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Partyverbot für Lion

von

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Selten so ein volles Haus erlebt, aber was tat man nicht alles, wenn die Eltern meinten, Urlaub allein ohne ihre Kinder in Dänemark machen zu müssen?

Mein Bekannter Falk nutzte die Gelegenheit gründlich aus und feierte endlich die Houseparty, die er seit Jahren versprach, um sein Schnorrerimage etwas aufzupolieren. Und er hatte tatsächlich Wort gehalten, Getränke und Gäste zusammengesammelt und ging nun penetrant seinen Nachbarn auf den Geist.

Ich hatte ihm verschwiegen, dass ich ihm das Versprechen nie abgekauft hatte; umso erstaunlicher war, dass man hier sogar wirklich Spaß haben konnte. Und Alkohol in Mengen.

Die anderen Mädels tanzten ausgelassen auf dem Sofatisch zu der Schlagersammlung seiner Mutter, ein paar Jungs dekorierten besoffene Freunde und die Fensterscheiben im Wintergarten, irgendjemand ließ es sich nicht nehmen und vögelte alles andere als tonlos im Kellergeschoss und ich lief von Raum zu Raum, begutachtete das Chaos, stiftete die Leute zu neuen Schandtaten an und kicherte böse in mich hinein.

Geniale Aktion, nur musste ich mich schnell verdrücken, wenn die Frage aufkam, wer aufräumen half. Immerhin hatte ich heute Morgen schon dabei geholfen, Wertgegenstände wie die Kristallglaskollektion und den Plasmabildschirm in Übergröße in die gut verriegelte Abstellkammer zu schleppen, die wirklich kein noch so dämlicher Freak knacken konnte.

Das war meiner Meinung genug des Guten, immerhin war das weder mein Haus noch meine Party.

Irgendetwas Verwirrtes fiel mir um den Hals, erklärte mich zu seinem angetrauten Weibe und meinte, mich als krönenden Abschluss vollsabbern zu müssen. Eigentlich hätte ich rigoros ablehnen müssen; solche Geschichten endeten bei mir immer peinlich und man bekam die Typen manchmal nicht mehr los, besonders wenn sie Vollpfosten waren. Allerdings war ich single, er vom Aussehen sogar irgendwie überdurchschnittlich und ebenfalls nicht vergeben, laut Falk.

Allerdings auch eigentlich nicht an Mädchen interessiert; hatte man mich schon wieder mit einem Kerl verwechselt? Oder nur halb?

Etwas pikiert über den wahrscheinlichsten Grund für die Verwechslung wimmelte ich ihn ab, um nicht am nächsten Tag lästige Fragen beantworten zu müssen. Falk war da stellenweise sehr unverschämt.

So schnell konnte es gehen, schon war man wieder allein, aber es gab bestimmt noch andere Menschen, an die man sich hängen konnte. Der Typ und sein überrumpelndes Verhalten hatten den nicht gerade vorzeigbaren Drang, mit irgendwem rumzumachen, in mir geweckt. So was befiel frau zwar angeblich nie, tat es aber gerade doch und das nervte. Zum Glück kam das nur zutage, wenn ich die falsche Mischung Alk getrunken oder einen Korb bekommen hatte. Oder aus Selbstschutz einen verpasst hatte.

Also hieß es, sich nach Ersatz umzusehen. Frauenparty im Wohnzimmer auf Möbelstücken, immer noch. Im Notfall ging das mit einer von ihnen auch, untereinander war das ja zum Glück akzeptiert, aber die waren all sowieso zu beschäftigt, um dafür Zeit zu haben. Und außerdem war es viel zu peinlich, vor versammelter Mannschaft eine von ihnen dafür zu entführen. Am Ende kursierten suspekte Gerüchte über mich; es wäre nicht das erste Mal.

In der Küche lag irgendwer kichernd unter dem Küchentisch und irgendwie befürchtete ich, nicht wissen zu wollen, was da wirklich abging. Flucht in den Flur.

Dort stieß ich fast mit Falk zusammen, der mit dem Jackenständer eine Runde Walzer übte. Der hatte wohl auch schon jemanden gefunden. Der war sowieso nicht mein Typ und ich nicht seiner, von daher erledigte sich die Angelegenheit ganz von allein.

Schließlich fiel mir ein, wen ich den ganzen Abend noch kein einziges Mal gesehen hatte.

„Hey, Falk, wo is Lion?“, schrie ich ihm entgegen, um die Musik von nebenan zu übertönen. Leider hatte ich die Lautstärke etwas überschätzt; der erste Kopf lugte überrascht die Treppenstufen hoch, ob sich hier Leute anfingen zu schlagen.

Ich wiederholte mein Anliegen auf zivilisiertem Niveau und bekam sogar eine Antwort.

„Der hockt in seinem Zimmer, hat Partyverbot.“ Falk verbeugte sich nicht gerade elegant vor dem Jackenständer und stellte ihn vor der Haustür ab. „Das kleine Monster hat mich wieder genervt. Hats nicht anders verdient. Entweder zockt er oder hasst die Welt. Mir doch egal.“

Und schon lief er an mir vorbei ins Wohnzimmer und dem Geschrei nach verteidigte er die Ehre des Wohnzimmertisches.

Sollte er ruhig, immerhin wusste ich nun, was zu tun war.
 

Lion hockte allein in seinem abgedunkelten Zimmer auf seinem ramponierten Sitzsack, hielt einen Controller in der Hand und metzelte mal wieder wahllos alles ab, was ihm vor die Linse rannte.

Meine Anwesenheit nahm er erst wahr, als ich ihm etwas überschwänglich vom Türrahmen aus zuwinkte und mich ohne seine Erlaubnis durch das Chaos auf seinem Boden zu ihm durchkämpfte. Von Ausräumen hielt er nichts.

„Was machst du hier?“, fragte er mich wenig interessiert und ballerte weiter rum, als bekäme er dafür sein Taschengeld. „Die Party ist unten, hier ist Sperrzone. Ich darf nur raus aufs Klo, nicht weiter.“

„Ich wollte dir hallo sagen“, behauptete ich, was nicht ganz gelogen, aber auch nicht völlig wahr war. Das hätte ich auch von der Tür aus sagen und wieder verschwinden können. Nein, meine Absichten gingen noch ein gutes Stück weiter.

Wenn ich nicht rechtzeitig wieder klar im Kopf wurde und mich selbst zur Ordnung rief.

„Hi. So, kannst wieder gehen.“ Allerdings klang sein Tonfall nicht so, als wollte er mich jede Sekunde rösten, wenn ich nicht sein Allerheiligstes auf der Stelle in Frieden ließ.

Ich hatte einfach einen Stein in Brett bei ihm; allein weil ich ihm schon einige Male sein Fahrrad repariert und ihm auch ein paar Mal vor den Launen seines Bruders bewahrt hatte. Falk war zwar ganz in Ordnung, aber zu seinem kleinen Bruder manchmal unter aller Sau.

Während ich froh wäre, kein Einzelkind zu sein, machte er ihn am laufenden Band zur Schnecke und bevormundete ihn, als wäre er fünf und nicht fünfzehn.

„Nee, keine Lust. Unten sind fast alle sowas von daneben.“

„Du bist aber auch nicht nüchtern“, meinte er kritisch, als ich fast über sein Kopfkissen auf dem Boden stolperte.

„Vielleicht.“ Ich grinste ihn etwas dumm an und bestätigte seine Vermutung. „Aber nicht so wie dein Bruder. Er hat schon wieder den Jackenständer zum Tanzen gezwungen.“

Lion seufzte abfällig. „Was für ein Trottel.“ Er drückte auf Pause, ihn lenkte es ab, wenn er reden musste, während er virtuelles Geviechs abknallte.

„Was hast du gemacht, damit du hierher verbannt wurdest, ohne Chance auf Gnade?“Ich ließ mich zu ihm auf den Sack plumpsen und stellte fest, wie gemütlich das Ding war, wenn man etwas zu tief ins Glas geschaut hatte.

„Ich war ehrlich. Hab ihm gesagt, dass er wegen heute Ärger kriegen wird und ich ihm nicht helfe, diesen Scheiß wieder wegzuräumen.“

„Ist ja auch assi, seinen Bruder so hängenzulassen“, meinte ich im Spaß, aber merkte gleich, dass ich lieber die Klappe halten sollte. Lion funkelte mich mit einer Mischung aus Wut und Enttäuschung an, dass es einem Angst werden konnte.

Ich wusste, dass der Arme immer untergebuttert und von seinem Bruder nicht sehr nett behandelt wurde, aber dass er sich inzwischen so tief in seine negativen Gedanken verrannt hatte, dass er nicht mal meine ironische Bemerkung verstand, fand ich ziemlich traurig und ich konnte nicht anders, als ihm freundschaftlich einen Arm um die Schulter zu legen.

„Hey, lass das sein“, grummelte er leise, machte allerdings keine Anstalten, sich zu befreien oder mich anzufahren, warum ich jetzt unbedingt das tun musste. Ich vermutete, dass er insgeheim nichts dagegen hatte, dass ich das tat, aber aus Gewohnheit erst mal anti war.

Ich hätte ja auch nur so tun können, als ob ich zu ihm nett sein wollte und ihn dann auslachen können, weil er drauf reingefallen war. Bei manchen hätte ich das wohl auch gemacht, einfach weil sie es manchmal verdient hatten, aber bei ihm ging das nicht.

Bei ihm aktivierte sich jedes Mal mein Beschützerinstinkt, aber in meinem momentanen Zustand war das auch nicht alles. Ich wollte gerade mehr als nur einen von der Welt frustrierten und einsamen Kerl die Ersatzschwester vorzuspielen, deutlich mehr. Und je länger ich Lion so ansah, wie er so herumhing, desto sicherer war ich mir, dass es ihm ähnlich ging.

Ich wusste am Ende nicht genau, wer von uns beiden angefangen hatte, ich wusste nur, dass ich schließlich auf ihm lag, seine Hände sich in meinen Rücken krallte, als hätte er Angst, in die Tiefe zu stürzen, und wir nicht mehr voneinander loskamen. Ich hätte nicht erwartet, dass jeder Kuss von ihm sich wie eine Verzweiflungstat anfühlte, es war echt kein angenehmes Gefühl.

Besonders weil mein gesunder Menschen verstand mir dazu noch die Hölle heiß machte, immerhin war der Junge nicht volljährig und nicht irgendwer, ich lief mit vollem Karacho ins Verderben und zerrte ihn geradewegs mit.

Scheiß Alk, scheiß Party, scheiß Falk und sein Diktatorverhalten.

Lion schaute mich an und ich merkte, dass er kaum realisierte, was hier abging, dass es ihn überforderte und es ihm gleichzeitig auch egal war, solange er nicht wieder allein und verlassen hinter geschlossenen Türen wartete, dass sich vielleicht doch jemand mit ihm beschäftigte.

Ihm war sogar egal, dass es nicht sein großer Bruder war, sondern ich; dass wir nicht einfach redeten, sondern ziemlich armselig rummachten und ich ihm mein momentanes Verlangen nach abgefuckter Zweisamkeit aufzwang.

Eigentlich hatte ich ihm sagen wollen, dass ich gerne so einen Bruder wie ihn gehabt, dass ich gerne mit Falk getauscht hätte, weil mir das Dasein als gelangweiltes Einzelkind ziemlich auf den Keks ging.

Das konnte ich jetzt ganz schnell vergessen. Diese Art der Beziehung war nun hinüber, weil ich mich nicht hatte kontrollieren können, seinen Hals wundgebissen und den restlichen Funken kindliches Dasein aus ihm rausgesaugt hatte, ohne überhaupt nachzufragen, ob er darauf Bock hatte. Vor allem mit mir, bei der sich immer wieder die ganze Welt fragte, ob ich überhaupt an Männern interessiert war, so wie ich aussah und mich benahm.

Lion wusste nun als einer der wenigen die volle Wahrheit, die echt nicht schön anzusehen war. Ein Grund für ihn, mich doppelt zu hassen. Ich war nicht viel besser als sein Bruder, nur anders scheiße.

Statt irgendeiner abfälligen Reaktion schaute Lion mir nur niedergeschlagen in die Augen, nahm sein Spiel wieder zur Hand und tat so, als wären die letzten Minuten nicht geschehen.



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