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Corrupt Me!

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Why Did You Betray Me?

Wie lange Christoph geschlafen hatte, konnte er selbst nicht sagen. Als er dann aber allmählich wieder aufwachte, fühlte er sich erschöpft und ziemlich gerädert. Langsam setzte er sich auf, spürte dann aber doch einen leichten Schmerz in seinem Hintern und biss sich auf die Unterlippe. Ach ja stimmt, dachte er sich und erhob sich langsam von seinem Bett. Crow war ja gestern hier gewesen und wir haben eine ziemlich wilde Nacht gehabt.

Ob er wieder nach Hause gegangen war? Vermutlich, immerhin hatte er sicherlich besseres zu tun, als hier zu schlafen. Also ging Christoph direkt ins Bad, um zu duschen. Eine heiße Dusche war genau das Richtige, um seine müden Lebensgeister zu wecken. Und zugleich gab es ihm auch das angenehme Gefühl, als würde sein Körper zugleich von den schmutzigen Dingen sauber gewaschen werden, die er mit Crow getan hatte. Nicht, dass er sie bereute oder dass sie ihm im Nachhinein unangenehm waren. Aber ohne so eine heiße Dusche hatte er irgendwie das Gefühl, als wäre er immer noch in dieser Rolle, die Crow ihm zugeteilt und die er bereitwillig angenommen hatte. Dieses so alltägliche Prozedere war für ihn sozusagen ein Weg, um wieder in sein normales Leben als Christoph Strauss zurückzukehren. Und während er unter dem Strahl des warmen Wassers die restlichen Spuren der vergangenen Nacht abwusch, musste er wieder an die Worte von Crow denken, welche dieser ihm letzte Nacht zugeflüstert hatte: „Du bist wirklich verdammt heiß.“ Es war so gut wie nie vorgekommen, dass Crow ihm so ein Kompliment machte. Und allein wenn er an diese Worte dachte, fühlte er sich glücklich. Auf eine gewissen Art und Weise war es komisch, so etwas von dem sonst so distanzierten Crow zu hören, der ja eine Schwäche zeigte oder etwas von sich preisgab. Und obwohl diese Worte vielleicht auch gar nichts zu bedeuten hatten, fühlte sich Christoph dennoch sehr glücklich, sie zu hören. Und allein die Tatsache, dass sie es dieses Mal nicht in Crows Haus, sondern hier gemacht hatten, erweckte irgendwie bei dem 24-jährigen das Gefühl, als könnte da vielleicht mehr draus werden. Aber was war denn „mehr“? Im Grunde hatte er doch eigentlich genau das, was er so gerne haben wollte. Er hatte endlich auch etwas anderes gefunden, als nur seine Zahlen und diese gelegentlichen Abenteuer mit Crow waren verdammt heiß und für ihn auch unverzichtbar geworden. Und doch… obwohl er endlich den gewünschten Chaos-Faktor in seinem Leben gefunden hatte und nun etwas existierte, das ihn beherrschte und nicht umgekehrt, fühlte er dennoch, dass es nicht genug war. Das alles bedeutete ihm nicht sonderlich viel, wenn er Crow nicht haben konnte. Ja, inzwischen hatte er so langsam das Gefühl, dass es nicht der Sex mit ihm war, den er unbedingt gewollt hatte. Es war Crow selbst. Und wenn er die verschiedenen Faktoren seiner emotionalen und körperlichen Zustände abwog, ließ sich eine Wahrscheinlichkeit von exakt 81,099% errechnen, dass er sich auch emotional zu ihm hingezogen fühlte und nicht bloß allein körperlich. Und was hieß das im Klartext? Dass er dabei war, Gefühle für Crow zu entwickeln? Nun, Christoph hatte auf diesem Gebiet nicht sonderlich viel Erfahrung. Zwar hatte er schon mal die eine oder andere Beziehung gehabt, aber da er so sehr seine Zahlen und Formeln im Kopf hatte, war es ihm schwer gefallen, auch seine Gefühle richtig wahrzunehmen. Vielleicht hatte er auch bislang nie wirklich das empfunden, was man schlichtweg als „Liebe“ bezeichnete. Familiäre Liebe kannte er selbstverständlich. Er liebte seine Adoptiveltern und konnte sie auch ganz klar erkennen. Aber diese andere Liebe zu einem anderen Menschen… da fehlte ihm die Erfahrung.

Als er frisch geduscht in sein Schlafzimmer zurück ging und sich anzog, suchte er die Küche auf, um sich einen Kaffee zu kochen. Dort wartete die wohl größte Überraschung auf ihn: Crow saß am Tisch und trank eine Tasse Kaffee, während er in dem alten Buch las, welches der 24-jährige seit dem Waisenhaus hatte. Perplex blieb der Akademiker stehen und wusste das erst nicht ganz einzuordnen, weshalb er erst mal wie angewurzelt stehen blieb, bis Crow sich ihm dann schließlich zuwandte und ihm zum Gruß zuwinkte.

„Moin, Chris. Ich dachte schon, du wärst ins Koma gefallen…“

„Wie spät ist es denn?“

„Fast zwölf.“

Fast zwölf? Christoph konnte nicht glauben, dass er tatsächlich so lange geschlafen hatte. Aber selbst jetzt fühlte er sich noch ziemlich müde und er war froh, dass es Sonntag war. Heute brauchte er sich also nicht in Arbeit zu stürzen.

„Na was soll’s. Ist eh Sonntag… Und hast du heute noch nichts vor?“

„Ich bin nachher zu einem Termin, aber bevor ich abzische, brauchte ich erst mal Koffein.“

Crow wirkte auch etwas übernächtigt und ihn so entspannt am Tisch sitzen zu sehen, war irgendwie ein merkwürdiger Anblick. Er wirkte viel „menschlicher“ als sonst. Zwar ging immer noch ein gewisses Charisma von ihm aus, aber er wirkte nicht mehr ganz so unnahbar. Und das faszinierte Christoph fast noch mehr als seine unnahbare Ausstrahlung. Crow wirkte auf ihn wie ein Buch mit sieben Siegeln, das er unbedingt öffnen wollte. Und so ganz unverfänglich zusammen am Tisch zu sitzen, ohne diese Master & Slave Beziehung, war auch recht fremd für ihn. Aber so wie es schien, konnte Crow alles ganz gut trennen und es gab für ihn eben eine Zeit, wo er die Rolle des Dominanten einnahm und dann wiederum eine andere Zeit, wo er eine reine Privatperson war. Irgendwie gefiel Christoph der Gedanke, eine ganz neue Seite an Crow entdeckt zu haben und tatsächlich huschte ein kleines Lächeln über seine Lippen. Das bemerkte der Tätowierer zum Glück nicht. Schließlich aber wurde diese vertraute Stille unterbrochen, als es plötzlich an der Tür klingelte. Hieraufhin stand Christoph auf und ging nachsehen, während Crow weiter seinen Kaffee trank. Als er die Tür öffnete, sah er seinen Adoptivvater Harold.

„Hey Dad, was gibt’s?“

Etwas unauffällig sah sich der Angesprochene um und fragte nach kurzem Zögern: „Hast du noch Besuch?“

Christoph blieben die Worte im Hals stecken, als er das hörte. Wenn Harold das fragte, dann bedeutete dies, dass er das gestrige Schäferstündchen gehört hatte. Und das wiederum bedeutete, dass sein Adoptivsohn deutlich zu laut gewesen war. Daran war aber auch nur dieses blöde Aphrodisiakum schuld. Er spürte, wie seine Wangen heiß wurden vor Verlegenheit und er räusperte sich, wobei er murmelte: „Sorry, dass ich so laut war. Beim nächsten Mal passe ich auf. Bist du deswegen hier?“

„Nein. Deine Mutter war in der Apotheke und hat Magenberuhigungsmittel geholt. Vielleicht hilft ja das gegen deine Magenschmerzen. Aber sag mal, hast du vielleicht auch mal in Betracht gezogen, dass es vielleicht vom Stress kommen kann?“

„Glaub ich nicht. Ehrlich gesagt ging es mir selten besser, Dad. Ich habe nächste Woche aber sowieso einen Termin bei Dr. Baker. Vielleicht weiß der ja, was ich mir eingefangen habe.“

„Pass aber trotzdem etwas mehr auf dich auf.“

Damit legte Harold mit ernster Miene eine Hand auf seine Schulter. Es war eine sehr väterliche Geste und Christoph wusste, dass sich seine Adoptiveltern Sorgen um ihn machten. Es war ja nicht das erste Mal, dass es ihm gesundheitlich so schlecht ging. Vor knapp sechs Jahren wurde er mit Fieber und heftigen Magenkrämpfen ins Krankenhaus eingeliefert, als bei ihm eine Blinddarmentzündung festgestellt wurde. Der Chirurg hatte damals gesagt, dass es für ihn tödlich ausgegangen wäre, wenn er noch ein paar Minuten länger gewartet hätte. Es war Rettung in allerletzter Sekunde gewesen. Darum konnte er es seinen Adoptiveltern nicht verdenken, wenn sie sich Sorgen um ihn machten.

„Es ist alles in Ordnung. Ich werde mich untersuchen lassen und da wird Dr. Baker schon herausfinden, was mir fehlt. Eine Blinddarmentzündung kann es ja nicht sein. Das Teil haben sie mir ja beim letzten Mal rausgeschnibbelt.“

Christoph versuchte die Geschichte möglichst runterzuspielen, aber er wusste dennoch, dass sein Adoptivvater das alles nicht so entspannt sehen würde. Also gab er es auf und versuchte stattdessen nun das Thema zu wechseln.

„Will und ich haben einen neuen Algorithmusansatz für unseren Beweis für P=NP aufgestellt. Würdest du ihn dir vielleicht nachher mal ansehen? Ich hab es immer ganz gerne, wenn jemand noch mal drüberschaut, der jetzt nicht direkt mit in die Arbeit involviert ist und damit einen neutralen Blick hat.“

Damit war Harold herzlich gerne einverstanden und es freute ihn auch, dass sein Adoptivsohn ihn um Rat fragte, obwohl er nicht an seine Intelligenz herankam. Manchmal war es ja sogar noch so, dass Christoph ihm noch etwas beibringen konnte und auf der einen Seite erfüllte ihn dies mit Stolz, auf der anderen Seite plagte ihn dann aber doch die Sorge, Christoph würde ihn nicht mehr brauchen. Doch da der 24-jährige nicht die gleiche Lebenserfahrung besaß wie sein Adoptivvater, fragte er ihn dennoch gerne um Rat. Denn auch wenn die Lösung vielleicht nicht immer die richtige war, so war allein schon der Ansatz oft hilfreich.

Nun aber näherten sich langsam Schritte von schweren Stiefeln. Offenbar war es Crow. Christoph wandte sich kurz um und sah, dass es tatsächlich der Tätowierer war, der nun auch seine Motorradjacke angezogen hatte und sich offenbar auf den Weg machen wollte. Überrascht fragte er deshalb: „Du gehst schon?“ Sofort mischte sich Harold dazwischen, der natürlich sofort wissen wollte, ob sein Adoptivsohn tatsächlich Besuch hatte. Doch kaum, dass die Frage ausgesprochen war, standen er und Crow sich auch schon gegenüber. Einen Moment lang herrschte Totenstille und es regte sich nichts. Der 24-jährige Akademiker merkte sofort, dass da etwas zwischen den beiden war. Harold Strauss sah erst verwirrt aus, dann war es eine Mischung aus Staunen und Schreck und seine Augen weiteten sich. Auch bei Crow ging ein ähnlicher Prozess von statten. Zuerst war es Verwunderung, dann aber funkelte Wut und Hass in seinen bernsteinfarbenen Augen. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und man spürte förmlich, wie sehr es in ihm brodelte und dass er nur einen falschen Kommentar davon entfernt war, sofort zuzuschlagen, wenn man ihn zu sehr reizte. Er sprach kein Wort. Erst als Harold ein erstauntes, aber auch fassungsloses „Raphael?“ zustande brachte, da explodierte etwas in dem 28-jährigen. Ohne Vorwarnung packte er den Physiker am Kragen und stieß ihn gegen die Wand. In seinen Augen loderte ein solcher Zorn, dass man meinen konnte, er wolle ihn gleich eigenhändig umbringen.

„Sie!“ schrie er und drückte ihn noch fester gegen die Wand. „Endlich sehe ich Sie auch mal wieder, Professor. Mit Ihnen habe ich auch noch eine Rechnung offen, Sie verdammter Bastard!“

Ein Faustschlag ins Gesicht folgte und als Christoph das sah, wollte er schon dazwischen gehen, doch Crow stieß ihn zurück. Harold, der durch den Schlag etwas benommen war, taumelte erst ein wenig, bevor er wieder am Kragen gepackt wurde.

„Wie können Sie nachts noch ruhig schlafen, nachdem Sie mich damals im Stich gelassen haben? Wie können Sie nach allem so weiterleben wie bisher und in aller Seelenruhe ein Familienleben führen, nachdem Sie mich einfach so fallen gelassen haben, wo ich Sie am meisten gebraucht habe? Wo waren Sie bei der Gerichtsverhandlung? Wieso haben Sie nicht ausgesagt, dass es keine Absicht gewesen war? Vier Jahre saß ich im Gefängnis, weil mir niemand geglaubt hat. VIER VERDAMMTE JAHRE! Sie haben mir Ihr Wort gegeben, dass Sie mir helfen werden. Wo waren Sie also?“

Christoph sah abwechselnd zu Crow und Harold und verstand nicht, was da zwischen ihnen von statten ging. Alles, was er aus dem Kontext herausinterpretieren konnte war, dass sein Adoptivvater wohl einen Gerichtstermin versäumt hatte und Crow danach vier Jahre ins Gefängnis gehen musste. Aber das war auch schon alles und daraus ließ sich leider nicht sehr viel interpretieren. Doch jetzt musste er Crow erst mal daran hindern, dass er erneut zuschlug.

„Crow, lass meinen Dad in Ruhe!“

Hierauf ließ der Tätowierer sofort von Harold ab, allerdings lag dies wohl kaum daran, dass er auf Christophs Aufforderung gehört hatte. Nein, es schien eher daran zu liegen, dass ihn dieses „Dad“ so aus dem Konzept gebracht hatte. Mit einem Mal war es so, als würde all die Wut in ihm erlöschen und damit auch seine Energie. Bittere Enttäuschung lag in seinem Blick und ihn so zu sehen, brach Christoph das Herz. Er spürte, dass wohl etwas sehr Dramatisches in der Vergangenheit geschehen sein musste und sein Adoptivvater hatte offenbar irgendwie damit zu tun. Aber was? Crow sah kurz zu Christoph, dann wieder zu Harold und seine Körperhaltung erschlaffte ein wenig. Er wirkte zutiefst enttäuscht und verletzt.

„So ist das also“, sagte er leise. „Jetzt verstehe ich das alles und warum Sie nie Ihr Versprechen eingehalten haben. Sie haben mich ersetzt, weil ich Ihnen zu problematisch war und haben mich dann bei der nächstbesten Gelegenheit abgesägt, was? Alles nur, damit Sie bloß keine Schwierigkeiten haben. Hauptsache, Sie bewahren Ihren Ruf und wie es anderen dabei geht, ist Ihnen genauso scheißegal, so wie allen anderen. Haben Sie überhaupt eine Vorstellung davon, was Sie mir angetan haben? Ich saß vier Jahre lang im Gefängnis, ich werde nie wieder studieren können und das nur, weil Ihnen der eigene Ruf wichtiger war. Wissen Sie was? Sie sind doch eh nicht besser als der ganze restliche Akademikerabschaum, der sich selbst immer am wichtigsten ist. Ich war dumm, dass ich Ihnen vertraut habe.“

Und nach einem kurzen Schweigen wandte er sich Christoph zu. Dieser ahnte, dass Crow gleich etwas sagen würde, das ihn tief verletzen würde. Er hatte Angst davor. Er wollte Crow nicht verlieren, doch er wusste, dass dies unvermeidlich sein würde. Die Wahrscheinlichkeit, dass Crow zu ihm auf Abstand gehen würde, lag nahezu bei hundert Prozent. Seine Brust schnürte sich zusammen und er hoffte innerlich, dass er sich doch noch irrte.

„Der Vertrag ist hiermit beendet“, verkündete der Tätowierer ihm tonlos. „Es wäre besser, wir wären einander niemals begegnet. Ist nicht gegen dich persönlich, aber unter diesen Umständen kann es nicht weitergehen.“

Damit wollte Crow gehen, doch Christoph lief ihm nach. So schnell wollte er noch nicht aufgeben. Nicht, nachdem er erkannt hatte, wie wichtig Crow ihm inzwischen war. So ergriff er dessen Arm und hielt ihn zurück.

„Crow!“ rief er. „Wieso machst du das? Ich verstehe das alles nicht. Was ist denn zwischen dir und Harold passiert, dass du so wütend auf ihn bist? Erklär mir das doch.“

Doch Crow war deutlich anzusehen, dass er es nicht wollte, aus welchen Gründen auch immer. Selbst jetzt in dieser Situation wollte er sich niemandem öffnen, niemanden in seine wahre Welt blicken lassen und wie es in ihm drin aussah. Keine Blöße zeigen, um damit auch keine Angriffsfläche zu bieten und damit auch keine Schwäche zu zeigen. Das war seine Lebensweise.

„Warum sollte ich das dir oder irgendjemanden sonst erzählen? Es hat sich doch ohnehin nie irgendjemand einen Dreck um mich geschert.“

„Doch! Ich tue das.“

„Ja klar, für deine Forschung, was? Dir ging es doch auch bloß immer nur um dich und du siehst auch immer nur dich. In der Hinsicht seid ihr doch alle gleich, ihr verdammten Akademiker. Ihr seid so auf euch selbst fixiert, dass ihr euch nur dann für jemand anderen interessiert, wenn für euch ein eigener Vorteil herausspringt. Und wenn euch jemand lästig wird, sägt ihr ihn einfach ab. Du hast doch auch nur deinen persönlichen Nutzen aus der ganzen Sache gezogen, genauso wie ich. Aber ihr verschwendet nicht einen einzigen Gedanken an andere.“

Diese Worte verletzten Christoph zutiefst und seine Brust schnürte sich zusammen. Ein Vorwurf nach dem anderen prasselte auf ihn ein, aber letzten Endes war dies nur das Endergebnis von all der aufgestauten Wut und Enttäuschung, die Crow wohl zu lange in sich getragen hatte. Diese ganzen Vorwürfe richteten sich nicht mal direkt gegen ihn, sondern gegen jene, die diese tiefen Wunden in seine Seele gerissen hatten. Crow war so aufgebracht, dass er nun ein Stück von sich preisgab, wenn aber auch noch nicht alles. Doch es war genug, damit Christoph erkennen konnte, dass das Leben des Tätowierers ein einziger Scherbenhaufen war und er dabei nicht einmal die Hauptschuld daran trug. Aber er wollte es nicht einfach so enden lassen. Es war nicht bloß so, dass er nur diese Sexabenteuer mit ihm haben wollte. Nein, er wollte Crow nicht verlieren und auch nicht diese Nähe zu ihm und wenn sie halt erst mal nur auf einer rein körperlichen Ebene stattfand, weil Crow sich emotional so sehr verschlossen hatte, dass niemand zu ihm durchdringen konnte.

„Das mag vielleicht am Anfang so gewesen sein, aber du bist mir auch so wichtig geworden und ich will dich verstehen und dir helfen. Warum kannst du mir nicht vertrauen?“

Sofort schlug Crow Christophs Hand weg und entfernte sich zwei Schritte von ihm. Wieder kehrte sein finsterer Blick zurück, der von Kälte und Unnahbarkeit zeugte. Egal was auch geschah, Crow wollte sich niemandem anvertrauen, geschweige denn Hilfe annehmen. Er war ein Einzelkämpfer und wollte es auch so beibehalten, weil er vermutlich nie etwas anderes gekannt hatte.

„Weil ich niemandem vertraue, kapiert? Ich habe es nicht nötig, irgendjemandem zu vertrauen, außer mir selbst. Und Hilfe brauche ich schon mal gar nicht. Es hat mir doch eh nie jemand geholfen und ich bin all die Jahre ganz allein gut klar gekommen, ohne dass ich irgendeinen Menschen brauchte. Das Einzige, was du von mir willst, ist dein Spaß und nichts weiter. Den kannst du dir gerne bei jemand anderem holen, aber das zwischen uns ist vorbei.“

„Darum geht es mir doch nicht!“ Als Crow gehen wollte, stellte sich der Mathematiker ihm in den Weg, um ihn daran zu hindern. Doch von dieser Entscheidung konnte er ihn nicht abbringen. Und fast schon aus Verzweiflung rief er schon fast „Du bedeutest mir inzwischen wirklich viel und ich… ich will nicht bloß den Spaß mit dir. Ich will in deiner Nähe sein.“

Es war ihm schwer gefallen, das zuzugeben. Aber selbst diese Worte vermochten Crow nicht umzustimmen. Stattdessen sah dieser ihn mit einem Blick an, der nur allzu deutlich sagte „Mach dich nicht lächerlich, Chris. Es gibt niemanden auf der Welt, dem ich auch nur im Ansatz etwas bedeute.“ Und mit Schmerz musste er erkennen, dass diese Distanz zwischen ihnen weitaus tiefer ging, als er zunächst gedacht hatte. Offenbar hatte Crow in seinem Leben so viele Enttäuschungen und so wenig Zuwendung erfahren, dass es für ihn deshalb unmöglich erschien, einem Menschen vertrauen zu können. Und tief in seinem Herzen erkannte er auch die Botschaft hinter Crows Worten: „Mich hat doch nie jemand geliebt. Wie soll ich denn da in der Lage sein, selbst zu lieben?“

Und irgendwie musste Christoph da wieder an diese Konversation bezüglich der AURYN-Tätowierung denken… Tu was du willst. Der Wunsch, zu lieben und selbst geliebt zu werden… Das war sein Herzenswunsch und vielleicht war dies auch Crows. Aber er hatte ihn aufgegeben, weil sich dieser Wunsch nie erfüllte. Das Einzige, was er kannte, war die Kontrolle über andere. Es war für ihn der beste Ersatz gewesen, den er kriegen konnte. Crow kannte diese Liebe nicht, deshalb konnte er sie auch nicht erwidern.

„Es wäre besser für dich, du würdest es nicht tun. Ein so berühmter und erfolgreicher Akademiker wie du sollte sich nicht mit einem verurteilten Mörder abgeben. Wir beide leben in verschiedenen Welten, das hat keine Zukunft. Du hast eine liebevolle Familie, einen tollen Job und du kannst deine Träume und Ziele noch erreichen. Mein Leben ist bereits zerstört und ich bin eben nicht das, was man als guten Umgang bezeichnen könnte. Das wird dir dein Adoptivvater sicherlich auch sagen. Sieh es ein, es ist vorbei!“

Christoph erkannte, dass es jetzt keinen Sinn hatte, zu diskutieren. Crow würde sich nicht umstimmen lassen. So verschwanden seine Schritte und wenig später wurde die Haustür geöffnet und zugeknallt, als Crow durch diese verschwand. Kurz darauf hörte man das laute Motorendröhnen von seiner Harley, als er davonfuhr.

Christoph blieb wie angewurzelt auf der Treppe stehen und fühlte sich entsetzlich hilflos. Er war ratlos und zutiefst verletzt. Er hatte Crow nicht aufhalten können…

Dann aber erwachte er langsam wieder aus seiner Starre und ging wieder hoch zu seinem Adoptivvater, der sich noch von der Abreibung erholen musste. Harold wusste die Antworten und er war der Grund, wieso Crow so wütend geworden war. Und nun, da Christoph schon so einiges klar war, wollte er endlich ein paar Antworten von ihm haben.

„Was ist passiert, Dad? Erkläre mir mal, was das sollte und wieso Crow so wütend reagiert hat. Ihr kennt euch doch, oder? Warum hat er dich geschlagen und gesagt, dass er wegen dir im Gefängnis war?“

Doch Harold wich seinem Blick aus und es war Schuld in seinem Gesicht zu sehen. Doch Christoph wollte keine Ausflüchte und er wollte sich auch nicht einfach so abspeisen lassen. Darum wurde er auch lauter.

„Sag es mir schon! Was ist zwischen dir und Crow gewesen und wieso sagt er, dass du ihn im Stich gelassen hast? Entweder du sagst es mir, oder ich frage Mum.“

Hier aber reagierte der Angesprochene endlich und hielt ihn davon ab. „Das bringt nichts. Sie weiß nichts davon. Ich werde es dir erklären, aber nicht hier im Hausflur. Lass uns lieber reingehen.“

„Und ich will die ganze Wahrheit hören!“

Harold versprach es und gemeinsam gingen sie wieder rein und setzten sich in die Küche an den Tisch und dann begann der 58-jährige mit seinem Geständnis.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich habe lange gegrübelt, wie Harold in die ganze Geschichte passt, denn ich hatte ohnehin vorgehabt, dass er die Hintergrundgeschichte zu Crow kennt und mit ihm zu tun hatte. Aber ich hatte keinen Plan, in welcher Beziehung die beiden zueinander gestanden haben könnten. Ein Verhältnis zwischen den beiden war nicht ganz nach meinem Geschmack (und auch völlig unpassend), als leiblicher Vater kam er auch nicht infrage, weil das doch etwas zu klischeehaft wäre und eine Affäre mit Crows Mutter… naja… dafür gab es ja diesen Prof. Bloom. Schließlich aber hatte ich dann doch eine rettende Idee und wie die aussieht, erfahrt ihr im nächsten Kapitel, wo Crows Vergangenheit gelüftet wird. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  queen006
2021-11-19T18:04:34+00:00 19.11.2021 19:04
Heilige Scheisse.(Sorry).Aber mit dieser Wendung hab ich überhaupt nicht gerechnet.Jetzt bin ich aber mal neugierig was Herold zu erklären hat.Muss ja ganz schön heftig sein wenn sogar seine Frau nichts weiss.
Auf Crow stürzt es ja zur Zeit mächtig ein.Erst seine Mom,jetzt die Begegnung mit Herold.Bis dann.

Von:  Onlyknow3
2015-10-12T20:26:52+00:00 12.10.2015 22:26
So jetzt habe ich es geschafft bis hier her zu lesen, am Anfang war es etwas schwer rein zu kommen wegen der vielen Gedanken mit den Zahlen und Rechnungen und Prozenten die Chris durch den Kopf geistern. Jetzt kommt fahrt in die Geschicht und wird lebendiger. So erfährt man dann auch das es einen roten Faden gibt, ein Thema das sich wiederholt bei den beiden. Werde auch die anderen Kapitel noch lesen, aber mir gefällt die Geschichte.
Mach weiter so, freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Antwort von:  Sky-
13.10.2015 07:00
Ja ich gebe zu, es ist nicht einfach, mit den Gedanken eines mathematischen Genies mitzukommen, wenn man nicht mitreden kann. Ich meinerseits habe Mathe immer gehasst xD
Zugegeben, Corrupt Me ist die einzige FF, bei der ich die Story nicht von Anfang bis Ende durchgeplant hatte. Die Idee für die eigentliche Handlung kam erst im Laufe der Zeit dazu und selbst da habe ich sie immer wieder abgeändert, weil sie mir nicht so wirklich gefallen hat. Aber letzten Endes gefiel mir dann doch der Gedanke, dass beide hochintelligent auf ihrem Gebiet sind, sich jedoch in gänzlich unterschiedliche Richtungen entwickelt haben. Chris ist ein gefeierter Mathematiker und Crow seinerseits hat einen ziemlichen Absturz erlitten und fristet sein Dasein als vorbestrafter Tätowierer. Eine gewisse Ironie, aber so kann man auch sehen, dass selbst solche Leute Pech im Leben haben können. Und die zweite Ironie ist, dass Chris’ Familie an Crows Absturz nicht ganz unschuldig ist.
Von:  Imori
2015-07-30T00:04:46+00:00 30.07.2015 02:04
Oha D:


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