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Fehlende Erinnerung

Wenn das Leben falsch ist
von

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Unbezwingbar

Blauer Himmel. Gelbe Sonne. Grünes Gras.

Der Geruch von frischem Pergament. Der Staub von alten Büchern. Der Duft herrlichen Essens.

Das Rauschen des Flusses. Das dröhnende Lachen einer gesamten Gilde.

Wie lange war es her, dass sie all das gesehen, gerochen und gehört hatte? Wochen? Oder sogar Monate? Wann hatte sie es zu Säbelzahn geschafft? Wie viele Tage waren seitdem verstrichen?

Ein schwaches Seufzen kam über Lucys Lippen, als ihr klar wurde, dass sie schon vor langer Zeit aufgehört hatte, die Tage ihrer Gefangenschaft und Folter zu zählen. Sie hatte jedwedes Zeitgefühl verloren. Jede Sekunde in diesem Kerker hier kam ihr wie eine Ewigkeit vor.

Dabei hatte alles ganz harmlos angefangen. Guter Dinge war sie einen Tag nach ihrem Geburtstag für einen Auftrag aufgebrochen. Sie hatte ihn alleine erledigen wollen. Es war ja keine große Sache gewesen. Dafür hätte sie nicht einmal eine Nacht außerhalb von Magnolia verbringen müssen.

Doch noch auf der Zugfahrt in die Nachbarstadt war sie betäubt worden. Vage erinnerte sie sich daran, wie sie ein Huschen hinter sich wahrgenommen hatte, dann das kribbelnde Gefühl, das sie verspürte, wenn jemand Magie wirkte – und dann hatte eine bleierne Müdigkeit sie ergriffen und sie war vornüber gesackt.

Als sie wieder zu sich gekommen war, hatte sie sich genau dort befunden, wo sie auch jetzt war: In der Mitte eines steril weißen Raumes an den Handgelenken an Ketten hängend.

Ein alter Mann war damals bei ihrem ersten Erwachen in diesem Raum aufgetaucht und hatte ihr von seinen großen Plänen erzählt. Pläne, die sie nicht im Mindesten verstanden hatte. Nur zwei Dinge hatte sie damals begriffen: Er wollte an ihren Stellargeistern herumexperimentieren und er hatte die Erinnerungen ihrer Freunde an sie mit Hilfe seiner Magie gelöscht. Eine ähnliche Magie, wie Doranbolt von der Wache des Rates sie verwendet hatte, um sich unter dem Namen Mest bei Fairy Tail einzuschleichen. Nur dass dieser Mann damit lediglich die Erinnerungen an etwas ganz Bestimmtes löschen konnte.

Lucy hatte sich geweigert, bei diesen Experimenten mit zu machen. Weder Versprechungen noch Folter hatten sie dazu bringen können. Ihre Stellargeister waren ihre Freunde, ihre Gefährten. Mit ihnen hatte sie schon so vieles erlebt, sie hatten ihr schon so oft geholfen. Niemals könnte Lucy sie derartig hintergehen. Loki hatte einschreiten wollen, aber Lucy hatte das Tor des Löwen mit Gewalt wieder geschlossen, um ihn zu schützen.

Seit damals hatte sie es nur ein einziges Mal hier heraus geschafft, als es ihr gelungen war, ihren Gefängniswärtern eine tiefe Ohnmacht vorzugaukeln. Man hatte sie heraus getragen und in diesem Moment hatte sie die Chance ergriffen und war geflohen. In die nächste Stadt, wo sie nach der nächsten Gilde gefragt hatte. Ihr war ein Stein vom Herzen gefallen, als sie erfahren hatte, dass es sich bei der Gilde um Säbelzahn handelte. Denn Blue Pegasus oder Lamia Scale hätte sie es nicht so eindringlich begreiflich machen können wie Säbelzahn. Immerhin hatte Säbelzahn mit Yukino auch eine Stellargeistmagierin. Ihr hatte sie Plue anvertrauen können. Ihre einzige Chance, die magische Löschung aufzuheben und Natsu und die Anderen zu erreichen...

Seit dem Fluchtversuch waren Lucys Haftbedingungen sogar noch mehr verschärft worden. Sie bekam weniger Nahrung und Wasser und wurde härter denn je gefoltert. Ihre Peiniger verloren die Geduld. Daraus schloss Lucy, dass schon sehr viel Zeit vergangen sein mochte – und so sehr jeder weitere Tag sie auch körperlich schwächte, so sehr wuchs ihre Hoffnung auf Rettung jeden Tag ein Stückchen mehr.

Magische Löschung hin oder her, sie glaubte nicht daran, dass Natsu und die Anderen sie vollständig vergessen hatten! Zu viel hatten sie gemeinsam erlebt, zu viel miteinander geteilt. Das waren nicht einfach nur Erinnerungen. Das waren tiefe, feste Gefühle. Zwischen den Mitgliedern von Fairy Tail gab es eine Verbundenheit, an deren Scheitern Lucy nie im Leben glauben könnte. Wenn sie an dieser Verbundenheit zweifeln würde, dann hätte sie nichts mehr, was sie jetzt noch am Leben erhalten würde.

Die Tür wurde mit einem leisen Quietschen geöffnet und dann hörte Lucy die schlurfenden Schritte ihres Peinigers. Nicht einmal seinen Namen kannte sie. Weder wusste sie, woher er kam, noch was er eigentlich vorhatte. Er schwafelte immer wieder von einer Entdeckung, die angeblich das Bild der Magie revolutionieren sollte. Ob er ganz klar im Kopf war? Es war schwer zu sagen. Seine Pläne klangen wahnwitzig, aber wenn er mal alle Gewalt beiseite ließ und auf andere Weise versuchte, Lucy zur Aufgabe zu zwingen, fühlte sie sich oft mehr in Bedrängnis als durch Schmerzen.

„Du hast wohl gehofft, wenn du ihnen etwas vorstammelst, würden die Mitglieder von Säbelzahn nach Magnolia gehen, nicht wahr?“, schnarrte die rheumatische Stimme des Alten in Lucys Ohren.

Die Schritte hielten inne. Allein schon der faulige Geruch, der ihr in die Nase stieg, verriet Lucy, dass er direkt vor ihr stand. Doch sie hielt den Blick gesenkt. Selbst den Kopf zu heben erschien ihr im Moment als Mammutaufgabe.

„Aber das sind sie nicht“, höhnte er weiter. „Sie haben dich für eine Irre gehalten und inzwischen denken sie überhaupt nicht mehr an diesen Vorfall mit dir. Keiner kennt dich mehr. Nicht einmal deine eigenen Eltern würden sich an dich erinnern, wenn sie noch leben würden.“

Der weiße Boden zu ihren Füßen schien auf einmal zu flimmern. Das Pochen in ihrem Kopf nahm zu und gleichzeitig verkrampfte sich ihr Herz beim Gedanken an ihre Eltern. Viel zu wenig gute Zeit hatte sie mit ihnen gehabt.

„Auch deine sogenannten Freunde erinnern sich nicht an dich“, fuhr der Greis fort. „Du bist hier vollkommen alleine. Keiner wird dich finden. Du wirst nicht einmal vermisst! Aber wenn du endlich aufgibst, wird sich das ändern. Dann lasse ich dich zurück zu deiner Gilde und sie werden sich wieder an dich erinnern. Lediglich deine Erinnerungen an mich und alle Erinnerungen an deine Stellargeister werde ich löschen. Ein kleiner Preis, findest du nicht?“

Jetzt erst sammelte Lucy ihre Kräfte und hob den Blick. Der verhutzelte Mann schien für einen Moment dem Irrglauben anheim zu fallen, sie würde endlich tun, was er verlangte. Ein gieriges Leuchten war hinter seinen dicken Brillengläsern zu erkennen und die knorrige Hand schloss sich so fest um den Gehstock, dass sie zitterte.

Doch dann nahm er Blickkontakt mit Lucy auf und das sagte ihm alles, was er für heute wissen musste. Nichts desto trotz sprach Lucy das Offensichtliche aus: „Ich glaube weiterhin an meine Freunde! Sie werden mich finden und befreien! Ihre Magie ist machtlos gegen das, was die Mitglieder von Fairy Tail verbindet!“

„Närrin!“, giftete der Mann und Speicheltropfen flogen Lucy ins Gesicht. Die Wut verlieh ihm ungeahnte Kräfte. Mehrmals schlug er ihr mit dem Gehstock in den Bauch. Bei jedem Schlag beschimpfte er sie weiter.

Er hörte erst auf, als sie Blut spuckte. Keuchend trat er zurück, drehte sich um und ging zur Tür des sterilen Verlieses. An der Tür blickte er voller Abscheu zu ihr zurück. „Dass ausgerechnet jemand wie du mit solch einem Schatz gesegnet worden ist! Eine lausige Magierin und dumm noch dazu. Du verdienst die Stellargeister nicht!“

„Vielleicht bin ich eine lausige Magierin“, gab Lucy müde zu und senkte den Blick wieder. Blutstropfen waren zu ihren Füßen zu erkennen. Jeder Atemzug fiel ihr schwer, dennoch sprach sie weiter. „Ich bin nicht so stark wie Natsu oder so geschickt wie Wendy… Aber ich stehe nicht hinter ihnen zurück, wenn es um meine Freunde geht! Und genau das verdienen Stellargeister. Sie sind Freunde und ich werde sie niemals ausliefern. Lieber… sterbe ich…“

„Wenn du so weiter machst, wird es bald dazu kommen“, zischte der Alte, dann erklang wieder das Quietschen der Tür und Lucy war erneut alleine in ihrem Gefängnis.

Müde schloss Lucy die Augen. So fehlgeleitet er auch war, in einer Sache hatte er Recht: Sie hatte nicht mehr viel Zeit. Sie konnte selbst spüren, wie ihre Kräfte versagten. Sie war unterernährt, bekam gerade einmal genug Wasser, damit sie überlebte, und litt unter gefährlichem Schlafmangel. Ganz zu schweigen von all den Verletzungen, die man ihr hier zugefügt hatte. Vielleicht hatte sie nur noch Tage, höchstens Wochen.

Wenn Natsu und die Anderen nicht bald hier auftauchten, würde sie sterben.

Falls sie nicht auftauchten!


Nachwort zu diesem Kapitel:
Kapitel 5 - "Erinnerungsfetzen" am 11. Januar 2015

Happy war sich nicht klar, wieso er hierher gekommen war. Er war ganz in Gedanken gewesen, betrübt von Natsus seltsamen Verhalten und bedrückt, weil er sich immer noch nicht an die verschwundene Kameradin erinnern konnte. Er war einfach losgelaufen. Eigentlich hatte er nach Hause gehen wollen, um eine Weile alleine zu sein.
Und dann war er hier gelandet.
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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  fahnm
2015-01-06T21:16:07+00:00 06.01.2015 22:16
Also desshalb wurde Lucy entführt.
Hoffentlich schafft es die Gilde sich bald wieder zu erinnern.
Freue mich schon aufs nächste kapitel
Von:  cola01
2015-01-05T17:30:29+00:00 05.01.2015 18:30
OMG hör auf es so spannend zu machen *-*
Von: abgemeldet
2015-01-05T14:43:10+00:00 05.01.2015 15:43
Ein super tolles Kapitel^^


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