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Vergiss Mein Nicht

von

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Dom

Er hielt seinen Blick stockend für ein paar Sekunden auf Pamela, bevor er diesen Stacy zuwandte und den beiden Frauen zunickte. Pamela lächelte ihn an; ihre haselnussbraunen Augen strahlten fröhlich mit.
 

Sie hatte dunkelblondes, fast karamellfarbenes Haar, das sich in langen Wellen ihren Rücken entlangschlängelte; ihre Nase war gerade und klein, eine typische Stupsnase. Trotz ihrer äußerst kleinen Statur war sie richtig schlank.
 

Auch sie schien Paul zu kennen; er, der sich trotz der Mühe an nichts erinnern konnte, setzte sich nach einer Weile zu den Frauen. Penelope lächelte ihn an.
 

„Wir wollten gleich eine Pizza bestellen. Habt ihr Lust?“, fragte sie, auch an Cody gewandt, der sich auf den Stuhl neben Pamela gesetzt hatte.
 

„Naja, Paul und ich hatten zwar gerade etwas, aber zu Essen sagen wir nie nein, stimmt's Paul?“, keckerte Cody amüsiert, während er die Füße auf den Tisch legen wollte; ein strenges „Wag' es Freundchen“ von Paul hielt ihn aber mit einer leicht enttäuschten Miene davon ab.
 

„Na dann, ich hole mal eben eine Karte!“
 

Paul lehnte sich zurück und verschränkte genüsslich die Arme hinter dem Kopf; Cody lachte.
 

„He, Bruderherz, wenn du so weiter isst wird es sicher auch mal bei dir die nächsten Wochen ansetzen! Obwohl ich es nicht fasse, dass du nach dem Unfall noch so eine gute Figur hast... Warum hab ich sowas nicht geerbt?“, sagte Cody, während er Paul's straffen und immer noch zweifellos trainierten Oberkörper anstarrte, der sich etwas abzeichnete, nun, da Paul sich etwas zurückgelehnt hatte.
 

„Das liegt daran, dass du einfach nicht der Erstgeborene bist, ha! Nee, im Ernst. Ich werde anfangen zu trainieren, sobald ich kann.“, antwortete Paul gelassen, nur unterbrochen von Penelope's Stimme, die wieder aus der Küche kam und eine Bestellkarte auf den Tisch legte.
 

„Hier, sucht euch etwas aus. Cody, du weißt doch, dass Paul schon immer so ein Glück mit seiner Figur hatte. Manche Menschen haben dieses gewisse Etwas einfach.“
 

„Tss“, war die leise Antwort, die Paul jedoch mit einem Zwinkern an seinen kleinen Bruder abtat.
 

An diesem Abend hatten sie sehr viel Spaß; zum ersten Mal fühlte sich Paul richtig geborgen, nicht mehr so fremd in dieser neuartigen Welt. Seine Familie um ihn zu haben half ihm unheimlich, auch wenn sich nach wie vor keine neuen Erinnerungen auftaten, außer jene, die er im Traum gehabt hatte.
 

Es war schon spät, als Stacy und Pamela sich verabschiedeten; Paul und Penelope standen noch an der Tür, als sie dabei zusahen, wie die beiden Frauen in das Auto stiegen und fröhlich winkten. Paul ertappte sich dabei, wie er Pamela beim Einsteigen in den Wagen auf den Po sah.
 

Es war nicht so, dass er sich schlecht fühlte; jedoch rief er sich schon in den Kopf, dass Pamela erst 18 war und trotz ihrer Attraktivität nichts in seinem Kopf zu suchen hatte. Als hätte Penelope die Gedanken lesen können, wandte sie sich Paul zu. Ihre warmen Arme schlossen sich um seine Mitte, während sie ihren Kopf gegen seine Brust drückte.
 

„Weißt du schon mehr als vorher? Oder ist da immer noch nichts? Manchmal kommt es mir so vor, als könntest du dich erinnern.. Du gehst damit erstaunlich leicht um, Paul.“, flüsterte sie, während sie leise seufzte, als Paul's Hände ihre Schultern umfassten.
 

„Naja, was bleibt mir denn anderes übrig? Ich habe da auch nichts von, wenn ich mich den ganzen Tag wegschließen würde... Oder? Ich weiß nicht, warum ich das so einfach wegstecke, aber im Moment tut es mir einfach gut.“
 

Er sah dem Wagen von Stacy nach, bis er um die Ecke gebogen war; erst dann löste er sich vorsichtig von Penelope, um ins Haus zu gehen, wo er mit Cody einen Abend vor der Videokonsole verbrachte.
 

Der nächste Tag brach mit einer guten Gelegenheit an: Paul war gerade aufgestanden und hatte sich in ein lockeres Outfit geworfen, da er hauptsächlich vorhatte, im Garten zu liegen, als Penelope ihm entgegenkam im Flur. Sie trug eine leicht Sommerjacke.
 

„Brauchst du noch etwas Bestimmtes vom Supermarkt? Ich gehe einkaufen. Ich denke, ich werde nicht länger als eine Stunde brauchen.“
 

„Nein, alles gut, Penelope. Ich brauch' nichts. Du sorgst schon für mich.“
 

Sie lächelte und nahm den Schlüssel des Wagens vom Schlüsselbrett im Flur; Paul wartete, bis er den Wagen die Einfahrt hinabfahren hörte bevor er sich so schnell er konnte in sein Büro aufmachte. Dort, in einer kleinen Kiste versteckt in einer hoffnungslos überladenen Schublade, hatte er Dom's Nummer verborgen.
 

Bevor er die Nummer mit dem Telefon wählte, das unweit auf dem Schreibtisch lag, hielt er inne.
 

Was sollte er sagen? Wer würde sich melden? Würde er sich erinnern? Was, wenn Cody Recht hatte und er es lieber lassen sollte? Cody's Worte kamen ihn in den Sinn. Eine Waffe hast du wegen ihm gekauft, hatte er damals mit größter Sorge gesagt.
 

Doch binnen Sekunden entschied sich Paul aufgrund seines Bauchgefühls für den Anruf bei Dom. Seine Finger zitterten leicht, als er die Zahlen in das Tastenfeld eingab; als er den Hörer an sein Ohr legte, tönte das Freizeichen so laut in seinen Ohren, dass es fast weh tat. Er war sich aber sicher, dass er sich das nur wegen seiner Aufregung einbildete.
 

Es dauerte keine zwei weiteren Sekunden, da meldete sich die tiefe, dunkle Stimme, die Paul schon einmal vernommen hatte; in seinem Traum. Die Stimme klang vorsichtig, fast tastend, als sie sagte: „Hallo?“
 

Paul zögerte einen Moment; er schluckte, doch bevor Dom am anderen Ende noch etwas sagen konnte, begann er vorsichtig:
 

„Dom? Hier ist... hier ist Paul. Ich … ich hab gedacht, ich melde mich mal bei dir, ich habe deine Nachricht im Krankenhaus erhalten... Ich.. kann mich nur nicht mehr so ganz genau daran erinnern, wer du bist...“
 

Ein Lachen ertönte am anderen Ende des Hörers, jedoch kein böses; es war ein erleichtertes Lachen, das Paul direkt die Angst zu nehmen schien. Gespannt presste er den Hörer mehr an sein Ohr.
 

„Paul, mein Gott, was bin ich froh, dass du dich doch bei mir meldest. Ich hatte für ein paar Tage schon ernsthafte Sorgen... Von deinem Zustand habe ich gehört, deswegen bin ich auch nicht persönlich vorbei gekommen, sondern habe einfach meine Nummer hinterlegt. Ich dachte, das wäre einfacher für dich, weil du dann entscheiden kannst, wann du bereit bist...“, sagte Dom mit einem fröhlichen Unterton. Trotz des bulligen Auftretens in seiner Erinnerung hatte Paul das Gefühl, dass Dom gar nicht so übel zu sein schien, wie seine Familie es ihm hatte weiß machen wollen.
 

„Ja, ich weiß auch nicht, inwieweit es jetzt.. schon soweit ist, aber... Man, es tut gut, dich zu hören. Ich hab zwar keine Ahnung, wer du bist, doch... Man, das ist so komisch.“, antwortete Paul, während er genau wusste, wie er sich fühlte: angenommen, bestätigt, wohl, freudig. Etwas Warmes schien seinen Körper zu fluten wie ein Damm, der gebrochen war. War Dom vielleicht wirklich der Schlüssel zu seiner Vergangenheit?
 

„Du glaubst gar nicht, wie gut es mir tut, dich endlich wieder zu hören. Letti und ich hatten tierische Angst um dich, wir dachten echt, wir würden dich verlieren...“
 

„Letti?“
 

„Ach, Paul, später. Die wirst noch früh genug kennen lernen. Denkst du, du wärst bereit, dich mal die Tage zu treffen?“
 

Paul überlegte. Da er morgen wieder ins Krankenhaus musste sowieso heute auch, würde er einfach... Ach, sein Bein. Mit dem gebrochenen Bein konnte er kein Auto fahren. Es sei denn, er wirkte Cody mit in den Plan ein.
 

„Hör mal, Dom, das wird schwierig, weil anscheinend meine Frau etwas gegen dich hat.. Und da mein Bein noch gebrochen ist, kann ich nicht alleine Auto fahren. Ich werde mich melden, aber ich denke, mit Cody's Hilfe...“
 

„Ja, das ist okay. Wenn du mit Cody sprichst, wird das wohl in Ordnung gehen. Finde ich übrigens astrein, dass er extra aus Schweden wiedergekommen ist...“
 

„Klar, was sollte er sonst tun?“
 

Die beiden Männer lachten.
 

„Also, ich melde mich nochmal bei dir. Die Tage, irgendwann. Und danke für den kleinen Flitzer.“, stieß Paul amüsiert aus, während er Dom dabei zuhörte, wie er sich bedankte, dass Paul überhaupt mit ihm sprach und sich gemeldet hatte. Sie verabschiedeten sich; als Paul den Hörer hinlegte und aufstehen wollte, fuhr er unweigerlich zusammen und wäre fast wieder umgekippt.
 

Cody stand mit verschränkten Armen in der Tür; wie lange er dort schon stand, konnte Paul nicht ausmachen, jedoch waren seine Augen leicht zusammen gepresst.
 

„Mensch, Cody, klopf' das nächste Mal an, ja?“, raunzte Paul, bevor er sich mit seinen Krücken abkämpfte und sich auf den Weg zum Türrahmen machte, in dem sein kleiner Bruder misstrauisch stand und ihn beäugte.
 

„Du willst dich also mit Dom treffen.“, herrschte er Paul an, der den Blick seines Bruders nur mäßig quittierte.
 

„Was ist dabei? Er ist ein Teil meines Lebens, und ich habe das Gefühl, es wird einiges besser mit meinen Erinnerungen, wenn ich ihn treffen werde. Du hast mir gar nichts zu verbieten.“, war Paul's eher weniger nette Antwort.
 

Cody seufzte.
 

„Ich will es dir ja nicht verbieten, ich habe nur Angst um dich. Ich will nicht, dass du wieder so wirst, wie du eine Zeit lang mal warst... Immer unterwegs, schnelle Autos, illegale Rennen, Schlägereien... Alkohol....“
 

Paul starrte seinen Bruder für einen Moment an; in den blauen Augen, die den seinen so ähnlich sahen, sah er wirklich nichts außer großer Sorge.
 

„Ach Cody, nur weil ich Dom treffe, wird es nicht wieder so werden. Ich will mich einzig und allein wieder erinnern und ein Stück meines Lebens zurück bekommen. Kannst du das nicht verstehen?“
 

„Doch... Es tut mir leid. Aber dennoch: du fährst mit mir dahin, und ich werde dabei sein. Okay? Zumindest das erste Mal.“
 

Paul grinste.
 

„Natürlich, wenn du willst, Kleiner... Sag mal, läuft da eigentlich was bei dir und Pamela? Ich hab da so Blicke gesehen...“, zwinkerte Paul, während er mit einem Lachen registrierte, dass Cody puterrot wurde.
 

„Nein, sie ist die Tochter von Mom's Freundin und sie ist mir zu jung. Sie ist erst 18, ich bin 24....“
 

„Eigentlich ganz okay, sollte man meinen...“ Paul wuschelte seinem kleinen Bruder durch die Haare, der zum ersten Mal ein ärgerliches Gesicht machte. Das amüsierte Paul so sehr, dass er noch lachte, als Penelope mit drei vollen Einkaufstüten wiederkam und auf das Lachen Paul's und den bösen Blick Cody's keine richtige Antwort bekam.
 

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Als Paul seine Hände hob, waren sie voller Blut. Es war dickflüssig und tropfte von den Fingerspitzen; seine Faust schmerzte. Im Hintergrund hörte er Gegröle. Der Mann, der zu seinen Füßen lag und sich nicht mehr rührte, hatte derart große Wunden im Gesicht, das Paul sich fragte, ob es nur seine reine Faust gewesen war.
 

Eine Hand umfasste seine Schulter; als er sich umdrehte, stand dort Dom, mit einer zerbrochenen Flasche in der Hand.

„Lass uns gehen, ehe die Bullen auftauchen.“, sagte er leise, und zog Paul zu sich hoch. Paul spürte einen dämmernden Schwindel in sich aufsteigen. Als er einen Schritt beiseite ging, weg von dem blutenden Mann, schwankte er.
 

Dom zog ihn weiter.
 

„Du bist betrunken, komm schon. Lass ihn, er wollte seine Freundin nur verteidigen und dir eine reinhauen, weil du sie gevögelt hast. Komm, Paul.“
 

„Niemand legt sich... mit mir an, scheiss egal, wer er meint z..zu sein.“, sagte Paul; der Nebel lichtete sich nach wie vor nicht. Er musste wirklich ziemlich betrunken sein.
 

Dom lachte nur und schob ihn in Richtung eines schönen, schwarzen Sportwagens, eher älterer Generation, dennoch wunderbar verarbeitet und wie getunt. Als Dom Paul ins Auto schob, die Tür schloss und auf der Fahrerseite selbst einstieg, grunzte Paul: „Du kannst doch nich mehr fahrn, Dommi.“
 

„Natürlich, ich hab immerhin nur ein paar Shots und ein Bier gehabt. Man, mach dich mal sauber, wenn du so nach Hause kommst bringt deine Frau dich um.“
 

Paul lachte in sich hinein, suchte aber wie befohlen nach einem Taschentuch. Er fand nur ein Handtuch unter Dom's Sitz, deswegen nahm er dieses an sich und fuhr sich damit durchs Gesicht und über die Hände, die immer noch klebrig waren von dem Blut des Mannes, den er gerade ohne zu zögern niedergeschlagen hatte.
 

„Trink Wasser, dann wirst du wieder klarer.“
 

Ohne zu antworten nahm Paul die Flasche entgegen, die Dom ihm reichte; als sie losfuhren und er einige Schlücke getrunken hatte, ging es ihm schon besser.
 

„Tut mir leid, aber er hat angefangen. Was kann ich dafür, dass seine Freundin mit mir schlafen wollte? Ich hab sie nicht gezwungen.“, sagte Paul, schon weniger lallend als zuvor, dennoch war ihm immer noch ordentlich schwindelig.
 

Dom starrte auf die Straße, die er befuhr. Er antwortete nicht direkt.
 

„Paul, ich mach dir nie Vorwürfe, das weißt du doch. Letzte Woche hab ich Unsinn gemacht, diese Woche warst du es. Tu' mir nur den Gefallen und verrate es Penelope nicht. Die wird mich sonst nie wieder sonntags zu euch einladen. Ich liebe ihren Braten.“
 

„Jaa, den kann sie ganz gut. Gehen wir noch weiter?“
 

„Nein, es dämmert schon. Ab ins Bett mit dir.“
 

„Oh mannn, Penelope bringt mich um. Guck dir mein Shirt an.“ Paul deutete auf sein blut- und ölverschmiertes T-Shirt, dass er heute Abend extra frisch angezogen hatte. Sie hatten eigentlich nur eine Runde fahren und anschließend feiern wollen. Aber das war wohl wieder eskaliert.
 

„Wenn du Glück hast, schläft sie.“, meinte Dom, während er in das Viertel einbog, in dem Paul sein Haus hatte. Angekommen, sahen sie sich einen Moment lang an; Paul lächelte, und Dom tat es ihm gleich.
 

„Weißt du, Dom, ich hoffe diese Tage werden niemals enden.“
 

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Als Paul seine Augen aufschlug, pochte sofort der drückende Schmerz im Kopf; und doch, er war sich sicher, dass dies eine der Erinnerungen sein musste, die er so schmerzlich vermisst hatte. Und endlich wusste er, wie Dom aussah: Dom sah aus wie zu Hause, wie Vergangenheit, wie Gegenwart, wie Zukunft.



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