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Josephine Klick - Allein unter Cops

von

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„Addie“, rief Alex und wedelte mit einer leeren Tequilaflasche. „Kriegen wir noch eine...? Und auch noch drei Bier...“

Addie nickte in seiner ruhigen Art, so wie man ihn kannte. „Na klar, kommt sofort.“

Als Addie das Bier und die zweite Flasche Tequila mit Zitronen brachte, schenkte Alex uns ein und erhob sein Glas.

„Auf das Team“, sagte er feierlich. „Darauf, dass wir jetzt wieder vollzählig sind.“

Ewald rollte die Augen, erhob dann aber ebenfalls sein Glas. „Ich stoße auf die zukünftigen Wortgefechte von Josy und Fritz an. Endlich keine Langeweile mehr im Büro. Nur Fritz kann sich so schön über die Ermittlungsmethoden unserer Kollegin aufregen.“
 

Fritz grinste schief. „Wer braucht schon Harmonie“, sagte er ironisch. Dann sah er mich an und lächelte. „Freuen wir uns auf die Streitigkeiten die da kommen werden.“ Er hob kurz sein Glas und prostete allen zu. „Und jetzt runter mit dem Zeug.“

Es floss zwar reichlich Alkohol, trotzdem feierten wir bedächtig. Natürlich waren wir erleichtert, dass die Ermittlungen eingestellt waren. Aber uns war allen klar, dass auf der anderen Seite eine Frau um ihren Ehemann trauerte und Kinder ihren Vater verloren hatten. Im Leben gab es immer Gewinner und Verlierer. Ich war dankbar dafür, dass das Glück in diesem Fall auf der Seite von Fritz war. Ein egoistischer Gedanke, für den ich mir kein schlechtes Gewissen einreden wollte – nicht heute Nacht.
 

Ich beobachtete Karin, wie sie ein weiteres Glas zu Ewald schob. Er hatte für sie einige Gläser mitgetrunken und das merkte man ihm deutlich an. Aber er war jung. Bis zum Teammeeting würde er schon irgendwie fit sein. Ich dagegen hatte keine Runde ausgelassen und mir stieg der Alkohol langsam zu Kopf. Wenn ich nicht wieder auf der Couch im Büro enden wollte, musste ich langsam aufpassen.
 

Karin war die Erste, die sich von uns um halb Eins verabschiedete. Ewald hatte vermutlich seine Grenze erkannt und nutzte die Gelegenheit sich ebenfalls auf den Weg zu machen.

„Irgendjemand muss Karin doch nach Hause bringen. Ihr wisst doch wie gefährlich Berlin sein kann“, erklärte er während Karin ihn stützen musste.

„Sicher, Waldi“, entgegnete ich mit einem sarkastischen Unterton. Man sah ihm an, dass er nicht viel länger durchgehalten hätte. Er war früh auf der Arbeit gewesen und hatte vermutlich auf leerem Magen einige alkoholische Getränke zu sich genommen. Mir ging es ähnlich, aber die Euphorie in mir hielt mich wach. Trotzdem sollte ich ebenfalls langsam die Bremse ziehen.
 

Karin und Ewald verschwanden und ich war mit Alex und Fritz allein. Wir verfielen für einige Augenblicke in Schweigen. Dachten die beiden auch über die Entscheidung der Staatsanwaltschaft nach?

„Warum hat eigentlich dieser Termin mit dem Schulz so lange gedauert?“, fragte Alex plötzlich. Ich sah von ihm zu Fritz. Zunächst winkte Fritz ab. Wollte er nicht darüber reden? Er nahm sein Glas Bier und trank einen Schluck. Dann blickte er zu Alex und mir.

„Das Verfahren ist eingestellt, also hat er mich in die Unterlagen blicken lassen“, begann er. „Ich hab mir den Abschlussbericht vom Untersuchungsausschuss durchgelesen und noch anderen ausgewählt Berichte.“ Bei den letzten Worten sah mich Fritz vielsagend an. Welchen Bericht meinte er? War es meiner gewesen? Ich wüsste gerne was darin stand. Mich machte es etwas nervös, dass Fritz mich deswegen so seltsam ansah.
 

„Haben sie dir gesagt, wie es weitergeht?“, hakte Alex nach und unterbrach meine Gedanken.

„Das Thema wird intern geklärt. Auf jeden Fall gibt es einen Eintrag in meine Personalakte.“ Fritz sah für einen Moment schweigend in sein Bierglas. Er wirkte nachdenklich. „Ich kann froh sein, dass mir mein Dienstgrad nicht aberkannt wird, meinte zumindest dieser Schulz. Mit so einem Eintrag ist es mit der großen Karriere vorbei. Beim Hauptkommissar ist wohl Endstation für mich.“ Er stöhnte kurz auf, nahm dann sein Bierglas hoch und leerte es in einem Zug, bevor er es etwas zu laut wieder auf den Tisch stellte. „Was die arroganten Fuzzis halt so labern“, sagte er ohne uns anzusehen.
 

Alex legte ihm eine Hand auf die Schulter und wollte gerade etwas sagen als sein Handy klingelte. Er sah erst etwas verwirrt an sich runter, wühlte aber dann in seiner Hosentasche bis er das Handy am Ohr hatte.

„Caroline...“, antwortete er überrascht. Dann hörte er eine Weile zu. „Ja... Alles klar... Ja, dass versteh ich. Nein, dass ist schon in Ordnung. Ich mach mich auf den Weg... Ja, ich dich auch. Bis gleich.“
 

Alex legte auf und sah uns entschuldigend an. „Das war meine Frau. Tut mir leid ihr beiden, aber ich muss nach Hause.“

Er schnappte sich seine Jacke und klopfte Fritz noch einmal auf die Schulter. „Bin froh, dass du morgen wieder dabei bist“, sagte er. „Bis zum Teammeeting“, rief Alex im Gehen und machte sich auf den Weg nach Hause.

Wir saßen eine Weile schweigend da als ich auf mein leeres Bierglas blickte. Die Äußerung von Fritz bezüglich des Eintrages in seine Personalakte hatten sich in meinem Kopf festgesetzt und ich bekam ein schlechtes Gewissen.
 

„Tut mir leid“, sagte ich etwas kleinlaut ohne ihn anzusehen.

„Was sollte dir denn leid tun?“, fragte er verwirrt.

Ich sah ihn etwas zögernd an. „Der Eintrag in der Personalakte. Ich weiß ja nicht, wie deine beruflichen Ziele bisher ausgesehen haben...“ Wir hatten nie darüber geredet. Er schien glücklich mit seiner Position zu sein, aber vielleicht wollte er ja doch noch weiterkommen.

Er sah mich ungläubig an. „Ist das wirklich dein Ernst?“ Ich blinzelte bei seiner Tonlage und sah ihn verwirrt an. Hatte ich was Falsches gesagt?

Fritz atmete durch. „Bielefeld“, begann er und klang dabei wieder sanfter. „Ich habe erwartet ins Gefängnis zu kommen. Ich habe nie daran gedacht, dass ich meinen Job behalten würde. Mir ist doch scheiß egal, was der Schulz über meinen Fall denkt oder über meine Zukunft.“ Er hielt inne und blickte auf sein leeres Bierglas.

Während er mit beiden Händen sein Glas festhielt, drehte er seinen Kopf zu mir. „Josephine, ich weiß, dass... Ich meine, mir ist bewusst, dass du...“ Er hielt inne, blickte mich für einen Moment schweigend an, dann atmete er etwas frustriert aus und sah sich in der Kneipe um.
 

„Addie“, rief er laut. „Kannst du uns noch zwei Flaschen Bier bringen?“ Ich erschrak über die Lautstärke. Er musste das gesehen haben. „Ein Bier geht doch noch oder willst du los?“, fragte er mich etwas zögernd.

Ich konnte nur den Kopf schütteln. Los wollte ich noch nicht, aber eigentlich wollte ich auch kein weiteres Bier. Ich hatte meine Grenze für heute bereits Überschritten. Mir war schwindelig und ich fühlte mich mehr als nur beduselt. Aber als Addie mir mein Glas abnahm und mir eine Flasche Bier hinstellte, konnte ich schlecht ablehnen.

Fritz ging nicht weiter auf das Thema ein, das er eben nicht zu Ende gebracht hatte und ich fragte nicht weiter nach. Wenn er mir was erzählen wollte, würde er das schon tun, oder? Er hielt mir seine Flasche zum Anstoßen hin.

„Letztes Getränk“, sagte ich ihm bevor wir anstießen. „Du solltest am ersten Tag weder unter Schlafmangel noch unter einem Kater leiden.“

Er grinste mich verschwörerisch an. „Ich würde vielleicht damit klar kommen, aber wir wollen ja nicht, dass du wieder auf der Couch im Büro nächtigst.“
 

So ein Idiot, dachte ich. „Tu nicht so unschuldig. Ihr habt es doch sichtlich genossen, die neue Kollegin so auflaufen zu lassen. Ich hab doch eure Gesichter am nächsten Tag gesehen.“ Fritz verzog sein Gesicht.

„Du streitest es nicht mal mehr ab...“, sagte ich empört.

„Ich war damals erstaunt, wie viel du verträgst“, gab er zurück und nahm ein Schluck Bier.

Ich lachte kurz auf. „Man mag´s nicht glauben, aber ich war damals selber erstaunt, wie viel ich vertragen habe. Bis ich dann am nächsten Tag im Büro wach geworden bin.“

Er schmunzelte während er seine Flasche ansah.

„Hätten wir gewusst wo du wohnst, wärst du bestimmt bei dir wach geworden und nicht auf dem Revier.“

„Das glaub ich nicht. Alex hätte das vielleicht gemacht, aber gerade du hast es doch viel zu sehr genossen mich regelmäßig vorzuführen.“

Er zuckte mit den Schultern und sah mich unschuldig an. „Und du, liebe Kollegin, hast es zu sehr genossen uns bei allen Ermittlungen dazwischen zu funken“, gab er zurück und sah mich herausfordernd an. Dieser Kerl war wirklich unmöglich. Er bemühte sich noch nicht einmal es abzustreiten. In aller Lässigkeit nahm er wieder einen Schluck Bier und wartete auf meine Reaktion.

„Ich hab euch nicht dazwischen gefunkt“, protestierte ich. „Ich habe ernsthaft ermittelt. Meine Methoden sind nur etwas anders als eure.“ Er erwiderte nichts, aber ich konnte sehen, wie seine Mundwinkel zuckten als er einen Schluck aus seiner Flasche nahm.

„Geschadet hat es uns nicht“, fuhr ich fort. „Immerhin haben wir bisher alle Fälle gelöst. Außerdem kann ich mich an ein Video erinnern, wo jemand gesagt hat, dass ich wichtig fürs Team geworden bin und ich mich mit meinen Alleingängen gebessert hätte. Willst du diese Äußerungen etwa abstreiten?“

Er verdrehte die Augen, schenkte mir dann aber ein schiefes Lächeln. Er stütze seine Ellenbogen auf dem Tisch ab und beugte sich ein wenig zu mir vor.
 

„Sag mal, Bielefeld, wann bist du endlich bereit dieses Video zu löschen?“

Ich drehte meinen Kopf von ihm weg, ließ mir Zeit und tat so als wenn ich ernsthaft darüber nachdenken musste. Ich wusste nicht, ob es am Alkohol lag oder am Ausgang der Untersuchung. Vielleicht war es auch eine Mischung aus beidem. Ich hatte das Gefühl, dass wir uns heute ungezwungener und entspannter unterhielten. Und ich genoss es. Ich war es leid mich ständig mit ihm zu streiten. Ich dachte an den Tag als er mich mit Ben auf dem Gestüt besucht hatte. Das war einer der wenigen Tage, an denen er mehr von sich gezeigt und mir die Gelegenheit gegeben hatte ihn besser kennenzulernen. Und ich mochte, was er an solchen Tagen preisgab.
 

Ich sah ihn wieder an und musste grinsen bevor ich überhaupt antwortete. „Wenn du mir verrätst, was ihr noch so besprochen habt, ziehe ich es vielleicht in Erwägung das Video von meinem Handy und die gesicherte Kopien zu löschen.“

„gesicherte Kopien?“, stöhnte Fritz auf. „Du machst mich fertig, Bielefeld.“

Mein Lächeln wurde breiter und ich zuckte mit den Schultern. „Man weiß ja nie. So oft, wie du mir mein Handy schon aus den Händen gerissen hast.“ Ich war mich sicher, dass er wusste wovon ich sprach, egal ob es beim Telefonieren mit dem Förster war oder als ich Alex und ihm das Video vorgeführt hatte.
 

„Dir scheint dein Handy aber auch nicht allzu wichtig zu sein. Du lässt es ja ganz offensichtlich überall liegen.“ Knirschte er etwa mit den Zähnen? Ich hatte mein Handy nur einmal bei Herrn Altenburg vergessen.

„Es war ein Versehen, Fritz...“, setzte ich an. Er wirkte beinahe beleidigt, sobald wir das Thema ansprachen. Welches Problem haben die beiden nur miteinander? „Ich hatte doch gerade erst das Gespräch mit Frau Bremer hinter mir. Ich war noch ganz durcheinander. Da habe ich es einfach vergessen. Aber solltest du nicht ein wenig besser auf Herrn Altenburg zu sprechen sein nach dem Ausgang der Untersuchung?“
 

Er sah mich unzufrieden an. „Müssen wir ausgerechnet heute über diesen Typen reden?“

„Du hast doch damit angefangen“, gab ich zurück.

„Ich habe seinen Namen nicht erwähnt“, protestierte er brummig als er seine Flasche ansah. Ich schüttelte den Kopf und beobachtete ihn. Manchmal benahm er sich wie ein Kind.

Er trank sein Bier in einem Zug aus. „Ich bezahl schon mal“, sagte er und stand auf.

„Warte ich übernehme einen Teil“, ich wollte schon aufstehen, aber er wehrte ab.

„Lass mal sein. Ich habe heute ALLE eingeladen. Dazu zählst du auch“, sagte er und ging zu Addie.

Normaler Weise würde mich das nicht stören. Ich würde einfach aufstehen und Addie Geld in die Hand drücken. Aber als ich versuchte mich vom Stuhl zu erheben, fühlte es sich wie ein Schlag auf den Hinterkopf an. Mein Schädel brummte und mir war schwindelig. Meine Beine fühlten sich kraftlos an. Warum hatte ich nicht eher gemerkt wie betrunken ich war? Ich schloss meine Augen einen Moment und versuchte wieder die Kontrolle über meinen Körper zu bekommen.

Ich hielt mich am Tisch fest und zog ganz langsam meine Jacke an. Ich spürte wie ich schwankte, wenn ich mich nicht festhielt. Ich tastete mich von Stuhl zu Stuhl als ich langsam dem Ausgang entgegen schritt. Vielleicht würde mir die frische Luft gut tun.
 

Aber auch draußen wurde es nicht besser. Ich lehnte mich gegen die Hauswand und schloss meine Augen. Eine Weile stand ich so da und schlief beinahe ein, als ich das quietschen der Eingangstür hörte. Ich öffnete meine Augen und sah, wie Fritz auf mich zukam während er sich seine Jacke anzog.

„Alles ok?“, wollte er wissen.

Ich nickte langsam. Zu schnelle Kopfbewegung sollte ich im Moment wirklich vermeiden.

„Alles Bestens“, antwortete ich. Meine Zunge fühlte sich schwer an. Lallte ich etwa? Ich stieß mich behutsam von der Hauswand ab und lief vor. Ich wollte mir nichts anmerken lassen. Warum zum Henker vertrug Fritz nur so viel Alkohol? Er wirkte beinahe nüchtern. Das war unfair. Er hatte mindestens genauso viel getrunken wie ich.
 

„Josephine?“ Die Stimme von Fritz klang ein wenig irritiert.

„Was denn?“, fragte ich ohne mich zu ihm zu drehen. Ich ging langsam gerade aus weiter.

„Ähm... Das ist der Weg zum Revier. Da willst du doch nicht wirklich hin, oder?“

Ich stöhnte innerlich als ich die Belustigung in seiner Stimme hörte. Amüsierte er sich etwas über mich? Widerwillig drehte ich mich zu Fritz.

„Wollen wir da etwa nicht hin?“, entgegnete ich ihm. Mir war klar, dass das Revier nicht unser Ziel war. Aber es wirkte im Moment sehr verlockend. Wie schnell würde ich mich auf die Couch legen und schlafen können bis mich wieder jemand weckt.

„Eigentlich nicht“, sagte er etwas zögernd. „Ich würde gerne schon in meinem Bett schlafen.“

„Ich auch“, erwiderte ich erschöpft ohne großartig nachzudenken. Dann stockte ich. Das klang jetzt irgendwie... falsch. Ich sah ihn an. „Also ich meinte jetzt nicht DEIN Bett. Ich meinte mein eigenes... Du verstehst schon, oder?“ Ich fasste mir an den Kopf und ging an ihm vorbei. Er sah mich schmunzeln an.

„Lassen wir das einfach. Das kann heute nicht mehr besser werden mit dem was ich sage.“

„Wenn du meinst...“, sagte er schulterzuckend. Ich drehte meinen Kopf zu ihm. Er ging neben mir und unterdrückte eindeutig ein Grinsen.
 

„Wo gehen wir überhaupt hin?“, fragte ich ihn.

„Zum nächsten Taxistand. Um die Uhrzeit kriegst du keinen Bus mehr mit dem du nach Hause kommst.“ Ich stimmte zu und folgte ihm.

Die Nacht war recht mild, aber mir wurde trotzdem kalt. Ich versuchte den Reißverschluss meiner Jacke zu schließen. Aber in meinem beduselten Zustand nach unten zu blicken erwies sich als schlechte Idee. Ich geriet ins Stolpern, aber Fritz verhinderte, dass ich auf dem Gehweg landete.

„Alles klar?“, fragte er als er mich wieder hoch zog.

„Ja“, antwortete ich. „Dieser blöde Verschluss“, murmelte ich fluchend, während ich noch immer versuchte die Jacke zu schließen.

„Lass mich mal“, sagte er und drehte sich zu mir. Seine Hände berührte meine als er den Reißverschluss festhielt. Warum waren seine Hände nur immer so warm? Und warum spielte er immer in den unmöglichsten Momente den Gentleman?

Ich sah ihm etwas unsicher dabei zu, wie er sich an meiner Jacke zu schaffen machte. Als Fritz schließlich den Reißverschluss zuzog, lächelte er mich an.
 

„Besser?“, wollte er wissen.

„Ja, danke...“, murmelte ich und drehte mich von ihm weg, um meinen Weg fortzusetzen. Ich war nur wenige Schritte gegangen als er seinen Arm um meine Schultern legte und meinen Gang stabilisierte. War ich so sehr getorkelt?

Seine Nähe erschreckte mich und ich versuchte Abstand zu gewinnen. Aber er hielt mich fest und sah mich warnend an.

„Bielefeld“, mahnte er mich. „Nimm gefälligst mal Hilfe an. Wenn wir weiter in diesem Tempo gehen, sind wir bei Sonnenaufgang noch nicht am Taxistand.“

Es widerstrebte mir, aber ich wehrte mich nicht weiter. Es war ein seltsames Gefühl seine Arme um mich zu spüren. Der letzte Mann, der mich so in den Arm genommen hatte, war Stefan. Aber gerade jetzt wollte ich nicht an ihn denken. Ich schüttelte die Erinnerungen an meinen Ex ab und konzentrierte mich auf den Weg, der vor uns lag.
 

Wir gingen schweigend nebeneinander her.

„Josephine“, begann er nach einer Weile. „Wegen des Falles...“ Er räusperte sich. Ich sah ihn an, schwieg aber. „Ich weiß, dass ich dir zu verdanken habe, dass der Fall so glimpflich für mich ausgegangen ist.“

Ich sah ihn verwirrt an. „Warum glaubst du das?“ Vielleicht hatte ich ein wenig dazu beigetragen, aber es gab bestimmt viele Gründe, warum die Entscheidung so ausgefallen war.

„Die Staatsanwaltschaft hat mit Frau Bremer gesprochen“, setzte er an. „Sie hat darum gebeten, dass von einer Klage abgesehen wird. Anscheinend wollte sie keine Nebenklage einreichen oder sich an dem Prozess beteiligen. Ich weiß nicht, was du ihr gesagt hast, aber ich bin mir sicher, dass es zu ihrer Entscheidung beigetragen hat. Du hast mir wirklich den Arsch gerettet, Bielefeld. Und ich habe mich noch gar nicht richtig bei dir bedankt.“

„Das ist auch nicht nötig. Das wäre doch Quatsch, Fritz. Ich habe dir mein Leben zu verdanken. Das war das Mindeste was ich tun konnte.“
 

In der Kneipe war unser Gespräch noch so locker. Wann hatte er diesen ernsten Ton angeschlagen? Es fiel mir schwer mich auf das Gespräch zu konzentrieren. Mir war einfach zu schwindelig. Konnten wir das Thema nicht auf morgen verschieben, wenn wir beiden wieder nüchtern waren?

„Du hättest das Gleiche für mich gemacht, Fritz, zumal ich deinem Sohn versprochen habe, dass wir in naher Zukunft wieder gemeinsam reiten. Das Versprechen muss ich doch einlösen.“ Er schwieg. Aber als ich ihn ansah, konnte ich ein Lächeln in seinen Augen erkennen, während er mich ein wenig enger an sich drückte.
 

Es dauerte noch einige Minuten bis wir den Taxistand erreicht hatten. Ich war erleichtert als ich die gelbe Säule erblickte und löste mich von Fritz. Dieses Mal ließ er es zu und ich setzte meinen Weg zum Taxistand alleine fort. Kein Taxi war weit und breit zu sehen. Aber um die Uhrzeit konnte ich das vermutlich auch nicht erwarten. Ich torkelte halb benommen zur Sprechanlage und war froh, dass ich mich wieder an etwas festhalten konnte.
 

„Hallo?“, sagte ich. Keiner antwortete. „Hallo? Wir brauchen ein Taxi...“ Ich schloss meine Augen und lehnte meinen Kopf gegen die Säule.

„Wissen Sie, wir sind sehr betrunken. Also ich zumindest. Und weil wir Polizisten sind, dürfen wir kein Auto mehr fahren... Wobei... Ich habe eh noch keine grüne Plakette für mein Auto.“ War die Zentrale nicht besetzt oder warum antwortete mir Keiner? „Halloooo?“

Neben mir hörte ich jemanden kichern. Mit verengten Augen drehte ich meinen Kopf langsam zu Fritz.

„Was gibt´s denn da zu lachen, Kollege?“

„Nichts, nichts“, sagte er und hob beschwichtigend die Hände. Dann deutete er aber auf die Säule. „Du solltest nur vielleicht den roten Knopf drücken, damit du mit der Zentrale verbunden wirst.“ Ich stöhnte innerlich. Warum hatten wir nicht einfach übers Handy ein Taxi gerufen? Wozu hatte man denn sonst ein Mobiltelefon?
 

„Dann mach es doch selber...“, entgegnete ich und drehte mich von der Sprechanlage weg. Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Säule und schloss meine Augen. Es war dringend Zeit, dass ich ins Bett kam.

Fritz stellte sich neben mich und bestellte uns über die Zentrale zwei Taxen.

„Es wird ein bisschen dauern bis ein Taxi da ist“, informierte er mich. „Aber es sind zwei auf dem Weg.“

„Ich weiß, bin ja nicht taub“, murmelte ich beleidigt. „Ich hätte das auch noch rausgefunden mit dem Knopf“

„So was gab es wohl nicht in Bielefeld oder in deinem Dorf?“ Fritz schien sich köstlich zu amüsieren.

Ich öffnete meine Augen und drehte meinen Kopf zu ihm. Er hatte sich mit seiner Schulter an die Säule neben mich gelehnt und sah mich schmunzelnd an.

„Hör doch auf immer mein Dorf schlecht zu machen. Es ist ein sehr schönes Dorf.“

„Ich weiß, ich weiß. Entschuldige“, knickte er ein und tätschelte meine Schulter für einen Moment.

„Warum bist du so?“, murmelte ich, während ich ihn ansah. Er verwirrte mich. Mal war er nett, mal brachte er mich zur Weißglut. Da kam doch niemand mit.
 

„Was meinst du?“, fragte er verwundert.

Ich antwortete nicht und drehte meinen Kopf von ihm weg. Ich wusste selber nicht, was ich ihn eigentlich hatte fragen wollen. Ich schloss meine Augen und atmete tief durch. Mein Rücken lehnte noch immer entspannt an der Säule. Die Nacht war angenehm. Es konnte nicht mehr lange dauern bis die ersten richtig warmen Frühlingstage beginnen würden. Ich freute mich schon darauf. Der Winter war lang genug gewesen und ich hatte die Nase voll von kalten Tagen.

Ich öffnete wieder meine Augen und sah zu Fritz. Ich war erstaunt als mein Blick direkt auf seinen traf. Starrte er mich an? Er wirkte überrascht, räusperte sich und blickte etwas seitlich an mir vorbei. Ich blickte ihn weiterhin an. Er sah aus, als wolle er mich etwas fragen.
 

Wir hatten ihm so viele Fragen gestellt zu seinem Fall. Aber keiner hatte gefragt, wie es ihm ging. Wie musste er sich fühlen, jetzt wo er wusste, dass es keine Klage geben würde? Musste er viel an den Tag denken, an dem er jemanden getötet hatte? Auch wenn er mich damit retten wollte, es machte die Sache für ihn nicht leichter.
 

„Wie geht´s dir?“, fragte ich ihn und drehte mich zu ihm.

Er sah mich fragend an. „Gut. Wie soll es mir sonst gehen?“

Ich schüttelte den Kopf. „Wie geht es dir wirklich, Fritz? Ich meine, du hast die letzten Wochen viel durchgemacht... Denkst du manchmal an Clemens oder seine Familie?“

Ich bemerkte, dass er sofort in Abwehrhaltung ging. „Was soll das, Bielefeld? Du stellst mir schon die gleichen Fragen, wie der Psychiater.“

„Redest du denn wenigstens mit ihm darüber?“, harkte ich nach. Ich hoffte, dass er sich irgendjemanden anvertraute, diese Sache sollte er nicht alleine durchmachen.

„Bielefeld...“

„Fritz“, unterbrach ich ihn. Ich drückte mich von der Säule ab und stelle mich vor Fritz. Mir war immer noch schwindelig, aber die Luft hatte meinen Kopf ein wenig klarer werden lassen. „Ich meine das ernst... Du redest nie darüber, was auf der Brücke passiert ist. Schläfst du genug? Musst du viel daran denken, was auf der Brücke passiert ist? Ich tue es. Ich denke jeden einzelnen Tag daran.“ Er erwiderte nichts, sah mich einfach nur an, während sich seine Augenbraun langsam zusammenzogen und sich Falten auf seiner Stirn bildeten.
 

„Du willst nicht drüber reden?“, fragte ich als er noch immer nicht auf meine Fragen reagierte. Es machte mich wütend ohne dass ich wirklich den Grund nennen konnte.

„Selbst wenn du nicht drüber reden willst, es gibt Menschen die es interessiert. Ich möchte wissen wie es dir geht, was du denkst. Ich für meinen Teil bin nämlich froh, dass die Ermittlungen vorbei sind und du wieder zu unserem Team gehörst. Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie erleichtert ich bin, dass keine Klage erhoben wird? Ich hatte schreckliche Angst davor. Ich hab sogar davon geträumt, wie du festgenommen wirst. Weiß du eigentlich wie mich meine Schuldgefühle gequält haben? Es war doch alles wegen mir. Ich habe den Fall angenommen, habe mich entführen lassen, war unfähig mich zu befreien. Und dann hast du deine Karriere und alles was dir wichtig ist riskiert, um die Fehler auszubügeln, die ich begangen habe. Weiß du, wie ich mich die letzten Wochen gefühlt habe? Es hat mir die Kehle zugeschnürt, Fritz.“
 

Ich musste kurz Pause machen, kämpfte gegen die Tränen. Ich hatte nie geplant ihm das alles zu sagen. Besonders nicht heute. Aber es platzte einfach aus mir heraus. Ich musste es loswerden. Es war wie eine Last, die ich nicht länger tragen konnte. Und wenn es jemand wissen sollte, dann Fritz. Ich wollte, dass er mich verstand.

„Ich bin so froh, dass du jetzt vor mir stehst, dass wir dich zurückhaben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Schuldgefühle noch einen Tag länger ausgehalten hätte“, flüsterte ich halblaut. Ich atmete schwer als mich das Thema ein weiteres Mal innerlich aufwühlte.
 

Er starrte mich an ohne zunächst etwas zu erwidern. Dann machte er einen kleinen Schritt auf mich zu und sah mich ernst an. „Josephine“, sagte er in einem sanften aber bestimmten Ton. Er hielt mein Gesicht mit beiden Händen fest. „Du musst damit aufhören! Dich trifft keine Schuld. Ich habe meine Entscheidung an diesem Tag ganz allein getroffen. Und ich habe sie keine Sekunde bereut. Bist du mir etwa deswegen aus dem Weg gegangen die letzten zwei Wochen?“

Ich musste schlucken bei seiner Fragen. Was sollte ich darauf schon antworten? Ich hörte ihn stöhnen als ich langsam nickte. Ich sah ihn an, musste meinen Blick aber senken als ich den gequälten Ausdruck in seinem Gesicht sah.

Ich spürte seinen Atem auf meiner Haut als Fritz seine Stirn an meine lehnte. Ich schloss meine Augen während er mir über mein Haar strich. Dann flüsterte er sanft: „Hör bitte damit auf, Josephine...“
 

Seine Hände glitten wieder über mein Haar, verharrten aber dieses Mal in meinem Nacken und er zog mich enger an sich. Ich spürte die Wärme, die mich umgab und roch den angenehmen Duft seines Aftershaves. Es tat gut, beruhigte mich und meine Augen wurden schwer. Wie machte er das nur, dass er so auf mich wirkte?

Beinahe wäre ich in seinen Armen eingeschlafen, als ich plötzlich seine Lippen auf meinen spürte. Ich riss meine Augen auf und erstarrte. Was tat er da?
 

Ganz weich lagen seine Lippen auf meinen als er langsam begann sie zu liebkosen. Mein Atem stockte. Im ersten Moment versuchte ich mich von ihm zu lösen. Aber egal wie sanft seine Zärtlichkeiten auch waren, seine Hände hatten einen festen Griff, aus dem ich mich nicht lösen konnte. Mein Puls schnellte in die Höhe und ich hörte meinen Herzschlag in meinen Ohren. Plötzlich fehlte mir die Kraft ihn von mir zu stoßen...
 

Ich wusste nicht, ob es an den Ereignissen des Tages lag oder am Alkohol, aber mein Verstand schien sich abzuschalten als ich meine Augen schloss und mich gegen ihn lehnte. Ich erwiderte seinen Kuss und er atmete keuchend aus. Fritz legte einen Arm um meine Taille als er mich noch enger an sich zog.
 

Der Kuss brannte auf meinen Lippen und ich fühlte mich fiebrig. Mein Körper wurde von einer angenehmen Wärme durchflutet und mein Herz schlug kräftig gegen meine Brust. Hörte er es nicht? Seine Brust war so dicht an meine gepresst, er musste doch fühlen können, wie mein Herz dagegen hämmerte?
 

Ich brauchte mehr von dieser einladenden Wärme, genoss das Gefühl der Geborgenheit, die er in mir auslöste. Meine Sinne verlangten nach mehr und ich legte meine Arme um seinen Hals. Ich vergrub meine Hände in seinen Haaren, sog mit meinem Mund leicht an seiner Unterlippe. Er stöhnte leise und sein Kuss wurde drängender als er meinen Rücken an die Taxisäule presste. Es war ein berauschendes Gefühl.
 

Als Plötzlich ein Auto neben uns hupte, zuckte ich zusammen.

„Sie haben ein Taxi bestellt?“, rief eine Stimme und drang durch meine noch immer benebelten Gedanken.

Als mir klar wurde in welcher Situation wir uns befanden stieg augenblicklich Panik in mir auf. Es war wie eine eiskalte Dusche. Ich löste meine Lippen von seinen und drückte Fritz mit meinen Händen weg, um etwas Abstand zu gewinnen. Ich versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Was war gerade passiert? Was hatten wir nur getan?
 

Ich atmete noch immer schwer als ich zur Straße blickte. Dort stand das Taxi. Der Fahrer hatte das Fenster runtergekurbelt und sah mich fragend an. Ich starrte ihn an als ich mich fragte, was er von uns wollte. Ich war aufgewühlt und verwirrt. Ich sah zu Fritz. Auch er atmete schwer und sah mich mindestens genauso erstaunt an, wie ich mich fühlte. Vermutlich hatte er DIESEN Ausgang des Abends genauso wenig erwartet wie ich.
 

Mein Puls raste als ich Fritz ansah. Ich schüttelte meinen Kopf und versuchte wieder klarer zu denken. Fritz hatte zwei Taxen gerufen und wir hatten hier gewartet und dann ... Ich schüttelte abermals meinen Kopf, um die Bilder loszuwerden. Panik machte sich in mir breit. Ich sah wieder zum Taxi. Ich brauchte dringend Abstand. Fritz war mir viel zu nah. Ich konnte einfach nicht denken. Bevor ich irgendwas machen konnte, was ich später vielleicht bereuen würde, ging ich an Fritz vorbei und murmelte `Gute Nacht, Fritz´. Ich fühlte mich ausgenüchtert und ging mit sicheren Schritten zum Auto.
 

Ich hörte, wie Fritz meinen Namen rief, reagierte aber nicht. Ich musste hier weg. Es kam mir vor wie ein Traum und ich hoffte bald wach zu werden. Ich stieg ins Taxi und teilte dem Fahrer meine Adresse mit. Ich hielt meinen Kopf gesenkt als wir losfuhren. Nach einigen Metern Fahrweg fiel mein Kopf in meine Hände. Ich atmete frustriert aus.
 

Mein Herz raste wie nach einem Marathon und ich spürte noch immer den Kuss auf meinen Lippen. Fühlte das leichte Brennen an den Stellen, wo sein Bart meine Haut berührt hatte. Mich durchströmte noch immer diese Wärme und meine Knie fühlten sich butterweich an. Mir machte dieses Gefühl schreckliche Angst. Wie hatte nur so etwas passieren können? Warum wieder ein Kollege? Warum ausgerechnet Fritz? Ich hatte seinen Kuss so bereitwillig erwidert, wie ein Durstender, dem man Wasser anbot.
 

Dafür war ich noch lange nicht bereit. Ich fühlte mich noch so kaputt. Warum hatte ich nur so wenig Selbstkontrolle?

Ich konnte nur hoffen, dass ich mit dem heutigen Abend nicht etwas zerstörte, was sich gerade erst in den letzten Wochen entwickelt hatte. Ich wollte ihn nicht verlieren.



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