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Mein Leben

von

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Dies ist eine Kurzgeschichte, mit der ich an einem Wettbewerb "Junger Autoren" teilgenommen habe. Leider sind die Ergebnisse noch nicht da . Ich dachte, ich veröffentlich sie auch hier mal. Vielleicht liest sie ja jemand und sagt mir seine Meinung. Ich würd mich freuen und bin für Alles offen.

Eure Yvanne
 

Mein Leben
 

Ich sitze am Fenster und starre hinaus in die Welt. Der Regen fällt leise gegen die Scheibe, die Tropfen laufen an ihr hinunter. Ich sitze einfach nur da und denke nach. Nur sitzen, ohne etwas zu sehen, ohne etwas zu hören und ohne etwas zu tun. Ich habe es satt, etwas zu tun, so satt, für andere zu sorgen, ständig an sie zu denken. Von jetzt an will ich nur noch an mich selbst denken, für mich selbst da sein und für niemanden sonst.

Inzwischen ist es dunkel geworden, nicht nur draußen in der Welt, sondern auch in mir. Der helle Schein, der stets von mir ausging, der Stern, der immer in meinem Herzen schien, all das ist erloschen. Das einzige Licht kommt vom silbernen Schein des Mondes, der durchs Fenster fällt. Kalt und erbarmungslos scheint er auf mich herab und hüllt mich ein. Doch dann erhellt sich die Luft neben mir, das Zimmer wird von Licht durchflutet und ich atme erleichtert auf, als der Schein des Mondes zurückweicht. Jedoch sehe ich nicht auf, starre weiter aus dem Fenster. Ich weiß, dass er es ist. Er, mein bester Freund, meine Liebe und mein Leben. Er steht neben mir, ich sehe seine schlanke, dennoch kräftige Gestalt aus den Augenwinkeln. Sein schönes Gesicht mit den sanften Zügen, die mir so bekannt sind. Er sieht schweigend auf mich herab. Nicht strafend oder anschuldigend, aber auch nicht lächelnd. Einfach nur schweigend. Er streckt die Hand nach mir aus, zögert dann jedoch und zieht sie wieder zurück, obwohl er genau weiß, wie sehr ich mich danach sehne, von ihm berührt zu werden, obwohl ich genau fühle, wie sehr er mit sich kämpfen muss, um es nicht zu tun. Eine kurze Zeit, die mir wie eine Ewigkeit vorkommt, passiert nichts, dann lässt er sich neben mir nieder. Ich fühle nicht mehr als einen Windhauch und doch ist es das schönste Gefühl, das ich kenne. Ich seufze und lehne mich gegen ihn. Er schreckt nicht zurück, sondern legt schützend seine Arme um mich, was mich überrascht, angesichts dessen, was ich getan habe.

Eine Weile sagt niemand etwas, bis er das Schweigen bricht.

"Warum hast du das getan?" fragt er mich leise mit seiner schönen Stimme.

Wütend befreie ich mich aus seiner Umarmung und springe auf. "Du weißt warum!" schreie ich ihn an. "Du kennst meine Gefühle, meine Gedanken! Also warum fragst du mich das?"

Auch er erhebt sich und kommt zu mir. Dicht vor mir bleibt er stehen.

"Ja, ich weiß warum! Aber ich verstehe es nicht. Du bist dafür geboren worden, mit diesen Gefühlen und Gedanken, mit dieser Pflicht zu leben! Niemand sonst kann das. Du bist etwas Besonderes!"

"Vielleicht will ich aber gar nichts Besonderes sein!" fahre ich ihn an. Zornig sehe ich in sein Gesicht. Seine goldenen Augen sind so undurchdringlich, dass ich schließlich den Blick abwende.

Tränen sammeln sich in meinen eigenen, silbernen Augen und fließen meine Wangen hinunter. Er hebt die Hand, wischt sie weg und streicht mir sanft übers Gesicht. Dann kommt er näher, umschließt meinen zierlichen Körper mit seinen starken Armen. Als sich unsere Lippen treffen, geht mir das Wort >Sünde< durch den Kopf. Wir begehen eine Sünde. Unsere Liebe ist verboten! Wir sind geboren worden, um unsere Liebe den Menschen zu schenken und nicht Unseresgleichen.

"Komm zurück und nimm deine Aufgabe wieder auf, bitte! Dann ist alles wieder so wie früher", sagt er leise und drückt mich fest an sich.

Ich schließe die Augen, spiele kurz mit dem Gedanken, es einfach zu tun, doch dann stoße ich ihn bestimmt von mir. Ich wende mich wieder dem Fenster zu. "Es wird nie wieder so wie früher!", sage ich laut und sehr ernst, bevor meine Stimme leiser wird. "Nichts ist so wie früher."

Hinter mir höre ich sein Seufzen, gefolgt von dem Rascheln von Kleidung und dem Rauschen von Schwingen, als er wieder zu mir tritt. Mit Bedauern denke ich kurz an meine eigenen Flügel und meine Hand fährt über meine Schulter auf meinen Rücken, wo sie mit seiner Hand zusammentrifft, als wir beide die Stelle berühren, wo einst die weiße Federpracht saß. Nun befindet sich unter dem dünnen Stoff meines Hemdes nur noch eine längliche Narbe.

Eine Narbe als Erinnerung an all das, was ich aufgegeben habe, um nicht zu sagen verloren habe. Eine Narbe als Zeichen dafür, was ich einmal war.

"Ich kann nicht zurück, selbst wenn ich es wollte!", flüstere ich und kann diesmal nicht verhindern, dass Traurigkeit in meiner Stimme mitschwingt.

"Du kannst zurück! Komm mit mir und gemeinsam gehen wir zurück!", sagt er mit fester Stimme. Ich schweige kurz und nehme mich wieder zusammen.

"Glaubst du an Gott?" frage ich ihn, anstatt zu antworten.

Seine Hand auf meinem Rücken entzieht sich meiner und obwohl ich ihn nicht sehe, weiß ich doch, dass er einen Schritt zurückweicht.

"Wieso fragst du mich das? Ich weiß, dass es ihn gibt!" sagt er irritiert.

"Ja, aber glaubst du auch an ihn?", hake ich nach. Er schweigt und ich fühle, wie verwirrt er ist.

"Ich habe die Menschen beobachtet", fahre ich deswegen fort. "Obwohl sie an Gott glauben, obwohl sie sogar wissen, dass Er sie erschaffen hat, respektieren sie Ihn nicht. Einige leugnen sogar Seine Existenz." Ich hebe eine Hand und lege sie auf die kalte Fensterscheibe. Noch immer tropft der Regen gegen das Glas. "Wenn sie ohnehin ohne Ihn auskommen, wofür kämpfen wir dann? Wofür habe ich dann solange geschuftet?"

"Was ist eigentlich los mit dir?", schreit er plötzlich, packt mich an der Schulter und dreht mich zu sich um. "Seit wann bist du so verdammt egoistisch?"

Ich befreie mich wütend aus seinem Griff. "Seit ich weiß, dass unsere Aufgabe sinnlos ist!" Ich habe ihn noch nie so wütend gesehen, aber jetzt kann ich nicht mehr zurück.

Er packt mich wieder. "Das darfst du nicht sagen! Komm bitte zurück, ich liebe dich doch!"

Ich höre deutlich die Verzweiflung in seiner Stimme, doch in meiner eigenen Wut und Hilflosigkeit weiß ich mir keinen anderen Weg mehr. Ich hebe die Hand und schlage ihm hart ins Gesicht. Der Schmerz trifft nicht nur ihn, sondern auch mich selbst, da wir miteinander verbunden sind. Doch ich ignoriere den Schmerz und während er mich fassungslos ansieht, funkle ich ihn böse an. Ihn, den ich über alles liebe, der mir das Wichtigste überhaupt ist.

"Wann kaperst du es endlich? Wie können nicht zusammen sein, wir dürfen nicht zusammen sein! Jetzt erst recht nicht mehr! Sieh mich doch an!", schreie ich ihn an. "Ich gehöre nicht mehr dazu. Ich bin eine Gefallene, nichts weiter als ein Mensch! Es ist vorbei, endgültig, ob du willst oder nicht!"

Sein innerer Schmerz trifft mich mit voller Wucht, vermischt sich mit meiner eigenen endlosen Verzweiflung.

Ich wende mich wieder von ihm ab, damit er meine Tränen nicht sieht.

"Du solltest jetzt gehen! Es ist dir verboten, hier zu sein", sage ich so ruhig wie möglich. Er schweigt, sieht mich einfach nur an. Ich höre leises Rascheln, als er seine Flügel ausbreitet. "Wir werden uns wieder sehen!" Bei diesen Worten wird das Zimmer von Licht durchflutet. Dann ist es verschwunden und das bläuliche Licht des Mondes hüllt mich erneut ein. Kalt und grausam. Ich kann spüren und fast sehen, wie das Band, das uns verbunden hat, schließlich zerreist.

Ein Schluchzen entrinnt meiner Kehle und mein Körper wird von Weinkrämpfen geschüttelt, während ich verzweifelt zu Boden sinke.

Nun habe ich wirklich alles verloren, nur mein Glaube ist mir geblieben. Aber hatte ich denn eine Wahl? Nein, die hatte ich nicht, niemals.

Einst war ich ein Engel, ein Bote Gottes, doch ich bin gefallen. Gefallen, weil ich gegen den Willen Gottes gehandelt habe. Wie ein Mensch gehandelt habe.

Ich habe meine Aufgabe, die Menschen zu beschützen und ihnen Gott nahe zu bringen, vernachlässigt. Ich habe begonnen, eigenständig zu denken, mehr noch sogar. Ich habe begonnen, nur an mich zu denken. Ich habe darüber nachgedacht, wer ich bin, was ich eigentlich tue und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es so nicht weitergehen kann. Dieses Leben, die Fähigkeiten als Engel, die weißen Flügel. All das will ich nicht, all das verdiene ich nicht. Aber er verdient es! Er verdient das Leben als Engel, als Geschöpf des Lichts. Darum war ich so abweisend zu ihm, darum habe ich ihn fortgeschickt. Ich will nicht, dass er mir folgt und bei mir bleibt. Bei mir - einem einfachen Menschen. Ich bin nur ein Mensch, aber ich bin zufrieden. Nicht glücklich, aber zufrieden. Um glücklich zu sein, fehlt er mir zu sehr. Aber zu mir rufen kann ich ihn nicht, jetzt nicht mehr. Er wird nicht kommen, nie mehr. Als ich ihm sagte, er solle gehen, da meinte ich für immer. Auch wenn mir die Worte beinahe das Herz zerrissen. Und er weiß es! Er weiß, dass wir uns nie wieder sehen werden, nie wieder gemeinsam fliegen werden.

Zusammen mit meinem Leben als Engel, meinen Flügeln, habe ich auch ihn aufgegeben. Ich weiß das und akzeptiere das. Als meine Tränen langsam versiegen, trifft Wärme mein Gesicht und ich sehe aus dem Fenster. Am Horizont, hinter der Stadt der Menschen, geht die Sonne auf. Mein Zimmer wird mit rotem Licht getränkt, das das kalte Blau des Mondes vertreibt. Geblendet schließe ich die Augen, bevor ich meine Stirn gegen die kühle Fensterscheibe lehne und hinausblicke.

Es ist wieder hell geworden, in der Welt und in mir. Ich blicke auf die Welt der Menschen, für die ich alles aufgegeben habe und lächele ein wenig. Zum ersten Mal, seit ich hier bin.

Der Engel in mir ist gestorben, doch der Mensch ist gerade erst geboren worden. Und schließlich sind es doch die Menschen, die diese Welt bewohnen und nicht die Engel.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2003-07-14T09:06:08+00:00 14.07.2003 11:06
*wie-gebannt-auf-den-Bildschirm-starrt*
Wow! Äh... wow! Wahnsinn. Also ich finde es einfach genial. das is so traurig da zerreißt es einem fast das Herz. Man kann sich alles richtig Bildlich vorstellen. Hast du schon die Ergebnisse? Welchen Platz haste denn? Den ersten? Einfach unglaublich.
Hitomie


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