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Lichtspiel

Armins Fallnotizen
von

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Prolog

Abseits des Festlands, fernab des Trubels um den bevorstehenden Wettkampf, waren nur das Brechen kleiner Wellen am Fels und die stetigen Flügelschläge eines Pokémon zu hören. In dieses Gebiet verirrte sich nur selten ein Mensch. Die kleine Insel am Horizont war unbewohnt, selbst Pokémon beachteten das Gebilde aus kahlem Fels nicht, das sich über die Wasseroberfläche erhob. Für sie gab es dort nichts zu sehen. Den Menschen jedoch gab die Insel Rätsel auf. Das runde Felsplateau war von Gräben durchzogen, die konzentrische Kreise um den weit abgesenkten Kern bildeten. War diese geometrische Konstruktion ein unbekanntes Naturphänomen oder das Werk eines legendären Pokémon?
 

Jemand hatte das Rätsel gelöst. Eine Gestalt setzte Fuß auf die Enigmainsel, öffnete das Visier ihres Helms und grinste.
 

Yurenka wurde abrupt aus seinem Schlaf gerissen. Es spürte, wie etwas an ihm zog, hinaus aus der kleinen Paralleldimension, die es Bett nannte, hinaus aus dem Kern der Insel. Noch bevor es sie öffnete, stach Licht in seine Augen.

Yurenka kämpfte gegen das blendende Licht und die schweren Augenlider und versuchte, die Nervensäge auszumachen, die es mitten am Tag geweckt hatte. Hoffentlich war es ein Mensch. Die ließen sich am besten erschrecken.

Tatsächlich erkannte es hinter dem Kern eine zweibeinige Gestalt, ganz in weiß, mit einem dieser seltsamen runden Dinger auf dem Kopf, die Menschen manchmal trugen.

Endlich mal wieder Spaß. Yurenka grinste über sein ganzes Gesicht und tanzte kichernd durch die Luft. Es machte Saltos, schwebte im Zick-Zack, drehte ein paar Kreise um den Menschen und verharrte für einen Moment vor ihm, ihre Gesichter nur eine Handbreit voneinander entfernt, und starrte ihn mit noch breiterem Grinsen an.

„Ein Mensch auf meiner Insel? Das wird ein Spaß … kekekeke…“, ließ es den Menschen telepathisch an seiner Freude teilhaben.

Der Mensch rannte nicht weg. Er verzog nicht einmal sein Gesicht. Kein Zurückschrecken. Er sah nicht ein kleines Bisschen verängstigt aus.

Yurenka stellte seine Haare auf und fauchte.

Keine Reaktion.

Dieser Mensch war ziemlich langweilig. Wieder ins Bett, dachte es, gähnte und entfernte sich von ihm.

„Los, Kangama!“, rief der Mensch. Yurenka stellte die Ohren auf, wandte sich um und sah, wie der Mensch eines der runden Pokémon-Gefängnisse mitten in den Krater warf. In rotes Licht gehüllt befreite sich ein Kangama.

Yurenka war schlagartig wach. „Oh! Ein Kämpfchen für mich? Das wird ja doch noch lustig!“

Dafür brauchte es aber zuerst eine gute Strategie, wie es diesen Menschen mit besonders viel Spaß fertigmachen konnte. Es schloss seine Augen, rollte sich zusammen und konzentrierte sich auf seine nächste Form, bis es spürte, wie sein ganzer Körper wuchs, seine kurzen Beine länger wurden, bis es die Statur eines kleineren Suicune erreicht hatte. Schließlich rollte sich sein langer Schwanz auseinander und machte am Ende einen Knick.
 

Yurenka erwachte und blickte um sich.

Die tiefliegende Sonne tauchte den umgebenden Fels in einen orangefarbenen Schein. Dazu schien der Fels jedoch auch von innen heraus zu leuchten. Das sonst fahle Grau unter Yurenka umgab ein bläulicher Schimmer. Auf den anderen Kreisen hingegen hatte der Stein jeweils verschiedene Farben, die einen Regenbogen bildeten.

Dieses Phänomen hatte Yurenka erst einmal gesehen. An diesem Tag vor etwa einem Jahrhundert war es auf dieselbe Weise wie heute von einer seltsamen Kraft aus dem Inselkern gezogen worden. Es hatte damals vermutet, dass Serions Anwesenheit den Effekt ausgelöst hatte.

Doch Serion war heute nicht hier. Nur ein Mensch und ein Kangama standen Yurenka gegenüber.

„Das verspricht interessant zu werden“, sagte es zu dem Menschen. Wer ohne mit der Wimper zu zucken ein legendäres Pokémon zum Kampf herausforderte, war entweder äußerst naiv oder ein beinahe würdiger Gegner.
 

Kangama ging in die Knie und setzte zum Sprung an.

Yurenka hob seinen Arm in Abwehrhaltung.

Mit einem einzelnen Satz befreite sich Kangama aus dem doppelt so hohen Krater, landete direkt vor Yurenka und schlug mit einem lauten Knall seine Pranken vor dessen Augen zusammen.

Yurenka schreckte zurück.

Kangama verpasste seinem Kinn einen Schlag.

Yurenka wirbelte durch die Luft. Als es seine Position mittels Psychokinese stabilisiert hatte, fand es sich einen Ring weiter außen wieder.

Mogelhieb. Ein cleverer Trick für einen Menschen, besonders kombiniert mit der Tatsache, dass Kangama offenbar die Rauflust besaß, ein Geist-Pokémon anzugreifen, während die meisten von Yurenkas Angriffen auf es keine Wirkung hatten. Doch ein paar clevere Tricks würden nicht ausreichen, um eine Chance gegen ein legendäres Pokémon zu haben.

Yurenka steckte die Arme nach vorn und konzentrierte sich auf seinen größten Fehler. Die Ereignisse vor einem Jahrhundert. Die Zerstörung, die Trümmer. Das Ende aller Universen, das ein einzelnes Pokémon beinahe bedeutet hätte.

Diese Gedanken lenkte es in seine Hände, bis sie eine finstere Aura umgab. Ein dunkler Ring begann sich schemenhaft zu formen.

Kangama übersprang den Graben, der sie trennte, holte noch in der Luft aus und schlug seine violett glühende Pranke gegen Yurenkas ungeschützten Kopf.

Die Wucht des Aufpralls riss Yurenka mit sich. Es schoss durch die Luft, an Ring über Ring, an Graben über Graben vorbei, bis über den Rand der Insel hinaus.

Erst eine Mew-Länge über dem Wasser konnte es sich fangen.

Viele sehr effektive Tiefschläge würde es nicht aushalten, selbst von einem einfachen Kangama. Es war Zeit für sein Ass im Ärmel. Es rollte sich ein und rief seine dritte Form. Sein Körper wuchs bis auf Xerneasgröße, alles wurde breiter und kräftiger und schließlich wich der Knick in seinem Schwanz einer Gabelung.
 

Yurenka war rasend vor Wut.

Jemand hatte es angegriffen. Das stärkste legendäre Pokémon ließ sich nicht einfach angreifen. Das sollte sein Gegner bereuen.

Yurenka brüllte mit ganzer Kraft.

Sein Gegner wich zurück.

Yurenka schwebte zum Rand der Insel, bis seine Pfoten den Fels berührten, ging in die Knie, drücke sich ab, übersprang die Gräben, schoss auf seinen Gegner zu und rammte seine Fangzähne in dessen Schulter.

Sein Gegner taumelte und kippte rückwärts über die Kante.

Yurenka ließ ihn gerade rechtzeitig los, um nicht in den Graben gerissen zu werden.

Während der Gegner seine Schulter hielt, bereitete Yurenka seinen Trumpf vor. Es schloss die Augen und stellte sich vor, es würde gegen Serion und Futoran kämpfen, sie mit einer gezielten Dunkelklaue treffen, einen Knirscher hinterher, alle Attacken, die es kannte, bis sie aufgaben. Sie sollten sehen, wer das stärkste Pokémon der Region war.

Es spürte einen leichten Stoß.

Sein Gegner wollte es wohl noch einmal angreifen. Zwecklos. Lächerlich. In dieser Form war Yurenkas Defensive zu stark.

Yurenka dachte an den Kampf gegen diesen Gegner. Wie es ihn mit einem einzigen Schlag besiegen würde. Seine erste Form war fragil, aber ihre speziellen Angriffe waren mächtig. Mit einem Ränkeschmied waren sie unaufhaltsam.

Yurenka spürte, wie die Gedanken ihm Kraft gaben. Und mehr Kraft. Die verzweifelten Angriffe seines Gegners fügten ihm kaum Schaden zu, doch es war Zeit, diese Form zu verlassen. Es gab seine besondere Kraft auf und kehrte zurück zu dem kleinen, zerbrechlichen Körper mit den kurzen Beinen.
 

Yurenka schwebte fröhlich hin und her, während es nebenbei ein paar Finsterauren und Spukbälle abfeuerte. So lustig war ein Kampf schon lange nicht mehr gewesen.

Mit jedem besiegten Pokémon klappte der Mund des Menschen weiter auf. Der hatte sich wohl zu früh gefreut.

Das letzte Pokémon war ein bisschen hartnäckiger, doch auch es wurde am Ende von Yurenkas Spukball umgerissen und stürzte ab.

Während es fiel, leuchtete sein Körper orange auf. Gerade bevor es den Boden berührte, schoss eine leuchtende Kugel von ihm in den Himmel, wo sie in hunderte Stücke zersprang.

Yurenka zuckte zusammen. Ein Kälteschauer ging durch seinen ganzen Körper. Sein Grinsen wich einem entsetzten Starren. So hatte es sich seit hundert Jahren nicht mehr gefühlt.

Hektisch raste es durch die Luft.

Meteore schossen an ihm vorbei.

Staub hüllte alles ein.

Yurenka konnte nichts mehr sehen, doch es musste weiter ausweichen.

Ein Meteor verfehlte knapp seine Wange.

Der Hagel ließ nicht nach.

Yurenka schnappte nach Luft.

Ein stechender Schmerz in seinem Schwanz. Ein Meteor hatte es gestreift.

Yurenka musste weiter.

Langsam wurde es leiser. Die Meteore wurden weniger.

Gleich war es geschafft. Yurenka atmete langsamer.
 

Dann traf es seinen Kopf.
 

Das besiegte Pokémon lag auf dem kalten Fels, vor sich eine Wand aus Stein. Die Grabenwand hatte ihr altes Grau wieder, das Leuchten hatte nachgelassen. Der Grund daneben war von Kratern durchzogen.

Yurenka kämpfte gegen den Schmerz in seinem Kopf und drehte ihn langsam nach oben. Durch die dünner gewordene Staubwolke konnte es eine kleine, runde Silhouette sehen, die sich ihm näherte.

Yurenka schrie.
 

„Fehlt nur noch eins“, war das letzte, das es hörte, bevor es in das runde Gefängnis gezogen wurde.



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