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Unter dem Mistelzweig

RWxSM
von

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VII.

Immerhin hatte Professor Jones ihnen einen freien Sonntag gelassen. Sie mussten erst am Montag mit den Strafarbeiten weitermachen. Zuerst schrubbten sie die Decke weiter. Als nächstes mussten sie sämtliche Schulkessel – und die Kessel der Schüler, die neben dem Klassenzimmer aufbewahrt wurden – schrubben. Selbstverständlich galt auch in diesem Fall die Regel, dass sie keinerlei Magie verwenden durften. Es waren allein 280 Schülerkessel plus noch einmal 100 Ersatzkessel, die der Schule gehörten. Damit waren sie drei Tage beschäftigt.

Am 24. Dezember, Heiligabend, bekamen sie schließlich die wenig beneidenswerte Aufgabe, die Staubnesseln im Gewächshaus abzustauben, um den Staub als Zaubertrankzutat zu gewinnen.

Rose hatte in den letzten Tagen festgestellt, dass es vollkommen unmöglich war, Scorpius außerhalb der Strafarbeiten irgendwie aus dem Weg zu gehen. Das Schloss war leer, sie aßen in der großen Halle alle gemeinsam mit den wenigen verbliebenen Lehrern an einem Tisch. Was sie jedoch am meisten irritierte, war, dass es ihm gelang, äußerst wenige Worte mit ihr zu wechseln. Bei den Strafarbeiten schwieg er die meiste Zeit und nur selten gab es einige der sarkastischen Wortgefechte, die sie eigentlich seit Beginn ihrer Schulzeit pflegten. Und Rose stellte fest, dass sie sie vermisste.

Während sie nun also Seite an Seite vor einem großen Beet sehr staubiger Staubnesseln standen, entschied sie, dass sie ansprechen musste, was sie störte.

„Was ist mit dir los, Moskitus?“, fragte sie ihn entschlossen.

Sein Gesicht zeigte Verwirrung, als er sie ansah und fragte: „Was meinst du?“

Rose seufzte leise. „Du sprichst nicht mit mir. Sonst hast du keine Gelegenheit verstreichen lassen, mir irgendeine Beleidigung an den Kopf zu schmeißen oder mich zu irgendetwas herauszufordern. Aber nun verbringen wir offenbar die Hälfte unserer Weihnachtsferien zusammen und dir fällt nichts dazu ein?“ Genauer gesagt tat er das schon seit einer ganzen Weile. Er hatte eigentlich quasi seit ihrer mitternächtlichen Flugveranstaltung kaum ein Wort mit ihr gewechselt. Und ihr war aufgefallen, dass er auch schon lange vor den Weihnachtsferien nicht mehr mit Magnolia rumgeknutscht hatte. Das Strohfeuer war also auch sehr schnell wieder erloschen.

Scorpius schwieg eine Weile, ehe er schließlich sagte: „Warum sollte ich Zeit damit verschwenden, wenn wir unsere Strafaufgaben hinter uns bringen müssen? Außerdem hältst du meine Familie und mich doch eh für Verbrecher.“

Er griff nach dem Staubwedel, mit dem sie die Nesseln abstauben sollten.

„Ich...“ Rose wollte etwas sagen, aber sie brachte keinen weiteren Ton über die Lippen. Er hielt ihr immer noch diesen einen Moment in den Drei Besen vor?

„Und weißt du was: Du hast ja Recht. Nicht, was meinen Vater angeht. Oder meine Mutter. Beide haben nie etwas verbrochen, außer Slytherins zu sein und die Kinder überzeugter Todesser. Ihre Eltern haben die Sünden begangen. Nicht sie oder wir. Und es ist ätzend, diesen gleichen Unsinn immer wieder zu hören.“ Scorpius funkelte sie an. „Ich dachte eigentlich, wir hätten diese sinnlosen Vorurteile hinter uns. In unserer Generation sind die Freundschaften hausübergreifend. Und dennoch hasst du mich seit unserer ersten Begegnung. Warum eigentlich? Weil dein Vater dir das so eingetrichtert hat?“

Scorpius hatte ruhig, aber mit einem deutlichen Nachhall von unterdrücktem Zorn gesprochen. Es war eine kalte Wut, die tief in seiner Stimme lauerte und die Rose erschreckte.

„Ich...“, setzte sie an und schüttelte den Kopf. Warum hasste sie ihn eigentlich? Warum hielt sie daran so fest? Weil ihr Dad ihr mal gesagt hatte, dass sie besser als Scorpius sein und ihn überall schlagen sollte? Weil er ein Slytherin war? Weil er ein Malfoy war? Hasste sie ihn überhaupt? Verabscheute sie ihn überhaupt?

„Schon gut. Mein Vater ist kein bisschen besser. Der einzige Unterschied zwischen uns ist nur, dass es mir vollkommen egal ist, was er sagt. Mein bester Freund bleibt Albus, obwohl er zu eurem Weasley-Clan gehört und auch noch der Sohn des berühmten Harry Potters ist. Den mein Vater übrigens am meisten dafür verabscheut, weil Harry Potter ihm mehrfach das Leben gerettet hat.“ Ein bitteres Lachen kam aus seiner Kehle. „Ich frage mich nur, was das alles immer mit mir zu tun haben soll.“ Er bedachte Rose mit einem Blick, der ihr durch und durch ging.

„Und jetzt an die Arbeit, Weedy. Das hier wird schon ätzend genug, also sollten wir es schleunigst hinter uns bringen.“

Schweigend staubten sie die Nesseln ab und verwandelten sich dabei nach und nach in zwei menschliche Staubmonster.
 

Rose war ganz in Gedanken versunken und bewegte sich wie aufgezogen. Ihr Gedanken kreisten um sie und Scorpius und die letzten sechs Jahre. Sicher, ihr Dad hatte sie immer aufgefordert, dass sie ihr Bestes geben und Scorpius immer und überall schlagen sollte. Sie hatte Spaß daran. Sie liebte es, sich mit allen anderen zu messen und ganz besonders mit jemandem, der mit ihr mithalten konnte. Bei dem es wirklich Arbeit war, ihn immer wieder auf den zweiten Platz zu verweisen. Sie konnte es sich nicht anders vorstellen.

Sie konnte es sich auch nicht vorstellen, jemals eine Herausforderung von Scorpius abzulehnen. Wie das nächtliche Wettfliegen zum Beispiel. Sie hatte gewusst, dass das Risiko hoch war. Sie hatte gewusst, dass es eigentlich eine verdammt dumme Idee gewesen war. Und dennoch hatte sie nicht Nein sagen können.

Sie ließ den Staubwedel sinken und fegte vorsichtig den auf den Tisch gefallenen Staub in einen der Eimer, die sie bereitstehen hatten.

Sie blickte Scorpius an, der mit zusammengepressten Lippen und zusammengekniffenen Augen stoisch weiterarbeitete. Bei Merlin, sie vermisste diese Herausforderungen zwischen ihnen. Sie vermisste es, sich mit ihm zu messen. Stattdessen standen sie jetzt hier, schwiegen sich an und alles war... kaputt. Es war nichts mehr wie vorher. Rose begriff nur nicht, warum das eigentlich der Fall war.

Was Scorpius ihr vorhin an den Kopf geknallt hatte, war etwas, das er ihr schon vor Jahren hätte sagen können. Er lag damit ja auch nicht falsch. Im Gegenteil – er hatte vollkommen Recht, was es ja so schwer machte, ihm irgendetwas dazu zu entgegnen.
 

Rose war froh, als sie aus dem Waschraum kam und Izzie im Schlafsaal auf sie wartet.

„Schieß los“, sagte Izzie nur, als sie Roses Gesicht sah.

Und diese berichtete ihr den heutigen Zwischenfall und ihre hochgradige Verwirrung.

Danach schwiegen die beiden Mädchen eine ganze Weile, ehe Izzie schließlich meinte: „Rose, ich weiß, du willst das absolut nicht hören, aber eigentlich hast du längst angefangen, Scorpius zu mögen.“

Rose wollte sofort reagieren, doch Izzie hob die Hand und bedeutete ihr still zu sein, da sie noch längst nicht fertig war.

„Überleg doch mal: Du hast letztlich nie mehr Spaß, als wenn du dich mit Scorpius gefetzt oder ihn in irgendetwas besiegt hast. Bei Merlin, wahrscheinlich war das aufregendste, was du in den letzten Monaten gemacht hast, mit Scorpius nachts ums Schloss zu fliegen, oder nicht? Und so übel ist er gar nicht. Eigentlich ist er doch ein netter Kerl. Oder meinst du, Albus wäre sonst mit ihm befreundet? Und all die anderen?“ Izzie schüttelte den Kopf.

Rose verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. „Und? Warum sollte ich ihn auf einmal mögen? Nur, weil es Spaß macht, besser zu sein als er?“

„Ich sehe schon, bei dir sind Kürbis und Kelch verloren... Aber du solltest zumindest einmal darüber nachdenken. Wenn schon nicht um deinetwillen, dann zumindest mir zuliebe.“

Doch Rose entwich nur ein zorniges Schnauben.
 

Beim Abendessen war Rose gezwungen, sich wieder Scorpius gegenüber zu sehen.

Ihr Tisch stand in Mitte der großen Halle und wirkte trotz des festlichen Schmucks sehr einsam. Sie waren mit gerade einmal fünfzehn Personen einfach verdammt wenig Leute in diesem riesigen Raum. Neben den zehn Schülern war noch die Schulleiterin Professor McGonagall in Hogwarts geblieben, außerdem Professor Jones, Professor Sybill Trelawney, die Lehrerin für Wahrsagen, Professor Rubeus Hagrid, Lehrer für die Pflege magischer Geschöpfe, und Filch.

Rose wechselte einen kurzen Blick mit Izzie, ehe sie sich auf ihren Teller konzentrierte und sich bemühe, Scorpius, der ihr schräg gegenüber saß, keine große Aufmerksamkeit zu schenken.

Sie hielt genau fünf Minuten durch, dann ertappte sie sich dabei, wie sie ihn aus dem Augenwinkel beobachtete. Sie schaute zu, wie er seinen Tee trank, ein Stück von seinem Schnitzel abschnitt, etwas Kartoffelpüree auf seine Gabel beförderte und sich den Mund mit der Serviette abtupfte.

Izzies Ellbogen traf sie in die Seite. Rose schaute zur Seite, sah den Blick ihrer Freundin und spürte, wie sie errötete. Stumm starrte sie auf ihren Teller und legte schließlich nach der Hälfte ihrer Portion das Besteck bei Seite.

Sie hob den Kopf und bemerkte, dass Scorpius sie fragend ansah, blickte aber selbst schnell wieder bei Seite. Dort flachste Evangelina gerade mit Izzie und Daisy Shaklebolt und Rose beteiligte sich nur zu gerne an dem Gespräch.

Endlich war das Essen vorbei.

„Denken Sie daran, heute Nacht ihre Weihnachtsstrümpfe aufzuhängen“, ermahnte Professor McGonagall sie mit einem schelmischen Augenzwinkern. Dann waren sie entlassen.

Rose schlenderte neben Izzie, Evangelina, Daisy und Dandelion zur Tür. Sie ließ die anderen vorgehen und wollte ihnen gerade folgen, als sie mit Scorpius zusammenprallte, der offenbar nicht bemerkt hatte, dass sie kurz stehen geblieben war.

Sie starrte ihm erschrocken in die Augen und er sah nicht weniger überrascht aus. Dann glitt ihr Blick nach oben. Sie hatte vorhin doch gesehen, dass... Oh ja, da hing er. Ein wunderschöner, großer und nicht zu übersehender Mistelzweig.

Scorpius war ihrem Blick gefolgt und ein freches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.

Reflexartig schob sie ihn von sich und ergriff die Flucht.

Dennoch meinte sie zu hören, wie er murmelte: „Du schuldest mir etwas, Weedy.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Omama63
2015-01-06T18:25:30+00:00 06.01.2015 19:25
Ein super Kapitel.
Es wurde aber auch Zeit, dass sie mal über das leidige Tema geredet haben. Rose hat Scorpius mit seinen Vorurteilen doch besser verletzt, als sie dachte.
Bin schon gespannt, ob Rose ihre Schulden bezahlt.


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