Ich bin bei dir
1 Stunde später:
Wir haben nicht bemerkt, wie lange wir schon auf dem Klinikgelände sind. Der Schock und die Angst waren einfach zu groß. Nun kommt der Arzt welcher uns vorhin die erschütternde Wahrheit gesagt hat nach draußen zu uns. Er sagt, dass es ihm Leid tut, dass er uns einfach so rausgeworfen hat und dass er unsere Reaktionen verstehen kann. Ich nicke schweigend und Seto sieht wieder hasserfüllt zu ihm. „Sie wissen überhaupt nichts. Als Arzt in Kriegszeiten ist der Tod doch Alltag für Sie. Sie meinen, dass Sie es verstehen, aber dass sagen Sie nur, weil sie es moralisch gesehen müssen. Sie haben keine Ahnung, wie Kisaki sich fühlt, jetzt wo sie weiß, dass sie nicht mehr lange leben wird und Sie wissen auch nicht, was ich empfinde, wenn ich die einzige Frau, die ich liebe bald für immer verlieren werde. Sie wissen nicht, was wir bereits durchmachen mussten und es geht Sie auch nichts an. Für Sie sind die Lebenden nur Geld und die Toten nur Zahlen in einer Statistik. Wenn Sie keine Möglichkeit finden, ihr zu helfen, will ich Sie nie wieder sehen.“ Der Arzt seufzt und sagt, dass er mit jedem Patienten mitfühlt und dass es im Moment wirklich keine Möglichkeit gibt. Selbst eine Herztransplantation würde nichts bringen. Erneut entschuldigt er sich. Seto sieht nicht mal mehr zu ihm. Er geht schweigend mit mir in unsere Unterkunft.
In der Unterkunft angekommen, hilft Seto mir dabei, mich auf die Couch umzusetzen. Er setzt sich neben mich und nimmt mich schweigend in die Arme. Nach einer Weile spüre ich, wie Lilly mich am Bein an stupst. Sie spürt unsere Trauer und ich streichle sie wortlos. Wieder vergehen Minuten und Stunden. Erst jetzt werden mir die Zeit und die Vergänglichkeit immer mehr bewusst. Seto hält mich noch immer und ich schlafe nun in seinen Armen ein. Obwohl ich schlafe, spüre ich, wie er mich ins Bett trägt, sich neben mich legt und mir immer wieder über meinen linken Arm streichelt. Ich genieße es und versuche mich nur auf seine Berührungen zu konzentrieren. Nach einer Weile bin ich so tief eingeschlafen, dass ich anfange ein wenig zu träumen. Ich erinnere mich an die schönen Momente, die ich dank Seto hatte und wieder laufen mir Tränen übers Gesicht. Im Unterbewusstsein höre ich, wie Seto zu mir spricht und mich beruhigen will. Er küsst mich nun auf die Stirn und schläft auch ein.
Am nächsten Tag:
Ich schlafe noch sehr lange und merke deshalb nicht, dass Seto bereits das Frühstück für uns gemacht hat. Er kommt nun zu mir und weckt mich leise. Ich sehe zu ihm und begrüße ihn mit einem traurigen „Guten Morgen“. Ich ziehe mich nun an und gehe mit ihm ihn die Küche. „Warum soll ich überhaupt noch essen, trinken oder atmen?“ Seto legt mir ein Brötchen auf den Teller und sieht mir in die Augen. „Weil ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben habe und du solltest das auch nicht. Die Ärzte forschen bereits und wenn es eine Möglichkeit gibt, dir zu helfen, werde ich den Ärzten so viel Geld wie nötig geben, damit sie dich heilen. Wenn dann trotzdem noch eine Herztransplantation nötig ist, werde ich dir mein Herz geben.“ Meine Augen weiten sich und ich schüttle meinen Kopf. „Nein…ich lasse von mir aus alle Schmerzen über mich ergehen, aber bitte…bitte gib dich nicht für mich auf. Du kennst mich doch noch gar nicht solange und du hast einen Bruder in deiner Zeit, der dich braucht. Er, deine Firma und deine Freizeitparks du hast so viel, gib das nicht auf. Ich will nicht, dass du wegen mir stirbst.“ Seto legt seine Hand an mein Kinn und hebt meinen Kopf leicht an. „Mein Bruder ist zwar noch jung, aber er ist sehr intelligent. Ich habe ihm alles beigebracht, damit er alleine klar kommt, falls ich mal nicht mehr bin. Ich bin schon sehr lange hier bei dir. Sicherlich denkt jeder in meiner Zeit, dass ich längst tot bin. Außerdem kann es doch auch möglich sein, dass es auch noch einen anderen Weg gibt. Ich weiß, ein bis zwei Wochen ist eine kurze Zeit, aber ich werde weiterhin hoffen, dass sie rechtzeitig etwas finden, was dir helfen wird.“ Er kommt mir nun näher und flüstert „Ich liebe dich.“, bevor er mich küsst um mich auf andere Gedanken zu bringen. Ich erwidere den Kuss und kann so wieder neue Hoffnungen schöpfen.
3 Tage später:
Unterkunft/geheimer Ort
Mein Zustand hat sich mit jedem Tag verschlechtert. Es gibt kaum noch Momente, in denen mein Herz etwas ruhiger und damit normaler schlägt. Jeder Herzschlag fühlt sich wie ein innerer Tritt gegen meinen Brustkorb an und ich kann kaum noch klar denken. Ich weiß, dass es für mich längst zu spät ist und auch wenn Seto noch immer von Hoffnung spricht, weiß ich, dass auch er diese schon aufgegeben hat. Immer wieder frage ich mich, was aus Seto, Takeru und Lilly wird, wenn ich nicht mehr da bin. Einerseits will ich, dass Seto wieder in seine Zeit geht, damit er bei seinem Bruder sein kann aber andererseits weiß ich nicht, was dann aus den anderen beiden wird. Seto sagte, dass er in seiner Zeit forschen wird, bis er eine Möglichkeit findet, wie er mich und die beiden in seine Zeit holen kann. Es ist Mittag und weder Seto noch ich haben bis jetzt viel gesprochen. Irgendetwas tief in mir scheint zu spüren, dass dies mein letzter Tag oder die letzte Nacht wird. Seto hält mich schon sehr lange in seinen Armen und streichelt über meinen Rücken. Er war nie jemand, der mich bemitleidet hat oder auf kitschige Aktionen wie Händchen halten stand. Er ist jemand, der genau weiß, was er wann tun oder sagen muss. Ich sehe nun zu Seto hinauf. „Seto…kannst du mir bitte einen Gefallen tun?“ Er sieht zu mir und nickt. „Ich möchte noch einmal zu unserem Ort. Kannst du mich bitte dort hinbringen?“ Seto sieht traurig zu mir als wüsste er, warum ich ihn genau jetzt danach frage. Er hilft mir in den Rollstuhl. Ich sehe noch einmal zu Lilly und nehme sie in die Arme. „Ich hab dich lieb meine Kleine.“ Sie stubst mich nun mit ihrem Pfötchen an, als wolle sie mich trösten. Ich schmuse noch eine ganze Weile mit ihr um mich so von ihr zu verabschieden. Ich will sie nicht mitnehmen, weil ich nicht will, dass ihr kleines Herzchen dass verkraften muss. Ich setze sie nun ab und Seto bringt mich nun zu dem Geheimen Ort.
Traurig sehe ich zu der Stadt, die ich einst meine Heimat nannte, herab. Nun stehe ich auf und laufe wackelig bis zu der alten Trauerweide. Seto hilft mir und ich halte mich an ihm fest. Ich kaure mich nun in das weiche Gras und halte mir meine Hand an mein Herz. Seto nimmt mich nun in die Arme. „Ich habe solche Angst, Seto…Es tut mir leid, aber ich kann nicht mehr. Ich will dich nicht verlassen, aber mein Körper ist zu schwach für mein Herz. Wir hatten uns mal ein Versprechen gegeben, dass ich auf dich warten werde, damit wir auch in deiner Zeit zusammen sein können. Ich…ich muss es brechen, denn ich werde nie so alt werden. Bitte vergib mir.“ Seto zieht mich vorsichtig zu sich, sodass mein Kopf neben seinem ruht und ich ihn auch hören kann, obwohl er sehr leise spricht. „Es ist nicht deine Schuld. Ich wünschte, ich hätte mehr für dich tun können und in meiner Zeit hätte ich das auch geschafft. Ich liebe dich und ich werde dich immer in meinem Herzen tragen. Auch in meiner Zeit wird nie eine andere Frau deinen Platz einnehmen, dass verspreche ich dir. Ich danke dir, weil du immer für mich da warst und mir verziehen hast. Du hast in mir das gesehen, was ich niemandem gezeigt habe.“ Ich streichle mit meiner Hand über Seto’s Wange und sage ihm, dass er viel mehr für mich getan hat, als er hätte tun müssen. Auch ich bin ihm dankbar, für alles, was er für mich getan hat. Nun spüre ich, wie meine Sehkraft nachlässt und ich mich anstrengen muss, um bei Bewusstsein zu bleiben. Seto merkt es auch. Er streichelt mir mit seinen Fingern durch die Haare und küsst mich auf meinen Mund. Mit letzter Kraft erwidere ich diesen, bevor ich meine Augen schließe und ihm ein letztes Mal sage, dass ich ihn liebe. Meine Sinne schwinden nun, nur ganz leise höre ich noch, wie Seto schluchzt und „Ich werde dich immer lieben und niemals vergessen meine Kleine.“ sagt.
Ein paar Minuten später:
Ich spüre ein seltsames Kribbeln, welches meinen ganzen Körper durchflutet. Ansonsten spüre ich nichts Außergewöhnliches. Meine Schmerzen sind mit einem Mal weg. War das alles nur ein Traum? Ich öffne meine Augen und sehe Seto. Er schaut auf mich herab, doch er sieht sehr traurig aus. Ich frage ihn, warum er so traurig ist, doch er antwortet mir nicht. Es ist als würde er mich überhaupt nicht sehen. Ich will meine Hand erneut an seine Wange legen, doch ich greife durch ihn hindurch. Er legt nun seine Hand an die Stelle, wo ich ihn gerade berühren wollte. Ich begreife nun, dass ich tot bin. Doch um sicher zu gehen, stehe ich auf und schaue mich um. Tatsächlich liegt mein Körper noch immer in Seto’s Armen. Seto streichelt immer wieder durch meine Haare und über meine Wange. Obwohl ich nicht mehr in meinem Körper bin, spüre ich jede seiner Berührungen. Es zerreißt mich, Seto so traurig zu sehen. Auch wenn ich wieder durch ihn hindurch greifen werde, gehe ich zu ihm und umarme ihn. „Ich bin bei dir, Seto. Bitte sei nicht traurig. Ich habe nun keine Schmerzen mehr und werde an deiner Seite sein.“ Er scheint nicht zu hören, was ich sage, aber irgendwie bemerkt er meine Berührungen und als ich ihn auf die Wange küsse, hebt er seinen Kopf, seine Augen weiten sich und er sagt leise „Kisaki“. Erneut spreche ich zu ihm, sage, dass ich bei ihm bin und dass ich ihn nicht allein lassen werde. Diesmal scheint er es sogar zu hören. Wahrscheinlich nimmt er es, wie eine innere Stimme war. Er bedankt sich leise. Nun laufen Tränen über sein Gesicht, doch er lächelt ein wenig. „Ich spüre, dass du noch immer bei mir bist. Nun bist du endlich frei. Gozaburo wird dir nie wieder schaden können und ich hoffe, dass du nun keine Schmerzen mehr hast. Ich werde weiter nach Takeru suchen und Gozaburo für das, was er getan hat bestrafen. Bitte sorge dich nicht um mich, ich bin stark und werde mich um Takeru und Lilly kümmern. Finde deinen Frieden, mein kleiner Engel.“
Liebe Grüße, Kisaki Kaiba