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Josephine Klick - Allein unter Cops

von

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Als ich Montag mit Waldi noch einmal sprach, stellte sich heraus, dass er sich die Videos auf dem Rechner noch gar nicht gesichtet hatte. Den einzigen Vorwurf den man ihm machen konnte war seine Kollege darüber noch nicht informiert und ihnen die Bedienung erklärt zu haben.

Alex betrat das Büro und begrüßte uns. Ich drehte mich zu ihm und war erstaunt Fritz hinter ihm zu sehen.
 

„Was machst du denn hier?“ fragte Ewald ebenso überrascht wie ich. Er lächelte etwas gezwungen und deutete auf die Dokumente in seiner Hand.

„Bürokratie ohne Ende... Habe wegen diesen Unterlagen noch ´nen Termin beim Chef.“ Karin nickte verständnisvoll während Waldi ihn nur ansah. Beide wussten nicht so recht, was man in dieser Situation sagen konnte.

Ich konnte nicht behaupten mit dem Thema besser umzugehen, aber zumindest versuchte ich es.

„Möchte einer von euch beiden ´nen Kaffee?“, fragte ich Alex und Fritz während ich zur Tür ging. Sie nickten mir verwundert zu.
 

Als ich wieder ins Büro kam, überreichte ich Alex seinen Kaffee mit Milch und Fritz bekam ihn schwarz. Beide sahen mich skeptisch an.

„Was denn?“, fragte ich herausfordernd. „Darf ich euch nicht mal einen Kaffee bringen ohne gleich verdächtigt zu werden?“ Ihr Blick veränderte sich nicht. „Jungs, also wirklich. Ich kann mehr als nur Alleingänge durchzuführen. Man mag es nicht glauben, aber ich kann gut für meine Teamkollegen sorgen, zumindest wenn sie auch nett zu mir sind.“

Fritz schlürfte seinen Kaffee. Ich konnte aber sein Grinsen hinter dem Becher erkennen. Alex verzog noch immer skeptisch sein Gesicht.

„Wie lange das wohl anhält?“, fragte er in einem beiläufigen Tonfall. Also wirklich, man konnte es ihnen aber auch einfach nicht recht machen.
 

„Und was machst du heute so?“, fragte ich Fritz, der daraufhin abschätzend sein Gesicht verzog.

„Nachdem ich mich durch diesen Wust von Unterlagen mit dem Chef gekämpft habe muss ich noch zu diesem Psychoheini, der das psychologische Gutachten erstellen soll.“

„Klingt nach einem spannenden Tag“, versuchte ich zu scherzen.

„Sehr witzig, Bielefeld“, erwiderte Fritz gedehnt und sah mich dabei gequält an. Man sah Fritz an, dass er keine Lust dazu hatte, aber da musste er jetzt durch. Alles was hilft wird gemacht, richtig?

Karins Telefon klingelte. „Es gibt in Grunewald einen neuen Fall“, sagte sie und schrieb die Adresse auf einen Zettel. Alex schnappte sich seine Jacke und nahm ihr das Stück Papier ab.

„Das ist ein Heim für Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen“, informierte Sie uns weiter. „Eine Heilerzieherin wurde heute Morgen in einem Patientenzimmer tot aufgefunden. Vermutlich wurde sie mit einem Gegenstand erschlagen.“
 

„Na dann wollen wir mal“, rief ich und folgte Alex zur Tür. Als ich mich noch einmal kurz umdrehte, stockte ich. Fritz saß noch immer - seinen Kaffeebecher in der Hand - auf dem Stuhl. Seltsam Fritz so zu sehen und zu wissen, dass er nicht mitkam.

„Josephine, kommst du?“, rief Alex vor mir.

„Ja, ich komme“, gab ich widerwillig zurück. „Bis Später“, sagte ich zu Karin, Waldi und Fritz bevor ich das Büro verließ.

Die Spurensicherung war am Tatort bereits aktiv. Die Kollegen von der Streife erklärten uns kurz den Sachverhalt.

„Elisabeth Weiß, 23 Jahre, Heilerzieherin. Sie wurde heute Morgen gegen 7 Uhr tot im Zimmer gefunden. Vermutlich erschlagen mit einem Pokal, die wir als Tatwaffe vermuten. Gegen 7.15 verständigte uns die 20-jährigen Praktikantin Steffi Krause. Der Patient war im Zimmer beim Opfer. Er wird im medizinischen Sektor des Heims behandelt.“
 

„Wo hält sich Frau Krause auf?“, fragte ich nach.

„Ebenfalls im medizinischem Sektor. Sie scheint wohl einen Schock erlitten zu haben.“ Bei dem Anblick des Tatortes konnte ich das gut verstehen.

„Danke“, sagte Alex zum Kollegen und nahm ihm die Mappe ab. „Wir übernehmen jetzt.“ Alex ging etwas näher an den Tatort und verschaffte sich ein Bild. „Ist die Gerichtsmedizin informiert?“, fragte er nach.

Einer der Männer nickte. „Ja, die Kollegen sind auf dem Weg.“

„Gut, wir befragen jetzt die Zeugin. Die Kollegen von der Gerichtsmedizin sollen sich bitte melden, wenn sie erste Einschätzungen geben können.“
 

Wir machten uns auf den Weg zum medizinischem Sektor. Es war nicht ganz einfach, aber eine Mitarbeiterin des Institutes zeigte uns schließlich den Weg. Es war wie eine kleine Privatpraxis aufgebaut: Empfangszimmer, Warteraum und drei Behandlungszimmer. An der Rezeption fragten wir die Empfangsdame nach der Zeugin.

„Da müssten Sie erst mit Frau Dr. Beck sprechen. Sie hat mir gesagt, dass niemand zu Steffi darf ohne ihre Erlaubnis.“

„Wo finden wir Frau Dr. Beck?“, wollte ich wissen.

„Einen Moment bitte.“ Sie stand auf, legte ihre Akten beiseite und ging um den Tresen. „Folgen Sie mir.“
 

Wir gingen den Flur entlang bis zum letzten Behandlungszimmer. Sie blieb davor stehen und klopfte drei Mal, dann öffnete sie die Tür einen Spalt und steckte ihren Kopf ins Zimmer.

„Frau Dr. Beck, entschuldigen Sie die Störung, aber hier sind zwei Kriminalbeamte.“ Uns wurde die Tür geöffnet. „Sie können reingehen“, informierte uns die Damen vom Empfang und war im selben Moment auch schon verschwunden. Als wir das Zimmer betraten, sah ich Frau Dr. Beck, die vor einem Patienten kniete und ihm die linke Hand verband.
 

„Vivienne?“, hörte ich die erstaunte Stimme von Alex. Erst jetzt drehte sie sich zu uns um.

„Alexander“, lächelte Sie. „Schön dich zu sehen. Ich bin gleich bei euch.“ Sie drehte sich wieder zu ihren Patienten. „Tim“, sagte sie. „Tim? Hörst du mich?“ Sie hockte noch immer vor ihrem Patienten. Langsam nickte er.

Sie lächelte. „Ich muss ganz kurz mit meinen beiden Freunden da vorne sprechen. Ist das okay, Tim? Kann ich dich hier alleine lassen? Ich geh auch nicht aus dem Zimmer.“ Er sah kurz auf und blickte in unsere Richtung. Die verängstigten Augen eines Teenagers sahen mich an.
 

„Du musst dir keine Sorgen machen, Tim“, setzte Frau Dr. Beck in einem ruhigen, saften Ton fort. „Das sind gute Menschen, die nur helfen wollen.“ Sie machte eine kurze Pause. „Ist das okay, wenn ich kurz mit den beiden rede?“

Es dauerte eine Weile bis er seinen Blick von uns abwandte und die Ärztin wieder ansah. Dann nickte er und ein dumpfer, leiser Laut verließ seinen Mund. Es klang wie ein `Ja´ hätte aber auch was anderen sein können.

Die Ärztin befestigte den Verband und stand auf. Nachdem ihre Handschuhe im Mülleimer landeten, kam sie auf uns zu. Ihre naturroten Locken umspielten fein ihr Gesicht und berührten knapp ihre Schultern. Ihre Sommersprossen im Gesicht und die Grübchen beim Lächeln ließen sie mädchenhaft wirken. Dabei musste Sie vermutlich Mitte vierzig sein, aber es war wirklich schwer das einzuschätzen.
 

„Hallo Alexander“, begrüßte sie meinen Partner und sah dann zu mir. „Hallo, ich bin Vivienne.“ Sie reichte mir ihre zierliche Hand.

„Hallo, Josephine“, stellte ich mich vor.

„Sie müssen eine neue Kollegin sein“, suggerierte sie.

„Ja“, bestätigte ich. „Ich bin erst seit einem halben Jahr in Berlin.“

„Wo ist Fritz?“, fragte Sie und sah Alex wieder an.

„Beurlaubt im Moment“, antwortete Alex ehrlich. Die beiden mussten sich gut kennen, wenn er ihr das anvertraute.

„Sehr schlimm?“, fragte sie besorgt.

„Das erklär ich dir lieber ein anderes Mal“, gab Alex zurück. „Wir wollte gerne mit der jungen Frau reden, die heute Morgen die Polizei verständigt hat. Hält sie sich hier auf?“
 

Vivienne blickte nun besorgt zu Tim. Sie drehte sich von ihm weg, neigte sich dichter zu uns und fuhr im Flüsterton fort. „Ja, Sie ist hier. Frau Krause ist Praktikantin bei uns und hat heute Morgen unsere Kollegin gefunden.“ Sie machte kurz eine Pause und sah zu Boden. „Wirklich eine ganz furchtbare Sache.“ Vivienne blickte zu ihrem Patienten Tim. „Er war bei ihr, als wir Frau Weiß gefunden haben.“

„Können wir mit ihr reden?“, fragte Alex.

„Ja, natürlich. Sie hat sich schon wieder einigermaßen beruhigt. Sie ist im zweiten Behandlungszimmer.“ Vivienne deutete auf das Zimmer gleich gegenüber.
 

„Alles klar. Danke.“ Alex wandte sich ab und ging einige Schritte in Richtung der Tür, drehte sich dann aber noch einmal um. „Vivienne?“

Die Ärztin sah ihn fragend an. “Ja?”

„Können wir nachher auch noch einmal mit dir reden und auch vielleicht mit Tim?“, fragte Alex.

„Mit mir könnt ihr auf jeden Fall reden. Ich wollte sowieso noch einiges ansprechen. Aber mit Tim wird das schwer werden.“ Sie schaute abermals zu ihrem Patienten. „Er kommuniziert nicht sehr aktiv und wird euch keine Antworten geben können.“

Alex nickte verständnisvoll. „Alles klar. Dann kommen wir nachher aber noch einmal auf dich zu, okay?“

„Macht das. Ich bleibe sowieso solange bei Tim wie möglich.“

Ich nickte ihr kurz zu. „Bis später.“
 

Nachdem wir an die Tür vom anderen Behandlungszimmer geklopft hatten, mussten wir eine Weileauf Antwort warten. „Herein“, hörte ich eine leise und schwächliche Frauenstimme. Wir betraten das Zimmer.

Eine junge Frau mit kurzen blonden Haar und blauen Augen blickte uns an. Sie saß auf der Liege und war eingehüllt in einer Decke. Sie sah erschöpft aus und hatte geschwollene Augen - vermutlich vom vielen Weinen.

„Frau Krause?“, fragte ich vorsichtig.

„Nennen Sie mich doch bitte Steffi“, bat sie mich schwach.

„Steffi“, wiederholte ich ihren Namen. „Mein Name ist Josephine Klick. Das ist mein Kollege Alexander Mahler.” Alex nickte ihr kurz zu. „Wir sind von der Kripo.“
 

„Ich habe Ihren Kollegen schon alles gesagt.“

„Das kann ich verstehen, Steffi. Aber wir möchten dich trotzdem bitte, dass du uns nochmal alles schilderst. Vielleicht haben wir ja noch zusätzliche Fragen.“ Sie schwieg und sah zu Boden. Ich setzte noch einmal nach. „Du möchtest doch bestimmt auch, dass die Sache aufgeklärt wird, oder?“

Sie blickte mich an. Dann nickte sie schwach. „Natürlich möchte ich das.“ Ich ging auf sie zu, nahm mir einen Stuhl und setzte mich neben sie. Alex lehnte sich an die Wand.

„Dann erzähl uns bitte alles, an was du dich erinnern kannst“, bat ich sie im sanften Ton. Es dauerte eine Weile bis sie anfing zu reden, aber ich gab ihr die Zeit.
 

„Ich bin seit sechs Wochen Praktikantin hier. Mein Dienst hat um sechs Uhr begonnen. Ich habe Frau Dr. Beck bei den Vorbereitungen für den Tag geholfen. Um sieben Uhr sollte ich den Tim, unseren Patienten aus der Zehn, zu einer Blutprobe abholen, deswegen musste es vor dem Frühstück sein. Frühstück ist bei uns immer um 8 Uhr.“ Sie machte eine kurze Pause und fuhr mit zittriger Stimme fort. „Ich hatte mich schon gewundert, warum Licht brannte. Zur Sicherheit klopfte ich an, aber Tim reagierte nicht. Also ging ich rein... und dann sah ich Bethy...“
 

Sie schluckte und ihr liefen Tränen übers Gesicht. „Wie sie am Boden lag. Überall war Blut - schrecklich viel Blut... Ich wusste nicht was ich tun sollte, also drückte ich den Notfallknopf. Jeder Patient hat so eine im Zimmer. Damit verständigt man den Empfang vom medizinischem Bereich. Frau Dr. Beck war gleich darauf da. Während ich da stand und nicht wusste was ich tun sollte, hörte ich immer ein dumpfes Schlagen gegen die Wand. Ich sah Tim in der Ecke sitzen, wie er immer wieder mit dem Rücken gegen die Wand schlug. Seine Hände waren blutverschmiert und er sah total apathisch aus.“ Sie hörte auf zu sprechen und blickte hoch an die Wand. Als sie tief durchatmete und ihre Lider schloss, liefen weitere Tränen über ihre Wange.
 

Ich nahm Steffis Hand und drückte sie leicht. „Kannst du uns sagen was dann passiert ist?“, fragte ich vorsichtig weiter nach.

„Frau Dr. Beck lief sofort zu Tim und sagte mir ich solle nichts anfassen und die Polizei verständigen. Ich meine, sie überprüfte nicht mal, ob Elisabeth noch lebte. Sie hätte doch zumindest ihren Puls einmal fühlen müssen, oder? Aber ich war so aufgelöst, dass ich losrannte und die Polizei aus dem Empfangszimmer anrief. Handys sind auf der Arbeit nicht erlaubt. Danach lief ich wieder zu Bethy. Als ich ankam brabbelte Tim die ganze Zeit Unverständliches und Frau Dr. Beck versuchte ihn zu beruhigen. Sie wühlte in Ihrem Koffer und verabreichte ihm eine Flüssigkeit zum Schlucken. Es dauerte einige Momente, aber langsam wurde er ruhiger.”
 

„Weißt du um was es sich handelte?“, fragte ich weiter.

„Nein, aber es muss was zur Beruhigung gewesen sein. Die anderen Ärzte geben den Patienten immer Spritzen, Frau Dr. Beck hielt aber nie viel davon. Sie nahm ihm sogar vor Ort und Stelle Blut ab. Ich stand nur da und konnte nichts machen. Als die Polizei dann nach einer Weile eintraf, schilderte sie kurz alles und brachte Tim mit mir zusammen auf die Krankenstation. Seit dem bin ich hier.“
 

Steffi war wieder gefasster, dennoch gab ich ihr einen Moment zum Durchatmen. „Wie gut kanntest du Elisabeth?“

„Ich hatte sie erst hier im Praktikum kennengelernt. Sie war immer sehr hilfsbereit und freundlich. Bethy liebte ihren Job.“ Steffi machte eine kurze Pause und sah mich und Alex an. „Wurde Sie wirklich ermordet? Frau Dr. Beck hatte so etwas angedeutet.“

„Es sieht nicht nach einem Unfall aus“, antwortete ich ehrlich.

„Aber wer macht denn so etwas? Jeder hier hat Bethy geliebt...!“ Sie klang verzweifelt und kämpfte wieder um Fassung. Jeder hatte Frau Weiß geliebt? Wenn man zu beliebt war, gab es auch immer Neider, aber das konnte ich Steffi nicht sagen. Ich wollte sie nicht noch mehr aufwühlen.

„Hatte Frau Weiß einen Freund?“, fragte Alex weiter.

Steffi nickte nach einer Weile. „Ja, sein Name ist Peter. Er war hier Praktikant, hatte aber bereits Freitag seinen letzten Tag.“

„Wissen Sie, wie lange die beiden schon zusammen waren?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Wie gesagt, ich kannte Bethy nur von der Arbeit. Sie hat nie viel Privates erzählt.“

Mit einer Geste deutete mir Alex an, dass wir hier erstmal fertig waren. Als ich langsam die Hand von Steffi losließ, sah sie mich plötzlich an und ergriff mein Handgelenk.
 

„Elisabeth war schwanger.“

„Was...“, sagte ich erstaunt – auch das noch.

Steffi nickte. „Sie wollte nicht, dass jemand davon erfährt. Ich habe sie vor 2 Wochen im Umkleideraum erwischt. Unter der Arbeitskleidung war es nicht zu sehen, aber ohne Kleidung war es schon deutlich erkennbar.“

„Wissen Sie, wie man den Freund von Frau Weiß erreichen kann?“

Sie schüttelte nur den Kopf. „Nein, dass weiß ich leider nicht.“

„Danke, Steffi. Du hast uns sehr geholfen.“ Sie nickte mir zu, sagte aber nichts mehr.
 

***
 

Vivienne gab uns ebenfalls einen kurzen Bericht vom Ablauf.

„Ich hab sofort gesehen, dass sie tot war, also versuchte ich mich auf Tim zu konzentrieren. Er ist sehr sensibel.“

„Du weißt, dass auch er momentan zu den möglichen Tatverdächtigen zählt?“, informiere Alex sie.

„Tim?“, fragte Vivienne erstaunt und wehrte die Aussage ab. „Er hat den Verstand von einem 5-jährigen im Körper eines 17-jährigen. Er hat Frau Weiß geliebt wie eine Schwester. Er hätte ihr niemals etwas getan.“

„Bist du dir sicher? Er hatte blutverschmierte Hände. Seine DNA wird gewiss überall zu finden sein“, fragte Alex nach.
 

„Es ist sein Zimmer. Natürlich wird da überall seine DNA zu finden sein. Nein Alexander, glaub mir bitte - Tim war es nicht. Er ist wie ein Kind. Was würde ein Kind tun, wenn er eine geliebte Person bewegungslos am Boden sieht? Kinder kennen keinen Tod. Sie erwarten so etwas nicht. Natürlich rennen sie hin und sagen der Person, dass sie wach werden soll. Sie werden am Körper rütteln und sie anflehen aufzuwachen. Als Tims Versuch sie zu Wecken nicht klappte wird er sich in die Ecke gesetzt haben um sich in seine eigene Welt zurückzuziehen – wie immer, wenn er Angst bekommt.“
 

Alex schwieg eine Weile. Ich kannte Tim genauso wenig wie Alex, aber mein Gefühl sagte mir das Gleiche. Er war ein Kind, gefangen in einem zierlichen Jungenkörper. Hatte er überhaupt die Kraft, um den Pokal, mit dem das Opfer erschlagen wurde, hochzuheben und so kraftvoll auf das Opfer zu schlagen, das es tödliche Wunden verursachte? Ich zweifelt stark daran.

„Wie lange bist du seine behandelnde Ärztin?“, fragte Alex Vivienne.

„Noch nicht so lange. Vor einem Jahr habe ich ihn übernommen, weil der andere Arzt mit ihm nicht klar kam. Tim neigte früher zu Wutausbrüchen, aber nur bei Männern.“
 

„Warum hast du ihm Blut abgenommen?“

„Erst einmal hab ich ihm Baldrian verabreicht, damit er ruhiger wird. Danach habe ich ihm Blut abgenommen.“ Sie sah besorgt Tim an bevor sie weiter sprach. „Ich habe eine relativ frische Einstickwunde an seinem Arm gesehen – schlecht und hektisch gespritzt. Die Stelle war ganz gerötet und blau. Bei uns dürfen nur die Ärzte spritzen, aber für diese Nachtschicht war kein Arzt eingeteilt. Also hätte das gar nicht sein dürfen. Ich wollte wissen, ob man Tim etwas verabreicht hatte.“

„Wollte jemand Tim für die Nacht ruhig stellen?“, fragte ich Vivienne.

„Das ist zumindest meine Vermutung. Ich habe ihm sofort Blut abgenommen, damit man vielleicht noch Rückstände findet. Manchmal kann man das Mittel noch Stunden später nachweisen.“
 

„Verstehe“, sagte Alex nachdenklich.

„Ich konnte die Krankenschwester noch nicht erreichen. Sie wird wohl nach der Schicht gleich schlafen gegangen sein. Wenn ich mehr weiß, lasse ich es euch wissen. Die Mutter wird heute Nachmittag mit dem Flieger aus Hamburg kommen. Wenn ihr mit der ihr sprechen wollt, rufe ich euch an, wenn sie hier ist.“

„Ja, dass wäre hilfreich“, sagte Alex.

„Kannst du uns was über den Freund von Frau Weiß sagen?“, fragte ich Vivienne. Sie nickte mir zu.

„Ihr meint Peter Köhler, 25 Jahre. Ein netter junger Mann, der hier Praktikum gemacht hat. Die beiden waren erst seit zwei Monaten zusammen.“

„Kannte er sie schon vorher?“, hakte ich nach.

„Nein, er hat sie hier vor drei Monaten kennengelernt. Seitdem ist Frau Weiß noch mehr aufgeblüht. Sie hatte keine eigene Familie und Peter war ihr Universum.“

„Hast du vielleicht seine Nummer, damit wir zu ihm Kontakt aufnehmen können?“

„Leider nein, aber er wohnt nicht weit von hier. Die genaue Adresse kenn ich leider nicht, aber die Daten vom Personal liegen alle bei der Heimleiterin.“

“Ist sie hier?”

“Nein, sie kommt erst heute Nachmittag rein. Gestern Abend war eine Benefizveranstaltung.“

Das Handy von Alex klingelte. Tereza war am Tatort und hatte bereits die Erstuntersuchung durchgeführt.

„Wir müssen los“, sagte Alex.

Vivienne nickte. „Richtig, ihr habt noch viel zu erledigen.“
 

***
 

„Todeszeitpunkt liegt wohl zwischen ein bis drei Uhr morgens. Die Todesursache wird die schwere Kopfverletzung gewesen sein“, vermutete Tereza als sie vor der Leiche hockte und mit den Finger auf die Verletzung am Kopf deutete. „Aber sicher kann ich erst nach der Untersuchung sein.“

„Tu, was du tun musst, Tereza“, stimmte ich ihr zu.

Die junge leblose Frau wurde von zwei Männern auf die Trage gehoben und in einen Bestattungssack gelegt. Tereza zog den Reizverschluss zu.

Wir gingen zurück zum Auto. Im Wagen reichte mir Alex die Tüte mit der Blutprobe.

„Zwei Blutproben?“, fragte ich verwundert.

„Ja. Vivienne hat mir die von heute Morgen gegeben und eine von eben. Sie dachte, dass es bei der Analyse der Rückstände helfen würde.“

„Woher kennst du sie eigentlich?“

„Sie hat mal bei uns in der Gerichtsmedizin gearbeitet, zusammen mit ihrem Mann.“

„Warum ist sie da weg?“

„Ihr Mann ist an Krebs gestorben - sehr plötzlich. Sie wollte einen Neuanfang, wollte mit lebenden Patienten arbeiten.“

„Kann ich verstehen“, erwiderte ich. Nach so einem Schicksalsschlag änderten die Hinterbliebenen oft ihr Leben.
 

Wir fuhren wieder zurück ins Revier. Ich legte die Blutproben auf den Tisch von Karin. „Kannst du das bitte ins Labor schicken? Wir brauchen so schnell wie möglich eine Auswertung darüber, wie viel Beruhigungsmittel im Blut nachgewiesen werden kann und wie sich das auf einen 17-jährigen auswirken könnte, ca. 1,75m und etwa 60 kg.“

„Für beide Proben?“, fragte sie.

„Ja, für beide“, bestätigte ich ihr.

Alex wandte sich in der Zwischenzeit an Waldi. „Waldi, suchst du bitte nach einem Peter Köhler?“

Wie viel könnte es davon wohl in Berlin geben, fragte ich mich. „25 Jahre ist er und wohnt in der Nähe vom Heim“, ergänzte ich und reichte ihm den Zettel mit der Adresse.

„Läuft“, sagte er und wandte sich wieder seinem Rechner zu.

„Bis wann kriegst du das hin?“, fragte ich nach.

„Vielleicht in ein bis zwei Stunden?“, schätzte er.

„Probiere es bitte so schnell wie möglich, okay? Kann einer von euch ihn dann bitte versuchen zu erreichen? Seine Freundin Elisabeth Weiß wurde ermordet. Wir suchen nach dem Täter. Derzeit nicht auszuschließen, dass er es ist.“

„Alles klar, Josy.“

„Danke“, sagte ich und wandte mich wieder an Alex. „Wollen wir?“
 

Ich fuhr mit Alex Mittagessen. Anschließend machten wir uns auf den Weg nach Tereza. Vielleicht wusste sie schon mehr.

Sie blickte uns erstaunt an. „Ihr seid ein bisschen früh für erste Ergebnisse. Ihr müsst mir schon Zeit lassen die Dame in Ruhe zu waschen damit ich sie untersuchen kann.“

„Wissen wir“, gab ich zu. „Aber vielleicht hast du ja schon einen Zwischenstand, den du uns mitteilen kannst?“ Sie legte den Kopf schief während sie überlegte.

„Ich halte immer noch die Kopfverletzung für die Todesursache. Sie hat zwar einige Blessuren am Körper, aber die werden sie nicht umgebracht haben.“
 

Sie drehte den Kopf der Leiche vorsichtig nach links, was durch die Totenstarre immer schwerer wurde und zeigte uns einen Bluterguss. „Sie wurde vor ihrem Tod ins Gesicht geschlagen. Das ist ne ganz frische Verletzung.“ Dann deutete Tereza auf die Hände vom Opfer. „Sie hat auch außergewöhnlich saubere Fingernägel.“

„Kann das nicht vielleicht an ihrem Beruf liegen?“, hakte ich nach.

„Eher nicht. Es wirkt, als wenn jemand diese Bewusst gereinigt hat.“

„Du meinst, dass jemand versucht hat Beweise zu vernichten?“, fragte ich nach. Sie nickte nur, machte dann kurz eine Pause und sah die junge Frau nachdenklich an.
 

„Ach ja, was euch auch vielleicht interessieren könnte. Es stimmt, sie war schwanger. Wie lange, hattet ihr gesagt, kannte sie ihren Freund?“

„Seit drei Monaten. Aber die beiden waren erst seit zwei Monaten zusammen“, antwortete ich. Tereza stutzte.

„Was ist?“, wollte Alex wissen.

„Das ist aber merkwürdig“, begann sie. „Sie war bereits in der 18. Woche... Also fast im fünften Monat schwanger.“



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