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Freundschaftsband

Durch die Kraft des Bands der Freundschaft
von

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Alte Narben und neue Wege, mit ihnen umzugehen

Alte Narben und neue Wege, mit ihnen umzugehen
 

„Lady Diana, vielen Dank für alles. Wieder einmal haben sie uns aus der Patsche geholfen. Ich hoffe, das kommt in der nächsten Zeit nicht mehr vor.“

„Das hoffe ich auch, Svenja. Auch wenn ich natürlich hoffe, dass wir uns bald wieder sehen“, lächelt die ältere Dame, bevor sie sich Xanny zuwendet. „Oxana, meine Liebe, bevor du dir Sorgen machst. Die Schulstunden, die du am heutigen Montag verpasst hast, werden dir natürlich nicht aufgeschrieben. Ich weiß schließlich, was dich aufgehalten hast und immerhin hattest du ja sogar so etwas wie Privatunterricht.“ Gutmütig zwinkert sie Xanny zu, die Lady Diana freudestrahlend und mit großen Augen ansieht. „Wirklich? Oh, vielen Dank, Lady Diana. Ich hatte mir tatsächlich schon Gedanken gemacht, wie ich das meinen Lehrern erklären soll.“

„Sie sind informiert, mach dir keine Gedanken. Erschein morgen einfach ganz normal zum Unterricht und alles ist in Ordnung.“

„Oh verdammt“, entfährt es meiner besten Freundin auf einmal und wir alle sehen sie überrascht an. Solche Flüche gehören eigentlich nicht zu Xannys Sprachgebrauch.

„Was ist?“, fragt Zac sofort besorgt nach und berührt sie sanft am nackten Unterarm.

Leicht panisch wendet sie sich an den Brünetten. „Wir müssen so schnell wie möglich nach Hause! Ich muss für morgen noch ganz viele Hausaufgaben machen!“

Einen Moment sind wir alle still, bevor Zac und ich gleichzeitig anfangen zu lachen und uns einfach nicht mehr einkriegen. Dass Xanny uns jetzt eingeschnappt ansieht, macht es nicht wirklich besser. „Hört auf zu lachen! Ich meine es ernst“, versucht Xanny uns zu befehlen, aber sie sagt es so quitschig, dass es nicht wirklich richtig rüberkommt. Fehlt nur noch, dass sie mit dem Fuß aufstampft und wütend schnaubt. Es passt einfach nicht zu ihr. Aus diesem Grund schaffen wir es auch nicht uns zu beruhigen.

Erst als ich Karnimani leise neben mir knurren höre, die ganze Zeit war er erstaunlich ruhig, sehe ich nach oben und erkenne, wie Xannys blaue Kulleraugen sich mit Tränen füllen. Sofort vergeht mir das Lachen. „Xanny“, flüstere ich bestürzt und will sie umarmen, doch sie weicht zurück. „Lass mich“, fleht sie mich leise an und senkt ihren Blick, sodass ihr die langen Haare vors Gesicht fallen und niemand mehr ihre Tränen sehen kann. Es zerreißt mir fast das Herz, als ich sie so sehe. Denn ich bin schuld daran.

Jetzt merkt auch Zac, dass etwas falsch läuft und ist urplötzlich still.

Verdammt, was bin ich für eine Idiotin!? Was fällt mir ein, meine beste Freundin auszulachen? Sie, die schon jahrelang von anderen Mädchen ausgelacht und runtergemacht wird? Und jetzt lache ausgerechnet ich sie aus!

„Xanny, entschuldige bitte. Ich wollte nicht über dich lachen. Das hab ich auch nicht, es war mehr, … das war die Situationskomik, über die ich gelacht habe. Hätte das jemand anderes so gesagt, hätte ich auch bei demjenigen angefangen zu lachen“, versuche ich mich zu erklären. Ich sehe ihr an, dass es nicht ausreicht. Ich habe ihre Narben aufgerissen. Ausgerechnet ich!

„Lass uns jetzt einfach nach Hause gehen.“ Ihre Stimme klingt erstickt und noch immer sieht sie niemanden von uns an. Ohne ein weiteres Wort zu mir dreht sie sich nochmal zu Lady Diana um, verabschiedet sich knapp von ihr, bevor sie in Richtung Waldrand losläuft.

Seufzend sehe ich meiner besten Freundin nach. Die fröhliche Stimmung ist uns allen vergangen. Was habe ich dumme Nuss da nur angerichtet?

Schnell verabschieden Zac und ich uns von Lady Diana und eilen Xanny dann nach, die gerade, ohne auf uns zu warten, einfach in den Wald stapft. Und dass, ohne dass sie ein Pokémon hat, was sie beschützt! Ist sie verrückt?!
 

„Xanny, warte!“, rufe ich ihr nach, doch die Blauhaarige hört nicht auf mich, sondern läuft kopflos in den Wald hinein. Sofort habe ich sie aus den Augen verloren. Besorgt renne ich noch schneller. Was, wenn sie gleich von einem Pokémon angegriffen wird?

Wenige Momente später betreten Zac, Karnimani und ich den Wald und sehen uns hektisch um. Doch Xanny können wir nirgendswo erblicken. Wo ist sie nur?

„Wo kann sie nur sein? Sie war doch gerade noch da!“, wende ich mich an Zac und spüre, wie die Sorge langsam in Panik umschlägt. Wenn ihr etwas in diesem Wald passiert, dann ist das meine Schuld. Sie ist nur wegen mir hier her gekommen und nur weil ich sie verletzt habe, ist sie jetzt einfach in den Wald gelaufen.

Gerade macht Zac den Mund auf, um mir zu antworten, da tönt auf einmal ein hoher Mädchenschrei durch den Wald. Xanny!

Einen Moment sehen Zac und ich uns in die Augen, hellbraun trifft türkisblau, dann rennen wir beide wie auf ein stilles Kommando hin los, in die Richtung, aus der der Schrei kam. Karnimani folgt uns so schnell er kann.

„Xanny!“, brülle ich aus Leibeskräften, doch anstatt eine Antwort von ihr zu erhalten, höre ich einen wütenden Pokémonschrei. „Roo!“ Das kam von links. Ich korrigiere meine Richtung etwas und renne weiter. Bäume und Büsche huschen an meinem Sichtfeld vorbei und dann sehe ich sie. Xanny liegt auf dem Boden, hat sich auf den Rücken gedreht und krabbelt verängstig rückwärts. Ihr weißes Kleid ist komplett verdreckt, an ihren Knien klebt die Erde und zu ihren Füßen … da steht ein Rotomurf, ein Boden Pokémon, was seine Klauen bedrohlich auf und zu schnappen lässt und langsam auf sie zukommt. Neben dem Pokémon ist ein Hügel, in dessen Mitte ein Loch in Rotomurfs Größe zu erkennen ist. Hat Xanny etwa nicht aufgepasst und ist über das Pokémon in seinem Erdhügel gestolpert?
 

Egal jetzt, dass Rotomurf will meiner besten Freundin wehtun und das werde ich nicht zulassen. „Karnimani, Aquaknarre, bitte schnell!“

Sofort bleibt mein Partner stehen, holt tief Luft und pumpt aus dem Wasserspeicher in seinem Körper einen Wasserstrahl, der auf das wilde Pokémon zu schießt.

Das Pokémon hatte uns noch gar nicht auf dem Schirm und so trifft Karnimanis Attacke das Rotomurf, was von dem Wasserstrahl erfasst und einige Meter abgedrängt wird. Dann versiegt die Aquaknarre und das Pokémon rappelt sich langsam auf und dreht sich zu uns um. Das Wasser tropft von seinem Körper und seine Augen funkeln mordlüstern. Heftig atmend taxiert es uns kurz, bevor es hochspringt, sich beginnt in der Luft zu drehen und dann, sobald es den Boden berührt … hat es sich schneller in den Boden gegraben, als irgendwer reagieren kann?

Ist es … geflüchtet?
 

Irritiert sehe ich mich um und auch Karnimani sieht verdutzt auf das Loch, läuft sogar langsam darauf zu. Neugierig beugt er sich darüber und späht hinein. Im nächsten Moment sehe ich, wie etwas daraus hoch schießt und erschrocken zuckt Karnimani zurück.

Und da steht es wieder. Rotomurf! Das Pokémon hat sich in dem Loch versteckt und gehofft, dass einer von uns sich seinem Versteck nähert, damit es dann angreifen kann, wenn wir nicht damit rechnen! Und es hätte funktioniert, hätte Karnimani nicht so gute Reflexe. Eben dieses Pokémon schlägt nun wütend mit dem Schweif. Die Wasserechse scheint es nicht leiden zu können, so ausgetrickst zu werden.
 

„In Ordnung, Karnimani, wenn Rotomurf spielen will, lass uns mit ihm spielen. Silberblick, bitte!“

Sofort wirft Karnimani dem wilden Pokémon einen drohenden Blick zu, der das kleinere Pokémon zurück weichen lässt. Doch dann springt das Rotomurf aus dem nichts auf Karnimani zu und kratzt ihm über die Brust. Durch den Schwung, den das braune Pokémon hatte, stolpert Karnimani nach hinten und fällt mit einem überraschten Schrei zu Boden, als er auf einem der Hügel von Rotomurf ausrutscht.

Sofort ist Rotomurf über ihm, sitzt praktisch auf Karnimani, drückt ihn so mit seinem Gewicht zu Boden, und beginnt ihn immer wieder zu kratzen.

Verzweifelt windet Karnimani sich unter seinem Gegner, kommt aber nicht frei. Anhand seines wütenden Fauchens höre ich, wie er langsam verzweifelter und müder wird. Und Aquaknarre kann er nicht einsetzen, da Rotomurf auf seinem Bauch sitzt. Es verhindert so, dass Karnimani tief einatmen und dass Wasser aus seinem Körper hoch pumpen kann. Allerdings sind Karnimanis Arme frei. „Bitte, Katzer, Karnimani! Dann pack es, wirf es zur Seite und beende es mit Aquaknarre!“

Sofort hört Karnimani auf sich kopflos zu wehren, stattdessen versucht er mit seiner rechten Klaue Rotomurf zu kratzen. Dieses hält aber selbst mit einem Kratzer dagegen. Beide drücken gegeneinander, Rotomurf versucht Karnimani wieder zu Boden zu drücken, Karnimani versucht Rotomurf zur Seite zu drücken.

„Du schaffst es, Karnimani!“

Mit einem erstickten Fauchen schafft es Karnimani nach einigen Sekunden Kräftemessen tatsächlich, das Rotomurf nach links und dann schnell von sich runter zu drücken. Nun beugt sich Karnimani halb über seinen Gegner und bevor der noch etwas tun kann, kratzt mein Partner ihm über sein Gesicht. Dass war zwar nicht die Attacke, die ich für diese Position befohlen hatte, aber es war die bessere Wahl, wie ich gerade feststelle. Das Vorbereiten der Aquaknarre hätte womöglich zu lange gedauert, sodass Rotomurf Zeit gehabt hätte, sich aus Karnimanis Griff zu befreien. Kratzer war da viel effektiver.

„Roootooomuuurf!“, schreit das Boden Pokémon erstickt auf, bevor all seine Muskeln erschlaffen und es sich geschlagen gibt.

Erschöpft lässt sich Karnimani neben seinem besiegten Gegner auf den Boden plumpsen.
 

Sobald ich sehe, dass die Gefahr gebannt ist, renne ich zu Xanny und lasse mich neben ihr zu Boden fallen. „Xanny! Geht es dir gut? Was ist denn nur passiert?“

„Ja, alles gut. Ich wollte nur so schnell wie möglich nach Hause und da habe ich das Rotomurf übersehen. Ich bin über es gestolpert und das fand es wohl nicht so toll. Aber dann wart ihr ja zum Glück da. Danke“, schnieft Xanny leise, während sie versucht, den Dreck von ihren Knien abzupiddeln.

Erleichtert atme ich aus. Ihr geht es gut! Karnimani und ich waren rechtzeitig da und konnten sie beschützen. „Aber warum bist du denn einfach so vorgerannt? Weißt du, was ich mir eben für Sorgen gemacht habe?!“, frage ich Xanny laut und greife sie an den Schultern, damit sie mich ansieht.

Das tut sie auch. Überrascht sieht sie mich aus großen saphirblauen Augen an. „Du hast dir Sorgen um mich gemacht? Aber warum?“

Verwirrt sehe ich sie an. „Na, weil du meine beste Freundin bist, verdammt!“

„Bin ich das?“ Mit erschrecken sehe ich, wie sich ihre Augen wieder mit Tränen füllen und ihr diesmal ungehemmt über die Wangen fließen. „Du hast über mich gelacht. Und als ich sagte, du sollst das lassen, hast du nicht auf mich gehört. Du hast mich ausgelacht wie es alle anderen auch immer machen. Sowas tut eine beste Freundin nicht.“

Mit aller Wucht kommen all meine Schuldgefühle wieder zurück, die ich gerade eben durch Sorge und dann Unverständnis verdrängt habe und auch meine Augen füllen sich mit Tränen. „Xanny…“, flüstere ich erstickt und streiche ihr unsicher über das blaue Haar. Was soll ich sagen? Ich habe mich wirklich nicht wie eine beste Freundin verhalten. „Du hast recht. Ich habe mich falsch verhalten. Gerade ich als deine beste Freundin hätte wissen müssen, wie sehr es dir wehtut, wenn man über dich lacht. Ich habe dich verletzt, auch wenn es das letzte war, was ich jemals gewollt habe. Und das tut mir so leid. Entschuldige bitte.“

Xannys ganzer Körper bebt inzwischen, weil sie immer mehr weint. „Es wäre … wäre weniger schlimm gewesen, wenn … wenn es nicht du gewesen wärst. Aber eben weil, … weil du es warst, … hat es mir mehr wehgetan als je zuvor.“ Immer wieder wird sie von Hicksern unterbrochen, denn jetzt kommt zu ihrem Weinen auch noch Schluckauf hinzu. „Weil ich, … bin doch deine beste Freundin! … Oder nicht?“

Entsetzt ziehe ich sie in meine Arme, auf meinen Schoß und halte sie fest. Die Blauhaarige bebt in meiner Umarmung und meine Tränen tropfen in ihre langen Haare, weil sie mit ihrem Kopf in meiner Halsbeuge liegt. „Natürlich bist du das, Xanny! Es wirst immer du sein. Ich weiß, dass ich mich falsch verhalten habe und es tut mir unendlich leid. Bitte, kannst du mir verzeihen?“

Xanny antwortet nicht, aber ich spüre ihr Nicken unter meinem Kopf. Befreit umarme ich sie fester und so halten wir uns aneinander fest, während wir vor Erleichterung noch mehr weinen.
 

Doch nach einer Weile haben wir uns wieder beruhigt und ich lehne sich etwas zurück, um Xanny aus vermutlich rotgeweinten Augen in die genauso roten Augen sehen zu können. „Also, bin ich noch deine beste Freundin?“, versuche ich es mit einem frechen Spruch und einem halben Grinsen, doch innerlich komme ich fast um vor Sorge, ich könnte unsere Freundschaft ruiniert haben.

Aber Xanny lächelt sanft. „Natürlich. Und bin ich deine?“

Jetzt lächle ich wirklich. „Ja, dass bist du.“ Es ist alles wieder in Ordnung zwischen uns beiden.
 

„Ähm,… also, ich will ja nicht stören, … aber ich wollte sagen, dass es mir auch sehr leid tut, Oxana“, unterbricht uns auf einmal Zac und reißt uns komplett aus diesem Moment der puren Erleichterung. Zac und Karnimani hatte ich ja völlig vergessen!

„Ist schon gut, Zac“, beruhigt ihn Xanny leise und zieht dann geräuschvoll die Nase hoch, bevor sie in ihrer Handtasche herumkramt. „Ich darf mich einfach nicht so anstellen“, fügt sie hinzu, bevor sie ihre Nase putzt.

Beunruhigt sehe ich sie an. Was redet sie da nur schon wieder? Entschlossen greife ich nach ihrem Kinn, sodass sie gezwungen ist, mir in die Augen zu sehen. „Sag das nie wieder. Wer auch immer dir einredet, du würdest dich nur anstellen und eigentlich wäre es ja gar nicht so schlimm, hör nicht auf sie. Niemals. Für wie schlimm du etwas hälst, dass entscheidest immer noch du. Das eben war eine Kacksituation und deine Reaktion war absolut gerechtfertigt. Ich hätte ziemlich sicher nicht anderes reagiert.“

Gutmütig lächelt Xanny uns an. „Lasst uns das einfach vergessen, ja? Wir sollten jetzt auch wirklich mal weitergehen, sonst erwacht Rotomurf nochmal.“ Damit befreit sie sich aus meinem Griff und steht von meinem Schoß auf. Sie versucht zwar, ihr weißes Kleid von der feuchten Erde zu befreien, gibt es aber relativ schnell auf, als sie damit keinen Erfolg hat. Stattdessen reicht sie mir die Hand, um mir aufzuhelfen. Auf meinem weißen Rock ist zum Glück kein Dreck, ich bin ja auch nicht über einen Rotomurf Hügel gestolpert und dann panisch krabbelnd vor diesem Pokémon geflüchtet. Aber auch mein Rock ist an den Stellen, auf denen ich gesessen habe, wie z.B an meinem Hintern, nass.

Ich sehe zu Zac und Karnimani, der von Zac geheilt wurde, wie es aussieht. „Dann lasst uns gehen.“

Als die beiden sich sofort in Bewegung setzen und vorgehen, spüre ich, wie Xanny zaghaft nach meiner Hand greift. Sofort umfasse ich ihre fester, spüre wie sie augenblicklich ruhiger wird und Hand in Hand folgen wir unserem Freund und meinem Partner.
 

Auf dem Weg durch den Wald erzähle ich den beiden natürlich alles, was sich gestern in diesem Wald so zugetragen hat. Zumindest alles bezüglich der Suche nach Karnimani. Die seltsame Unterhaltung mit Lady Diana gestern Abend am See lasse ich aus. Ich verstehe selbst nicht, was da passiert ist und möchte die beiden nicht damit beunruhigen.

So vergehen schnell ein, zwei Stunden und plötzlich durchbrechen wir die Dunkelheit des Simplex Waldes und stehen im strahlenden Sonnenschein. Durch die plötzliche Helligkeit geblendet kneife ich erstmal die Augen zusammen und halte die Hand vor mein Gesicht. Erst nach einigen Momenten wage ich es, die Augen wieder aufzumachen. Und tatsächlich- wir haben es geschafft! Wir sind aus dem Simplex Wald heraus und wieder in Sankt Schollerin angekommen.

„Endlich!“, jubele ich auf, was meine beiden Freunde zum Lachen bringt. „Okay, dann lasst uns jetzt mal zu Xanny gehen.“

Sofort stimmen die beiden mir zu und innerhalb von fünf Minuten sollten wir eigentlich vor ihrer Haustür stehen. Eigentlich.

Im Gegensatz zum letzten Mal regnet und stürmt es dieses Mal nicht, sondern die Sonne scheint angenehm warm auf uns herab. Kein Wunder also, dass diesmal das ganze Dorf auf den Beinen zu sein scheint. Während wir durch mein 32 Menschen großes Heimatdorf gehen, begegnen wir überall Bekannten, die natürlich anhalten und ein wenig mit uns plaudern wollen. Wie es mir so ergangen ist nach dem Umzug und wie mir mein neues Zuhause gefällt. Und sobald sie merken, dass Karnimani mein Partner ist, was auf den ersten Blick wirklich nicht auffällt, so abweisend wir er neben uns dreien steht, wollen sie natürlich auch erfahren, wie meine Reise bisher so verläuft. Dann betrachten sie Xanny, sehen wie verdreckt sie ist und wollen natürlich gleich besorgt wissen, was denn passiert ist. Wir kommen kaum vorwärts, weil wir immer wieder von anderen Leuten angesprochen werden. In einem kleinen Dorf kennt man sich eben, die meisten von ihnen haben Xanny und mich aufwachsen sehen und weil wir immer nur sehr wenige Kinder in Sankt Schollerin waren, kommt es nicht oft vor, dass irgendjemand auf Reisen geht. Von daher ist es kein Wunder, dass ich hier nun von allen ausgefragt werde und die Leute sich Sorgen um Xanny machen.

Wundersamerweise erwähnt aber niemand die `Travel Trainer´ Serie. Entweder keiner von ihnen guckt die Serie, wobei ich das nicht glaube. Sie wurde oft genug live in der Kneipe übertragen, wo dann das halbe Dorf zusammen kam, um sie sich anzusehen. Also liegt es wohl eher daran, dass ich ja offiziell nichts von der Serie weiß und die Leute sich ihren Spaß nicht verderben wollen, indem sie mich aufklären. Ziemlich witzig eigentlich. Aber ich spiele mit, beantworte geduldig all ihre Fragen und schaffe es irgendwann, mich von all meinen neugierigen Exdorfmitbewohnern zu lösen. Nach sage und schreibe einer halben Stunde und nicht bloß fünf Minuten kommen wir endlich bei Xanny zu Hause an.

„Puuh, endlich geschafft“, seufzt meine beste Freundin auf und lässt sich erstmal auf die Stufen vor ihrer Haustür fallen.

Zerknirscht sehe ich sie an. „Sorry für diesen Auflauf gerade eben. Ich weiß auch nicht, was die alle auf einmal haben. Und auch sorry, dass du wegen mir gestern nochmal in dem Simplex Wald gegangen bist. Das hättest du nicht tun müssen.“

„Aber ich habe es gerne getan. Ich bin immerhin deine beste Freundin und du bist meine. Da macht man sowas“, erklärt Xanny mir mit einem leichten Lächeln. Bevor sie noch etwas sagen kann, beuge ich mich zu ihr herunter und umarme sie. „Danke“, flüstere ich leise. Ich bin so froh, dass sie mir meinen Patzer von heute Morgen verziehen hat.

Nach einer Überraschungssekunde schlingt Xanny ebenfalls die Arme um mich und so verweilen wir kurz, bevor Xanny sich wieder zurückzieht, also lasse auch ich sie wieder los. Xanny rappelt sich wieder auf und greift unter die Fußmatte auf der dritten Stufe, wo ihre Familie, wie ich weiß, ihren Haustürschlüssel versteckt. „Wollt ihr noch mit rein kommen? Das nächste Schiff nach Serenitia fährt erst um 16.30 Uhr, also so ungefähr in zwei Stunden. Ihr könnt solange hier bleiben, wenn ihr wollt.“

„Also, eigentlich“, beginne ich zögerlich „eigentlich würde ich gerne noch zum Aqua See, unsere Freunde besuchen.“

Kurz sieht Xanny enttäuscht aus, dann nickt sie.

„Du kannst ja mitkommen, Xanny“, schlage ich ihr vor.

Doch die Blauhaarige schüttelt den Kopf. „Ich muss jetzt zu meinen Eltern gehen. Die machen sich sicher schon Sorgen um mich, immerhin wollte ich gestern Abend schon wieder zurück sein. Ich habe ihnen zwar Bescheid gegeben, aber du kennst sie ja.“ Oh ja, ich kenne sie. In dieser Hinsicht sind Xannys und meine Eltern sich sehr ähnlich. Vielleicht verstehen unsere Eltern sich deshalb so gut. Und darum auch wir. Weil wir den anderen verstehen können. Weil wir dieselben Narben auf unseren Seelen tragen.

„Naja, und wenn ich erst mal bei ihnen bin, werden sie mich nicht noch mal gehen lassen“, ergänzt Xanny. Auch das ist mir klar. Wir sehen einander in die blauen Augen und uns wird klar, was das hier jetzt bedeutet. Abschied. Mal wieder. Mal wieder auf unbestimmte Zeit.

Diesmal ist es Xanny, die auf mich zustürzt und mich umarmt. Wir halten uns einige Momente fest, da spüre ich, wie Xanny leicht in meinen Armen zittert und drücke sie weg, um ihr in die Augen sehen zu können. Und ich hatte recht, ihre saphirblauen Augen haben sich mit Tränen gefüllt. Fest sehe ich sie an. „Ich verspreche dir jetzt etwas, Xanny. Sobald du 14 bist und deinen Trainerpass bekommst, vorausgesetzt du schaffst die Prüfung, wovon ich überzeugt bin, werde ich hier stehen. Genau hier vor deiner Haustür. Und dann werden wir beide deinen Traum verwirklichen. Wir werden dein erstes Pokémon fangen oder kaufen, ganz egal, und dann werden wir beide zusammen auf Reisen gehen. So wie wir es uns immer vorgestellt haben. Ist das ein Angebot?“ Lächelnd sehe ich Xanny an, über deren Gesicht sich langsam ein Strahlen ausbreitet. Stürmisch schmeißt sie sich wieder an meinen Hals und jubelt mir ins Ohr. „Danke, Sweety! Du hast keine Ahnung, was mir das bedeutet.“

Wieder drücke ich sie weg, um sie ansehen zu können. Die eben noch tränengefüllten Augen strahlen mich nun an und ihr ganzes Gesicht scheint zu leuchten vor Freude. Ich genieße diesen viel zu seltenen Anblick, trotzdem muss ich ihre Freude etwas dämpfen. „Aber, Xanny“, meine beste Freundin sieht mich überrascht an „damit wir zusammen auf Reisen gehen können, musst du die Prüfung schaffen und deinen Trainerpass erhalten.“

„Das schaffe ich, keine Sorge, Sweety“, plappert Xanny los. Sie ist wirklich aufgeregt und glücklich, normalerweise lässt sie mich aussprechen. Trotzdem muss ich über ihre offensichtliche Freude lächeln. Ich sehe das nicht oft genug an ihr. „Das weiß ich, Xanny. Aber trotzdem gibt es Menschen, die dir deine Prüfung schwerer machen wollen, als sie schon ist.“

Bei dem Gedanken an Sinas Freudinnen, die Xanny auch ohne Sinas Anwesenheit das Leben zur Hölle machen, wird die Blauhaarige automatisch ernster und ruhiger. „Aber was kann jemand wie ich schon gegen die machen?“, fragt Xanny leise.

Entrüstet schnaube ich die Luft aus und stemme die Hände in die Hüften. „Was soll das denn heißen? Jemand wie du? Xanny, hast du überhaupt eine Ahnung wie toll du bist? Wie schön? Wie begabt? Sie dich mal richtig im Spiegel an und du wirst sehen, wie hübsch du bist! Und du bist so gut in der Schule und bist so kreativ! Du kannst so wunderschön zeichnen und hast so viele Ideen, die du in Worte und Geschichten fassen kannst! Siehst du nicht, wie besonders du bist?“

„Wenn es so wäre wie du sagst, warum machen die anderen Mädchen sich dann immer über mich lustig?“, will Xanny leise wissen. Ich kann Zweifel in ihrem Gesicht sehen. Selbstzweifel.

Bevor ich etwas erwidern kann, ist Zac neben mich getreten. Üngläubig sehe ich ihn an, als er beginnt zu erklären. „Weil sie neidisch auf dich sind. Weil sie in deiner Gegenwart beginnen, sich selbst infrage zu stellen. Weil es ihnen ein gutes Gefühl gibt, eine Person nieder zu machen, der sie offensichtlich nicht gewachsen sind. Weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass du dich nicht gegen sie währst. Weil sie glauben, dass sie tun und lassen können was sie wollen, ohne die Konsequenzen tragen zu müssen.“

Xanny starrt ihn an, mit offen stehendem Mund. Und auch ich bin mehr als überrascht. Doch Zac ist noch nicht fertig. „Sie glauben, dass sie alles mit dir machen können, weil sie mehr sind als du und körperlich stärker. Aber du bist nicht alleine, Oxana. Lady Diana hat dir versprochen, dir zu helfen. Also lass dir auch von ihr helfen. Ich weiß, es gehört viel Mut dazu, sich jemandem anzuvertrauen und gerade wenn es ein Erwachsener ist, glaubt man, dass es viel eher kontraproduktiv wäre. Aber das ist es nicht! Lady Diana kann dir helfen. Genauso wie alle anderen Lehrer. Und deine Eltern! Auch mit ihnen solltest du reden. Du hast sie vermutlich nicht völlig unwissend gelassen, aber sie wissen auch längst nicht alles, nicht wahr? Ich nehme an, dann würden sie anders mit der ganzen Situation umgehen.“

„Woher- “, will Xanny erschüttert fragen, doch noch immer ist Zac nicht am Ende. „Aber du kannst die ganze Verantwortung natürlich nicht nur auf andere abwälzen und darauf hoffen, dass die es schon richten werden. Die ganze Sache hat bei dir begonnen. Nun muss sie auch bei dir enden. Veränderungen erfordern jemanden, der einen ersten Schritt macht und dieser erste Schritt erfordert Mut. Aber den hast du! In den wenigen Tagen, in denen wir beide uns kennen, haben ich den Mut in dir öfter gesehen als bei anderen, die ich schon Jahre kenne. Du bist mutig. Und du bist stark! Zeig dass nicht nur, wenn du bei Leuten bist, die du magst. Zeig es auch, wenn du unter Fremden bist oder unter Leuten, die du nicht magst. Mehr noch, zeig es gerade dann. Versteck dich nicht immer im Schatten anderer, sei es der von Svenja oder der der Mädchen, die dir so übel mitspielen. Tritt aus dem Schatten heraus und zeig dich der Welt. Wirf deinen eigenen Schatten. Denn das kannst du.

Du stehst für Leute ein, die du magst. Tu es auch für dich selbst. Genauso wie du deine beste Freundin verteidigst, genauso laut musst du auch dich selbst verteidigen. Du musst dich nicht immer selbst klein machen oder dich von anderen klein machen lassen. Dazu hast du gar keinen Grund, Oxana. Denn Svenja hat recht. Du bist wunderschön und wundervoll wie du bist. Zeig das auch.“ Zac scheint alles gesagt zu haben, was er sagen wollte, denn für einen Moment wird es still um uns. Dann läuft Zac tomatenrot an. Offensichtlich ist er sich gerade bewusst geworden, was er alles gesagt hat und einiges davon wollte er wohl nicht sagen.

In dem Moment stößt Xanny ein Schluchzen aus, dann stürmt sie auf Zac zu und umarmt ihn heftig. Der Brünette hat Mühe, dass Gleichgewicht zu halten, dann umarmte er Xanny ebenfalls, wenn auch etwas ungelenk. Doch schnell zieht Xanny sich wieder zurück. Auch sie ist ungewöhnlich rot in ihrem blassen Gesicht, als sie Zac in die Augen sieht, wobei sie sich auf die Zehenspitzen stellen muss, um das zu schaffen. Dann flüstert sie „Danke“ und gibt ihm einen kurzen, schüchternen Kuss auf die Wange, bevor sie zurück schrickt und schnell zur Haustür eilt. „Wir bleiben in Kontakt, ja?“, stottert Xanny, bevor sie es endlich schafft, mit ihren zitternden Händen die Haustür aufzusperren. Mit einem letzten zarten Lächeln zu uns oder eher Zac, hastet sie ins Innere des Hauses und schlägt die Tür hinter sich zu.
 

Obwohl das für mich definitiv eine unangenehme Situation war und ist, ich fühle mich gerade, als würde ich in deren Privatsphäre reinplatzen und Zac und Xanny quasi bei ihrem ersten Date beobachten, muss ich lachen. Zacs sprachloser, geschockter Gesichtsausdruck ist einfach köstlich. Das verträumte Lächeln unbezahlbar.

Kräftig haue ich ihm auf die Schulter, sodass der Ältere furchtbar zusammen fährt. „Komm, Romeo. Ich will noch zum Aqua See, meine Freunde besuchen. Aber dass eins klar ist. Wenn du meiner besten Freundin in irgendeiner Weise wehtust, wirst du deinen nächsten Geburtstag nicht mehr erleben.“ Denn das Xanny auch Interesse an Zac hat, daran besteht für mich nach dieser Aktion kein Zweifel mehr.

Karnimani, der die ganze Zeit still neben mir gestanden hat, schüttelt nun den Kopf und schnaubt abfällig.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Dragonie
2018-02-02T18:21:52+00:00 02.02.2018 19:21
Sehr sehr schön. So emotional und mitkommen vielen Gedankengängen. Gefällt mir sehr gut, aufregend und aufbauend zugleich!

Nur noch etwas für Kapitel 23: Bamelin ist orange, blau sind nur die Flossen. ;)

Das Ende hier ist sehr süß, schönes Ende für Xanny und Romeo...
Antwort von:  Tammix
04.02.2018 09:22
Das freut mich sehr. Da werd ich ja ganz verlegen.
Warte WAS... Omg du hast recht! Okay, diese Peinlichkeit gehe ich sofort bereinigen, danke fürs bescheid sagen.
Ja, die zwei sind wirklich zu goldig. Auch wenn wir jetzt erstmal nichts von ihnen hören werden. Aber vielleicht kriegen sie das ja auch alles ganz alleine hin.^^


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