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Götterdämmerung

von

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Atemu

„Priester Karim!“ Der Ausruf seines Namens brachte einen breitschultrigen Mann dazu innezuhalten. Mit einem Lächeln wandte er sich um und betrachtete die herannahende Priesterin, auf deren Milleniumskette sich der Schein dutzender Fackeln brach. "Ishizu.“ Er schenkte ihr ein freundliches Kopfnicken und trat aus der Mitte des Flures heraus, näher an die weiß getünchte und mit bunten Hieroglyphen verzierte Wand.

„Weißt du, wo der Pharao zu finden ist?“ Ishizu wusste, dass Karim zwar für gewöhnlich gut darüber unterrichtet war, was im Palast vor sich ging, aber lange kein so enges Band zum Pharao pflegte wie Mahad. Wahrscheinlich hätte es mehr Sinn ergeben mit Mahad zu sprechen, aber Ishizu hatte das Gefühl, dass er ihre Sorgen nicht ernst nahm. Sie wollte lieber noch eine zweite Meinung einholen.

Auf ihre Frage hin deutete Karim mit einer Hand vage gen Süden. „Er befindet sich im Tempel und spricht zu den Göttern. Dabei möchte er nicht gestört werden.“

Ishizus Gesichtsausdruck zeigte deutlich, was sie davon hielt. Sie hatte gehofft sich wenigstens eine kurze Audienz beim Pharao zu erhalten, selbst wenn Mahad versucht hatte ihr genau das auszureden.

Karim blieb plötzlich stehen, verschränkte die Arme hinter seinem Rücken und sah die junge Priesterin vor sich mit einem scharfen Blick an. „Gibt es etwas, das ich wissen sollte?“ Ishizu antwortete zunächst nicht, was einerseits daran lag, dass sie sich jedes Wort ihrer Antwort gut überlegte und andererseits an den zwei Bediensteten die plötzlich um die Ecke bogen. Beide trugen große Körbe voll frisch geschnittener Lilien, mit denen sie gewissenhaft alle Vasen des Palastes bestückten. Die Priesterin beobachtete sie dabei schweigend. Selbst als die Diener den Flur verlassen hatten, starrte sie noch eine ganze Weile auf die Stelle an der die Beiden zuletzt gestanden hatten. Erst Karims leises Räuspern brachte sie dazu, sich ihm wieder zuzuwenden und sie spürte, dass sie nun zu lange gezögert hatte, als dass er sich mit Halbwahrheiten begnügen würde.

Leise seufzend zuckte sie mit den Schultern und sah zu dem Priester hoch. Ihr Blick jedoch ging durch Karim hindurch und schien sich in der Schummrigkeit des weitläufigen Flures zu verlieren. „Ich muss dringend mit dem Pharao sprechen, aber er lässt fast niemanden mehr zu sich. Entweder ist er damit beschäftigt den Krieg gegen Unterägypten zu koordinieren oder er befindet sich im Tempel.“

„Nun, er ist nun einmal der Pharao, Ishizu.“

Sein leises Lachen ärgerte sie ein wenig, genauso wie seine mit sanftem Tadel gesprochenen Worte.

„Das ist mir bewusst!“ Merkend, dass sie eine Spur zu viel Schärfe in ihre Stimme gelegt hatte, rettete sie sich in ein entschuldigendes Lächeln und lehnte sich dann mit verschränkten Armen gegen eine der vielen Säulen, deren Papyruskapitelle die tonnenschwere Decke des Palastes trugen. „„Ich würde ihn nicht stören, wenn ich nicht von der Wichtigkeit der Angelegenheit überzeugt wäre. Seit Tagen ist mir der Blick durch meine Milleniumskette verwehrt, ich erkenne nichts außer Schwärze. Selbst wenn es nur eine vorrübergehende Störung sein sollte, ist es kein gutes Omen.“

Der amüsierte Ausdruck in Karims grünen Augen verschwand und hinterließ eine nachdenkliche Entrücktheit. Abwesend strich er mit der Hand über einen kunstvoll gemeißelten Wandvorsprung und sah den Sandkörnern nach, die zu Boden rieselten. „Hast du mit Mahad darüber gesprochen?“, fragte er schließlich.

„Ja. Und er vertritt die Ansicht, es sollten vorerst nur die Wachen verstärkt und dem Pharao nichts gesagt werden. Aber ich mache mir Sorgen. Schon lange spricht unser Herrscher davon, selbst an die Front zu reiten und sich ein Bild von der Lage zu machen. Gerade in dieser Situation dürfen wir ihm etwas derart Wichtiges nicht vorenthalten!“

Karim zögerte mit seiner Antwort, wandte sich dann jedoch wieder der Priesterin zu und schüttelte entschlossen den Kopf. „Nein Ishizu, das wäre der falsche Weg. Wir sollten den Schutz verstärken und noch wachsamer sein als sonst. Aber solange wir nicht wissen um welche Gefahr es sich handelt, würde der Pharao unserem Rat verständlicherweise wenig Beachtung schenken. Natürlich können wir ihm nahelegen, dass er besser nicht selbst am Kriegsgeschehen teilnehmen sollte, aber wenn sich der Krieg weiter so in die Länge zieht, wird er an die Front rücken müssen, selbst wenn das hieße sich in Gefahr zu begeben. Und sei es nur um die Moral des Heeres wieder zu stärken.“ Mit einer Handbewegung brachte er Ishizu zum Schweigen, die bereits entrüstet den Mund geöffnet hatte „Versteh mich nicht falsch. Auch ich bin besorgt, das gebe ich offen zu. Aber was erwartest du? Dass wir den Pharao in seinem Gemach einschließen, damit ihm nichts geschieht?“ Mit einem Seufzen unterbrach er sich und deutete mit einer weiteren Handbewegung an, dass das Gespräch für ihn nun beendet war. „Das Beste wäre, erst einmal herauszufinden was deine Milleniumskette stört. Vorher bleibt uns nichts anderes übrig als abzuwarten.“
 

~oOo~
 

Im Allerheiligsten des Tempels herrschte Dunkelheit. Niemandem außer den Höchsten der Hohepriester und dem Pharao selbst war der Zutritt zum Heiligtum des Tempels und der Blick auf die dort beheimateten göttlichen Statuen gestattet. Langsam trat der Pharao näher. Er hatte sämtlichen Schmuck abgelegt, bis auf das Milleniumspuzzle. In seinen Händen hielt er einen unförmigen Gegenstand, eingeschlagen in feinstes Leinen. Vorsichtig löste der Pharao die Stoffbahnen und offenbarte eine weitere Götterstatue, die er auf dem Altar vor sich abstellte. Es war eine Tiergottheit mit langen Ohren und gebogener Schnauze, welche neben den Götterstatuen des Tempels seltsam fehl am Platze wirkte.

„Heiliger Seth…“ Die dunkle Stimme des Herrschers drang durch den Tempel, während er auf die Knie ging und eine goldene Schale mit süßen Früchten vor die steinerne Statue stellte. „Gott der Wüste, Gefährte des Horus und ehrwürdiger Gebieter über den Süden. Ich stehe vor dir, nicht als Pharao des südlichen Landes, sondern als dein Diener.“ Einen Moment verharrte der König, als schien er auf etwas zu warten, doch da alles in dem kleinen Raum still blieb, erhob er seine Stimme erneut. „Ich bitte dich, mir Kraft zu schenken. Die Lage des Landes ist noch immer angespannt. Die Scharmützel an der Front kosten Kraft und Ressourcen, beides Dinge die bald zuneige gehen werden, wenn uns keine Hilfe zuteilwird.“

Wieder kehrte tiefe Stille ein und der Pharao erhob sich aus seiner knienden Position, beide Arme zur Seite ausbreitend, den Blick gen Himmel gerichtet. „Ich flehe dich an, großer Sohn der Nut, hilf mir und meinem Volk, zerschmettere die Feinde und halte deine schützende Hand über dieses Land.“ Der Pharao atmete tief ein und schloss die Augen. Ein sanftes Kribbeln durchzog seinen Körper, breitete sich langsam zu einem unangenehmen Pochen aus. Dennoch genoss Atemu dieses Gefühl. Seth war noch immer bei ihm und würde es sein, solange er ihm die Treue hielt. Noch eine ganze Weile stand er da und lauschte in die Stille, dann verneigte er sich demütig, schlug die Götterstatue wieder in den Leinenstoff ein und verließ das Allerheiligste.
 

~oOo~
 

„Alter… du… du verarschst mich doch jetzt, oder?“

Nur dumpf konnte Yugi Joeys Worte hören. Der Schock der Erkenntnis hatte ihn so unbarmherzig getroffen, dass er kaum mehr wahrnahm als das laute Pochen seines eigenen Herzens. Ihm war schwindlig und er war sich nicht sicher ob das nur eine Folge des kräftezehrenden Marsches war.

„Sag was, Mann!“

Die Ungeduld in Joeys Stimme kippte und machte einer aufkeimenden Panik Platz.

Mühsam wandte Yugi sich zu ihm um und deutete mit zitternder Hand auf das Tal, welches sich vor ihnen erstreckte. „Sieh doch hin. Sieh doch genau hin. Das ist…“ Seine Stimme brach und er schloss die Augen. Vielleicht halluzinierte er nur? Vielleicht hatte er einen Unfall gehabt und sich den Kopf gestoßen? Als er aufblickte erstarb die kleine Hoffnungsflamme, die kurzzeitig in ihm gelodert hatte.

Noch immer war alles da. Die vielen Menschen in ihren weißen Lendenschurzen. Die großen Steinquader die nur durch Muskelkraft bewegt wurden. Die hölzernen Gerüste, die Unterstände, die vor der sengenden Hitze schützten. Die hochgewachsenen Männer, die argwöhnisch an den Seiten standen und offenkundig Wache hielten. Einer davon wandte plötzlich den Kopf und sah in ihre Richtung. Einen kurzen Moment sah es aus als hätte er sie nicht bemerkt und Yugi wollte schon erleichtert ausatmen, da wandte sich der Ägypter um und kam zielsicher auf sie zu.

Neben ihm stieß Joey ein gepresstes „Scheiße“ hervor, doch Yugi nahm es kaum wahr. Seine Augen hingen wie hypnotisiert an dem Krummsäbel, den die ägyptische Wache in einer Hand trug und deren scharfe Klinge in der Sonne aufblitzte. Er war so erstarrt, dass er gar nicht erst an Flucht dachte.

Wohin hätten sie auch fliehen sollen?

„Wer seid Ihr?“ Die Stimme des Ägypters war rau und geprägt von Misstrauen.

Yugi sank unbewusst tiefer in sich zusammen und linste unter halb gesenkten Augenlidern zu Joey hinüber. Für gewöhnlich ließ der sich durch nichts einschüchtern, aber all das Erlebte war scheinbar selbst für ihn zu viel. Stumm saß er da und starrte mit ungläubigem Blick zwischen dem Tal der Könige und der hochgewachsenen Wache hin und her.

„Sprecht!“

Yugi zuckte zusammen und sammelte allen Mut, den er in seiner Kraftlosigkeit noch fand. „Ich…“ begann er und stockte. Er fand einfach keine Worte. Er war so müde, so hungrig, so geschockt und ausgelaugt, dass er nicht mehr denken konnte. Ein bitterer Geschmack stieg seine Kehle auf. Er konnte den Würgereiz nur schwer unterdrücken.

„Seid ihr die Freiwilligen von deren Ankunft Hohepriester Seto uns unterrichtet hat?“

Nach einem kurzen Zögern nickte Yugi zaghaft. Solange ihm nichts einfiel, das ihre Anwesenheit hier rechtfertigte, war es wahrscheinlich besser sich der Umgebung anzupassen. Vorsichtig hob er den Kopf und ließ seinen Blick über sein Gegenüber gleiten.

Von Nahem sah der Mann älter aus als zunächst gedacht, weniger einschüchternd machte ihn das allerdings nicht. Erst als er nach einem Moment des Schweigens seine Waffe mit einer geübten Handbewegung wieder am Gürtel befestigte, wagte Yugi aufzuatmen. Sie schienen nicht mehr in direkter Gefahr zu schweben.

„Das ist gut. Wir können jede helfende Hand gebrauchen.“ Einen Schritt zurücktretend machte der Mann eine auffordernde Handbewegung. „In diesem Zustand seid ihr allerdings zu nichts nutze. Folgt mir. Man soll euch Kleidung und Essen geben. Morgen nach Sonnenaufgang fragt ihr nach Chafre, dann wird man euch wieder zu mir führen.“

Nur wenig später saßen Yugi und Joey in der Kühle eines einfachen Lehmhauses und schlangen grobes Brot und gesalzenen Fisch hinunter, bis der Hunger soweit gestillt war, dass die Müdigkeit überwog. Auch wenn Yugi ein starkes Unbehagen fühlte wenn er an den kommenden Tag dachte, so war er doch zu erschöpft um davon wach gehalten zu werden. Er schlief ein, noch bevor sein Kopf den Boden berührt hatte.
 

~oOo~
 

Der Mond stand hoch über dem Nil und tauchte die Stadt Theben in ein silbernes Licht. Der Königspalast lag still da, als genieße er es vom Mondlicht gestreichelt zu werden. Nur noch in wenigen Zimmern sah man von außen den unruhigen Schein der Fackeln und die Einzigen die noch außerhalb des Palastes zu sehen waren, waren die Medjay, die für den Schutz des Pharaos verantwortlich waren. Diese Tageszeit barg eine vollkommene Ruhe und die Illusion der Sicherheit, die sich mit Nut über das Land hinabsenkte.

Der Pharao liebte diese Illusion. Wie so häufig stand er auch heute auf dem Balkon seines Gemachs und sah auf die Stadt hinab. Sein Theben. Jedes Mal, wenn er hier stand und auf sie herabsah, bestärkte es ihn darin, dass der Krieg der einzige Weg war. Sollte Unterägypten hier einfallen, würden Mord und Brandschatzung die Stadt zu einer seelenlosen Ruine zerfallen lassen, die der Wüstensand nach und nach zurückerobern würde.

Ein Schnurrlaut unterbrach den Herrscher in seinen Gedankengängen und er löste seine Hand von der Brüstung, an der er sich angespannt festgekrallt hatte, um seine Löwin zu streicheln, die ihm auffordernd in die Seite stupste. „Warum schläfst du nicht Schesemtet?“ Sanft fuhr die ringgeschmückte Hand des Pharaos über den riesigen, sandfarbenen Kopf der Raubkatze, die sich nun neben ihrem Herrn niederließ und diesen lange und durchdringend ansah. Atemu zögerte leicht. Manchmal glaubte er in diesen wilden, braunen Augen ein Wissen zu erkennen, welches dem eines Menschen weit überlegen war. Aber wann immer dieses Gefühl in ihm aufstieg, verging es im gleichen Moment in dem es übermächtig zu werden drohte. Leicht schüttelte er den Kopf, schob die Gedanken beiseite und legte seine Hand auf das rote Band, das um den Hals des Tieres lag und es als königlichen Begleiter auswies.

„Sieh nur, wie ruhig die Stadt zu unseren Füßen liegt, Schesemtet. Ich habe gehört, dass die Stadt den Namen ‚Die, die niemals schläft‘ trägt. Aber wer auch immer sich diesen Namen ausgedacht hat, hat die Stadt noch nie um diese Zeit betrachtet.“ Gemächlich ließ er seinem Blick über die Dächer der Häuser gleiten, schweifte weiter zum Nil und versank schließlich in dem glitzernden Licht des Mondes, der sich auf der Wasseroberfläche spiegelte. Ein leises Rascheln drang an sein Ohr, wie das Spiel des Windes in den Palmblättern des Palastgartens. Erst als er seine Löwin mit einem Seitenblick streifte wurde er aufmerksam, denn Schesemtet saß angespannt neben ihm, die Ohren angelegt, den Körper zum Sprung bereit und die klugen Augen auf eine im Dunkeln liegende Stelle des königlichen Gemachs gerichtet. Nur kurz warf der Pharao einen Blick in dieselbe Richtung, ehe er sich wieder abwandte und tat als hätte er nichts bemerkt. Eine Handbewegung von ihm gab Schesemtet zu verstehen, dass sie frei herumstreifen dürfe. Die Löwin schlich geduckt in das Gemach zurück, verschmolz regelrecht mit den Schatten und wurde eins mit ihnen. Es fiel Atemu schwer mit dem Rücken zum Gemach stehen zu bleiben, aber sein Haustier war gut trainiert und er war sicher, dass sie die Gefahr ausmerzen würde. Ein paar Sekunden vergingen, Sekunden in denen er nur seinen eigenen Herzschlag zu hören glaubte.

Plötzlich durchschnitt das laute Fauchen Schesemtets die Stille, gefolgt von einem erschrockenen Aufschrei.

Schnell fuhr Atemu herum und hastete durch den Raum, hin zu seiner Löwin, die hinter einem Pfeiler saß und den gestellten Eindringling zu Boden drückte.

„Wer bist du, dass du es wagst, in mein Gemach vorzudringen?“ Mit kaum verhohlener Wut in der Stimme trat Atemu um die Säule, sah auf den Boden herab - und erstarrte.

Die Szene, die sich nun vor ihm ausbreitete, war wirklich nicht das, was er erwartet hatte.

Unter den riesigen Pranken der Löwin lag ein junges, braunhaariges Mädchen, das sich mit aller Macht das Kichern verbiss, weil Schesemtet ihr beständig voll Freude über das Gesicht leckte.

„Mana!“ Der Pharao war so perplex, dass er einen kurzen Moment lang nicht ganz sicher war ob er lachen sollte, oder ob seine Wut die Oberhand gewann.

„Ate- Atemu …“ Das junge Magiermädchen brachte die Worte nur schwer heraus, denn wann immer sie versuchte zu sprechen, glitt ihr die Löwenzunge wie ein Waschlappen über das Gesicht. „Nimm … nimm mal Schesemtet von …. mir runter… Bitte! Die- die ist verdammt … schwer!“

Atemu seufzte leise auf und gab seiner Löwin mit einem herrischen Zug an ihrem Halsband zu verstehen, dass sie nun ablassen sollte, was diese nur recht widerwillig tat. „Mana was soll das? Du kannst doch nicht einfach …“
 

„Ach nun sei mal nicht so Atemu. Ich wollte dich einfach mal wieder sehen!“ Mana strahlte den Pharao an und tat als bemerke sie nicht, wie sich dessen Gesicht verdüsterte nachdem sie ihn einfach so unterbrochen hatte.

„Du weißt, dass ich wenig Zeit habe.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und trat wieder auf den Balkon hinaus um über Theben zu blicken.

Mana folgte ihm, verharrte aber nach einem Schritt und musterte den jungen Pharao schweigend. Wie er so dastand, gehüllt in ein weißes Leinengewand, umgeben von einem purpurnen Umhang und geschmückt mit edlem Gold und dem mächtigen Milleniumspuzzle, strahlte er eine erhabene Unnahbarkeit aus.

Ein Lächeln flog über Manas Lippen und sie schüttelte den Kopf. Egal wie sehr Atemu mit Gold behangen war und egal wie schwer die königliche Krone wog … für sie war er immer noch der kleine Junge, mit dem sie früher im Palastgarten herumgerannt war und dumme Streiche ausgedacht hatte. Er war ihr bester Freund und daran würde sich nie etwas ändern.

„Was ist?“ Die dunkle Stimme Atemus riss sie aus ihren Gedanken.

Sie lachte leise, ehe sie beide Beine über die Brüstung schwang und sich dort niederließ. „Ich habe an früher gedacht! Weißt du noch als wir am Nilufer Frösche gefangen haben und sie deinem Vater bringen wollten? Dummerweise sind sie uns entwischt und im Thronsaal hin und her gehüpft, die Senatoren waren ganz außer sich, aber dein Vater hat nur gelacht und die Besprechung eben verschoben. Ich hab später eine saftige Strafpredigt von Mahad bekommen. Ich solle den Prinzen nicht ständig in dumme Situationen bringen und blabla… Eigentlich die gleiche Strafpredigt, wie ich sie immer bekommen habe, wenn du und ich unterwegs waren.“ Mana lachte fröhlich auf und baumelte mit den Beinen, aber auf Atemus Gesicht war keine Regung zu erkennen.

Ernst und beherrscht stand er da, als erreichten ihn Manas Worte gar nicht.

„Atemu?“ Fast schon zaghaft raunte das Magiermädchen den Namen und als er wieder nicht reagierte, tippte sie ihm vorsichtig auf die Schulter. „Sag mir was mit dir los ist, Atemu“, forderte sie ihn nun sanft auf. „Ich weiß, dass du jetzt Pharao bist und dass es nicht mehr so ausgelassen und fröhlich werden kann wie früher. Aber … du hast dich so verändert, ich erkenne dich kaum wieder.
 

Der Pharao zuckte leicht mit den Schultern und wandte sich nun endlich wieder seiner jungen Freundin zu „Wie du sagst, ich bin nun Pharao, Mana. Die Zeiten des Herumalberns sind vorbei.“

„Aber Atemu, ich finde da-“

„Nichts ’aber‘, Mana. Verstehst du nicht? Im Land herrscht Krieg, ich koordiniere die Fronten, leite Oberägypten und bin an der Spitze der Hierarchie. Was verlangst du von mir? Dass ich aus dem Palast schleiche und den Medjay dumme Streiche spiele?“

Erschrocken rutschte Mana ein Stück ab und starrte den Pharao mit großen Augen an. Dann aber presste sie ihre Lippen zu einem schmalen Spalt zusammen, glitt von der Brüstung herunter und ging an ihm vorbei, ohne ihm einen weiteren Blick zu schenken. Erst an der Tür angekommen wandte sie sich noch einmal um und drückte die königliche Löwin einen Moment lang fest an sich. „Atemu…“ Sie erhob sich wieder und sah zu dem weißgekleideten Mann zurück, der mit dem Rücken zu ihr stand. „Hörst du dich eigentlich überhaupt noch selber sprechen? Ja, du bist Pharao, das habe sogar ich mittlerweile verstanden, stell dir vor ich war sogar bei der Krönungszeremonie anwesend.“

„Mana, achte auf deinen Ton, du-“

„Nein ich achte nicht auf meinen Ton, sondern sage was ich denke. Wann warst du das letzte Mal auf der Baustelle deines Totentempels und hast die Fortschritte begutachtet? Wann warst du das letzte Mal in Theben und hast dich dem Volk gezeigt? Wann warst du das letzte Mal auf der Jagd? Wann-“

Mana unterbrach sich und biss sich leicht auf die Lippen, ehe sie leise und hörbar traurig weiter sprach. „Wann hast du das letzte Mal gelächelt, Atemu?“
 

„Mana!“ Der schneidende Ausruf ihres Namens erreichte das Magiermädchen nicht mehr, sie war nach ihren letzten Worten schon aus dem Gemach gelaufen und hatte den Pharao einfach stehen lassen.

„Was erlaubt sie sich eigentlich?“ Noch nie hatte es jemand gewagt so mit ihm zu sprechen.

Mit wehendem Umhang lief er in seinem Gemach auf und ab, während die Worte seiner Freundin hinter seiner Stirn pochten. Er war so aufgebracht, dass er gar nicht realisierte wohin er seine Schritte setzte und mit unbedachter Zielsicherheit genau auf die Schwanzspitze Schesemtets trat, die daraufhin mit einem Fauchen hochfuhr. Er war froh jemanden zu haben, an dem er seine schlechte Laune auslassen konnte. „Wenn du nichts Besseres zu tun hast als mir im Weg zu liegen, dann geh!“ Mit einer energischen Handbewegung scheuchte er sie davon, was die Löwin dazu brachte, ein dunkles Grollen von sich zu geben, während sie unwillig außer Sichtweite schlich. Wütend zog Atemu seinen Umhang von den Schultern und ließ sich auf dem Bett nieder. Die Stille, die jetzt in dem Zimmer herrschte, lastete schwer auf ihm.

Wann hast du das letzte Mal gelächelt, Atemu?

Manas Stimme klang so deutlich in seinen Ohren, als würde sie neben ihm stehen. Mit leisem Seufzen ließ er sich hintenüber auf die Matte fallen und sah zur reich verzierten Decke des Palastes auf. Ja … wann hatte er das letzte Mal gelächelt? Sie schienen lange her, diese unbeschwerten Tage der Kindheit.

„Was ist eigentlich geschehen?“ murmelte der junge König Oberägyptens vor sich hin, doch im Grunde wusste er die Antwort.

Er hatte es selbst so gewollt.

Es war der einzige Weg gewesen.



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