Einer dieser Momente (Temari)
Temari trocknete sich ab.
Sie fühlte sich frisch, wohl und – der altbekannte Spruch traf zu – wie neu geboren. Nach einem Tag mit Babykotze auf dem T-Shirt und hormonbedingten, spontanen Schweißausbrüchen gab es für sie tatsächlich nichts Besseres, als geduscht aus der Wanne zu steigen. Ein Gefühl, das leider nicht lange anhalten würde, wie sie wusste, da ihr Sohn sie fast jeden Abend mit ihrer eigenen Milch bespuckte. Besonders dann, wenn sie glaubte, dass er doch mal alles drin behielt, überzeugte er sie rasch vom Gegenteil. Als ob er sie mit Absicht ärgerte. Es war lächerlich, das von einem gerade mal sechs Monate altem Baby zu denken, doch wenn ihr wieder mal der säuerliche und vergorene Geruch in die Nase stieg, fiel es ihr schwer, etwas anderes zu glauben.
Sie zog sich frische Unterwäsche an und als sie an sich herabschaute, blieb ihr Blick an ihrem Bauch haften. Obwohl ihr noch einige Schwangerschaftskilos auf der Hüfte klebten, sah er nicht übermäßig speckig aus und selbst wenn es doch so gewesen wäre, hätte es sie vermutlich weniger gestört. Zumindest weniger als die Streifen – drei links, vier rechts und zwei direkt am Bauchnabel –, die sie auf so unästhetische Weise verschönerten. Sie waren immer noch von einem leuchtenden Rot und weit vom Verblassen entfernt.
Shikamaru beteuerte zwar immer wieder, dass sie ihn nicht störten, doch wie sollte er sich auch an etwas stören, das er ohnehin kaum zu Gesicht bekam?
Die Male, die sie seit der Geburt miteinander geschlafen hatten, konnte sie an einer Hand abzählen. Es war nicht so, dass es sie frustrierte, aber wenn sie an früher dachte, wirkte es doch ein wenig ernüchternd auf sie.
Ihr war allerdings bewusst, dass es zum Großteil an ihr selbst lag. Da Shikadai ein unmögliches Schlafverhalten an den Tag und vor allem an die Nacht legte, generell wenig schlief und viel beschäftigt werden wollte, war sie immer froh, wenn sie ihre Ruhe hatte. Viel Zeit und vor allem Lust blieb da nicht, aber das war im Moment, da er noch so klein war, okay für sie. Muttersein brachte immer Entbehrungen mit sich, das hatte sie schon lange, bevor er das Licht der Welt erblickt hatte, gewusst.
Temari warf sich ihr langes Lieblings-T-Shirt über, das sie gerne zum Schlafen trug – auch auf die Gefahr hin, dass es morgen früh wieder in Brustnähe durchgeweicht war und ohne Ende Fettflecken aufwies und ging zum Spiegel.
Sie hatte vom Schlafmangel dunkle Ringe unter den Augen und ihre Haut wirkte generell etwas fahl, doch da sie es momentan nicht ändern konnte, hatte sie sich damit arrangiert. Anfangs hatte sie sich noch die Mühe gemacht und Make-up aufgetragen, wenn sie nach draußen ging, um sich Inos Sticheleien über ihr ungesundes Aussehen nicht anhören zu müssen, aber das hatte sie schon vor Wochen aufgeben. Sie hatte ihre Kommentare einfach ignoriert und schließlich hatte sie sich die Sprüche gespart.
Sie musste zugeben, dass sie ein wenig neidisch auf Ino war. Inojin war ein pflegeleichter Vielschläfer, der nachts nur einmal wach wurde, und er hatte seiner Mutter nicht einen lästigen Schwangerschaftsstreifen hinterlassen. Tatsächlich lief Ino seit einigen Tagen wieder bauchfrei herum, und das, obwohl die Geburt erst drei Monate her war. Für Temari war es irgendwie surreal, dass sich das Glück so dermaßen auf eine Person konzentriert hatte und sie selbst so dermaßen ignoriert hatte.
Sie griff nach dem Ring, den sie auf die Ablage gelegt hatte, und steckte ihn sich an den linken Ringfinger.
Kritisch musterte sie ihn.
Im Feuerreich war es nicht üblich, den Ehering auch im Alltag zu tragen und alle in ihrem Bekanntenkreis steckten ihre nur zu besonderen Anlässen an, aber sie trug ihren fast ohne Ausnahme. Shikamaru tat es mit seinem genauso, mit dem Unterschied, dass er den Ring an einer Kette um den Hals trug. Er schien irgendwie ganz erpicht darauf zu sein, der Welt zu zeigen, dass er nicht mehr zu haben war und das schmeichelte und irritierte sie zugleich.
Letzteres vor allem, wenn sie daran dachte, wie oft er betont hatte, wie unnötig und anstrengend eine Ehe sein musste, was ihn letztendlich aber nicht davon abgehalten hatte, ihr doch einen Antrag zu machen.
Die Geschichte wirkte im Rückblick schon ein wenig abstrus auf sie, aber sie beschwerte sich nicht, denn sie hatte damals nicht ohne Grund sofort mit Ja geantwortet.
Sie kämmte sich ihre Haare, band sie im Nacken zusammen – das hatte sie sich vor Kurzem angewöhnt, als ihr Sohn anfing, mit Begeisterung an ihren offenen Haaren zu ziehen –, hing das nasse Badetuch über den Wannenrand und verließ das Badezimmer.
Temari ging ins Schlafzimmer, durchsuchte den Schrank nach einer kurzen Hose, die sie zum Schlafen anziehen konnte und blieb am Fenster stehen.
Draußen wogen sich die Blätter der Bäume im Wind sanft hin und her und ein Anflug Wehmut überkam sie.
Sie vermisste die Reisen, die fremden Orte, die sie dabei besucht hatte; die Freiheit, die sie verspürt hatte, wenn sie nachts im Freien unter dem Sternenhimmel eingeschlafen war; aber vor allem vermisste sie es, nach einer Mission nach Hause zu kommen. Das Zuhause, das längst nicht mehr ihr Zuhause war: Die Wüste. Die viel zu heiße, zu trockene, in wunderschönen Gelb- und Brauntönen schimmernde Wüste.
Zuletzt war sie vor über einem Jahr dort gewesen und sie hatte seitdem nicht oft einen Gedanken an ihre Heimat verschwendet, aber nun traf sie die Erkenntnis, wie sehr sie das alles vermisste, umso härter.
Sie schüttelte den Kopf, trat zurück auf den Flur und zog die Tür hinter sich zu. Sie schlug die Richtung zum Wohnzimmer ein. Das Wohnzimmer, in dem ihr kleiner Sohn sie bis zum Schlafengehen belagern und irgendwann mit einem Schwall Milch beglücken würde.
Ihre Schritte wurden langsamer und als sie bemerkte, dass sie nichts hörte, blieb sie stehen. Es war ruhig. Zu ruhig. Und das machte sie skeptisch.
Mit besorgter Miene stürmte sie in den Raum – und hielt augenblicklich inne.
Ungläubig blinzelte sie, doch da sich das Bild, das sich ihr bot, auch nach dem dritten Mal nicht änderte, entspannte sie sich.
Ihre beiden Jungs saßen im Sessel und schliefen. Das alleine hätte schon gereicht, um sie aus der Fassung zu bringen, doch das ganze Szenario war so ungewohnt und unerwartet für sie, dass sie lachen musste.
Shikamaru hielt seinen Sohn, der auf seiner Brust lag, fest umklammert und Shikadais kleine Hand hatte sich um die Kette geschlossen, die um den Hals seines Vaters hing.
Temari Lachen ging in ein zufriedenes Lächeln über.
Genau dies war einer dieser Momente, der ihr bewusst machte, wie glücklich sie trotz ihrer alltäglichen Sorgen als Mutter war.