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Das Herz der Mantis

von

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02 - Der Windschnitter

Tensho erreichte das Ende des riesigen Walles und sprang den letzten Schritt vom Seil herab, ehe er zu Struana trat. Sein aufmerksamer Blick huschte über die düstere Landschaft, ehe er angespannt für wenige Herzschläge innehielt. »Wir sollten Lann finden und dann schnell wieder von hier verschwinden. Nicht, dass wir noch von den Mantis oder noch herumstreunenden Spinnen überrascht werden.« Er drehte sich von ihr weg und ging den Fuß der Mauer ab.

 

Struana folgte ihm zwischen den Kadavern der Spinnen, die von der Mauer abgestürzt waren. Vor ihrem Tod hatten sie sich noch zusammengerollt und lagen nun mit Pfeilen gespickt auf dem Rücken. Irgendwo unter ihnen musste sich der bedauernswerte Bogenschütze befinden. Stets darauf bedacht was in ihrer Umgebung geschah, hielt sie ihre Ohren gespitzt. Nach mehreren Momenten in denen sie durch die großen Knäuel der toten Riesenspinnen geschlichen waren, sah sie zur Mauer hinauf. Sie konnte die Umrisse einiger Bogenschützen erkennen, die in die Schreckensöde spähten. Sie hatten gute Arbeit geleistet, die Riesenspinnen zurückzudrängen, denn jetzt wirkte die Luft um sie herum still und fast schon erstarrt. Es war kaum zu glauben, dass noch vor mehreren Augenblicken die Luft vom Kreischen dieser Bestien erfüllt war. Oberhalb des Schlangenrückens konnte sie das Licht erkennen, welches von der Sonne ausging und die obere Hälfte des Walles erhellte. Und sie stand hier, in dieser unnatürlichen Dunkelheit der Schreckensöde, die eine unangenehme Kühle mit sich brachte. Merkwürdigerweise empfand sie eine gewisse Faszination für dieses Phänomen, dass sich die Sonne weigerte hier zu scheinen. Aber das Ungute Gefühl klebte noch immer an ihr wie kalter Matsch.

 

»Hier ist sein Bogen!«, rief Tensho und die Kriegerin senkte ihren Blick zu ihm hinab. Tensho kniete sich nieder und hob den Bogen auf, dessen Sehne gerissen war. Betrübt sah er zu ihr auf, während die Worgen an seine Seite trat. »Aber von Lann ist weit und breit keine Spur.« Struana betrachtete für ein paar Herzschläge den Bogen, ehe sie sich vorbeugte und ihre Augen schloss. Sie schnüffelte an dem hölzernen Kurzbogen und sog den Geruch in sich ein. Ihre empfindlichen Geruchsknospen gewöhnten sich an die Duftspur, als sie sich wieder aufrichtete, prüfte sie schnüffelnd die Luft. Es dauerte mehrere Momente, ehe sie den feinen Geruch von Lann in der Luft wahrnehmen konnte. »Ich kann ihn riechen.«, sagte sie knapp und schnüffelte weiter. Der Mönch ließ den kaputten Bogen wieder auf den Boden fallen und richtete sich auf. Erstaunt sah er zu Struana, die immer noch in der Luft schnüffelte. »Ich glaube, er ist noch am Leben.«

 

»Er lebt noch?«, fragte Tensho ungläubig und sah skeptisch den Wall hinauf. »Aber wie konnte er sich nach einem solchen Sturz überhaupt noch bewegen?«

 

»Ich weiß es nicht.«, erwiderte Struana kopfschüttelnd und ging einige Schritte um die Umgebung zu prüfen. Sie war sich aber sicher, dass der Geruch von der Absturzstelle wegführte, direkt in die Ruinen von der Terrasse hinein. »Vielleicht haben die Spinnen ihn verschleppt? Ihre Gerüche vermischten sich miteinander.« Die Worgen grunzte, als sie sich sicher war. »Die Spur führt in die Ruinen hinein.«

 

Gerade wollte sie schon vorausgehen, doch der Pandare hielt sie am Arm zurück. Sie zuckte mit ihren Ohren, als sie ihn verwundert ansah. Er schüttelte seinen Kopf. »Wir sollten versuchen die Ruinen zu umgehen. Vielleicht können wir Begegnungen mit weiteren Spinnen vermeiden.«

 

Die Kriegerin überlegte kurz, ehe sie zustimmend nickte. Während sie Tensho folgte, zog sie sich die Lederkapuze über ihren Kopf. Sie nahm mehrere Geräusche wahr, von denen sie sich nicht sicher war, ob sie sie beunruhigten. Struana versuchte, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die Geruchsspur von Lann wurde schwächer, als sie über die Hügel in der Nähe der Mauer an den Ruinen der Terrasse von Gurthan vorbeigingen. Der Mönch wirkte zu ihrer Erleichterung ebenso angespannt, wie sie sich fühlte. Vermutlich wirkte die Schreckensöde auf ihn einen ebenso negativen Einfluss aus, wie auf sie.

 

Als sie weiter nach Süden gingen fand Struana wieder die Geruchsspur. Sie wirkte feiner, aber auch mit einem bitteren Nachgeschmack von Blut. Tensho achtete darauf in der Nähe der schützenden Mauer zu bleiben, während sie über den trockenen Boden schlichen. Die Erde unter Struana fühlte sich tot und leer an, als wäre es einfach nur eine Fläche mit dem Sinn darauf zu stehen, doch ohne jegliche weitere Bedeutung. Die Worgen wollte die Schreckensöde so schnell wie möglich wieder verlassen. Kontrolliert rutschte der Pandare einen steilen Abhang hinunter. Als sie neben ihm schlitternd zum stehen kam, nahm sie den Geruch des Bogenschützen, Blut und auch von Spinnen intensiver war. Der Geruch der Spinnen wirkte frisch, aber auch irgendwie fahl, als wären sie geflohen. »Normalerweise leben die Riesenspinnen in den abgelegenen Stellen der Terrasse von Gurthan. Warum sind wir noch nicht auf welche gestoßen?«, fragte Tensho laut und sah sich unbehaglich die verdorrten Sträucher an.

 

»Seid doch froh.«, murmelte Struana und ging weiter. »Ich habe nicht unbedingt Lust, sie besser kennen zu lernen.« Ein verschmitztes Grinsen spielte auf ihren Lefzen, obwohl sie sich nicht erheitert fühlte. Sie versuchte nur das Unbehagen abzuschütteln, aber es funktionierte nicht. Immerhin war sie sich sicher, dass sie auf der richtigen Spur waren. Sie führte Tensho ein Stück in das Landesinnere der Schreckensöde, an überwachsenen Marmorplatten und verkümmerten Bäumen und Hügeln vorbei. Hinter einigen weiteren Abhängen und stark unebenen Hügeln erkannte sie schließlich einen Pandaren.

 

»Lann!«, rief Tensho, als auch er ihn erkannte und beschleunigte seine Schritte. Struana eilte hinterher, als der Bogenschütze seinen Kopf hob. Sein Gesicht hellte sich auf, als er die beiden erkannte. »Der Rote Kranich ist mir gnädig.«, murmelte er, als sich der Mönch vor ihn hinkniete um ihn nach Wunden abzusuchen. Um den Bogenschützen herum lagen mehrere zusammengewobene, weiße Fäden die allerdings nur noch Fetzen darstellten. Struana verengte ihre Augen und sah sich argwöhnisch um. »Stammen die von Spinnen? Wo sind sie?«

 

Der Bogenschütze wurde von Tensho auf die Beine gezogen, wobei er sein Gesicht vor Schmerz verzerrte. »Die sind abgehauen.«, antwortete er jammernd und keuchte auf. Struana erkannte, dass sein rechtes Bein in einem ungesunden Winkel abstand und er es nicht belastete. Die Worgen eilte auf seine andere Seite um ihm ebenfalls unter die Arme zu greifen, doch ihre Stangenwaffe behielt sie in der freien Pranke. Ungerne wollte sie sie verstauen, solange sie noch in der Schreckensöde waren.

 

»Wie habt Ihr überhaupt den Sturz überlebt, Lann? Die Erhabenen wollen Euch wohl noch nicht gehen lassen.«, scherzte Tensho, als sich die drei langsam auf den Weg zurück zur Mauer machten.

 

Lann stöhnte schmerzhaft auf. »Ich bin auf eines dieser Mistviecher gefallen, die hat meinen Fall abgefedert. Aber einige dieser Spinnen haben mich hierher verschleppt und wollten mich bereits in einen Kokon spinnen. Dachten wohl, ich sei ein netter Happen.«, spuckte er aus, während sie kleine winzige Schritte gingen. Der Bogenschütze versuchte nicht ganz so hilflos auszusehen, wobei das kaum möglich war.

 

Struana tauschte einen beunruhigten Blick mit Tensho aus. »Wir sollten von hier verschwinden. Die Spinnen lauern bestimmt noch hier irgendwo.«, murmelte sie. Auch wenn sie nichts Bedrohliches hören konnte und der Geruch fahl wirkte, konnte sie sich nicht vorstellen, dass sie nicht zurückkommen würden - um ihre nachträgliche Mahlzeit abzuholen.

 

»Nein!«, widersprach plötzlich Lann. »Wir müssen noch etwas kontrollieren!« Er versuchte sich gegen seine Stützen aufzustemmen, was mit einem Bein fast schon lächerlich wirkte. »Ich weiß, was die Spinnen aufgeschreckt hat. Sie haben auch die Spinnen vertrieben, die mich hierher verschleppt haben!«

 

Tensho sah ihm in die Augen, als dieser zumindest versuchte zu strampeln. Struana sah zu Lann und ihre Ohren drehten sich unter ihrer Kapuze. Es war auch Teil ihrer Aufgabe herauszufinden, was die Spinnen aufgeschreckt hatte. »Was denn?«, versuchte sie den Bogenschützen zum Reden zu ermutigen, doch Lann stammelte auf einmal, als wäre er nicht mehr ganz bei Sinnen. »Ich habe zwei sehr große Mantis gesehen. Es sah so aus als würde der eine den anderen Verfolgen und ich glaube sie haben gestritten! Laut gestritten! Einer von ihnen sah anders aus als alle Mantis, die ich je gesehen habe. Völlig andere Farben und Kleidung - fast schon wie eine Art Orakel, oder so. Der andere war total verrückt und dunkel. Er hat mit Sha-Energie um sich geworfen, als wäre es ein Krug Sturmbräuspezialmischung!«

 

Die Worgen runzelte ihre Stirn bei dem Bericht des Bogenschützen. Ein Mantis hatte mit Sha-Energie geworfen? Hieß das, dass er mit ihr Magie gewirkt hatte? »Zwei einzelne Mantis?«, fragte Tensho zweifelnd und legte seine Stirn in Falten. »Mal ganz davon abgesehen, dass diese Insekten nur in Schwärmen auftreten, bezweifle ich, dass sie sich wirklich gestritten haben.«

 

»Aber ich bin mir völlig sicher!«, entgegnete Lann empört und versuchte selbstständig zu stehen. Er unterdrückte einen spitzen Schmerzensschrei, als er bei dem Versuch sein kaputtes Bein belastete und knirschte mit den Zähnen. Tensho schüttelte seinen Kopf. »Der Schmerz muss Euch einen Streich gespielt haben.«, erwiderte er beruhigend und zog den verletzten Bogenschützen weiter mit sich, doch dieser sträubte sich.

 

»Wir müssen das überprüfen! Vielleicht erhalten wir wichtige Informationen, die uns nützlich sein können!«, warf er fast schon verzweifelt ein. Struana bekam immer mehr Mitleid mit ihm. Doch wenn sein Bericht stimmte, hatte er recht und sie mussten dem wirklich nachgehen. Doch sie konnten Lann auch nicht einfach hier zurücklassen und ihn mitzunehmen, würde sie einiges an Zeit kosten.

 

»Das reicht Lann! Wir bringen Euch zurück zum Tor der Untergehenden Sonne. Die Heiler werden Euch dort untersuchen.«, erwiderte Tensho bestimmt. Doch wieder wirkte der Bogenschütze zutiefst unglücklich und mürrisch darüber.

 

»Wann und wo habt Ihr sie gesehen, Lann?«, fragte Struana plötzlich und ließ ihren Blick über ihn schweifen, welcher zu ihr aufsah. Ihr Körper kribbelte unbehaglicher denn je, doch ihr Interesse war geweckt worden. Sie konnte nicht glauben, dass irgendeine Kreatur im Stande war wirklich Sha-Magie anzuwenden, oder sie zu benutzen. Außerdem war sie neugierig worüber die beiden Mantis gestritten hätten. Gab es etwa geteilte Meinungen unter ihnen? Es könnte ihnen wirklich nützlich sein im Kampf gegen den Schwarm.

 

»Sie flogen tief und in Richtung Südost direkt auf den Fuß der Mauer zu. Sie müssten dort irgendwo in der Nähe sein.«, beharrte Lann und schien erleichtert zu sein, dass sich wenigstens einer für seinen Bericht interessierte. »Es ist kaum Zeit vergangen, seit sie mit ihrem Gekreische die Spinnen vertrieben und ihr gekommen seid.«

 

Struana sah Tensho fest in die Augen und sie konnte schwören, dass er ihre Gedanken lesen konnte, noch ehe sie diese ausgesprochen hatte. »Ich werde nachsehen gehen.«, entschied sie und legte Lanns Arm von ihren Schultern ab. »Wenn sie noch dort sind, werde ich herausfinden worüber sie streiten.«

 

Der Mönch sah sie lange an. »Kann das nicht warten, bis wir Lann zum Tor der Untergehenden Sonne gebracht haben?«, fragte er und sie fing seinen besorgten Blick auf. Es rührte sie, dass er sich um sie sorgte, doch sie musste diesem Hinweis nachgehen. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es mehr zu bedeuten hatte, als es vermuten ließe. »Das kostet zu viel Zeit.«, entgegnet sie. »Wenn wir sie verpassen werden wir nichts herausfinden. Möglicherweise sind sie jetzt auch schon fort. Ich werde mich nur etwas umsehen, vielleicht die ein oder andere Information aufschnappen und dann sofort wieder zum Schlangenrücken kommen. Wenn sie nicht mehr da sind, hole ich euch vielleicht sogar noch ein.«, scherzte sie.

 

Tensho sah sie lange an und sein Blick durchbohrte sie förmlich. Sie wunderte sich, warum er sich so sehr um sie sorgte, doch sie konnte diese Frage selbst beantworten. Nie hätte sie geglaubt, einen so guten Freund in Tensho zu finden. »Nun gut...«, gab der Pandare schließlich nach und seufzte leise. »Aber kommt wohl behalten zurück zu uns, Struana.«

 

»Keine Sorge.«, erwiderte die Kriegerin und hob ihre Lefzen zu einem Grinsen. »Vermutlich werdet Ihr mich früher wieder zu sehen bekommen als erwartet. Wir sehen uns spätestens zum Abend wieder auf dem Schlangenrücken, Tensho.« Sie zwinkerte ihm zuversichtlich zu, als er nickte.

 

»Die Erhabenen ebenen Euren Weg.«, verabschiedete er sich, ehe er mit Lann - der sich nun nicht mehr wehrte - den Weg vorbei an der Terrasse von Gurthan suchte um zurück zur Mauer zu kommen. Struana sah ihnen lange nach, ehe sie mit ihren Ohren schnippte. Sie würden bestimmt unbeschadet den Weg zurück zu der Stelle finden, an der sie mit Tensho auch nach unten geklettert war. Die Kriegerin drehte sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung, wo mehr verdorrtes Gestrüpp und Ruinen zu sehen waren. Vorsichtig trug sie ihre Stangenwaffe vor sich, bereit sich zu wehren, sollte sie etwas angreifen. Fast geräuschlos schlich sie immer weiter in die Terrasse von Gurthan hinein, obwohl sie versuchte diese zu meiden. Aber die Terrasse grenzte fast an den Fuß der Mauer und Struana konnte sich nicht vorstellen, dass sich zwei Mantis so nahe am Schlangenrücken aufhielten um zu streiten. Sie stieg überwucherte und zerstörte Treppenteile hinunter, ehe sich der Weg vor ihr in ein nebelumfangenes Moor verwandelte.

 

Prüfend sog Struana die Luft ein, als sie plötzlich leises Klackern und ächzendes Kreischen hören konnte. Die Kriegerin legte ihre Ohren an und bemühte sich so leise wie möglich den steilen Hang hinaufzuklettern. Gebückt schlich sie um mehrere Felsen den lauter werdenden Geräuschen der Mantis entgegen, bis sie eine Höhle erkennen konnte. Mit klopfendem Herzen drückte sie sich gegen den kalten Stein, als der Lärm in der Höhle lauter wurde. Ein metallischer Schall durchschnitt die Luft und Struana strengte sich an, den gekrächzten und geklickten Worten zu folgen, die sie von sich gaben.

 

»Die Klaxxi haben Ihre Majestät verraten! Eure Leichen werden dafür von den Zinnen Ihres Palastes hängen!«

 

Ein weiterer klirrender Laut schallte aus der Höhle, welcher die Worgen fast zusammenzucken ließ. Sie wagte es einen Blick in das Innere der Höhle zu erhaschen. Ungläubig weitete sie ihre Augen, als sie erkannte dass der Bericht von Lann wirklich stimmen konnte. Das magische Schild eines Mantis, in auffälligem Gewand aus gelb und mossgrünen Farbtönen zerschellte und ein faustgroßer Ball aus pulsierender Sha-Energie traf ihn mit Wucht. Der Insektoid kreischte unter Schmerzen und bäumte sich auf, nachdem er von dem Impuls zurückgeschleudert wurde. Er war zu Struanas Erstaunen riesig, fast drei Mal so groß wie sie selbst. Einen so großen Mantiden hatte sie noch nie gesehen. Vermutlich aus dem Grund, dass - wie Tensho ihr erklärt hatte - der Schwarm nur aus der so genannten Brut bestand. Der andere Mantis - der bedeutend kleiner war - gackerte nahezu sadistisch, während die Energien aus weißen und schwarzen Nebel wie Schatten um seinen Körper huschten.

 

Die Fühler des riesigen Mantiden zuckten beherrscht, während er gepresste, rasselnde Worte krächzte: »Es ist die Kaiserin, die... unsere Leute verraten hat-...« Seine Stimme war dünn und schwach, aber mit Überzeugung gesprochen, was die Worgen wunderte. Also gab es eine Unstimmigkeit innerhalb der Reihen der Mantis. Wenn sie mehr erfuhr-

 

»Ihr wagt es Ihren Willen in Frage zu stellen?!«, kreischte der kleinere Mantis erzürnt und wob wieder Sha-Energie vor sich. Der okkult gekleidete hatte nicht einmal die Gelegenheit um auszuweichen, als ihn die nächste Welle traf und er gegen die Wand direkt hinter sich gepresst wurde. Die Kriegerin konnte das Blut riechen, welches aus seinen Augen und Kiefer nahezu floss. Sein Körper bebte bei jedem Atemzug, den er tätigte und das goldgelbe Chitin seiner Haut wirkte fast fahl und ausgebleicht. Es war fast so, als würde sein Körper von innen heraus zerstört werden. Warum nur kämpften diese beiden Mantiden gegeneinander? Struana hob ihre Lefzen, denn sie fühlte sich fast so hilflos, wie das riesige Insekt aussah. Sie konnte hier stehen bleiben und sehen, wie der verrückte, Sha wirkende Mantis das Leben eines anderen beendete. Sie könnte zurückgehen und von dem bisschen berichten, was sie herausfinden konnte. Oder sie würde einschreiten und den verrückten Mantiden töten. Doch was würde ihr das bringen? Der Goldene stand nahe an der Schwelle des Todes und er würde ihr mit Sicherheit ebenfalls nichts verraten. 'Und was wenn doch?', schlich sich eine Stimme in ihren Verstand. Was wenn sie eine Gelegenheit vergeudete, die sie nicht mehr so schnell wieder bekommen würde?

 

Struana haderte mit sich selbst, als wieder lautes Kreischen durch die Höhle hallte. Der verrückte Sha Wirker würde ihr bestimmt nichts Nützliches verraten, wenn er siegreich war. Aber vielleicht würde dieses Orakel ihr etwas preisgeben. Etwas womit sie den Schwarm vielleicht sogar beenden konnte? Entschlossen umgriff sie ihre Stangenwaffe und stieß sich von den Felsen ab. Gewappnet betrat sie die Höhle, doch ihre Anwesenheit war bereits bemerkt worden. Der verletzte Mantis hob schwach seinen Kopf und blinzelte sie verwundert an, während der kleinere zischend herumwirbelte. »Was ist das?!«, spie er krächzend aus und fixierte die Worgen mit einem verachtenden Blick. »Die Niederen Völker kommen um sich in Angelegenheiten einzumischen, die sie nichts angehen? Narren!«

 

Struanas Blick ruhte auf dem verletzten Mantis. In seinen runden Käferaugen, die abwechselnd blinzelten glaubte sie etwas merkwürdiges zu erkennen. War es etwa Hoffnung? - So ein Blödsinn! Mit wachsender Anspannung widmete sie sich dem gefährlicheren der beiden zu. »Ich bin aus eigenem Interesse hier.«, entgegnete sie scheinbar gelassen, wobei ihr das Herz fast bis zum Hals schlug. »Erzählt mir, wie ich den Schwarm stoppen kann, oder sterbt.«

 

Der kleinere Mantis starrte sie zunächst erstaunt an, bevor er lauthals loskreischte vor Lachen. Seine Kieferzangen klackerten unheilvoll gegeneinander. »Ich soll was?! Niedere Kreatur, sterbt für Euren Übermut!« Mit diesen Worten hob der Shawirker seine Arme und wob erneut die dunkle Energie für einen Angriff. Struana legte sofort ihre Ohren an und rannte auf ihn zu. Ihre Lefzen für ein Knurren zurückgezogen hob sie ihre Stangenwaffe über ihre Schultern. Ein gezielter Schnitt würde genügen, das wusste sie inzwischen. Sie kannte die Schwachstellen der Mantis und ihr Gegner war nicht bewaffnet.

 

Die Schatten des Shas brachen auf sie hinein, doch sie rannte einfach durch sie hindurch. Sie bemerkte noch nicht einmal den Effekt, den die Sha-Energie eigentlich auf sie ausüben sollte, dank des Rituals von Sevias. »Was?!«, kreischte der Mantis verwirrt. »Kein Wesen kann der Macht des Meisters entkommen!« Entsetzen packte ihn, als die Kriegerin vor ihm mit Schwung das zweischneidige Blatt in die dünne Stelle seines Rumpfes versenkte. Fast schaffte sie es den Oberkörper vollständig abzutrennen, doch der Chitinpanzer bremste ihre Waffe ab. Mit ungläubig geweiteten Augen fiel der Mantis zur Seite und zuckte kurz, ehe er jede Bewegung einstellte. Dunkles Blut floss aus seiner Seite auf den Höhlenboden, als Struana schnaubte und ihre Waffe zurückzog. Mit einem schmatzenden Geräusch löste sie sich aus dem Leib und nahezu mit Leichtigkeit schulterte sie die schwere Waffe.

 

Langsam sah die Worgen auf und blickte zu dem goldenen Mantis. Die merkwürdigen Vorderbeine der Kreatur versuchten zwar den riesigen Leib zu stützen, doch es war nicht schwer zu erkennen, dass es ihm kaum möglich war. Vornübergebeugt atmete er rasselnd und noch immer floss Blut aus seinem Schlund und Augen. Der Gestank von Fäulnis ging von ihm aus, wodurch Struana ihre Schnauze rümpfen musste. »Werdet Ihr sprechen, Mantis?«, fragte Struana und blickte herausfordernd zu ihm auf.

 

Der Mantis stützte sich an der Höhlenwand ab und versuchte, sich ruhig zu verhalten. Als würde er versuchen dem Fluch in seinem Körper Einhalt gebieten zu wollen. Doch Struana wusste, wie sinnlos es war sich gegen das Sha stemmen zu wollen. »Kommt näher-... Kriegerin...«, drangen die rasselnden und klackernden Worte durch die Höhle, während er keuchend nach Atem rang. »Wir sind-... nicht Euer Feind.«

 

Struana verengte ihre Augen. »Was meint Ihr damit?«, fragte sie misstrauisch und ging tatsächlich ein paar Schritte näher auf den riesigen Mantiden zu. Sie hielt ihre Stangenwaffe immer noch erhoben, bereit sich zu verteidigen, sollte er einen Hinterhalt planen. Doch in ihren Klauen kribbelte die Neugier. Würde er wirklich etwas nützliches sagen? Ein Zucken fuhr durch den goldenen Mantis und er stürzte zur Seite auf den Boden. Seine zuckenden Vorderbeine waren unter seinem Gewicht abgerutscht und konnten den kraftlosen Leib nicht mehr tragen. Die Worgen widerstand dem Impuls zusammenzuzucken, doch sie konnte nicht verhindern, dass sie Mitleid mit der Kreatur hatte. Der Mantis griff nach etwas unter dem Stoff und streckte es ihren Füßen entgegen. Struana versuchte zu verstehen, was das zu bedeuten hatte.

 

»Nehmt das-...«, brachte er heraus und öffnete seine geschundenen, klauenähnlichen Finger. Die Kriegerin erkannte eine Metallgabel aus einem edlen, bernsteinfarbenen Material. Das Artefakt hatte zwei lange, dünne Zinken und einen mit Edelsteinen besetzten Griff. »Im Norden-... Erweckt den Windschnitter. Nur so-... kann dem Schwarm ein Ende-... gesetzt werden.« Der Mantis krümmte sich unter Schmerzen und seine Kieferzangen schlugen hart gegeneinander, während er hustete. Er spuckte Schleim und Blut, als er sich zwang weiter zu sprechen: »Er wird Eure Fragen-... beantworten...«

 

Struana sträubte sich ihr Nackenfell. »Was soll ich? Wenn es eine Möglichkeit gibt den Schwarm aufzuhalten, werdet Ihr ihn mir jetzt erzählen!«, keifte sie wütend und verzweifelt zugleich. Doch innerhalb eines Wimpernschlags krümmte sich der Mantis wieder zusammen. Er gurgelte gequält, während er Blut spuckte und scheinbar auch schluckte, ehe er jede Regung einstellte und sein Körper erschlaffte. Mit weit geöffneten Augen starrte die Worgen auf den Mantiden herab. Er war innerhalb von Sekunden gestorben - einfach so - wegen dem Sha. Prüfend stieß sie ihn mit ihrer Stangenwaffe an, doch es erfolgte keine Abwehrspannung.

 

Frustriert seufzte sie, als sie die sperrige Waffe auf ihrem Rücken befestigte. Er hätte es ihr einfach erzählen sollen. Doch stattdessen hatte er seine Kraft verschwendet, um ihr ein Artefakt zu geben, mit dem sie nichts anzufangen wusste. Die Kriegerin beugte sich vor um sich das Artefakt näher anzusehen. Das bernsteinfarbene Material musste gehärtetes Kyparit sein, ein Metall, das aus Erzadern, welches unter den Kyparibäumen floss, gewonnen wurde. Der sterbende Mantis hatte ihr in seinem letzten Atemzug einen Auftrag gegeben. 'Erweckt den Windschnitter. Nur so kann dem Schwarm ein Ende gesetzt werden.' Struana rümpfte ihre Schnauze, ehe sie den Schaft der Stimmgabel aus dem Greifer des toten Mantis zog und diese betrachtete.

 

Gedankenverloren und frustriert, da sie nichts nützliches herausgefunden hatte und stattdessen mit einem Rätsel zurückgelassen wurde, ging sie aus der Höhle. Sie blickte über die ergraute, hügelige Landschaft und das neblige Moorland unterhalb des Hanges auf dem sie stand. Missmutig umklammerte sie das merkwürdige Artefakt in ihrer Pranke. Es gab also einen Weg um den Schwarm aufzuhalten, aber warum hatte er es ihr überhaupt gesagt? Und wer oder was war dieser Windschnitter, der ihre Fragen beantworten würde? Vermutlich war das auch ein Mantis. Konnte man diesen Insekten wirklich trauen?

 

Struana schüttelte entschlossen ihren Kopf und steckte die Stimmgabel in ihren Gürtel. Nein, nur tot waren die Mantis ungefährlich und für weiteren Spielraum war kein Platz. Sie würde dem Ganzen vielleicht später auf den Grund gehen. Aber jetzt musste sie Meldung auf dem Schlangenrücken machen. Merkwürdig schnell bewegte sie sich durch die Trümmer der Terrasse von Gurthan am Rand des Schlangenrückens entlang. Es kam ihr so leicht vor, den Hang hinaufzuklettern und die Reihen der toten Riesenspinnen zu umgehen. Bereits nach gefühlten wenigen Atemzügen erreichte sie die Stelle, an der Tensho und sie hinuntergeklettert waren. Am oberen Rand des Walles war nichts zu erkennen. Vielleicht waren die stationierten Wächter in ihrem toten Winkel. Entschlossen griff sie nach dem Steil, das wegen ihr noch nicht wieder eingeholt worden war, als plötzlich das Artefakt an ihrem Gürtel sachte zu vibrieren begann.

 

Die Worgen verengte ihre Augen und griff nach der Stimmgabe. Verwundert und misstrauisch zugleich betrachtete sie diese, während die Zinken schwangen. 'Im Norden - Erweckt den Windschnitter.' Die Worte des sterbenden Mantis kreisten ihr im Kopf herum. Aufmerksam warf sie einen Blick über ihre Schulter zu den düsteren Hügeln und Ruinen. War dieser Windschnitter etwa hier in der Nähe?

 

Unentschlossen spähte sie den gigantischen Wall hinauf, ob sie nicht doch jemanden sehen konnte. Ein Wächter, der entlang des Schlangenrückens patrouillierte, oder vielleicht sogar Tensho. Doch nach mehreren Herzschlägen war immer noch niemand zu sehen. Nachdenklich wandte sie sich von der Mauerwand ab und lugte zu der Stimmgabel in ihrer Pranke hinab. Nach kurzem Zögern steckte sie das Artefakt wieder in ihren Gürtel und lief los. Sie verließ den unmittelbaren Schutz der bekannten Mauer, als sie über die verwachsenen Steinplatten auf der Terrasse von Gurthan rannte, um etwas weiter in das Innere der Schreckensöde vorzudringen. Die Worgen wusste noch nicht einmal, wonach genau sie suchte. Was wäre, wenn der Windschnitter doch nicht die Antworten auf ihre Fragen hatte? Doch konnte sie sich diese Gelegenheit entgehen lassen? Struana erreichte schnell das Ende der Terrasse und gelangte an einen Hang, der steil nach unten führte. Abermals frustriert schnaubte sie die Luft aus ihren Nüstern aus, während sie über die dunklen Ebenen in der Ferne blickte. Die Stimmgabel vibrierte nun stärker, doch sie konnte einfach nichts auffälliges erkennen. Sie musste das - was auch immer sie suchte - doch wenigstens schon sehen können, oder?

 

Die Kriegerin sprang den Hang hinunter und hätte eigentlich auf Kies landen sollen, doch stattdessen trafen ihre Pfoten auf etwas hartes und glattes, wodurch sie abrutschte und stolperte. Sie konnte sich gerade noch fangen und blickte sich übelgelaunt nach dem etwas um, was sie fast aus der Bahn geworfen hätte. Doch zu ihrer Überraschung war es kein großer, glatter Stein, wie sie zunächst angenommen hatte. Das etwas ragte zur Hälfte aus der erdigen, steilen Hangwand und dem Kies auf dem Boden hinaus. Es sah aus wie ein erstaunlich großer Klumpen Bernstein, der erstaunlicherweise mitten in der Gegend herumlag. Mit vor Neugier zuckenden Ohren näherte sich die Worgen dem Bernstein und sah ihn sich aus der Nähe an. Der Brocken war riesig, mindestens so groß wie sie selbst und das musste bedeuten, dass es nicht Bernstein von einem beliebigen Baum war, sondern von einem Kypari. Doch was machte er gerade hier?

 

Struana ging stirnrunzelnd wieder einen Schritt zurück, als ihr der vibrierende Ton der Stimmgabel auffiel. Noch während sich die Worgen fragte, was gerade genau geschah, zog sie das Artefakt aus ihrem Gürtel. Die Stimmgabel vibrierte jetzt fast so stark, dass Struana sie in ihrer Pranke spüren konnte und sendete immer lauter werdende, summende Geräusche aus. Misstrauisch betrachtete sie das Artefakt und drehte es in ihren Klauen, als sie von einem plötzlichen Knacken aufgeschreckt wurde.

 

Atemlos starrte die Kriegerin auf den freigelegten Bernstein, auf dem sich ein tiefer Sprung gebildet hatte. Weiteres Knacken und Knistern folgte und weitere Risse bildeten sich an der Oberfläche. Struana legte ihre Ohren an, während der Bernstein langsam zerbrach und sich anhörte, als würde eine Eierschale zerspringen. Eine dickflüssige Substanz trat aus den Sprüngen heraus und sickerte auf den Kies, während der Bernstein auseinanderbrach. Sie fiel einfach zur Seite, wobei sie vor wenigen Momenten noch ihr eigenes Gewicht ausgehalten hatte und blieb im Kies legen. Dickflüssiges Harz breitete sich aus und schien immer flüssiger zu werden, während der Gesang der Stimmgabel schwächer wurde. Blinzelnd starrte die Worgen auf die Gestalt, die der Bernstein verborgen gehalten hatte.

 

Die Flüssigkeit - die unmöglich Harz sein konnte - perlte wie Wasser an der Rüstung und dem goldgelbem Chitin des Mantis herab, während dieser versuchte taumelnd zu stehen. Seine Fühler zuckten träge, als sich seine Vorderbeine streckten um Halt auf dem Boden  zu finden. Die Schulterplatten des Mantiden wirkte schwer und die lavendel- und perlmuttfarbenen Platten wurden durch eingeschweißtes Kyparit zusammengehalten. Sie waren mit Stacheln versehen, ebenso wie der Helm, den die Kreatur über seinem breiten Kopf trug. Unter dem Augenschutz erkannte Struana jadefarbene Augen, die verwirrt und müde umherhuschten, ohne etwas zu wahrzunehmen. An Armen und Beinen trug der Mantis mehrere Reifen aus demselben Material, wie seine Rüstung und aus seinen Handgelenken wuchsen sichelähnliche Stacheln. Zwei sehr große Flügel entfalteten sich langsam und streckten sich, während die letzten Tropfen der Flüssigkeit an ihnen abperlten.

 

Der Mantiskrieger legte seinen Kopf in den Nacken um einen tiefen Atemzug zu nehmen. »Ich bin... zurückgekehrt-... Die Klaxxi rufen mich.«, murmelte er langsam und leise. Seine befremdende, klackernde und heisere Stimme jagte Struana einen Schauer über den Rücken. Plötzlich krümmte sich der Mantis vor und begann unkontrolliert zu würgen. Er erbrach scheinbar etwas von der Flüssigkeit, die in dem Bernstein gewesen war, während er versuchte, zu Atem zu kommen und seinen zitternden Körper unter Kontrolle zu bringen.

 

Struana schüttelte ihren Kopf und starrte auf den Mantiskrieger mit einer Mischung aus Neugier und Unglauben. Was bei den Erhabenen war hier gerade passiert? War das wirklich gerade geschehen? Ein übermäßig großer Bernsteinbrocken war aufgeplatzt - vermutlich wegen der Stimmgabel - und ein Mantis war daraus hervorgekommen? Was beim Nether ging hier vor sich?

 

Fragen über Fragen türmten sich in der Kriegerin auf und sie wusste nicht, welche sie als erstes beantwortet wissen wollte und welche sie besser nicht beantwortet haben wollte. War das etwa der Windschnitter, von dem der sterbende Mantis in der Höhle gesprochen hatte? Struana erkannte die beiden, leicht geschwungenen Dolche, welche der Mantiskrieger in seinen klauenähnlichen Händen umklammert hielt, während er einen weiteren Schwall der bernsteinfarbenen Substanz erbrach. Seinem Zustand nach zu urteilen musste er geschwächt sein, weswegen sich Struana wegen der Dolche nicht nervös machen ließ. Sie war ohnehin schon nervös genug. Der Mantis war ungefähr zwei bis drei Köpfe größer als sie und allem Anschein irgendwie anders. Noch nie hatte sie einen Mantis gesehen der überhaupt so etwas wie eine Rüstung getragen hatte. Die Mantis des Schwarms trugen für gewöhnlich keine Rüstung, sie hatten ihren Chitinpanzer, der ohnehin schon hart genug war.

 

Der Mantiskrieger hob geschwächt seinen Kopf und suchte mit seinen Augen seine Umgebung ab. Er wirkte verwirrt, doch er schien jetzt immerhin etwas wahrnehmen zu können. Als er Struana in seinen Blick fasste, klickte er argwöhnisch mit seinen Kieferzangen. Die Kriegerin bewegte sich nicht, während sie immer noch auf ihn starrte. Ungläubig blinzelten seine jadegrünen Augen hinter dem Schutzgitter seines Helmes. »Wer seid Ihr, Fremdling?«, fragte er, gefolgt von einem feindseligen Knacken seiner Kieferzangen.

 

Die Worgen schüttelte kurz ihren Kopf und holte tief Luft. Sie wollte keine Schwäche zeigen, doch dieses Phänomen war immer noch unbegreiflich für sie. »Wenn Ihr schon fragt, mein Name ist Struana.«, antwortete sie und warf ihm die Stimmgabel vor die gehörnten Füße. Er erstarrte als er das Artefakt erkannte und schien kurzzeitig erschüttert, als er ungläubig darauf starrte. Das verschaffte Struana die Zeit die sie benötigte um sich wieder zu sammeln. »Ich hoffe für Euch, dass Ihr derjenige seid, denn man den Windschnitter nennt. Ansonsten habe ich keine Verwendung für Euch.« Struana zog ihre Lefzen zurück und funkelte den Mantiskrieger bedrohlich an. Langsam schritt sie um ihn herum, als er versuchte sich aufzurichten. Doch stattdessen lehnte er gebeugt auf seinen Vorderbeinen, welche ihm zusätzlichen Halt gaben. Auch mit seinen lächerlichen Dolchen, die er nach wie vor umklammert hielt, könnte die Kriegerin ihn einfach mit ihren Pranken abwehren. In einem Zweikampf wäre er ihr gegenüber deutlich im Nachteil - zumindest in diesem Augenblick. Der Mantis zischte abfällig und sah sie angeekelt an, weswegen Struana die Stirn runzeln musste. Sie konnte es nicht nachvollziehen.

 

»Hat es Euch die Sprache verschlagen?«, fragte sie ungeduldig und knurrte leise. »Antwortet gefälligst!«

 

Die Fühler des Mantiskriegers zuckten verärgert, während er Struana weiterhin ungläubig anstarrte. Doch er erkannte vermutlich, dass sie ihm überlegen war, denn noch einigen Herzschlägen antwortete er ihr. »Ja, ich werde wohl derjenige sein, den Ihr sucht. Ich bin Kil'ruk der Windschnitter.« Die Worgen verspürte Zufriedenheit in sich aufsteigen, doch ehe sie zu ihrer nächsten Frage ansetzen konnte, fragte stattdessen der Mantiskrieger barsch: »Wo ist der Klaxxi'va, den man zu meiner Erweckung schickte?«

 

»Auf einmal so redselig?«, fragte Struana sarkastisch und funkelte Kil'ruk amüsiert an. »Den Klaxxi- was? Ihr müsst den Mantis meinen, der wie ein Orakel aussah.«, schlussfolgerte sie, während sein harter Blick auf ihr ruhte. »Er wurde von einem anderen Mantis getötet und starb. Er gab mir auch dieses Artefakt.«, verkündete sie und deutete mit einem Kopfnicken auf die Stimmgabel, die noch immer vor den Füßen des Windschnitters lag. »Er sagte, dass Ihr wüsstet, wie man den Schwarm aufhalten kann. Doch Ihr seht selbst aus, als würdet Ihr jeden Augenblick vor Schwäche umfallen.«, stellte sie zerschmetternd klar.

 

Kil'ruk betrachtete Struana mit einer Mischung aus Ekel und Zorn, doch allein die Tatsache, dass er sich nicht gegen ihre Sticheleien wehrte, bekräftigte sie in ihrem Glauben, dass er zu schwach für einen Kampf war. Lediglich seine Fühler zuckten und seine Kieferzangen klickten verärgert. »Warum wart Ihr in dem Bernstein eingesperrt?«, fragte die Worgen gelassen und hob abermals amüsiert ihre Lefzen, wobei sie bedrohlich die Reihen ihrer Reißzähne entblößte. »Ihr werdet wohl kaum freiwillig da drin gewesen sein, Mantis.«

 

Der Windschnitter klickte hart mit seinen Kieferzangen und zischte erbost, als hätte sie ihn getreten. Doch noch immer schien er nicht auf ihre bissigen Kommentare eingehen zu wollen. Aber sie sah Kil'ruk an, dass es ihm sichtlich schwerer fiel, es einfach hinzunehmen. Verärgert hob er seinen Blick zu ihr auf. »Ja, ich weiß wie man den Schwarm aufhalten kann, Fremdling.«

 

»Wie?«, fragte Struana unverwandt und verengte ihre bernsteinfarbenen Augen. Sie spürte die Anspannung in sich aufsteigen. Wenn sie mit dieser Information zurück zum Schlangenrücken kommen würde, hätten sie eine Möglichkeit diesen absurden Kampf zu beenden, der laut Tensho irgendwann enden würde.

 

Kil'ruk zitterte, als er sich aufrichtete und sein Gewicht verlagerte, sodass er seine Vorderbeine wieder unter seinen Unterleib zurückziehen konnte. »Mein derzeitiger Zustand ist nicht gerade... gut. Ich habe viele Jahre geschlafen.«, erläuterte er mit einem abfälligen Unterton in seiner krächzenden Stimme. Struana zuckte mit ihren Ohren, als der Windschnitter sie herausfordernd anfunkelte. Misstrauisch hörte sie ihm zu, während er fortfuhr: »Ich werde Euch sagen, wie man den Schwarm aufhalten kann. Allerdings hätte ein Klaxxi'va meiner Erweckung beiwohnen sollen...« Er machte eine kurze Pause und wieder schlich der Ausdruck des Ekels über seine Augen. »Aber nun, werdet Ihr mir genügen müssen.«

 

»Worauf wollt Ihr hinaus?«, fragte die Kriegerin und sie musste ein Knurren unterdrücken, welches in ihr aufsteigen wollte. Sie sah den Windschnitter aus verengten Augen heraus an. »Ich bin Euch nichts schuldig.«

 

»Und dennoch wollt Ihr etwas von mir wissen.«, krächzte Kil'ruk und funkelte sie mit seinen jadegrünen Augen an. »Im Süden spüre ich das Summen von Saftfliegen. Bringt sie mir, damit ich zu Kräften kommen kann. Danach werde ich Euch erzählen, was Ihr wissen wollt.«

 

Struana glaubte nicht recht gehört zu haben, während der Windschnitter scheinbar etwas belustigt wirkte. »Ihr verlangt was von mir?!«, keifte sie laut und entrüstet, als sie ihm einen stechenden Blick zuwarf. Drohend ging sie einige schnelle Schritte auf ihn zu. »Ich könnte Euch auf der Stelle mit meiner Waffe den Kopf von den Schultern trennen.«, knurrte sie und umfasste ihre Stangenwaffe auf ihrem Rücken. Wie dreist dieser Mantis war!

 

»Ihr würdet aber nie erfahren, was Ihr wissen wollt, Fremde.«, entgegnete Kil'ruk ruhig und verengte seine Augen, ihrem Blick stand haltend. Struana hielt inne und starrte ihn noch immer entrüstet an. »Ihr könntet mich auch töten, sobald Ihr habt was Ihr wollt. Warum sollte ich meine Möglichkeiten nicht ausschöpfen?«, raunte der Windschnitter und wirkte - was für Struana unerklärlich war - ziemlich gelassen.

 

Ein leises Knurren stieg in ihr auf, während sie langsam den Griff um ihre Stangenwaffe wieder löste. Wut pochte in ihren Ohren, während sie ihn musterte. Er wirkte einfach zu schwach, als dass er in der Lage gewesen wäre Anforderungen zu stellen. Wie dreist dieser Mantis doch war. Doch es war ihm gelungen das Blatt zu seinem Vorteil zu wenden. Frustriert wandte sich Struana von ihm ab. Der Windschnitter war zu schwach um wegzufliegen - er konnte ja noch nicht mal richtig stehen! Wenn also hier in der Nähe irgendwelche Kreaturen lauern sollten, könnte er sich auch nicht wehren. Mal ganz davon abgesehen, dass hier ohnehin nur noch Mantis lebten - mal von den Riesenspinnen und vielleicht dem ein oder anderen Saurok abgesehen - konnte sie nicht riskieren, dass ihm irgendetwas zustieß, während sie diese Saftfliegen fangen würde. Wie konnte sie-...

 

Der Einfall kam ihr in den Sinn, als sie genervt auf den Kypari starrte, der in kaum dreißig Fuß Entfernung vor ihr aufragte. Der gewundene Stamm wirkte morsch und alt, aber die riesigen Wurzeln wanden sich über den Boden, ehe sie sich in die Erde gruben. Sie sollten breit genug sein um dem Mantiskrieger ein einigermaßen sicheres Versteck bieten zu können. Struana sah über die Schulter zurück zu ihm. »Na gut.«, murmelte sie gepresst und mit Widerwillen. Sie deutete auf den Kypari, ehe sie weiter sprach: »Wartet an den Wurzeln auf mich. Dort seid Ihr geschützt, falls eine Saftfliege auf die Idee kommen sollte Euch anzugreifen.«

 

Struana konnte sich ein selbstgefälliges Grinsen nicht verkneifen, als sie die Wut in Kil'ruks Augen auflodern sah. »Und macht nichts dummes, während ich Eure Saftfliegen fange.«, murrte sie, ehe sie sich auf alle Viere vorbeugte. Mit einem argwöhnischem Blick sah sie über ihre Schulter und beobachtete, wie der Windschnitter bereits ein paar Schritte hinter sich gebracht hatte. Selbst wenn er versuchen sollte zu fliehen, er würde nicht weit kommen. »Und wenn ich zurück komme, möchte ich eine Antwort.«, knurrte sie dumpf. Die Worgen sprintete über die Hügel und ließ den Mantis hinter sich. Eilig sprang sie über einige zerstörte Bodenplatten der Terrasse von Gurthan um schnell nach Süden zu kommen, als sie auch schon die kleinen, leuchtenden Insekte um einen toten Strauch herumfliegen sah. Wenn sie dies hinter sich gebracht hatte, würde sie mit den Neuigkeiten sofort zum Schlangenrücken zurückkehren. Dann konnten die Verteidiger des Tals einen Plan schmieden und hoffentlich würde dieser sinnlose Kampf vorzeitig beendet werden.

 

 
 

  *****

 

 

Kil'ruk sah der Niederen Kreatur, deren Gestalt er noch nie zuvor erblickt hatte angewidert nach. Für ein paar Herzschläge hielt er inne, ehe er sich den Hügel hinaufschleppte um die Wurzeln des Kyparis zu erreichen. Genervt streckte er seine Flügel ein weiteres Mal nahezu geräuschlos und dachte daran wie einfach es wäre jetzt fortfliegen zu können. Noch nie hatte er sich so schwach, so erbärmlich hilflos gefühlt. Noch nicht einmal, als er tagelang nach seiner Geburt mit Sprengladungen zur Mauer geflogen, diese fallen gelassen und wieder zurückgekehrt war, um Nachschub zu holen. Frustriert zuckte er mit seinen Fühlern, während er immer noch den Hügel hinaufstieg - was ihn ebenfalls Anstrengungen kostete.

 

Dazu kam, dass er verwirrt war, verwirrt von seiner Umgebung, die er nicht wieder erkannte. Das Land starb unter seinen Beinen und wurde von einer Macht verpestet die ihm so wie sie entstand unbekannt war. Selbst der Kypari, dessen starke und stämmigen Wurzeln er nun erreichte, wirkte krank und schwach. Warum war der Himmel über ihm so dunkel und seine Umgebung so kalt? Natürlich hatte er nicht erwartet, dass sich nach Jahrhunderten nichts verändern würde, aber dieses Ausmaß der Veränderungen, hätte er niemals auch nur erahnen können.

 

Ein plötzlicher Würgereflex überkam Kil'ruk, gegen den er ächzend ankämpfte. Er keuchte und dachte daran, dass sich Ninil'ko damals genauso gefühlt haben musste, als er ihn aus seinem Bernschlummer erweckt hatte. Mit Bitterkeit dachte er daran, dass bei der Erweckung des Blutrufers allerdings die Klaxxi anwesend gewesen waren und ihm das gebracht hatten, was er brauchte um wieder zu Kräften zu kommen. Der Windschnitter umfasste seine Dolche etwas fester, als er mit einem weiteren Anflug von Übelkeit und Ekel wieder an die Niedere Kreatur dachte. Sie würde ihm die Saftfliegen bringen, davon war er überzeugt. Zu versessen war die Fremde von der Vorstellung den Schwarm aufhalten zu können. Doch wie konnte nur zugelassen werden, dass ausgerechnet dieses Wesen, eine dumme, wertlose, Niedere Kreatur ihn erweckt hatte? Allein bei dem Gedanken an ihre Gestalt, wurde ihm wieder schlecht.

 

Verärgert schlug er mit seinen Kieferzangen gegeneinander und zuckte mit seinen Fühlern, doch noch immer empfing er kein Zeichen von den Klaxxi. Zuerst war er deswegen beunruhigt gewesen, weil er sie nicht hören konnte, doch nun störte es ihn wie eine Klette. Welche Bestimmung hatten die Klaxxi für ihn freigehalten? Was war es, wobei sie die Hilfe eines Getreuen brauchten? Er würde es wohl selbst herausfinden müssen, spätestens wenn er in Klaxxi'Vess angekommen war. Doch was sollte er mit der-... dieser Niederen anfangen?

 

Seine Gedanken wirbelten umher, als sich mehr Fragen über Kil'ruk auftürmten. Er versuchte diese ganzen, ungeklärten Fragen beiseite zu schieben und wieder zu Kräften zu kommen. Auch wenn er den abartigen Zustand, von dieser Kreatur abhängig zu sein, fürs Erste ertragen musste. Doch er hatte nicht vor, auf ihr Spiel einzugehen.

 

Der Windschnitter hob langsam seinen Kopf und lauschte, als er Schritte und ihm vertraute Geräusche vernahm. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und sah sich suchend um, als das Schlagen von Kieferzangen und leises, Krächzen und Zischen lauter wurde. Kil'ruk wirkte nun etwas kräftiger als direkt nach seiner Erweckung, doch noch immer spürte er diese widerwärtige Schwäche - er hasste sie. Doch möglicherweise hatten die Klaxxi vom Tod des Klaxxi'va erfahren und hatten ein paar Vesswachen geschickt, um ihm Ambersaft oder Kyparit zu bringen. Die Aussicht, nicht von dieser niederen Kreatur abhängig sein zu müssen, erleichterte ihn, doch diese verschwand, als sich drei kleine Mantis die Wurzeln des Kyparis hochzogen und auf ihn herabstarrten.

 

Die Mantis waren jung, Schwarmgeborene und zischten ihn feindselig an. Einer von ihnen kreischte triumphierend: »Hier ist der Getreue! Geschwächt von seinem Schlaf.« Kil'ruk verengte seine jadegrünen Augen, während er die falsche Präsenz der Energien wahrnahm. Sie waberte um die Leiber der kleinen Mantiden - nein - es war fast so, als würde sie von ihnen ausgehen. Sie waren erbärmlich klein, zu klein, als dass man sie zur Mauer hätte schicken können. Was machten sie so weit fernab der Gelege? Sie dürften nicht hier sein, es war falsch und das beunruhigte Kil'ruk.

 

Die Fühler der Schwarmgeborenen zuckten aufgeregt. »Sie befielt es uns.«, zischelte einer von ihnen, während ein anderer langsam nickte. »Sie hat uns die Stärke gegeben, um ihren Willen auszuführen.« Der Windschnitter spannte sich an, während die drei kleinen Mantiden auf ihn herabstierten. »Was sagt Ihr Wille?«, fragte Kil'ruk, doch die Schwarmgeborenen sahen erschüttert und wütend auf ihn herab. Einer sprang von der Wurzel auf ihn herab, doch der Windschnitter hob seinen Dolch und wehrte seine kleinen, scharfen Klauen ab. Er wollte verstehen, was vor sich ging. »Ist es wirklich Ihr Wille?!«, zischte er gepresst und klackerte mit seinen Kieferzangen. Er bewegte sich steif, als sich der kleine Mantis mit ungewöhnlicher Kraft gegen ihn stemmte. »Der Wille der Kaiserin?«

 

Kil'ruk fixierte die beiden kleinen Mantis auf der Wurzel, doch keiner antwortete ihm. Stattdessen sprang ein weiterer direkt auf ihn und er wankte. Diese merkwürdige Essenz die von den Schwarmgeborenen ausging, verlieh sie ihnen diese Kräfte sogar einen Getreuen - egal wie schwach Kil'ruk auch in diesem Augenblick war - zum Wanken zu bringen? Er ächzte, als ihn ein Hieb auf seine Beine in die Knie zwang. »Wie könnt ihr es wagen-...«, doch weiter kam der Windschnitter mit seiner Drohung nicht, denn die beiden Schwarmgeborenen stürzten sich kreischend auf ihn. Sie bissen mit ihren Kieferzangen und kratzten mit ihren kleinen Klauen. Kil'ruk hatte Mühen seine Dolche schützend vor sich zu halten um sie abzuwehren. Er strampelte mit seinen Beinen und traf auch einen der beiden, um ihn von sich wegzustoßen. Wieder verfluchte er sein Schicksal, nicht von einem ehrwürdigen Klaxxi'va erweckt worden zu sein, sondern von einer nutzlosen Niederen. Er war zu schwach um sich selbst gegen Schwarmgeborene verteidigen zu können. Der Windschnitter zischte laut und hieb mit seinem Dolch über die Vorderbeine des kleinen Mantis, doch diesen schien es noch nicht einmal zu stören, dass er sie verlor und sie zu Boden fielen. Wie besessen kreischte er und griff Kil'ruk wieder an, während dieser versuchte sich halbherzig wegzuziehen. Während die kleine Plage über ihm stand begann er zu verstehen, warum er erweckt worden war.

 

Ein schauderhaftes Geheul erhob sich über dem Kreischen, während sich ein aggressives Bellen immer weiter näherte. Etwas trommelte über die Erde und stoppte abrupt, während ein Schatten zu Kil'ruks Seite auftauchte. Ein surrendes Geräusch ertönte, ehe der Widerstand des Schwarmgeborenen über ihm nachließ. Schmatzend wurde die breite Klinge aus dem gebrochenen Chitinpanzer herausgezogen, während der Mantis zusammensackte. Die Gestalt der Niederen Kreatur sprang von der Wurzel und die weißen und schwarzen Schatten, die eben noch um den toten Leib des Schwarmgeborenen getanzt hatten, neutralisierten sich. Die Fremde drängte sich vor Kil'ruk und stellte sich den beiden verbliebenen Mantiden entgegen. Goldgelbe Schleier hingen vor ihren Augen, während sich ihre wölfischen Gesichtszüge angriffslustig verzerrten.

 

Mit einem schwungvollen Hieb trennte sie dem Schwarmgeborenen, der sich kreischend auf sie stürzen wollte die Beine ab, ehe sie die Waffe in seinen Thorax stieß. Mit wilder Kampfeslust schien die Niedere gegen die Mantis zu kämpfen, was selbst den Windschnitter in Faszination versetzte. Scheinbar kämpfte sie mit dem taktischen Gefühl eines Pandaren und mit der schieren animalischen Mordlust eines Saurok. Der letzte Schwarmgeborene fiel schließlich auch kreischend und gurgelnd. Er wollte sich auf die Kreatur stürzen, doch schnell hatte die Niedere reagiert und ihre Waffe wie einen Speer gehalten. Der kleine Mantis hatte sich selbst aufgespießt und das Blatt der Stangenwaffe hatte ihn völlig durchtrennt. Mit einem Grunzen ließ sie die Klingenseite auf den Boden fallen, trat auf den Leib des Schwarmgeborenen und zog ihre Waffe heraus.

 

Mit gesenktem Kopf beobachtete Kil'ruk die Niedere Kreatur. Er wollte nicht daran denken, was sie gerade getan hatte und welche Auswirkungen es haben könnte. Sie würde kein langes Leben mehr haben. Er empfand so viel Abscheu und Ekel ihr gegenüber und auch, wenn sie eine fast schon absurde Faszination in ihm auslöste, fragte er sich verbittert, warum ausgerechnet diese Fremde seine Erweckerin sein musste.

 

 
 

  *****

 

 

Schnaufend rammte Struana ihre schwere Stangenwaffe in den toten Boden. Sie kam nun das erste Mal dazu wirklich durchzuatmen, nachdem sie die Strecke vom Rande des Sumpfes bis hierher gerannt war. Sofort als sie das Kreischen aus der Richtung des Kyparis zu ihr leise hallte, war sie gelaufen wie eine Irre um wieder zu dem Windschnitter zu kommen. Zuerst glaubte sie er wolle fliehen, aber dann hatte sie die drei Schwarmgeborenen gesehen, die ihn angegriffen hatten. Was an diesem bescheuerten Mantis so besonders sein sollte, verstand sie immer noch nicht und noch weniger, warum sich die Mantis gegenseitig angriffen.

 

Die Kriegerin gab ein Ächzen von sich, ehe sie sich zu dem Mantiskrieger umdrehte und ihn musterte. Kil'ruk kauerte zwischen den starken Wurzeln des Kyparis und funkelte sie angewidert an. Immerhin schien er nicht verletzt zu sein. »Warum scheinen alle hinter Euch her zu sein?«, fragte Struana und zuckte mit ihren Ohren. Was war sein Geheimnis? Er verschwieg ihr etwas gravierendes und sie überkam ein Gefühl, dass sie etwas falsches getan hatte ihm zu helfen. Der Windschnitter antwortete nicht, sondern starrte sie weiterhin stumm an. Die Worgen rollte mit den Augen und konnte sich ein genervtes Stöhnen nicht verkneifen. Sie öffnete ihre Gürteltasche und ließ mehrere tote Saftfliegen vor seine Füße rollen. Immerhin hatte sie es geschafft fast zwanzig von diesen lästigen Viechern zu fangen und das sollte seine Zunge lockern. »Das sollte ausreichen.«, murrte sie, während Kil'ruk gierig nach einer Saftfliege griff. Er ließ sie in seinem Schlund direkt hinter dem Helm und zwischen seinen Kiefern verschwinden.

 

Struana hörte nur gelegentlich das Klicken seiner Kieferzangen und ein leises, Schlucken, während er nach der nächsten Saftfliege griff, als wäre es ein leckerer Snack. Er war immer noch geschwächt - natürlich - immerhin hatte er nicht einmal gegen drei kleine Mantiden bestehen können. Doch warum hatten sie ihn angegriffen? Sie verengte ihre Augen, während sie den Windschnitter beobachtete. »Was ist jetzt? Ist es in Euren Reihen normal, dass Ihr Euch gegenseitig abschlachtet?«, fragte sie ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass er gerade fraß.

 

Kil'ruk hielt kurz inne, schien aber immer noch nicht antworten zu wollen. Nur das missbilligende Funkeln in seinen jadegrünen Augen verriet Struana, dass er genervt war. Sie knurrte ihn leise an. Er hatte keinen Grund genervt zu sein! Immerhin hatte sie diese blöden Insekten fangen müssen. »Wir hatten eine Abmachung, Kil'ruk.«, zischte sie verächtlich und legte so viel Abneigung wie nur möglich in seinen Namen.

 

Endlich blickte er langsam zu ihr auf. Widerwillig krächzte er: »Ich bin nicht wie die anderen meines Volkes, Erweckerin.«

 

Die Kriegerin zuckte unmerklich mit ihren Ohren und runzelte ihre Stirn. Erweckerin? Warum nannte er sie so? Wieso hörte sich dieser - sie wusste nicht wie sie es anders hätte ausdrücken können - Titel so merkwürdig falsch an? Als würde er sich über sie lustig machen? »Erklärt mir, was Ihr meint.«, verlangte sie zu wissen, als sich Kil'ruk schon wieder seiner Mahlzeit zugewandt hatte. Es behagte ihr nicht, wie er so erpicht dahinter war, die Saftfliegen so schnell wie möglich fressen zu wollen.

 

Der Windschnitter wirkte zuversichtlicher, als er sie zornig anfunkelte. »Seht Euch doch um!«, fauchte er sie so plötzlich an, dass die Worgen sogar einen Schritt zurückwich. »Schwarmgeborene verlassen zu früh die Gelege und werden in einer Macht getränkt, mit der sie nicht in Berührung kommen dürften. Ihr wollt den Schwarm aufhalten? Warum?! Weil er Euren geliebten Wall überfällt?« Kil'ruk rasselte leise aus seiner Brust heraus und klickte mit seinen Kieferzangen. »Das ist nicht Teil des Zyklus. Doch selbst die Helden sind dazu verdammt von Fremdlingen, Niederen Kreaturen abhängig zu sein.« Den letzten Satz sprach er besonders abfällig aus, weshalb Struana ihre Ohren flach anlegte.

 

»Mein Name ist Struana.«, knurrte sie, als Kil'ruk bereits weiter fraß. Er tat fast so als hätte sie noch nicht einmal gesprochen. »Hört auf mich Fremdling, Niedere Kreatur...- oder sonst was zu nennen!«

 

Kil'ruk blickte scheinbar amüsiert auf. Etwas Drohendes funkelte in seinen Augen, während er sie gelassen ansah. »Oder was, Erweckerin?«, fragte er ruhig, wobei Struana leise knurrte. »Ich werde Euch nicht bei Eurem Namen nennen. Ihr habt ihn Euch nicht verdient, außerdem seid Ihr es nicht wert einen zu tragen.«

 

Struana starrte auf ihn herab. Was gab dieser eingebildete Mantis von sich? Sie war es nicht wert, einen Namen zu besitzen?! »Ihr seid doch verrückt.«, murrte sie, während die plötzliche Wut in ihrem Bauch wieder abnahm. Warum unterhielt sie sich eigentlich mit diesem Idioten über so etwas dämliches?

 

»Ich bin, im Gegensatz zu Euch Fleischling, bei klarem Verstand. Aber Ihr könnt von Euch geben, was immer Ihr wollt.«, säuselte er rasselnd und fixierte sie mit seinem Blick. »Ihr seid bedeutungslos. Eure Existenz ist Zeitverschwendung. Es ist egal in wie vielen Schlachten Ihr bereits gekämpft hättet, welche Monster Ihr in die Knie gezwungen und welche Könige Ihr gestürzt habt. Es hat keinen Wert unter den Mantis, denn Ihr seid ein Nichts im Vergleich zu einem Schwarmgeborenen. Ein winziger Tropfen in einem reißenden, nicht endenden Fluss. Allein dass Ihr in meiner Gegenwart atmet, ist mir gegenüber eine Beleidigung.«

 

»Wie viel Blödsinn könnt Ihr eigentlich von Euch geben?«, knurrte Struana dunkel und drehte sich schnaubend von ihm weg. Diese komplette Unterhaltung hatte keinen Sinn. Warum verlief das Gespräch nicht so wie sie es sich erhofft hatte? Wie waren sie zu solch uninteressanten Themen gekommen? Kil'ruk machte sich nur lustig über sie! Die Kriegerin ging einen Schritt zu ihrer Stangenwaffe und zog sie mit einem Ruck aus dem Boden. Für ein paar Herzschläge starrte sie auf ihre Waffe und überlegte, ob sie den Mantis nicht einfach töten sollte, doch welchen Sinn hatte das jetzt noch? Dann hätte sie sich die ganzen Umstände sparen können. Bitter verzog sie ihr Gesicht. Wie hatte sie sich nur so benutzen lassen können?

 

Struana hörte, wie sich Kil'ruk hinter ihr bewegte und prüfend warf sie einen Blick über ihre Schulter. Er verspeiste die letzte Saftfliege, die übrig geblieben war - und zu ihrer eigenen Verwunderung wirkte er nun viel stärker. Der Windschnitter streckte fast geräuschlos seine großen Flügel durch. Struana seufzte leise. »Ihr werdet mir nicht verraten, wie man den Schwarm aufhält, oder?«, fragte sie und konnte ihre Frustration nicht unterdrücken. Sie hielt ihre Ohren gespitzt, doch wie erwartet antwortete Kil'ruk nicht. Er würde bald kräftig genug sein um fortfliegen zu können. Fliegen, wohin immer er auch wollte. Die Worgen lenkte ihren Blick wieder nach vorne und sah den Schlangenrücken hinauf.

 

»Dann habe ich nichts mehr mit Euch zu schaffen.«, murmelte sie leise und ging los. Sie würde diesem Mantiskrieger - Kil'ruk dem Windschnitter - wieder begegnen, da war sie sich sicher. Irgendwann würden sie sich auf dem Schlangenrücken gegenüberstehen und dann könnte sie ihre Schuld dem Feind geholfen zu haben wieder gut machen. Das hoffte sie zumindest. Vielleicht würde sie Tensho hiervon erzählen, vielleicht auch nicht. Zu enttäuscht war sie von ihren Handlungen, als auch nur daran zu denken sie jemanden mitzuteilen.

 

»So einfach geht das nicht.«, krächzte Kil'ruk und es klang fast, als würde er direkt hinter ihr stehen, obwohl er sich nicht von der Stelle gerührt hatte. Sie hätte es bestimmt gehört, wenn er ihr gefolgt wäre. »Ihr seid eine Niedere, aber die Erweckerin. Ich kann Euch nicht einfach gehen lassen.«

 

»Zum Nether damit!«, knurrte Struana laut und beschleunigte ihre Schritte. Seine Stimme war viel kräftiger als zuvor. Plötzlich hörte sie ein summendes Geräusch über sich und der Wind wurde zu ihren Seiten aufgewirbelt. Schnell schossen die Vorderbeine  des Mantis vor und klemmten sich um ihre Oberarme und Schultern. Die Worgen wurde ruckartig in die Luft gerissen und ihre Stangenwaffe fiel klirrend zurück auf den Boden. Sie verfluchte sich selbst für ihre Unachtsamkeit und knurrte erschrocken auf.

 

Die Kriegerin schlug mit ihren Pranken nach oben um Kil'ruk zu treffen und kratzte mit ihren Klauen über seine Vorderbeine. Die Klammerung lockerte sich etwas und sie rutschte nach unten. »Wagt es auch nur daran zu denken mir weiterhin schaden zu wollen und ich lasse Euch fallen!«, kreischte der Windschnitter rasselnd. Seine Umklammerung festigte sich wieder und Struana sah an ihren Pfoten herab. Der Boden der Schreckensöde lag bereits gute hundert Fuß unter ihr. Einen solchen Sturz würde sie nicht überleben und es war zu kurz für sie, um sich für die Wandlung in eine Krähe zu konzentrieren. Warum hatte sie diesen einzigen Rest ihrer Vergangenheit nicht trainiert? Es wäre so einfach gewesen jetzt zu entkommen! Und wie hatte es dieser Mantis geschafft so schnell an Höhe zu gewinnen? Mantis konnten fliegen - ja und nein - sie schwebten viel mehr durch die Luft. Sie waren für gewöhnlich nicht unbedingt schnell.

 

Frustriert knurrte sie und starrte nach oben, wobei sie nur die Kieferzangen des Windschnitters erkennen konnte die unter seinem Helm verschwanden. »Madenabschaum! Wohin bringt Ihr mich?!«, bellte sie ihm wütend entgegen, während die Luft um ihre Ohren herum pfiff. Noch nie hatte sie einen so schnellen Mantisflieger gesehen. Kil'ruk flog wirklich und zwar atemberaubend schnell, fast schon als wäre er ein Flugreittier. Struana versuchte hinter sich zu sehen, was ihr nach einigen Verrenkungen auch gelang und sah, wie sie sich immer weiter vom Schlangenrücken entfernten. Unter ihren Füßen fraß sich eine hässliche, von Sha Energie überflutete Narbe durch die Schreckensöde und wurde immer breiter, je weiter sie in das Landesinnere flogen.

 

Struana war angespannt, als sie ein weiteres Mal schrie: »Antwortet mir!«

 

»Ruhe!«, zischte Kil'ruk. »Ihr seid die Erweckerin, ob es Euch - oder mir - gefällt oder nicht. Wenn es nach mir ginge, hätte ich Euch schon längst fallen gelassen. Aber Ihr habt mich erweckt und Ihr scheint auch nicht vollkommen nutzlos zu sein. Der Rat wird vielleicht noch Verwendung für Euch haben.«

 

»Von welchem verdammten Rat redet Ihr?«, zischte Struana und begann wieder mit ihren Beinen zu strampeln. Der Gedanke in irgendein Nest mit Schwärmen von Mantis geworfen zu werden behagte ihr überhaupt nicht. Dann wollte sie doch lieber den Versuch wagen sich in kurzer - viel zu kurzer - Zeit in eine Krähe zu verwandeln. Doch die starken Vorderbeine von Kil'ruk drückten sie fester an seinen Leib und quetschten ihre Arme.

 

»Dem Rat dem ich diene.«, zischte der Windschnitter und flog immer weiter Richtung Westen, tiefer in die Schreckensöde hinein. Nie hätte Struana gedacht, dass er in der kurzen Zeit so viel Kraft gewinnen würde, um wieder fliegen zu können und sie einfach mitzuschleppen. Sie hätte ihm diese Saftfliegen niemals bringen dürfen. Was war in diesen winzigen Insekten gewesen, dass er wieder so viel Kraft hatte? Warum war sie nur so närrisch gewesen, dem sterbenden Mantis zu trauen?

 

»Vorhin sagte ich Euch, dass ich anders bin, als diejenigen meines Volkes, denen Ihr auf dem Schlangenrücken begegnet seid. Ihr bin Kil'ruk, der Windschnitter. Ein Krieger aus einem vergangenen Zeitalter.«, begann der Mantiskrieger erneut zu sprechen. Struanas Ohren zuckten hektisch. Gerade jetzt, hundert Fuß über dem Boden fliegend, hatte sich seine Zunge gelockert und sie sollte sich seine Erzählungen anhören? Am liebsten hätte sie laut geschrien, doch ihr blieb keine andere Wahl. »Zu meiner Zeit war dies, wo Ihr mich fandet eine Feste der Mogu. Es war mir eine Ehre, die Wände mit ihrem Blut zu färben.«

 

»Das ist ja wirklich unglaublich!«, keuchte die Worgen ironisch, ehe Kil'ruk kurzzeitig die Funktion seiner Flügel einstellte und einige Meter nach unten fiel. Ihr Herz rutschte wie ein Kloß in ihren Hals und zurück bis in die Zehenspitzen, als er wieder summend mit den Flügeln schlug und weiter flog. Durch den Ruck hatte sich der Druck um ihre Arme nur noch mehr verstärkt und sie klammerte sich an seinen Vorderbeinen fest um einen Gegendruck zu erzeugen. Struana war der festen Überzeugung, dass Kil'ruk das mit Absicht gemacht hatte und sie konnte sich den sadistischen Ausdruck in seinen Augen wirklich gut vorstellen. »Könnt Ihr mir das nicht erzählen, wenn Ihr mich irgendwo abgesetzt habt?«, fragte sie gepresst.

 

Die Worgen stöhnte genervt und angespannt, als Kil'ruk unbeirrt weiter erzählte, als wäre er nie unterbrochen worden. »Aufgrund meiner Taten wurde ich zu einem Getreuen. Ein Held, in Amber konserviert für eine Zeit, in der das Reich vom rechten Pfad abkommen würde.«

 

Struanas Gedanken rasten, während Kil'ruk für den weiteren Flug schwieg. Mit der 'Feste der Mogu' musste er die Terrasse von Gurthan meinen, die Ruinen in denen sie ihn gefunden hatte. Also kam er wirklich aus der Vergangenheit? Denn laut Tensho hatte dieser Kriegsherr Gurthan gelebt, als die Pandaren noch versklavt waren. Aber wie-... In Amber konserviert? Dieser merkwürdige Bernstein? Wie war das möglich? Das musste mehrere Jahre - ach was - Jahrhunderte wenn nicht sogar mehr her sein.

 

Die Worgen knurrte leise und missbilligend. Ihr Fell kribbelte immer mehr vor Anspannung und ihre Arme juckten vor Taubheit. Warum hatte Kil'ruk sie überhaupt mitgenommen? Weil irgendein Rat der Mantis sie vielleicht noch gebrauchen könnte? Sie schnaubte abfällig, als sie sich ausmalte, wie sich eine Horde Mantis auf sie stürzen würde um ihr das Fleisch von den Knochen zu reißen. Struana zweifelte selbst, dass sie von großem Nutzen sein würde, wenn sie es ohnehin nicht einmal wert war einen verdammten Namen zu besitzen! Wie könnte sie hier herauskommen? Vielleicht wenn der Windschnitter irgendwann landen würde. Vielleicht hätte sie eine Möglichkeit zu fliehen. Die Erde unter ihren Pfoten veränderte sich immer mehr und die Narbe hatte sich ausgebreitet. Die Schleier des Shas wurden dichter, je weiter sie in die Schreckensöde flogen und Struana wurde mit jedem weiteren Herzschlag unbehaglicher.

 

Auf einmal zischte Kil'ruk aufgebracht und blieb in der Luft auf der Stelle stehen. Struana hob ihren Blick von dem Boden auf und konnte es nicht verhindern, dass ihr der Mund aufklappte. Ein gigantischer Kypari pulsierte vor Sha-Energie und ragte tot und leblos in den Horizont hinauf. Zwischen seinen mächtigen Wurzeln, war eine Art Festung errichtet. Aus Chitin geformte, perlmuttfarbene Fenster hoben sich von dem grauen Gestein des Gebäudes ab, welches an den Baum angelehnt erbaut worden war. Riesige Balkone ragten aus den Gemäuern und große, bernsteinfarbene Kuppeln beleuchteten den Kypari in einem sanften, bernsteinfarbenen Licht. Die schwarzen und weißen Schleier der Sha-Energie schwebten über der Festung und wollten mit dem Schein der Kuppeln nicht so recht harmonieren. Alles war über und über mit der Essenz des Shas verdorben und Struana konnte ihr Entsetzen darüber nicht in Worte fassen. Sie hatte gewusst, dass die Schreckensöde befallen war, aber ein solches Ausmaß hatte sie noch nie bisher zu Gesicht bekommen.

 

»Der Palast!«, stieß Kil'ruk entsetzt aus, der die ganze Zeit mit ihr in der Luft auf der Stelle in der Luft geschwebt war, als er seine Stimme wieder fand. »Dies ist... nicht unser Weg! - Jetzt verstehe ich, warum die Klaxxi handeln müssen.« Er schien erschüttert, kaum in der Lage seine Stimme kontrollieren zu können, als er fortfuhr: »Was ist das für eine Macht, die unser Land verbrennt und unsere Bäume verdirbt?« Der Windschnitter schien völlig fassungslos zu sein, was noch dadurch unterstrichen wurde, dass er wieder an Höhe verlor. Oder es lag daran, dass er doch noch immer nicht völlig bei Kräften war. Struana sah beunruhigt zu ihm nach oben.

 

»Das ist das Sha.«, sprach sie ruhig, während sie sich daran erinnerte, dass Kil'ruk Jahrhunderte lang - oder noch länger - geschlafen hatte. Er konnte diese Manifestationen des Shas also noch gar nicht kennen. »Es ernährt sich von negativen Gefühlen und zehrt die Seelen auf.«

 

Der Windschnitter erwiderte daraufhin nichts. Wie hypnotisiert starrte er weiterhin fassungslos auf das Gebilde, welches der Palast der Mantis war. Langsam wandte er sich um. Er flog nun südöstlich über die furchtbare Narbe, welche sich weit in die Schreckensöde fraß und die Energien des Shas darüber wirbelten. »Wohin fliegen wir, Kil'ruk?«, fragte Struana erneut und blickte hoffnungsvoll zu ihm auf. »Und wer sind die Klaxxi? Sind das die, die Euch eigentlich erwecken sollten?«

 

Der Windschnitter nickte benommen. Sein Flug wurde etwas holpriger, je weiter sie den Palast wieder hinter sich ließen. »Ich muss zu den Klaxxi. Sie bilden den Rat unserer weisesten, kulturellen Anführer. Sie kontrollieren die Macht der Kaiserin.« Er klickte einige Male hintereinander mit seinen Kieferzangen. »Sollte die Kaiserin verderbt werden, oder unsere Zivilisation bedrohen, haben die Klaxxi geschworen, sie zu entmachten.«

 

Struana zuckte mit ihren Ohren und versuchte ihm zu folgen, allerdings wollte es ihr nicht so recht gelingen. Vielleicht lag es daran, dass sie von einem durchgeknallten Mantis aus der Vergangenheit entführt wurde, oder weil sie über hundert Fuß über dem Boden baumelte. Vermutlich aber beides. Aber was hatte das Sha mit der Kaiserin der Mantis zu tun? Die Kaiserin konnte doch gewiss auch nichts dafür, dass sich das Sha ausgerechnet die Schreckensöde ausgesucht hatte, um dort sein Unwesen zu treiben?

 

Kil'ruk ließ die Narbe hinter sich und flog über eine hügelige Landschaft die einem mageren Gebirge gleichkam. Ein weiterer großer Kypari kam geschwungen in Sichtweite, allerdings war er nicht ansatzweise so groß wie der am Palast. Bemerkenswert war jedoch, dass er von der Energie des Shas verschont geblieben war - oder zumindest danach aussah - was nahezu an ein Wunder grenzte, wenn man den Rest der Schreckensöde betrachtete. »Es gibt andere wie mich. Getreue einer jeden Ära, erstarrt in der Zeit und sicher vergraben vor den Einflüsterungen der Kaiserin. Wir schulden nur dem Rat Rechenschaft. Wir ruhen erst, wenn sein Wille geschehen ist.«, erklärte Kil'ruk weiter. Struana seufzte und runzelte ihre Stirn. Sie glaubte zumindest einen Zusammenhang zu erkennen. Doch immer noch fragte sie sich wie es möglich war, Jahrhunderte in einem Bernstein zu schlafen und die Zeit zu überleben.

 

Die beiden näherten sich immer weiter dem großen Kypari. Struana erkannte, dass der Stamm ein großes Tor hatte auf dessen Flügel ein Wappen prangerte. Fenster aus buntem Chitin waren eingeschlagen, sodass man nicht in das innere blicken konnte um zu erspähen, was dahinter lag. Kil'ruk flog weiter nach oben und die Worgen staunte, als sie sah, was sich hinter den Hügeln verborgen hatte. Eine riesige Plattform in dessen Mitte sich auf einer hochragender Säule ein gigantischer, länglicher Splitter aus Bernstein befand. Rund um die Plattform ragten monströse Steinsäulen mit bernsteinfarbenen, leuchtenden Kuppeln in den Himmel, welche dem Ort etwas mystisches verliehen. Kleine Laternen aus dünnem Bernstein gefertigt, spendeten genügend Licht, um die Plattform notdürftig zu erhellen. Mehrere Mantis in Rüstungsplatten der selben Farben, flogen oder schritten scheinbar geschäftig über den Platz und patrouillierten. Einige schienen an Arbeiten bei der Säule in der Mitte beschäftigt zu sein. Am beeindruckendsten waren allerdings acht Mantis, die allesamt so riesig waren, wie die sterbende Mantis, die sie in das ganze Schlamassel reingebracht hatte. Sie trugen alle dieselbe, okkulte gelbe und mossgrüne Tracht und schienen sich in keinster Weise voneinander zu unterscheiden.

 

Struana musste schwer schlucken, als sie auf die Plattform hinunterstarrte. Ein so riesiger Mantis war schon unglaublich gewesen. Sie konnte nicht glauben, dass noch mehr von diesen riesigen Insektoiden hier lebten. Wie konnte es sein, dass die Mantis, welche den Schlangenrücken angriffen im Gegensatz zu ihnen so winzig wirkten?

 

Kil'ruk landete auf seinen Beinen am Rand der Plattform und drückte Struana unsanft mit seinem Gewicht und seinen kräftigen Vorderbeinen in die Knie. Er lockerte seine Vorderbeine um ihre Oberarme und gab sie frei, sodass sich die Worgen auf ihre Beine rappeln konnte. Ihre Arme waren fast gänzlich taub und schmerzten, als das Blut wieder durch ihre Venen schoss. Struanas Knie waren immer noch weich, nach dem unsicheren Flug mit dem Windschnitter, doch ehe sie auch nur daran denken konnte wegzulaufen, wurde sie grob gepackt. Kil'ruk bugsierte sie unsanft vor sich hin in die Mitte der Plattform. Geradewegs auf die acht riesigen Mantis zu.

 

Struana sträubte sich und stemmte sich gegen den Windschnitter, doch dieser war stärker, als sie erwartet hatte. Er festigte seinen Griff um ihre Schulter und grub seine Klauen fast in ihr Fleisch, als er so leise sprach, dass nur sie ihn hören konnte. »Hört zu...« Eine kurze Pause entstand in der Kil'ruk mit seinen Kieferzangen klickte. »Dies hier ist Klaxxi'vess, die heilige Stätte der Klaxxi. Euch wäre gut geraten mir das Sprechen zu überlassen.«

 

»Habe ich denn eine-?«, knurrte sie gehässig, als sie mit einem heftigen Ruck von Kil'ruk abgewürgt wurde. Mit klopfenden Herzen musste sie weitergehen, während die acht riesigen Mantis auf den Windschnitter und sie aufmerksam geworden waren. Einige wirkten verwundert, andere überrascht aber alle hatten den selben Ausdruck in den Augen als sie auf die Worgen herabstierten. Er war geprägt von Abneigung, Hass und Ekel.

 

»Windschnitter, Ihr seid erwacht.«, sprach einer der Mantis rasselnd und nickte Kil'ruk anerkennend zu. Er überragte sogar noch die anderen sieben Mantis um einen Kopf. Struana wurde schlecht bei dem Gedanken, dass sie nun wirklich im Zentrum dieses Mantisnestes stand. »Was ist mit Klaxxi'va Tik?« Die krächzende Frage wurde von einem aufgebrachten Zischen eines weitere, in okkulter Tracht gehüllten Mantis unterbrochen. »Was ist das für ein Dreck, den Ihr in unser Heiligtum gebracht habt?!«

 

Struana legte ihre Ohren zurück aber hob herausfordernd ihre Lefzen und knurrte den Klaxxi feindselig an. Mit einem erneuten, energischen Druck von Kil'ruk wurde sie jedoch zum Schweigen gebracht und mit dem Kopf nach unten gedrückt. »Der Klaxxi'va den Ihr geschickt habt wurde von einem Gehilfen Ihrer Majestät getötet.«, berichtete Kil'ruk, während er den Blick der Ratsmitglieder erwiderte. »Dieser... Abschaum hat den Gehilfen getötet und mich erweckt.«

 

Ungläubiges Zischen und das Klackern vieler Kieferzangen war von einigen der Ratsmitglieder zu hören. Struana stellte sich vor, wie sie zwischen einem dieser Mäuler einfach verschwinden würde. Müssten sie überhaupt kauen, wenn diese riesigen Insekten sie fressen wollten? Sie war nur froh, dass niemand ihr Herz hören konnte, welches kräftig gegen ihre Brust hämmerte.

 

Der Klaxxi, der die Worgen als Dreck bezeichnet hatte, zischte abermals. »Wir brauchen keine Hilfe von Niederen Völkern! Weg damit!«

 

»Sofort, Klaxxi'va.«, erwiderte Kil'ruk, wobei er einen seiner Dolche anhob und an die Seite des Halses der Worgen führte. Sie hob ihre Lefzen und bellte laut und furchterregend, während sie sich unter seinem festen Griff wand, doch der Windschnitter hielt sie sehr fest. Sie war überzeugt, dass sie ein riesiges Hämatom nur von diesem Griff zurückbehalten würde. Vorausgesetzt ihr Blut hätte die Zeit eines zu bilden. Wie wild versuchte sie sich loszureißen und sie spürte ihr Fell ausreißen. »Elende Made!«, zischte sie bissig und sah in eines der jadegrünen Augen, welches sie durch seinen Helm anfunkelte. Struana sah darin keine Reue, sondern Verlangen. Das Verlangen und die Freude daran, sie loswerden zu können, so wie er es angekündigt hatte.

 

»Nein.«

 

Struanas Ohren zuckten und sie versuchte den Kopf zu heben, als der Windschnitter mit dem Dolch innehielt. Sie starrte auf den Mantis der gesprochen hatte. Es war derselbe, der sich nach dem Verbleib von Klaxxi'va Tik erkundigt hatte. »Der Erwecker wird noch nützlich werden. So oder so.«

 

Der Griff um Struanas Schulter wurde wieder fester, als Kil'ruk seinen Dolch wieder sinken ließ. Für einen kurzen Moment war sie erleichtert und sie erlangte Hoffnung. Sie bekam möglicherweise die Chance zu fliehen.

 

»Tse! Als Futter für den Schwarm vielleicht!«, zischte der andere Klaxxi erbost und wandte sich mit vier weiteren ab. Sie besprachen scheinbar etwas, was sie nicht mitbekommen sollte, während sich der Mantis, der Struanas Leben vorerst verschonen wollte, auf Kil'ruk und sie einige Schritte zuging. Scheinbar musterte er die Worgen, denn seine dunkelgrünen Käferaugen waren mehrere, langgezogene Herzschläge auf sie gerichtet.

 

»Windschnitter, Ihr werdet für die Erweckerin verantwortlich sein, solange sie hier ist. Stellt sicher, dass sie nicht fliehen kann. Wenn sie Ärger macht, werdet Ihr für sie bürden.«, sprach der Klaxxi langsam und langgezogen.

 

Kil'ruks Griff wurde abermals fester. Struana fragte sich langsam, wie lange ihr Knochen das wohl mitmachen würde, bevor er brechen konnte. Sie spürte seine Klauen, aber keinen Schmerz. Vielleicht irritierte es ihn sogar, dass sie noch nicht einmal zusammenzuckte. »Wie Ihr wünscht.«, krächzte Kil'ruk.

 

»Meldet Euch später bei Klaxxi'va Ik für weitere Anweisungen.«, sprach der große Mantis und der Windschnitter neigte seinen Kopf, als sich dieser umdrehte. Der Klaxxi ging wieder zu der Säule in der Mitte, während sich Kil'ruk abwandte und Struana grob mit sich zog.

 

»Ich kann selbst laufen.«, zischte sie murrend, als sie außer Hörweite der Klaxxi oder anderen Mantis waren.

 

»Ja, weglaufen.«, krächzte Kil'ruk rasselnd und schleppte Struana an einer kleinen Schmiede vorbei. Erst jetzt fiel Struana auf, dass es bereits Nacht sein musste. Dadurch, dass sich ihre Umgebung kaum verändert hatte, war es ihr überhaupt nicht aufgefallen. Erst jetzt, da die Schmiede noch etwas Wärme ausstrahlte, aber bereits still dalag, erkannte sie dies. Die Kriegerin versuchte nicht zu stolpern, während Kil'ruk sie vorbei an einigen schwach dimmenden Laternen zum Fuß einer Wurzel des Kyparis zerrte.

 

Am Fuß einer kräftigen Wurzel angelangt drückte er sie auf den Boden und die Worgen war gezwungen sich nach ein paar Herzschlägen des vergeblichen Widerstandes hinzusetzen. Sie hörte das Rasseln einer Kette und die Kriegerin knurrte, als sich das helle Metall um ihre Fußfessel schloss. Geistereisenerz war angeblich das härteste Metall, welches auf Pandaria zu finden war. Sie würde sich alle Zähne daran ausbeißen, sollte sie versuchen es brechen zu wollen. Struana funkelte wütend zu Kil'ruk rauf, der sich bereits abwenden wollte. »Ich habe Euch erweckt und verschonte Euer erbärmliches Leben und nun bin ich eine Gefangene?«, fragte sie knurrend und verengte ihre Augen. Sie hatte keine andere Wahl, als sich ihrem aufgezwungenem Schicksal zu fügen, doch wollte sie es nicht akzeptieren.

 

»Seid froh, dass Ihr nur gefangen seid.«, murrte der Windschnitter, der seinerseits überhaupt nicht glücklich mit der Entscheidung der Klaxxi schien. »Wenn Ihr mir Schwierigkeiten macht, werdet Ihr es bereuen.«

 

            »Oh, keine Sorge.«, knurrte sie und hob ihre Lefzen, während sie dem Windschnitter herausfordernd ihre Reißzähne entgegenbleckte. »Ich werde es genießen, Euch lächerlich zu machen!« Sie musste sich nur etwas einfallen lassen, wie sie den Mantis hier gehörig auf die Nerven fallen konnte, um so Kil'ruk weitgehendst zu schaden. »Ihr werdet es noch bereuen mich darum gebeten zu haben, Euch diese Saftfliegen zu fangen.«

 

Der Windschnitter verengte seine jadegrünen Augen hinter seinem Helm. »Versucht nicht, Euch mit mir anzulegen, Niedere. Ihr mögt die Erweckerin sein, aber Ihr seid ein Nichts unter den Mantis und das wird auch immer so bleiben.«, stellte er zerschmetternd klar, drehte sich um und schritt davon. Er ging wieder zurück zur Plattform, wo die Klaxxi beisammen standen.

 

Struana mahlte mit ihren Zähnen aufeinander, während sie ihm verachtend hinterhersah. »Eingebildete Made.«, knurrte sie leise und sah mehrere Herzschläge über die Plattform. Sie entspannte sich unmerklich, als er verschwunden war und lehnte sich gegen die stämmige Wurzel des Kyparis. Leise entrannt ihr ein Seufzen und sie starrte nach oben in den pechschwarzen Himmel, über dem die Schleier der Sha-Energie waberten. Wie war sie nur in diese Situation geraten? Und was noch wichtiger war: Würde sie hier wieder rauskommen?

 

Gedankenverloren blinzelte Struana, während sie einen Schwarm Saftfliegen unter den Blättern des Kyparis über Klaxxi'vess erkannte. Sie leuchteten in einem gelben, warmen Licht und flogen wild in ihrem Schwarm aus leuchtenden Punkten umher. Doch plötzlich löste sich ein Punkt von den anderen und suchte sich einen Weg an den patrouillierenden Mantiswachen vorbei und wurde immer kleiner. Irgendwann verschwand er schließlich als winziger Lichtpunkt in der Ferne.

 

Struana legte ihren Kopf nachdenklich schief und fragte sich, was wohl das Ziel dieser kleinen Saftfliege war.



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