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Last Desire Extra

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
pri_fairy hat mich mal gefragt, ob ich ein Kapitel darüber schreiben könnte, wie es dazu kam, dass Anne Ludwig den Mann getötet hat, den sie liebt, um Kenan zu retten. So, ich hoffe, dir gefällt das Kapitel, Engelchen! Komplett anzeigen

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Das Opfer der eiskalten Madonna

Der Winter war hart und grausam und der Frost bedeckte die Felder und machte sie hart und rau. Der Krieg hatte Europa zerrüttet und vorsorglich war Anne gemeinsam mit Kenan in Richtung Osten weitergezogen, da sie sich sicher war, in den Wäldern von Russland besser vor den Unruhen geschützt zu sein, nachdem der Krieg schon fast 10 Jahre andauerte und sie sich immerzu neue Verstecke suchten mussten, um nicht an die Soldaten zu geraten. Da Frankreich, Dänemark, Schweden und Deutschland allesamt in diesem Krieg verwickelt waren und Frankreich nach Annes Einschätzung auch keinen sonderlichen Schutz bot, zog sie deutlich Russland, da sie dort sehr gut vertraut war und schon einmal dort zusammen mit Kenan gelebt hatte. Zwar war sie in das Massaker von November 1500 reingeraten, aber inzwischen waren 128 Jahre vergangen und da konnte man ja annehmen, dass sich die Wogen inzwischen geglättet hatten. Während Anne weiterging, saß Kenan auf einem Pferd, welches sie unterwegs einem Soldaten abgenommen hatte, nachdem sie ihn getötet und ausgeraubt hatte. Da sie schnell gemerkt hatte, dass ihr Schützling nicht die Kondition besaß, um mit ihr mithalten zu können und sie ihn nicht ständig auf dem Rücken tragen konnte, hatte sie sich dazu entschlossen, ihn auf dem Pferd reiten zu lassen. Sie selbst lief zu Fuß, da sie keinen Grund sah, warum sie reiten sollte, denn immerhin war sie lange genug zu Fuß unterwegs gewesen und damals, vor über 15.000 Jahren waren Pferde noch Jagdbeute gewesen.

Das Leben mit Kenan war am Anfang erst ein wenig schwierig gewesen. Sie hatte sich erst mal daran gewöhnen müssen, dass sie jetzt nicht mehr alleine war und auf jemanden aufpassen musste. Wenn sie auf die Jagd ging oder das Gebiet nach potentiellen Eindringlingen absuchte, durfte sie nicht mehr allzu lange wegbleiben und vor allem Acht geben, dass Kenan auch in Sicherheit war. Ein Mal war es vorgekommen, dass eine Gruppe Banditen sich in der Hütte, wo sie gelebt hatten, Unterschlupf suchten und versucht hatten, Kenan zu töten. Zum Glück war Anne noch rechtzeitig zurückgekommen und hatte die Banditen getötet, bevor sie Kenan etwas antun konnten. Aber dieser Vorfall war ihr eine Lehre gewesen, dem Herzogtum Braunschweig vorerst wieder den Rücken zu kehren und in den Wäldern Russlands Schutz zu suchen. Vor allem, weil sich die Menschen immer weiter ausbreiteten, würde es sowieso immer schwieriger werden, sich vor ihnen zu verstecken. Nun waren sie schon knapp fünf Stunden unterwegs und es war nirgendwo eine Behausung in Sicht, die sie fürs Erste übernehmen konnten. Und das wurde langsam zum Problem, denn es wurde allmählich dunkel und bei den Temperaturen würde es für Kenan schwer werden. Vor allem, weil er sowieso schon durch die lange Reise so erschöpft war. Sie konnte problemlos den ganzen Tag auf Wanderschaft bleiben, aber nicht Kenan. Er bremste sie deutlich aus, aber das war für sie nicht schlimm. Sie hatte ihren Schützling bereits so sehr ins Herz geschlossen, dass sie ihn nie im Leben zurückgelassen hätte. Am Anfang hatte sie noch geglaubt gehabt, das würde nichts werden mit einem Zusammenleben mit Kenan. Sie, die schon vor langer Zeit ihr Herz für immer verschlossen hatte und sie sogar schon 1.000 Jahre ohne ein Wort ausgekommen war, mit einem lebenslustigen kleinen Jungen, der viel Liebe und Aufmerksamkeit brauchte. Doch wie sich herausstellte, war das Leben mit Kenan einfacher als gedacht, denn der Junge war genügsam und brauchte keine großen Worte. Er schien glücklich damit zu sein, bei Anne bleiben zu dürfen und dass sie sich um ihn kümmerte. Solange sie ihm zeigte, dass er ihr wichtig war, war er glücklich und ihn glücklich zu sehen, war für die Halb-Naphil das Wichtigste.

Doch nun war die Nacht hereingebrochen und es wurde immer kälter, der Wind nahm zu und im Freien zu übernachten würde schwierig werden. „Anne, mir ist kalt und ich bin müde“, klagte Kenan, der in einen dicken Mantel gewickelt war und sich kaum noch auf dem Pferd halten konnte. Sie wusste, dass er nicht mehr lange durchhalten würde, aber es war nirgendwo eine Unterkunft zu sehen. Und so langsam aber sicher zog ein Schneesturm auf. Überallhin ließ sie suchend ihren Blick schweifen, wurde aber nirgendwo fündig. „Hey!“ eine Stimme war schwach durch den laut heulenden Wind zu hören und Anne horchte auf. „Hierher!“ Sie musste genau hinsehen, um zu erkennen, dass ihr da jemand zuwinkte und eine Laterne hochhielt. Zuerst überlegte sie, ob sie denjenigen nicht besser töten sollte, aber in Anbetracht der Umstände war es vielleicht nicht die ratsamste Idee. Kenan musste dringend ins Warme und er brauchte Ruhe. Also folgte sie dem Licht der Laterne und konnte dann auch eine Aura spüren. Es war die Aura eines Seraphs, wenn sie nicht alles täuschte.

Kurzerhand entschloss sie sich, dem Seraph zu folgen und sah auch schon einen jungen Mann, der energisch zu sich winkte. „Kommt mit! Der Schneesturm wird immer schlimmer. Ich habe eine Hütte, wo ihr geschützt seid.“ Da Kenans Leben den absoluten Vorrang für Anne hatte, entschied sie sich entgegen ihrer sonstigen Art, das Angebot anzunehmen und dem jungen Mann zu folgen. Und tatsächlich erblickten sie bald eine Hütte, in welche sie schließlich hineingeführt wurden. Ein warmes Feuer prasselte im Kamin und sofort der Fremde ihnen warme Decken an. „Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich heiße Korban. Echt unglaublich, dass ich ausgerechnet eine Naphil finde. Dabei hatte ich zuerst gedacht, ich würde einen Sefira wahrnehmen, der einen Diener bei sich hat. Setzt euch doch.“ Anne zögerte noch, aber da Kenan müde war, ging sie der Aufforderung nach und sogleich legte Kenan müde seinen Kopf auf ihrem Schoß und war sofort eingeschlafen. Zärtlich streichelte sie seinen Kopf dabei. Korban bot ihr etwas Schnaps an, den sie wortlos entgegennahm. „Sag mal, wie kommt es, dass du diesen Jungen bei dir hast?“ „Gerettet.“ Das war das Einzige, was sie sagte. Da Kenan inzwischen an ihre schweigsame Art gewöhnt war, war es für sie ohnehin schon sehr schwer, sich selbst dazu zu bewegen, mehr zu reden. Doch Korban schien das zu genügen. „Und wie ist dein Name?“ „Anne.“

„Aha… und… und dein richtiger Name?“

„Hab ihn vergessen.“

„Ach echt? Und wie lange lebst du schon hier?“

„Weiß nicht. Kam während der letzten Eiszeit in diese Welt.“

„Während der Eiszeit?“ rief Korban fast, senkte aber seine Stimme, um Kenan nicht aufzuwecken. „Das… das war für über 21.000 Jahren.“ Sie zuckte gleichgültig mit den Achseln und wunderte sich ein wenig über diese Reaktion. „Meine Güte“, murmelte der Naphil. „Ich hab noch nie gehört, dass ein Halbblut jemals dieses Alter erreicht hat. Dabei werden die Nephilim allerhöchstens 500 Jahre alt und danach sterben sie. Unglaublich. Das übertrifft die maximale Lebenserwartung ja knapp um das 42-fache.“ Er lachte und nachdem sie sich mit etwas Alkohol aufgewärmt hatten, aßen sie etwas und Korban begann zu erzählen. Er besaß eine freundliche, redselige und unbefangene Art und schien sich überhaupt nicht an Annes verschlossener und stiller wie abweisender Art zu stören. Er war sehr herzlich und irgendwie erinnerte er Anne an jemanden, den sie vielleicht mal vor sehr langer Zeit gekannt hatte. Vermutlich an ihre Eltern… Nach ihrem Tod hatte sie nie wieder dieselbe Liebe erfahren dürfen und nun geschah das hier. Es fühlte sich merkwürdig an und sie konnte sich nicht erklären, was es war. Seltsamerweise fühlte sie sich irgendwie geborgen hier, als wäre sie sicher. Wie damals vor sehr langer Zeit…

Als der Schneesturm vorbei war und sie die Möglichkeiten hatten, weiterzuziehen, blieb Anne noch bei Korban und beschloss, sich hier für eine Weile niederzulassen, bevor sie weiterziehen würden. Korban ließ sie gerne bei sich wohnen und versicherte ihnen, dass sie so lange bleiben durften wie sie wollten. Seine Herzlichkeit und seine Hilfsbereitschaft blieben nicht ohne Wirkung. Kenan schloss ihn schnell ins Herz und fühlte sich sehr wohl bei ihm und sogar Anne entspannte sich ein wenig, wenn auch gleich sie nicht weniger wachsam blieb. Zuerst setzte sie sich eine Frist von einer Woche, bevor sie weiterziehen würden. Doch da dieser Winter besonders hart war und es kaum was zu essen gab, musste sie ihre Pläne verschieben und wollte bis zum Ende des Winters bleiben und dann weiterziehen. Es war das Beste für alle Beteiligten. Doch dann kam der Frühling und Anne und Kenan blieben immer noch bei Korban. Selbst als der Sommer und dann der Herbst kamen, zogen sie nicht weiter und blieben stattdessen in der Hütte. Korban freute sich darüber, da er ganz alleine war, nachdem seine Eltern verstorben waren. Sie waren beide während der Blutnacht hingerichtet worden, in der fast alle Seraphim hingerichtet worden waren, bis auf wenige, die entweder loyal genug waren, oder die Schutz und Gnade bei anderen fanden oder fliehen konnten. Korban hatte sich erst in der Heimat versteckt, war dann aber in die Menschenwelt geflüchtet, als es zu brenzlig für ihn wurde. Er und Anne kamen sich schon bald näher, auch wenn die „Madonna mit den Eisaugen“, wie sie von einigen in der Vergangenheit genannt worden war, kaum redseliger wurde. Doch man sah auch etwas anderes in ihren bernsteinfarbenen Augen und etwas Leben kehrte in ihr Gesicht zurück. Zum ersten Mal lächelte sie nicht nur für Kenan, sondern auch für jemand anderen. Und ein zögerlicher und etwas unbeholfener Kuss brach schließlich das letzte Eis, das Annes Herz fest wie eine feste Schicht umschlossen hatte. So wurden sie eine kleine Familie. Kenan freute sich sehr darüber und er blühte sogar noch weiter auf. Anne fand sich mit ihrem neuen Leben in einer etwas ruhigeren Umgebung ganz gut zurecht, auch wenn sie knapp ein Jahr gebraucht hatte, um sich ein wenig daran zu gewöhnen. All das war noch so neu gewesen. Zwar mied sie die Menschen immer noch und überfiel Reisende, aber sie hatte Vertrauen zu Korban gefasst und auch Gefühle für ihn entwickelt. So verrückt und unwahrscheinlich das auch klang, aber zum ersten Mal war ihr jemand fast genauso wichtig wie Kenan. Zwar war Kenan immer noch die allerwichtigste Person in ihrem Leben, aber sie liebte auch Korban. Sie dachte sogar daran, sich hier vielleicht für immer niederzulassen, damit sie eine Familie werden konnten. Schließlich saßen sie eines Tages am Feuer, während sie das Essen kochten und Korban erzählte von der Blutnacht. „Mein Onkel war der Anführer einer Widerstandsgruppe, die sich Shakhar nannte. Sie kämpften für die Rechte der Seraphim und wehrten sich gegen die Unterdrückung der Sefirot. Die Shakhar haben schließlich einen Anschlag auf die großen Alten verübt, da wir Informationen erhalten hatten, dass die großen Alten die Versklavung der Seraphim anstrebten und das wollten sie mit aller Gewalt verhindern. Doch das Attentat schlug fehl. Miswa überlebte und daraufhin läutete sie die Blutnacht ein, in der über 9.000 Seraphim hingerichtet worden sind.“ Miswa… Der Name weckte Erinnerungen in Anne. Selbst nach all der Zeit hatte sie diesen Namen nicht vergessen und musste sich an den Tag erinnern, als sie hilflos mit ansehen musste, wie Miswa ihre Eltern Shoshana und Tayar getötet hatte. Selbst nach über 21.000 Jahren erinnerte sie sich noch sehr genau daran.

Schließlich krempelte Korban seinen Ärmel hoch und zeigte Anne eine Tätowierung. Es stellte einen Sichelmond dar, der die Sonne fest umschlossen hielt. „Das ist das Zeichen der Shakhar, der Gemeinschaft der Morgendämmerung. Ich bin der letzte Überlebende und wenn die Zeit gekommen ist, werde ich zur Rebellion aufrufen und den großen Alten den Krieg erklären. Dann werden wir uns unsere Freiheit zurückerkämpfen.“ Nun, Anne interessierte sich nicht sonderlich für solche Kriegsgeschichten und was alles in der Heimat vor sich ging. Und sie hatte auch keine Lust, sich in die Angelegenheiten der anderen einzumischen. Sie lebte das Leben, was sie immer geführt hatte und seit Kenan in ihr Leben getreten war. Mit diesem Leben war sie zufrieden und sie hatte auch nicht vor, etwas daran zu ändern. „Was ist eigentlich mit deinen Eltern?“ fragte Korban eines Tages, nachdem sie jetzt schon einige Monate ein Paar waren. Anne dachte nach und versuchte sich an sie zu erinnern, wie sie eigentlich waren, aber das war nicht sonderlich einfach. Immerhin war schon sehr viel Zeit seitdem vergangen. „Meine Mutter war eine Naphil und mein Vater ein Sefira.“ „Wow, dann bist du also eine Halb-Naphil. Dass es so etwas überhaupt schon mal gegeben hat… Aber das erklärt zumindest, wie du so lange leben konntest und warum du eine so starke Aura hast. Wie hießen deine Eltern denn?“

„Tayar und Shoshana.“

„Hm… die Namen sagen mir leider nichts. Naja, hätte ja sein können. Du hör mal, ich muss weg. Ich bin in knapp zwei Tagen wieder da.“

„Ist gut.“ Es kam immer häufiger vor, dass Korban wegging, um sich mit seinen Mitstreitern zu treffen, mit denen er sich wegen der geplanten Rebellion besprechen wollte. Anne hielt sich da komplett raus, auch nachdem sie gefragt wurde, ob sie nicht auch für die Freiheit der Seraphim und der Nephilim mitkämpfen wollte. Doch sie lehnte ab und wollte sich stattdessen lieber um Kenan kümmern. So ging dieses Zusammenleben eine lange Zeit. Sie waren schon eine richtige Familie geworden und Anne ertappte sich sogar selbst dabei, wie sie sich wünschte, dass es niemals anders sein würde. Ja sie war… glücklich. Und das war ein Zustand, den sie schon lange Zeit nicht mehr erlebt hatte. Und von Korban erfuhr sie auch endlich ihren wahren Namen, den er durch einige Informanten herausgefunden hatte. Kabrana… ihr wahrer Name war Kabrana. Und dabei hatte Korban zum Scherz angemerkt, dass sie drei sich das K-Team nennen konnten. Doch es sollte alles anders kommen, als Anne sich vorgestellt hatte. Denn in einer Dezembernacht, als sie wieder mit Kenan allein war und der Junge schon tief und fest schlief, kam Korban hereingestürmt und rief „Wir müssen sofort weg hier! Schnell!“ „Wieso?“ fragte Anne und war sofort aufgestanden. „Jemand hat uns verraten und nun sind die Head Hunter hinter uns her. Und schlimmstenfalls auch die großen Alten.“

„Und dann kommst du hierher?“ rief Anne und nahm den schlafenden Kenan auf dem Arm. Es war das erste Mal seit langer Zeit, dass sie laut wurde, aber sie konnte auch einfach nicht fassen, dass Korban einfach zu ihr gekommen war und damit nicht nur sie, sondern vor allem auch Kenan in Gefahr brachte. „Es tut mir leid, aber wir haben keine Zeit. Wir müssen schnell weg hier.“ Damit packte der Seraph das Nötigste zusammen und wollte gerade nach draußen, doch da war es schon zu spät. Anne spürte schon deutlich, dass sich mehrere Sefirot näherten und das Haus umzingelten. „Anne!“ Kenan, der durch den Lärm aufgewacht war, wollte schon verängstigt zu ihr eilen, doch da drehte sie sich zu ihm um und wies ihn an „Stell dich mit dem Gesicht in die Ecke und dreh dich nicht um!“ Kenan folgte ihrer Anweisung, denn er wusste, dass dann meist etwas folgte, was er nicht sehen durfte. Korban selbst wurde panisch. „Anne, die wollen mich umbringen. Du musst mir helfen!“ „Warum hast du sie hergeführt?“ fragte sie wütend. „Was ist mit Kenan?“

„Verdammt ich stecke bist zum Hals in Ärger und wenn mich die Head Hunter kriegen, bringen die mich um!“ Und sie werden auch mich und Kenan umbringen, wenn sie dich bei uns sehen, dachte Anne. Was hatte er sich nur dabei gedacht, so etwas zu tun? Das Haus war umzingelt und so leicht würden sie nicht aus dieser Situation herauskommen. „Wenn wir kämpfen, kann ich Kenan nicht beschützen.“ „Wer ist dir wichtiger, Anne?“ rief er und ergriff ihren Arm. „Dieses Kind oder ich? Ich dachte, du liebst mich!“

„Zwing mich nicht dazu…“ Der Streit wurde jäh unterbrochen, als die Tür aufgestoßen wurde und mehrere Maskierte hereinkamen. Sie waren bewaffnet und sahen deutlich danach aus, als würden sie keine Gefangenen machen. Anne entfernte sich von wandte sich zu den Maskierten. „Korban, du bist schuldig des Hochverrats und darauf steht der Tod. Versuch gar nicht erst zu fliehen, das Haus ist umstellt.“

„Und wer bist du?“ Anne wandte sich dem Maskierten zu, der sie angesprochen hatte. Wenn der erfuhr, dass sie eine Halb-Naphil war, würde man sofort davon ausgehen, dass sie Korbans Verbündete war. Sie würden Jagd auf sie machen und Kenan wäre nicht mehr länger sicher. Aber wenn sie Korban in den Rücken fiel, würden sie ihn umbringen. Kämpfen konnte sie aber auch nicht, dann würde Kenan sterben. Was sollte sie tun? Nun, es gab nur eine einzige Möglichkeit, doch allein schon der Gedanke daran versetzte ihr einen Stich in die Brust. „Mein Name ist Kabrana, ich habe mich hier mit meinem Diener niedergelassen, da kam dieser Seraph an und ist bei uns eingedrungen.“ Entsetzt wandte sich Korban ihr zu und konnte nicht fassen, was sie da gerade gesagt hatte. Hatte sie ihn gerade wirklich verleugnet und sich gegen ihn und für diesen Jungen entschieden? Aber sie liebten sich doch, warum nur tat Anne das? Bevor er diese Frage stellen konnte, hatte Anne ihm auch schon die Klinge ihres Dolches in die Brust gestoßen, die sein Herz durchbohrte und ihn sofort tötete. Er war augenblicklich tot, doch in seinem Gesicht war noch der Ausdruck der Verwirrung zu sehen, als er zusammenbrach. Anne wandte sich den Head Huntern zu und steckte ihren Dolch wieder ein. „Er gehört euch.“

„Was genau macht eine Sefira mit ihrem Diener in der Menschenwelt?“

„Ich bin beruflich unterwegs.“ Der Head Hunter vor ihr, der offenbar der Anführer der Gruppe war, verstummte und starrte sie an. Anne wusste, dass sie die Aura einer Sefira hatte, weil sie zur Hälfte eine war und nur zu einem Viertel Mensch und einem Viertel Seraph war. Darum überdeckte die Aura ihrer stärkeren Hälfte die anderen, sodass sie gute Chancen hatte, dass der Bluff nicht aufflog. Und tatsächlich fanden die Head Hunter keine Gründe, ihrer Aussage keinen Glauben zu schenken. So nahmen sie Korbans Leiche mit und verschwanden. Als sie verschwunden waren und damit auch ihre Aura, blieb Anne noch eine Zeit lang regungslos da stehen. Sie war wie erstarrt und wirkte völlig apathisch. Dann aber ging sie zu Kenan hin und legte eine Hand auf seine Schulter. „Wir müssen gehen.“ Damit drehte sich der Junge um, der sich die ganze Zeit die Ohren zugehalten hatte und wunderte sich, dass Korban auf einmal nicht da. „Kommt Korban nicht mit?“ „Nein“, sagte sie und senkte den Blick. Und zum ersten Mal sah Kenan Schmerz in ihren Augen. Tiefen Schmerz und Trauer. Noch nie hatte er sie so gesehen, aber er wusste dennoch, dass irgendetwas sehr Schlimmes passiert sein musste, dass Anne so traurig aussah. Aber er wagte es nicht zu fragen. Dann schließlich kniete sie sich hin und nahm ihn in den Arm. Sie drückte ihn fest an sich und sprach kein Wort. Ihr Gesicht selbst ließ keine Regung erkennen. Es war ausdruckslos, aber dafür spiegelte sich alles in ihren bernsteinfarbenen Augen wieder. Schließlich löste Anne die Umarmung, half Kenan in seinen warmen Wintermantel und packte ein paar Vorräte ein. Dann gingen sie nach draußen in die Dunkelheit. Anne setzte Kenan aufs Pferd und verstaute die Vorräte in die Satteltaschen. Dann ging die Wanderung los. Anne hatte aber zum Glück eine Laterne mit, damit sie wenigstens sehen konnten, wohin sie gehen mussten. Aber es wunderte den kleinen Seraph schon, warum sie um die Uhrzeit und dann auch noch bei Dunkelheit weiterziehen mussten. Normalerweise rasteten sie nachts und reisten nur am Tag. Und was war eigentlich passiert, während er in der Ecke gestanden und nichts mitbekommen hatte? Fragend blickte er nun Anne an und sah etwas, was er noch nie bei ihr zuvor gesehen hatte. Sie weinte. Tränen glänzten auf ihrer blassen Wange und sie selbst brachte einfach nicht die Kraft auf, um gegen die Tränen anzukämpfen. Dazu war der Schmerz zu groß. Und in diesem Moment wurde Kenan klar, was passiert war. Korban würde nicht mehr zurückkommen. Er war für immer fort… und das wusste Anne auch. Aber er wusste nicht, was sie getan hatte.

Sie hatte den Mann getötet, den sie geliebt hat, um Kenan zu beschützen. Und damit musste sie von nun an leben. Aber in dem Moment wurde ihr auch eines klar: ihr Name war Kabrana und bedeutete „Totengräberin“. Es war ihr Leben… ihr Schicksal… ihre Vergangenheit und ihre Zukunft. Egal wohin sie gehen würde, der Tod würde ihr ständiger Begleiter sein. Er war ein Teil ihres Lebens. Und wohin sie auch gehen würde, der Tod würde ihr folgen… und eine Spur aus Leichen würde ihren Weg pflastern. Sie war allein und würde ihre Gefühle verschließen. Sie würde nie wieder irgendeinen anderen Mann lieben, nie wieder Sympathien für jemanden entwickeln oder sich irgendjemandem anvertrauen. Solange sie Kenan bei sich hatte, würde sie niemanden brauchen. Das war das Leben, was ihr vorbestimmt war… und welches sie sich ausgesucht hatte. Ein Leben im Exil, dazu verdammt, nirgendwo dazuzugehören. Weder in die Heimat, noch in die Menschenwelt. Weder zu den Vergänglichen, noch zu den Unvergänglichen. Selbst nicht mal zu den Nephilim. Sie war auf ihre Weise allein. Und so würde es sich auch niemals ändern. Aber es war in Ordnung. Kenan war das Einzige, was sie brauchte. Und deshalb würde sie ihn weiterhin mit ihrem Leben beschützen.



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