatte, hatte jedoch Schwierigkeiten im Dämmerlicht zu lesen. Da fiel ihm ein… Ach ja, Kerzen.

Er stellte je eine Kerze auf jede Spitze des Pentagramms, ehe er sie entzündete. Gut, dass er auf dem Hinweg geraucht hatte, sonst hätte er sicher das Feuerzeug vergessen. Hätte Durbe ihm aber auch wirklich aufschreiben können.

Nun überflog er den zerknitterten Zettel, ehe er ein Dreieck außerhalb des Kreises aufmalte, dann den Stummel Kreide achtlos fallen ließ, sich die staubige Hand an der Hose abwischte. Jetzt kam der schwierige Part. Er holte eine kleine Metallschale aus seinem Rucksack, platzierte sie in der Mitte des Dreiecks, blickte sich dabei um. Waren in solchen Gemäuern nicht immer Ratten oder Fledermäuse?

Auch nach näherem Umsehen entdeckte er nichts. Was für ein Glück. Natürlich könnte er jetzt sein Glück versuchen und mit einem Küchenmesser auf eine Krähe losgehen, doch kurzerhand schob er seinen linken Ärmel hoch, setzte die Klinge an sein Handgelenk an. Er durfte nicht zu großflächig schneiden, immerhin musste ein Pflaster auf die Wunde passen.

Er warf nochmal den Blick umher, ob sich nicht doch irgendwo eine Ratte versteckt hatte – ehe er mit verzogenem Gesicht in einer schnellen Bewegung die Haut aufschnitt, die Hand anschließend zischend an den Behälter hielt. Eher provisorisch wischte er mit dem Handrücken über die Wunde. Nicht, dass das viel brachte, sodass er schließlich einfach den Ärmel wieder runter zog. Wehe der Dämon kam jetzt nicht, wenn Vector ihm schon sein eigenes Blut gab und seine Jacke einsaute.
 

Er legte das Messer beiseite, um stattdessen das Räucherwerk, was er von Rio bekommen hatte, aus der Tasche zu nehmen. Allein dafür, dass er gerade Rio um einen Gefallen hatte bitten – wobei das Wort ‚bitte‘ selbst nie gefallen war – müssen, hatte er schon eine verdammte Schachtel Kippen verdient.

Er streute etwas von den Krümeln – Styrax, laut der Notizen – in eine der Kerzen, rümpfte die Nase bei dem penetrant süßlichen und gleichzeitig verbrannten Geruch, der sich daraufhin ausbreitete. Wie konnte Rio ständig ihr Zimmer so verpesten, ohne sofort Kopfschmerzen zu bekommen?

Er wiederholte den Vorgang bei den anderen Kerzen. Das sollte doch reichen, um den Kreis zu weihen, oder? Weihwasser hatte er nicht auftreiben können. Rio war aber auch wirklich schlecht vorbereitet auf so einen Fall. Nicht, dass er ihr viel von dem Vorhaben erzählt hatte. Sie hatte auch nicht gewirkt, als würde sie es wissen wollen.
 

Schließlich holte er noch ein Stück Papier und einen Stift aus der Tasche, bevor er sich in die Mitte des Pentagramms setzte, die Beine überschlug. Bevor er jedoch weitermachte, nahm er sein Handy wieder zur Hand, schaltete den Videoaufnahmemodus an, und lehnte es an den Rucksack außerhalb des Kreises, sodass man zumindest ein wenig von dem ganzen Spiel sehen sollte. Nicht, dass Alit und Gilag ihm später vorwarfen, er hätte geschummelt.

Vector machte sich daran, das Siegel, welches Durbe ihm fein säuberlich vorgezeichnet hatte, abzuzeichnen – auch dieses Mal war es eher ein Oval. Hätte er das gewusst hätte er sich irgendwo einen Zirkel besorgt. Genervt seufzend warf er den Bleistift über die Schulter, nahm den Papierfetzen in die linke Hand, griff mit der anderen wieder nach dem Messer.

„Macht euch drauf gefasst zu verlieren“, grinste er in Richtung der Handykamera, auch wenn er bezweifelte, dass man sein Gesicht besonders gut erkennen konnte bei den schlechten Lichtverhältnissen.
 

„Mit dem Dolch das Siegel nachzeichnen…“, las er laut die Anweisungen vor, welche er vor sich auf seine Oberschenkel gelegt hatte.

„Haha, Durbe. Wo sollte ich ‘nen Dolch auftreiben?“, beschwerte er sich dieses Mal ohne sich zum Handy zu drehen, wedelte dabei mit dem Küchenmesser herum. Welches übrigens schon schwer genug zu besorgen gewesen war.

Nach einem missbilligenden Schnaufen las er weiter, während er mit der Messerspitze die Bleistiftlinien nachzog.

„Beschwörung laut vorlesen, dabei das Siegel mit dem Do… Billigen Küchenmesser berühren. Verabschieden des Dämons nach erfolgreicher Beschwörung niemals vergessen.“ Ach, man achtete jetzt also schon in der Hölle auf Höflichkeit? Das waren ja gute Aussichten.
 

Einen Moment schwieg Vector, ehe er sich übertrieben räusperte, als er mit lauter, gestellt tiefer Stimme anfing: „Ich beschwöre dich, Haagenti, durch die Geister der Sieben Winde. Durch ihre Tugenden und Kräfte gebiete ich dir nicht meinem Blick zu weichen, noch deine Gestalt zu ändern, sondern gehorsam zu sein ob meiner Worte.“

Er zog eines seiner Beine an und kreiste kurz die Schultern. Das alles war einfach lächerlich.

„Ich beschwöre und binde dich, Haagenti, durch die genannten Worte und ihrer Tugenden und Macht, dass du mir gehorsam seist und dich zeigst, zu allen Tagen, Stunden und Minuten kommen mögest, dich meinen Wünschen zu beugen.“

Ein Schauer lief ihm über den Rücken, wobei er den Blick über die Schulter wandte, fühlte er sich doch plötzlich beobachtet. Nichts rührte sich. Okay, er wurde paranoid. Weiter im Text.

„Ich beschwöre dich durch den Schmerz der ewigen Verdammnis.“

Moment, seiner Verdammnis oder der des Dämons? Er wollte der Kamera einen bösen Blick zuwerfen, doch sprach stattdessen schnell weiter, inzwischen leiser und hektischer als noch zu

Anfang.

„Fiat, fiat, fiat. Amen.“

Er hatte keine Ahnung, was ‚fiat‘ bedeutete, doch in dem Moment, als sich im Kreidedreieck vor ihm langsam schwarzer Nebel sammelte, immer näher über den Boden zu ihm kroch, hätte ihm auch nichts egaler sein können als verpasste Lateinstunden.

„Haagenti?“, erkundigte er sich, wobei ihm beinahe die Stimme versagte, betrachtete gleichermaßen entsetzt und fasziniert, wie die Nebelschwaden sich langsam vor ihm aufbauten, wie im Wind hin und her tanzten.
 

„Pereat mundus!“, hallte es tief und verzerrt von den Wänden wieder, sodass Vector unbewusst die Arme um sich schlang, als es ihm kalt den Rücken runterlief, nicht einmal bemerkte, dass er Messer und Siegel fallen gelassen hatte. Hätte ihm Durbe nicht ein Wörterbuch mitgeben können, wenn dieser Dämon scheinbar nur Latein sprach?

Der Nebel kam näher, streckte sich nach Vector aus, doch hielt am Kreis angekommen plötzlich inne, schien es nicht zu wagen, die Linie auch nur zu berühren.

„So mächtig kannst du ja nicht sein, wenn du dich von einem Kreidestrich auf dem Boden abhalten lässt.“ Sofort, als er die Worte mit zurückkehrendem Selbstbewusstsein ausgesprochen hatte, bereute er sie, denn der Schleier schoss mit einem Mal hoch bis zur Decke, umkreiste ihn völlig, raubte ihm die Sicht.

Vor Schreck trat er eine der Kerzen um, als er aufsprang, nutzte die Gelegenheit, als sich dadurch ein Loch in der Nebelwand bildete, zur Flucht. Ohne einen Blick hinter sich schnappte er sich Handy und Rucksack und stürmte zur Tür hinaus, knallte diese so gut es ging hinter sich zu.

Das Blut rauschte unangenehm in seinen Ohren und erst jetzt fiel ihm auf, dass er den Atem angehalten hatte. Gierig schnappte er nach Luft, lehnte sich mit dem Rücken an das kalte Holz, das Handy und Griff der Tasche fest umklammert in der Hand, verharrte so einige Augenblicke.
 

„Fuck…“, flüsterte er schließlich, wobei sich langsam ein leichtes Schmunzeln auf seinen Zügen bildete, immer mehr, bevor er schließlich anfing zu lachen. Laut und ungehemmt lachte er, schlug sich die freie Hand vor’s Gesicht. Er hatte ewig nicht mehr so etwas Aufregendes erlebt.

Das Adrenalin schoss durch seine Adern, machte seine Hände zittrig. Er ließ den Kopf zurückfallen, als das Lachen immer mehr verebbte, ein Grinsen zurück ließ.

Langsam drehte er den Kopf so weit, dass er durch den Spalt der kaputten Tür blicken konnte. Die Kerzen waren erloschen, es war beinahe völlig dunkel in dem Gebäude. Sollte ihm recht sein. Er stieß sich von dem morschen Holz ab, welches laut knarrte, schwang den Rucksack über eine seiner Schultern, ließ die Kapelle und den Friedhof hinter sich. Wenn er das Alit und Gilag zeigte…
 

Inzwischen war der Adrenalinschub verraucht – wohl spätestens, als Vector auf dem Rückweg bereits festgestellt hatte, dass auf dem Video nichts zu sehen war. Es war ein wenig, wie das Bild eines kaputten, alten Fernsehers. Vom völlig verzerrten, hohen Störgeräusch mal ganz abgesehen. Das würde Alit ihm niemals abkaufen.
 

Wütend stopfte er sein Handy zurück in seine Tasche, als er das Fenster zu seinem Zimmer, welches er nur angelehnt hatte, aufstieß und sich hineinschwang. Mit einem genervten Stöhnen schlug er das Fenster zu und schloss es – bevor er heftig zusammen zuckte, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Sofort fuhr er herum, schlug die Hand dabei weg, starrte mit aufgerissenen Augen einen wohl selbst etwas erschreckten Durbe an. Das war nun wirklich peinlich, er war normalerweise nie derart schreckhaft. Er war es, der andere erschreckte.

Einen Moment blickten sie sich stumm an, ehe Vector sein Grinsen wiederfand, auch wenn es wohl etwas bemüht wirkte.

„Wie süß, du hast dir Sorgen um mich gemacht“, triezte er mit verstellt hoher Stimme, fragte sich nur am Rande, wieso er vergessen hatte sein Zimmer abzuschließen.

„Und?“ Durbe ging gar nicht auf den Seitenhieb ein, schien eher ein wenig misstrauisch zu sein, dass Vector so blass war. Jener antwortete nicht sofort, ehe er gelangweilt abwinkte. Durbe würde ihm erst recht nicht glauben – und zugeben, dass er wie ein Angsthase abgehauen war, würde er auch nicht.
 

„Ich hab’s doch gesagt. Alles Schwachsinn“, verkündete er, als er den Rucksack in eine Ecke des kleinen Raumes warf, sich anschließend auf sein Bett fallen ließ, die Schuhe von seinen Füßen trat. Immerhin konnte er so allen erzählen, dass er recht gehabt hatte. Hatte er sicher auch, immerhin war dieses lächerliche bisschen Nebel ja mit Sicherheit kein mächtiger Dämon gewesen. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf, den Blick Richtung Decke gerichtet.

„Hast du dich trotzdem verabschiedet?“, erkundigte Durbe sich, folgte ihm, blieb jedoch vor dem Bett stehen, schien zumindest beruhigt zu sein, dass Vector wieder ganz der Alte war – wenn auch nur äußerlich. Innerlich hatte er sich bei der Frage auf die Zunge gebissen. Ups.

„Jaja“, antwortete er jedoch nur nebensächlich, drehte den Kopf dann zur Seite, um den nicht wirklich gebetenen Gast anzusehen.

„Würdest du?“

„Natürlich. Gute Nacht.“ Mit diesen Worten wandte Durbe sich zum Gehen, hielt inne, als Vector ihn mit einem „Durbe?“ zurückhielt, als er gerade die Hand auf die Türklinke legte.

„Ja?“

„Was heißt pereat mundus?“

Überrascht wandte Durbe den Blick wieder zu Vector, doch jener starrte schon wieder die Decke an.

„Gehe die Welt zugrunde.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Sharksliebling
2015-11-13T14:20:30+00:00 13.11.2015 15:20
Hey hab die Geschichte erst jetzt entdeckt :)
Erstenmal sehr spannend bin jetzt schon süchtig (passiert nicht bei jeder Geschichte) XD sehr großes lob an dich :) Dein schreibstil ist klasse ohne Fehler finde ich klasse Daumen hoch :) werde heute noch weiter lesen ^^
LG
Sharksliebling
Von:  Isamu_17
2015-11-05T11:17:53+00:00 05.11.2015 12:17
Der heißt AlitO und nicht Alit
Von:  va
2015-09-11T20:36:07+00:00 11.09.2015 22:36
Boa geil *-*
Von:  Leto
2015-08-01T18:21:50+00:00 01.08.2015 20:21
Ich liiiiiiiebe die Story, aber das weißt du ja :P
Ja, ich bin an allem Schuld, aber die Schuld nehm ich gerne auf mich <3
Ich war ehrlich gesagt überrascht, als du gesagt hast, dass du mehrere Kapitel schreibst. Anfangs hab ich gedacht, es soll nur ein One Shot werden, weil du ja mal gesagt hast, du würdest nur so was schreiben, aber ich bin sehr froh, dass es nicht so ist. Mehr zu lesen! Yay!
Und ich weiß ja wie gut die Story noch wird <3


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