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Peaks

Wir Haben Es Immer Auf Die Spitze Getrieben
von

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Echelon - Ebene Ohne Befehlsgewalt

Nein! Gott, nein! Das konnte nicht sein.
 

Das war nicht möglich.
 

Es durfte nicht...
 

Er schaute in das schmale, farblose Gesicht und sein Herz setzte aus. Sie? Wie konnte sie hier sein? Wieso lag sie hier so?

Wach auf! Wach doch auf!Öffne die Augen und sieh mich an! Bitte!
 

Er war unfähig, sich zu bewegen und fixierte völlig abwesend den Körper. Zusammengekrümmt lag dieser auf dem schmutzigen Boden, regte sich nicht, schien nicht einmal zu atmen. Nein!
 

„Killer...“, brachte er keuchend hervor. „Sag mir, dass sie das nicht ist!“
 

Seine Stimme war flehend und leise. Ebenso gebrochen wie die, die zur Antwort ansetzte.
 

„Sie ist es, Captain.“
 

Vier Worte, die seine Welt erschütterten. Ihn von den Füßen rissen und alle Gedanken in seinem Hirn mit einem Schlag auslöschten. Nur das vehemente, sich weigernde 'Nein!' blieb übrig. Stieß die Wahrheit vor seinen Augen von sich und wollte sie nicht akzeptieren. Es war einfach unmöglich.

Zu grausam, zu hart, als dass es real sein konnte.
 

So lange hatte er sie nicht gesehen, sie vermisst, sie ersehnt, jeden einzelnen Tag und nun war sie tot? Nein! Warum hasste das Leben ihn so? Warum tat es ihm das hier an?
 

„Sie lebt.“
 

Killers Satz verhallte zunächst ungehört zwischen den stummen Zeugen der Bäume und Wolken. Er nahm die Hand, die er ihr prüfend vor Mund und Nase gehalten hatte, wieder fort. Kaum spürbarer, flacher Atem war daran vorbei gestrichen. Sein Begleiter regte sich.
 

„Was?“, fragte er verständnislos und hob den schmerzerfüllten Blick mühevoll von der Kleinen.
 

„Sie lebt!“, wiederholte der Blonde eindringlich.
 

Jetzt begriff sein Captain sichtbar. Seine Gesichtszüge entglitten ihm, der dunkle Mund blieb offen stehen und die goldenen Iriden bohrten sich in seine Haut.
 

„Was?“, Kids Stimme ließ donnernd die gleichen Worte wie vorher vernehmen, aber in gänzlich anderem Tonfall. Sekundenlang starrte er ihn an, bevor er erneut anhob zu sprechen. Dann kam es gedrängt zwischen seinen Lippen hervor. „Und was stimmt nicht mit ihr?“
 

„Ich hab keine Ahnung.“
 

Killers Blick wanderte über den Körper der jungen Frau. Nirgendwo Blut oder Wunden. Augenscheinlich war sie in bester Verfassung. Wenn sie nur nicht auf dem Boden gelegen und kaum noch Lebenszeichen gezeigt hätte. Die Miene seines Bosses verhärtete sich und fokussierte ihn streng und fordernd. Es wurde eine Einschätzung von ihm verlangt, aber sofort. Es war dringend. Ging um Leben und Tod. Und um die Welt seines Captains.
 

„Sie krepiert, Killer!“, rief dieser aufgeregt, ja regelrecht aufgelöst aus.
 

Was sollte er schon dagegen tun können?, fragte sich der Blonde nicht minder verzweifelt. Ihm lag das Mädchen ebenso am Herzen, aber er hatte keinen Schimmer, was ihr fehlte und wie er das Problem lösen sollte. Kid war jedenfalls keine große Hilfe, wie er so total neben sich dahockte. Aber wer wollte es ihm verdenken? Das erste Mal seit über zwei Jahren, dass er die Frau wiedersah, in die er sich damals verliebt hatte und nun...endete ihr Leben vor seinen Augen? Das war hart. Mehr als das, es war die ganze Macht des Schicksals geballt und auf den Rothaarigen projiziert.
 

Mit einem Kopfschütteln besann sich der Massakersoldat des Hier und Jetzt und erinnerte sich an die Grundlagen der Ersten Hilfe, die er sich einmal eingeprägt hatte. Er musste sofort und unter allen Umständen besonnen reagieren, denn sein Captain konnte das gerade nicht. Es hing an ihm. Alles.

Nervös hielt er noch einmal die Hand vor das Gesicht der Kleinen. Atmete erleichtert auf: Immer noch ein schwacher, aber stetiger Luftzug. Noch lebte sie. Er drückte zwei Finger flach an ihren Hals knapp unter dem Kieferknochen. Puls. Zart, schnell, kämpfend. Oh oh. Was noch?

Intuitiv umfasste er ihr Kinn und ihren Hinterkopf und öffnete den Mund. Schaute kontrollierend hinein. Nichts, was den Hals und damit die Atemwege versperrte. Alles frei. Aber...dieser Geruch, diese Farbe.
 

Misstrauisch schaute er auf, traf den Blick des Feuerschopfes, der besorgt und angespannt seine Bewegungen verfolgte. Das stumme Zeichen verstand und ebenfalls ein Auge in den Rachen der Kleinen warf. Alles war lila und rot. Nicht fleischfarben wie es hätte sein sollen. Und es roch seltsam. Süßlich und metallisch. Blut war deutlich auszumachen, sowohl an optischen als auch an olfaktorischen Eindrücken. Sie hatte also innere Verletzungen, Blutungen in den Organen.

Oh Shit. Und diese andere Note, dieser regelrecht übertrieben süße Gestank, was war das?

Es musste das violette Zeug sein.
 

„Gift“, kam tonlos die erste Vermutung unter der Maske des Vize hervor.
 

„Fuck“, murmelte Kid.
 

Gegen äußere Wunden, ja, da gab es verlässliche Heilung, das wusste er selbst nur allzu gut. Aber wie ging man gegen eine Substanz vor, die längst im Körper war und zu wüten angefangen hatte? Da kannte er nur eine Sache. Er sah noch einmal in den Mund der jungen Frau. Keine Verätzungen. Also war es keine Säure. Gut. Sofort schob er seine Arme unter ihren Kopf und ihre Kniekehlen.
 

„Zum Meer“, seine Worte an den Nakama waren gleichzeitig Information und Aufforderung.
 

Der Klingenkämpfer begriff und nickte. War überrascht von Kids plötzlicher Umsicht und Klarheit. Scheinbar hatte der Muskelberg seine Beklemmung und Angst beiseite geräumt und seine Gefühle zur Motivation werden lassen. War jetzt bereit, mit aller erdenklicher Kraft um das Leben der Kleinen zu kämpfen und damit zu erhalten, was er liebte. Jedenfalls sprintete er mit unerreichbarer Geschwindigkeit auf die azurblau glitzernde Oberfläche in geringer Entfernung zu. Hetzte die Küste Richtung Schiff entlang, bis sich ein geeigneter Ort fand, die junge Frau in unmittelbarer Nähe zum Wasser niederzulegen. Sanft setzte er ihren Körper auf dem weichen, weißen Sand ab und öffnete ihren Mund. Sie verharrte ohne Regung in der eingestellten Position, bewusstlos und starr wie eine Puppe. Es schmerzte, sie so zu sehen, aber der Captain ließ sich nichts anmerken. Forderte seinen Vize still auf, ihm zu helfen und so schöpften sie beide salziges Meerwasser in ihren Rachen. Zwangen sie durch Anheben des Kopfes zum Schlucken, bis sie eine gewaltige Menge der Übelkeit erregenden, salzigen Flüssigkeit intus hatte. Für einige quälende Momente geschah nichts.
 

Dann Erlösung.
 

Sie hustete.
 

Entwand sich Kids Händen und drehte sich auf die Seite. Ohne die Augen zu öffnen oder wirklich wieder ganz bei sich zu sein, kauerte sie sich auf alle Viere und begann zu würgen. Den ganzen Leib anzuspannen und dem widerlichen Zeug, das sich ihre Speiseröhre hinauf drängte, den Weg zu bereiten. Es kam. Nach Röcheln und etlichen abstoßenden, kehligen Lauten spülte das aufsteigende Salzwasser den von den Lippen tropfenden Speichel fort und ergoss sich in großen Mengen auf den Sand. Sie kotzte die gesamte Flüssigkeit, die die Männer ihr eingeholfen hatten, sauber wieder aus. Nach endlosen Minuten, in denen sie stumm beim Übergeben beobachtet wurde, zeigten sich erste violette Schlieren im Erbrochenen. Die mitleidigen, angespannten Zuschauer atmeten erleichtert auf. Das Zeug kam endlich raus.
 

Dem Mädchen aber blieb keine Sekunde zum Entspannen. Unablässig beförderte ihr gepeinigter Körper weiteren Mageninhalt ans Tageslicht, den sie, ohne zu sehen, zu hören oder irgendetwas sonst wahrzunehmen einfach hervor würgte. Es war nicht viel Lila, das gnädig von der feinkörnigen Erde aufgesogen wurde. Eine Tasse voll vielleicht, doch deshalb nicht minder gefährlich. Was war das? Wieso hatte sie es getrunken? Wollte sie sich umbringen?
 

Nur drei der verzehrenden Fragen, die den wortlosen Männern in den Köpfen herum geisterten, während die junge Frau anfing, stärker zu kämpfen. Es kam jetzt fast nichts mehr, aber sie schien noch nicht fertig. Da war noch etwas, das raus musste. Sie krümmte sich erbärmlich, sammelte alle Kraft, um den Krämpfen ihres Leibes standzuhalten und ihn zu retten. Hustete erst heftig und irgendwie feucht, schien sich dann zu verschlucken und brachte schließlich etwas Klumpiges hervor. Rote, zähe Flüssigkeit mit fleischfarbenen, runzligen Fetzen darin. Was zur Hölle...? Der Rothaarige und sein Vize rissen erschrocken die Augen auf.
 

„Da kann doch unmöglich noch was Festes drin sein“, merkte der Größere völlig perplex an.
 

Sein Begleiter nickte und wollte etwas erwidern, doch seine Stimme versagte. Er räusperte sich und antwortete schließlich mit unheilvollem Ton.
 

„Das ist auch kein Mageninhalt. Das ist Magen...“
 

~

Der Sand war nicht mehr in Lage, noch weitere Flüssigkeit aufzusaugen und so blieb das Blut mitsamt der Gewebebrocken einfach darauf liegen. Wurde mehr und mehr, weil der junge Körper immer noch kleine Stücke von sich auswarf.

Bald hatte sich eine beängstigende Menge an Schleimhautüberbleibseln auf dem Strand angesammelt und begann, in der Sonne zu trocknen. Es glich Kampfspuren. Es waren Kampfspuren. Spuren des Überlebenskampfes ihrer Gefährtin.

Mit einem letzten, kraftlosen Ächzen brachte sie einen dicklichen Kloß geronnenes Blut hervor und sackte zusammen. Kippte einfach auf die Seite und bewegte sich nicht mehr.

Verflucht.
 

Sofort waren die beiden Männer über ihr und sahen sich hilflos an. Keiner wusste, was jetzt zu tun war. Das Gift war raus, aber dazu auch die Hälfte ihres Magens und eine immense Menge Blut. Sie konnte kaum noch länger durchhalten, wenn nicht bald etwas geschah. Doch einen Arzt hatte die Kid-Piratenbande nicht an Bord und von 'inneren Angelegenheiten' hatte kein Crewmitglied auch nur die geringste Ahnung.
 

Es war aussichtslos.
 

Mussten sie wirklich zusehen, wie die Kleine starb?
 

Der Captain hob den Blick von dem unerträglichen Bild und schaute sich Hilfe suchend um. Fuhr sich verzweifelt durchs Haar und hoffte auf ein Wunder, irgendetwas, das sie noch retten konnte. Eine Idee, eine Möglichkeit, dieser Hölle ein Ende zu bereiten. Es musste doch einen Ausweg geben.

So konnte ihre Geschichte nicht enden.

Ihr Leben, ihre Liebe...Nein!
 

Seine Augen flogen über den Strand, das Meer, den Horizont. Fanden nichts. Nichts, was Rettung versprach und diese Katastrophe abzuwenden in der Lage war. Bis...
 

Was war das?

War da nicht...?
 

Nein, Schwachsinn, seine Nerven hatten ihm in seiner Panik sicher nur einen Streich gespielt. Das konnte kaum sein. Es wäre auch zu schön, um wahr zu sein. So wohlwollend war ihm das Schicksal mit Bestimmtheit nicht gesonnen.

Er sah noch einmal hin, blinzelte ungläubig.

Es war immer noch da.
 

„Killer...“
 

Seine Stimme klang verwirrt, als er seinen Nakama auf die Entdeckung hinwies.
 

„Da! Ist das nicht...“
 

Sein Finger zitterte, als er auf das gelblich schimmernde Metallungetüm deutete, das einige hundert Meter entfernt an der Küste vor sich hin dümpelte. Der Blonde weitete überrascht die Augen und sandte stumm ein dankendes Stoßgebet gen Himmel. Tatsächlich. Ein Segen dieses Schiff, dieses Unterseeboot. Es konnte nur einem gehören.
 

Einem, den sie eigentlich hassten. Zutiefst verabscheuten und auseinander gepflückt hätten, wenn er nicht in diesem Moment ihre letzte Hoffnung und ein Geschenk der Götter gewesen wäre. Unglaublich, wie die brutale Hand des Schicksals heute mit ihnen spielte. Sie erst mit diesem unerwarteten Fund konfrontierte, der sich ihnen als furchtbares Unglück offenbarte und dann einen bitteren Köder auswarf, um sie auf die Probe zu stellen. Doch die Entscheidung war längst getroffen.

Ohne zu zögern packte Kid die Kleine und stand auf. War fest entschlossen. Es schien ihm egal zu sein, dass er seinen erklärten Erzfeind um Hilfe würde anbetteln müssen. Dass er sein ganzes Vertrauen in die Hände des Mannes legen musste, den er mehr als jeden anderen geringschätzte und der sogar schon einmal derjenige gewesen war, welcher ihn in eine seiner schlimmsten Krisen gestürzt hatte. Völlig egal. Es ging um sie.

Rasch liefen sie los, rannten den Strand entlang zum unweit vor Anker liegenden Seegefährt und kamen atemlos davor zu stehen. Es lag eine Verbindungsbrücke aus, wahrscheinlich war ein Teil der Crew auf der Insel, um die Vorräte aufzustocken. Umso besser. Eilig hasteten sie die hölzerne Stiege empor und betraten das Deck. Überraschte Piraten

drehten sich zu ihnen um und fuhren sogleich zusammen.

Oh ja, sie kannten sich. Sie wussten, wen sie vor sich hatten und dass das nichts Gutes bedeuten konnte. Der große, weiße Bär, den der Kapitän dieser Bande mit sich reisen ließ und sogar zu seinem Vize gemacht hatte, baute sich, bereit zum Angriff, vor ihnen auf und brummte bedrohlich. Er schien nicht zu verstehen, übersah die junge Frau in den Armen des Anderen, die es offensichtlich machte, dass die feindlichen Freibeuter nicht auf Blut aus waren.
 

„Halt's Maul!“, brüllte Kid das Wesen an. „Wir sind nicht zum Kämpfen da, siehst du doch. Mach' was Sinnvolles und hol' deinen Captain!“, forderte er donnernd.
 

Die erstaunlich menschliche Mimik des Pelztieres wandelte sich von unverhohlener Aggression in Verwunderung und endlich erblickte es den kraftlosen Körper, den der Rothaarige trug. Das Tier begriff und seine schwarzen Knopfaugen weiteten sich erschrocken. Er warf einen letzten Blick in das Gesicht des gereizten, großen Rookies und eilte dann schnell unter Deck.

Sekunden vergingen, in denen sich Kid und Killer einer wenig freundlichen Crew gegenüber sahen, die sie umstellt hatte, als wollte sie sie bedrohen. Als könnten sie das, ha! Dem getriebenen Feuerschopf dauerte das alles zu lange. Dieser Mistkerl von Chirurg, er ließ sich zu viel Zeit. Kostbare Zeit, die über das Leben seiner Kleinen entscheiden konnte.
 

„Trafalgar Law!!!“
 

Seine Stimme brachte das ganze Schiff zum Beben und die eben noch so entschlossenen Piraten wichen eingeschüchtert ein Stück zurück. Weichlinge. Sie kümmerten ihn jetzt nicht. Killer behielt sie aufmerksam im Blick. Auch wenn es in ihm nicht weniger tobte als in seinem Captain, er verlor seine Aufgabe, genau diesen zu beschützen, keinen Moment lang aus den Augen. Wenn auch nur einer dieser feindlichen Bastarde es wagte, ihn anzugreifen, würde er ihn in der Luft zerreißen. Ihm war klar, wie dreist sie sich gebärdeten, doch verdammt! War es denn nicht offensichtlich genug, dass sie Hilfe brauchten? Plötzlich zeichnete sich ein Schatten im Roof ab.
 

„Es ist anmaßend, was du hier treibst, Eustass-ya.“
 

Der Satz aus dem Mund des schlanken, dunkelhaarigen Kapitäns, der soeben ins Licht trat, klang kein bisschen aufgeregt, eher desinteressiert und genervt. Er hatte noch keinen Blick auf die Kleine geworfen. Wusste vermutlich noch nicht einmal, dass sie da war und der Grund für ihr Erscheinen hier. Gemächlich schritt der Teufelsfruchtnutzer zwischen seinen Männern hindurch, den Bären wie einen Schatten hinter sich.
 

„Quatsch' nicht und komm' her!“, fauchte Kid ungehalten.
 

Der Kleinere reagierte amüsiert.
 

„Du gibst mir Befehle auf meinem Schiff?“, ließ er lächelnd verlauten. Selbstgefällig. Dann trat er den zwei Eindringlingen endlich gegenüber. Musterte sie eingehend und seinen aufmerksamen, klugen Augen entging die Frau nicht. Nein, sie fiel ihm sofort auf, wie sie so da hing. Kraftlos. Leblos?
 

Im Nu war sein Grinsen wie fort gewischt und sein Drang, einen Blick auf den scheinbar bewusstlosen Körper zu werfen, regte sich. Argwohn trat in sein Gesicht, als er wieder den Rothaarigen ansah. Dieser Kerl brachte einfach immer nur Schlechtes mit sich.
 

„Was willst du?“, blaffte er ihn grob an und schaute flüchtig über dessen Schulter zu seinem lauernden Vize.
 

Obwohl er eindeutig den Eindruck machte, jeden Moment handgreiflich werden zu können, schien ein Kampf nicht ihr primäres Ziel zu sein. Die Stimme des anderen Kapitäns riss ihn aus seinen Überlegungen.
 

„Ich will, dass du dir das hier ansiehst.“
 

Er streckte die Arme leicht vor und präsentierte ihm das blasse, junge Ding. Es kam ihm seltsam bekannt vor, so von Weitem.
 

„Warum sollte ich das tun?“, gab der Chirurg provokant zurück.
 

Längst war seine Neugier geweckt, seine Entscheidung gefällt, doch er war nicht einverstanden damit, sich herumkommandieren und abrufen zu lassen wie ein billiger Klinikarzt im Bereitschaftsdienst. Ein Grollen aus der Brust des Gegenübers.
 

„Weil ich dich töte, wenn du's nicht tust. Du schuldest mir was...“, drohte er. „Und ihr auch.“
 

Eine Ahnung stahl sich in Laws Kopf. Konnte das sein?
 

Was wäre das für ein eigenartiger Zufall. So oder so, sein Stolz als Mann und Anspruch als Mediziner verlangten es, dass er seine angeblichen Schulden beglich und der Hilfsbedürftigen seine Fähigkeiten angedeihen ließ. Es war daher keine Angst, keine Schwäche, die ihn dazu bewegte, auf die frechen Forderungen seines sturen Gesprächspartners einzugehen.
 

„Gut. Geh' vor!“, wies er diesen an und deutete mit flüchtiger Geste auf den Eingang zum Roof.
 

Er würde die Anwesenheit der dreisten Rookies auf seinem Schiff akzeptieren, aber er war nicht dumm genug, sie aus den Augen zu lassen. „Bepo, pass' auf den Andern da auf. Keine Zicken, verstanden?“, mahnte er scharf und blickte den Blonden nachdrücklich an. Es kam keine Antwort und so verschwanden die beiden Kapitäne mitsamt der jungen Frau in die Dunkelheit unter Deck.
 

Law führte ihn die finsteren Gänge entlang, von denen unzählige Türen abzweigten. Obwohl dieses Gefährt, ein richtiges Schiff war es ja wohl kaum, nicht im Entferntesten so groß war wie sein eigenes, schien es unendlich viele Räume zu besitzen.
 

„Dort hinein“, befahl der Dunkelhaarige hinter ihm tonlos.
 

Kid hielt vor der besagten, verschlossenen Pforte inne und wartete darauf, dass der Andere sie öffnete. Er konnte das unmöglich, hatte er doch alle Hände voll zu tun, die Kleine zu tragen. Und sich zu beherrschen.
 

Ja, in ihm wütete, tobte es. Seine ganzer angestauter Schmerz der vergangenen zwei Jahre, seine Verzweiflung, seine Anspannung, sie drohten, ihm den Verstand zu rauben. Dennoch fühlte er sich taub.

Macht- und hilflos.

Sie brachte ihn zum Kochen, diese Unfähigkeit, ihr eigenständig helfen zu können. Seine Abhängigkeit von diesem Arschloch, das ihn glückliche Zeit mit dieser Frau in seinen Armen gekostet hatte. Zeit, die jetzt wertvoller als je zuvor schien. Wenn dies nun die letzten Stunden waren, die sie gemeinsam verbringen würden in diesem Leben? Er mochte gar nicht daran denken und folgte der Aufforderung des Chirurgen, das Zimmer zu betreten.
 

Es war recht groß, fensterlos und voll gestellt mit allerlei Geräten. Wirkte abweisend und fremd, was sich nicht besserte, als das Licht anging. In bläulichem Weiß erstrahlte der Raum, zeigte nun sein ganzes hässliches Gesicht mit den Maschinen und Kabeln, den kalten Fliesen und der riesigen Leuchte, die dieses erbarmungslose, scheußliche Licht auf den metallenen Tisch darunter warf. Er war mit einem grünen Tuch abgedeckt.
 

„Leg sie da rauf!“
 

Ein weiterer Befehl des Arztes, dem der Rothaarige ganz und gar untypisch sofort nachkam. Es kostete ihn Überwindung, die harschen Anweisungen seines Gegenübers hinzunehmen, doch er riss sich zusammen. Schließlich war er wegen ihr hier. Gehorsam setzte er den reglosen Körper der Kleinen auf der stahlharten Liege ab und zog die Arme unter ihm hervor. Wich keinen Zentimeter zurück, wollte, konnte keine weitere Trennung mehr ertragen. Wortlos und noch bleicher als sonst stand er neben der Trage und starrte das Mädchen an.

Sein Mädchen.

Solekk.

So!

Es war nicht auszuhalten.

Er betete, dass der Schwertschwinger Rat wusste, helfen konnte. Sie am Leben erhielt und heilte. Für ihn, jetzt, wo er sie endlich wieder hatte. Es durfte noch nicht zu Ende sein. Er hatte noch so viel vor und ohne sie, ohne die Hoffnung, sie jemals wieder sehen zu können, weitermachen? Nein, ausgeschlossen. Dieser Kerl, er musste sie retten. Er musste einfach. Andernfalls würde Kid sein Unterseeboot kurz und klein schlagen. Seine Leute töten und ihn zusehen lassen. Und schließlich die Kehle des Anderen mit Genugtuung zerquetschen, bis sich seine Fingernägel in dessen Speiseröhre bohrten.
 

„Was ist passiert?“, schreckte ihn ebenjene Stimme aus seinen verteufelten Gedanken auf.
 

Mit professioneller Distanziertheit erkundigte sich der Dunkelhaarige nach den Umständen, die seine Patientin hierher geführt hatten.
 

„..Gift“, brachte der Rote nur knapp hervor.
 

Eine schwarze Augenbraue hob sich fragend. Sank dann aber wieder in ihre Normalposition zurück und ihr Besitzer übte sich ganz offensichtlich in Geduld. Sein Kiefer mahlte, um Ruhe bemüht, als er weiter nachhakte.
 

„Genauer, Eustass! Was für Gift?“
 

Der Angesprochene hob den Blick von seiner Kleinen und starrte seinen Erzfeind an. Musste sich besinnen, sich anstrengen, um in sein Gedächtnis zu rufen, was doch gerade erst geschehen war.
 

„Es war lila.“, brachte er als Erstes hervor.
 

Im Nachhinein betrachtet war das vielleicht weder besonders präzise noch hilfreich, aber er konnte noch ein wenig mehr Information geben. Und jetzt war ohnehin nicht die Zeit, sich wegen irgendetwas zu schämen. Überraschenderweise kam kein gehässiger Kommentar über die Lippen des Untersuchenden. Lediglich ein aufmerksamer Ausdruck breitete sich auf seinem kühlen Gesicht aus. Kid fuhr fort.
 

„Es roch widerlich süß und war nur ganz wenig.“ Er räusperte sich. Musste für den nächsten Satz mit sich kämpfen. Die Vorstellung, die Erinnerung, sie kostete ihn Kraft und Überwindung. „Es hat ihren Magen zerfressen.“
 

Augenblicklich erhellte sich die Miene des Anderen. Er nickte und der Rothaarige hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht, wenn nicht postwendend eine Antwort gefolgt wäre.
 

„Nein.“, lautete sie zu Kids Überraschung. Er blickte verwirrt drein.
 

Doch! Er hatte es ja gesehen. Die weiteren Worte des Chirurgen erklärten dann aber seine Aussage.
 

„Es ist nicht das Gift selbst, dass das Gewebe zerstört. Ich kenne es. Wenn dem so wäre, würde es eventuell schon im Mund anfangen zu wirken und kein Mensch würde es herunter schlucken. Nein, das Zeug ist viel heimtückischer. Es schmeckt gut, wie Wein. Vielleicht wie Traubensaft, wenn es gesüßt wird. Man stellt nichts Ungewöhnliches daran fest, bis es zu spät ist. Es entfaltet seine verheerenden Fähigkeiten erst im Magen.“
 

Kid zog fragend die Stirn kraus und hörte sowohl angewidert als auch fasziniert zu, während der Erfahrene erzählte.
 

„Es reagiert spezifisch auf einen Zelltyp in der Magenwand, der für die Bildung des körpereigenen Schutzfilms, eines Schleims, verantwortlich ist. Hemmt oder tötet diese Zellen, je nach Art und Zubereitungsweise und ist deshalb so gefährlich.“
 

Der Größere verstand nicht recht. Das Körperinnere war nicht sein Ding, er hatte keine Ahnung davon, aber er wollte es wissen. Jetzt sofort.

Sein Gesprächspartner schien zu verstehen und erläuterte erstaunlicherweise ohne irgendeine Beleidigung oder Geringschätzung die genaue Funktionsweise. In diesem Moment ging er voll auf in seiner Tätigkeit. War ganz offensichtlich in seinem Element und plötzlich war Kid seltsam froh, hierher gekommen zu sein.
 

„Wenn die schützende Schicht aus visköser Substanz dann weg ist, das dauert nicht lange, fängt die Magensäure an, das umliegende Gewebe zu verätzen, quasi sich selbst zu verdauen. Magenbluten und starke Schmerzen sind die ersten Folgen, im schlimmsten Falle schwerwiegende Einblutungen und Dysfunktion vorrangig des Gastraltraktes. Im Klartext: Irgendwann Tod“
 

Er endete mit gesenkter Stimme. Die goldenen Augen des Feuerschopfes weiteten sich angstvoll und fixierten ihn fest. Forderten zügiges und auch ja erfolgreiches Handeln. Ansonsten drohte die Hölle. Der Dunkelhaarige lenkte ein. Dieser bohrende Blick, er machte ihn unruhig, war unangenehm und belastend in seiner gewohnten Umgebung, seinem Revier, wo er sich sonst gar nichts gefallen ließ. So wandte er sich ab und musterte seine blasse Patientin fachmännisch. Er wusste genau, was ihr fehlte.

Das Zeug, was man ihr, ob nun böswillig oder einfach spaßenshalber, verabreicht hatte, hemmte die Funktion der Nebenzellen, einer Zellgruppe in der Mukosa des Magens, die den schützenden Mucin-Film produzierte, der das Gewebe vor der von den Belegzellen eingebrachten Salzsäure bewahrte. Vermutlich waren es Glucocorticoide, Dexametason oder ähnliches, welches die Funktion der Schleimbildner beeinträchtigte.

Ein Laie, also ein kluger Laie, nicht so einer wie Eustass Kid, hätte jetzt vorgeschlagen, ein Gegenmittel zu verabreichen, das die Glucocorticoide seinerseits hemmte, aber Trafalgar Law wusste als studierter Mediziner sehr gut, dass jene Beeinträchtigung irreversibel war. Und so wie die Kleine aussah, hatte sich das Zeug bereits durch ihren ganzen Magen gefressen. Es gab nur eine Möglichkeit.
 

„Das Gift ist schon raus?“, unterstellte er ahnend.
 

Woher wusste er das? Hatte er sie beobachtet? Oder gab es Anzeichen dafür, die der besorgte Captain selbst nicht zu lesen vermochte?
 

„Ja“, krächzte Kid angespannt und sah den Kleineren argwöhnisch an.
 

Dieser würdigte ihn keines weiteren Blickes. Lobte ihn aber dennoch.
 

„Gut. Ansonsten wäre sie nämlich bereits tot. So lange hält das keiner aus.“
 

Gott, das riesige Herz in der Brust des jungen Rothaarigen krampfte sich zusammen bei dem Gedanken an ihr Sterben. Dass er so ein Glück im Unglück gehabt hatte: Unglaublich! Dass er durch pure Intuition ihre Chance aufs Überleben erhalten hatte. Er keuchte erschöpft. Dieser Tag, er raubte ihm seine ganze Kraft. Er war schon jetzt völlig fertig und es war kaum Nachmittag. Dennoch, er würde keine Sekunde lang von ihrer Seite weichen. Und wenn es Wochen dauerte, bis sie wieder aufwachte.
 

„Na dann.“, begann der Chirurg enthusiastisch. „Werd' ich mir das mal ansehen.“
 

„Wie, 'ansehen'?“, erschrocken riss der Rote die Augen auf.
 

„Na, was glaubst du, Eustass? Ich muss einen Blick auf ihren Magen werfen! Anschauen, wie viel Schaden entstanden ist und versuchen, das Gröbste zu beheben.“
 

„Du machst sie auf?“, dem Großen fiel die Kinnlade runter.
 

„Ja, natürlich. Und du wirst den Raum verlassen.“, stellte der Arzt mit Bestimmtheit fest.
 

„Was? Auf keinen Fall! Ich bleibe hier.“, gab Kid unumstößlich zurück und starrte wütend über die Trage hinweg.
 

„Nein!“, fauchte der Andere.
 

„Du verunreinigst den ganzen OP, wenn du hier herum geisterst. Das kann sie ihr Leben kosten, Eustass!“, mahnte er. Doch der Captain der Kid-Piraten ließ sich nicht abwimmeln, nicht abbringen von seinem Vorhaben.
 

„Ich bleibe hier, komme, was da wolle.“
 

„Kid“, meinte der fremde Kapitän plötzlich ruhiger, eindringlicher. „Ich werde sie aufschneiden. Willst du da wirklich dabei sein?“
 

„Ich bleibe.“
 

Das letzte Wort war gesprochen. Keine Diskussion mehr.
 

„Schön“, antwortete sein Gegenüber ein bisschen patzig. „Dann zieh' wenigstens diesen haarigen Mantel aus.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  miau2906
2014-09-09T07:36:54+00:00 09.09.2014 09:36
Hi so geil bin so Gespannt wie es weiter geht die arme solek die hat auch echt die a Karte momentan schreib schnell weiter lg
Antwort von:  Akinara
09.09.2014 10:07
Mach ich :) Ich find dein Interesse ganz toll. Danke, danke.


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