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Per Anima Familiare

von

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Kapitel 5: Sie schon wieder?

Am darauffolgendem Abend – dem 29. Oktober – musste Kieran wieder gemeinsam mit Russel und Seline ausrücken und traf sich dafür mit den beiden im Konferenzraum von Abteracht. Diesmal ging es allerdings nicht um eine Patrouille, stattdessen war ihr Auftrag ganz konkret: „Es gab Dämonen-Sichtungen in Bereich A5 und B7. Die Dämonen werden als Kategorie 3 eingestuft.“

Dämonen wurden laut den Regeln von Abteracht in Kategorien von 0 bis 5 eingestuft. 0 war dabei harmlos, Dämonen, die als Menschen lebten und nur ab und an beobachtet werden mussten. 5 entsprach einem Wesen, das eine ganze Stadt dem Erdboden gleichmachen konnte. Alles von 1 bis 5 musste bekämpft werden. Gerüchten nach gab es auch solche, die eine Kategorie 6 rechtfertigten und die mit Leichtigkeit ganze Länder auslöschen konnten, aber seit über hundert Jahren hatte keiner mehr einen solchen gesehen, also glaubte auch niemand mehr so recht daran. Außer Kieran, aber er blieb bei der Hoffnung, dass kein solcher mehr daran dachte, plötzlich doch noch einmal aufzutauchen.

Kategorie 3 bedeutete, dass der Dämon einen höheren Rang innehielt und möglicherweise Lakaien beschwören konnte, dabei war aber keiner von ihnen eine wirkliche Gefahr. Kieran empfand diese Gattung eher als nervend statt schwer. Je nachdem welchen oberen Dämon man vor sich hatte, verbrachte man mehr Zeit damit, seine Lakaien immer wieder zu vernichten, als ihn selbst zu bekämpfen, was natürlich ihnen allen die Möglichkeit gab, mehr Zerstörung in der Stadt anzurichten. Glücklicherweise kam es nur noch selten zu Todesfällen.

„Sollen wir dann losgehen?“, fragte Russel, sichtbar gespannt darauf, wirklich loslegen zu können.

Es kam Kieran sogar so vor, als könne er den Familiar seines Kollegen sehen, eine schemenhafte Gestalt, die an einen grotesken Engel erinnerte, bereits selbst wild darauf, zu kämpfen.

Der Familiar von Seline war dagegen wesentlich angenehmer, den kannte er lediglich aus kurzen Augenblicken im Kampf, in denen er wirklich sichtbar geworden war.

Sie blickte Kieran an, um ihm seine Anweisungen zu geben, aber er hob direkt die Hand und nahm ihr die Worte ab: „Ich soll in B7 nach dem Dämon suchen, nicht?“

Meistens lief es bei derartigen Missionen darauf hinaus, dass er allein losgehen musste, während Seline und Russel sich gemeinsam den Dämonen in einem anderen Quadranten stellten. Das lag nicht daran, dass man ihn ausschließen wollte, sondern eher daran, dass man seinen Fähigkeiten vertraute – und Russel dazu neigte, sich zu verletzen, besonders wenn man ihn allein ließ. Deswegen musste Seline ihn begleiten, um auf ihn aufzupassen, während Kieran problemlos auch allein zurechtkam. Er war auch lieber allein unterwegs, dann musste er auf niemanden Rücksicht nehmen, außer auf Zivilisten, und es gab keine, wenn auch noch so geringe, Wahrscheinlichkeit, dass einer seiner Kollegen dabei getroffen wurde.

„Nein“, erwiderte Seline allerdings entgegen seiner Erwartung. „Ich möchte, dass du in A5 tust, was du kannst. Es heißt, dort wurden weniger Lakaien gesichtet.“

Es wäre ihm möglich gewesen, diese Anweisung abzulehnen, bei Seline wusste er, dass sie Kritik nicht persönlich nahm, aber er entschied sich dafür, es zu akzeptieren und abzunicken. Schon allein, weil A5 wesentlich näher zu ihrer aktuellen Position war, als B7.

„Okay, dann nehmen wir das Auto“, entschied Russel. „Viel Erfolg, Kieran.“

Seline sagte nichts, aber es war eindeutig an ihrem Blick erkennbar, dass sie nicht glaubte, dass jemand von ihnen einen solchen Wunsch benötigte. „Dann rücken wir endlich aus.“

Russel salutierte spöttisch, ehe er gemeinsam mit den anderen beiden den Konferenzraum verließ, dann setzte er gemeinsam mit Seline den Weg in eine andere Richtung fort, um in die Garage zu kommen und dort einen der von Abteracht bereitgestellten Wägen zu nehmen.

Kieran wählte dagegen den Weg zum Haupteingang, um nach draußen zu kommen und direkt in den entsprechenden Quadranten zu laufen.

Gerade legte er eine Hand auf die Messingklinke des hölzernen Portals, das mit zahlreichen Schnitzereien verziert war, als er von Farens Stimme noch einmal aufgehalten wurde: „Hey, Kieran. Geht es schon los?“

„Sieht ganz so aus.“ Kieran sah zwischen Tür und Faren hin und her. „Was willst du? Ich habe nicht viel Zeit, wie du dir denken kannst.“

„Ich mach's auch kurz“, versprach Faren. „Hast du Lust, dein Halloween-Kostüm mit mir abzustimmen?“

Kieran sah ihn, in der Hoffnung, dass sein Blick genügte, um dem anderen mitzuteilen, wie wenig er von diesem Vorschlag hielt, besonders zu diesem Zeitpunkt. „Hättest du mich das nicht zu einem anderen Zeitpunkt fragen können?“

Diesen Punkt ignorierte Faren allerdings galant: „Dann würdest du darauf eingehen?“

Er hatte keine Zeit zu diskutieren, obwohl ihm wirklich der Sinn danach stand, sogar Alraune schien sich bereits darauf zu freuen, ihre Stimme sang in seinem Inneren bereits ein Lied, dessen Text er zwar nicht verstand – aber er wollte ihn auch gar nicht so genau kennen.

„Können wir darüber ein andermal diskutieren? Ich muss wirklich los.“

Das nahm Faren wohl wirklich als Aussage, dass er sich nicht im Mindesten an Partnerkostümen störte, wenn man sein Lächeln derart betrachtete. Dabei hatte er das nicht sagen wollen, aber er konnte nicht weiterdiskutieren.

„Ich gehe jetzt“, sagte er kurzentschlossen, öffnete die Tür und trat hindurch.

„Ich meld mich morgen bei dir“, kündigte Faren noch an, dann fiel die Tür hinter ihm wieder ins Schloss und schnitt ihn effektiv von den anderen ab.

Alraune schien ihn zu umtanzen, während sie leise sang und sich darüber freute, dass Faren derart viel Interesse an ihnen zeigte. Kieran verstand nicht, weswegen sie derart glücklich darüber war, hoffte aber, dass es dazu beitrug, ihre Kampfkraft gleich zu erhöhen.

Er lenkte seine Wut über diese unerwartete Störung in seine Beine, damit er schnellstmöglich in den Bereich kommen könnte, in dem er den Dämon vernichten sollte.

A5 war nur zwei Querstraßen von Abteracht entfernt, was ihn doch wunderte. Normalerweise hielten sich Dämonen gern von ihrem Hauptquartier fern, die Anwesenheit zahlreicher potentieller Feinde war verständlicherweise sehr hinderlich für die eigene Population und das Wohlbefinden. Aber in Kierans Augen waren auch andere Faktoren ausschlaggebend dafür, dass sich hier wenige Dämonen ansiedelten. Es gab in der Umgebung keinerlei Wohnhäuser, damit Anwohner nicht gestört werden könnten, sollte es in Abteracht noch spät nachts zu Übungseinsätzen kommen. Aber in Fabriken, die nachts stilllagen, konnte ein Dämon schlecht noch nach Nahrung suchen, und tagsüber war er zu gut sichtbar, um erfolgreich zu sein. Deswegen fragte er sich, was die Dämonen hier suchten.

Es dauerte auch nicht lange, bis er einer Antwort nahekam Als er in die entsprechende Straße einbog, entdeckte er bereits einige Lakaien, die sich an einem Gebäude festhielten. Die Wesen sahen aus wie eine Kreuzung aus Hasen und Schnecken, weswegen sie überhaupt in der Lage dazu waren, an der rauen Mauer haften zu bleiben. Bislang schienen sie ihn noch nicht bemerkt zu haben.

Alraune erschien sichtbar neben ihm und warf ebenfalls einen neugierigen Blick auf die Wesen, ein fragender Laut erklang aus ihrer Kehle, es klang wie eine Musiknote.

„Kümmerst du dich darum?“

Lakaien unterstützten den Dämon, der sie befehligte, so wie es sein musste. Deswegen kam es nicht selten vor, dass besonders junge Jäger ihre Kräfte verausgabten, bei dem übereifrigen Versuch erst einmal alle Lakaien zu zerstören. Kieran war damals einer von ihnen gewesen. Inzwischen wusste er es besser und würde denselben Fehler nicht noch einmal machen.

Alraune nickte ihm zu und begab sich dann in den direkten Wahrnehmungsradius der Lakaien, ihre Schritte erzeugten dabei kleine Flecken gesunden Grases, was eigentlich nicht möglich sein dürfte. Die Augen der Wesen wurden, genau wie die Stielaugen einer Schnecke, ausgefahren. Als sie kollektiv blinzelten, erklang ein Klicken, wie das einer billigen Puppe, deren Augen sich schlossen.

Kieran wich vorsichtshalber noch einen Schritt zurück, als Alraune mit den Armen ausholte. Im nächsten Moment leuchtete sie bereits in einem gleißenden Licht auf, zahlreiche Ranken schossen aus ihren grünen Ärmeln hervor, hielten direkt auf die Wand aus Lakaien zu.

Einige von ihnen wurden direkt von den Ranken getroffen, als diese sich in die Hauswand bohrten. Sie lösten sich in einem glitzernden Funkenregen auf, der Kieran stets an ein lautloses Feuerwerk erinnerte.

Die anderen Lakaien drehten ihre Köpfe nach hinten und enthüllten rasiermesserscharfe Reißzähne, die denen eines Hais in nichts nachstanden. Alraune ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Die Ranken lösten sich von ihren Armen, blieben aber in der Wand verankert, zogen sich zusammen – und begannen zu blühen. Lila Blüten entfalteten sich zu einem Ebenbild jener Blumen, die Alraune in ihrem Haar trug. Sie verströmten große gelbe Pollen, die jeden Lakaien bei Berührung in sich aufnahmen, ehe sie zerplatzten und die Blumen rasch wieder verwelkten.

Inzwischen war die Wand wesentlich freier von jedem Einfluss der Lakaien – aber es waren immer noch genug übrig. Diese stießen ein wütendes Fauchen aus und stürzten sich auf Alraune. Kaum lösten sie sich von der Mauer, wuchsen ihnen krallenbewehrte Klauen, die im Licht der Straßenlaternen glitzerten. Alraune schleuderte den Lakaien Blätter entgegen, die nicht weniger scharf waren als die Reißzähne der Wesen, die sogleich zerfetzt wurden und in Funken zu Boden regneten. Der kleinere Teil derer, die noch überlebt hatten, schafften es aber, Alraune wirklich zu erreichen und ihre Krallen in den Körper seiner Familiar zu schlagen.

Kieran spürte ein unangenehmes Ziehen an den Stellen, an denen Alraune getroffen wurde, unterdrückte aber weitere Gedanken daran, um sie nicht abzulenken.

Ihr rosa Haar entwickelte ein Eigenleben, schlang sich um die Lakaien und riss sie mit einem einzigen Ruck wieder heraus; silbern glitzerndes Blut floss heraus, versiegelte die Wunden aber sofort. Alraune schleuderte die Lakaien derweil auf den Boden, wo sie reglos liegenblieben, ehe sie von plötzlich erschienen Rosendornen aufgespießt wurden.

Für den Moment herrschte wieder Ruhe, sie waren allein auf der Straße. Aber er wusste nicht, wie lange dieser Zustand anhielte, der Dämon war sicher auf sie aufmerksam geworden, immerhin schien der Schmerz seiner Lakaien ähnlich wie der eines Familiars übertragen zu werden.

„Du bleibst hier, Alraune“, wies er sie an. „Wenn neue Lakaien auftauchen, übernimmst du sie. Geht das in Ordnung?“

Sie gab einen zustimmenden Laut von sich, der wieder eine wundervolle musikalische Note klang, so dass Kierans Stimmung sich direkt hob. „Danke, Alraune. Wir sehen uns.“

Zuletzt sah er noch ihr Lächeln, ehe er sich in Bewegung setzte, um den Meister dieser Lakaien zu finden. Unwillkürlich verfiel er dabei in einen Dauerlauf, um das möglichst zu schaffen, noch bevor er neue Lakaien schicken könnte. Auch die Kraft eines Familiar war begrenzt und er wollte diese nicht ausreizen.

Während er die Straße hinunterlief, spürte er, wie die Anwesenheit des Dämons immer deutlicher wurde. Er spürte, wie sie nach seinem Körper griff, wie das Wesen wünschte, ihn zu zerfetzen, ihn zu fressen, ihn zu vernichten. Am Anfang war dies auch ein überwältigendes Gefühl für ihn gewesen, aber inzwischen war er es derart gewohnt, dass es ihn nicht mehr störte. Es war nicht angenehm, aber auch lange nicht so schlimm, dass man es nicht mehr aushielt.

Schließlich kam er an einem Gebäude an, vor dem er einen ruhenden Dämon entdecken konnte. Er sah nicht aus wie seine Lakaien, nicht einmal im Entferntesten. Stattdessen erinnerte er mehr an eine übergroße Gottesanbeterin, deren Oberkörper der einer Frau war. Langes, dunkelblondes Haar fiel über ihre nackten Schultern und bedeckte ihre Brüste. Ihr Gesicht war eine verzerrte Grimasse, zerklüftet wie eine Klippenlandschaft, mit starren toten Augen und einem stets leicht geöffneten Mund, der aus den Tiefen der Hölle nach Erlösung zu schreien schien.

„Habe ich dich“, murmelte Kieran und ließ eine Armbrust in seinen Händen erscheinen.

Noch schien die Dämonin ihn nicht entdeckt zu haben – und er hatte auch nicht vor, diese Gefahr überhaupt in Kauf zu nehmen. Er hob die Armbrust und schoss einen Bolzen auf das Wesen ab. Im selben Augenblick fuhr das Wesen herum, entdeckte das Projektil. Mit einem einfachen Handschlag schleuderte es den Bolzen beiseite, dann stürmte es auf ihn zu.

Kieran wich mit einem Sprung zur Seite aus und schoss erneut einen Bolzen ab. Diesmal traf er den grünen Unterleib des Wesens, kaum hatte sich das Projektil in das Fleisch gegraben, schossen drei Metallseile daraus hervor, die sich in den Boden bohrten und die Dämonin damit in Schach hielten.

Wirklich gern gab er es nicht zu, aber das war tatsächlich eine Idee von Faren gewesen – und sie hatte sich als derart effektiv erwiesen, dass Kieran darauf gar nicht mehr verzichten wollte. Auch in diesem Fall sorgte es dafür, dass die Dämonin eher damit beschäftigt war, sich wieder von dem Bolzen oder zumindest den Fesseln zu befreien.

Kieran setzte bereits wieder an, um einen letzten Bolzen in das Wesen zu schießen, aber da konzentrierte es seinen Blick bereits wieder auf ihn – und schoss plötzlich einen gebündelten Laserstrahl auf ihn ab.

Gerade noch rechtzeitig gelang es Kieran, einen Schild aus rot leuchtenden Waben aufzubauen, an denen der Strahl wirkungslos verpuffte. Derart viel Intelligenz hätte er einer Dämonin der Kategorie 3 nicht zugetraut. Aber es durfte ihn nicht aufhalten.

Er ließ den Zeigefinger kreisen, genau viermal, und deutete dann auf die Dämonin. Die Waben wandelten sich ihrerseits nun in einen konzentrierten Strahl, der gleich darauf seine Gegnerin traf und diese in Brand steckte. Sie stieß ein gellendes Kreischen aus, irgendwo hörte Kieran das Knacken einer Fensterscheibe. Wieder legte er die Armbrust an.

Ein solches Feuer überlebte die Dämonin zwar sicher nicht, aber es war ihm doch lieber, sie direkt zu töten, ehe sie noch mehr zerstören konnte, die Fenster waren auch schon wieder zu viel.

Sein Bolzen traf die Dämonin direkt in die Brust, das Feuer erlosch auf einen Schlag, dafür breitete sich, ausgehend von der Verletzung, eine frostige Schicht auf ihrem Körper aus, die sie innerhalb kürzester Zeit vollkommen eingefroren hatte. Er wartete einen kurzen Moment – es wäre nicht das erste Mal, dass sich ein Dämon plötzlich wieder befreite – aber es geschah nichts weiter, sie bewegte sich nicht mehr.

Zufrieden ließ Kieran die Armbrust wieder verschwinden und ersetzte sie durch einen Hammer, dann ging er mit langsamen Schritten auf die Eisskulptur zu. Das Licht der Straßenlaternen ließ sie glänzen, so dass sie unwirklich erschien, wie etwas, das nicht aus dieser Welt kam, aber gleichzeitig wunderschön war. Dennoch musste er es zerstören, damit es keinen Schaden mehr verursachen konnte.

Ohne weiter nachzudenken, holte er mit dem Hammer aus und zerschlug die Dämonin mit einem einzigen Schlag in zahllose Einzelstücke, denen nicht mehr anzusehen war, worum es sich einmal gehandelt haben mochte. Den Rest erledigte das relativ warme Wetter für ihn, also ließ er auch diesen Hammer wieder verschwinden. Fast zeitgleich erklang wieder Alraunes Melodie in seinem Inneren, also war sie auch wieder zurückgekehrt.

„Der Auftrag ist erledigt“, stellte er zufrieden fest.

Er wollte sich gerade umdrehen, damit er zum Hauptquartier zurückkehren konnte, als er eine andere Stimme hörte: „Wieder einmal so spät unterwegs?“

Es war unnötig, sich nach dem Sprecher umzusehen, da er bereits allein anhand der tiefen, wohlklingenden Stimme – und Alraunes erfreuten Tönen in seinem Inneren – ausmachen konnte, dass es sich um jemanden handelte, mit dem er bereits viel zu oft zusammengetroffen war. „Sie schon wieder?“

Einige Schritte entfernt von ihm stand ein großer Mann, dessen langes braunes Haar ihm fast bis an die Hüfte reichte. Der Blick durch seine Brille schien wesentlich strenger als er sollte, dadurch kam es Kieran noch mehr so vor, als ob der andere ihm eigentlich etwas Böses wollte.

„Ich werde dir so oft wiederbegegnen, bis du diese Arbeit aufgibst.“

Dr. Vane Belfond war eigentlich ein Arzt, wie Kieran wusste, aber er hatte es sich irgendwann einmal zur Aufgabe gesetzt, Abterachts finstere Machenschaften aufzudecken.

Kieran rollte mit den Augen. „Ich bin jetzt schon lange volljährig, sollten Sie es an diesem Punkt nicht endlich aufgeben?“

Immerhin ging es ihm, laut eigener Aussage, darum, dass Abteracht Jugendliche dazu ausbildete, einer derart gefährlichen Arbeit nachzugehen. Da hatte Kieran ihn auch noch in gewisser Weise verstanden – inzwischen war das Verständnis aber auch schon wieder abgeflaut, da er selbst mit Erreichen seiner Volljährigkeit noch von ihm verfolgt wurde. Glücklicherweise nicht jedes Mal, aber die wenigen Gelegenheiten blieben ihm dafür umso mehr im Gedächtnis. Bislang war aber noch keine Konsequenz deswegen eingetreten. Die Zeitungen und Nachrichtensender winkten bei so etwas ab, Faren, als PR-Agent, beschwichtigte Vane nur gern und Cerise lachte immer nur, wenn die Rede auf ihn kam.

„Du wurdest dafür indoktriniert, diese Arbeit gut zu finden“, erwiderte Vane. „Ich kenne einen guten Therapeuten für derartige Fälle.“

„Ich habe kein Interesse, danke.“

Wie oft müsste er das noch wiederholen, bis Vane es ihm endlich einmal glaubte?

Er wollte weggehen, aber mit wenigen Schritten – lange Beine waren eben ein Vorteil – kam Vane ihm bereits zuvor und stellte sich ihm in den Weg. „Du solltest dir das wirklich einmal durch den Kopf gehen lassen. Wir können dir helfen.“

Kieran musste den Kopf heben, damit er seinen Gegenüber ansehen und ihm einen finsteren Blick schenken konnte. Dieser wurde allerdings von Vanes eigener dunklen Aura direkt abgeblockt. Nicht, dass er wirklich eine sichtbare Aura besessen hätte, aber sehr farbenfroh und strahlend kam er Kieran auch nicht vor. Er störte sich nicht daran, nur an Vane selbst, das war ein Unterschied.

Wenn seine Stimme nur nicht so schön klänge …

Alraune war jedenfalls immer reichlich angetan von ihm und musste dies auch immer mit vielen positiven, musikalischen Tönen verbinden, die Kieran wohl die Angst vor ihm nehmen sollten. Aber eigentlich war er doch eher genervt als ängstlich.

„Woher wussten Sie eigentlich, dass ich hier sein werde?“, fragte er.

„Das war gut geraten. Ich bekam mit, dass hier ein Dämon sein Unwesen treibt und habe auf dich gewartet.“

Kieran runzelte seine Stirn. „Das war gefährlich. Die Dämonen hätte Ihnen etwas antun können.“

Cathans einzige Reaktion wäre darauf sicher ein begeistertes Klatschen, aber er machte sich im Gegensatz zu seinem Vater eher Sorgen. „Sie sollten nicht derart leichtsinnig sein.“

„Ich entscheide selbst, wie ich mich verhalten möchte, danke.“

„Ich mich auch“, erwiderte Kieran kurzangebunden.

Zwei Ranken schossen aus seinem Rücken und fanden Halt an einem der Häuser. „Deswegen verabschiede ich mich jetzt. Gute Nacht, Dr. Belfond.“

Ehe Vane widersprechen konnte, wurde er bereits mithilfe der Ranken auf eines der Gebäude hinaufbefördert, weit weg aus dem Einflussbereich des anderen, den er mit gerunzelter Stirn zurückließ – so wie es eben jedes Mal lief, wenn sie sich begegneten.

Kieran überquerte das Dach, auf dem er sich befand, wobei er Alraunes enttäuschte Töne ignorierte, dann begab er sich mit ihrer Hilfe auf der anderen Seite wieder auf den Boden zurück.

Denk nicht mehr an diesen Kerl, Alraune. Egal, was für eine tolle Stimme er hat, er will uns nur von unserer Arbeit abbringen.

Einer sehr wichtigen Arbeit auch noch. Was sollte ohne Leute wie ihm aus dieser Stadt werden? Möglicherweise sogar aus dieser Welt?

Plötzlich verstummte Alraune, was Kieran innehalten ließ. Sie gab auch keinerlei Erklärung von sich, die ihm sagen könnte, ob es sich eventuell um einen Dämon handelte oder einen Menschen, vielleicht sogar um jemanden, den er kannte. Es herrschte eine vollkommene Stille, als hätte Alraune ihn vorübergehend verlassen, um Lakaien zu bekämpfen.

Dafür konnte er einen anderen Laut hören, einen, den er so bislang noch nie gehört hatte. Es war ein melodisches Summen, zu einem ihm unbekannten Lied, das derart verführerisch war, dass er glaubte, wie von einer Sirene gelockt zu werden. Doch obwohl er diesen Gedanken klar und deutlich, verbunden mit einer Warnung, in seinem Kopf spürte, lenkten seine Füße ihn dennoch in genau die Richtung, aus der dieses Summen kam. Er wollte den Mund öffnen, in einem Versuch, ihnen lauthals Anweisungen dazu zu geben, sich umzudrehen, aber ihm war, als hätte das Summen jegliche seiner Körperfunktionen zum Erlahmen gebracht und ihn in eine Puppe verwandelt, die von fremder Hand in den Untergang geführt wurde.

Schließlich, zu seiner Erleichterung, hielt sein Körper wieder inne, wenngleich direkt vor einem Schatten, der wesentlich dunkler wirkte, als er sein dürfte. Das Summen verstummte, dafür war es ihm, als könne er Schritte hören, die sich ihm langsam aus dem Dunkel näherten.

„Ein Jäger hat sich also in meine Fänge verirrt“, erklang eine Stimme, die jener ähnelte, die zuvor gesummt hatte. „Das ist wirklich schön.“

Kieran wollte fragen, wer da mit ihm sprach, was sie von ihm wollte – da sah er, wie eine blasse Hand aus der Dunkelheit hervorkam und direkt in seine Brust hineingriff.

„Jetzt gehörst du mir.“

Schmerzen, schlimmer als alle, die er jemals zuvor gespürt hatte, breiteten sich wie ein Lauffeuer in seinem gesamten Körper aus, bis er das Gefühl bekam, vollkommen in Flammen zu stehen. Wie aus weiter Ferne hörte er wieder das Summen der Sirene, diesmal erklangen darunter aber auch verzweifelte Töne, die von Alraune kamen. Er wollte sie fragen, ob alles in Ordnung war, ihr versichern, dass er sie beschützte, aber der Schmerz raubte ihm jegliche Kraft dazu.

Langsam, gerade als er sich an das Brennen gewöhnte, wandelte es sich in eine klirrende Kälte, die genauso unerträglich war, wie zuvor das Feuer. Das Summen und Alraunes Töne verklangen, als entfernten sie sich von ihm, gemeinsam mit seinem Bewusstsein, das ihm zu entgleiten drohte.

Der letzte Gedanke, ehe er endgültig in die Schwärze einer Ohnmacht sank, galt der Reue, die er empfand, weil er nun nicht mehr dazu käme, mit Faren über Partnerkostüme zu sprechen.



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