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Glimmstängel

100 Storys- #5 Zigarette
von

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Es war spät, aber immerhin hell genug, um in meinen Taschen ein Feuerzeug zu finden. Zigaretten hatte ich keine, ich bat einen Typen, den ich irgendwann schon gesehen hatte, drei, vier Mal vielleicht, um eine. Ich konnte mich nicht einmal an seinen Namen erinnern.

"Du rauchst doch nicht." erwiderte er. Offenbar kannte er mich doch ein wenig.

"Ist ein guter Zeitpunkt, um anzufangen, oder?"

Er fragte nicht weiter, reichte mir eine. Ich klemmte sie zwischen die Lippen, war aus der Übung. Es war länger her, dass ich geraucht hatte, damals war ich wohl noch jung genug um zu denken, dass rauchen cool war. Machte ja eigentlich keinen Unterschied- jetzt war ich älter, und genau so dumm.

Beim ersten Zug verschluckte ich fast den Rauch, und musste kurz darauf husten, mein Bekannter musterte mich spöttisch. Ich starrte zurück.

"Wer hätte gedacht, dass du mal rauchst."

Wir kannten uns wohl besser als ich dachte. Oder ich hatte mich bei ihm einmal über Zigaretten beschwert.

"Woher kennen wir uns noch gleich?" fragte ich, es war wohl angebracht, dies in Erfahrung zu bringen, bevor ich das Gespräch fortführte.

"Deine Exfreundin ist mit der Schwester meiner früheren besten Freundin befreundet." gab er bereitwillig Auskunft.

Ah ja. Verdammte Kleinstadt.

Ich nahm noch einen Zug, diesmal sogar erfolgreicher, das Husten konnte ich unterdrücken, und der Rauch fand tatsächlich seinen Weg in meine Lunge, ohne sofort wieder ausgehustet zu werden.

"Also. Warum tust du deinem unschuldigen Körper giftiges Nikotin an?" Er ließ nicht locker.

"Weil..." War ja eigentlich egal. Noch ein Zug, tiefer diesmal, er wurde rasch wieder ausgeatmet. "Weil ich zu viel Gemüse gegessen habe und das ausgleichen will."

"Witzig."

Ich zuckte mit den Schultern, nahm noch einen Zug. In der Ferne zogen Wolken auf, es wurde kühler. Meine Jacke befand sich, zufällig, nicht bei mir. Wo anders. Wo sie ganz und gar nicht gebraucht wurde.

"Ich bin eben sehr unterhaltsam, Thomas." Na bitte, da war sein Name.

"Gut. Dann kostet dich diese Zigarette Unterhaltung. Warum rauchst du? Das mit dem Gemüse zählt nicht- meine Mutter hat immer gesagt, dass es unmöglich ist, zu viel Gemüse zu essen. Und du hast mir mal gesagt, Mütter haben immer Recht."

Eine vage Erinnerung an seine Mutter erinnerte mich daran, dass ich ihn, oder zumindest seine frühere beste Freundin, besser kannte. Richtig. Sie hatte die beiden einmal abgeholt. Von meiner Geburtstagsfeier, wenn ich mich richtig erinnerte. Aber gut, ich erinnerte mich nicht mehr an viele Details, wenn es um meine letzte Geburtstagsfeier ging. Vermutlich hatte unsere Unterhaltung zum Thema Mütter- wie kam man eigentlich auf genau das Thema?- auch dort stattgefunden. Also gut. Eine Geschichte. Ich hatte wohl keine Wahl.

"Stell dir vor, dein Leben ist großartig. Einfach... perfekt. So wie der erste warme, sonnige Frühlingstag nach einer Reihe von grauen, kalten, leblosen, verregneten Februartagen. Jeder Atemzug ist wie der erste, nachdem du fast ertrunken bist. Jeder Moment ein Sonnenstrahl. Jede Person eine neue, wunderschöne Begegnung."

Ich nahm noch einen Zug, er wirkte beinahe ungeduldig, doch ich ließ mir Zeit.

"Stell dir vor, gerade, als du denkst, nichts kann besser werden, absolut nichts, du hast so viel Arbeit und Verantwortung, dass es dich fordert, aber nicht zu viel, so viel Geld, dass du dir keine Sorgen machen musst, aber nicht zu viel hast, so viel Essen, dass es genug ist, aber nicht zu viel- es ist alles perfekt, wie schon gesagt. Stell dir vor, zu genau dem Zeitpunkt tritt eine Person in dein Leben. Die Person ist genau so, wie du deinen letzten Freund oder deine letzte Freundin am liebsten gehabt hättest. Die Person, die sowohl du als auch deine Eltern und deine beste Freundin mögen. Wie gesagt: Die Person ist perfekt. Und dann, nach einigen Tagen, stellt sich heraus: Die Person denkt das Gleiche über dich! Ihr seid wie für einander gemacht."

"Klingt doch toll. Jedenfalls kein Grund, dir die Lunge zu ruinieren." erwiderte er.

"Ja, nicht? Also, ihr beginnt eine Beziehung. Natürlich ist sie wunderbar. Was denn auch sonst? Alle freuen sich für euch, und beneiden euch."

Ich wartete kurz, legte eine Pause ein, zog an der schon deutlich kürzeren Zigarette, sog den Rauch dabei tief, tief in meine Lunge, und atmete aus.

"Jetzt stell dir die Beziehung vor, wie toll sie ist. Dann, irgendwann, sagt dir die Person, dass sie dich liebt. Viel zu früh. Viel zu spontan. Und plötzlich weiß es die ganze Welt! Oh Gott, diese Person liebt dich, über alles, jetzt schon, wow, du hast ja so ein Glück! Ich meine, wer würde das denn nicht wollen?" Die letzten Worte klangen seltsam verbittert. Es dauerte lange, bis ich die nächsten fünf Worte aussprach.

"Ich habe sie nicht geliebt." Die Zigarette fiel auf den Boden und wurde von meiner Schuhspitze zermalmt. Sie leistete weiteren, anderen Gesellschaft. Die Gegend war wirklich deprimierend.

"Und deswegen rauchst du?" fragte er, und wirkte unbeeindruckt.

"Nein. Ich rauche, weil ich fünf Monate brauchte, um es ihr zu sagen."

Er zuckte wieder mit den Schultern.

"Passiert."

Ich war benahe schon beeindruckt. Er nicht, und hielt mir seine Zigarettenschachtel hin.

"Willst du noch eine?"

Ich nahm sie dankend an. Ein guter Zeitpunkt, um anzufangen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Die Autorin ist Nichtraucherin und möchte vom Rauchen abraten. Bitte. Danke. Entschuldigung. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Trollfrau
2016-06-12T17:09:30+00:00 12.06.2016 19:09
Ach ja, die Kleinstadt. Jeder kennt Jeden. Ein Mittlerweile sehr sicherer Ort zum leben. ^^
Auch wenn ich meist nicht so der Typ für traurige Geschichten bin, gefällt mir diese ausgesprochen gut.
Den Witz, mit dem Gemüse fand ich besonders gelungen.
Fünf Monate ist eine recht lange Zeit und dennoch kommen mir diese Erlebnisse irgendwie bekannt vor.
Danke für diesen tollen Beitrag. :D


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