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Josephine Klick - Allein unter Cops

von

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`Dann wäre das also auch geklärt.´ Die Worte hallten noch immer in meinem Kopf, als ich regungslos zur Stalltür starrte, aus der Fritz mit Ben im Schlepptau verschwunden war. Ich hatte ihn geohrfeigt. Erst mit dieser Erkenntnis erlangte ich wieder meine Sinne. Ich hatte Fritz geohrfeigt. Um Himmelswillen, warum hatte ich das getan? Ich war mir sicher, dass er es falsch verstanden hatte. Ich konnte ihn doch nicht fahren lassen ohne jegliche Erklärung, nachdem er mich so beherzt verteidigt hatte.
 

Wie lange hatte ich so dagestanden und die Tür angestarrt? Wenn er noch da war durfte ich keine Zeit verlieren. Ich wollte rausgehen, als Stefan sich mir entgegen stellte, um etwas zu sagen. Ich schob ihn beiseite. Ich hatte jetzt weder die Zeit noch den Nerv mich mit ihm auseinander zu setzen. Meine Schritte wurden immer schneller bis ich schließlich rannte.

Am Ende vom Stall angekommen, riss ich die Tür auf und lief auf den Innenhof. Ich hörte den Motor, mein Kopf schnellte in die Richtung - ich war zu spät. Wenige Sekunde früher und ich hätte ihn noch aufhalten können. Aber jetzt konnte ich nur zusehen, wie sein Auto vom Hof fuhr und hinter der Mauer verschwand.
 

Es hatte angefangen zu regnen, aber das war mir egal. Ich stand da und sah in die Richtung, in die Fritz mit Benny verschwunden war. Hinter mir hörte ich Schritte.

„Etwas empfindlich, dein Kollege“, sagte Stefan. Er hatte noch immer diesen überheblichen, spöttischen Ton. „Nur wegen einer Ohrfeige gleich so einen Abgang hinzulegen...“, sprach er weiter. Langsame drehte ich mich zu ihm um. Seine Körperhaltung hatte sich geändert. Er straffte nicht mehr seine Schultern und streckte auch nicht mehr seinen Brustkorb vor, wie ein eitler Gockel.
 

Warum war er hierher gekommen? Hatte er nicht gesagt, dass er sich mit mir und meinem Vater aussprechen wollte? Warum war er also so auf Krawall gebürstet und hatte Fritz so provoziert? Bei dem Gedanken verengten sich meine Augen. Ich war mir sicher, dass er keine Ahnung hatte, wie dünn das Eis war, auf dem er sich so überheblich bewegte.
 

„Du kannst jetzt aufhören das Arschloch zu spielen“, fuhr ich ihn an. „Oder ist hier noch jemand, den du provozieren möchtest?”

Er wirkte überrascht. Dachte er wirklich, dass ich das nicht merken würde? Offensichtlicher hätte er es wohl kaum machen können. Warum ließ sich Fritz auch immer so leicht aus der Reserve locken?

Fritz hatte sich schützend vor mich gestellt, sich zwischen uns gedrängt um Stefan von mir fernzuhalten. Ich war nie jemand, der Schutz benötigte oder von meinen Kollegen in Bielefeld erhalten hatte. Alle waren der Meinung, dass ich mich gut alleine durchschlagen konnte. Aber Fritz war das egal. Ob ich Hilfe wollte oder nicht, ob ich Schutz brauchte oder nicht. Er war immer da, wenn er das Gefühl hatte, dass es nötig war.
 

Mich erschreckte die Erkenntnis, aber gab mir auch das Gefühl der Geborgenheit. Das Gefühl fühlte sich so warm an, es durchzog meinen Körper und ließ mein Gesicht glühen. Fritz hatte meine Hand gehalten, als sie zitterte. Wie viel wusste er über Stefan und mich? Ich senkte meinen Blick und sah auf meine Hand die ich auf dem Brustkorb gepresst hielt. Sie kribbelte noch immer.
 

So wie ich Fritz einschätzte, hatte er versucht meine Ehre zu verteidigen und als Dank hatte ich ihm eine geknallt. Ich schüttelte meinen Kopf bei diesem Gedanken. Nachdem wie Stefans Äußerungen Fritz zugesetzt hatten, war ich mir sicher, dass es was Anzügliches gewesen sein musste. Er verharmloste immer seine Fehltritte, ob sie verbaler oder anderer Natur waren. Das war schon immer so. Er hatte noch nie verlieren können. Wenn er nicht das bekam was er wollte, wurde er herablassend. So war er schon als Kind gewesen.
 

Warum war ich erst die letzten Monate bereit gewesen all diese Fehler zu erkennen? Warum hatte mein Vater immer so große Stücke auf ihn gehalten? Aber was noch viel wichtiger war, warum hatte ich ihm je mein Herz geschenkt und es damit verwundbar gemacht?

Als sich Stefan neben mir räusperte, hob ich meinen Kopf. Ganz offensichtlich schienen meine Worte ihn wirklich getroffen zu haben. Er sah mich etwas unsicher an. Nein, dachte ich, es würde mir nicht leid tun. Ich würde mich nicht einlullen lassen. Das hatte er schon zu oft in der Vergangenheit geschafft.
 

Er hatte noch viel mehr verdient, als nur diese harmlosen Worte.

„Hör zu, Josephine“, begann er und klang dabei wieder ganz sanft, wie zu Anfang als er im Stall auf mich zugekommen war. „Es tut mir leid. Ich habe mich eben wirklich furchtbar benommen...“

Ich verdrehte meine Augen. Dieser Mann machte mich rasend. Dachte er, dass es mit dieser Entschuldigung getan wäre? Dachte er wirklich, dass er nur ein Gespräch mit mir brauchte und alles, was vor einem dreiviertel Jahr passiert war, wäre vergeben und vergessen? Da hatte er sich aber gewaltig geirrt. Er kannte mich anscheinend wirklich nicht so gut, wie er glaubte.

„Dämlich, trifft es wohl eher“, entgegnete ich scharf.

„Josy, du kennst mich doch“, begann er entschuldigend und wollte noch was sagen, aber ich schüttelte meinen Kopf und unterbrach ihn.

„Nein, Stefan“, sagte ich mit Nachdruck. „Anscheinend tue ich das nicht. Ich dachte es zwar immer, aber offensichtlich habe ich dich nie gekannt.“

„Josy“, sagte er mit dieser Sanftheit, die mich damals immer weich gestimmt hatte, aber das war lange vorbei. Als er meine Hand ergreifen wollte, nahm ich Abstand und hob warnend die Arme. Es reichte mir jetzt wirklich mit ihm.
 

„Ich habe dich nicht gebeten hierher zukommen“, sagte ich barsch. „Ich habe nichts mit dir zu bereden. Und trotzdem bist du hier, beleidigst meinen Kollegen vor seinem Sohn, beleidigst mich und anschließend soll alles gut sein, wegen einer lausigen Entschuldigung von dir?“ Ich wusste, dass ich mich gerade in Rage redete. Aber ich konnte nicht anders. Es hatte einfach zu lange in mir gebrodelt. „Du konntest es noch nie vertragen, wenn es nicht nach deinem Willen ging. Du warst schon immer ein schlechter Verlierer. Aber das ist mir egal. Hörst du, Stefan? Es. ist. mir. egal. Ich bin über dich hinweg. Wie du siehst gibt es also nichts über das wir reden sollten.“
 

Er sah mich eine Weile schweigend an. Regentropfen liefen sein Gesicht hinunter. Auf seiner Stirn bildeten sich Falten, als er mich. „Ist es wegen ihm? Ist es wegen diesem Kollegen?“ Er sprach die Worte so abfällig aus, dass sich meine Wut nur steigerte. Er war wirklich die letzte Person, die sich über irgendjemanden ein Urteil erlauben durfte.

„Er hat nichts damit zu tun“, gab ich zurück. „Es gab für dich keinen Grund ihn so zu provozieren. Er ist mein Kollege.“
 

Der Gesichtsausdruck von Stefan veränderte sich in diesem Moment. Er sah mich wieder mit so einem herablassenden Ausdruck an als er sich frustriert durch die regennassen Haare fuhr. „Er hat also nichts damit zu tun?“, fragte er mich skeptisch. „Glaubst du das wirklich oder redest du dir das ein? Darin warst du ja schon immer besonders gut. Was geht da zwischen euch?“

„Selbst wenn da was wäre, ginge es dich nichts an!“

Der Regen wurde stärker, lief über mein Gesicht und durchtränkte meine Sachen, während ich den Blick von Stefan erwiderte. Es wäre sinnvoller reinzugehen. Aber ich wollte ihn nicht ins Haus lassen. Er hatte dort nichts zu suchen und ich sah keinen Sinn darin, die Konversation mit ihm fortzuführen. Aus meiner Sicht war alles gesagt.
 

Ich atmete tief ein und aus. Ich wollte mich nicht von ihm aus der Ruhe bringen lassen. Aber mein Puls pochte in meinen Adern, als er mich noch immer mit diesem arroganten Blick ansah. Ich wusste, dass er versuchte seinen Stolz zu schützen. Aber warum war er überhaupt gekommen? Er konnte nicht erwarten, dass er mit dieser Einstellung irgendwas bei mir wieder gut machen konnte.
 

„Wir waren auch mal Kollegen, Josy. Ich bin doch nicht blind. Er ist auch nur ein Kerl und wie er sich hier aufgeführt hat spricht Bände.“ Er kam einen Schritt auf mich zu und sah mich aus kalten Augen an, als er mit gesenkter Stimme fortfuhr. „Hast du ihn etwa in dein Höschen gelassen? Du warst schon immer recht schnell darin Männ-“ Er stoppte mitten im Satz, als ich ihm mit voller Wucht eine Ohrfeige gab.

Meine Lippen pressten sich fest aufeinander, um ihn nicht anzuschreien. Ich atmete einige Male schwer, bis ich mich soweit wieder im Griff hatte, dass ich ihn kein zweites Mal schlagen würde. Zweifelsfrei hatte er die Ohrfeige verdient, für all den Kummer, den er mir bereitet hatte, für die vielen Stunden, die ich wegen ihm geweint hatte und für alles, was heute wegen ihm passiert war.
 

Stefan sah mich erstaunt an, als ich mich zu ihm vorbeugte, war meine Stimme nur ein drohendes Flüstern. „Pass auf was du sagst, Stefan. Du kannst mich nicht mehr verletzten, bloß weil es nicht so läuft, wie du es willst. Ich bin dir mittlerweile sogar dankbar für den Scheiß, den du beim Junggesellenabschied abgezogen hast. Du hast mich vor dem größten Fehler meines Lebens bewahrt. Und da wir jetzt alles geklärt haben, solltest du lieber zurück nach Bielefeld.“

Ich lehnte mich wieder zurück. Ohne eine Reaktion von ihm abzuwarten, drehte ich mich um und ging über den Hof zum Haus.
 

***
 

Ich saß auf meinem Bett und starrte aufs Handy. Ich hatte jetzt schon einige Male versucht Fritz anzurufen, aber er war nicht rangegangen. Ich musste mit ihm sprechen und wollte nicht bis Montag warten. Im Büro war einfach keine Möglichkeit für solche Themen.

Ich dachte an die letzten Worte von Stefan, bevor ich ihn geohrfeigt hatte. `Hast du ihn in dein Höschen gelassen?´ Hatte er Fritz die gleiche Frage gestellt? Ich würde Fritz´s Reaktion darauf verstehen. Ein weiterer Grund, warum ich mit Fritz reden wollte. Gerade als ich ein weiteres Mal versuchte ihn zu erreichen, klopfte es an meiner Tür.
 

„Wer ist da?“ wollte ich wissen.

„Ich bin es, Josephine“, antwortete mein Vater.

„Komm rein“, sagte ich und legte mein Handy beiseite, als ich vom Bett aufstand. Vorsichtig betrat mein Vater den Raum und schloss die Tür hinter sich.

„Ist er weg?“, fragte ich und hoffte inständig, dass Stefan endlich gegangen war. Viktor und mein Vater hatten ihn tatsächlich ins Haus gelassen. Ich war in mein Zimmer gegangen um nicht Gefahr zu laufen ihm noch eine zu knallen. Als mein Vater jedoch nicht gleich antwortete und auswich, verengten sich meine Augen und ich ging auf ihn zu.

„Er ist noch da?“ Es war keine Frage. Ich war mir sicher, dass er noch hier war. „Wann geht er denn endlich?“, wollte ich wissen.

„Josephine“, begann mein Vater vorsichtig. „Es ist schon recht spät. Er kann doch heute nicht mehr zurück nach Bielefeld fahren.“

„Papa!“, sagte ich warnend und musste mich bemühen mich nicht in meinem Ton zu vergreifen. Ich wusste was das bedeutete. Wie waren die beiden nur auf diese Idee gekommen?
 

„Wir sind hier in Berlin, Papa. Das ist hier kein Dorf. Es gibt überall Hotels. Warum muss er unbedingt HIER übernachten?“ Das konnte doch nicht deren ernst sein.

„Josephine, du musst das verstehen. Er ist heute den ganzen Tag hier hergefahren. Wir können ihn doch nicht einfach vor die Tür setzen.“

„Also erst mal braucht man nicht einen ganzen Tag von Bielefeld nach Berlin und ja, dass können wir!“

„Josephine“, ermahnte mich mein Vater.

Ich atmete durch, als ich versuchte mich wieder zu beruhigen. Bitte sehr, sollten die Männer doch machen was sie wollen. Ich würde hier keine Minute länger bleiben, solange Stefan hier war. Ich drehte mich um und ging zu meinem Kleiderschrank. Als ich mir einen kleinen Rucksack schnappte und aus dem Schrank verschiedenen Kleidungsstücke zog, trat mein Vater hinter mich.
 

„Was machst du da?“, fragte er verwundert.

Ich drehte meinen Kopf zu ihm als ich gerade meinen Schlafanzug in den Rucksack stopfte. „Wenn Stefan nicht in der Lage ist sich einen anderen Schlafplatz zu suchen, dann werde ich es tun.“

„Aber Josephine“, begann mein Vater, ich unterbrach ihn. „Papa, ich will mit ihm nichts mehr zu tun haben, verstehst du das nicht?“ Nach eine Weile senkte er seinen Kopf und nickte. Ich schob die restlichen Sachen in meinen Rucksack und zog ihn zu.

Ich verlies das Zimmer und mein Vater folgte mir. Als ich am Wohnzimmer vorbei ging, sah ich Stefan zusammen mit Viktor auf dem Sofa sitzen. Ich ging weiter zum Flur und Stefan folgte mir.
 

„Wo willst du hin?“, fragte er mich.

„Wenn du nicht fähig bist dir eine Bleibe für heute Nacht zu suchen, dann werde ich es tun“, entgegnete ich kühl, als ich an ihm vorbei ging.

„Das ist doch kindisch“, rief er mir hinterher. Ich blieb bei seinen Worten stehen und drehte mich zu ihm um. Kindisch? Hatte er das gerade wirklich gesagt? Viktor und mein Vater standen nun ebenfalls im Flur nur weniger Meter hinter Stefan und sahen mich unsicher an.

„Es war ein Junggesellenabschied, Josy“, begann Stefan. Wollte er wirklich über DIESES Thema sprechen? Vor Viktor und meinem Vater? Hatte ich ihm die Sache nicht schon deutlich genug vorm Haus gesagt?

„Das macht doch keinen Unterschied, Stefan“, entgegnete ich knapp und bemühte mich, weiterhin kühl zu klingen. Ich wollte mich davon nicht weiter aufreiben lassen. „Ein Junggesellenabschied ist doch kein Freibrief fürs Rumhuren“, fuhr ich fort. „Du hättest mich am nächsten Tag auf unserer Hochzeit mit diesem Mund geküsst, mit dem du den Abend zuvor eine Nutte beglückt hattest. Weißt du wie sehr mich dieser Gedanke angeekelt hat? Aber mach dir keine Sorgen, ich hatte ein dreiviertel Jahr und diese Zeit war lang genug, um mit allem und vor allem mit dir abzuschließen. Also bemühe dich nicht weiter um irgendwelche Erklärungen.“ Ich drehte mich wieder um, wollte meinen Weg zur Tür fortsetzen.
 

„Gehst du zu ihm?“, fragte mich Stefan mit gedämpfter Stimme. Ich hielt erneut inne. Er verdiente es nicht, dass ich ihn weiter beachtete. Trotzdem drehte ich mich um.

„Vielleicht“, sagte ich und sah ihn dabei an, als wenn ich darüber noch nachdachte. „Und vielleicht lass ich ihn heute Nacht noch in mein Höschen, Stefan. Du weißt doch, wie leicht das bei mir ist.“ Ich hatte ins Schwarze getroffen, das konnte ich erkennen.

Mir war bewusst, dass ich sowohl Viktor, wie auch meinen Vater damit schockierte, aber das war mir egal. Stefan sollte erkennen, was für einen Müll er mir heute, aus welchen Gründen auch immer, an den Kopf geworfen hatte.

Er erwiderte nichts, sah mich nur ernst an. Ich wandte mich an Viktor. „Da ihr ja so unglaublich freundlich seid und ihm Asyl gewährt, suche ich mir heute Nacht eine andere Bleibe. Ich wäre dir verbunden, wenn du sicherstellst, dass Stefan weg ist, wenn ich wiederkomme. Bis zehn Uhr sollte das doch möglich sein, oder?“ Viktor nickte zustimmend. Ich lächelte ihn an. Er verstand mein `Danke´, auch ohne das ich es aussprechen musste. Das liebte ich so sehr an Viktor.

Ich verließ das Haus und setzte mich in mein Auto. Als ich den Motor starten wollte, sprang er nicht an. Ich hatte heute einfach kein Glück. Ich musste mir wirklich zeitnah ein neues holen. Normalerweise würde ich jetzt am Auto rumschrauben, aber ich wollte hier weg. Also stieg ich aus und verließ den Hof zu Fuß.

Es hatte aufgehört zu regnen und ich kam trockenen Fußes zur nächsten Bushaltestelle. Mit dem nächsten Bus würde ich zum Revier fahren. Ich hatte schon einmal auf der Couch dort übernachtet. Ich würde wohl eine weitere Nacht dort auch überstehen.
 

Nach einer gefühlten Ewigkeit kam der Bus. Ich setzte mich ans Fenster und lehnte meinen Kopf seitlich gegen die Scheibe, bevor ich meine Augen für eine Weile schloss. Es wurde langsam dunkel und die Straßenlaternen gingen nach und nach an. Als der Fahrer durch die Straßen von Berlin fuhr, sah ich gedankenverloren nach draußen und versuchte eine Lösung zu finden. Ob Ben schon schlief? Vielleicht würde Fritz dann endlich an sein Handy gehen. Ich wühlte in meiner Jackentasche und sah auf das Display.

Fritz hatte weder auf meine Anrufe reagiert noch auf die Nachrichten, die ich ihm geschrieben hatte. Wie oft hatte ich ihn schon angerufen? Ich rief ihn ein weiteres Mal an, aber wieder einmal antwortete mir nur die bekannte Stimme seiner Mailbox. Ich fluchte leise und beendete den Anruf. Wie sollte ich die Sache klären, wenn er auf stur schaltete?
 

Ich wollte mich nicht nur für die Ohrfeige entschuldigen. Natürlich wollte ich ihm erklären, warum ich das getan hatte. Aber eine leise Stimme in mir fragte sich auch, warum Fritz so aggressiv auf Stefan reagiert hatte. Als Kollege war es durchaus verständlich, wenn er mich vor Beleidigungen schützen wollte. Aber hatte er nicht ein wenig übertrieben reagiert? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er sich für mich Interessierte. Auch wenn mein Vater, Benny und selbst Stefan merkwürdige Andeutungen gemacht hatten.
 

Es machte keinen Sinn. Ich musste an die Ex-Frau von Fritz denken. Diese schöne junge Frau - top gestylt und modisch angezogen. Sie schien viel Wert aufs Aussehen zu legen und genau so stellte ich mir auch immer die Frauen vor, denen Fritz vermutlich hinterher sehen würde. Ich entsprach so gar nicht diesem Bild und noch dazu war ich zwei Jahre älter als er. Wir gerieten ständig aneinander und er fluchte unentwegt über meine Ermittlungsmethoden.
 

Fritz hatte einen ausgeprägten Beschützerinstinkt und Gerechtigkeitssinn. Ich bin Teil seines Teams und natürlich beschützt er mich und sorgte sich um mich. Wäre das nicht eine logische Erklärung für sein Verhalten heute? Warum machte ich mir darüber überhaupt Gedanken? Fritz war mein Arbeitskollege. Es wäre nicht gut. Es wäre zu kompliziert, zu emotional. Ich sah frustriert aus dem Fenster und mir stockte für eine Sekunde der Atem. Was für eine Ironie, dass ich in diesem Moment an einem Taxistand vorbei fuhr.
 

Augenblicklich musste ich wieder an den Abend denken, als Fritz mich geküsst hatte. Es hatte sich nicht kompliziert angefühlt und ich musste zugeben, dass dieses Verhalten alles andere als kollegial gewesen war - . weder von ihm noch meine Reaktion darauf. Bei dem Gedanken glühten meine Wangen. Warum zog sich meine Brust zusammen, wenn ich daran dachte? Die Gedanken in meinem Kopf machten mich noch verrückt, ich versuchte sie abzuschütteln.
 

„Wenn Sie schon den Knopf drücken, junge Frau, dann müssen Sie auch aussteigen.” Bei den Worten des Busfahrers horchte ich auf und sah zu ihm. Meinte er mich? Ich sah mich im Bus um. Es war niemand außer mir hier. Er konnte nur mich meinen.

Der Bus hatte angehalten und die Tür stand offen. Als mein Blick zu meiner Hand schweifte, lagen meine Finger auf dem Stop-Knopf. Ich sah zurück zum Taxistand, der sich nur wenige Meter hinter der Bushaltestelle befand. Ich zögerte nur eine Sekunde. Dann stieg ich aus dem Bus und ging auf den Taxistand zu. Ich war mir sicher, dass ich heute Nacht keinen Schlaf finden würde, wenn ich nicht mit ihm reden konnte. Wenn Fritz also nicht bereit war am Telefon mit mir zu sprechen, musste er wohl damit leben, dass ich andere Wege gehen würde, um meinen Willen zu kriegen. So gut sollte er mich eigentlich kennen.
 

***
 

Jetzt wo ich vor der Wohnungstür von Fritz stand, zögerte ich die Klingel zu drücken. Ich war zum Taxistand gelaufen und hatte mir eine Taxe bestellt, obwohl ich noch gar nicht wusste wo Fritz wohnte. Alex war über meinen Anruf verwundert, hatte mir aber die Adresse von Fritz gegeben.
 

Fritz wohnte in Friedrichshain in einem modernen Block mit Tiefgarage und Security. Der Pförtner war sehr freundlich, nannte mir die Wohnungsnummer von Fritz und zeigte mir den Weg zu den Fahrstühlen. Und jetzt stand ich vor der Tür und starrte auf die Klingel.
 

Ich atmete einmal tief durch und drückte dann den Knopf. Mir lief ein Schauer über den Rücken und mein Magen verkrampfte sich merkbar. Würde Fritz mir gleich wieder die Tür vor der Nase zuschlagen, wenn er mich sah? Wie wütend konnte er noch sein? Ich hörte Schritte auf der anderen Seite, bevor die Tür aufgerissen wurde. Er schien nicht durch den Türspion gesehen zu haben, denn als er mich erblickte, sah ich den überraschten Gesichtsausdruck.
 

Auf dem Weg hierher hatte ich mir überlegt, was ich ihm alles sagen wollte, aber als ich in sein Gesicht sah, war mein Kopf plötzlich leer. Ich starrte auf die Stelle, wo ich ihn geohrfeigt hatte. Es war nichts mehr zu sehen, was mich beruhigte, aber die Sache nicht ungeschehen machte.

Fritz sah mich schweigend an. Mir war bewusst, dass jetzt ich dran war mich zu erklären. Zumindest hatte er die Tür nicht gleich wieder geschlossen und gab mir die Zeit meine wirren Gedanken zu sammeln. Das war doch ein gutes Zeichen, oder? Ich öffnete meinen Mund einige Male, wollte etwas sagen, aber da ich nicht wusste was, schloss ich ihn wieder.
 

„Warum bist du hier?“, fragte er schließlich ruhig. Ich konnte keinen Ärger in der Stimme erkennen, keine Wut.

„Ich habe Stefan auch eine geknallt“, platze es aus mir raus und ich verzog im selben Moment das Gesicht. Was erzählte ich da nur für einen Scheiß? Das war wirklich nicht das, was ich ihm erzählen wollte. Ich senkte meinen Blick für einen Moment und knetete unruhig meine Hände. „Bloß als Ausgleich...“, sagte ich kleinlaut und sah ihn wieder vorsichtig an. „Aber das ist eigentlich nicht der Grund, warum ich hier bin...“ Wieder schwieg ich und biss mir aus Frustration auf meine Lippen.
 

„Es tut mir leid, Fritz“, brachte ich endlich heraus. Es fühlte sich wie ein Sack Steine an, den ich endlich loslassen konnte. Als er fragend eine Augenbraue hochzog, rollte ich mit den Augen. Ich wusste, dass ihm das als `Erklärung und Entschuldigung´ nicht genügen würde.

„Die Ohrfeige galt doch gar nicht dir“, erklärte ich. „Du warst nur näher dran als Stefan. Du musst doch verstehen, dass eine Schlägerei während deiner Probezeit sich nicht gut machen würde. Und ich kann dir versprechen, dass solche Sachen nicht bei Stefan bleiben würden. Warum lässt du dich auch von so einem Idioten provozieren...“ Ich holte Luft und wollte noch mehr sagen, wollte ihn fragen warum er nicht an sein Handy gegangen war als Fritz aus dem Türrahmen einen Schritt zurück machte.
 

„Josephine“, sagte er. Aber ich schüttelte den Kopf. Wollte er wirklich die Tür jetzt schließen? Ich hatte doch noch gar keine Chance gehabt ihm alles zu erklären.

„Nein Fritz, schicke mich jetzt noch nicht weg. Ich muss das loswerden, sonst wundert sich Alex, warum ich erst nach deiner Adresse am Wochenende um so eine Uhrzeit bettele und wir dann Montag kein Wort miteinander reden...“

Er schwieg einen Moment, aber sein Mundwinkel zuckte. Ich sah ihn überrascht an. Amüsierte es ihn? Es war nur eine Sekunde gewesen, aber ich hatte es deutlich gesehen. Er deutete auf den Flur hinter sich und sah mich wieder etwas ernster an.

„Willst du vielleicht reinkommen, Josephine? Meine Nachbarn wird es wohl nicht interessieren, was du mir sagen möchtest.“ Ich stutzte. Er ließ mich in seine Wohnung? Er würde mich nicht einfach hier stehen lassen? Etwas verdutzt nickte ich. Er stellte sich seitlich, während er die Tür aufhielt und mir mit einer Handbewegung signalisierte, dass ich eintreten sollte.
 

Als ich im Flur stand, schloss er die Tür und sah mich an. „Ben schläft schon“, sagte er mit gedämpfter Stimme und deutete auf eine der Türen. „Vielleicht sollten wir im Wohnzimmer reden?“ Ich nickte, zog meine Schuhe aus, stellte meinen Rucksack ab und folgte ihm.

„Tut mir leid, dass ich dich um diese Uhrzeit noch störe“, sagte ich, als ich auf seiner Couch platz nahm. Er ging zu einem Schrank und holte zwei Gläser raus.

„Möchtest du was zu trinken?“, fragte er mich. Ich sah ihn nachdenklich an. Irgendwie benahm er sich seltsam.

„Du bist nicht sauer?“ Bei meiner Frage stutzt er für einen Moment, zuckte dann aber die Schultern. Er stellte die Gläser auf den Tisch und setzte sich in den Zweier-Sitz mir gegenüber.

„Ich war sauer“, bestätigte er mir.

„Ich wollte dich nicht schlagen“, beteuerte ich. „Und es tut mir leid, dass ich es getan habe.”
 

Er schenkte mir ein gedehntes Lächeln. “Für jemand der Probleme mit `Es tut mir leid´ hat, verwendest du es gerade recht häufig.”

„Ich will nicht, dass du mich rausschmeißt, bevor ich nicht sichergestellt habe, dass wirklich alles in Ordnung ist und keine Missverständnisse zwischen uns stehen“, murmelte ich. Er lehnte sich mit seinen Ellenbogen auf seine Knie, als er sich vorbeugte.

„Welche Missverständnisse gibt es deiner Meinung nach denn?“, seine Stimme klang zwar ruhig, aber ich konnte einen leisen fordernden Unterton raushören.

Ich beugte mich ebenfalls vor und sah ihn fest an. „Ich habe in keinster Weise versucht Stefan zu schützen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hättest du ihn festhalten können und ich hätte ihm selber eine verpasst.“ Der ernste Ausdruck wich aus seinem Gesicht, Fritz entspannte sich ein wenig.
 

Er erwiderte nichts, also fuhr ich fort. „Hast du nicht an deine Probezeit gedacht?“ Ich konnte in seinen Augen lesen, dass er keine Sekunde daran gedacht hatte. „Denkst du ich riskiere, dass du doch noch ein Strafverfahren bekommst, weil du dich von Stefan hast provozieren lassen? Ich kenne Stefan. Er war sich schon immer zu fein, um sich die Hände schmutzig zu machen. Warum sollte er sich also mit dir prügeln?“

„Wusste er denn von der Probezeit? Woher hätte er davon wissen sollen?“, fragte mich Fritz skeptisch.

„Woher hättest du davon wissen sollen, dass ich fünf Mal aufs Ortsschild geschossen habe, bevor ich nach Berlin gekommen bin?“, entgegnete ich. Es dauerte nicht lange bis er mich verstand.

„Er hat meine Akte?“, fragte Fritz ungläubig. Ich zuckte mit den Schultern.

„Woher soll ich das wissen? Du wirst dir hoffentlich vorstellen können, dass ich nach dem Zwischenfall mit dir und ihm nicht gerade zu einem Kaffeeklatsch mit ihm bereit war.“
 

Nach einem Moment fragte mich Fritz vorsichtig „Ist er noch da?“. Ich nickte zustimmend. „Hast du mit ihm noch geredet?“

Ich seufzte. „Das ließ sich wohl kaum vermeiden“, murmelte ich. Wieder breitete sich Schweigen im Raum aus.

Plötzlich stand Fritz auf und mein Blick folgte ihm. „Was möchtest du zu trinken?“, fragte er, als er langsam zur Tür ging.

„Wasser würde mir reichen“, antwortete ich. Ich wollte ihm keine Umstände machen. Fritz verließ für einen Moment das Wohnzimmer. Ich rutschte etwas unruhig hin und her, bis ich schließlich aufstand und ans Fenster ging. Ich konnte nicht stillsitzen, wenn mir so viele Gedanken durch den Kopf geisterten.
 

Auf dem Fensterbrett standen einige Fotos von Benny und Fritz. Ganz links war ein großer Rahmen der meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Fritz stand mit Benny vor einem liebevoll geschmückten Weihnachtsbaum und direkt neben ihnen standen zwei ältere Personen. Das mussten die Eltern von Fritz sein. Ich nahm das Foto in die Hand um es genauer zu betrachten.
 

Der Mann neben Fritz war etwas größer als er. Er hatte volles Haar, auch wenn es schon durch und durch ergraut war. Ich schätzte ihn um die 60. Er hatte das gleiche Lächeln wie Fritz mit den tiefen Grübchen die sich bildeten, wenn er lächelte. Fritz war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Die beiden hatten sogar die gleiche Körperhaltung. Neben Fritz und Benny stand eine kleine, zierliche Frau, die mit einem warmen Lächeln in die Kamera blickte. Sie hielt die Hand von Benny und hatte sich bei Fritz eingeharkt. Sie musste in etwa das gleiche Alter haben wie der Mann, der neben Fritz stand.
 

Ich hatte nie sonderlich viel über das Privatleben von Fritz erfahren. Ich war immer zu sehr damit beschäftigt gewesen, mein Eigenes zu schützen. Aber ich war neugierig. Ich wollte wissen, wer Fritz war - wie er früher war. Hatte er das gleiche Temperament schon als Kind? Ich konnte mir sehr gut vorstellen, wie wild er gewesen sein musste.

Seinem Vater konnte man selbst im Alter noch ansehen, dass ihm der Schalk im Nacken saß. Die Mutter hingegen wirkte besonnen und bodenständig. Selbst wenn die Kinder es immer abstritten, Familie und besonders die Eltern prägten doch am meisten einen Menschen.
 

„Was Interessantes gefunden?“ Ich drehte mich zu Fritz, der mit zwei dampfenden Getränken vor der Couch stand und mich mit hochgezogener Augenbraue ansah. Ich blickte entschuldigend.

„Tut mir leid, dass ich hier so rumschnüffle. Das bringt der Beruf so mit sich.“ Ich stellte den Bilderrahmen wieder auf das Fensterbrett.

„Schon ok“, entgegnete er und verzog sein Gesicht zu einem schiefen Lächeln, als er die Getränke auf den Couchtisch stellte.

„Sind das deine Eltern?“, fragte ich und zeigte auf das Bild hinter mir. Er sah mich an, blickte dann zum Bild und nickte. Als er das Foto betrachtete, bekam sein Gesicht weiche Züge. Er musste sehr viel für seine Eltern übrig haben, dachte ich.
 

„Du siehst deinem Vater sehr ähnlich.“

„Hör ich oft“, sagte er nur achselzuckend. Ich ging wieder auf die Couch zu und Fritz nahm auf dem Zwei-Sitzer platz. Ich sah ihn fragend an, als ich mich auf die Couch setzte und mein Getränk in Augenschein nahm.

„Ich habe dir einen Tee gemacht“, erklärte er knapp. Ich hatte zwar gesagt, dass mir ein Wasser genügen würde, aber dieser Tee roch verlockend und war genau das, was ich jetzt brauchte.

„Danke.“ Ich umschloss die warme Tasse mit beiden Händen und pustete einige Male bis ich einen Schluck trinken konnte. Die ganze Zeit beobachtete mich Fritz ohne etwas zu sagen. Seine Blicke machten mich nervös, also starrte ich weiter meinen Tee an.
 

„Benny war sich sicher, dass du heute noch herkommen würdest“, sagte Fritz schließlich. Ich blickte auf. „Er hat lange auf dich gewartet.“. Fritz nahm einen Schluck von seinem Tee, bevor er mich dieses Mal angrinste. „Er hat mir verboten schlafen zu gehen, bevor du hier bist.“

„Hast du auf mich gewartet?“, fragte ich ihn und fühlte mich dabei ein wenig atemlos. Eine Weile sagte Fritz nichts als wenn er wirklich über diese Frage nachdenken musste. Dann schüttelte er aber den Kopf.

„Er ist ein Kind, Bielefeld.“
 

Ja, das stimmte. Er war ein Kind, aber ein sehr schlaues. Und er hatte rechtbehalten mit seiner Vermutung. „Aber ich bin hier“, entgegnete ich leise als ich einen weiteren Schluck von meinem Tee nahm.

„Ja, das bist du“, sagte er und schenkte mir ein so warmes Lächeln, dass sich meine Brust zusammenzog. Ich hoffte, der Tee war der Grund, warum sich mein Körper so warm anfühlte. Ich war hierher gekommen, um mich bei Fritz zu entschuldigen, damit wir Montag wieder normal unseren Dienst antreten konnten. Aber irgendwie hatte es sich zu etwas viel persönlicherem entwickelt und das verwirrte mich, machte mich sogar ein wenig panisch.
 

„Warum bist du nicht sauer?“, fragte ich Fritz und versuchte meine Gedanken wieder ein wenig mehr auf den eigentlichen Grund meines Besuches zu konzentrieren.

„Wie gesagt, ich war sauer. Aber ich habe langsam das Gefühl, dass ich dich verstehe.“

„Wie meinst du das?“, fragte ich überrascht.

„Ich hätte wissen müssen, dass du hochsensibel reagierst, wenn dein Ex-Verlobter plötzlich auf der Matte steht. Temperament hin oder her, ich hätte anders reagieren müssen.“

Das erstaunte mich. Ich sah ihn überrascht an.

“Nun sieh mich nicht so an, Bielefeld”, sagte er spielerisch und verdrehte seine Augen.
 

`Hochsensibel´ hatte er gesagt. So hatte ich auf ihn gewirkt? Ich hatte mich bemüht so gleichgültig wie möglich zu wirken, aber Fritz hatte durch die Fassade gesehen. Er wusste also alles?

„Wer hat es dir erzählt?“, fragte ich Fritz möglichst beiläufig. Er verstand was ich meinte.

„Alex kam mal darauf zu sprechen“, sagte er vorsichtig.

„Warum“, begann ich. „Warum hast du mich eigentlich nicht danach gefragt?“ Er hatte sich doch sonst nie eine Frage verkneifen können. Warum also gerade bei diesem Thema?

Er zögerte einige Augenblicke, dann zuckte er mit den Schultern und seufzte. „Ich denke, dass ich weiß wie es ist, wenn man über eine gescheiterte Beziehung nicht reden will.“ Fritz sah bei diesen Worten nachdenklich aus und wir beide schwiegen einen Moment.

Ich beobachtete Fritz, wie er mit gesenktem Blick die Tasse in seine Hand nahm und sich in den Zwei-Sitzer zurücklehnte. Ich konnte mich daran erinnern, dass er dem Thema auswich, wann immer ich ihn darauf ansprach. Ich biss mir auf die Lippen, konnte die Worte aber nicht stoppen.
 

„Liebst du sie noch?“

Bei der Frage sah er mich erstaunt an und ich hätte mich am liebsten selbst geohrfeigt. Warum hatte ich die Frage gestellt? Mich ging das wirklich nichts an. Und dennoch merkte ich meinen erhöhten Puls und die innere Unruhe, als ich auf eine Antwort von ihm wartete. Seine Reaktion dauerte für mich eine Ewigkeit und die Erleichterung, die mich durchströmte, als er seinen Kopf schüttelte, machte mir Angst.

„Anscheinend habe ich nicht genug Gefühl investiert, um sie halten zu können. Mittlerweile glaube ich, dass Benny der einzige Grund war, warum unsere Ehe überhaupt solange gehalten hat. Sie hat sich jemanden gesucht, der ihr mehr Aufmerksamkeit geschenkt hat und mir dann die Scheidungspapiere auf den Tisch gelegt. Ich war lange Zeit sehr sauer auf sie. Aber ich habe die Ehe nie bereut – allein schon wegen Benny.“ Fritz sah mich erst nach einigen Sekunden an, schenkte mir dann aber ein Lächeln, das ich erwiderte.
 

„Wie ist das bei dir?“, fragte Fritz zögernd als er sich leicht räusperte und sich langsam vorbeugte.

Ich sah nachdenklich auf den Couchtisch, während ich über seine Frage nachdachte. Ich hatte darüber die letzten Monate viel nachgedacht. Aber das Treffen mit Stefan hatte heute alles durcheinander gewirbelt. „Ich weiß es nicht“, sagte ich und sah Fritz dabei etwas gequält an.
 

Er hob eine Augenbraue, sagte aber nichts. „Ehrlich gesagt weiß ich im Moment weniger als vorher“, fuhr ich fort. „Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich ihn überhaupt wirklich je geliebt habe. Manchmal glaube ich, dass diese Trennung mehr meinen Stolz und meine Ehre getroffen hat als alles andere.“ Es stimmte. Ich war mir mittlerweile wirklich nicht mehr sicher, ob ich Stefan wirklich geliebt hatte. Zumindest nicht so, wie man jemanden lieben sollte, den man heiraten wollte.
 

„Ich kannte Stefan seit meiner Kindheit.“ Ich wunderte mich, warum ich Fritz das alles erzählte. „Wir sind zusammen groß geworden, waren Nachbarn. Wir verstanden uns und ich musste mich nicht verstellen. Es war einfach mit ihm Zeit zu verbringen, bequem, unkompliziert. Und irgendwie war es dann so natürlich, dass wir zusammengekommen sind, dass wir über Hochzeit und Kinder gesprochen haben. Aber genau das hatte mich so verletzlich gemacht. Er war einfach zu sehr in meinem Leben involviert, privat und beruflich...“ Ich machte einen Moment Pause und dachte über die vergangenen Jahre nach, dachte daran, wie Stefan mein ganzes Leben mit einer Dummheit verändert hatte.
 

„Ich glaube ich war verliebt in die Idee verliebt zu sein und geliebt zu werden.“ Ich sagte das mehr zu mir selbst als zu Fritz und die Erkenntnis frustrierte mich. Ich hatte es wohl laut genug gesagt, dass Fritz es verstand. Als ich dem Blick von ihm nicht länger standhalten konnte, wandte ich meinen Blick von ihm ab. Ich betrachtete meine Hände, ich wusste nicht, wohin ich sehen sollte. Mein Puls schlug deutlich hörbarer in meinen Ohren.
 

Als Fritz auch nichts sagte, atmete ich einmal durch und stand auf. Es war wirklich genug gesagt für den Tag. Ich musste mich erst mal selber sammeln und es war Zeit zu gehen. „Es ist spät geworden, eigentlich wollte ich mich nur bei dir entschuldigen und dich nicht vom Schlafen abhalten.“

Fritz sah mich einen Moment an, erhob sich aber ebenfalls und folgte mir zur Tür.

„Du gehst wieder zurück?“, wollte er wissen. Ich schüttelte den Kopf.

„Stefan hat sich doch bei uns einquartiert“, sagte ich entnervt. „Ich habe keine Lust mich weiter mit ihm rumzuschlagen. Viktor hat versprochen, dass er bis morgen zehn Uhr das Gestüt verlassen hat.“

„Und wo schläfst du?“

„Ich fahre zum Revier. Die Couch durfte ich dank euch ja schon mal austesten“, sagte ich und musste dabei grinsen.

„Das ist doch Quatsch“, sagte er.

„Quatsch?“, fragte ich.

„Du kannst doch hier schlafen!“ Ich sah ihn erstaunt an. Es klang mehr wie ein Befehl und nicht nach einem Vorschlag.

„Ist schon gut, Fritz“, winkte ich ab. „Mich wird eine Nacht auf dem Revier nicht umbringen.“ Ich war ihm dankbar für das Angebot. Aber ich konnte das einfach nicht annehmen. Es wäre besser allein zu sein und wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Und ich brauchte Abstand von Fritz. Seine Nähe brachte mich im Augenblick durcheinander.
 

Gerade als ich meinen Rucksack schnappen wollte, legte er eine Hand auf meine Schulter. Seine Berührung durchfuhr mich und ich war mir seiner Nähe zu bewusst. Ich stoppte in meiner Bewegung und sah ihn an. Er wollte was sagen, zögerte aber noch. Im selben Moment ging die Tür zum Schlafzimmer auf.
 

„Papa?“, hörte ich die verschlafene Stimme von Benny. Ich sah ihn an, als er sich die Augen rieb und aus dem Zimmer sah. Als er mich erblickte, schenkte ich ihm ein Lächeln. Ich hatte gar nicht mehr mit ihm reden können. Hoffentlich hatte ihn Fritz beruhigen können, nachdem was Stefan über den Vorfall auf der Brücke erzählt hatte. Seine Augen wurden groß als er mich erkannte.

„Josephine“, rief er aus und rannte auf mich zu, als er seine Arme um meine Hüften legte. Fritz ließ im selben Moment meine Schulter wieder los und ich konnte mich ein wenig entspannen. „Ich wusste, dass du kommst“, sagte Benny und blickte zu mir hoch, als er mich zufrieden angrinste. „Hat sich Papa bei dir entschuldigt?“, wollte er wissen. Die Frage verwirrte mich. Bei MIR? Wieso bei mir?
 

„Papa macht manchmal Blödsinn.“ Ich musste lachen und sah Fritz kurz an, der nur die Augen rollte. Als ich wieder Benny ansah, strich ich ihm durch die Haare.

„Wir haben über alles geredet“, versicherte ich ihm. Er wirkte zufrieden, als er mich losließ und sich bei Fritz anlehnte. Vater und Sohn. Es war ein schönes, inniges Bild.

„Bleibt Josephine hier?“, fragte Benny und sah Fritz hoffnungsvoll an. Fritz schüttelte den Kopf als er seinen Sohn ansah.

„Josephine wollte gerade gehen.“ Benny sah mich stirnrunzelnd an. Ich konnte sehen, dass ihm das gar nicht gefiel.
 

***
 

Ich konnte nicht glauben, dass ich der Bitte von Benny zugestimmt hatte. Nachdem er einfach nicht aufgeben wollte und weiter darauf bestand, dass ich heute Nacht hier bleiben sollte, hatte ich schließlich zugestimmt. Er wollte mir noch soooooo viel erzählen, aber es dauerte nicht lange und er war neben mir auf der Couch eingeschlafen. Fritz hatte ihn ins Schlafzimmer gebracht und wollte mir dann die Couch für die Nacht fertig machen, aber ich hatte ihn ins Bett geschickt. Ich musste im Moment allein sein.
 

Es war verrückt. Der Tag war wirklich schön bis Stefan aufgetaucht war. Aber ab da war alles nur noch ein Chaos mit Stefan, mit Fritz und mit mir selbst. Ich wollte mich nicht davon durcheinander bringen lassen, aber es schlichen sich seltsame Gefühle in meine Brust, die ich einfach nicht abschütteln konnte, die mir bekannt vorkamen, aber trotzdem sehr fremd. Mein Gott, was war nur los mit mir? Irgendwas war heute mächtig schief gelaufen. Ich hätte ablehnen und ins Revier fahren sollen. Mein Kopf fühlte sich überfüllt an und ich hatte ein flaues Gefühl im Magen.
 

Ich lag rastlos im Bett und fand einfach keinen Schlaf. Ich drehte mich um und die Bettdecke schmiegte sich warm um mich, als ich sie über meinen Kopf zog. Ich atmete tief, als ich versuchte zur Ruhe zu kommen. Irgendwie roch die Bettdecke so angenehm - angenehm nach Fritz. Es beunruhigte mich, dass mir sein Duft das Gefühl von Wärme gab.



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