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Es war ein Fehler

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Es war ein Fehler

Es war ein Fehler


 

Ich lag in meinem Zimmer auf meinem Bett und starrte an die Decke, ohne die schlichte weiße Raufasertapete, die dort schon so lange klebte, wie ich denken konnte, wirklich zu sehen.

Meine Gedanken kreisten nur um den Abend vor neun Tagen. Den Abend, an dem ich innerhalb weniger Stunden mein Leben ruiniert hatte. Das Leben, das nach subjektiver Einschätzung an dem heutigen Tag erst richtig begonnen hätte. Doch nun tat es das nicht mehr. Weil ich diesen einen, schrecklichen Fehler begangen hatte …
 

Etwas nervös betrat ich mit Matsuri die Bar. Ich war im Gegensatz zu ihr nicht so der Typ, der gerne ausging und feierte und meine freien Abende lieber zu Hause mit einem guten Buch verbrachte. Tatsächlich war dies hier erst das dritte Mal, dass ich so eine Spelunke überhaupt betrat. Da ich in wenigen Wochen allerdings nach Konoha zog, war es okay, meine beste Freundin zu einem Ort und einer Veranstaltung zu begleiten, die ihr Spaß machte, anstatt sie mit dem x-ten Filmeabend zu langweilen.
 

Wir setzten uns an die Theke und sie bestellte uns zwei Gläser von ihrem Lieblingsdrink. Ich wusste nicht mehr, wie er hieß, und normalerweise war ich weniger optischen Reizen erlegen, doch seine limettengrüne Färbung sprach mich an.

Ich nahm einen Schluck und obwohl Alkohol darin war, mit dem ich nie viel anfangen konnte, musste ich zugeben, dass er genauso gut schmeckte, wie er aussah.
 

„Lecker, oder?“, fragte mich Matsuri mit einem Grinsen.

„Ja, kann man mal trinken“, gab ich zu.

„Ach, Temari“, sagte sie und schlug mir auf den Rücken, „du kannst ruhig zugeben, wenn er dir schmeckt.“

„Okay, okay“, lenkte ich ein, „er ist großartig! Zufrieden?“

„Übertreiben musst du auch nicht“, flachste sie und lachte los.
 

Sie griff den Trinkhalm und rührte plötzlich etwas gedankenverloren in ihrem Getränk herum.
 

„Mensch, jetzt sind es nur noch ein paar Wochen“, bemerkte sie und schaute mich wehmütig an.
 

Ich erwiderte ihren Blick und hob die Augenbrauen, da ich keine Ahnung hatte, wovon sie redete.
 

„Na, dann verlässt du mich“, klärte sie mich auf und ich wusste sie nicht, ob sie es im Scherz gemeint hatte oder ob es ihr voller Ernst gewesen war. „Und das wegen einem Mann, den du früher noch nicht mal besonders gut leiden konntest.“
 

Mein Herzschlag beschleunigte sich etwas.

Es stimmte. Ich ließ meine einzige und beste Freundin zurück, vielleicht sogar im Stich, um mit einem Mann zusammen zu sein, von dem ich in meiner Teenagerzeit wirklich keine allzu gute Meinung gehabt hatte und der mich inzwischen mit seiner Demotivation und ständigen Gleichgültigkeit mindestens einmal am Tag auf die Palme brachte. Meistens sogar öfter.

Ein Schmunzeln schlich sich auf meine Lippen.
 

„Ehrlich, warum musstest du dich ausgerechnet in ihn verlieben?“, fuhr meine Freundin fort. „Hier gibt es doch auch genug nette Kerle, aber nein, du musstest ja mit ihm in der Kiste landen und dir daraufhin einbilden, dass du Gefühle für ihn hast.“

„Hey, er hat einfach nur seine Pflichten als Leibwächter erfüllt“, protestierte ich belustigt.

„Mir scheint, dass er seine Pflichten etwas zu ernst genommen hat.“ Sie klopfte mir auf den Rücken und stichelte: „Aber wenigstens hat er sich beim Beschützen wohl außerordentlich gut angestellt, wenn du bemerkt hast, dass du ihn doch nicht so ätzend findest, was?“

Ich beantwortete ihr Frage nicht direkt und sagte: „Selbst wenn es so gewesen wäre, bedeutet das nicht, dass ich nicht schon vorher wusste, dass ich etwas für ihn empfinde.“

„Ja, und warum ist es so gekommen?“ Sie tat beleidigt. „Weil du in Konoha viel zu viel Zeit mit ihm verbracht hast.“

„Das hat die Planung der Chuunin-Prüfung eben an sich. Tut mir leid.“
 

In Wirklichkeit tat es mir überhaupt nicht leid, aber ich wollte mich nicht mit ihr streiten. Dass es zu einem Streit vermutlich nicht gekommen wäre, bemerkte ich erst, als sie mir ein breites Lächeln entgegen warf.
 

„Nimm doch nicht alles so ernst, was ich sage“, sagte Matsuri. „Klar, ich bin traurig, dass ich dich nicht mehr oft sehen werde, aber hey, ich kann dich verstehen. Zu ziehst weg, weil du ihn liebst und weil er deine Zukunft ist. Wenn ich mir an deiner Stelle auch so sicher wäre, würde ich keinen Augenblick zögern und dasselbe tun.“
 

Ich freute mich schon ein wenig darüber, dass sie mir quasi ihren Segen gab, aber irgendetwas an dem, was sie gesagt hatte, machte mich stutzig.

Natürlich liebte ich Shikamaru, ansonsten hätte ich gar nicht erst zugestimmt, als er mich gefragt hatte, ob ich nicht zu ihm ziehen möchte und ich zweifelte auch nicht daran, dass ich eine Zukunft mit ihm aufbauen wollte. Aber sicher war ich mir nicht. Nicht, was den Zeitpunkt meines Umzugs betraf.

Ich war seit mehr als drei Jahren mit ihm zusammen und die Fernbeziehung, die wir bis jetzt geführt hatten, war jedes Mal, wenn ich Konoha nach dem Ende der Prüfung verließ, aufs Neue eine unschöne Bewährungsprobe, weil ich ihn so schrecklich vermisste.

Schon am ersten Abend nach meiner Abreise fing es an, wenn ich in meinem Bett im Gasthaus einsam und mit feuchten Augen einschlief. Und auch die folgenden Nächte, die ich in meinem Schlafsack unter freiem Himmel verbrachte, bis ich meine Heimat Sunagakure erreichte, waren nicht besser. Besonders, wenn ich daran dachte, dass vier lange Monate ohne ihn vor mir lagen. Oft kam ich mir albern vor, wenn ich an diese Momente der Rückreise zurückdachte, weil ich so gefühlsduselig geworden war und inzwischen war ich mir sicher, dass nicht mehr er, sondern ich die Heulsuse von uns beiden war. Ich verfluchte diese dummen Gefühle, die doch so untypisch für mich waren, aber ich hatte gelernt, sie zu akzeptieren und gab ihnen nach, denn ändern konnte und wollte ich sie nicht. Um das zu wollen, war das, was ich mit ihm hatte, einfach zu schön. Selbst wenn er mir wieder den letzten Nerv raubte. Aber das konnte ich umgekehrt schließlich genauso und manchmal stellte ich mir sogar die Frage, warum er mit mir zusammen war, wenn er so oft genervt von mir war – und wie er auf die Idee gekommen war, dass er das jeden Tag haben wollte, weil er doch eigentlich froh darüber sein musste, wenn er wieder Ruhe vor meinem Gemeckere hatte.
 

Mein Magen zog sich bei dem Gedanken kurz zusammen und ich trank rasch noch etwas von dem grünen Gebräu.
 

Ich wusste, dass Shikamaru sich absolut sicher war, was sein Leben mit mir betraf, doch umso schlimmer war es, dass ich es mir nicht war. Es lag nicht an ihm, sondern vielmehr an dem, was ich hier hatte: Meine Brüder, Matsuri, meine Heimat …

Ich wollte es unbedingt, aber ich hatte Skrupel, ob ich all dies mit gutem Gewissen hinter mir lassen konnte. Jedes Mal, wenn ich daran dachte, dass ich für Gaara und Kankurou als Schwester nicht mehr so da sein konnte, wie ich es wollte und wie sie es seit Jahren gewohnt waren, verpasste es mir den berühmten Stich ins Herz. Genauso so sehr wollte ich mit dem Mann zusammen sein, den ich liebte, aber beides gleichzeitig ging nur, wenn ich weiter an dieser Fernbeziehung festhielt, die mir – vielleicht nicht jetzt oder in einem Jahr – auf Dauer definitiv nicht gut tat.

Ich stand vor einem Problem und ich wusste nicht, wie ich diesen innerlichen Konflikt lösen sollte. Wahrscheinlich konnte ich mich letzten Endes nichts anderes, als mich damit abzufinden, doch so weit war ich einfach noch nicht.
 

„Alles in Ordnung bei dir?“, holte mich Matsuris Stimme aus meinen Überlegungen.

„Klar, alles bestens“, log ich sofort, leerte meinen Drink mit einem letzten Zug und setzte nach: „Obwohl, es ginge mir noch besser, wenn ich noch was zu trinken hätte.“
 

Sie brach in Gelächter aus und bestellte mir den nächsten Was-auch-immer, über den ich mich auch gleich hermachte.
 

---
 

Eine Viertelstunde später merkte ich, wie mir das Zeug langsam zu Kopf stieg und sich ein lustiger Filter über die Realität legte. Ich fing an, auch über die schlechtesten Witze meiner besten Freundin zu lachen und schließlich stimmte ich sogar in eine dieser oberflächlichen Lästereien über fremde Leute ein. Im nüchternen Zustand hätte ich es auf jeden Fall total bescheuert gefunden, mir über abstehende Haarsträhnen oder ein kleines Muttermal auf der Wange das Maul zu zerreißen, doch beschwipst, wie ich war, machte es mir sogar ein wenig Spaß. Und was noch besser war: Meine Sorge schwand nach und nach in den Hintergrund, bis ich gar nicht mehr an sie dachte.

In diesem Moment war ich wirklich froh darüber, dass ich mich zu diesem Abend hatte breitschlagen lassen. Das hieß, ich war es noch, denn ich ahnte nicht, wohin mein gedankenloser Alkoholkonsum noch führen würde.
 

Ich trank noch ein drittes Glas von dem Gesöff und da mir gelegentlich die Sicht verschwamm, beschloss ich, eine kleine Pause einzulegen.

Matsuri konnte nur darüber lachen und versuchte mich vom Gegenteil zu überzeugen, bis sie nach kurzer Zeit aufgab und sich selbst Nummer Vier bestellte. Nach dem Grünzeug, bei dem ich geblieben war und einem orangeroten Irgendwas, von dem ich mir den Namen ebenfalls nicht gemerkt hatte, bekam sie diesmal eine weißliche Suppe vorgesetzt, die zudem auch noch ziemlich unappetitlich nach Kokosnuss roch und meine Entscheidung, mit dem Trinken zu pausieren, nur unterstrich.
 

Meine Freundin leerte auch diesen Cocktail mit wenigen Zügen und kippte sich dann eine Cola hinterher. Ich fragte mich ernsthaft, wie man so viel verschiedene Dinge so kurz hintereinander trinken konnte, aber ich sprach sie nicht darauf an. Ich hatte schon von Kankurou gehört, dass Matsuri den Ruf hatte, sehr trinkfest zu sein und da sie erwachsen war und sich selbst am Besten einschätzen konnte, wollte ich mich nicht als Oberlehrerin aufspielen und ihr und mir so den Abend verderben.
 

„Wie wär’s?“ Sie stieß mir den Ellenbogen in die Seite und grinste. „Wollen wir unseren Spaß ein bisschen ausweiten?“
 

Mein Gehirn arbeitete langsam, aber wahrscheinlich hätte ich ihre Anspielung auch nicht verstanden, wenn ich nicht angetrunken gewesen wäre.

Ich starrte sie also mit großen Augen wie ein Fisch an – so kam es mir rückblickend jedenfalls vor – und da mir meine Zunge ebenfalls nicht richtig gehorchen wollte, stieß ich ein „Was?“ aus, das sie wieder zum Lachen brachte.
 

„Siehst du die beiden da?“, fragte sie mich. Sie drehte sich leicht nach rechts und ich folge in Zeitlupe der unauffälligen Geste, die sie in die Richtung zweier Männer machte. „Der dunkelhaarige Typ gefällt mir irgendwie, also …“ Sie kicherte.

Meine Zunge löste sich jäh aus ihrer Erstarrung. „Ich soll dir dabei helfen, dich an ihn ranzuschmeißen, was?“

„Bingo!“

„Und wie stellst du dir das vor?“

„Wir flirten“, sagte Matsuri. „Du lenkst den Blondie da ab und ich kann in der Zwischenzeit seinen Kumpel in ein Gespräch verwickeln.“

„Aber –“

„Ich weiß, du hast ’nen Freund, aber ein kleiner Flirt tut doch niemandem weh.“

„Aber –“, protestierte ich erneut. Auf einmal kam ich mir im Kopf wieder sehr klar vor.

„Shikamaru ist nicht mal hier!“, argumentierte sie. „Und selbst wenn er es wäre, würde es ihn doch nicht interessieren, wenn du einen kleinen Plausch mit einem anderen Mann hältst.“
 

Damit hatte sie natürlich Recht.

Er war kein Stück eifersüchtig – was mich fast ein bisschen störte – und er hätte auch definitiv nichts dagegen gehabt, wenn ich meiner besten Freundin zu einem Date verhalf. Bedenken hatte ich trotzdem, aber da dieser Abend da war, um Spaß zu haben …
 

„Okay“, gab ich nach. „Ich helfe dir, nachdem du mir noch so einen Drink organisiert hast.“

„Willst du dir etwas Mut antrinken?“, witzelte sie, dann drehte sie sich zum Barkeeper um und kam meiner Bedingung ohne Protest nach.
 

Ich griff nach meinem Glas, trank rasch etwas von dem Zeug, das so erfrischend nach Limette schmeckte, fühlte, wie ein leichter Nebel in meinem Kopf aufzog und sprang motiviert und voller Tatendrang von meinem Hocker auf.
 

„Auf geht’s!“, rief ich – zum Glück war die Musik laut genug, dass mich außer Matsuri niemand verstand – und setzte euphorisch nach: „Bringen wir dich an den Mann!“
 

---
 

Ihr Plan ging auf und zehn Minuten später saßen wir mit den beiden Männern an einem Tisch in der Ecke, wo es nicht ganz so laut war.

Meine beste Freundin ließ ihren Charme spielen, wo sie nur konnte und der Mann – auch seinen Namen hatte ich mir nicht gemerkt – stieg sofort auf diesen Flirt ein und schäkerte mit ihr herum, als hätte er noch nie eine sympathischere Frau getroffen.

In der Hoffnung, dass es von dem Kerl keine Masche war, freute mich ein wenig für sie, allerdings wäre es eine Lüge gewesen, wenn ich behauptet hätte, dass mir meine Unterhaltung nicht gefallen hätte.

Schon nach wenigen Wortwechseln stellte er fest, dass wir uns bereits kannten und nachdem er mein beduseltes Erinnerungsvermögen mit ein paar Erzählungen aufgefrischt hatte, erinnerte ich mich auch an ihn.

Er hieß Iwashi und vor acht Jahren hatte ich sein Genin-Team, das beim Überfall auf Konoha seinen Lehrmeister verloren hatte, bei einer Escort-Mission nach Kusagakure begleitet. Wir unterhielten uns darüber, wie langweilig das Ganze gewesen war und wie sehr der Antiquitätenhändler, den wir dorthin gebracht hatten, mit seinen Früher-war-alles-besser-Geschichten genervt hatte und lachten viel.
 

Als wir dann doch mal einen Moment schwiegen, blickte ich nach links und sah, dass die beiden Plätze neben mir leer waren. Mein Blick huschte durch die Menge und ich erkannte, wie Matsuri am Rand der Tanzfläche ausgelassen mit ihrem Date – oder wie ich den Kerl auch immer bezeichnen sollte – tanzte.

Ich lächelte, betrachtete mein Glas und nahm den letzten Schluck, der sich noch darin befand.
 

„Nachschub?“, fragte mich Iwashi.
 

Ich überlegte kurz, kam zu dem Schluss, dass ich mich gerade ausgesprochen gut fühlte, meine Promillegrenze noch weit entfernt war und stimmte zu.
 

Drei Minuten später saß ich also mit meinem fünften Drink zwischen den Händen da, flirtete mit einem Typen, den ich flüchtig von früher kannte und hatte unsagbaren Spaß dabei. Ab und zu huschten meine Gedanken zu dem, was ich in ein paar Wochen in die Tat umsetzen wollte, doch wenn mir das bewusst wurde, trank ich wieder und ließ mich von meiner Alkohollaune ablenken. Meinen Gewissensbissen und meiner inneren Zerrissenheit konnte ich auch morgen wieder nachhängen, fand ich.

Und so vergaß ich, was mich beschäftigte, flachste und lachte und wünschte mir, dass dieser Abend – wobei es schon bald Nacht sein musste – bloß nicht zu schnell verging.
 

Es wurde später und später und schließlich machte mich das ganze Trinken hungrig. Ich schlug Iwashi vor, ob wir nicht in der angrenzenden Pizzeria eine Kleinigkeit essen wollten und wandte mich dann an meine beste Freundin.

Sie saß auf dem Schoß von dem Mann und die Lippen der beiden schienen mir aneinander geklebt zu sein.
 

„Kommt ihr auch mit nach nebenan?“, fragte ich sie, ohne darauf zu hoffen, dass ich eine Antwort bekam.
 

Matsuri hob nur die Hand und winkte ab und so ließ ich sie mit ihrer neuesten Eroberung – ich war schon gespannt, wie viele Tage es diesmal dauerte, bis ihr einfiel, dass sie doch eigentlich etwas von Gaara wollte – in der viel zu warmen und überfüllten Bar zurück.

Ich hielt auf den Ausgang zu und hatte sichtliche Mühe, nicht jede zweite Person, die mir im Weg stand, anzurempeln. Als ich in einem Anflug Gleichgewichtsprobleme einem Mädchen, das mir eindeutig zu jung für diesen Ort schien, den Drink aus der Hand schlug, hakte sich Iwashi bei mir ein und führte mich die letzten Meter sicher nach draußen. Ich hatte gehofft, dass mir die kalte nächtliche Wüstenluft irgendwie gut tun würde, doch stattdessen fing alles in meinem Kopf an, sich zu drehen und ein Schwindelgefühl überkam mich.

Mein Begleiter half mir abermals, indem er mich zu dem Lokal führte, das wir ins Auge gefasst hatten und ließ mich erst los, als ich mich sicher auf einer gemütlichen, gepolsterten Bank niedergelassen hatte.
 

„Was möchtest du essen?“, fragte er und schob mir die Speisekarte zu.

Ich überflog sie rasch mit verschleiertem Blick, murmelte „Egal, irgendwas mit viel Käse“ und bettete meinen Kopf auf meinen verschränkten Armen auf dem Tisch, um mich ein wenig von dem Schwindelanfall zu erholen.

„Du bist wohl nicht ganz so trinkfest wie deine Freundin, was?“, bemerkte Iwashi und ich brummte ein zustimmendes „Hmm“ als Antwort.
 

Er winkte den Kellner an, gab die Bestellung auf und schon eine Viertelstunde später konnte ich mit den ersten Bissen in meine Pizza meinen Hunger vertreiben. Sie war ziemlich salzig, doch das störte mich erstmal nicht, bis ich auf einmal einen unglaublichen Durst bekam.

Ich sah mich nach der Bedienung um – da der Laden relativ gut besucht war, hatte sie einiges zu tun – und schaute leicht verzweifelt zum Tresen herüber, da ich mich nicht in der Lage fühlte, dass ich ihn unbeschadet erreichte.

Abermals war Iwashi ganz Gentleman.
 

„Eine Cola oder was darf’s für dich sein?“, wollte er wissen und schenkte mir ein Lächeln.
 

Ich nickte dankbar, er hechtete los und kam kurze Zeit später mit einem randvoll gefüllten Glas mit Cola zurück.

Zwei Drittel trank ich in einem Zug aus, den Rest wollte ich mir lassen, um die letzten beiden Pizzastücke herunterzuspülen. Als ich mein Getränk absetzte, bemerkte ich einen seltsamen Nachgeschmack. Da ich – naiv, wie ich im betrunkenen Zustand war – davon ausging, dass der Berg an Salz, den ich in den vergangenen Minuten durch das Essen zu mir genommen hatte, und der ganze Alkohol meine Geschmacksnerven in Mitleidenschaft gezogen hatte, fragte ich nicht nach.

Ein folgenschwerer Fehler.
 

Nachdem ich die Pizza schließlich vernichtet hatte, merkte ich, dass ich dringend musste. Meine Augen schweiften durch die Räumlichkeiten und schließlich machte ich die Tür ausfindig, hinter der sich die Damentoilette befand.

Schwankend, aber zielstrebig, schlenderte ich darauf zu, schloss mich in einer Kabine ein und beseitigte mein Problem. Auf dem halben Weg zur Tür wurde mir plötzlich schlecht und so stürzte ich zurück und übergab mich. Verdrossen spülte ich die Hälfte meines Essens herunter und warf mir einen Kaugummi ein, um den ekelhaften Geschmack zu überdecken. Es funktionierte und da ich mir einbildete, dass es mir nun wenigstens besser ging, verließ ich das Klo und schlug den Weg zu dem Tisch ein, an dem Iwashi auf mich wartete.

Ich fixierte meinen Blick auf ihn, nahm am Rande meinen Gedankengang wahr, dass irgendetwas nicht mit mir stimmte – und brach zusammen.
 

An alles, was danach passierte, erinnerte ich mich nur in kurzen, zusammenhanglosen Ausschnitten.

Ich wusste noch, dass ich auf dem Boden lag und die Lichter der Inneneinrichtung vor meinen Augen tanzten; wie Iwashi mich stützte, als ich mich durch den Sand schleppte – wohin, wusste ich in dem Moment nicht mehr – und schließlich …
 

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Ich wachte am nächsten Morgen mit so schlimmen Kopfschmerzen auf, wie ich sie noch nie in meinem Leben gehabt hatte. Und mir war immer noch übel.

Ich zog mir die Bettdecke über den Kopf und drehte mich auf die Seite, doch anstatt weiterzuschlafen, riss ich die Augen auf. Ich spürte einen warmen Körper, der neben mir lag.

Sofort kam mir der Gedanke, dass niemand neben mir liegen durfte. Ich führte doch eine glückliche Beziehung mit einem Mann, der eine dreitägige Reise entfernt von mir war und …

Ich tastete an mir herunter und mein Schädel begann zu pochen. Ich war nackt. Und der Typ neben mir ebenfalls.

Rasch fuhr ich auf und hoffte noch, dass das ein Irrtum oder nur ein beknackter Traum war, dann sah ich meine Klamotten, die verstreut auf dem Teppich lagen und schließlich auch das benutzte Kondom, das vor dem Bett lag.

Mein Herz und meine Lunge verschnürten sich in meiner Brust. Ich wollte in wenigen Wochen einen neuen Lebensabschnitt beginnen und nun hatte ich die Person, für die ich alles aufgeben wollte – das war mir nun klar –, betrogen.

Mein Magen zog sich auf widerliche Art zusammen und ich stürzte zur nächsten Tür, hinter der ich das Badezimmer vermutete. Dort erbrach ich mich mehrere Male, bis nur noch Galle kam. Ich betätigte die Spülung und sank auf den kalten Fliesen in mich zusammen.

Ich versuchte mir einzureden, dass das alles nur ein schlechter Scherz sein konnte, aber der Geruch des Mannes, der an mir klebte, ließ mich das nicht eine Sekunde lang glauben. Krampfhaft suchte ich nach Bruchstücken in meinem Gedächtnis und nach und nach ergab sich ein Bild, das zwar voller Lücken, aber eindeutig war.
 

Ich erinnerte mich, wie ich eine fremde Wohnung betrat, auf einem fremden Bett zu liegen kam, ein fremder Mund sich auf meinen presste. Diese fremden Hände berührten mich und zogen mich schließlich aus – und wie die Zungenküsse, die ich mit ihm ausgetauscht hatte, ließ ich es zu. Und ich ließ zu, dass der Mann, den ich im Grunde gar nicht kannte und bei dem ich nicht sein sollte, in mich eindrang und mich nahm. Ich wusste nicht, auf welche Weise er es getan hatte, ich wusste nur, dass er es getan hatte.

Ansonsten erinnerte ich mich an nichts, doch Fakt war, dass ich bereitwillig mit einem nahezu Fremden Sex gehabt hatte und ich damit das, was ich mit Shikamaru hatte, unwiederbringlich zerstört hatte. Ich wusste nämlich, dass es nicht infrage kam, es ihm nicht zu erzählen, wenn ich nicht wollte, dass mich mein Gewissen jeden Tag Stück für Stück innerlich auffraß.
 

Ich verspürte eine unglaubliche Wut auf Iwashi, der meine Unzurechnungsfähigkeit so ausgenutzt hatte, eine Wut, die ich am liebsten an ihm ausgelassen hätte, doch ich besann mich, zog mich an und verließ die Wohnung.
 

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Noch am selben Tag tauchte er bei mir zu Hause auf und entschuldigte sich bei mir mit den Worten, dass es plötzlich so über ihn gekommen war, als ich auf seinem Bett gelegen hatte. Ich hörte mir an, was er zu sagen hatte, ließ mir von ihm versichern, dass es bei dem einen Mal geblieben war und nachdem er zugab, dass er mir irgendeinen harten Alkohol in mein letztes Glas Cola gemischt hatte, warf ich ihm die Tür vor der Nase zu.
 

Ich beschloss, dass es das Beste war, wenn erstmal ein wenig Zeit vergehen und Gras über die Sache wachsen konnte und verschob meinen Umzug, den ich glücklicherweise nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt festgelegt hatte, auf den Beginn der nächsten Prüfungsvorbereitung. Ich hoffte, dass ich bis dahin eine Erklärung gefunden hatte, die mir so logisch erschien, dass Shikamaru mir vielleicht verzeihen konnte, doch ich wusste von Anfang an, dass ich mir damit nur etwas vormachte. Sobald ich ihm diesem One-Night-Stand beichtete, war Schluss mit uns und allem, das wir vielleicht zusammen gehabt hätten. Egal, wie gut ich ihm die Situation erklären würde, letzten Endes würde es für ihn keinen Unterschied machen, ob ich nüchtern gewesen oder ich im volltrunkenen Zustand ausgenutzt worden war. Ich konnte es drehen und wenden, wie ich wollte, aber er würde auf jeden Fall die Konsequenzen ziehen und sein Leben ohne mich weiterleben. Diese Vorstellung tat weh, aber mir war bewusst, dass es genau so kommen würde.
 

Ich meldete mich krank, ging meinen Brüdern so gut ich konnte aus dem Weg und gab mich dem absoluten Selbstmitleid hin. Ich verfluchte meine Dummheit, Iwashi, bereute und weinte.

Ich weinte den halben Tag und in jedem Augenblick, in dem ich die Gelegenheit dazu hatte. Ich weinte auf dem Klo, unter der Dusche, beim Essen und zum Einschlafen – und oft auch zwischendrin, selbst wenn ich durch ein Buch oder den Fernseher eine Ablenkung hatte.

Und ich übergab mich jeden Morgen.

Zuerst dachte ich, mein schlechtes Gewissen wäre die Ursache dafür, bis ich neun Tage nach der Katastrophe durch Zufall in meinen Kalender sah. Da ich ihn seit meiner Abreise aus Konoha vor drei Wochen nicht benutzt hatte, tat ich das Bändchen zwischen die Seiten der aktuellen Woche und blätterte etwas gedankenlos zurück. Er war voller Notizen, Termineintragungen, Anmerkungen zu Teilnehmern und anderen Vorkommnissen, die ich während des Examens gemacht hatte. Ich überflog sie und schließlich fiel mir ein kleines Kreuz ins Auge. Ich schaute auf das Datum, das fünfeinhalb Wochen zurücklag und suchte in den folgenden Wochen nach demselben Symbol, mit dem ich den Beginn meiner Tage kennzeichnete. Natürlich fand ich keins, schließlich hatte ich den Kalender mehrere Wochen nicht angerührt und mir wurde klar, dass ich auch keins gefunden hätte, wenn ich ihn in dieser Zeit wie gewohnt geführt hätte.

Ich schlug ihn zu und schüttelte ungläubig den Kopf. Wie konnte ich nicht bemerkt haben, dass ich eineinhalb Wochen überfällig war …?
 

Jetzt, zwei Stunden später, lag ich hier auf meinem Bett und starrte wie betäubt die Tapete an meiner Zimmerdecke an.

Ich riss mich von ihrem Anblick los, nahm das Stück Papier in die Hand, das ich neben mich gelegt hatte und betrachtete es. Auf den ersten Blick sah es wie ein Wirrwarr aus Grautönen aus, doch meine Gynäkologin hatte mir erklärt, was man darauf sehen konnte.

In der Mitte des Bildes konnte ich einen kleinen, hellen Kreis und direkt daneben einen etwa gleichgroßen hellen Punkt erkennen. Ich wusste nicht, wie man den Kreis bezeichnete, doch der Punkt war ein wenige Wochen alter Embryo.
 

Ich betrachtete das winzige Wesen – mein Kind, Shikamarus Kind –, das in einem guten Dreivierteljahr ein lebensfähiger Mensch sein würde. Obwohl ich mir absolut sicher sein konnte, dass es wenigstens nicht bei meinem Fehltritt entstanden war, was mich sehr erleichterte, fühlte ich mich grauenvoll.

Als ob das, was ich seinem Vater angetan hatte, nicht reichte, konnte er mich nun nicht mal mehr so einfach aus seinem Leben ausschließen.

Und was beinahe noch schlimmer war: Ich wusste nicht, welche Auswirkungen mein übertriebener Alkoholkonsum auf mein ungeborenes Baby hatte. Die Ärztin, die mich untersucht hatte, hatte mir zwar versichert, dass in den ersten Wochen sehr wahrscheinlich eine Fehlgeburt ausgelöst wurde, wenn der Embryo zu Schaden gekommen wäre, aber das tröstete mich nur unwesentlich. Ich machte mir Vorwürfe, dass ich die Schwangerschaft nicht eher bemerkt hatte und meinem Kind dieses Teufelszeug zugemutet hatte. Ich hasste mich regelrecht dafür, dass ich an dem Abend, an dem das Unglück seinen Lauf genommen hatte, alle Anzeichen ignoriert hatte, dass ich meinen Kalender nicht ausgepackt hatte, um festzustellen, dass ich bereist zwei Tage drüber war und somit die Wahrscheinlichkeit bestand, dass ich schwanger war.
 

Ich seufzte und legte das Ultraschallbild beiseite, nur um es mir einen Augenblick später wieder zu nehmen und anzusehen. Meine rechte Hand wanderte zu meinem Bauch und fuhr zaghaft darüber.

Ich konnte mir noch gar nicht vorstellen, dass ich in einem Jahr bereits seit einigen Wochen Mutter sein würde und wenn ich ehrlich bin, wollte ich es auch gar nicht.

Ich hielt in der Bewegung inne, blinzelte und spürte, wie an beiden Seiten Tränen über meine Schläfen rannen.

Ich wischte sie weg und hielt das Bild fester. Die Vorstellung der Ungewissheit, die mich erwartete, machte mir Angst.

Unglaubliche Angst.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Das hier ist also das Prequel zu meiner »Anders als beim letzten Mal/Nichts in der Welt/Verzeihen«-Trilogie. Letzten November kündigte ich bei Letzterem ja bereits an, dass mir das hier noch im Kopf herumschwirrt. :D
Ich finde diesen Oneshot ja ein wenig untypisch für mich. Dieses Zelebrieren von Alkohol ist normalerweise weniger mein Ding (und ich möchte mich auch an dieser Stelle wieder gegen übermäßigen Konsum desselbigen aussprechen), aber nun ja, durch die Fortsetzungen waren das eben die Vorgaben.
Ich bin mir auch noch nicht sicher, ob das hier ein Oneshot bleiben wird. Irgendwie hab ich große Lust, das Folgende weiter aus Temaris Sicht zu beleuchten und noch ein paar Kapitel zu schreiben, auch wenn mir natürlich klar ist, dass es durch die anderen drei Geschichten überflüssig wäre.
Aber schauen wir mal. :D

Ich danke euch fürs Lesen! :)
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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  TheLueija
2015-03-29T17:15:39+00:00 29.03.2015 19:15
Interessanter OS! Ich hatte ja erst gedacht, dass er ihr irgendwelche KO Tropfen gegeben hatte. 'Gott sei Dank' war es dann nur Alkohol.
Ich würde natürlich eine Fortsetzung begrüßen, Shikamarus Reaktion darauf interessiert mich brennend bzw Matsuris Reaktion xD
Was ich auch interessant finden würde, wäre wenn Shikamaru mal so einen ausrutscher hätte. Ich könnte mir vorstellen, dass Temari toben würde xD
Ich glaub sowas hattest du bisher nicht geschrieben, oder? *im Gedächtnis herum kram*
Antwort von:  Rabenkralle
29.03.2015 21:26
Dankeschön für dein Review! :)
Hm, ich weiß nicht, ob es die Tatsache, dass es "nur" Alkohol war, die Sache nicht noch schlimmer macht.
Stimmt, da gibt es ja schon einige Aspekte, die ich in den Fortsetzungen nicht beleuchtet habe. Na, mal sehen, was und ob noch was kommt.
Ehrlich gesagt, traue ich Shikamaru so etwas gar nicht zu. Ich glaube, sogar unter Alkoholeinfluss würde er sich zu so etwas nicht hinreißen lassen. Aber Temari würde ihm auf jeden Fall den Kopf abreißen.
Nein, hab ich (von "Die Banane", die aber ja in eine völlig andere Richtung geht) tatsächlich nicht. Dieser Alkoholkram ist einfach nicht so meins und passt auch nur bedingt zu den Naruto-Charakteren, finde ich. :)

Liebe Grüße,
Rabenkralle
Von:  Stef_Luthien
2015-03-29T17:14:01+00:00 29.03.2015 19:14
Also ich fands prima und man wurde aufgeklärt XD
Antwort von:  Rabenkralle
29.03.2015 21:19
Danke, schön dass es dir gefallen hat. :)


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