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Gefallen

Uruha x Kai
von

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| prolog / eins |
 

»Und nun zum Wetter. Die Schlechtwetterfront, die schon seit ein paar Tagen über der Präfektur Chiba für starke Regenfälle sorgt, wird sich in der Nacht über Saitama, Kanagawa und Tokio ausbreiten. Die Wolkendecke der letzten Tage wird sich verdichten und vor allem in Tokio für heftige Sturmböen und Regen sorgen, in einigen Teilen des Großraums kann es auch zu orkanartigen Böen kommen. Die Temperaturen sinken am Abend unter zehn Grad, nachts stellenweise auch unter fünf.«

»Vielen Dank, Toshiyama-san. Weiter geht es mit dem neusten Hit von Florian Silbereisen. Nicht nur im Ausland ist er die Nummer eins im Musikgeschäft und erwärmt reihenweise die Herzen aller Menschen mit gutem Geschmack, auch hier in Japan ist er deutlich auf dem Vormarsch. Mit dem Hit des Jahres -«

Das Radioprogramm wurde auch immer bekloppter. Kannte denn niemand mehr gute Rockmusik?

Seufzend würgte ich die übertrieben fröhliche Stimme des Sprechers ab, konzentrierte mich wieder auf die Straße.

Trotz des frühen Nachmittags schien es bereits zu dämmern, die Schlechtwetterfront kam merklich näher. Dunkel hingen die dicken Wolken über der Stadt, die bunt beleuchtet gegen die miese Stimmung ankämpfen wollte. Als ich in eine der unzähligen Seitenstraßen abbog und die Schilder und Werbetafeln hinter mir ließ, wurde es sogar noch düsterer. Nur die Scheinwerfer meines kleinen Autos tasteten sich hier die Straße entlang, die in dämmriges, unheilvolles Licht getaucht war.

Ich freute mich auf mein Zuhause. Der Tag war lang und anstrengend gewesen. Normalerweise arbeitete ich von meinem Wohnzimmer aus, aber heute hatte ich ins Büro gemusst. Ein Termin mit den Idioten aus der Chefetage, die sich viel zu wichtig nahmen. Umso besser würde der Abend werden. Ein leckeres Essen, warmes Licht und gemütlich auf dem Sofa einen Film gucken. Das übliche Programm. Für einen heißen Snack war ich zu erschöpft heute, sollte sich doch ein anderer die süßen Uke aufreißen, die im Club auf der Suche nach einem harten Schwanz waren. Die waren sowieso alle gleich. Langweilig und nur auf schnelles Ficken aus. Gut für kurzfristige Befriedigung, aber nicht wirklich zufriedenstellend. Erst einen auf williges Luder machen, aber dann winselnd zurückweichen, wenn man ihnen geben wollte, was sie verlangten. Lächerlich.

Summend bog ich ab, erschreckte mich zutiefst. Plötzlich tauchte jemand im Scheinwerferlicht auf und ich musste scharf bremsen, um ihn nicht über den Haufen zu fahren. Fluchend brachte ich den Wagen zum Stehen, beruhigte mein rasendes Herz. Das war wirklich knapp gewesen.

Ärgerlich sah ich durch die Windschutzscheibe, runzelte dann die Stirn. Dort saß ein nackter, zitternder Junge, sah sich verwirrt um und blinzelte in das grelle Licht.


 

| zwei |
 

Ich hatte schon eine Menge sonderbare Leute gesehen, aber noch nie einen nackten Kerl mitten auf der Straße, der nur verwirrt ins Licht starrte und sich kein Stückchen rührte. Was sollte das denn werden? War der verrückt geworden?

Aufgebracht, weil dieser Typ meinen wohlverdienten Feierabend hinauszögerte und mich von meiner warmen Wohnung fernhielt, stieß ich die Tür auf und stieg aus. Der Junge war bei näherer Betrachtung recht schmächtig und sah noch ziemlich jung aus. Verschreckt sah er mich an und wich zurück, als ich nähertrat. Der schien Angst zu haben.

»Hey, ganz ruhig, ich tu dir nichts.«

Er zitterte wie Espenlaub. War er vielleicht ein Partyopfer, das man nackt und betrunken zurückgelassen hatte, weil es ja so wahnsinnig lustig war? Tolle Freunde, wirklich.

Ich beugte mich hinab. Große, braune Augen sahen mich an, er zitterte noch mehr. War auch ganz schön kalt hier. Und so verwirrt, wie der war, fand der doch niemals den Weg nach Hause, bevor die ersten perversen Schweine hier vorbeikommen und sich um ihn ›kümmern‹ würden. Ich musste ihn mitnehmen für diese Nacht. Verflucht, wieso hatte ich so ein weiches Herz, wenn es um so etwas ging? Der brachte mich um meinen gemütlichen Filmabend! Hätte er nicht jemand anderem vor das Auto rennen können? Ich hasste es, Fremde mitzunehmen, aber den hier konnte ich doch unmöglich hier in der Kälte lassen und den widerlichen Kerlen zum Fraß vorwerfen!

»Wie heißt du?«, versuchte ich ihm ein Wort zu entlocken und das Eis zwischen uns zu brechen, aber er antwortete nicht, sah mich nur weiterhin mit diesen riesigen Augen an.

»Ich bin Uruha. Brauchst wirklich keine Angst zu haben. Du kommst besser mit zu mir und ruhst dich da ein bisschen aus, bevor du nach Hause gehst. So wie du aussiehst, lass ich dich sowieso nicht weiterziehen.«

Er war dreckig. Schwarze Flecken und grauer Schmutz überzogen seine zusammengekauerte Gestalt, die Haare waren ganz staubig und wirr. Aber trotzdem sah er irgendwie niedlich aus. Wie ein kleines Reh, das seine Mama beim ersten Ausflug in die Welt des Nachtlebens verloren hatte. Vermutlich hatte er das auch. Okay, das war gemein. Was auch immer die ihm ins Bier gekippt hatten – falls er überhaupt schon welches trinken durfte –, er war bestimmt nicht freiwillig nackt und verwirrt auf der Straße gelandet. Und so ein Junge würde nicht lange allein sein, an dem würden sich ziemlich schnell die ersten Perversen vergehen wollen. Nein, er konnte nicht hierbleiben.

»Na komm, steh auf. Es ist zu kalt, um hier herumzusitzen.« Ich streckte ihm meine Hand entgegen, lächelte freundlich. Es war gefährlich, Fremde einfach mitzunehmen, aber der Kleine sah so harmlos aus, fast wie ein Engel. Der konnte doch nichts tun. Der war eh so hilflos und durcheinander, dass er wahrscheinlich ganz froh war, nicht mehr allein zu sein. Oder hielt er mich für eines dieser Ferkel? Noch immer starrte er mich so an. Aber zumindest streckte er zögerlich seine Hand aus und griff nach meiner. Schlanke, zarte Finger, die heftig zitterten.

»Ganz ruhig, Kleiner. Ich will dir wirklich nichts Böses. Ich hab dich fast überfahren, da muss ich dir doch helfen. Na los, die ersten Regentropfen fallen schon vom Himmel. Bevor da noch mehr Schlechtes von oben fällt, sollten wir hier weg.«

Nein, der Scherz kam irgendwie nicht so gut an. Er zog seine Finger wieder zurück.

Seufzend hockte ich mich wieder hin. Der Kleine hatte den Kopf gesenkt, das Licht schien ihn zu blenden.

»Hey. Du sitzt unbekleidet mitten auf der Straße. Es regnet schon, nachher soll noch Sturm kommen. Und es wird arschkalt. Wirklich nicht die besten Voraussetzungen für eine Übernachtung hier draußen. Der Nächste bremst vielleicht auch nicht ganz so schnell. Komm bitte mit, ich will dir nur helfen.«

So freundlich und langsam hatte ich auch schon lange nicht mehr gesprochen. Aber ich hatte das Gefühl, dass der Kleine mit jedem Wort noch überforderter war. Sein Blick huschte mittlerweile unruhig hin und her, immer wieder blinzelte er in das Licht der Scheinwerfer, als hätte er noch nie welche gesehen. Vielleicht war es doch ein Verrückter, der aus einer Anstalt entlaufen war. Man wusste schließlich nie, wen man so aufgabelte. So wie der eine damals, der sich mir mehr oder weniger aufgedrängt hatte, ihn zu nehmen. Im Supermarkt! Frech. Einfach frech. Wenn, dann stellte ich die Forderungen, nicht so ein blöder Wicht, der noch dazu viel zu dürr und groß war. Der hatte ja nur aus Knochen bestanden. Ich brauchte einen Uke mit richtigem Arsch, in den ich meine Finger krallen konnte. Knackig und fest, hübsch anzusehen und ein bisschen schüchtern, das war heiß. Einer, bei dem das Loch noch zwischen den Backen versteckt war und erst freigelegt werden musste. Bei dem komischen Sack hatte es offengelegen und fast schon heruntergehangen. Ich hatte ihn ein paar Tage später im Club wiedergetroffen, nackt. Die Faust tief im Arsch und breit grinsend. Der schien es sich mit allem und jedem zu besorgen, den ganzen Tag lang. Gruselig.

Die Augen des Kleinen irrten noch eine Weile weiter umher, schienen alles genau anzusehen, was um uns herum war. Dann fixierten sie sich auf meine. Dunkelbraune, schokoladensüße Unschuld sah mich an. Die Lippen waren ein wenig geöffnet, die Augen noch immer so weit offen. Schon goldig, irgendwie.

»Hey, wir werden immer nasser. Wenn du mitkommst, kriegst du warmes Essen und Klamotten, okay? Nicht, dass du noch krank wirst. Was auch immer ihr gefeiert habt, das war bestimmt nicht Ziel der Sache.«

Endlich legten sich die bebenden Finger in meine. Ich umschloss sie, hielt sie fest und versuchte den Kleinen mit dem sanften Druck irgendwie zu beruhigen. Wer wusste schon, wie viele Kerle ihn heute vor mir bereits angesprochen hatten.

In diesem Augenblick kam mir ein unschöner Gedanke.

»Waren … vor mir schon welche hier und haben dich angesprochen? Oder haben sie dich …«

Ich wollte es nicht aussprechen. Aber er war nackt und verängstigt. Es war möglich.

Zu meiner Erleichterung schüttelte er den Kopf. Wenigsten schien er mich zu verstehen, bisher war ich mir da auch noch nicht so sicher gewesen.

»Wie heißt du denn?«, versuchte ich es noch einmal, aber er schwieg wieder, sah mich nur an. Der Blick machte mich irgendwie fertig.

Ich zog ihn nach oben. Er war kleiner als ich, einen halben Kopf, vielleicht auch ein bisschen mehr. Stand gebückt da, den anderen Arm um sich geschlungen und sich unsicher zu meinem Auto umdrehend.

»Noch nie ein Auto gesehen?«, spöttelte ich unbedacht und stockte, als er den Kopf schüttelte. Das war doch unmöglich. Er musste wirklich durcheinander sein. Hoffentlich stand er nicht unter Drogen und kotzte mir den Wagen voll. Wahlweise auch die Wohnung. Vielleicht ließ er sich dazu überreden, in der Badewanne zu schlafen, das war sicherer.

Ich zog ihn sanft mit mir, öffnete die hintere Tür und schob ihn hinein. »Setz dich hin und schnall dich an, okay? Es ist nicht mehr sehr weit, vielleicht zehn Minuten. Ist dir schlecht?«

Kopfschütteln.

Seufzend schlug ich die Tür zu und schmiss mich hinters Lenkrad. Der Kleine sah sich um, machte aber keine Anstalten, sich anzuschnallen. Bei meinem Glück würden wir heute garantiert in eine Polizeikontrolle geraten, da war es schon schlimm genug, dass ich einen nackten, dreckigen Jungen mit mir führte, der gar nichts sagte und verängstigt aussah, er musste sich wenigstens anschnallen.

»Du hast den Gurt vergessen«, warf ich nach hinten und tastete nach dem Zündschlüssel. Doch anstatt auf mich zu reagieren, zuckte er nur erschrocken zusammen, als der Motor startete und der Wagen leicht vibrierte. Vielleicht hatte er doch noch kein Auto gesehen. Oder er hatte verdammt starke Drogen intus, die ihm weismachten, dass er gerade in einem rasanten Kettenkarussell saß. Worauf hatte ich mich da nur eingelassen?

Leicht genervt drehte ich mich um, deutete auf den Gurt. »Anschnallen.«

Irritiert hielt er das schwarze Ding in der Hand und sah mich hilflos an. Das konnte doch nicht wahr sein!

»Auf deine andere Seite ziehen und die Zunge in das Schloss stecken.«

Der streckte ernsthaft seine Zunge raus und sah verwirrt neben sich!

»Nein! Du nimmst das da – ja, genau – und jetzt in das Ding da stecken, bis du ein Klicken hörst.«

Er sah mich an. Oh verdammt. Ich musste schlucken. Dieses Lächeln war echt der Wahnsinn. Er schien sich wirklich zu freuen, dass er es geschafft hatte, ohne sich allzu sehr zu blamieren. Oder dass ich nicht schimpfte, weil er zu dämlich war. Was auch immer es war, ich musste langsam mal den Blick von ihm lösen.

»Okay. Dann fahren wir jetzt mal nach Hause.« Ich drehte mich wieder nach vorn, stellte den Rückspiegel so ein, dass ich meinen Mitfahrer unauffällig im Blick behalten konnte – auch wenn er so klein und hilflos aussah, er war immer noch ein Fremder und saß hinter mir! – und fuhr los. »Nur noch ein paar Straßen, dann sind wir da. Wird echt Zeit, bald wird es richtig dunkel.«

Keine Antwort. Aber gut, wenigstens zitterte er nicht mehr ganz so stark.

Im gemächlichen Tempo brausten wir die Straßen entlang. Gut, dass wir fast da waren, es begann stärker zu regnen und auch der Wind frischte auf. Die wenigen Bäume, die uns auf dem Weg begegneten, bogen sich schon leicht.

Was hätte der Kleine nur gemacht, wenn ich ihn nicht fast plattgemacht hätte? Wenn ich daran dachte, dass er vielleicht die Nacht ganz allein und unbekleidet in irgendeiner Ecke verbracht hätte, wurde mir ganz flau im Magen. Man las immer wieder erschreckende Berichte in Zeitungen. Besser, er robbte verwirrt durch meine Wohnung und trieb mich in den Wahnsinn mit seiner Unbeholfenheit, als dass er morgen früh möglicherweise als kleiner, nicht mehr sehr lebendiger Eisklotz aufgefunden wurde. Oder nie wieder auftauchte, weil ein anderer ihn gefunden hatte, der es nicht ganz so gut mit ihm meinte. Diese dämlichen Säcke, die ihn einfach zurückgelassen hatten!

Ich warf einen Blick in den Rückspiegel. Inzwischen verrenkte er sich nicht mehr den Hals, um mitzukriegen, wo wir entlangfuhren. Vielleicht vertraute er mir langsam, dass ich ihm nichts tun würde und er sich den Weg nicht merken musste. Aber dafür starrte auch er nun in den Spiegel. Mit großen, runden Augen. Als hätte er sich noch nie gesehen. Und als er bemerkte, dass ich es sah, schaute er ganz schnell weg und lief rot an, gab ein leises, irgendwie an ein murrendes Kätzchen erinnerndes Geräusch von sich. Scheiße, war der niedlich.
 

»Da wären wir.« Lächelnd stieß ich die Wohnungstür auf und ließ ihn zuerst hinein, nachdem er mir fasziniert dabei zugesehen hatte, wie ich dieses undurchdringlich erscheinende Hindernis mit einem Zahlencode geöffnet hatte. Scheinbar kannte er diese modernen Schlösser nicht. Ich fühlte mich wie ein großer Magier.

Vorsichtig tapste der Kleine in den Flur, sah sich um. Eine Wohnung hatte er also auch noch nie gesehen, ging es mir bei dem Anblick belustigt durch den Kopf. Oder er war einfach nur neugierig und wollte wissen, wie es bei mir so aussah. Und dass es ihn so überhaupt nicht zu kümmern schien, dass er noch immer nackt war, machte mir irgendwie Sorgen. Das war doch auch nicht normal. Irgendwann merkte es doch selbst der Alkoholisierteste! Der Kleine war wirklich seltsam. Sobald er etwas mehr bei sich war, musste ich ihn mal ausfragen, woher er kam und wie er auf der Straße gelandet war.

»Magst du vielleicht erst mal duschen? Sauber fühlst du dich bestimmt besser. Du bist wirklich schmutzig.«

Und es weckte eventuell seine Lebensgeister, unter dem Wasserstrahl zu stehen, falls er doch irgendetwas zu sich genommen hatte, das ihm nicht allzu gut bekam.

Er nickte. Mal etwas anderes als das ständige Kopfschütteln. Das stimmte mich gleich viel positiver.

Ich griff nach seiner Hand, zog ihn zum Bad und schob ihn hinein. »Handtücher hängen da, nimm dir einfach eins, wenn du fertig bist. Ich such dir etwas zum Anziehen raus und fang schon mal mit Kochen an, okay? Hast bestimmt Hunger. Ich auf jeden Fall!«

Und damit schloss ich die Tür hinter mir und trabte in die Küche, begann in den Schränken zu wühlen. Wenn ich schon mal einen Gast hatte, musste es etwas anderes als Tiefkühlpizza oder Instantnudeln geben. Oder meinen Schokopudding aus Plastikbechern. Obwohl, den konnte er gern haben. Nachdem ich in der vergangenen Woche einen Tag lang nur Pudding gegessen hatte – als Erwachsener konnte man das ja endlich mal tun, da hinderte einen kein besserwisserisches Elternteil mehr daran –, war ich zu der Erkenntnis gekommen, dass Pudding irgendwie doof war und zu viel davon im Bauch schmerzte. Also gab es für den Kleinen schon mal Pudding zum Nachtisch. Das Zeug musste ja weg. Mein Gott, was machte ich mir eigentlich hier für Gedanken? Ich war ja schon fast so nervös wie mein außergewöhnlicher Gast!

»Hn …«

Ich zuckte zusammen und stieß mir den Kopf am Schrank. Verflucht! So sehr erschreckt hatte ich mich auch schon lange nicht mehr innerhalb meiner vier Wände. War wohl schon zu lange niemand mehr hier gewesen außer mir.

»Ja?« Mir den Kopf reibend, drehte ich mich um und sah den Nackten in der Küchentür stehen.

»Wie …«

Die Stimme war echt süß. Schüchtern und leise, sie passte irgendwie zu ihm. Und sie klang schön. Schade, dass er nur so wenig sprach.

Moment mal, wie? Ich schlug mir gegen die Stirn. Natürlich. Wenn er schon mit Sicherheitsgurten und Fluren überfordert war, musste er auch Probleme mit Duschen haben. Und ich hatte ihn auch noch einfach reingeschoben und nichts weiter gesagt.

»Kein Problem, ich zeig es dir«, bot ich an und kam auf ihn zu. Er wich zurück. Beruhigend legte ich ihm eine Hand auf die Schulter und schreckte sofort zurück. Seine Haut war eiskalt.

»Du frierst ja! Los, ab ins Bad! So geht das nicht!« Energisch schob ich ihn vor mir her in die Nasszelle. Der Raum war recht klein, aber zum Glück musste mein Gast sich nicht mehr ausziehen und ich konnte ihn direkt in die Dusche hineinbefördern. So kalt wie er war, befürchtete ich aber, dass das Wasser einfach auf ihm gefrieren würde. Wie lange hatte er nur schon dort draußen gesessen?

Ich deutete auf den Wasserhahn. »Schau mal. Das Ding hier kann man drehen, nach links kommt warmes Wasser und nach rechts kaltes. Von dort oben. Dreh lieber nach links. Und wenn du fertig bist, drehst du das Teil wieder in die Mitte, bis nichts mehr rauskommt. Okay?«

Er zog daran.

»Drehen!«

War ja schon niedlich, wie rot er gerade wieder wurde. Aber als heißes, dampfendes Wasser auf ihn niederprasselte und er mich großen Augen ansah, hätte ich am liebsten geschrien.

»Nicht so weit, das ist doch viel zu heiß! Ein bisschen mehr nach rechts, bis es nicht mehr so sehr dampft. Sonst tust du dir weh.«

Diesmal klappte es. Zufrieden nickend gab ich ihm noch Duschzeug, das irgendwie zu ihm passte – Erdbeere – und verließ das Bad, nachdem ich mich versichert hatte, dass er nicht so schnell ertrinken konnte. Du meine Güte. Das würde noch spannend mit ihm werden.

Summend machte ich mich wieder an die Arbeit. Kochen war nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung, aber irgendwie wollte ich dem Kleinen etwas bieten. Fertigfutter aß er bestimmt selbst auch andauernd. War doch typisch für Singles. Und ich nahm einfach mal an, dass er einer war, sonst hätte ich ihn garantiert nicht ganz allein und nackt dort gefunden. Ein Partner passte schließlich auf, so würde ich es jedenfalls machen. Ich hätte die Idioten an die Wand gepinnt und in die Eier getreten, die meinen Freund so zurückließen. Solche Arschlöcher.

Grummelnd schmiss ich Nudeln in den Topf und wuchtete ihn auf den Herd. Nach einer ganzen Weile fiel mir auch auf, dass man diesen besser einschalten sollte. Genau in dem Moment hörte ich leise, patschende Schritte hinter mir und drehte mich um. Der Kleine stand verlegen in der Küchentür, noch immer nackt, da ich die Klamotten vergessen hatte, und pitschnass. Er tropfte den Boden voll, und besonders warm war es hier zudem auch nicht.

»Bist du verrückt? Du kannst doch nicht so nass herumlaufen!« Hastig lief ich ins Bad, holte das große, flauschige Handtuch, das ich immer dann benutzte, wenn ich mich einsam fühlte – irgendwie war ich erbärmlich –, legte es dem Kleinen um die Schultern und zog ihn in die Küche hinein, nah an den Herd, da es dort etwas wärmer war. Er ging fast unter in dem großen Frotteetuch.

Lächelnd rubbelte ich ihn trocken, ganz sanft. Es war mir schleierhaft, warum ich das tat, aber irgendwie fühlte es sich gut an. Und vielleicht gefiel es ihm auch, wenn ich ihn so berührte. Nach der Zeit dort auf der Straße konnte er bestimmt ein bisschen Nähe und Wärme gebrauchen. Inzwischen tat er mir wirklich leid. Aber jetzt war er ja hier und wurde von mir umsorgt. Ganz egal, was passiert war, morgen früh würde es ihm wieder besser gehen.

»Magst du mir jetzt sagen, wie du heißt?«, fragte ich leise, während ich seinen Rücken abrieb. Ich erkannte mich selbst nicht wieder. Normalerweise waren solche Typen nur ein paar Stunden bei mir, wenn überhaupt, wurden gefickt und dann wieder rausgeworfen. Ich war manchmal echt ein Arschloch, aber die hatten alle ein Zuhause und waren noch so weit bei Verstand, dass sie es wiederfanden. Ich mochte keine Fremden in meiner Wohnung. Aber bei dem hier war es irgendwie anders. Ich war selbst schon ganz verwirrt. Wurde Zeit, dass wir fertig wurden und ins Bett kamen, der Tag war anstrengend gewesen.

»Kai«, antwortete der Kleine mit ein wenig Verzögerung und trocknete die pikanten Stellen an sich lieber selbst ab. Kai also. Ja, das klang gut. Ich mochte den Namen. Kurz und hübsch. Genau wie er. – Gott, was war los mit mir?!

Ich schüttelte den Kopf, konzentrierte mich wieder auf Kai. Als er trocken war, wickelte ich ihn in das Handtuch ein und setzte ihn einfach auf die Arbeitsplatte. Da hatte ich ihn im Auge, da war es warm und da konnte ich ihn riechen. Der Erdbeerduft passte gut zu ihm. Und er war echt hübsch. Er war wie ein Bonbon. Ich wollte ihn ablecken. Vor allem an der Schulter. Verdammt, der machte das doch mit Absicht, dass das Handtuch da runterrutschte! Und diese unschuldigen, großen Augen, die mir neugierig zuschauten, wie ich das Fleisch und das Gemüse kleinschnitt. Überhaupt sah er niedlich aus. Kurze, wilde Haare, ein strahlendes Lächeln und diese verfluchten Augen. Er brauchte für nachher eine Schlafmaske. Sonst würde ich nicht schlafen können.

Meine Knie wurden weich, als er sich plötzlich vorbeugte und der süßliche Duft wahnsinnig intensiv wurde. So ging das nicht weiter, ich hatte ein Messer in der Hand!

»Sollen wir vielleicht mal schauen, ob wir was zum Anziehen für dich finden?«, schlug ich vor und warf das geschnittene Zeug in eine Pfanne, rührte provisorisch ein paarmal um. Machten die im Fernsehen auch immer.

»Anziehen?«

»Na ja, du hast ja nichts dabei. Ich müsste noch ein paar Sachen haben, die mir zu klein sind.« Lächelnd streckte ich meine Hand aus und tatsächlich ergriff er sie und ließ sich von mir mitziehen. Seine Finger waren wirklich toll. Ganz weich und zart, keine komische Hornhaut wie bei mir, wenn mich mal wieder die Leidenschaft packte, ich meine Gitarre aus dem Schrank wühlte und ein paar Tage ohne Pause damit spielte. Oder gewisse andere Tätigkeiten, die meine Finger in Anspruch nahmen. Nun ja.

Neugierig sah er sich in meinem Schlafzimmer um. Es war klein, aber das Bett gemütlich und gerade groß genug für zwei Personen. Sex brauchte halt Platz. Aber für schnarchende und klammernde Fremde war es dann doch zu schmal, das war noch so ein Grund, wieso hier eigentlich nie jemand übernachtete. Ich mochte es auch nicht, wenn mein Lieblingsraum nach Fremden roch. Vögeln, dann kräftig lüften, bis auch der Hartnäckigste keinen Bock mehr hatte, hier länger zu bleiben, dann war alles wieder in Ordnung. So gut wie der Kleine neben mir hatte eh noch keiner gerochen. Dass sich sein Geruch hier ausbreitete, störte mich irgendwie nicht. Es war kein notgeiler Schweißgestank, mehr diese süßliche Unschuld, die ihn schon die ganze Zeit umgab. Vielleicht war es auch einfach nur das Duschgel.

»Hier, das könnte dir passen. Das ist mal beim Waschen eingelaufen.«

Kai musterte nicht gerade begeistert das Shirt, das ich ihm entgegenhielt, und nahm es in die Hände. Es war nicht besonders schön, aber vermutlich passender als die anderen, die ihm so wieder von den Schultern rutschen würden. Der Aufdruck war jetzt auch nicht so der Knaller. FLEISCHPEITSCHE stand in großen Buchstaben quer über der Brust. Hey, das waren alte Jugendsünden! So etwas hatte doch jeder irgendwo in den Tiefen seines Schrankes! Aber irgendwie war es mir zum ersten Mal in meinem Leben doch peinlich, dass ich das Ding besaß und ausgerechnet er es sah. Fleischpeitsche. Also wirklich! Es gab so viele schönere Ausdrücke für das beste Stück des Mannes!

»Was heißt das?«, fragte Kai leise, deutete auf den fatalen Schriftzug. Und erkannte gar nicht das Fatale daran.

»Das …« – war meine Chance, mich herauszureden! – »… ist so ein Begriff aus der Küche.«

Das klang doch naheliegend. Er wusste, was Fleisch war, vielleicht glaubte er mir das ja.

»Kochst du gerne?«

»Eigentlich nicht.«

Wieder dieser Blick. Der Kleine machte mich echt fertig.

»Probier mal, ob es dir passt. Und wenn es zu kühl ist, ziehst du noch einen Pullover drüber, die sind aber alle etwas zu groß.«

»Ziehst du dir immer was an?«, fragte Kai noch, während sein Kopf schon im Shirt verschwand und wenige Sekunden später durch den Ärmel wieder herausploppte. Grinsend half ich ihm, das richtige Loch zu treffen – meine Spezialität –, dann runzelte ich die Stirn. Immer?

»Wie meinst du das?«

Er wackelte niedlich mit der Nase, als er endlich so im Shirt steckte, wie es sich gehörte, und plötzlich niesen musste. Schnaubend ordnete ich seine wirre Frisur ein wenig und sah ihn besorgt an. »Gesundheit. Warst wohl doch zu lange draußen. Du bist immer noch eiskalt überall.«

Er sah verlegen nach unten, antwortete dann auf meine Frage: »Ob du immer irgendwas anhast.«

»Hast du das denn nicht?«

»Nein.«

Die Situation war irgendwie merkwürdig. Wieso hatte der Kleine sonst keine Klamotten an? Wurde er von einem perversen Schwein als Sklave gehalten und das war heute die Bestrafung für irgendwas? Oder war es noch schlimmer und ich hatte einen Stricher aufgesammelt, der abgehauen war? Aber dafür war er zu schüchtern. Andererseits fuhren verdammt viele Kerle genau auf den Typ Uke ab.

»Kai, wieso warst du auf der Straße?«

Er hatte Glück, denn noch bevor er antworten musste, schrillte die Eieruhr in der Küche. Die Nudeln waren fertig. Aber aufgehoben war nicht aufgeschoben, wenn ich schon jemanden bei mir übernachten ließ, wollte ich auch wissen, wen ich da bewirtete.

Ich ging in die Küche, haute auf die penetrant lärmende Uhr in Hodenform – Eieruhr halt – ein und drückte Kai, der mir leise und unauffällig gefolgt war, zwei Gläser und Stäbchen in die Hand. »Auf den Tisch damit. Essen ist fertig. Setz dich schon mal hin, ich füll nur noch die Schüsseln.«

Als hätte er es geahnt, setzte er sich genau gegenüber von meinem Stammplatz hin. Sein erwartungsvoller und hungriger Blick lag auf mir – wie ich das doch liebte! –, während ich Nudeln in die Schüsseln häufte und das Bratgemisch aus undefinierbaren Gemüse- und Fleischstücken kunstvoll darüber verteilte. Hoffentlich hatte er nicht allzu hohe Ansprüche, was Essen anging. Hastig rührte ich die leicht verkohlten Stückchen unter die Nudeln und musste grinsen, als ich ein lautes Magenknurren hörte. Noch besser wurde es, als ich mich umdrehte und Kai mit roten Ohren den Tisch anstarrte. Gott, war der niedlich.

»Lass es dir schmecken. Ich hoffe, es ist okay, ich koche nicht sehr oft.«

»Es sieht toll aus!«

Schleimer.

Ich ließ mich gegenüber von ihm nieder, warf ihm ein fröhliches Grinsen entgegen und griff nach meinen Stäbchen. Das Gemüse war ein bisschen verkocht und alles hatte so einen angebrannten Beigeschmack, aber es war relativ in Ordnung. Ich hatte da schon viel Schlimmeres fabriziert. Vor allem einmal, als ich mit dieser dämlichen Blondine gekocht hatte, die noch weniger Ahnung von Küchen und Nahrungszubereitung hatte als ich. Und so etwas nennt sich ›Freund‹. Er wollte mich umbringen, ganz sicher. Dasselbe hat er auch von mir behauptet.

Bevor ich noch weiter in meinen süßen Erinnerungen versinken konnte, fielen mir fast die Augen aus dem Kopf. Kai steckte die Finger in die Schüssel, beugte sich drüber und stopfte sich gierig das Essen in den Mund. Hin und wieder fiepte er leise, war wohl noch zu heiß zum Reinpacken, aber sein Hunger schien wirklich groß zu sein.

»Keiner isst dir was weg, lass dir lieber Zeit. Sonst kriegst du noch Bauchweh.«

Er nickte nur, machte weiter.

Wo zur Hölle kam er her? Wo wurde diese Art von Essen geduldet? Mir machte es ja nichts aus, bei mir durfte sich jeder so benehmen, wie er sich am wohlsten fühlte, aber scheinbar hatte er noch nie mit Stäbchen gegessen, er nahm die Hölzchen nicht mal wahr.

Mit einem Mal krümmte er sich zusammen, keuchte auf. Sein Rücken drückte sich durch, gequält verzog er das Gesicht, schien Schmerzen zu haben.

»Kai? Kai! Mann, ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht so schlingen!« Ich sprang auf. Kai wimmerte, verkrampfte sich. Das tat schon beim Zusehen weh!

Beunruhigt eilte ich um den Tisch herum, sah ihn hilflos an. Was sollte ich tun? Er wand sich auf dem Stuhl, keuchte so schrecklich, dass ich zu schwitzen begann. Wenn der mir hier jetzt wegstarb, hatte ich ein gewaltiges Problem!

»Kai, ganz ruhig. Tief durchatmen. Ich bin bei dir, okay?«

Ganz toll, verreckte er wenigstens nicht allein, oder was?!

Plötzlich schien das Shirt zu explodieren und zwei große, weiße Flügel schossen aus Kais Rücken hervor, einer davon direkt in mein Gesicht. Ich stolperte zurück, röchelte an einer Feder und starrte den Kleinen mit offenem Mund an, als ich wieder Luft bekam. Nun wieder nackt, rot im Gesicht und mit Flügeln saß er hier in meiner Küche und kratzte sich verlegen am Kopf.

»Tschuldige.«


 

| drei |
 

Der Kleine zupfte peinlich berührt einen Stofffetzen aus seiner Schüssel und traute sich gar nicht, mich anzusehen. Gut, der Anblick war vermutlich auch nicht sehr schön gerade. Mit weit aufgerissenen Augen, Lippen und Nasenlöchern wurde man nicht gerne betrachtet, aber ich konnte nicht anders.

Der hatte Flügel. So richtige. Nicht diese winzigen, lächerlichen Chickenwings, die man auf kitschigen Weihnachtspostkarten an übergewichtigen Babys mit genervt verdrehten Augen sah, sondern weiße und große, die ausgestreckt mindestens so lang sein mussten wie mein Arm. Dieser zarte, hübsche Kerl da hatte Flügel.

»Was … Wie …«

Mein ausdrucksvolles Stottern sorgte dafür, dass Kai schüchtern zu mir aufsah. Gepaart mit den Flügeln wurde dieser Blick aus den großen, brauen Augen noch unschuldiger und niedlicher. Ich musste fantasieren. Der Tag war wirklich lang gewesen. Das konnte doch nicht sein!

»Du hast … Wieso?« Mein Hintern plumpste auf den Stuhl neben Kai. »Wieso hast du Flügel?« Ich streckte meine Hand aus, berührte ganz vorsichtig eine der weißen Schwingen. Sie war weich, fühlte sich an wie die Haut des Kleinen. Oder war die Haut nur so weich wie Federn?

»Tut mir leid wegen dem Shirt«, sagte er leise, ließ den aufgepickten Stofffetzen unauffällig unter dem Tisch verschwinden. Aber das alte Ding war mir so was von egal gerade.

»Was bist du, Kai?«, hauchte ich fast schon. »Und woher kommst du? Wieso hast du da auf der Straße gesessen? Und …« Ich schluckte. Tausend Fragen rasten durch meinen Kopf, wollten beantwortet werden. Wen hatte ich da nur mit zu mir nach Hause genommen? Und wann wachte ich wieder auf aus diesem Traum? Obwohl ich gar nicht aufwachen wollte. Kai war irgendwie etwas ganz Besonderes, das hatte ich die ganze Zeit schon gespürt. Okay, ich kannte ihn erst seit ein, vielleicht zwei Stunden. Aber trotzdem.

Es schien ihm irgendwie peinlich zu sein, denn er druckste eine Weile herum, bevor er zugab: »Ich bin vom Himmel gefallen. Von einer Wolke abgerutscht.«

Es gab noch immer die Möglichkeit, dass hier ein Irrer vor mir saß, der die Geschichte tatsächlich glaubte. Das konnte doch nicht wahr sein. Ich liebte zwar das Lied It's raining men und wünschte mir seit Jahren, dass das mal passierte, aber das war unmöglich. Nur waren da diese Flügel, die aus seinem Rücken gewachsen waren. Einfach so. Und ich wollte ihm auch glauben. Ich wollte, dass es wahr war und dieser kleine Brocken Niedlichkeit hilflos in meiner Küche saß. Ich wollte ihn an mich drücken und nie wieder gehen lassen. Man musste ihn einfach beschützen, wenn man diese braunen Kulleraugen sah, und wenn es nur vor sich selbst war. Immerhin rutschte er sogar von Wolken ab. Der kleine Fratz. – Vielleicht war ich hier derjenige, der zu viel intus hatte.

»Auf der Erde ist alles so anders. Im Himmel sind nur Wolken und andere Engel, aber hier …«

Ein Engel. Natürlich. Die hatten Flügel. Und vom Aussehen her würde es wirklich zu ihm passen. Aber gab es das tatsächlich? Ein Engel, der vom Himmel fiel?

»Warum bist du dann hier und fliegst nicht wieder nach Hause?«

Er sah mich erschrocken an.

»Nein, so meinte ich das nicht!« Oh Gott, ich war so ein Trampeltier. »Tut mir leid. Ich hab nichts dagegen, wenn du hier bist, wirklich. Aber wenn du doch Flügel hast und hier alles so anders ist, wieso bist du dann hier?«

Es klang noch immer unschön, aber er lächelte leicht und schien verstanden zu haben, was ich eigentlich damit sagen wollte.

»Mein linker Flügel ist kaputtgegangen beim Sturz. Ich muss warten, bis ich wieder fliegen kann, vorher kann ich nicht wieder nach Hause.«

Jetzt, wo er es sagte, sah ich es auch. Sein linker Flügel hing ein bisschen nach unten.

»Tut das weh?«, fragte ich leise, berührte die Schwinge sanft.

Kai schüttelte den Kopf. »Nicht mehr. Ich kann ihn nur nicht benutzen.« Traurig sah er nach unten. »Es ist komisch hier. Und alles so fremd.«

Der Kleine schlich sich unmerklich immer weiter in mein Herz. Er sah so verloren aus, dass sich alles in mir zusammenzog. Der würde es noch hinkriegen, dass ich weich wurde. Ich, der harte Seme!

»Wie lange bist du denn schon auf der Erde?«

»Seit gestern Abend.«

»Einen ganzen Tag schon. Was hast du gemacht in der Zeit?«

»Ich hab mich versteckt, bis ein wütender Hund mich verjagt hat. Die Welt macht mir Angst.«

»Hast du einen Platz, wo du bleiben kannst, bis der Flügel geheilt ist?«

Der Kleine schwieg. Wollte wohl nicht, dass es so aussah, als würde er darauf hoffen, bei mir bleiben zu können. Falls er das denn wollte. Verdammt, er schaffte es wirklich, mich unsicher werden zu lassen. Das kannte ich gar nicht von mir.

»Kai, wenn du magst, kannst du hierbleiben. So unbeholfen, wie du bist, ist es da draußen viel zu gefährlich für dich.« Und so etwas Niedliches konnte man doch nicht einfach wieder gehen und seinem einsamen Schicksal überlassen, dazu war mir der Kleine schon jetzt viel zu sehr ans Herz gewachsen. »Ich passe auf dich auf, okay?«

Mit großen Augen sah er mich an. Gott, dieser Blick.

»Guck nicht so, das macht mich ganz nervös«, grinste ich und stupste seine Nase an. Verlegen rieb er sich die Spitze und sah lächelnd nach unten.

Ich schmolz dahin.

»Wenn das wirklich okay ist, würde ich gerne bei dir bleiben«, sagte er leise.

Ich strahlte. »Gut, dann sind wir ab heute Mitbewohner!«
 


 


 

Es war schön, jemanden hier zu haben. Kai war still und fiel nicht besonders auf, aber man spürte irgendwie, dass er da war. Seine Anwesenheit, selbst wenn er nicht im selben Raum war, strahlte etwas aus, das mich ganz ruhig werden ließ. Er entspannte mich. Ein Fremder, ein Engel, der vom Himmel direkt vor mein Auto gefallen war. Lag es daran, dass er ein anderes Wesen war und kein Mensch? War er deswegen auch so unheimlich hübsch? Das war er wirklich. Noch nie hatte ich einen Mann gesehen, der so aussah wie er. So unschuldig und lieb.

Ich wollte ihn verderben.

Nicht im schlechten Sinne und ihn zum Verbrecher erziehen, immerhin war er ein Engel. Aber er aß nicht mal ungesunde Sachen. Den Pudding hatte er nicht angerührt, ihn nur misstrauisch beäugt. Dabei war er so ein Süßer, er würde das Zeug bestimmt mögen. Und ein bisschen Genuss musste doch sein. Oder ein bisschen mehr. Ein mit vollen Backen kauender Kai musste echt süß aussehen. – Klang das wie eine aufdringliche Großmutter, die ihre Enkel den Rabeneltern entzog und erst mal richtig aufpäppeln wollte?

Ich würde den Kleinen vermutlich dick und rund füttern hier, aber da musste er durch. So ein Schatz musste einfach verwöhnt werden. Ich wollte ihn auch in die Badewanne stecken. Bis er schnurrend im Wasser lag und vor Wonne wegdöste. Ich wollte ihn massieren, am besten morgens, damit die Flügel mich nicht noch einmal fast niederstreckten, und ich wollte mit ihm ganz viele tolle Sachen unternehmen. Allein der Marsch zum Supermarkt musste ein Abenteuer für ihn sein. Und in einem Sexshop würde er so wahnsinnig niedlich rot anlaufen. Falls er verstand, was man da so bekam. Einen Penis hatte er. Einen schönen. Nicht zu klein, aber auch nicht zu groß. Und hübsch geformt. Natürlich, es war Kais. Verflucht, wie musste erst die Morgenlatte von ihm aussehen? Und der viel interessantere Teil hinten, den ich bisher noch nicht gesehen hatte?

Ich öffnete die Augen und hob den Kopf von der Sofalehne an. Der Filmabend fand doch noch statt. Nur irgendwie ging der Film komplett unter. Ich hatte mich lange auf diesen Streifen gefreut und Reita fast zermürbt, als der Wicht sich die DVD zuerst ausgeliehen und Ewigkeiten gebraucht hatte, sie wieder zurückzubringen, aber jetzt interessierte er mich gar nicht mehr. Viel zu sehr war ich damit beschäftigt, Pläne zu schmieden. Obwohl ich den Kleinen erst vor wenigen Stunden hergebracht hatte und er noch immer überfordert und verwirrt schien. Klar, er war wohl das erste Mal auf der Erde und kannte das alles hier unten nicht. Ich musste es langsam angehen mit ihm. Vielleicht traute er sich auch nur noch nicht, Pudding zu essen, weil der so zäh und braun war. Sah schon komisch aus, wenn man den schokoladigen Geschmack nicht kannte.

Nun gut, man musste Pudding ja auch nicht essen, damit konnte man noch ganz andere Dinge – oh Gott oh Gott. Ich ging definitiv zu weit. Er war nur mein Mitbewohner und bald wieder im Himmel, so liebgewonnen ich ihn inzwischen auch schon hatte. Aber ich wollte ihn unbedingt kennenlernen. Vielleicht, weil er ein Engel war und man nicht allzu häufig einem begegnete. Ich konnte es mir nicht erklären. Er musste mich irgendwie verhext haben. Konnten Engel das? Verdammt, wieso hatte ich immer lieber Comics über Vampire und Dämonen gelesen, anstatt über Engel und andere harmlosere Wesen?! Das Wissen hätte ich jetzt wirklich gut gebrauchen können!

Ich drückte mich tiefer in das bequeme Polster, ließ meinen Blick vom flimmernden Fernseher hinüber zu Kai wandern. Der Kleine trug inzwischen ein viel zu großes Hemd, falsch herum und um die Flügel herum zugeknöpft, da es ein wenig kühl war, saß auf dem Teppich und betastete ihn. Er schien ganz fasziniert zu sein von dem zotteligen Ding, fuhr immer wieder mit den Fingern hindurch.

„Was ist das denn?“

Du meine Güte.

Mit bollerndem Herzen rupfte ich ihm das alte, eingetrocknete Kondom aus der Hand, das er fröhlich hervorgekämmt hatte.

„Gar nichts“, erklärte ich hektisch und warf das Ding über meine Schulter aus seinem Sichtfeld. Erst als der Kleine sich irritiert wieder seiner Beschäftigung widmete und nicht weiter nachfragte, beruhigte ich mich wieder.

Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, als Kai sich hinabbeugte und seine Wange an den weichen Teppich schmiegte, dann wieder neugierig die Finger reinsteckte. Hoffentlich nicht auf der Suche nach weiteren ›Schätzen‹.

Es war niedlich, wie er die Welt erkundete. Halbnackt und beflügelt, mitten in meinem Wohnzimmer. Ich kam mir wie ein alter, perverser Sack vor.

Vorhin beim Abwasch hatte er mir leise und zögerlich erzählt, dass die Flügel nur in der Dunkelheit zum Vorschein kamen, wenn die Sonne unterging. Bei Sonnenaufgang verschwanden sie wieder. Er war noch so schüchtern, dass ich nicht weiter nachgebohrt hatte, aber irgendwann musste ich ihn mal fragen, wieso das so war. Ich wollte alles über ihn wissen. Er war ein Schutzengel, das hatte er mir noch verraten, aber er mochte mir nicht sagen, von wem. Das durften sie nicht. Schade, denn ich hätte gern gewusst, welchen ich hatte. Bisher war ich immer um größere Unfälle herumgekommen, der musste gut sein. Und da ich jetzt Kai in meiner Wohnung hatte, glaubte ich auch daran, dass es sie gab.

Mein kleiner Engel riss das Mäulchen auf und gähnte herzzerreißend. Ich hievte mich in die Höhe, ging zu ihm und hockte mich vor ihn hin, strich sanft durch die weichen Haare. »Magst du schlafen?«

Er nickte müde und rieb sich mit mit den Fäusten über die Augen. Ich musste mir auf die Lippen beißen, um kein unpassendes Geräusch von mir zu geben. So niedlich konnte doch niemand sein!

»Dann schauen wir mal, ob ich noch irgendwo eine Zahnbürste für dich finde.«

Kai folgte mir brav ins Bad, sah mir dabei zu, wie ich mich durch die Schränke wühlte. Er war viel zu unschuldig für diese Welt. Beim Anblick der verpackten Kondome zeigte er gar keine Reaktion, nicht mal rote Ohren. Und die Spielzeuge, die hier lagerten, waren alle zu abstrakt, um ihn an einen Penis zu erinnern. Vermutlich fragte er sich gerade, wie ich den dicken Stab ins Ohr bekam, um den Schmalz damit herauszuwühlen. Wir mussten unbedingt zusammen Pornos schauen. Er musste doch weitergebildet werden! So etwas Tolles durfte er hier unten nicht verpassen! Ich hatte ein paar wirklich gute Filmchen, die waren auch verdammt schwer zu bekommen gewesen.

»Hier, ich hab noch zwei Stück. Willst du lieber die blaue Zahnbürste oder die mit dem … mit … dem Aufdruck?«

Kleine Penisse jagten sich lustig und wild durcheinander über den Plastikgriff, der an der borstenlose Seite die Form einer Eichel hatte. Gott, wenn der sich freiwillig eine Peniszahnbürste in den Mund steckte, musste ich den Raum verlassen, bevor im Süden die Hölle losbrach.

Mein neuer Mitbewohner entschied sich zu unserem Glück für die jugendfreie Variante und sah mir zu, wie ich meine eigene nahm und eine große, dicke Wurst draufquetschte. Dann drückte ich auch ihm eine auf die Borsten und grinste ihn an, begann mir die Zähne zu schrubben. Das war der Moment, in dem ich feststellte, dass es im Himmel wohl auch keine Zahnbürsten gab. Er machte es mir nach, nur dass er die Zahnpasta herunterlutschte und komplett verschluckte. Danach verzog er angeekelt das Gesicht.

»Selbscht schuld. Du schollscht dasch Zeug nischt eschen, schondern benutschen!«, nuschelte ich durch den Schaum und gönnte ihm noch eine Portion. Diesmal riss ich den Mund weit auf und zeigte ihm, was ich da tat. Ungelenk ahmte er die Bewegungen nach. Für den Anfang gar nicht mal so schlecht.

»Musst du auf die Toilette?«, fragte ich ihn, als wir fertig waren, und er sah mich verwirrt an. »Klo. Du weißt schon.«

Nein, er wusste nicht.

»Musstest du noch nie pinkeln?« Stirnrunzelnd sah ich ihn an. Immerhin kniff er die Beine so angestrengt zusammen, dass ich mir ziemlich sicher war, dass er schon eine ganze Weile musste.

»Im Himmel haben wir keine Körper«, flüsterte er mit roten Wangen.

Gut, das erklärte einiges. Ohne Körper musste man sich auch nicht darum kümmern.

»Dann geh lieber. Da vorn. Deckel hoch, hinsetzen und entspannen.«

Stehpinkler waren doch Weicheier, die keinen anderen Weg fanden, um männlich rüberzukommen, als das gesamte Bad zu verdrecken.

Nachdem der Kleine hinter der Klotür verschwunden war, schlich ich näher und drückte ein Ohr an das Holz. Ich stand nicht darauf, anderen dabei zuzuhören, aber bei Kai wusste man nie. Aber diesmal schien alles zu klappen, es plätscherte leise. Sogar die Klopapierrolle bewegte sich. Ich war stolz auf ihn. So musste sich eine Mutter fühlen, die ihr Kind das erste Mal auf den Thron gehen ließ. Du meine Güte. Das waren ganz falsche Gedanken. Kai war kein Kind! Aber ich freute mich trotzdem, wenn er sich ein Stückchen besser hier unten zurechtfand.

Ich tätschelte ihm die Schulter, als er deutlich erleichterter wieder herauskam, und beehrte nun selbst das Örtchen. Beim Verlassen desselben sah ich mich plötzlich einem Engel gegenüber, der neugierig sein bestes Stück in der Hand hielt und betrachtete. Ohne sich irgendwie zu schämen. Hatte ich auch bisher nur selten erlebt.

»Ich hab mich immer gefragt, wozu er da ist.«

Ich verschluckte mich an den gehörten Worten und musste husten. Erschrocken sah der Kleine mich an und griff nach meinem Arm – mit der Hand, die eben noch diesen formschönen Penis festgehalten hatte.

»Ruha? Alles in Ordnung?«

Das war das erste Mal, dass er meinen Namen sagte und mich von sich aus ansprach. Auch noch falsch. Aber irgendwie mochte ich es, dass er mich so nannte.

»Schon okay.«

Von wegen okay! Dieses Häufchen Unschuld hatte sich noch nie näher mit seinem Schwanz befasst?! Ich tat den ganzen Tag so gut wie nichts anderes. Und er fragte sich, wozu man das Teil hatte. In meiner Vorstellung sprang ein Beamer an und warf homoerotische Pornos an die Wand, während ich an ihm direkt erklärte, was man alles mit dem Penis anfangen konnte. Aber die versauten Sachen mussten noch warten. Bei Kai konnte ich nicht mit solchen Dingen ins Haus fallen wie bei Aoi, der sich zwar lautstark empörte, aber immer äußerst interessiert zuhörte. Dieses Ferkel. Obwohl – wer sagte mir, dass ein Engel kein Ferkel sein konnte?

Mein Blick glitt zu Kai, der wieder neugierig sein bestes Stück betatschte. Hoffentlich machte er das nicht auch im Supermarkt oder in der Bahn, wenn wir uns mal hinauswagten. Mich störte so etwas ja nicht, aber kreischende Hausfrauen würden den Kleinen zu Tode erschrecken.

Erneut sah ich ihn an. Das hübsche Engelchen, das reine Gewissen, die unbefleckte Jungfrau. Ich hatte noch nie einen süßen Uke gefunden, der eine derbe Sau im Bett war. Oder auf einem Tisch. Die waren alle extrem verklemmt und quietschten wie bedrohte Wildschweine, sobald man den Po auch nur anschaute. Oder sie sahen scheiße aus, waren aber halbwegs befriedigend. Kai war vom Äußeren her perfekt. Auch sein Wesen war angenehm. Er hatte zwar keine Ahnung, wozu man einen Penis benutzen konnte, aber das konnte man ihm ja zeigen. Ganz langsam und vorsichtig, bis er abgrundtief verdorben war, ohne seine äußere Unschuld zu verlieren. Okay, ich wollte Kai doch mehr verderben, als ihn nur zu Süßigkeiten zu verführen. Aber konnte es mir irgendjemand verdenken?

Unruhig zog ich Kais Ellbogen zur Seite, bis er seinen Penis losließ. Angestrengt sah ich nach oben, damit jetzt keine Katastrophe passierte. Der Kleine war heiß. Ohne wirklich etwas zu tun. Das war unsere erste Nacht in dieser Wohnung, da kam es nicht so gut, ihn direkt zu überfallen. Nein, bei Kai musste ich es sanfter angehen, langsam und vorsichtig. Er war so zart, hatte viel mehr verdient. Ich wollte sein Herz, nicht nur seinen Körper.

Scheiße, klang ich kitschig.

»Wir sollten ins Bett, ich bin echt müde«, sagte ich und schob Kai vor mir her aus dem Bad. Schluss mit dem Gedankenwirbel! Am Ende wachte ich morgen früh auf und hatte das alles hier sowieso nur geträumt. Dann blieb nur noch ein feuchtes Laken als Erinnerung.

»Du kriegst mein Bett. Darin kann man wirklich gut schlafen. Du hast bestimmt noch nicht viel geschlafen, seit du auf der Erde bist, oder?«

Kai schüttelte stumm den Kopf, sah unsicher das Bett an. Dabei fand ich eigentlich, dass es fast wie eine Wolke aussah, müsste ihm doch gefallen. Viele Kissen, eine flauschige Decke und ein weißer Bezug, gestern erst gewaschen. Da sah man die Spermaflecken nicht so schnell drauf. Die eigenen. Wenn ein Fremder hier drin ausgelaufen war, wurde sofort alles frisch bezogen. Aber ich konnte ja nicht jeden Tag das Bett beziehen, nur weil ich jeden Morgen mein Stehaufmännchen beruhigen musste.

»Na los, rein da. Da kannst du dich so breit machen, wie du willst.«

»Und wo schläfst du?«

»Ich geh auf das Sofa.«

»Aber das ist doch zum Sitzen!«

»Ja, aber wenn man Besuch hat, kann man darauf auch schlafen.«

»Aber es ist dein Bett!«

»Kai!«

»Ich geh auf das Sofa.«

»Du musst dich ausruhen, Kleiner. Ich trampel nachts ins Bad und kollidiere hin und wieder polternd mit den Wänden, ich würde dich nur wecken.« Das war eine Lüge, aber es widerstrebte mir, Kai auf dem viel zu schmalen Sofa schlafen zu lassen. »Nimm du das Bett.«

Er schüttelte bockig den Kopf.

Seufzend gab ich auf, bevor mich dieser schmollende Blick noch fertigmachte, und schob ihn ins Wohnzimmer. »Morgen tauschen wir aber!«

Er kletterte auf das durchgesessene Polster, rollte sich ein und ließ die Flügel wie eine leichte Decke auf seinen Körper sinken. Dennoch holte ich eine zweite, stopfte den warmen Stoff um ihn herum fest und schob ihm ein Kissen unter die Backe. So gern ich auch die am Po gewählt hätte, aber Gesicht war sicherer.

Lächelnd strich ich über seinen Kopf, beobachtete, wie seine Augen bereits zufielen und seine Atmung langsamer und gleichmäßiger wurde. Er war wirklich müde.

»Schlaf gut, kleiner Kai«, wisperte ich und gab ihm einen Gute-Nacht-Kuss auf die Stirn, bevor ich lautlos ins Schlafzimmer schlich und die Tür schloss. Selbst als ich schon längst in den Federn lag und mich auf der Suche nach der bequemsten Position hin und her wälzte, ging er mir nicht mehr aus dem Kopf. Ein Engel in meinem Wohnzimmer. Wer hätte heute Morgen gedacht, dass der Tag so enden würde?

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]


 

| fünf |
 

Wie ich feststellte, war es äußerst praktisch, dass ich von zu Hause aus arbeiten konnte, so musste ich Kai nicht allein lassen. Das war im Moment noch zu gefährlich, wenn ich an die Katastrophe mit dem Herd vorhin beim Frühstück dachte.

Ich arbeitete für ein großes Unternehmen in Sendai, das sich hauptsächlich um Werbung von musikalischen Größen kümmerte. Hin und wieder musste ich zu einem Meeting in die Zweigstelle hier in Tokio, so wie gestern, aber meistens schickte man mir Aufträge zu und ich hatte sie zu erledigen. Oft waren es Zeitungsartikel, die ich überarbeiten und verbessern musste, oft auch Rezensionen und Konzertberichte. Leider nur in der Hinsicht, dass ich den Musiker besser darstellen und noch mehr hervorheben sollte. Ein wenig neidisch auf diejenigen, die die ganzen Konzerte besuchen und die Erstfassung über sie schreiben durften, war ich schon. Andererseits konnte ich arbeiten, wann ich wollte, abends hatte ich immer frei und konnte durch die Clubs ziehen, während die anderen da erst anfingen zu arbeiten. So schlecht hatte ich es gar nicht getroffen, wenn man das Ganze mal von der Penisseite aus betrachtete.

Etwas gelangweilt klickte ich mich durch die Artikel, fügte hier und da ein paar Adjektive mehr ein und besserte Fehler aus, wühlte mich durch die Flut an Aufträgen. Heute war ich ziemlich unkonzentriert. Hinter mir saß ein Engel auf dem Teppich und blätterte sich fasziniert durch die Fotoalben, die er im Schrank gefunden hatte. Uruha als Windelmonster, Uruha als Kackbratze in der Vorschule, Uruha als frühreifes Grundschulkind. Manchmal hörte ich den Kleinen leise glucksen, aber solange es ihm gute Laune bereitete, konnte er sich ruhig über meine wilde Vergangenheit amüsieren. Sein Lachen war sowieso wundervoll. Ich wollte ihn durchgehend kitzeln und in die Seite piken, damit er lachte. Seine Stimme klang dann so hell und fröhlich und seine Augen strahlten wie die Sonne. Scheiße, klang das verliebt.

Seufzend schüttelte ich den Kopf, um die seltsamen Gedanken loszuwerden, und tippte weiter. Lange hielt ich das nicht durch. Ich musste mich einfach wieder umdrehen und Kai beobachten. Mit staunend aufgerissenen Augen besah er sich die Bilder, fuhr mit dem Finger drüber, wenn er etwas Interessantes entdeckte – und ja, bei einem Nacktfoto im zarten Kindesalter betatschte er meinen Penis! – und blätterte leise brabbelnd weiter.

Es musste komisch für ihn sein, selbst keine Vergangenheit mehr zu haben. Ich konnte mir das nicht vorstellen. Er war seit unzähligen Jahren ein Engel, blieb immer gleich, nur die Menschen, die er beschützte, alterten und hinterließen eine Geschichte. Nur er selbst nicht. Wenn man keine Vergangenheit hatte, gab es dann überhaupt eine Zukunft? Und was war mit seiner Zeit, die er hier bei mir verbrachte? Er sammelte das erste Mal wirklich Erinnerungen und erlebte etwas. Er musste viel überforderter mit allem sein, als ich bisher gedacht hatte.

Lächelnd sah ich ihm zu, wie er sich am Kopf kratzte und niesen musste, murrend mit der Nase wackelte. Es war gemein, aber irgendwie hoffte ich, dass der Flügel nicht so schnell heilte. Vermutlich musste er dann wieder zurück, immerhin hatte er einen Menschen, auf den er aufpassen musste. Es würde schrecklich werden, wenn Kai tatsächlich wieder ging. Er war erst seit gestern Abend hier, noch nicht mal einen Tag, aber er gehörte irgendwie hierher. Er und sein hübscher Po, der sich gerade immer weiter nach oben reckte, je tiefer er sich über das Album beugte. Ich wartete nur auf den Moment, in dem Blut aus meiner Nase schießen würde.

Plötzlich zuckte Kai heftig zusammen und schaute mich verschreckt an, als das Telefon zu klingeln begann.

»Ist nur das Telefon. Gehst du mal ran? Ich kann gerade nicht.«

Konnte ich wirklich nicht. Ich musste den süßen Po anstarren, der so wunderbar zu meinem Teppich passte und sich gerade nackt hineinschmiegte. Ich spürte das Verlangen in mir, mich an genau der Stelle zwischen den Zotteln zu suhlen.

Kai stand auf, tapste hinüber zum Beistelltisch und nahm das klingelnde Ding in die Hand. Argwöhnisch betrachtete er es von allen Seiten, und als mir wieder einfiel, dass er Telefone wahrscheinlich noch nie gesehen hatte, war es auch schon zu spät und er hatte versehentlich die richtige Taste gedrückt. Irritiert drückte er sich den Hörer ans Ohr und lauschte, spannte unruhig die Backen an. Mit Kai wurde sogar ein Telefonat zum Porno.

»Mama?«, fragte er in die Stille hinein und sah sich verwirrt um.

Hastig stand ich auf, nahm ihm das Ding aus der Hand. »Hey, Mutter. Wie geht’s?«

»Uruha, du Bengel! Wer war denn da gerade dran?«

Sie war es wirklich. Rief nicht sehr oft an, aber immer in den unpassendsten Augenblicken.

»Mein neuer Mitbewohner«, gab ich ihr zur Information, hielt das Sprechdingens zu und flüsterte zu Kai: »Meine Mutter. Ich beeil mich und erkläre es dir dann, okay?«

Er nickte nur, sah mich groß an.

»Der klang aber nett. Richtig sympathisch. Seit wann hast du überhaupt einen Mitbewohner?«

»Seit gestern, er ist mir sozusagen vors Auto gelaufen und wollte mit.«

»Du hast einen Wildfremden und Wahnsinnigen mitgenommen?!«

»Nein! So fremd ist er gar nicht mehr. Und wahnsinnig auch nicht. Er ist so, wie seine Stimme klingt.«

»Ängstlich und verwirrt. Was hast du mit ihm angestellt?«

»Mutter!«

Kai gluckste aufgrund meines entsetzten Ausrufs. Empört drehte ich mich weg.

»Junge! Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst nicht immer so viele Fremde mitnehmen? Ständig gabelst du dir hübsche Typen in den Bars auf und jetzt sogar schon direkt von der Straße! Was kommt als Nächstes?«

Ja, unser Verhältnis war sehr vertraut. Sie kannte meinen Lebenswandel. Das war auch nicht zu vermeiden, immerhin war ich schon zu Schulzeiten recht … aktiv gewesen.

»Du verstehst das nicht«, murrte ich und ließ mich wieder auf meinen Stuhl fallen. »Er ist nicht so.«

Jetzt wurde ihre Stimme weicher. »Warst du auf der Suche oder war es Zufall?«

»Zufall.«

»Na siehst du. Der Richtige kommt immer dann, wenn man es nicht erwartet.«

»Der Richtige?«

»Du kannst doch nicht ewig Single bleiben und dir ständig andere Typen aufreißen! Reiß dich endlich zusammen und werde erwachsen. Benutzt du wenigstens noch Kondome?«

»Mutter!«

»Ja, ich weiß. Kein Einmischen mehr. Ist dein Mitbewohner denn wenigstens nett? Kennst ihn erst einen Tag und dann wohnt er schon bei dir. Das ist wirklich leichtsinnig! Wo du eh niemanden in deiner Wohnung magst. Abgesehen von deinen ›Ficks‹, die dann schnell wieder abhauen müssen.«

»Stopp!«

»Hab ich etwa unrecht? Ich kenne dich, Uruha! Du warst noch nie vernünftig. Komm du mir mal nach Hause. Bring wenigstens den Kleinen mit, verstanden?«

Wir waren definitiv verwandt.

»Mal sehen. Er wohnt nur vorübergehend bei mir.«

»Das hört sich aber nicht sehr fröhlich an.«

Ich seufzte.

»Uruha, wenn du mehr von ihm willst, solltest du dich ins Zeug legen! Mit Statistiken und Kondomsammlungen wirst du ihn nicht halten können!«

Neugierige, Zimmer durchsuchende Mütter waren doch eine Plage!

»Sei trotzdem vorsichtig. Wer weiß, wieso er dir vors Auto gelaufen ist. Am Ende ist es doch ein Verrückter. Man weiß ja nie. Oder hast du ihn wegen deiner unartigen Träumereien überfahren? Weißt du denn, wo er herkommt? Hast du schon mit ihm …? Was frage ich überhaupt.«

»Hab ich nicht!«

»Aber du willst es!«

»Er hat einen schönen Penis.«

»Oh«, sagte sie erfreut-interessiert. Ihre Augen glitzerten nun vermutlich. Meine Mutter war schon eine Marke. Andererseits konnte ich Kai unmöglich jemals zu ihr mitnehmen. Sie würde ihn behalten wollen. Und meine Schwestern auch. Jeder würde Kai behalten wollen, verdammt!

»Aber der Penis ist doch nicht das Wichtigste.«

»Den Rest hab ich auch noch nicht gesehen.«

»Junge, was ist los mit dir? Das klingt ja fast danach, als wärst du verliebt!«

War ich das? Ich mochte ihn, ja, er war heiß und niedlich und einfach nur toll. Aber war das schon Liebe oder nur Verlangen nach seinem süßen Po?

Ich drehte mich um, sah zu Kai. Er blätterte wieder in dem Fotoalbum, bemerkte aber meinen Blick und schaute auf. Mein Herz begann zu bollern, als der Kleine mich anlächelte. Seine Wangen waren ganz rot. Gut, das mit dem Penis musste er gehört haben. Und spätestens bei unserem ersten Porno würde er vermutlich verstehen, warum die meisten ein wenig verklemmt waren bei diesem Thema. Ob er wohl auch schüchterner werden würde? Es war schon amüsant, wie er ungeniert seinen Penis betatschte, aber ein bisschen Verlegenheit war auch niedlich. Vor allem, wenn man ihn durch Fummeln wieder dazu bringen konnte, alle Hemmungen fallenzulassen. Verdammt, wie verführte man einen unschuldigen Engel?

»… ist Waschmittel teurer als das Spülmittel, außer du benutzt es mit beiden Händen. Denk daran, wenn du das nächste Mal einkaufen gehst. Ich muss los.«

Es tutete. Liebevoll wie immer.

Seufzend legte ich das Telefon weg, rieb mir übers Gesicht. Ich hatte keine Ahnung, was der letzte Satz zu bedeuten hatte, aber er rief mir in Erinnerung, dass ich noch einkaufen musste. Kai würde bestimmt nicht damit zufrieden sein, dreimal am Tag verkohlte Pizza zu essen. Viel mehr war nicht mehr da, nur kümmerliche Reste. Sollte ich Kai heute schon mitnehmen? Vielleicht war es ein bisschen viel für ihn, andererseits bekam er so mal etwas zu sehen. Und allein konnte ich ihn auch schlecht lassen, dazu war es noch zu früh und er zu unwissend.

»Kai, magst du mit mir zum Supermarkt gehen? Essen kaufen?«, fragte ich ihn. »Wir werden rausgehen müssen und vielen Menschen begegnen, aber es wird bestimmt lustig.«

Er sah auf, zögerte. Aber er nickte.

»Gut, dann brauchen wir nur noch passende Kleidung für dich«, murmelte ich nachdenklich. So konnte er nicht gehen. Aber meine Sachen passten ihm nicht. Ich brauchte Klamotten in seiner Größe und hatte da auch schon eine geniale Idee.
 

»Spinnst du eigentlich? Wieso klingelst du wie ein Verrückter?!«, beschwerte sich einer meiner besten Freunde ein paar Minuten später angepisst und wollte mir doch tatsächlich die Tür vor der Nase wieder zuschlagen.

»Hey, warte doch mal! Hab ich euch beim Sex gestört?«

»Wobei denn sonst? Du kommst immer, wenn … Ach, vergiss es.«

Grinsend folgte ich einem spärlich bekleideten Aoi in die kleine Wohnung hinein. Er wohnte mit Reita zusammen und nur zwei Häuser weiter, sehr praktisch. Ich hatte Kai das Versprechen abgerungen, sich nicht vom Fleck zu rühren, bis ich wieder da war und war losgestürmt. Aoi musste in etwa dieselbe Größe wie der Kleine haben. Jetzt musste ich ihn nur noch irgendwie milde stimmen. Er war immer so vergrätzt, wenn man sie beim Sex störte. Anstatt einfach weiterzumachen. Sie wussten ganz genau, dass mir das nichts ausmachte!

»Hey, hey, schick!«, pfiff ich durch die Zähne, als Reita nackt und steif aus dem Schlafzimmer trat. Brummelnd schnappte er sich im Vorbeigehen ein Handtuch aus dem Bad und schlang es sich um die Hüften. Ich sah immer noch mehr als genug.

»Was willst du denn schon wieder hier?«, knurrte er und trat zu Aoi in die Küche, drückte ihm einen Kuss auf die Schläfe. Die beiden waren echt süß zusammen. Ich war gerne hier, vor allem wenn sie gerade Sex hatten. Dann waren sie noch viel niedlicher.

»Tut mir leid« – das kam einfach besser – »dass ich störe, aber ich hab nur eine kleine Bitte.«

»Willst du auch einen Tee?«, fragte mein allerbester Freund, der selbst mit schlechter Laune seine gute Erziehung nicht vernachlässigte.

»Gern. Krieg ich die Phallustasse?«

Schnaubend wurde mir das schicke Teil vor die Nase geknallt, das ich ihnen zum Jahrestag geschenkt hatte. Schlürfend nahm ich einen tiefen Schluck des heißen Getränks und schielte über den Rand der Tasse hinweg zu meinen Gastgebern. Reita saß inzwischen mir gegenüber auf einem der Küchenstühle, hatte Aoi auf seinen Schoß gezogen. Eine Hand lag an der Hüfte, streichelte sie. Die beiden gingen immer so liebevoll miteinander um, dass man wirklich neidisch werden konnte. Ich wollte das auch. Mit Kai. Er musste einfach für immer bei mir bleiben.

»Was hast du denn auf dem Herzen, du Nervensäge?«, fragte Reita nach einer Weile.

»Darf ich mir vielleicht ein paar Klamotten von dir ausleihen, Aoi?«

Verdatterte Blicke bohrten sich in meinen Körper.

»Wozu brauchst du Sachen, die dir eh nicht passen?«

»Nicht für mich, für … einen Freund.«

»Einen Freund?« Misstrauisch zog Aoi die Augenbrauen zusammen.

»Na ja.«

»Los, sag schon! Ruki passen die auch nicht!«

Konnte ich ihnen die Geschichte von einem gefallenen Engel erzählen, der kurzzeitig bei mir wohnte, bis er wieder in den Himmel musste? Sie würden mich für bekloppt erklären. Vor allem, da sie Kai noch nicht gesehen hatten. Und für langes Gerede hatte ich jetzt eh keine Zeit, der Kleine wartete.

»Ich kann es jetzt nicht so schnell erklären. Hab einen neuen Mitbewohner und … seine Sachen sind alle in der Wäsche. Aber nackt kann er ja nicht raus.«

»Dann muss er halt die paar Stunden warten.«

»Aoiii!«

Er seufzte. »Wehe, da kommt irgendwas dran. Ich leih sie dir, nicht dem Fremden. Wenn was passiert, ist es allein deine Schuld!«

»Also tust du es?«

»Ja.«

Strahlend stürzte ich mich auf das Pärchen und schlang die Arme drumherum. Dass ich dabei fast Reita küsste, blendete ich gekonnt aus. Ebenso das Stöhnen, da ich Aoi wohl weiter unten aus Versehen gegen Reitas Ständer drückte. Und verschwitzt waren die beiden auch noch. Sie rochen nach Sex. Die mussten wirklich schon lange bei der Sache gewesen sein. So kurz vor dem Orgasmus. So kurz …

»Uruha!«

Grinsend löste ich mich wieder und betrachtete die feuerroten Gesichter.

»Komm, ich geb dir was. Und dann verschwindest du gefälligst wieder!« Aoi packte meine Hand und zerrte mich Richtung Schlafzimmer.

»Wie kurz wart ihr davor, als ich geklingelt hab?«

Die leichte Ohrfeige brannte, aber daran war ich schon gewöhnt.

»Irgendwelche Wünsche?«, knurrte Aoi und schob mich durch die dicke Luft im Raum zum Schrank. Unauffällig schielte ich zum Bett. Es war völlig zerwühlt, aber ich konnte kein Spielzeug oder Sperma entdecken. Schade.

»Au!« Ich rieb mir den Schädel, auf den Aoi schon wieder eingedroschen hatte. Ich hatte brutale Freunde!

»Was brauchst du denn, Pullover und Hose?«

»Alles.«

»Wie, alles?«

»Hose, Socken, Pullover, Unterhose …«

»Unterhose?!«

»Der arme Kerl sitzt nackt bei mir!«

»Ich leih deinen Betthäschen doch nicht meine Unterwäsche!«

»Aoi! Er ist kein Betthäschen! Ich kann es dir wirklich nicht so schnell erklären. Du müsstest ihn mal sehen! Er ist so süß! Dem willst du deine Unterwäsche leihen, glaub mir!«

Skeptisch sah er mich an. »Lernen wir den Geheimnisvollen denn mal kennen?«

»Klar. Nur vielleicht noch nicht heute.«

»Filmabend am Wochenende?«

»Okay.« Dann hatte ich noch genug Zeit, Kai darauf vorzubereiten. Ich musste ihm erklären, was ein Fernseher war. Vielleicht sollte ich mit ihm heute schon mal einen Film schauen. Wieso auch nicht? Wir hatten eh nichts vor. Kai würde es bestimmt gefallen.

Ich nahm die Kleidungsstücke entgegen, die Aoi aus dem Schrank rupfte. »Mitbewohner, hm? Kennst du ihn schon länger?«

»Nein. Er ist mir gestern vors Auto gelaufen und ich hab ihn mitgenommen.«

»Vors Auto? Wieso das denn?«

Ich winkte ab. »Nicht so wichtig, erkläre ich dir irgendwann mal. Aber er wird erst mal ein bisschen bei mir bleiben.«

»Hat er kein Zuhause?«

Schweigend half ich ihm dabei, zwei zusammenpassende Socken zu finden.

»Du willst gar nicht, dass er zurückgeht.«

Brummelnd zog ich Reitas aus der Schublade.

»Uruha, du kannst doch nicht einfach jemanden bei dir behalten, nur weil du auf ihn stehst.«

»Er ist freiwillig da!«

»Er scheint dir auf jeden Fall wichtiger zu sein als die ganzen Typen, die du sonst immer in den Clubs aufreißt.«

»Du klingst wie meine Mutter.«

»Du hast eine tolle Mutter.«

Ich seufzte. »Und einen tollen besten Freund.«

»Ganz genau.« Grinsend drückte er mir die zweite Socke von Reita in die Hand und schloss die Schublade wieder. »Schuhe auch noch oder hat er die selbst?«

»Er kriegt meine, ich hab ja nicht so riesige Füße, das müsste gehen.«

»Okay. Dann verschwinde lieber, bevor Rei dich am Kragen packt und rauswirft.«

»Wie viele Orgasmen hattet ihr heute schon?«

»Drei, du Nervensäge.« Aoi schob mich zur Wohnungstür. »Den vierten hast du ja erfolgreich verhindert.«

»Bei mir war es der Wecker.«

»Auch den vierten?«

»Nein. Ich hänge hinterher.« Traurig sah ich ihn an. »Ich hab schon lange nicht mehr gevögelt. Bestimmt drei Tage. Es ist schrecklich!«

»Brauchst mich gar nicht so anzusehen! Ich helf dir nicht!«

Grinsend drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange. »Weiß ich doch. Will ich auch gar nicht, das wäre ja wie bei meinem eigenen Bruder.«

»Du mich auch. Mach, dass du wegkommst. Und grüß deinen Mitbewohner. Ich bin wirklich neugierig auf ihn. Wehe, du bearbeitest ihn und lässt ihn dann fallen! Ich sehe dir an, dass er viel mehr wert ist und dir eine ganze Menge bedeutet!«

»So einfach kann man ihn auch nicht ficken. Er ist viel zu unschuldig und süß.«

Aoi lachte. »Dich hat es echt erwischt. Dass ich das noch mal erlebe. Bis dann.«

Rums, die Tür knallte zu. Hinter Aoi hatte ich auch schon Reita aus der Küche schleichen sehen. Drei Orgasmen! Mindestens! Ich war neidisch.

Summend trat ich den Rückweg an, freute mich darauf, wieder Kais Lächeln zu sehen. Irgendwie vermisste ich ihn schon. Hatten sie vielleicht alle recht? War ich schon längst in ihn verliebt? In mir schrie alles Ja. Und wenn ich an das Herzgepolter dachte, sobald ich den Kleinen sah …


 

| sechs |
 

»Kai? Bin wieder da!«, rief ich fröhlich, als ich die Tür aufgeschlossen hatte und in meine Wohnung trat. Noch bevor ich meine Schuhe losgeworden war, erschien der Kleine schon in der Wohnzimmertür und lächelte mich an. So kam man doch gern nach Hause.

»Aoi hat mir ein paar Sachen mitgegeben. Die ziehst du jetzt an und dann gehen wir los, okay?«

Er nickte. Sah ein bisschen nervös aus, aber auch gespannt. Ob es jetzt an Aois seltsamem Klamottengeschmack lag oder an dem geplanten Einkauf, da war ich mir nicht so sicher.

»Aoi ist übrigens ein ganz netter Freund. Er ist mit Reita zusammen.«

»Zusammen?« Kais Fragezeichen-Gesicht verschwand im komisch gemusterten Strickpullover. Ich war viel zu abgelenkt von der Sex-Sache gewesen, dass ich gar nicht darauf geachtet hatte, was der Idiot mir da mitgegeben hatte.

»Sie lieben sich und sind ein Paar. Gibt's das im Himmel nicht?«

»Nein.«

Da oben musste es wirklich langweilig sein. Zumindest war Kai definitiv Single.

Ich half ihm, den richtigen Ausgang zu finden, ordnete grinsend die wirren Haare und kämmte dann noch einmal ausführlich mit den Fingern hindurch. Die waren aber auch weich. So wie alles an Kai. Ich wollte ihn als Kuschelbären im Bett. Also hinterher. Und davor. Und überhaupt.

»Zwei Hosen?«, fragte er verwundert, als ich ihm die nächsten Kleidungsstücke reichte.

»Klar. Die kurze drunter, falls der Sommer ausbricht.«

Er starrte mich seltsam an. Inzwischen fragte ich mich auch selbst, wieso ich auf Unterwäsche bestanden hatte. Kai störte es doch sowieso nicht. Und ein Engel im Supermarkt ohne was drunter war noch viel heißer.

»Hast recht, die lassen wir weg«, stimmte ich zu und dirigierte Kais Füße in die korrekten Hosenbeine. Reitas Socken waren ein bisschen groß, aber der Kleine schien sie zu mögen und wackelte begeistert mit den Zehen.

»Okay. Jacke und Schuhe kriegst du von mir und dann können wir auch schon los.«

»Wieso muss man so viel anziehen, bevor man rausgeht?«, fragte er neugierig, als ich ihn im Flur in meine mollige Winterjacke stopfte und nicht drumherum kam, es unheimlich niedlich zu finden, wie er in dem gepolsterten Ding dastand und sich kaum noch bewegen konnte. Nah, das war nicht die richtige Bekleidung für ihn. Wenn er stolperte und hinfiel, kam er ja nie wieder hoch. Schade.

Ich schälte ihn wieder heraus und steckte ihn in eine andere, lang und schwarz. Jetzt sah er mehr heiß als niedlich aus. Und sie saß eng genug, um nichts zu verstecken. Kais Körper durfte man einfach nicht verstecken. Aber jetzt war der Hintern bedeckt. Vielleicht war das auch besser so, sonst würden ihn noch Wildfremde einfach betatschen.

»Ruha?«

Ich riss meinen Blick von seinem verhüllten Po los und sah ihn fragend an.

»Wieso muss man so viel anziehen, bevor man rausgeht?«

»Eigentlich zieht man sich nur Jacke und Schuhe extra für draußen an, den Rest haben die meisten immer an.«

»Oh.«

»Du kannst aber gerne weiter nackt oder leicht bekleidet in der Wohnung herumlaufen, mich stört das nicht.«

Er freute sich. Er freute sich! Dabei musste ich mich freuen. Endlich wurde ich mal nicht als perverser Sack abgestempelt.

»Ich finde es schön, dass du …« Er biss sich auf die Unterlippe.

»Fuß hoch«, wies ich ihn an und popelte ihm den Schuh über die Socke. »Was denn?«

Kai sah mich unsicher an, als ich mich wieder aufrichtete. Ich legte den Kopf schief.

»Na ja, du bist so nett und lachst nicht über mich, wenn ich etwas falsch mache. Du hast mich einfach mitgenommen und hilfst mir, obwohl du mich nicht kennst. Ohne dich wäre ich wahrscheinlich …«

»Hey.« Ich drückte den Süßen an mich. »Das ist doch eine ganz fremde Welt für dich, da kann man dich doch nicht einfach allein lassen. Im Himmel wäre ich auch überfordert und wüsste gar nicht, was ich machen soll.«

»Du bist viel netter als die da oben«, flüsterte er an meinen Hals und schmiegte sich an mich. Mein Herz verstand zuerst, wie nah er mir gerade war, und schlug heftig in meiner Brust. Die Worte hatten so traurig geklungen, dass ich ihn nur noch fester umarmen musste.

»Sind die anderen Engel nicht nett zu dir?«

»Nein. Sie sind alle viel älter und schubsen mich herum. Sie wollen nicht, dass ich dort bin. Aber ich weiß nicht, was ich getan habe, dass ich ein Engel geworden bin.«

»Vielleicht warst du ein viel besserer Mensch als sie und das ärgert sie.«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, das ist es nicht. Ich weiß es einfach nicht. Ich habe nur Angst, wieder zurück zu müssen. Und das muss ich, sobald ich wieder fliegen kann.«

Ich erstarrte. Kai hatte Angst davor, wieder in den Himmel zurückzukehren? Das hieß, er wollte hierbleiben, bei mir. In einer Welt, die ihm ebenfalls Angst machte.

»Diese Welt ist dir doch so fremd.«

»Aber hier bist du.«

Dieser kleine Satz ließ einen mächtigen Kloß in meinem Hals wachsen. Er fühlte sich also sicher bei mir, irgendwie beschützt.

»Was tun sie dir nur an?«, wisperte ich erstickt in seine Haare, hielt ihn ganz fest, als würden gleich andere Engel neben uns auftauchen und ihn holen wollen. »Du bist nicht abgerutscht, oder?«

»Hm?«

»Von der Wolke. Du hast gesagt, du wärst du einer Wolke abgerutscht und auf die Erde gefallen.«

»Sie haben mich geschubst.«

Und das sollten Engel sein? Solche Arschlöcher?

»Kai, du musst nicht zurück. Ich mag dich wirklich gern. Ich würde mich freuen, wenn du bei mir bleibst. Mein Bett ist groß genug. Und Kochen kriegen wir auch noch hin. Aber bleib bitte hier, geh nicht wieder dorthin zurück.«

»Ich muss.« Er löste sich ein wenig, rieb sich über die Augen. »Ich muss zurück, wenn der Flügel wieder heil ist, es geht nicht anders. Aber bis dahin bin ich wirklich froh, dass ich bei dir gelandet bin. Es ist schön mit dir.«

Er hatte ›mit dir‹ gesagt, nicht ›bei dir‹. Er mochte mich. Aber ich hatte das ernst gemeint, er sollte bei mir bleiben. Da oben wollte ihn doch scheinbar niemand. Ich schon. Es war egoistisch von mir, weil er schließlich ein Schutzengel war und auf jemanden aufpassen musste. Trotzdem. Kai brauchte doch jemanden, der ihn liebte.

»Ich bin auch froh, dass du bei mir bist, Kai.« Ich küsste seine Stirn. »Wir finden schon eine Lösung. Jetzt bist du erst mal bei mir und gehst mit mir einkaufen, okay?«
 

Einkaufen war noch nie eine besonders große Leidenschaft von mir gewesen. Man mühte sich durch die Stadt, quetschte sich an komisch riechenden Menschen vorbei und musste um seine Füße fürchten, wenn man in der Menschenmenge das unheilvolle Geklacker von spitzen Absätzen näherkommen hörte. Im Supermarkt war es auch nicht viel besser. Kleine Kinder, schreiende Mütter und renitente Omas, die sich verbittert um die Häppchen an der Käsetheke prügelten.

Mit Kai war es anders.

Zu zweit hatten wir uns unter den kleinen Regenschirm gequetscht und das Haus verlassen. Kai schaute fasziniert nach oben zu unserem blau schimmernden Dach, auf das leise die Regentropfen fielen. Ich musste ihn immer wieder ermahnen, auf den Weg zu achten, damit er nicht so oft stolperte. Und als wir aus den engen, düsteren und nicht besonders schönen Seitenstraßen raus waren, brach die Sonne durch die Wolken und beleuchtete eine Szenerie, die Kai stocken ließ.

Vor uns lag eine mehrspurige Straße, Autos und Motorräder hupten sich gegenseitig fast zu Brei. Menschen drängten sich über den breiten Bürgersteig, ein Gesumme und Gebrumme lag in der Luft. Die hohen Gebäude waren mit bunter Werbung zugepflastert, alles war nass und glitzerte durch die Sonnenstrahlen. Ein alltäglicher Anblick, aber für Kai war es völlig neu.

»Alles okay?«, fragte ich ihn und drückte lächelnd seine Hand, die sich in meine geschlichen hatte. Er war näher an mich herangerückt, dicht an meine Seite. Sein Kopf drehte sich hin und her, die staunend aufgerissenen Augen saugten die Flut an Farben und Bewegungen um uns herum auf. Er war heillos überfordert.

»Wir gehen jetzt über diese Brücke da vorne auf die andere Straßenseite und nehmen da die U-Bahn.«

Gut, der nächste Supermarkt war eigentlich gleich dort vorn an der Ecke, aber ich musste Kai doch etwas bieten, wenn wir schon mal draußen waren.

Ich zog ihn sanft hinter mir her durch die hektisch umhereilenden Menschen und passte auf, dass er nicht plattgemacht wurde. Unsicher schob er sich immer dichter an mich dran, hing schon fast unter meiner Achsel.

»Alles noch gut oder sollen wir lieber umdrehen?«

»Nein, geht schon.«

Wir erreichten den Übergang. Hier wurde es etwas leerer und Kai sah wieder etwas fröhlicher aus. Auf der Brücke blieb er stehen und beugte sich über das Geländer, sah mit großen Augen dabei zu, wie die Autos unter ihm entlangbrausten. Er musste sich vorkommen wie in einem real gewordenen Videospiel. Ich stellte mir den Himmel total ruhig vor, überall nur watteweiche Wolken und umherflatternde Engel. Dagegen war das hier eine Damentoilette. Laut, stinkend und voll.

»Ist das immer so?«, fragte er mich mit diesem Wahnsinnsblick, der mich schon wieder fast fertigmachte.

»Das ist Durchschnitt für einen Vormittag in der Woche. Voller wird es vor allem abends in der Rushhour. Da stopfen sie einen sogar in den Zug, weil so viele Menschen mitfahren wollen. Aber keine Angst, das wird heute nicht passieren. Sobald wir wieder in den schmaleren Straßen sind, wird es auch ruhiger.«

Kai nickte nur.

Wir gingen weiter, liefen auf der anderen Straßenseite die Treppe zur U-Bahn-Station hinab. Kai brauchte eine Weile, um durch die Ticketschranke zu kommen. Stirnrunzelnd starrte er den Schlitz an, der sein Ticket verschluckt hatte, und zog es überrascht ein paar Schritte weiter wieder heraus. Ich musste ihn zurückzerren, als er viel zu nah an die Gleise trat und neugierig in den dunklen Tunnel sah, aufgeregt zu den Lichtern deutete.

»Kai! Du musst aufpassen, das ist gefährlich!«, fuhr ich ihn vor Schreck viel zu laut an und zerrte ihn unsanft nach hinten. Er zuckte zurück, sah mich traurig an, und als die Bahn direkt neben ihm einfuhr und quietschend bremste, drückte er sich verängstigt an eine Säule. Schnell stellte ich mich vor ihn, schirmte ihn vor den vielen Menschen ab, die sich an uns vorbeidrängten. Seine Augen huschten unruhig hin und her.

»Tut mir leid«, sagte ich zerknirscht. »Du darfst nicht über die Linie da am Boden treten, die Gleise sind gefährlich. Wenn ein Zug einfährt, könnte er dich erfassen. In fünf Minuten kommt unserer, bis dahin bleiben wir hier stehen, okay?«

Er lächelte zaghaft.

Um uns herum wurde es wieder leerer, die Bahn fuhr ab. Kai wurde ruhiger. Auch ich entspannte mich langsam wieder. Der Kleine hatte mir wirklich einen Schrecken eingejagt, als er sich vorgebeugt und dem einfahrenden Zug entgegengesehen hatte. Wir hatten wirklich Glück gehabt, dass er hier gehalten hatte und nicht nur durchgefahren war, sonst hätte ich ihn wahrscheinlich nicht mehr rechtzeitig zurückziehen können. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was dann gewesen wäre.

»Deine Finger zittern«, sagte Kai leise und griff nach meinen Händen, streichelte sie. Ja, das taten sie tatsächlich. Aber wen wunderte es?

Lächelnd ließ ich ihn machen, genoss die leichten Berührungen. Leicht wie Federn, und Kais Finger waren ganz weich und zart. Hoffentlich gab es an Kai auch Stellen, die nicht weich und zart waren. Aber im Moment war ich vollkommen zufrieden und wünschte mir, dass die Bahn noch lange brauchen würde.

Natürlich tat sie es nicht.

»Ist die das?«, fragte Kai, als die nächste einfuhr.

»Ja, beeilen wir uns.«

Wir hatten Glück, die Bahn war nicht allzu voll. Kai saß neben mir und schaute sich neugierig um, betrachtete die Menschen, die uns gegenübersaßen, schaute aus dem Fenster hinter ihnen, sah nach oben zu den Werbeschildern und den Halteringen, dann zu den Türen, die sich zischend schlossen. Er griff wieder nach meiner Hand, als die Bahn sich in Bewegung setzte.

»Wir fahren jetzt ein paar Minuten, dann steigen wir wieder aus und sind fast da. Im Supermarkt ist es etwas ruhiger, versprochen.«

Kai nickte nur, dann sah er mich an. »Was war das eigentlich zu Hause, mit diesem schwarzen Ding und der Stimme?«

»Das war ein Telefon. Meine Mutter hat in einer anderen Stadt auch eins und die Nummer von mir gewählt, dann hat es bei uns geklingelt. Und wenn man abnimmt, kann man mit demjenigen sprechen.«

»Obwohl er so weit weg ist?«

»Ja, irgendwie geht das über Funk oder so. Vielleicht sind um uns herum gerade ganz viele Telefongespräche und fliegen hin und her. Wie Stimmen, nur dass wir sie nicht hören können.«

Die Vorstellung war irgendwie gruselig.

»Ich höre sie manchmal.«

Verdattert starrte ich ihn an.

»Na ja, als Schutzengel hört man oft die Stimme von dem Menschen, den man beschützen soll, was er gerade sagt zum Beispiel.«

»Jetzt auch?«

Kai schwieg, lächelte nur. Und ich fragte mich, ob man auch das Stöhnen beim Sex hören konnte. Wäre ja möglich. Du meine Güte. Man wurde beim Sex belauscht! Geil. Das musste ich Aoi irgendwann mal erzählen. Und dann Reita ausweichen, wenn er vorerst keine Befriedigung mehr bekam. Das wäre mein sicherer Tod, aber vielleicht würde ich dann auch ein Engel werden und konnte selbst jemanden belauschen. Aber bei meinem Glück erwischte ich einen dieser Uke, die hysterisch quiekten, wenn es spaßig wurde.

»Wieso hast du deiner Mama gesagt, dass du meinen Penis schön findest?«

Ich lief das erste Mal in meinem Leben rot an. Entsetzt starrte ich Kai an, dann die Umstehenden, die den Blick nicht minder fassungslos erwiderten.

»Das kannst du doch hier nicht fragen!«, zischte ich ihm zu. Ich hatte ja nichts dagegen, wenn jemand ungeniert über so etwas sprechen konnte, aber Kai blamierte sich hier, ohne es zu ahnen. Er outete sich als ein Perversling, der er gar nicht war. Oder noch nicht.

»Warum nicht?«

»Das erkläre ich dir, wenn wir wieder zu Hause sind.«

»Tanzt du dann wieder so lustig unter der Dusche?«
 

Ein paar Minuten später konnten wir aussteigen. Kai etwas eingeschüchterter als noch beim Einstieg, irgendwann hatte auch er die Blicke bemerkt und verstanden, dass er etwas gesagt hatte, das man in der Öffentlichkeit lieber verschwieg. Er schämte sich.

»Ist Penis etwas Schlimmes?«, fragte er leise, als wir durch den Bahnhof marschierten und den Ausgang suchten.

»Nein, eigentlich nicht. Aber vor Fremden redet man besser nicht darüber. Weißt du, was Sex ist?«

Kai wurde tatsächlich niedlich rot. »Ich hab davon schon mal gehört«, nuschelte er undeutlich.

»Na ja, ein Penis ist vor allem dafür da.«

Seine Ohren begannen sich ebenfalls zu verfärben.

»Aber das ist etwas Tolles! Man redet da nur nicht so drüber. Zu Hause ja, aber nicht vor anderen. Es ist für die meisten zu intim. Schade eigentlich.«

»Redest du … gern darüber? Und … wie genau …«

Schon süß, wie neugierig er war.

»Zu dem Wie kommen wir irgendwann noch. Magst du dir mal einen Film dazu ansehen?«

Sein ganzer Kopf leuchtete tiefrot. Aber er nickte tapfer.

»Wie viel weißt du denn darüber?«, fragte ich gespannt nach und trat mit ihm an die frische Luft, lenkte ihn Richtung Supermarkt, den wir von hier aus schon sehen konnten.

»Also … Im Himmel wird oft erzählt, dass es … etwas Sündiges ist.«

Das war ja nicht sehr viel. Ich durfte ihn also in die Kunst des Fickens einführen. Gute Pornos hatte ich genug. Nur fraglich, wie Kai darauf reagieren würde. Er schien neugierig zu sein, aber auch peinlich berührt. Nach dem eben Erfahrenen würde er wohl nie wieder einfach so seinen Penis betatschen. Obwohl er gestern bereits gemerkt hatte, dass mich das nicht störte. Vor mir durfte er alles. Ich würde ihm auch einen Pickel an den Eiern ausdrücken, ohne ihn schief anzusehen. Zwischen uns sollte es keine Grenzen geben. Kai musste mir sowieso vertrauen, um auf dieser Welt zurechtzukommen. Ich wollte derjenige sein, mit dem er über alles sprechen konnte, jeden Zentimeter seines Körpers erkunden. Und er sollte mich genauso kennen. Ich wollte, dass wir uns so nah waren, wie man es nur konnte. Ich wollte sein Herz. Und er durfte mein Herz haben.


 

| sieben |
 

Supermärkte waren gruselig, die meisten bemerkten es nur nicht. Diese automatischen Türen mussten beim Aufgehen irgendeinen Laser abschießen und damit die Gehirne der eintretenden Kunden manipulieren. Sie sahen stoisch über unfreundliche Verkäufer hinweg, die bei aufkommenden Fragen – »Wo ist das Klopapier diesmal bei einer der wahnsinnig intelligenten und nutzlosen Umräumaktionen gelandet, Sie impertinenter Kittelträger?« – das Weite suchten wie Kakerlaken bei Licht. Sie bemerkten auch nicht die Tretminen. Kleine Kinder mit Miniatureinkaufswagen, deren viel zu stabile Fähnchen sich gekonnt in Bäuche von größeren und Gesichter von kleineren Menschen – Ruki – bohrten. Auch Omis, die sich vorsorglich schon mal trotz Rollator an der Kasse fallenließen, damit sie einem mit dem ebenfalls vorsorglich mitgebrachten Gehstock die Kniescheiben wegstechen und behaupten konnten, man hätte sie geschubst. Was auf den ersten Blick sinnlos erschien, war gnadenlose Taktik: die Kassiererinnen bestanden in einem solchen Fall sofort darauf, dass man alle in der Schlange vorließ und somit genug Zeit hatte, über seine Sünden nachzudenken. Natürlich kam auch die dämliche Faltenzüchterin eher dran, die einen triumphierend angrinste und sich fröhlich vorbeiquetschte.

Ich hasste es.

Für Kai war schon der Manipulator eine Sensation. Mit offenem Mund starrte er die Automatiktür an, wie sie auseinanderglitt, ganz ohne Anpacken. Ehrfürchtig verfolgte er meine Hände, die mit dramatischen Bewegungen die Tür wie von Geisterhand öffneten. Ich fühlte mich wie Harry Potter.

Zumindest so lange, bis von drinnen ein Kunde kam und die Tür auch so aufging.

»Na los, gehen wir rein«, lenkte ich ihn schnell ab und schob ihn in den Vorraum, in dem ich uns einen Wagen aus dem Wirrwarr herausrupfte. Dann betraten wir die Höhle des Löwen.

Kai rückte wieder näher an mich heran, hielt sich vorsichtshalber am Griff des Einkaufswagen fest, um nicht von anderen Wagen erfasst und hinausgedrängt zu werden. »Ich dachte, es wird ruhiger?«

»Das ist nur der Eingangsbereich, wird gleich besser«, munterte ich ihn halbwegs auf und führte uns hinter das Drehkreuz, wo es tatsächlich ruhiger wurde. In einer gespiegelten Landschaft voller buntem Gemüse wurden wir sanft aufgefangen wie hervorgeschossenes Sperma in einem engen Loch.

Während Kai sich neugierig die Ware ansah und an verschiedenen Dingen schnupperte, sammelte ich das wenige Grünzeug zusammen, das auf meiner Einkaufsliste stand. Frische Zutaten waren nicht unbedingt meine Freunde, die musste man meistens noch kompliziert zubereiten.

»Wieso kann man das nicht anfassen?«

Ich drehte mich um. Kai versuchte die Lauchstangen im Spiegel zu greifen und stieß immer wieder gegen das Glas.

»Die Reihe da oben ist nur gespiegelt, damit es nach mehr aussieht.«

»Wieso das denn?«

»Man will halt vortäuschen, das man mehr hat. Manche Kerle stopfen sich sogar den Schritt aus!«

Skandalös! Wenn man ein schlaffes Würstchen hatte, sollte man auch dazu stehen und die heißen Häppchen den wirklichen Seme überlassen! – Obwohl, inzwischen war es mir egal. Ich hatte ja Kai.

Dieser sah nun auf meinen Schritt. Sollte er ruhig. Mein Schwanz war echt okay, ich brauchte nichts verstecken oder ausstopfen. Aber dieser Blick machte mich schon irgendwie unruhig da unten. Mitten im Supermarkt! So weit war der Kleine noch nicht, um spontan zwischen den Regalen die Hose runterzulassen, deswegen schob ich den Einkaufswagen entschlossen weiter und winkte Kai, mir zu folgen.

Die nächste Katastrophe ereilte uns bei den Eiern. Also bei Hühnereiern. Unscheinbar standen die Verpackungen im Regal, nach Farbe, Größe und Geschlecht sortiert, mit ellenlangen Nummern, die mir nichts sagten, außer dass ich in Mathe vielleicht besser hätte aufpassen sollen, aber der süße Po des Referendars war viel interessanter gewesen. Damals hatte ich den Engelspo aber auch nicht gekannt.

»Kai? Alles klar?«, fragte ich, als mir auffiel, dass der Kleine stehengeblieben war und sich nicht mehr vom Fleck rührte. Traurig besah er sich die Kartons mit den braunen Eiern, sah dann mich an. Mit Tränen in den kugelrunden Augen. Ich schluckte.

»Du hast doch gesagt, in braunen Schalen stecken Küken«, warf er mir anklagend vor.

Scheiße.

»Kai, das …«

»Wieso verkaufen die so etwas? Da sind Küken drin!«

»Kai, das darfst du jetzt nicht falsch verstehen. Da sind keine Küken drin.«

»Aber die sind braun!«

»Ja, die Hühner, die die Eier gelegt haben, waren auch braun. Deswegen.«

Das kam zumindest nah an die Wahrheit dran, ohne Kai jetzt Genetik und den ganzen Unsinn erklären zu müssen.

»Also stecken in allen Küken und wir haben sie gegessen?«

Die Träne kullerte über seine Wange. Ich begann zu schwitzen. Das musste für ihn nach Kannibalismus klingen.

»Natürlich nicht. Hör mal, das war dumm von mir, das zu sagen. Da sind keine Küken drin. Und auch sonst nichts. Nur leckeres Ei. Aber kein Küken.«

»Also haben wir ein Ei getötet.«

»Nein!«

»Aber wir haben es gegessen!«

»Ja! Aber es war schon tot! Also, es hat nie gelebt. Das ist … wie Milch. Die kommt ja auch einfach so aus der Kuh. Na gut, man muss sie melken. Von allein kommt ja nur hinten … Lassen wir das. Und die Kuh muss die Milch sowieso loswerden. Hühner müssen genauso die Eier loswerden, sonst drücken die im Bauch wie bei dir zu viel Kuchen. Es ist wirklich nicht schlimm, wenn man Eier isst.«

»Kommt Erdbeermilch aus Erdbeerbäuchen?«

Ich atmete tief durch.

»Also können wir wieder Sterne machen und tun damit niemandem weh?«

»Genau.«

Zaghaft griff Kai nach einem der Kartons. »Ich mochte die Sterne.«

»Dann machen wir wieder welche.« Ich legte ihn in den Wagen. Vorsichtig strich ich die Träne von seiner Backe. »Magst du sonst noch etwas? Du kannst alles haben. Ich kann dir nur nicht versprechen, dass es gut schmeckt, wenn ich es koche.«

»So schwer sah das gar nicht aus«, sagte er und grinste leicht. »Kann ich das auch mal ausprobieren?«

»Gerne!« Begeistert strahlte ich ihn an. Freiheit! »Wir könnten so viel ausprobieren! Ich hab Kochbücher zu Hause. Du darfst alles machen, was du willst! Richtiges Essen! Wir könnten Pizza selbst machen. Oder Auflauf. Oder Suppe. So richtig schwere Sachen. Egal was!«

Und der Kleine legte los. Instinktiv sammelte er Zutaten zusammen, ohne zu wissen, was man damit überhaupt machen konnte. Vermutlich entschied er einfach anhand des bunten Äußeren der Packung, ob sie kaufenswert war oder nicht. Vielleicht hatte ich mich doch zu früh gefreut und es würde noch schlimmer werden als meine eigenen Kreationen. Nun gut, musste wenigstens nicht mehr nur ich mich ständig schämen.

»Hast du schon mal gekocht?«, fragte ich trotzdem misstrauisch nach.

»Ich weiß nicht. Da ist so ein Rezept in meinem Kopf, einfach so. Keine Ahnung, wo das herkommt.«

»Warst du früher vielleicht Koch?«

Er zuckte mit den Schultern, sah mich hilflos an. »Wäre möglich. Manchmal erinnert man sich ganz kurz an etwas.«

Er wusste zwar nicht, was ein Herd war, aber scheinbar hatte er sich an irgendetwas erinnert beim Anblick der Lebensmittel. Hoffentlich blieb das bis zum Essen so.

Wir gingen weiter, sammelten noch ein paar Produkte ein. Kai betrachtete alles ganz genau, auch die Einkaufswagen der anderen Kunden, bis ich ihn wegzog. Und irgendwann war er plötzlich weg. Das hatte ja passieren müssen. Ein Supermarkt voller Menschen, Regalen und seltsamen Dingen, die Kai nicht kannte, und ich hatte ihn verloren. Vermutlich war er irgendwo hängengeblieben und irrte nun umher. Schade, dass er nicht so groß war wie ich, sonst hätte ich ihn vielleicht auf Zehenspitzen entdecken können.

»Kai?« Nervös graste ich die Gänge ab, schob übergewichtige Mütter zur Seite und quetschte mich an schreienden Kindern vorbei. In mir keimten die ersten Horrorvisionen von einem gekidnappten Kai auf, der in der Handtasche einer Omi steckte. Oder von der Supermarktfilialleiterin in den Mitarbeiterraum gezogen worden war. Auf Frauen wirkte er wahrscheinlich auch niedlich. Er musste auf alle niedlich wirken. Wie hatte ich ihn nur aus den Augen lassen können?!

»Kai!« Unruhig stellte ich einen Fuß auf den Wagen und stieß mich ab, brauste rasant durch den Laden. Ich kam an einem Opi vorbei, der wie eine umgestürzte Schildkröte auf dem Boden lag und Ausschau nach einem potentiellen Sündenbock hielt, aber ich war schnell genug vorbei, als dass er mich dafür verantwortlich machen konnte. Die waren doch alle bekloppt hier.

Dann sah ich ihn endlich.

»Kai! Was machst du denn für Sachen?«

Der Kleine klebte am Süßigkeitenregal fest. Darauf hätte ich auch selbst kommen können. Süßes fand man schließlich nur hier.

»Hat dich der Duft der Schokolade angelockt?«, fragte ich grinsend und blieb neben ihm stehen.

Fasziniert betrachtete er das Regal, ließ die Augen hin und her wandern und schien mich gar nicht wahrzunehmen. Aber er nickte. Schien sich nicht entscheiden zu können, was er nehmen sollte. Also stand er auf süßes Zeug. Das war gut, das war sehr gut! In meiner Fantasie explodierten Bilder, so viele Bilder, mit Sahne und Schokosoße und Pudding und einem nackten Engel, sogar mein Teppich spielte eine erotische Rolle. Die Zotteln mussten der Wahnsinn sein, so wie sich der hübsche Engel in meiner Vorstellung übersensibilisiert herumräkelte. Vorsichtshalber tastete ich nach meiner Nase, aber alles war noch okay, kein Blut kam raus.

Währenddessen hatte Kai den Wagen vollgeladen und strahlte mich nun an. Ich wünschte mir so sehr, er könnte Gedanken lesen und hätte so auf die Bilder in meinem Kopf reagiert, aber man konnte ja nicht alles haben. Noch nicht.

Gemächlich schritten wir Richtung Kasse, diesmal behielt ich ihn im Blick. Nur weil wir dieses Mal einer Entführung entkommen waren, hieß das nicht, dass es das nächste Mal wieder so glimpflich ablaufen würde.

»Gefällt es dir im Supermarkt?«, fragte ich ihn neugierig, als wir uns in die Schlange stellten und einen fürstlichen Sicherheitsabstand zu den beiden Omis einnahmen, die Kai mit glitzernden Augen anstarrten.

»Es ist ganz in Ordnung. Ein bisschen voll, aber interessant.«

»Also kommst du ab jetzt immer mit?«

Er nickte lächelnd. Ich schmolz weg.

»Was hältst du davon, wenn wir nachher gemütlich kochen und uns einen Film angucken?«, schlug ich vor und begann die Ware aufs Band zu legen.

»Film?«

»Ja, so bewegte Bilder im Fernsehen«, erklärte ich ihm. »Man guckt anderen Menschen zu, wie sie etwas machen.«

Er starrte mich merkwürdig an.

»Na ja. Es macht Spaß. Spannender als unser Alltag, du wirst schon sehen!«

»Den Film, mit dem du mir Sex zeigen wolltest?«

Die Münder der Omis klappten auf. Meiner aber auch. Und die Kassiererin war irgendwie rot im Gesicht, als Kai ohne Scham an ihr vorbeiging und schon mal damit begann, die Waren in die Tüte zu packen.

»Ja … die sechs Filme, die ich dir zeigen wollte«, versuchte ich uns stockend aus dieser Situation zu befreien, aber Kai schien schon wieder vergessen zu haben, weshalb er sich vorhin in der Bahn geschämt hatte. Kurzzeitig.

»Kommen da auch Penisse drin vor?«

Das war sowieso nicht mein Standard-Supermarkt. Mein Ruf war hier völlig egal. Im anderen bekam ich durch meinen Charme Rabatt, hier nicht. Von daher.

»Ganz viele. Und sie alle wollen nur in ein einziges Loch und es füllen.«

Kais Blick war verwirrt, die anderen um uns herum waren verstummt und bekamen die Futterluken nicht mehr zu. Grinsend bezahlte ich den Einkauf und spazierte genüsslich-langsam mit Kai hinaus.
 


 


 

Ein paar Stunden später stand er mit feuerroten Ohren neben mir in der Küche und schnitt Zwiebeln klein, während ich mich an einem Teig versuchte. Inzwischen hatte er das Rezept wieder vergessen und wir uns für ein hoffentlich nicht allzu kompliziertes Gericht entschieden, anhand der Zutaten fanden wir vielleicht irgendwie wieder heraus, was er hatte kochen wollen.

»Wieso hast du nichts gesagt?!«, empörte er sich gerade und schien zu überlegen, ob er mich mit dem Messer piksen sollte.

»Ich hab doch was gesagt.«

»Was auch immer du damit gemeint hast, aber du hast es nicht besser gemacht!«

Gott, war der Kleine heiß, wenn er sich aufregte. Gerötete Wangen, ein feuriger Blick und eine Stimme voller Leidenschaft. Was Kai auch tat, er tat es richtig.

»Hey, in den Supermarkt gehen wir nie wieder. Hier um die Ecke ist einer, da würde ich so etwas nicht sagen.«

»Ich hab mich blamiert.«

»Ach was.«

Diese funkelnden Augen machten mich ganz wuschig.

Grinsend zupfte ich Teigreste von meinen Fingern, oder versuchte es zumindest, und seufzte leise. »Kai, wir sehen die alle nie wieder, keiner wird sich dran erinnern, dass du das warst.«

»Und du!«

»Es ist scharf, so etwas Verbotenes in der Öffentlichkeit zu sagen.«

»Ich sag die Worte nie wieder!« Schniefend wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht. Selbst weinend sah er so unglaublich süß aus. Die Zwiebeln brannten aber auch echt eklig in den Augen.

»Das geht mir doch auch so nah.« Ich tupfte ihm ein paar Tränen weg und drückte aufmunternd seine Schulter. Begeistert war er von den scharfen Wurzeln nicht, aber er hatte sie ja unbedingt schneiden müssen.

Zurück zum Thema. Die Worte würde er vielleicht wirklich nicht noch einmal sagen, aber wenn er nach dem Porno erst mal die ganzen anderen gehört hatte, die es noch gab, würde er jedes Mal tiefrot anlaufen, wenn ich sie ihm zuflüsterte. Darauf freute ich mich jetzt schon. Ich hatte extra einen Porno mit viel Dirty Talk rausgesucht. Fand ich ja ziemlich heiß, so etwas einem Uke zuzuraunen. Und wenn Kai erst mal verdorben genug war, würde es ihm bestimmt auch gefallen. Ich hoffte es so sehr.

Mühselig rollte ich den zähen Teigklumpen aus, suchte in den Schränken nach der Tomatensoße. Wir machten tatsächlich Pizza. Mal keine aus der Tiefkühltruhe. An so etwas waren meine Geschmacksnerven gar nicht mehr gewöhnt. Meine erste Wohnung hatte ich mir mit Reita geteilt, und der hatte mich zu Fertigprodukten erzogen. Es war ein Fehler gewesen, mit ihm zusammenzuziehen. Obwohl es auch seine guten Seiten gehabt hatte. Relativ schnell hatte er Aoi kennengelernt und ihn häufig in unserer Wohnung flachgelegt. Überall, einmal sogar in meinem Bett! Ich hatte es wochenlang nicht neu bezogen, damit sie jedes Mal die Spermaflecken sahen, wenn sie mein Zimmer betraten. Hach ja. Das waren noch Zeiten gewesen. Live und in Stereo. Ich hatte sogar noch irgendwo Fotos, von denen sie nichts wussten. War auch besser so. Nur schade, dass sie mich irgendwann rausgeschmissen hatten, dabei war es im Grunde meine Wohnung gewesen! Aber gut, für seine Freunde tat man doch vieles. Dafür schneite ich jetzt noch oft genug vorbei. Und die sollten sich bloß nicht beschweren, dass ich immer beim Sex störte. Die vögelten zu viel! Konnte ich doch nichts für. Für mich war es doch auch Folter, das immer mitansehen zu müssen, aber selbst niemanden zu haben.

Mit ekligen Geräuschen entleerte sich die Dose über dem Teig und ich verstrich die rote Pampe. Mein Blick lag dabei aber eher auf Kais Po. Der war aber auch hübsch. Viel schöner als Aois. Viel, viel schöner! Jetzt hatten die mal neidisch zu sein! So!

»Was kommt denn alles drauf?«

»Sahne und Puddingkleckse.« Oh ja, die würden Kais Pobacken wirklich gut stehen!

»Auf die Pizza?!«

Oh.

»Ähm. Was haben wir denn so da?« Ich riss meinen Blick bedauernd los und konzentrierte mich wieder auf unsere Pizza und den wild verschmierten Teig, den ich da gerade fabrizierte.

»Hmm. Wir haben eine ganze Menge da. Zwiebeln wollten wir ja draufmachen, die hab ich fertig in Ringe geschnitten. Da sind noch verschiedene Dosen im Schrank mit Fischen drauf. Und Mehl. Schokolade auch. Und die Eier. So etwas Grünes liegt hier auch noch …«

Mein Blick heftete sich gegen meinen Willen wieder auf Kais Po. Der war nackt, ich konnte wirklich nichts dafür! Kai mochte Kleidung in der Wohnung nicht so, fühlte sich dadurch ungewohnt eingeengt, deswegen trug er nur noch mein zu großes Hemd und untenrum nichts. Und da der Kleine sich gerade streckte und den Hängeschrank durchwühlte, war es so hoch gerutscht, dass ich eine fatale Aussicht hatte.

»Du hast da was Rotes im Gesicht«, teilte er mir mit, als er sich wieder umdrehte und ich nur noch seine verhüllte Vorderseite sehen konnte.

»Rot?!« Hektisch fasste ich an meine Nase. Tatsächlich. Oh Gott. Aber es roch nach Tomaten. Wohl nur die Soße. Aber Blut hätte mich nicht gewundert. An jedem Märchen steckte irgendwas Wahres dran, der Erfinder dieses Gerüchts musste Kai gekannt haben!

»Was hast du ständig mit deiner Nase? Juckt sie?«, fragte der Verursacher all meiner unmöglichen Probleme und sah mich stirnrunzelnd an.

»Ja, hin und wieder«, blubberte ich vor mich hin. Unkonzentriert zerhackte ich den Brokkoli, den er mir reichte, versuchte mich auf die Pizza zu konzentrieren. Beim Kochen durfte man sich nicht ablenken lassen, sonst würde es wieder verkohlte Pappe zu essen geben. Nicht ablenken lassen. Das konnte nicht so schwer sein. Mit Kai direkt neben mir. So nah, dass ich seine Wärme spüren konnte. Den ganzen Tag über war er eiskalt gewesen, aber jetzt strahlte er wieder Wärme aus. Er schien sich wohlzufühlen. Hatte er mir erklärt. Wenn das so war, wurde sein Körper ganz warm. Sehr oft kam das nicht vor, eigentlich nur, wenn wir allein waren und er mir nah, so wie jetzt. Und heute Morgen war er auch warm gewesen, als er neben mir auf dem Teppich geschlafen hatte. Ich hoffte irgendwie, dass ihm auf dem Sofa kalt gewesen und er deswegen zu mir gekommen war. Und dass er immer wieder ganz nah an mich herankam, damit ich ihn wärmte und er sich mollig wohl fühlte. Kai sollte glücklich sein bei mir.

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

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| zehn |
 

Kai war eiskalt, obwohl er ganz dicht neben mir stand und sogar eine Hand in meinen Pullover gekrallt hatte, fast schon in mich hineinkroch. Er zitterte auch ein wenig und schien Angst zu haben. Aber irgendwie wunderte mich das gar nicht.

Wir standen im Flur, hatten eben die Tür geöffnet und standen nun vier neugierigen Fremden – zumindest für Kai fremd – gegenüber, die ihn mit aufgeblähten Nasenlöchern und glitzernden Augen anstarrten.

»Ich freue mich auch, euch alle zu sehen.« Schnaubend rupfte ich sie nacheinander in den Flur, schloss die Tür wieder und sah mich nach dem Kleinen um. Wo war er denn?

»Ist er das?«, fragte Reita und zeigte hinter mich.

Sanft zog ich Kai hervor, legte beschützend einen Arm um ihn und nickte. »Das ist Kai, mein neuer Mitbewohner und Freund.«

»Freund oder Freund?«, wollte Ruki mit hochgezogener Augenbraue wissen.

Ich küsste ihn einfach. Also Kai. Ruki würde mir mehrere Zähne ausschlagen, wenn ich es bei ihm auch nur versuchte. Der verstand einfach keinen Spaß. Shou knutschte mit, wenn ich es bei ihm tat, bis sein Giftzwerg ihn auf die Toilette zerrte. Allein schon wegen dem danach folgenden Stöhnkonzert tat ich es immer wieder. Aber wehe, die versuchten das bei Kai, das ging doch wirklich nicht! Das war ja was ganz anderes!

»Du hast wirklich einen festen Partner? Dass ich das noch erlebe«, grinste Reita und betrachtete mein Zuckersternchen von oben bis unten wie ein Ausstellungsstück. Ich spürte, wie unwohl er sich fühlte und immer kälter wurde. Diese Idioten machten es ihm auch wirklich nicht leicht!

»Schön, dich kennenzulernen«, rettete wenigstens Aoi noch den Status der Freundschaft und streckte Kai seine Hand entgegen. Der Kleine beäugte sie verwirrt, streckte seine eigene dann zögerlich aus und ergriff sie. Aoi zuckte sichtlich zusammen, vermutlich aufgrund der Kälte, sagte aber nichts, sondern lächelte nur freundlich. Wahrscheinlich hielt er es für Nervosität und Aufregung. Irgendwie war es das ja auch.

»Hat er dich mit Sex dazu gebracht, hier mitzuspielen? Der hatte noch nie was Festeres als seine Zahnspange damals«, grinste Reita breit und trat näher. Ein Fehler. Aoi nahm sich seinen linken, ich mir seinen rechten Fuß vor und gemeinsam traten wir sie zu Brei.

»Auaaa!«

»Geschieht dir recht!«

»Aber Aoi!«

»Was soll Kai denn für einen Eindruck von uns bekommen?«

Das rüttelte sie endlich alle wach. Brav stellten sie sich vor, starrten meinen Engel nicht mehr allzu lüstern an und begaben sich brabbelnd schon mal ins Wohnzimmer, voller Vorfreude auf den Film und Kai, ich sah es ihnen an. Mit diesem ging ich lieber erst mal in die Küche, um das Futter aus dem Ofen zu holen und ihm ein bisschen Ruhe zu gönnen.

»Tut mir leid, dass das eben so unschön war«, seufzte ich und wuschelte ihm durch die Haare, als er konzentriert die Pizza in gleichgroße Stücke teilte.

»Macht doch nichts«, sagte er mit etwas zu hoher Stimme, schien noch immer ein wenig nervös zu sein. Hoffentlich ging das gut heute.

Es war Nachmittag, Kai stand flügellos neben mir und war vollständig bekleidet. Na gut, er trug keine Socken. Vorsichtshalber. Reita war viel zu sehr auf Details versessen.

Mir war ein Stein vom Herzen gefallen, als Ruki sich heute Morgen gemeldet und gefragt hatte, ob wir den Filmabend nicht auf den Nachmittag vorverlegen könnten, da er und Shou am Abend keine Zeit hätten, aber unbedingt vorbeikommen wollten. So blieb uns wenigstens erspart, uns irgendetwas wegen den Flügeln zu überlegen. Kai wollte nicht direkt am ersten Tag schon erzählen, wo er herkam und dass er eigentlich gar kein Mensch war, sondern erst mal alle kennenlernen. Das konnte ich gut verstehen. Sobald sie erfuhren, dass er ein Engel war, würde der Film uninteressant werden und nur noch Kai im Mittelpunkt stehen. Er wollte sich lieber erst an alle gewöhnen und es ruhiger angehen lassen. War völlig okay. Ich war schon glücklich, dass er so schnell einem Treffen zugestimmt hatte. Im Moment trat ich mir gedanklich selbst in den Hintern, ihn jetzt schon diesen Chaoten zum Fraß vorzuwerfen.

Ich schnappte mir zwei Teller, drückte einen Kai in die Hand und schob ihn in den Flur. »Wir sichern uns jetzt die besten Plätze im Wohnzimmer.« Denn wie ich die anderen kannte, hopsten die nämlich schon fröhlich über das Sofa und hatten sich die schönsten Ecken gesichert. Aber nicht in meiner Wohnung!

»Essen steht in der Küche!«, rief ich in den Raum hinein, drückte dann Kai flach an die Wand. Mit einem lauten Gejubel und Gejohle rasten vier Kleinkinder an uns vorbei und kloppten sich am Ziel angekommen deutlich hörbar um die vermeintlich größeren Stücke.

»Ich will den Teller!«

»Nein, das ist meiner!«

»Aus dem Weg!«

»Halt du dich zurück!«

»Das sagst ausgerechnet du!«

»Wer hat denn hier Speck am Bauch?«

»Lass meinen Bauch in Ruhe und gib das endlich her!«

»Niemals!«

Ich seufzte. »Na los, setzen wir uns.«

Wenigstens Kai konnte darüber lachen. Grinsend folgte er mir ins Wohnzimmer. Ich überließ ihm die Platzsuche und legte schon mal den ausgesuchten Film ein, bevor ich zum Sofa trat. Er hatte sich ganz in die Ecke gedrückt und küsste zufrieden meine Wange, als ich mich nah neben ihn setzte. Er war schon ein Süßer.

»Dieser blöde Wicht hat sich das größte Stück genommen! Dabei ist er der Kleinste von uns!« Schmollend kam Reita ins Wohnzimmer, ließ sich auf dem Sessel neben Kai nieder und betrachtete ihn unverhohlen. Ich warf ihm einen Todesblick zu, bis er eingeschüchtert wegsah.

»Heul nicht rum, sei froh, dass du überhaupt was hast. Ruki muss noch groß und stark werden.«

»Das hab ich gehört!« Mit funkelnden Augen ließ der Kleinste von uns sich neben mir nieder und zerrte Shou an seine Seite. Es wurde etwas eng auf dem Sofa, aber Kai schien sich noch nicht allzu bedrängt zu fühlen. Ganz im Gegenteil, er schmiegte sich an mich.

Murrend kam nun auch Aoi ins Wohnzimmer, machte es sich auf Reitas Schoß gemütlich. Offensichtlich hatte er den Kampf verloren, nur ein halbes Stück Pizza lag auf seinem Teller.

»Hier.« Mein Engel verfrachtete die Hälfte von seiner Ladung hinüber zu Aoi und strahlte ihn an. »Damit du keinen Hunger mehr hast. Der tut doch weh.«

Plötzlich herrschte die Atmosphäre eines Löwenkäfigs im Raum. Ruki, Shou, und Reita starrten Kai wieder mit glitzernden Augen an, man rückte mir auf die Pelle und auf der anderen Seite versuchte man an Aois Teller zu kommen.

»Jungs! Der gehört mir, lasst ihn in Ruhe! Und Reita, lass ihm sein Essen!«, zischte ich sie an und schlang die Arme um die Beute, die noch gar nicht wirklich verstand, wieso alle so guckten.

»Komm schon, nur mal ausleihen.«

»Ja, ein paar Monate, mehr nicht.«

»Er kann richtig kochen!«

»So was Süßes kannst du doch nicht für dich alleine wollen!«

»Hey!«

»Du bist auch süß, Shou-chan.«

»Ja, kümmere dich um deinen Shou-chan!«

»Und du dich um Aoi!«

»Willst du Ärger?!«

»Wieso eigentlich nicht?!«

Normalerweise würde ich bei so einem alltäglichen Streit nur die Augen verdrehen und in Ruhe die Pizza von allen aufessen, solange sie abgelenkt waren, aber Kai quetschte sich zitternd an mich und war eiskalt. So etwas kannte er nicht.

»Ganz ruhig, die beruhigen sich gleich wieder«, wisperte ich ihm zu und strich sanft durch seinen Nacken. »Das kommt ständig vor, hat nichts zu bedeuten.«

»Aber sie streiten sich doch.«

»Ein bisschen Gepiesacke unter Freunden.«

»Ach ja? Lass du doch Reita in Ruhe!«

»Wieso sollte ich? Er hat doch angefangen!«

»Dann kannst du auch aufhören!«

Und ausgerechnet Reita war es, der unglücklich zu Kai und mir sah, sich unter Aois Schoß hervorwühlte und sich auf meinen setzte. »Die sind viel zu laut.«

Irgendwie erinnerte er mich mit seinem Verhalten manchmal an Kai. Aber er war ganz bestimmt kein Engel, das hätte ich in all den Jahren bemerkt. Reita war halt anders.

Tröstend kraulte ich seinen Rücken, bis er wieder fröhlicher war, und beobachtete wachsam, wie er sich Kai annäherte. Er streckte die Hand aus, pikte dem Kleinen in die Handinnenfläche und lächelte, als dieser reflexartig den Finger umschloss. Damit war die Freundschaft besiegelt. Wie gesagt, Reita war halt anders.

»Und jetzt gehst du wieder zu Aoi und zerquetschst mir nicht mehr die Beine!«, schob ich ihn rabiat von mir und griff nach meinem Teller auf dem Tisch, bevor sich den noch jemand anderes schnappte.

Reita saß inzwischen neben Aoi, der nicht besonders glücklich darüber aussah. So schmal die beiden auch waren, der Sessel war nun mal nur für eine Person gedacht.

»Hier.« Aoi platzierte umständlich eine Serviette auf Reitas Brust und stopfte sie am Kragen fest.

»Wozu das denn?«

»Die schützt dich.«

»Vor was, vor einem Bombenangriff?«

»Vor dir selbst!«

Kai gluckste.

Das Eis war definitiv gebrochen.
 

Der Nachmittag verlief verhältnismäßig gesittet. Während des Verputzens der Pizza fragten sie uns ein wenig aus, woher Kai kam und wie wir uns kennengelernt hatten. Ich erzählte ihnen die halbe Wahrheit. Dass ich ihn auf dem Weg nach Hause gefunden hätte, wie er allein und frierend im Regen saß, ihn mitgenommen hätte, damit sich kein Perverser an ihm vergriff. Auf die Frage, wieso er eine Weile einfach so bei mir wohnte, antworteten wir nur, dass Kai sich im Moment nicht so gut mit seinen Mitbewohnern verstand und solange hier schlafen durfte. Im Grunde stimmte das ja auch, es fehlten nur ein paar Details.

Der Actionfilm, den Reita mit erstaunlich gutem Geschmack ausgesucht hatte, stieß auf allgemeine Begeisterung, auch Kai war ganz gefangen von der Handlung und wandte den Blick nicht ein einziges Mal vom Fernseher ab. Nicht mal, als ich ihn küssen wollte. Frechheit.

Von Ruki und Shou sah man nach dem Beginn des Films nicht mehr viel, recht zügig waren sie im Bad verschwunden und blieben dort auch ziemlich lange. Ich hoffte einfach mal, dass der Zwerg neidisch war und sofort Shou hatte vernaschen müssen, weil Kai viel toller war, aber die Hoffnung war vermutlich eher vergebens, wenn ich so an Shous Beine dachte. Ruki war auch nur auf diese Beine fixiert. Wehe, der hatte wieder mein Gleitgel aufgebraucht, um die kompletten Dinger damit einzureiben! Ich hatte doch wirklich versaute Freunde.

Nun ging es langsam auf den Abend zu, Ruki und Shou hatten sich verabschiedet und es war viel zu gemütlich, um den Rest auch schon rauszuwerfen. Der zweite Film von Reitas DVD lullte uns ein, diesmal deutlich langweiliger. Scheinbar hatte er mehrere auf die Scheibe gebrannt.

Ich döste zufrieden vor mich hin, saß mittlerweile ganz außen auf dem Sofa, ein schläfriger Kai neben mir und auf der anderen Seite Aoi, Reita schnarchte leise und eingerollt auf dem Sessel.

»Du bist so schön warm«, nuschelte Aoi und schmiegte sich an den Süßen in unserer Mitte, ich folgte seinem Beispiel. Kai war inzwischen wirklich ganz warm, schien sich wohlzufühlen und meine Freunde zu mögen. Damit waren sie ab heute auch seine, ob er wollte oder nicht.

»Jetzt wird's interessant«, gluckste es plötzlich auf der anderen Seite und träge sah ich doch mal wieder zum Fernseher. Sofort wurde ich munterer. Oh ja, ein Porno war wirklich interessanter.

»Wieso hat er da Pornos drauf?«, fragte ich grinsend und rüttelte Kai wach, der schon fast schlief. Das durfte er doch nicht verpassen!

»Ich bin mir sicher, dass er nicht wollte, dass wir den sehen. Er hat nur an den ersten Film gedacht. Deswegen darf ich also nicht an seine Filmsammlung. Und mir sagt er, er guckt so was nicht!«

Ja, das konnte ich mir gut vorstellen. Genüsslich griff ich nach Fernbedienung und drehte den Ton ein wenig lauter. »Wenn Reita jetzt aufwacht, gibt's Tote.«

Aoi schnaubte nur, machte es sich bequemer. Und Kai sank verlegen in sich zusammen, als die nackten Kerle vor uns zu stöhnen begannen. Er hatte auch allen Grund dazu. Der Porno war heißer als der, den wir uns angesehen hatten. Nicht so zurückhaltend und lasch. Verschwitzt und geil pressten die Darsteller sich aneinander, packten sich lüstern an Arsch und Eier.

»Hat es dir eigentlich gefallen, wie ich dich letztes Mal dabei angefasst habe?«, raunte ich leise in Kais Ohr, damit nur er mich hörte. »Wie ich meine Hand um deinen Schwanz gelegt habe …«

Er war feuerrot im Gesicht und schluckte schwer.

Grinsend beugte ich mich vor, tastete nach der weggeworfenen Fernbedienung, um das Stöhnen noch ein bisschen lauter zu machen. Aber so weit kam ich gar nicht mehr.

Kaum hatte ich mich nach vorn gelehnt und war damit aus der Schusslinie, wimmerte Kai plötzlich auf, gefolgt von einem dumpfen Schlag und einem Keuchen seitens Aoi. Verdattert drehte ich mich um. Anhand der Geräusche hätte ich ja viel erwartet, sogar meinen besten Freund, der meinen festen Freund unsittlich berührte, aber was ich da sah, ließ meine Kinnlade nach unten fallen.

Kai sah mich erschrocken an. Er saß halbnackt da, der Pullover zerfetzt, die weißen Schwingen ausgebreitet. Aoi lag reglos neben ihm, gab keinen Mucks mehr von sich. Mein Engel war nun mal umwerfend.

»Was …«, versuchte ich zu erfahren, was da hinter mir passiert war, aber Kai weinte fast und brauchte erst mal Trost. »Es ist doch noch gar nicht richtig dunkel«, stellte ich verwirrt fest und drückte den Kleinen an mich, der mich mit einem so furchtbar schlechten Gewissen ansah, dass es mir auch schon ganz schlecht ging.

»Ich wollte das nicht«, flüsterte er, löste sich wieder und stupste Aoi an, der noch immer weg war. »Irgendwie musste ich daran denken, wie du … mich … Und dann war mir ganz heiß und plötzlich kamen sie raus.«

Kai hatte einen Ständer. Und Flügel. Hatte er nicht seltsamerweise beim Duschen auch welche gehabt, obwohl es draußen hell gewesen war?

»Kriegst du die Flügel, wenn du erregt bist?«

»Hm?«

Ungeniert packte ich in seinen Schritt und drückte zu. Er stöhnte auf, krallte sich in meine Hand zerrte sie weg. Das genügte mir als Antwort. Irgendwie war das ja schon scharf. Er wurde äußerlich unschuldiger, sobald er an dreckige Dinge dachte. Und einen Harten bekam. Dieses Ferkel.

»Hab ihm sehr wehgetan?«, fragte er mit dünner Stimme, als ich mich über Aoi beugte und nach seinem Puls tastete.

»Nein, keine Angst. Er schläft nur ein bisschen, ist wohl sehr müde.«

»Weiß er es jetzt?«

»Na ja, so direkt nicht, aber er wird wissen wollen, was ihn da getroffen hat.«

Kai sah geknickt nach unten.

»Hey, ist doch nicht schlimm, das kann jedem mal passieren.«

»Hat ja auch jeder Flügel.«

»Für die Witze bin ich zuständig«, grinste ich und küsste ihn sanft. Vielleicht war ein bisschen Ruhe nicht schlecht nach diesem ereignisreichen Tag, deswegen schlug ich vor: »Leg dich hin und schlaf ein bisschen, es ist eh schon spät. Ich kümmere mich um ihn, wenn er aufwacht, okay?«

»Sagst du ihm, was ich bin?«

Ich seufzte. »Er ist mein bester Freund, ich kann ihn nicht anlügen. Darf ich denn?«

Kai nickte zögerlich.

»Wirklich?«

Er lächelte, drückte mir seine wundervollen Lippen auf und ließ mich fast auf Aoi sinken. Dass er weg war, bemerkte ich erst eine ganze Weile später. Wieso konnte er so unverschämt gut küssen?!

»Hrrm …«

Ich beugte mich über Aoi, aber er schlief noch immer. Mehr oder weniger. Seufzend wuchtete ich ihn etwas bequemer aufs Sofa, hoffte, dass Reita nicht vor ihm erwachte und machte es mir wieder gemütlich, legte einen Arm um ihn. So sah er wenigstens nicht ganz so leblos aus.

Vorsichtshalber schaltete ich den Porno ab und zog mir eine langweilige Kochsendung rein, stellte mir Kai nur in einer Schürze in meiner Küche vor. Am besten Pudding oder so was kochend, dann würde ich erst ihn vernaschen, dann den Pudding auf ihm und dann zum Nachtisch noch Uke pur. Oh ja, das würde mir gefallen.

»Ru …?«

»Wieder wach?« Ich patschte Aoi ein paarmal auf die Backen, damit es schneller ging.

»Lass das!«, murrte er und richtete sich langsam auf, hielt sich den Kopf. »Wieso …?«

»Na ja, ich mag das Geräusch.« Zum Beweis klatschte ich strahlend noch ein paarmal drauf herum. Der nächste Schlag war deutlich härter und traf meine Stirn. »Au!«

»Kommt davon«, brummte Aoi und sah sich um. »Wieso war ich weg? Wo ist Kai? Und was hat er mit mir gemacht?«

»So viele Fragen auf einmal.«

»Uruha!«

»Das darfst du jetzt nicht falsch verstehen.«

»Er hasst mich.«

»Nein!«

Stirnrunzelnd sammelte Aoi einen Fetzen seines ehemaligen Pullovers auf.

»Hey, der war sowieso hässlich«, versuchte ich ihn nervös-schwitzend zu beruhigen, bekam direkt noch eine verpasst. »Du bist wirklich gemein!«

»Sag schon, was ist passiert? Irgendwas stimmt doch hier nicht. Kai war so unruhig.«

»Er war erregt.«

»Wegen mir?!«

»Ich hoffe doch nicht!«

»Uruha!«

Ich wand mich hin und her.

»Raus damit! Ich wollte es nicht vor den anderen sagen, aber irgendwie ist Kai komisch.«

»Hast du dir Reita mal angesehen?!«

Automatisch glitten unsere Blicke zu Besagtem, der sabbernd, schnarchend und seltsam verknotet dalag und Haare in seine Nase eingesaugt hatte. Aois Blick wurde ganz weich. Beängstigend.

»Kai hat irgendetwas an sich. Er strahlt etwas aus, das ich nicht benennen kann. Reita hat es auch gemerkt. Irgendetwas, das ihn fremd macht.«

»Magst du ihn?«, fragte ich leise, sah ihn unsicher an.

»Ja, sogar sehr. Kai ist wirklich nett und scheint dir gut zu tun. Und du ihm. Ihr passt gut zusammen.«

»Glaubst du mir, egal was ich dir erzähle?«

»Solange du mich nicht verarschst.«

»Kai ist ein Engel.«

»Ja, das ist er wirklich.«

»Nein, ich meine, er ist ein echter Engel. Er ist vom Himmel gefallen und ich habe ihn mitgenommen, als ich ihn gefunden habe. Das, was dich da eben getroffen hat, waren seine Flügel.«



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Kommentare zu dieser Fanfic (23)
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Von:  Soraleya
2015-05-12T21:25:43+00:00 12.05.2015 23:25
Oh mein Gott deine ff Is so geil, hab soviel lachen müssen, hoff du schreibst bald weiter LG
Von:  Morumotto
2014-11-21T23:56:17+00:00 22.11.2014 00:56
warum schläft reita noch und wo zum teufen sind ruki und shou??
lg moru
Von: abgemeldet
2014-11-21T16:42:06+00:00 21.11.2014 17:42
geiles kapitel mehr brauch ich gar nicht sagen XD

LG kai
Von:  NatsUruha
2014-11-21T15:32:00+00:00 21.11.2014 16:32
Aoi.. wird Uru in die Klappse stecken :'D
Von: abgemeldet
2014-10-23T03:57:11+00:00 23.10.2014 05:57
ich bin kein freund der großen worte
also kurz und knackig

Geil einfach geil
Antwort von: abgemeldet
18.11.2014 10:55
Was Kurzes sagt ja auch schon eine Menge aus xD
Danke ^^
Von:  Kai_theGazettE
2014-10-21T20:12:44+00:00 21.10.2014 22:12
Ich bin begeistert :) 100 Punkte
Antwort von: abgemeldet
18.11.2014 10:55
Dankeee ^~^
Von:  Morumotto
2014-10-21T19:11:27+00:00 21.10.2014 21:11
ok wenn Urus Freunde am Abend kommen wie machen die das mit dem Flügeln?
aber niedlich sind die beiden auch wenn es teil ein wenig pervers ist wegen Uru, aber weil die so niedlich ist fällt es eigl. überhaupt nicht auf!
lg moru
Antwort von: abgemeldet
18.11.2014 10:55
Das Problem löst sich im nächsten Kapitel *^*
Kai sorgt für ein bisschen Ausgleich, dann wirkt Uruha nicht mehr ganz so ferkelig xD
Von:  Morumotto
2014-10-11T23:42:12+00:00 12.10.2014 01:42
whaaa ich mag die FF so Kai ist einfach Zucker!!!
ich mag Kai einfach und und und... Reita war auch cool, obwohl er nur ganz wenig vor kommt/kam und so gut wie nichts gesagt hat trotzdem!
auf den video Abend freue ich mich auch schon sehr. Sag mal welchen Wochentag haben die Momentan überhaupt?
weist du ich will ja eigl, dass Kai gar nicht wieder zurück darf, weil er gesündigt hat, dann währen alle Probleme gelöst <3
lg moru
Antwort von: abgemeldet
19.10.2014 13:30
Danke für deinen Kommi ^.^
Das mit dem Wochentag frag ich mich jetzt auch und weiß es gar nicht mehr so genau, die FF ist schon etwas älter und ich lad die im Moment nur hoch ^^" Im nächsten Kapitel müsste eigentlich Freitag sein.
Jaaa, das wäre die beste Lösung *-*
Von:  Kai_theGazettE
2014-10-09T17:57:19+00:00 09.10.2014 19:57
HOTT!!!!!!!!!!!!!!!!
Von:  Kai_theGazettE
2014-09-26T15:43:46+00:00 26.09.2014 17:43
*kicher*
Das Kapitel ist wieder sehr gut geworden. Und jezt wo du es sagst,-von dieser Seite habe ich den Supermarkt noch gar nicht gesehen.....

Mach weiter so!
Antwort von: abgemeldet
07.10.2014 17:52
Supermärkte werden viel zu sehr unterschätzt °^°
Es hat auf jeden Fall ein eher positives Ende, das kann ich schon mal sagen. Davor passiert noch so einiges ^^


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