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Erinnerst du dich an den Regen?

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von

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I.

Zwischen Wales und Rumänien bestand ein gewaltiger Unterschied. Was Charlie Weasley am meisten beschäftigte, war die Menge an Menschen, egal ob Zauberer, Hexen oder Muggel. Rumänien besaß mehr Ruhe, mehr Natur, mehr Leere. Wales dagegen schien – wie zuviele Orte Großbritanniens – nur so vor Menschen zu wimmeln.

Da war es kein Wunder, dass die Tierwesenbehörde des Zaubereiministeriums gemeinsam mit den zuständigen Muggelministern – dem Secretary of State for Wales sowie dem Secretary of State for Environment, Food and Rural Affairs – entschieden hatte, dass das Reservat für den Walischen Grünling am besten im Pembrokeshire Coast National Park untergebracht war. Hier waren die Muggel zu bestimmten Verhaltensweisen angehalten, konnten gut überwacht und die Drachen effektiv bei höchster Bewegungsmöglichkeit versteckt werden.

Das war natürlich das absolute Gegenteil zu Rumänien, wo sich das Reservat in einer nahezu menschenleeren Gegend befand, sodass es kein Problem war, die Drachen vor den Muggeln zu verbergen. Hier waren die Herausforderungen ganz andere.

Aber Charlie hatte neue Herausforderungen gesucht. Und insbesondere hatte er nach der Schlacht von Hogwarts und dem Tod seines Bruders Fred Weasley am 2. Mai 1998 wieder näher bei der Familie sein wollen. Obwohl das Ganze nun schon dreieinhalb Jahre her war, trug er noch immer Schuldgefühle mit sich, weil er nicht rechtzeitig dort gewesen war, um ab Beginn der Kämpfe in der großen Halle seiner ehemaligen Schule an der Seite seiner Familie zu stehen. Er war zu spät gekommen.

Jetzt war der Weg zwar kürzer, aber irgendwie fühlte er sich seiner Familie noch nicht wieder näher. Aber niemand hatte gesagt, dass es leicht sein würde. Wenn Charlie eins gelernt hatte, dann, dass außer seiner Zeit auf dem Quidditchbesen, nie etwas leicht gewesen war. Er hatte sich seinen Weg immer erkämpfen müssen und jetzt war es nicht anders.
 

Das kleine Dorf Cynffon y draig lag inmitten des Naturschutzgebietes. Es war mit magischen Schutzzaubern vor die Augen von Muggeln abgeschirmt und diente den Drachenhütern als Heimstätte. Hier gab es gerade einmal acht kleine Cottages, einen Gasthof und einen leerstehenden ehemaligen Bauernhof. Das reichte gut aus für alle Drachenhüter. Sie waren auch nicht gerade viele. Charlie war der sechste, der zu ihrem kleinen Team gestoßen war.

Es gab hier noch die anderen Drachenhüter Jeremiah Stormchaser, Tina Macmillan, Georgus Flint, Temperance Jenkins und Beech McLaird. Außerdem lebte in dem Dorf noch das Ehepaar O'Toad, das den Gasthof Ogof y draig – Drachenhöhle – führte. Dagegen war in Rumänien mit ihrem einem Dutzend Personen umfassenden Team viel mehr los gewesen. Aber wirklich schlimm fand Charlie das nicht. Im Gegenteil – er fand es ganz angenehm, es nur mit einer überschaubaren Anzahl von Personen zu tun haben. Manchmal hatte er sogar das Gefühl, dass Menschen ihm generell zuviel wurden. Ganz im Gegensatz zu den Drachen. Die Arbeit mit ihnen, ihre Erforschung und ihr Schutz – vor Muggeln, aber auch vor Zauberern und Hexen – würde wohl immer etwas sein, das er über alles liebte. Der Walisische Grünling war natürlich etwas anderes als das Rumänische Langhorn (sowie die diversen anderen Drachenarten, von denen einzelne Exemplare in dem rumänischen Reservat lebten), aber dennoch bedeuteten Drachen für Charlie eine gewisse Sicherheit.

Das einzige Problem war, dass es in Wales deutlich mehr regnete als in Rumänien.
 

Es war ein Montag und am Montag hatte Charlie meistens die Frühschicht. Heute war er gemeinsam mit der etwa fünfzigjährigen – über ihr genaues Alter schwieg sie sich hartnäckig aus – Hexe Temperance Jenkins unterwegs. Gemeinsam flogen sie mit ihren Besen, die hier in dem urwüchsigen Wald das beste Transportmittel waren, hinaus zur Drachenkolonie und beobachteten diese aus sicherer Entfernung. Gleichzeitig waren Beech McLaird und Jeremiah Stormchaser unterwegs, um etwaige Muggelbesucher auf den richtigen Weg zurückzubringen. Es gab zwar genügend Warn-, Tarn- und Ablenkungszauber, aber ganz sicher konnte man bei Muggeln nie sein. Es waren schließlich Muggel.

Mit Temperance war Charlie ganz gerne unterwegs. Sie war stets konzentriert bei der Arbeit und hatte ein sehr gutes Gespür für die Drachen.

Die Kolonie der Walischen Grünlinge war recht klein. Gerade einmal ein Dutzend Drachen lebte noch hier. Drachen vermehrten sich langsam, außerdem gab es früher Muggel – aber auch Hexen und Zauberer –, die Drachen getötet hatten. Dazu kam, dass es schwierig war, eine große Population vor den Muggeln zu verbergen. Daher gab es große Reservate wie das in Rumänien, in denen verschiedene Drachenarten angesiedelt wurden. Wurden es in Wales zuviele Grünlinge, so mussten die überzähligen Jungtiere in einem anderen Reservat angesiedelt werden. Das gehörte zu den Dingen, die Charlie nicht besonders gut fand, die aber notwendig waren.

Merlin sei Dank, hatte er aber bislang noch kein Jungtier einfangen müssen. Seine Erfahrungen beschränkten sich bisher in Rumänien auf die andere Seite dieses Vorgehens: Die Ankunft eines traumatisierten Jungdrachens, der sich an einem fremden Ort mit fremden anderen Drachen zurechtfinden musste. Es war grausam. Grausam, aber leider notwendig. Die einzige andere Alternative hätte sonst darin bestanden, dass die Drachen wieder gejagt werden mussten.
 

Charlie Weasley machte seinen Job in Wales seit knapp sechs Monaten, als auf einmal Neuigkeiten die Drachenhüter aus ihrer Routine rissen.

Sie saßen zum gemeinsamen Teamfrühstück im Ogof y draig, als ihr Teamleiter Jeremiah Stormchaser, ein alternder Zauberer von knapp siebzig Jahren, das Wort ergriff.

„Wie mir das Ministerium per Eileule mitgeteilt hat, wird sich hier in Kürze etwas ändern. Der Bauernhof wurde aufgekauft und wird in ein Sanatorium umgebaut.“

„Ein Sanatorium?“, entfuhr es der temperamentvollen Hexe Tina Mcmillan. „Was soll ein Sanatorium mitten hier im Wald und in der Nähe der Drachen?“

„Nun, genau das ist das Argument des Käufers. Hier können die Patienten sich weit genug entfernt von ihrem Alltag erholen, Drachen beobachten – was wohl uns einbeziehen soll –, die Natur genießen und gesund werden“, zitierte Stormchaser aus dem Brief des Ministeriums.

„Was für eine Koboldkacke“, knurrte Beech McLaird. Der ohnehin meist grimmige Zauberer hatte die Nachtschicht übernommen und war entsprechend müde sowie gedanklich nahezu auf dem Weg ins Bett. Doch jetzt war er schlagartig hellwach und blitzte die Runde aus seinem bartüberwucherten Gesicht an.

„Es ist zumindest unerwartet“, sagte Charlie sanft. Er selbst setzte eher auf überlegte Handlungen, anstatt von Anfang an alles zu verteufeln. Auch wenn er diese Entscheidung des Ministeriums im ersten Moment nicht nachvollziehen konnte. „Wir sollten nur bedenken, wie gut es uns in der Natur geht. Warum sollte das einem Patienten nicht helfen?“ Er hob die Schultern.

Seine Worte sorgte für einen kurzen Moment der Stille, eher das Geschnatter wieder losging. Charlie hielt sich raus und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Er war neugierig, wie sich die Dinge weiterentwickeln würden. Er konnte sich ein Sanatorium schwerlich mitten in einem Drachenreservat nicht vorstellen. Aber vielleicht war das wirklich keine schlechte Idee. Seine Albträume und Schuldgefühle waren jedenfalls geringer, wenn er sich draußen aufhielt. Außerdem wäre es ja auch vielleicht nicht das schlechteste, einmal neugierig in dem Sanatorium vorbeizuschauen, wenn es denn eröffnet hatte. Diesen Gedanken schob er allerdings möglich schnell wieder bei Seite. Es gab Dinge, über die wollte er nicht unbedingt mehr als notwendig nachdenken.



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