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Freundschaftsband

Durch die Kraft des Bands der Freundschaft
von

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Streit kommt in den besten Familien vor, entscheidend ist, wie man ihn löst

Streit kommt in den besten Familien vor, entscheidend ist, wie man ihn löst
 

Es ist schon eine viertel Stunde vergangen, als auf einmal an meine Zimmertür geklopft wird. In der Zeit hat Oxana mich über die Uhrzeit informiert – es ist 16.15! – ich bin vor Sorge um Karnimani fast umgekommen und wollte losgehen, allerdings hat mein Körper mir da deutlich gezeigt, dass das keine gute Idee ist. Mir ist schwarz vor Augen geworden, die Beine sind mir weggeknickt und nur Oxanas schneller Reaktion ist es zu verdanken, dass ich nicht auf dem Boden aufgeschlagen bin, sondern sie mich auffangen konnte. Danach habe ich es nicht nochmal versucht, sondern mich stattdessen mit Xanny unterhalten.
 

Doch jetzt hat es geklopft und das bedeutet, meine Schonfrist ist abgelaufen. Meine Eltern stehen vor der Tür. Auch wenn es mich schon wundert, dass sie die Geduld besitzen, anzuklopfen und nicht einfach in wilder Panik in den Raum stürzen. Ergeben seufze ich: „Herein.“

Die Tür öffnet sich, dann fragt die Person verschmitzt grinsend: „ Sag mal Svenja, das wird jetzt aber nicht zur Gewohnheit, dass ich dich in ein Pokémon Center bringen muss, weil du verblutend auf dem Boden liegst, oder?“

Erleichtert erwidere ich das Lachen, denn es sind nicht meine Eltern, die gerade mein Krankenzimmer betreten, sondern Zac. „Ich hoffe nicht, denn auf Dauer wäre das wohl ganz schön gesundheitsschädigend, fürchte ich.“

Zac schüttelt lächeln den Kopf, dann zieht er sich einen anderen Stuhl heran und setzt sich gegenüber von Xanny, links an mein Bett. „Also, wie geht es dir?“, fragt er nun ernst.

„Ich muss die nächsten zwei bis drei Tage hierbleiben, kannst du dir das vorstellen!? Sie wollen mich beobachten! Das ist völlig unnötig!“, fluche ich sofort los. „Mir geht es gut!“

Xanny und Lin-Fu, die jetzt an meinen Füßen sitzt, schnauben synchron auf und sehen mich vorwurfsvoll an.

„Na gut“, gebe ich nun schon etwas ruhiger zu. „Wenn ich aufstehen will, wird mir schwarz vor Augen und ich klappe zusammen. Außerdem tun meine Wunden beim Bewegen ganz schön weh und müssen immer noch behandelt werden. Aber das schlimmste… das schlimmste ist,… dass wohl … Narben… zurückbleiben werden“, flüstere ich stockend und werde dabei immer leiser.

„Oh mein Gott“, haucht Zac entsetzt. „Es tut mir so leid, Svenja! Ich hätte früher eingreifen müssen! Dann wäre das alles nicht passiert und du nicht für immer gezeichnet worden. Das ist meine Schuld!“

Erschrocken sehe ich ihn an, wie er das Gesicht in seinen Händen vergräbt um vom Rest der Welt nicht gesehen zu werden. „Zac!“, wispere ich überfordert. „Was redest du denn da? Das war doch nicht deine Schuld! Ich hatte dir doch gesagt, dass du dich nicht einmischen sollst. Ich bin dir doch nicht böse, dass du dein Wort mir gegenüber gehalten ist. Es ist meine Schuld, dass Karnimani mich verletzt hat! Ich hätte erkennen müssen, dass der Blutrausch ihn zu allem bringen kann. Es ist meine und nicht deine Schuld, dass ich jetzt hier liege. “

Verwirrt schüttelt er den Kopf, während er diesen immer noch in seinen Händen vergräbt. „Aber wie kannst du mir nicht böse sein? Ich bin Schuld, ich hätte es verhindern können. Ich hätte es verhindern MÜSSEN!“

„Ich bin dir nicht böse, weil dich keinerlei Schuld trifft, Zac. Verstehst du, die einzige Person auf die ich sauer war und immer noch bin, bin ich. Ich, weil ich den Blutrausch unterschätzt habe, obwohl ich von Professor Aquilon gewarnt wurde und den Blutrausch sogar schon selbst miterlebt habe. Ich bin sauer auf mich, weil Karnimani mein Pokémon ist und ich somit die Verantwortung für ihn aber auch sein Handeln trage. Es ist meine Schuld und niemandes sonst.“

Aber Zac scheint sich nicht von mir beruhigen lassen zu wollen. Mit schwacher Stimme flüstert er: „Ich hätte dich verteidigen sollen! Man beschützt seine Freunde doch, wenn sie in Gefahr sind. Und jetzt bist du vielleicht für immer gezeichnet! Kannst du mir das jemals vergeben?“

„Es gibt nichts zu vergeben, Zac. Du hast alles richtig gemacht.“

„Bitte, Svenja!“

Ich seufze. Er scheint wirklich nicht zu verstehen, dass ich ihm keinerlei Vorwürfe mache. Aber vielleicht braucht er auch meine Vergebung, um sich selbst vergeben zu können, dass er nicht eingegriffen hat, obwohl es doch genau das war was ich wollte. Dennoch, vielleicht wird er sich für immer Vorwürfe machen, wenn ich jetzt auf meine Meinung beharre.

„Also gut Zac, ich vergebe dir. Hörst du? Ich verzeihe dir. Und jetzt lass uns das Ganze vergessen.“

Mit dankbaren, braunen Augen sieht er mich endlich wieder an, anstatt sein Gesicht in seinen Händen zu vergraben. „Danke Svenja.“
 

„Jetzt aber etwas ganz anderes. Du hast Karnimani wohl nicht gefunden, oder? Sonst würdest du hier nicht so ruhig sitzen.“

„Nein, ich habe ihn leider nicht gefunden. Tut mir leid“, meint Zac betrübt und sieht mir schon wieder nicht in die Augen.

Ich seufze auf. Wo kann Karnimani nur sein? Was, wenn ihm etwas passiert ist? Warum nur kann ich nicht nach ihm suchen, sondern muss hier liegen und darauf warten, dass irgendjemand meinen Partner findet?

„Ich werde gleich wieder nach ihm suchen gehen, eigentlich wollte ich nur mal sehen, wie es dir geht“, reißt Zac mich aus meinen Gedanken. „Willst du mich begleiten, Oxana? Vier Augen sehen schließlich mehr als zwei.“ Bei der Frage wird er niedlich rot und kratzt sich verlegen im Nacken.

Oxana sieht mich unsicher an und murmelt: „Ich weiß nicht. Ich meine… brauchst du mich hier, Svenja? Also, wenn deine Eltern da sind. Oder kann ich Zac begleiten und nach Karnimani suchen?“

Wissend sehe ich Zac an, verbeiße mir das Schmunzeln und antworte schnell: „Geh ruhig. Du hilfst mir mehr, wenn du nach Karnimani suchst, anstatt hier an meinem Bett zu sitzen.“ Außerdem scheinst du Zac mit deiner Gesellschaft eine große Freude zu machen, denke ich, sage das aber nicht laut. Scheint so, als hätte da einer ein Auge auf meine beste Freundin geworfen, aber ich glaube nicht, dass Xanny das bisher bemerkt hat. Und ich werde mich hüten ihr etwas zu sagen. Manche Dinge muss man selbst herausfinden.
 

Schnell haben die beiden sich fertig gemacht und sich verabschiedet und nun sind nur noch ich und Lin-Fu in dem Zimmer und warten auf meine Eltern. Lin-Fu hat sich wieder an meinen Füßen eingerollt und schläft, ich dagegen höre mit meinen Kopfhörern Musik von meinem Handy. Seufzend lehne ich mich nach hinten und schließe die Augen, während ich den Liedzeilen von meinem Lieblingssänger Tamur lausche.
 

Gerade scheine ich kurz davor zu sein einzuschlafen, da wird auf einmal meine Zimmertür aufgerissen, sodass sie gegen die Wand knallt, und meine Eltern platzen in den Raum. Ich und Lin-Fu zucken simultan zusammen, dann reiße ich mir die Kopfhörer von den Ohren und höre gerade noch, wie meine Mutter panisch schreit: „-passiert? Oh mein armer Liebling, wie geht es dir? Was hat Schwester Joy gesagt?“ Hektisch wedelt sie mit ihren Händen über meinem Körper und scheint nicht genau zu wissen, wo sie mich berühren darf, ohne mir wehzutun. Schließlich beugt sie sich über mich und drückt mich unbeholfen an sich. Ich beiße heftig die Zähne zusammen, damit mir kein Schmerzenslaut entfährt, denn dadurch, dass meine Mutter meinen Oberkörper hochgedrückt hat, spannt die Wunde über meiner Brust sehr.

Mein Vater scheint das zu sehen, denn er berührt Mum am Arm und meint: „Maria, du tust ihr weh. Lass ihr doch mal Raum zum Atmen.“

Sofort lässt sie von mir ab, allerdings mustert sie mich nun so intensiv, dass es mir direkt unangenehm ist. „Also, wie geht es dir, Liebling? Als wir die Sendung gesehen haben, wo gezeigt wurde, wie Karnimani dich angegriffen hat, haben wir uns natürlich Sorgen gemacht und sind sofort hier her gekommen. Darum Liebling, sprich, was hat Schwester Joy gesagt?“

Bevor ich antworten kann kommt eben genannte Schwester Joy in mein Zimmer gerauscht und bleibt überrascht stehen, als sie meine Eltern an meinem Bett vorfindet. Komisch, eigentlich müsste sie sie doch gesehen haben, als die durch die Türen des Pokémon Centers kamen und hier hoch gegangen sind.

Schließlich reicht sie zuerst meinem Vater, dann meiner Mutter die Hand und sagt: „Sie müssen wohl Herr und Frau Heartman sein. Sehr erfreut, ich bin die Schwester Joy dieses Pokémon Centers. Hat Ihre Tochter Sie schon über ihren Zustand informiert oder soll ich das übernehmen?“

Mein Vater sieht mich forschend an, dann antwortet er: „Ich denke, es wäre gut, wenn Sie als Fachfrau uns aufklären könnten.“ Vielleicht denkt er, ich würde etwas vergessen oder absichtlich auslassen, damit sie sich nicht aufregen. Dabei ist es praktisch unmöglich meinen Vater anzulügen; ich scheitere bei dem Versuch immer und habe es daher inzwischen komplett aufgegeben. Aber anscheinend traut mir Papa trotzdem nicht. Das ist irgendwie traurig.

„Also dann. Wie ich Ihrer Tochter schon gesagt habe, habe ich ihr eine Bluttransfusion wegen des hohen Blutverlusts gegeben. Darum, und auch weil wir sicher gehen wollen, dass sich die Wunden nicht entzünden, sondern gut verheilen, muss Svenja die nächsten zwei bis drei Tage hier bleiben. Je nachdem wie schnell Ihre Tochter wieder zu Kräften kommt. Heute und morgen muss sie definitiv noch in ihrem Bett liegen blieben, wie es dann weiter geht werden wir sehen, wenn es so weit ist.“

„Etwas anderes hatte ich auch nicht erwartet. Gibt es sonst noch etwas, über das wir Bescheid wissen müssten?“, fragt Papa ruhig und ich beiße die Zähne zusammen. Gleich ist es raus, gleich wird Schwester Joy die Bombe platzen lassen und ihnen sagen, dass ich Narben von Karnimanis Angriff davon tragen werde. Und dann werden sie mir verbieten, je wieder Kontakt mit meinem Partner zu haben, das weiß ich ganz genau. Ergeben sehe ich zu Lin-Fu, die von meinem Bett herunter gesprungen ist und nun an der rechten Seite meines Bettes steht.

„Nun ja, ich musste die Wunden an Svenjas Brust und an ihrem Unterschenkel nähen, was bedeutet, dass dort vermutlich Narben zurückbleiben werden. Es kann sein, dass diese Narben sie für immer beeinträchtigen werden, sicher ist dies allerdings nicht.“

Die Reaktion meiner Eltern tritt sofort ein. Meine Mutter wird käsebleich im Gesicht, flüstert leise „Oh du meine Güte“ und lässt sich schwer auf den Stuhl neben meinem Bett fallen, den Zac da stehen gelassen hat. Mein Vater sieht nicht minder schockiert aus, aber er kann sich auf den Beinen halten.

„Und da kann man gar nichts machen?“, fragt meine Mutter und sie klingt schon leicht hysterisch.

Verneinend schüttelt Schwester Joy den Kopf. „Heiteira und ich tun bereits was wir können. Ich werde Svenjas Wunden jetzt noch einmal begutachten, dann lasse ich Sie alle wieder alleine. Sie haben sicher einiges zu besprechen“
 

Schnell hat Schwester Joy meine Wunden wieder mit Salbe und einem Spray eingerieben und neu verbunden, dann ist sie auch schon wieder verschwunden. Sie hat wohl wirklich viel zu tun. Vielleicht gibt es ja noch andere Trainer, die sich vom ihrem eigenen Pokémon angreifen lassen, denke ich zynisch und fühle mich im selben Moment schrecklich, diesen Gedanken überhaupt zugelassen zu haben. Das ist Karnimani gegenüber nicht fair, er kann schließlich nichts dafür.

Sobald Schwester Joy die Tür hinter sich geschlossen hat, sieht meine Mutter mich betrübt an und sagt: „Nun, dann ist ja wohl klar, was wir jetzt tun werden.“

„Ach ja, und was?“, frage ich heftiger als nötig, obwohl ich es schon ahne und eigentlich gar nicht hören möchte. Aber die Aussicht, dass sie mir das einzige wegnehmen wollen, was ich will, macht mich fast schon aggressiv, etwas was ich gar nicht von mir kenne.

„Nun, dein Vater und ich werden uns ebenfalls ein Zimmer hier mieten und so lange bei dir bleiben, bis Schwester Joy dich entlässt. Und dann reist du mit uns nach Hause und alles wird wieder so wie früher. Wir werden dieses kurze Kapitel deines Lebens einfach vergessen, du kannst deine freie Zeit genießen und später studieren gehen oder was auch immer du machen willst, solange es deinen Körper nicht überfordert. Aber du wirst deine Reise nicht fortsetzen. Erst recht nicht mit Karnimani! Das ist viel zu gefährlich. Ich verbiete es dir!“

Entsetzt sehe ich meine Mutter an, Tränen treten in meine Augen, allerdings nicht vor Trauer, sondern vor Wut und Enttäuschung. „Wie kannst du mir das antun?! Ich will meine Reise nicht abbrechen, nur weil ich einmal verletzt wurde! Das gehört nun mal zum Leben dazu, hinzufallen ist ganz normal. Aber danach muss man doch auch wieder aufstehen und weitermachen! Und ich will weitermachen! Ich wollte nie etwas anderes als mit meinen Pokémon durch die Region zu reisen, es war und ist mein Lebenstraum Champion zu werden! Du kannst mir das nicht einfach wegnehmen, Mum, nur weil du jetzt erkannt hast, dass du mich auf meiner Reise nicht mehr beschützen und kontrollieren kannst!“ Während ich rede, werde ich immer lauter, am Ende schreie ich beinah, während ich kurz davor bin zu weinen.

Meine Mutter schnappt entsetzt nach Luft und sieht mich mit aufgerissenen Augen an, denn nie, wirklich noch nie, habe ich gegenüber meiner Mutter die Stimme erhoben, geschweige denn mich ihr widersetzt. Ich habe immer getan was siewollte, denn es war ja nie zu meinem Schaden. Aber diesmal, dieses eine Mal, kann ich nicht das tun, was meine Mutter will, denn meine Reise abzubrechen wäre nichts was mir helfen würde. Dieses Mal liegt sie falsch in ihrem Glauben von dem, was sie denkt, was mir gut tut; und darum darf ich das nicht zulassen.

Wild schnappt meine Mum nach Luft, bevor sie fast schon schreit: „Bis du von allen guten Geistern verlassen, Svenja?! Wie kannst du so etwas sagen? Mir scheint, diese Reise hat nicht nur schlechten Einfluss auf deine Gesundheit, sondern auch auf deinen Verstand! Du denkst, ich kann dich nicht dazu bringen mit uns nach Hause zu kommen und deine Reise abzubrechen?! Da irrst du dich aber gewaltig, mein Liebling! Du wirst schon sehen, was ich alles kann, also überleg dir jetzt lieber gut was du sagst und vor allem in welchem Ton! So lasse ich nämlich nicht mit mir reden, hast du mich verstanden!?“ Hektisch atmet sie ein und aus und sieht wild um sich.

Meine Wut dagegen verrauscht mit einem Mal und fast lautlos flüstere ich: „Du würdest mich wirklich zwingen meine Reise aufzugeben? Wenn nötig mit allen verfügbaren Mitteln? Das hätte ich wirklich nicht von dir gedacht. Ich dachte immer, du wolltest das Beste für mich. Aber meine Reise abzubrechen wäre nicht das Beste, Mum. Ich wäre unglücklich und würde immer sehnsüchtig daran denken, was ich alles hätte haben und erleben können. Mein ganzes weiteres Leben würde von diesem Verlust überschattet werden.

Aber das ist dir egal, oder? Es ist dir egal, solange ich tue, was du willst, weil du denkst, es wäre das Beste für mich. Du denkst, du wärst die Einzige, die die einzigrichtige Lösung findet. Andere Möglichkeiten als deine eigene ziehst du doch gar nicht in Betracht. So war es doch schon immer und so soll es nach Möglichkeit auch immer sein, egal was ich denke oder will.

Aber so läuft das nicht, Mum. Jetzt nicht mehr. Ich bin alt genug, um selbst entscheiden zu können was das Beste für mich ist und ich brauche niemanden, der mir diese Entscheidung abnimmt. Denn schließlich war genau das der eigentliche Grund meiner Reise, selbstständig Entscheidungen für mich zu treffen. Und genau das willst du mir wegnehmen, weil du es nicht ertragen kannst, dass ich dich nicht mehr für meine Entscheidungen brauche. Weil ich das nämlich selbst können muss, Mum.“ Verzweifelt sehe ich meine Mutter an, während mir jetzt wirklich einige Tränen die Wangen hinunterlaufen und lautlos auf meine Decke fallen.

Meiner Mutter scheint es die Sprache verschlagen zu haben, sie sieht mich mit offenem Mund an, doch schließlich schüttelt sie den Kopf und wendet sich an meinen Vater. „Hakeem, sag doch auch mal was. Bleu ihr Vernunft ein, bitte.“

Papa sieht erst Mum, dann mich schweigend an, schließlich schüttelt auch er seufzend den Kopf und meint: „Ich finde, Maria, in den meisten Punkten hat Svenja recht. Unsere Tochter ist auf Reisen gegangen, um ihr Leben selbst zu entscheiden und selbstständig zu werden. Und wir haben eingewilligt, weil wir der Meinung waren, dass es Zeit für unser Mädchen ist, Verantwortung für sich und andere zu erlernen. Willst du ihr dieses Recht nun wieder absprechen, nur weil die ersten Probleme auftreten? Ich denke, Svenja ist alt genug um selbst entscheiden zu können, was gut für sie ist und was nicht. Wir können und werden ihr immer zu Seite stehen und Tipps geben, aber schlussendlich kann und muss unsere Tochter selbst entscheiden was sie will und was nicht. Sie ist alt genug, wir müssen nicht mehr auf sie aufpassen wie früher. Das kann sie selbst.“

Aufgebracht und sich betrogen fühlend sieht Mum zuerst Papa, dann mich entsetzt an, bevor sie schreit: „Man sieht ja hervorragend, wie gut sie auf sich aufpassen kann! Versteht denn hier keiner, dass ich nur das Beste für mein Kind will?! Aber bitte, wenn meine Meinung hier nicht erwünscht ist, dann werde ich gehen und euch bei der Entscheidung nicht in die Quere kommen!“ Wütend rauscht Mum aus dem Raum und schmeißt die Tür so heftig hinter sich zu, dass diese in ihren Angeln erbebt.

Ich sehe stumm auf die Tür, schäme mich schrecklich meine Mutter so verärgert zu haben und merke erst, dass ich lautlos weine, als Lin-Fu mir über die Wange leckt. Da schluchze ich auf, drehe mich auf den Bauch, obwohl meine Brust durch die Bewegung heftig wehtut, vergrabe mein Gesicht in meinem Kissen und fange nun wirklich an zu weinen. Das wollte ich doch alles gar nicht!
 

Es vergehen Minuten, vielleicht sogar eine viertel Stunde, in denen ich laut in mein Kissen weine. Mein schlechtes Gewissen wegen meinem Verhalten gegenüber meiner Mum nimmt Überhand und lässt mich alles bereuen, was ich eben gesagt habe. Es wäre alles so viel einfacher und vor allem friedlicher geworden, wenn ich einfach wie sonst auch dem Willen meiner Mutter nachgekommen wäre. Sie hat doch noch nie falsch gelegen und immer nur das Beste für mich gewollt! Und das ist doch jetzt nicht anders! Vielleicht sollte ich mich einfach bei ihr entschuldigen. Dennoch, was dann? Sie würde verlangen, dass ich meine Reise abbreche und nach Hause zurückkehre. Aber das will ich nicht! Ich will weiter mit Karnimani und Lin-Fu reisen und trotzdem mit meiner Mutter Frieden schließen. Doch so wie es gerade scheint kann ich nicht beides haben. Und ich habe absolut keine Ahnung für was ich mich entscheiden soll; für meine Mutter oder meinen Traum?

Warum muss das Leben auch nur immer so verdammt kompliziert sein?!

Langsam versiegen meine Tränen und anstelle dessen kommt der Frust in mir hoch. Da merke ich, wie eine Hand sanft durch meine blonden, langen Haare streichelt, außerdem spüre ich mehrere warme Körper, die sich an mich kuscheln. Als ich die Augen langsam öffne, ist das erste was ich sehe, ein blau-rot-weißes Gefieder. Irritiert rutsche ich nach hinten, stoße dabei gegen den Körper hinter mir und höre gleich darauf nur noch ein Plumpsen und ein empörtes „Fu!“ Nun vollständig wieder im Hier und Jetzt drehe ich mich auf den Rücken und sehe nun, wie Lin-Fu sich gerade vom Boden hochrappelt und dabei eine beleidigte Schnute zieht. Scheinbar habe ich die Arme gerade aus dem Bett geschmissen und das, wo sie mich doch getröstet hat.

„Oh verdammt, entschuldige Lin-Fu“, entschuldige ich mich daher sofort, doch das scheint meinem Kampfpokémon nicht zu reichen. Aber ich komme gar nicht dazu, mich wortreich zu entschuldigen, da schwebt auf einmal ein Somniam in mein Sichtfeld und sieht mich freudig quietschend an. „Soo!“

„Luna!“, rufe ich überrascht und die Kleine schlägt vor Freude einen Salto, als ich sie bei ihrem Namen nenne. Dann spüre ich wie mir jemand oder etwas in mein Ohrläppchen kneift und noch bevor ich mich umdrehe weiß ich, dass das das Schwallboss meines Vater war. Das bedeutet, derjenige der eben noch durch meine Haare gestrichen hat, war mein Vater.

„Geht es dir besser, Svenja?“, fragt dieser dann auch gleich, als ich ihm in die Augen sehe. Normalerweise haben wir die gleichen strahlend blauen Augen, aber jetzt sind meine Augen vom Weinen bestimmt ganz rot.

„Nein“, jammere ich auf und könnte schon wieder anfangen zu weinen. „Ich fühle mich schrecklich. Ich will nicht, dass Mum auf mich sauer ist oder enttäuscht ist von mir, aber ich will meine Reise auch nicht aufgeben. Ich weiß nicht was ich machen soll, Papa!“ Verzweifelt sehe ich ihn an und fühle wie sich die drei Pokémon wieder an mich drängen und mir so Trost und Wärme spenden.

„Du musst dir keine Vorwürfe machen, Liebling“, sagt mein Vater und zieht mich mit einem liebevollen Ausdruck in den Augen an seine Brust, wo ich sofort mein Gesicht in seinem Hemd vergrabe. „Du hast nichts falsch gemacht. Vieles von dem, was du vorhin gesagt hast, ist wahr. Aber es ist auch wahr, dass deine Mutter dich liebt und immer schon auf dich aufgepasst hat, damit es dir gut geht. Nun wo du nicht mehr da bist, macht sie sich große Sorgen um dich und sie ist es eben gewohnt, dich mit allen Mitteln zu beschützen – vor anderen und auch vor dir selbst. Diesen Mutterinstinkt kann man nicht einfach so abschalten, also gib ihr etwas Zeit sich an die neue Situation zu gewöhnen.“

„Das verstehe ich ja alles, aber ich dachte, sie wüste das auch. Ich dachte, sie wüsste, dass ich auf die Reise gehe um zu lernen auf mich selbst aufzupassen, damit ich später mein eigenes Leben leben kann.“

„Das weiß sie auch alles, Liebling, in ihrem Inneren ist sie sich dem allem vollkommen bewusst. Du musst ihr nur etwas Zeit geben sich zu beruhigen, damit dieses Wissen auch wieder in ihrem Bewusstsein ankommen kann. In ihrer Sorge um dich hat sie das völlig verdrängt und die hat sich dann in Wut verwandelt. Aber du kennst doch deine Mutter, sie wird sich bald wieder beruhigt haben und dann tut ihr ihr Verhalten leid und sie wird sich entschuldigen. Und ich bin sicher, sie wird deine Entscheidung billigen und dich auf deiner Reise unterstützen, wie wir es vorgehabt haben. Hab nur etwas Geduld, mein Liebling.“

„Bist du dir da sicher, Papa?“, frage ich zögerlich und wische mir die Tränen von der Wange. Ich will ihm ja glauben und er hat recht, was er über Mum gesagt hat, aber ich will mir auch keine falschen Hoffnungen machen, denn so wütend wie eben habe ich sie noch nie erlebt.

„So sicher wie das Wissen, dass Hoopa Dinge durch seine Ringe teleportieren kann“, antwortet er sanft lächelnd.

„Für einen Psychologen weißt du oft ganz schön viel über die Legendären Pokémon“, murmele ich schläfrig, denn jetzt wo ich mich beruhigt habe, merke ich erst, wie müde mich das Weinen gemacht hat.

„Schlaf jetzt, mein Liebling und wenn du aufwachst wird alles wieder gut werden“, flüstert mein Vater und streicht über meine Haare, während ich langsam zurück in mein noch leicht nasses Kissen sinke, aber das stört mich nicht.

„Bist du noch hier wenn ich aufwache?“, frage ich leise und kämpfe gegen meine schweren Augenlieder an.

„Natürlich, mein Liebling. Mach dir keine Sorgen, ich passe auf dich auf und werde immer an deiner Seite stehen. Schlaf jetzt, Svenja.“

Bevor ich noch irgendwas erwidern kann, bin ich schon eingeschlafen, eingelullt von der Wärme, die die Pokémon um mich herum abstrahlen.
 


 

Mitten in der Nacht weckt mich mein Körper, da mein Magen mir lautstark erklärt, dass ich meine letzten Mahlzeiten vergessen habe und das bitte recht schnell nach holen sollte. Schnell stehe ich auf, wobei ich darauf achte Lin-Fu und Luna, die wieder am Bettende schlafen, und meinen Vater, der auf seinem Stuhl eingeschlafen ist, nicht zu wecken. Schwankend bleibe ich stehen, als es vor meinen Augen schwarz wird, weil ich zu schnell aufgestanden bin, aber schon kurz darauf wird es wieder besser. Arceus sei Dank ist es nicht mehr so schlimm wie gestern.

Gerade will ich einen Schritt nach vorne machen, da reißt etwas sehr schmerzhaft an meiner rechten Hand. Verwirrt sehe ich genauer hin. Ach ja, Schwester Joy hat mir ja eine Kanüle in den Handrücken gejagt. Ich denke darüber nach, das Gestell, an dem der Beutel henkt, der mit der Kanüle verbunden ist, einfach hinter mir her zu ziehen, doch dann fällt mir ein, dass jedes Pokémon Center so aufgebaut ist, dass die Zimmer für die Trainer im Obergeschoss liegen und die Küche im Erdgeschoss. Und ich glaube kaum, dass ich es schaffe, das Gestell die Treppe runter zu tragen. Meine Beine fangen ja jetzt schon an zu zittern, dabei stehe ich noch nicht mal zwei Minuten auf ihnen. Außerdem schläft Schwallboss oben auf dem Gestell und wenn ich das jetzt bewegen würde, würde er sicher wach werden. Und das will ich nicht riskieren, da ich weiß, dass Schwallboss nicht mehr so schnell einschlafen kann, wenn er erst mal wach ist.

Also wenn ich das Ding nicht mitnehmen kann, dann muss die Kanüle eben raus. Denn ich muss unbedingt etwas essen. Mit zusammengebissenen Zähnen reiße ich die Kanüle mit einem Ruck aus meiner Hand und zische unterdrückt auf, denn weh tut es schon. Wie wenn man auf einen blauen Fleck drückt.

Da stelle ich fest, dass nicht nur in meiner Hand so eine Kanüle war, sondern auch noch ein anderer Schlauch in meinem Unterleib ist, der ebenfalls mit einem Beutel verbunden ist. Interessiert betrachte ich das Ganze, bevor ich plötzlich beschließe, dass ich eigentlich gar nicht so genau wissen möchte, wofür das jetzt wieder ist. Kurz entschlossen ziehe ich auch dieses Ding aus meinem Körper und diesmal tut es nicht so weh wie an meiner Hand.

Vorsichtig taste ich mich zur Zimmertür vor und stoße mir prompt den Zeh an einem der vielen Stühle. Fest beiße ich mir auf die Lippen um den Schmerzenslaut und die Flüche, die mir auf der Zunge liegen, zurückzuhalten. Warum muss es hier auch nur so dunkel sein?! Und warum gibt es hier so viele Stühle wenn das doch ein Einzelzimmer ist?!

Nachdem ich es dann, trotz des Hindernisparcours, zur Tür geschafft habe, sehe ich noch einmal zu der schlafenden Lin-Fu und Luna und meinem Vater und Tauboss, dann schleiche ich leise aus dem Raum und mache hinter mir die Tür zu. Sobald ich den Flur betrete, gehen automatisch die Lichter an, vermutlich sind sie mit Bewegungssensoren ausgestattet. Blinzelnd versuche ich mich an die plötzliche Helligkeit zu gewöhnen.

Langsam gehe ich die Treppe nach unten und klammere mich dabei mit beiden Händen an dem Geländer fest, da ich das Gefühl habe, das meine Beine gleich unter mir zusammenbrechen. Und ich will nicht auch noch zu allem Unglück die Treppe runter fallen. Dann würde meine Mutter mich wohl nie mehr aus den Augen lassen, aus Angst dass ich verletzt werde. Und ich kann mir wirklich was Besseres vorstellen, als von meiner Mutter beim Duschen beobachtet zu werden. Zum Beispiel.

Bei jedem Schritt zieht sich ein brutaler Schmerz durch die Schnitte an meinem Bein, aber für die anderen Leute, die hier noch schlafen, verbiete ich mir jeden Laut. Endlich bin ich am Fuße der Treppe angekommen und seufze erleichtert auf. Hier ist ja zum Glück niemand, also muss ich nicht mehr ganz so vorsichtig sein, dass ich kein Geräusch mache.

So schnell es mir möglich ist laufe ich in Richtung Küche und erschrecke zu Tode, als auf einmal das Licht angeht und mich so blendet, dass ich für einige Sekunden nur weiß sehe. Ich blinzele heftig um wieder sehen zu können und schließlich erkenne ich die Person, die mit rotgeweinten Augen neben dem Lichtschalter steht und mich ebenso überrascht ansieht, wie ich mich fühle.

„Mum?!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Dragonie
2016-10-22T09:55:36+00:00 22.10.2016 11:55
Hach... *zufrieden seufzt*
Und wieder ein weiteres, herrliches Kapitel aus Deiner Feder....

Svenjas Emotionen sind wie immer für mich wunderbar nachzuvollziehen, als sie Zac beruhigt (süß, die Anspielung mit Xanny) und dann das Drama mit ihrer Mam.... jaaaa, das ist nicht einfach und ich verstehe ihre Mutter sehr gut...
Und das ihr Vater die beruhigende Rolle einnimmt, die Pokis sie wärmen und trösten und wie sich unsere tapfere Heldin aus Kanüle-und-Katheder-Kombo befreit....

EIn paar Narben und schon scheint sie viel erwachsener gewordne zu sein.... O.o

Ich staune und bin sehr gespannt auf das nächste Kapitel!
Antwort von:  Tammix
23.10.2016 13:29
Du kannst mir glauben, ich habe wirklich versucht mich zu beeilen.
Wenn das so ist bin ich glücklich^^ Na, mal sehen ob sich da was zwischen den beiden entwickelt. Immerhin ist Xanny erst 13, Zac aber schon 16.
Ich kann sie auch sehr gut verstehen, ich würde wohl ähnlich reagieren, wenn ich ein Kind hätte, was gerne mit einem Pokémon, was sie schon zweimal ernsthaft verletzt hat, weiterhin alleine seine Zeit verbringen will.
Wohl weniger die Narben als das ganze Drum herum, auch wenn ihre Verletzungen der Auslöser für das Drama sind. Und wenn sie jetzt anfangen würde, wie ein trotziges Kleinkind zu argumentieren, würde sie ihre Mutter wohl eher noch in ihrer Meinung bestätigen. Aber Svenja ist ja auch schon einige Zeit alleine und auf sich gestellt unterwegs, na gut ein paar Tage, aber es kommt mir viel länger vor, von daher sollte sie schon etwas reifer werden.
Aber jetzt kommt erst mal das zweite Gespräch mit ihrer Mutter. Mal sehen, wie unsere Sweety sich da schlägt. ;)
Antwort von:  Dragonie
23.10.2016 14:33
;) In diesem Alter mag das noch ein Unterschied sein... warte ein paar Jährchen und sie arbeiten glücklich zusammen in einer Pokébeerenbäckerei xDD

Ooooh jaaaaa... ich sagte ja schon - sehr gut durchdacht.
Stimmt, sie wird reifer... denkt nicht nur an sich, sondern sorgt sich um andere und wirkt dadurch auch erwachsener. ;3

Ich freu mir schon!
Antwort von:  Tammix
26.10.2016 19:06
Wir werden sehen;) Auch wenn das für die zwei schon sehr gut passen würde.
So soll es ja auch sein. Es wäre bedenklich wenn sie durch ihre Reise Rückschritte in ihrer Entwicklung machen würde so wie ein gewisser Ash der im xyz Anime erwachsener wird und dann in Alola wieder zum Kleinkind mutiert :( Ich will das Niveau des alten Animes zurück, dabei hat Alola noch nicht mal angefangen :/


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