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Krieg der Nacht

von

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Fremdes Land, Neuanfang?

Fremdes Land, Neuanfang?
 

Ich lief durch die Wohnung, Mum war unten beim Möbelpacker und besprach noch mal einiges. Unsere alten Möbel gingen an einer Wohlfahrtgesellschaft, da das neue Haus schon komplett eingerichtet war. Am Zimmer meines Bruders blieb ich stehen, er hatte es sich vor einer Woche doch anders überlegt. Er wird mit nach London kommen. Ein leichtes Seufzen verließ meine Lippen, warum musste dieser eine Monat so schnell vergehen? Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, als ich meinen Leuten gesagt hatte, dass ich mit meiner Familie nach London ziehen werde.
 

-Flashback-
 

„Was? Das ist nicht dein Ernst, Ruby?“, skeptisch beäugte mich meine Beste. Leider konnte ich nicht behaupten, es sei ein schlechter Scherz von mir gewesen. Ich wollte doch selber das Ganze noch nicht richtig wahrhaben, nur noch einen Monat hier in Dresden sein zu können, nur ein Monat und dann „Hallo, mein neues Leben in London“. Seufzen ließ ich mich auf eine Bank im Alaunpark fallen.

„Leider ist das die Wahrheit. In einem Monat, wenn das Schuljahr vorbei ist, werde ich nach London müssen. Ich will ja auch nicht.“ Ich ließ meinen Blick auf den Boden fallen.

„Kannst du nicht zu deinem Vater?“, fragte sie mich. Ich schüttelte nur mit dem Kopf.

„Warum denn nicht?“ Ich sah auf und meinte nur knapp; „Er hat nicht das Geld beziehungsweise die Zeit, sich um mich zu kümmern. Er ist immer wo anders, daher hat er auch keinen festen Wohnsitz.“ mit diesen Worte schoss ich eine kleine Stein weg, der vor mir auf den Boden lag und stand gleichzeitig auf.

„AUTSCH!!!“, schrie mein Schulfreund auf, den ich gar nicht bemerkt hatte. Seit wann war der denn hier?

„Sag mal, musste das sein, das tat weh!“

„Seit wann bist du hier?!“, kam die Frage prompt von mir.

„Seit wann ich…hä…könntest du dich vielleicht mal entschuldigen! Ich hab den Stein direkt gegen den Kopf bekommen! Das tat weh!“ Er rieb sich immer noch die Stelle, an der ich ihn scheinbar getroffen haben sollte.

„Tut mir Leid, so doll habe ich allerdings gar nicht geschossen.“

„Ach nein? Guck dir mal die Beule hier an, von wegen nicht doll!“ Mit einem finsteren Blick kam er zwei Schritte näher.

„Ken, es tut mir Leid! Wirklich! Mehr kann ich jetzt auch nicht dazu sagen. Ich muss jetzt Nachhause, sonst bekommt meine Mutter einen Tobsuchtsanfall.“ Genervt sammelte ich mein Zeug wieder zusammen, machte mich auf den Weg zur Bahn.

„Hey Ken, weißt du es schon? Ruby zieht nach London.“, hörte ich hinter mir einen meiner Freunde rufen.

„WAS?! RUBY WARTE MAL KURZ“, schrie Ken mir nach und rannet auf mich zu, ich drehte mich zu.

„Tut mir Leid, ich muss wirklich los, meine Mum ist zurzeit nicht besonders gut drauf.“,

„Aber stimmt das, dass ihr nach London zieht?“ Er blieb vor mir stehen.

„Ja, es stimmt, tut mir Leid, ich kann jetzt nicht mehr reden. Meine Mum macht Terror!“ Mit einem entschuldigendem Blick wandte ich mich wieder ab.
 

-Flashback Ende-
 

Ich habe sie seit diesem Tag nicht mehr gesehen. seufzend lief ich wieder die Treppen hinab.

Ich hatte einige Nachrichten auf meinem Handy, doch ich wollte keine mehr sehen, das deprimierte mich zu sehr.

„Ruby, setz‘ dich ins Auto, wir müssen in einer halben Stunde am Flughafen sein.“, meinte meine Mutter trocken, als ich unten zur Tür rauskam. Ich tat wie mir befohlen und stieg langsam ins Auto.

„Ruby warte!“ Ich drehte mich um, da kam tatsächlich Ken auf mich zu gelaufen.

„Hab‘ ich dich doch noch rechtzeitiges erwischt! Ich dachte schon, dass ich dich nicht mehr sehe.“, sagte er leicht außer Atmen.

„Ken was…“, er legte mir den Finger auf den Mund und unterbrach mich damit. Er fing an in seiner Jackentasche zu kramen und holte was kleines schwarzes heraus.

„Ich habe was für dich, zum Abschied.“, meinte er nur knapp und drückte mir eine kleine Schachtel in der Hand.

„Versprich mir das du sie trägst, ja!“, mit den Worten rannte er wieder davon, bevor ich was sagen konnte.

„Ken, warte doch, ich…“ Ich brach mitten im Satz ab, denn ich wusste nicht so recht, was ich tun sollte. Am liebsten wäre ich ihm hinterher gerannt, doch da hätte meine Mutter mich bestimmt geköpft.

„Ruby, steig endlich ein, wir haben keine Zeit mehr!“, schrie sie, bereits im Auto sitzend, mittlerweile ziemlich wütend über mein Trödeln, zu mir.

„Ja!“ Genervt stieg ich wortlos ein und knallte die Tür zu.

„Sei vorsichtiger, das hier ist nur ein Mietwagen!“

„Ja! Entschuldige!“ Genervt rollte ich mit den Augen.

Mit einem wütenden Schnaufen fuhr sie los.
 

Meine Mutter hatte nur unnötigen Stress gemacht, wir fuhren gerade mal zehn Minuten mit den Auto bis zum Flughafen und unser Flug nach London verzögerte sich um Stunde, weil es Probleme mit den Maschinen gab. Mein Platz im Flugzeug war direkt am Fenster. Toll dass sie an meine leichte Flugangst gedacht hatten. Na ja, ich musste nur ca. 2 Stunden aushalten, dann würden wir in London sein. Mit Musik bewaffnet schloss ich meine Augen und hoffte, dass es ein ruhiger Flug werden würde. In meinen Gedanken war es allerdings so, dass ich nicht wirklich eine ruhige Minute hatte. Ich zerbrach mir meinen Kopf über diese neue Schule, genauer gesagt über dieses Gefängnis. Es war eine Benimmregel-Schule vom feinsten. Die letzten Tage hatte ich damit zugebracht, das Internet zu durchsuchen, weil ich wirklich alles über das Internat wissen wollte. Zu meinem Bedauern, ich hätte es lieber nicht tun sollen. Wie gesagt, es war die reinste Benimmregel-Schule dazu auch noch eine Mädchenschule. Entweder war das ein Haufen von verzogenen Püppies oder von totalen Streberinnen, und ich mittendrin. Ich brauchte dann später noch nicht mal groß mein Zeug auspacken, da ich gleich am nächsten Morgen dahin gebracht werden würde. Ach Ken, warum konnte ich nicht in Dresden bleiben? Ich vermisste ihn jetzt schon.

In diesem Moment fiel mir die kleine Schachtel wieder ein, die er mir zum Abschied gegeben hatte. Schnell zog ich meinen Mantel von der Handgepäckablage herunter und kramte aus meine Tasche die kleine Schachtel hervor.

„Mensch Ruby, kannst du dich nicht mal ruhig hinsetzen? Wir starten gleich! Und Chris, sei so freundlich und mach deine Musik aus, oder zumindest leise!“, ermahnte unsere Mutter uns. Gott sei Dank, musste ich nicht mit ihnen zusammen sitzen. Ich saß eine Reihe vor ihnen, neben mir saß nur so ein alter komischer Sack, der scheinbar eingeschlafen war. Ich sollte nicht so unfreundlich von ihm denken, schließlich war er so freundlich gewesen und hat mit mir die Sitze getauscht.

Wieder zurück zu der Schachtel:

Langsam öffne ich eben diese.

Eine goldene Kette mit einem blauen Stein kam zum Vorschein, darunter ein klein gefalteter Zettel. Ich entfalte den Zettel langsam und erkannte sofort die Schrift von Ken. Es war eine saubere und äußerst schöne Schrift.
 

Liebe Ruby,

warum hast du dich am Ende nicht mehr gemeldet? Wir hätten uns doch was überlegen können, damit du nicht weggehen musst. Wir vermissen dich jetzt schon alle und hoffen, dass du dich bei uns melden wirst. Das Geld für die Kette haben wir alle zusammen gelegt. Wir hoffen, sie gefällt dir und wollen, dass du sie trägst.
 

In Liebe,

Ken
 

„Verdammt! Ich bin so blöd!“, rief ich aus und wischte schnell die aufsteigenden Tränen weg.

„Stimmt!“, hörte ich das blöde Kommentar meines Bruder. Wieso kann er nicht einmal die Klappe halten, damit würde er mir so sehr eine Freude machen.

„Habe ich nach deiner Meinung gefragt?“, fragte ich wütend und drehte mich zu ihm um. „Sicher nicht, lass deine blöden Kommentare!“, fügte ich hinzu und setzte mich wieder gerade hin.

„Ruby nicht so laut, du bist nicht alleine hier.“ Und wieder ertönte die mahnende Stimme meiner Mutter. Endgültig genervt setzte ich mir wieder die Kopfhörer auf. Aber vorher band ich mir die Kette um den Hals und steckte die Schachtel mit dem Zettel wieder weg.

Der Rest des Fluges verlief eigentlich ganz ruhig, keine Zwischenfälle mehr, keine nervigen Kommentare von meinem Bruder sowie auch keine mahnenden Worte von meiner Mutter mehr. Alles war in Ordnung.
 

In London angekommen, wartete Niklas bereits mit seinem Auto auf uns.

Er wohnte auf einer kleinen Landstraße am Rande der Stadt. Sein Haus ziemlich stand in  abgelegen, wir fuhren mindestens eine gute Stunde.

Wieder schweiften meine Gedanken zu dieser Schule ab, die noch in der Region von London liegen sollte, man sie aber nur mit einem speziellen Bus, welcher von der Schule gestellt wurde, oder dem eigenen Auto erreichen konnte.

Ich würde morgen mit dem Auto hin gebracht werden. Es waren zwar noch Ferien, aber meine Mum meinte, ich könnte mich dem Sonderlehrprogramm anschließen, da ich noch viel auf zu holen hätte. Und ich hätte so schon mal die Möglichkeit, mit den anderen Mädchen klar zu kommen, es würden allerdings nicht viele da sein, und dann natürlich aus anderen Jahrgängen. Na gut, ich würde ihnen den Gefallen tun und diesen Lehrgang mitmachen, besser als die ganze Zeit hier rum zu sitzen. Dazu hätte keinen Bock, was soll ich schon groß machen, immerhin kannte ich keinen, Mum sowie Niklas müssten arbeiten und mein Bruder ebenfalls. Ich wäre die ganze Zeit allein.  

Ein klackendes Geräusch neben mir sagte mir, dass mein Bruder dabei war, auszusteigen. Gut, dann waren wir wohl endlich da. Langsam schnallte ich mich ab und stieg aus.
 

Das Haus war nicht besonders groß, um das Gebäude herum war ein Baugerüst aufgestellt. Anscheinend wurde es renoviert. Na ja, konnte mir es eigentlich egal sein, da ich eh die meiste Zeit im Internat sein würde. Mal sehen, ob ich hier überhaupt ein eigenes Zimmer haben würden, denn darauf, eins mit meinem Bruder teilen zu müssen, hatte ich keine Lust. Ich lief zum Kofferraum und holte meine Tasche raus, meinen Koffer konnte ich drin liegen lassen, da es morgen eh zur dieser Schule gehen würde. Warum also erst abschleppen? Außerdem war in meiner Tasche alles Wichtige drin, was ich brauchte.
 

„Ruby komm gleich mal mit! Dein Zimmer ist ganz oben.“ Niklas winkte mich zur Tür.

„Ganz oben?“ Ich guckte zum Haus hoch. Es befand sich also in der zweiten Etage, mehr hatte das Haus ja nicht.

„Ja, auf dem Dachboden.“, meinte er, nahm mir die Tasche ab und zeigte auf die Treppe hinten in eine dunkle Ecke. //Mensch, hat der schon mal was von Licht gehört. Moment mal?! Hatte er gerade wirklich Dachboden gesagt?//

„Ähhh, Dachboden?“, fragte ich ihn noch mal, konnte ja sein, dass ich mich verhört hatte.

„Ja, auf dem Dachboden. Ich habe das alte Kinderzimmer extra für dich auf den neusten Stand gebracht.“, meinte er locker und lief hinter mir die Treppe hoch.

„Okay.“, meinte ich nur knapp.

Nachdem wir uns mit dem Öffnen der Luke abgekämpft hatten und Niklas mir versichert hatte, dass diese in den nächsten Wochen weg- und dafür eine richtig Treppe hinkäme, guckte ich mich kurz um. Ich erblickte zwei Türen. Fragend drehte ich mich wieder zu Niklas, mit seiner freien Hand deutete er auf die Linke. Verstehend nickte ich.

„Was ist hinter der anderen?“, fragte ich nebenbei, während ich zur linken Tür lief.

„Dahinter ist ein altes Badezimmer, welches nach der Renovierung dir ganz allein gehören wird. Aber bis dahin wirst du dich solange mit den anderen beiden Badezimmern zufrieden geben müssen.“ Den anderen beiden Badezimmern? So groß wirkte das Haus gar nicht.

„Okay.“ Ich öffne die Tür. Wow, ich war überrascht. Es sah besser aus als ich gedacht hatte. Vielleicht ließ es sich hier doch ganz gut aushalten.

„Um Acht Uhr gibt es essen. Ganz unten, gleich die rechte Tür, ist die Küche.“, meinte er noch und stellte meine Tasche an der Tür ab.

„Ist okay.“, war meine knappe Antwort. Er nickt und ging.

//Zumindest nervt er mich nicht so sehr.//, waren meine Gedankengänge. Ich setzte mich auf mein neues Bett, es hatte eine gute Federung. Wahrscheinlich war alles in dem Raum neu, ich vernahm den Geruch von frischer Farbe, auch die Möbel rochen nach industrieneuer Ware.

Ein paar Pflanzen zierten die Fensterbank. Ich stand wieder auf und lief drauf zu, der Ausblick war irgendwie schön.
 

Der Rest des Tages verging wie im Fluge.

Ich blicke abends nochmals aus meinem kleinen Fenster, es war Vollmond.

Ein kurzer Schauer lief mir über den Rücken, es war plötzlich sehr kalt.

Mich leicht schüttelnd, um mich zu wärmen, blickte ich noch einmal auf den runden vollen Mond, ehe ich mich abwand und ins Bett ging. Dick eingekuschelt in die Decke, fiel ich in einen tiefen Schlaf.
 

Es war wirklich sehr kalt, und hell, sehr hell.

Ich öffnete langsam meine Augen und schaute auf.

Alles war in strahlendes Weiß getaucht.

Ich befand mich auf einer kleinen Lichtung, unter mir kalter weicher Schnee.

Wo kam auf einmal der ganze Schnee her?

Als ich mich aufrichte, bemerkte ich jetzt erst, dass ich nur in ein hauchdünnes, knielanges Kleid gehüllt hier draußen stand. Meine Haut war sehr blass und durchgefroren.

Über mir erblicke ich einen großen, vollen, runden Mond, der hier alles zum strahlen brachte. Ein weiteres mal ließ ich meinen Blick schweifen und blieb bei einem Fluss, der direkt in einen dunklen verschneiten Wald führte, hängen. Irgendwas in mir sagte, ich müsste da rein, aber ein anderes Gefühl in mir meinte, es wäre gefährlich, da hinein zu gehen. Doch wie ferngesteuert liefen meine Beine drauf los.

Immer am Fluss entlang tapse ich barfuß durch den Schnee. Mit jedem Schritt wurde es ruhiger und dunkler zugleich. In der Ferne konnte ich das Licht eines Feuers wahrnehmen. Das Verlangen zu rennen überkam mich. Mit einem mal rannte ich auch schon los, immer weiter zu diesem Licht, immer schneller. Ich würde sagen, so schnell wie jetzt bin ich noch nie gerannt. Dann blieb ich wie versteinert stehen.

Vor mir, ein verwüstest Dorf.

Es war altertümlich, klein und total zerstört. Flammen rangen aus den Fenstern der kleinen Häuser. Dicker, dichter Qualm stieg in den Himmel hinauf. Ich löste mich aus meiner Versteinerung und lief durch das kleine Tor in das Dorf hinein, in dem weißen Schnee war viel Blut verteilt. Überall um mich herum lagen die Überreste von Menschen. Was auch immer das hier gewesen war, es war nicht menschlich gewesen, definitiv nicht. Die Toten waren in mehrere Stücke zerfleischt worden, wobei in mir die Frage aufkam, was war das gewesen, was hat hier gewütet?

Ich ging in die Hocke, hielt schlang meine Arme fest um meinen Kopf.

Es war kalt und dann das alles hier, in meinen Kopf drehte sich alles. Ich glaubte, oder nein, ich wusste es, dass ich schon mal hier war, vor langer Zeit.

All die Bilder: Ich war noch sehr klein, ich lief um einen Brunnen, der zentral im Dorf lag, herum, lachte und freute mich. Und da war noch ein Mädchen, sie sah aus wie ich, von Kopf bis Fuß, bis in jede einzelne Haarspitze.

Wir spielten zusammen und lachten, wir waren glücklich zusammen.

Das Bild vor mir verschwamm, alles ging in Rauch auf. Ich hörte Schreie, sehr viele Schreie.
 

Ich schreckte auf, musste kurz überlegen, wo ich war, aber dann fiel mir ein, dass wir ja jetzt in dem Haus von Niklas lebten. Es war immer noch dunkel und der Blick auf der Uhr verriet mir, dass ich gerade mal eine Stunde geschlafen hatte.
 

Am nächsten Morgen wurde schon recht früh sehr viel in der Küche rum hantiert. Mein Bruder würde erst nächste Woche mit der Arbeit anfangen, deswegen dürfte er ausschlafen, mich hatte meine Mutter bei Zeiten aus den Federn geholt. Schlaftrunken und mit meiner Tasche tapste ich runter ins Bad, wollte meinen Standpunkt lieber gleich festlegen. Und deswegen schminkte mich gleich so dunkel wie möglich, schließlich sollten alle gleich mein wahres Ich sehen. Warum also verstecken, wenn ich in Zukunft dort wohnen werde. Nach einer geschlagenen halben Stunde war ich mit dem Make-up zufrieden, auch wenn es diesmal nicht ganz so düster wirkte, wie eigentlich geplant.

Als ich mich umdrehte, erblickte ich an der Tür hängend meine Schuluniform, die ich ab jetzt täglich zum Unterricht tragen musste. Mir wurde jetzt schon schlecht! Ich, verschmolzen in einer hellblauen Masse. Das war doch nicht den ihr Ernst?! Zum Glück sahen mich meine Leute nicht in diesem Aufzug. Oh mein Gott, wäre das peinlich! Wie kann man nur sowas Geschmackloses designen? Ob es auffallen würde, wenn ich meine Uniform schwarz einfärben und ein bisschen daran rumschnipseln würde? So würde sie nicht ganz in der Masse verschwinden. Na gut, dass kann ich auch später weiter überdenken, schließlich wartete meine entnervte Mutter darauf, dass ich endlich fertig wurde. Schnell zog ich mir diese geschmacklose hellblaue Uniform über. Oh Gott, der Blick in den Spiegel schmerzte in meiner Seele. Willkommen in der Masse von Püppchen…  

//Na ja, egal erst mal. Daran werde ich definitiv noch was ändern. Wenn die glaubten, ich würde  mich mit dieser hier zufrieden geben, dann hatten sie sich geschnitten.//, dachte ich mir im Stillen.

 

In der Küche angekommen, wurde ich erst mal von Niklas ungläubig beäugt.

Er müsste es doch schon kennen, oder etwa nicht? Schließlich bin ich beim ersten Treffen mit ihm auch so rum gelaufen, und da war es noch schlimmer, immerhin musste ich da nicht diese bescheuerte Uniform tragen. Genervt rollte ich mit den Augen und setzte mich einfach hin. Wenn ihm was nicht passte, sollte es ruhig sagen.

Nun drehte sich auch meine Mutter zu mir um und schüttelte sogleich den Kopf.

„Aber Ruby, musst du dich gleich an deinem ersten Tag so schminken? Dein hübsches Gesicht wird ja völlig verdeckt von dem ganzen Schwarz.“, ließ sie verlauten und hob mit ihrem Finger meinen Kopf an, ließ nach kurzem Betrachten wieder von mir ab und schüttelte abermals mit dem Kopf.

„Iss jetzt, wir müssen in einer halben Stunde los.“ Sie hielt mir einen Korb mit Brötchen hin, aus dem ich gleich zwei nahm und anschließend zu meinem Messer griff.

Stillschweigend schnitt ich meine Brötchen in zwei Hälften und beschmierte sie mit dem erst besten, was ich auf dem Tisch erblickte.

„Und heute Nacht was Schönes geträumt?“, fragte mich Niklas nach langem Schweigen, was ihn wohl unangenehm geworden zu sein schien. Ich zuckte nur mit den Schultern. Hatte ich was Schönes geträumt? Nein, sicher nicht.

„Du weißt ja, was man in der ersten Nacht im neuen Zuhause träumt, geht in Erfüllung!“, meinte er nur noch freudig. Wollte er jetzt eine Antwort von mir haben? Bitte, die kann er haben:

„Bloß nicht, auch wenn ich nicht dran glaube. Aber der Traum, war alles andere als erfreuend.“, war meine Reaktion drauf. Was hatte er erwartet? Er brauchte nicht versuchen, sich mit mir anzufreunden, immerhin würde ich doch eh hauptsächlich in diesem Internat sein, also was soll das Ganze hier? Und nun schwiegen wir uns weiter an.
 

Ich schob das letzte Stück meines Brötchens in den Mund.

Kurz darauf nahm meine Mum den Teller weg und stellte ihn in die Spüle.

„Also, da kann es wohl endlich los gehen.“ Niklas stand auf und auch ich erhob mich von meinem Stuhl.

Das Internat lag außerhalb Londons, aber es gehörte noch zur Region.

Es war umschlossen von einem kleinen Landsitz mit viel Wald, soweit ich auf mein Englisch vertrauen konnte. Der Name klang am besten: Ich wusste es doch, es konnte nur eine religiöse Schule sein. Im Flugzeug hätte ich mir den Flyer genauer angucken sollen, oder vielleicht sogar auch schon viel eher. Noch einmal überflog ich den Flyer:
 

St. Marcus,

International religious boarding school for girls…

 

Das klang doch mal richtig gut.

//Super, Mum, wo steckst du mich nur ihn? Was habe ich getan, das du mir das antust? Okay, ich habe hin und wieder die Schule vernachlässigt, aber das ist doch kein Grund, mich in ein christliches Internat zu stecken, oder doch?// Langsam stieg in mir die Wut an, was war doch nicht ihr Ernst.

„Mum, warum unbedingt ein christliches Internat?“, fragte ich etwas gereizt. Sie seufzte und deutete mir, mich ins Auto zu setzen. Genervt rollte ich wieder mit den Augen.

„Du könntest mir auch mal eine Antwort geben!“ Mit diesen Worten setzte ich mich ins Auto und knallte ich mit voller Wucht die Tür zu. Ich schnallte mich an und holte noch mal den Flyer raus. Nach denn Foto zu urteilen sah die Schule ja schon ganz nett aus. Ich entfaltete den Zettel und sah die Lehrkräfte. Super! Eine reine Mädchenschule ja, aber das Personal war Hauptsächlich männlich. Außer einige Ausnahmen, an den Seiten standen vier junge Frauen und eine Ältere. Die Jungen trugen eine Art Kutte wie die Nonnen, die ich aus Deutschland kannte, bloß in einem rötlichen Farbton. Die ältere Frau hatte einen Krankenschwesterkittel an, wirkte sehr streng, Faule Ausreden, was die Gesundheit anging, schien sie nicht zu dulden. Aber die vier Jungen strahlten so viel Freundlichkeit aus wie sonst keiner auf diesem Bild. Achtlos warf ich den Flyer zur Seite und blickte nach vorn. Es waren mindestens zehn Minuten vergangen, bis meine Mum ins Auto stieg und losfuhr.

„Mum, du hast meine Frage nicht beantwortet? Und wollte Niklas nicht mitfahren?“, fragte ich immer noch mit dem gleichen gereizten Ton in der Stimme. Ich vernahm wieder nur ein Seufzen.

„Also gut! Warum diese Schule, willst du wissen? Es ist nun mal so, dass du mit dem Englisch nicht so gut vertraut bist. Diese Schule ist eine internationale Schule, für Schüler deiner Art.“ Bei den letzten Worten funkelte ich sie böse an. Sie schüttelte den Kopf, da sie meinen Blick aus dem Rückspiegel beobachtet hatte.

„So meinte ich das doch nicht. Ich wollte damit sagen, dass du halt aus einem anderen Land kommst und mit diesem hier nicht so gut vertraust bist. Diese Schule sorgt für eine gute Integration für dein zukünftiges Leben in diesem Land. Wir haben die Schule nicht gewählt, weil sie christlich ist, sondern weil wir wollten, dass sie nicht so weit weg ist, denn die meisten liegen nun mal nicht um die Ecke. Diese hier bot sich uns regelrecht an. Das sie christlich ist, war nicht unsere Absicht um dich zu ärgern.“ Sie hielt an einer roten Ampel und drehte sich kurz um.

„Wir meinen es doch nur gut mit dir.“, meinte sie nur und drehte sich wieder um und fuhr weiter.

„Und was war nun mit Niklas, dass er nicht mitkommt?“, fragte ich sie weiter.

„Er musste ins Büro, es gab Probleme.“, war ihre knappe Antwort.

Die weitere Fahrt verbrachten wir schweigend.

Nach etwa einer Stunde Fahrt quer durch die Stadt und eine weitere halbe Stunde durch den Wald erblickte ich die Umrisse eines Gebäudes zwischen den Bäumen hindurch.

Das musste es sein, ganz sicher! Meine Mutter fuhr die letzten Kurven und immer mehr des Gebäudes kam zum Vorschein. Sie bog in eine Abfahrt ein und hielt an einen großen Tor. An der Seite war eine Sprechanlage, die der Fahrer bequem vom Auto aus bedienen konnte.

Meine Mutter drückte auf einen roten Knopf, wechselte mit der Person die zu ihr gesprochen hatte, ein paar Worte und schon ging das Tor vor uns auf. Sie fuhr weiter zu einem Parkplatz ganz nah am Gebäude. Als ich mich abschnallte und aus den Auto stieg, merkte ich erst, dass dieses Gebäude hier nur eins von vier weiteren war, aber auf dem Flyer war nur dieses abgebildet. Entweder ist dies das Hauptgebäude oder die anderen gehörten nicht dazu, was ich allerdings nicht glaubte, da sie direkt mit auf dem Gelände sind. Ich ließ mich einfach überraschen. Meine Mutter stellte sich neben mich und meinte: „Los geht es! Wir müssen zu dem C-Eingang.“ Sie ging zu die Gebäude drauf los.

„Moment, was wird mit meinen Sachen?“, fragte ich sie.

„Die holen wir dann, wenn wir wissen, wo dein Zimmer ist.“, sagte sie und lief weiter.

Na gut, ich lief ihr einfach nach. Mein Blick fiel auf den Gebäude, es hatte ein Kupferdach und war komplett in einen matten Gelbton gestrichen wurden. Die Fensterrahmen waren definitiv aus Holz, die in einem dunklen Braunton gestrichen worden waren. Das musste allerdings schon eine Weile her sein, da die  Farbe schon Risse vorwies und auch zum Teil abplatzte. Ein weiterer Blick ging direkt zu einem offenen Fenster, auf dessen Fensterbrett violette Blumen in einem großen braunen Topf standen.

Ein Mädchen kam ans Fenster heran und goss eben diese Blumen. Sie könnte in meinem Jahrgang sein, sie war definitiv nicht viel älter als ich. Irgendwie war sie hübsch, sie hatte schulterlanges, glattes, mittelblondes Haar, und soweit ich das erkennen konnte, hatte sie blaue Augen. Auch wenn ich diese Schuluniform verabscheute, zu ihr passte sie. Sie schaute nach unten, und unsere Blicke trafen sich. Für einen Moment breitete sich in mir ein komisches Kribbeln aus, mir wurde warm. Sie selber wirkte ganz ruhig. Eine fremde Stimme ertönte.

„Nova, bist du dann mal fertig? Ich muss noch zur meiner AG. Du weißt doch, Ich habe heute noch Handballtraining! Bitte beeil dich, Mr. Jones lässt mich erst gehen, wenn wir fertig sind.“ Erschrocken ließ das Mädchen fast die Gießkanne fallen.

„Ja Moment, Akikô!“ Ich sah ihr an, dass ihr das peinlich war und schon war sie wieder verschwunden. Und nun trat noch ein zweites Mädchen ran. Sie lachte sehr laut, dass ich es sogar hören konnte. Ein paar Stimmen waren zu hören, wahrscheinlich das andere Mädchen. Wortfetzen wie: „Hör auf.“, oder  „Das ist nicht witzig!“, konnte ich verstehen. Mein Englisch war gut, eins der wenigen Fächer, in dem ich immer gute Noten hatte, egal wie lange ich fehlte. Das zweite Mädchen zupfte ein paar alte verwelkte Blätter von den Blumen ab. Sie war definitiv eine Asiatin. Nicht nur wegen ihres Namens, nein, man sah es ihr an. Schwarzes kurzes Haar, allerdings hingen ihr zu beiden Seiten zwei lange Strähnen, mit schwarz-hellviolett gefärbten Streifen, über die Schultern. Ihre mandelförmigen Augen hatte sie mit schwarzem Kajal nachgezogen, so kamen sie noch besser zur Geltung. Sie hatte dunkelbraune Augen und an der linken Augenbraunen ein Piercing.

„Sag mal Nova, kennst du die da unten oder warum hast du sie so komisch angeguckt?“, fragte sie und schaute auf mich hinab.

„Ähh, nein. Ich kenne sie nicht.“ Das blonde Mädchen tauchte wieder auf.

„Warum starrst du sie dann so an?“, fragte die Asiatin wieder. Diese Frage könnte ich ihr stellen, immerhin starrt sie mich jetzt an. Mit einem Lächeln im Gesicht schüttele ich meinen Kopf leicht.    

„Ruby, beeil‘ dich, ich muss noch zur Arbeit!“, meinte meine Mum wieder leicht genervt. Seufzend schau ich meine Mutter an. Schade, dem Gespräch hätte ich gerne bis zum Ende gelauscht. Aber eins wusste ich, die Namen würde ich mir merken, die beiden interessierten mich, auch wenn sie nicht in meinen Jahrgang sein sollten. Ich freute mich schon, ihnen direkt mal gegenüber stehen zu können. Akikô und Nova.

Ich drehte mich nun ganz um und lief zu meiner Mum, die schon am Eingang stand.

„Ja, ich komme ja schon.“, grummelte ich und ließ meinen Blick nochmal zum Fenster gleiten, welches nun geschlossen war.

Kaum bei meiner Mutter angekommen, ging es direkt rein. //Wow!//, schoss es mir durch den Kopf. Von außen wirkte es so altmodisch, doch hier drin war alles auf dem neusten Stand. Die Schule musste vielleicht Geld haben?! Okay, es ist eine Privatschule, aber angesichts der Tatsache, dass es eine christliche Schule ist, hätte ich mir sie nie so modern vorgestellt.

„Hier her Ruby, träum nicht rum!“ Meine Mutter deutet auf eine Tür, an der sie sogleich klopfte. Sie wartete einen Moment bis sich eine Stimme von drinnen erhob und uns rein bat. Mum drückte die Klinke runter und betrat den Raum. Unschlüssig folgte ich ihr.



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