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Denn die Prophezeiung sagt

von

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Sie waren noch über zwei Stunden unterwegs, bis sie die Umrisse einer Siedlung in der Ferne erkannten. In der ganzen Zeit hatte die Umgebung sich kaum verändert und Lavanya, die immer noch getragen wurde und sich dadurch auf die Aussicht statt auf den Weg konzentriert hatte, wäre beinahe eingeschlafen. Überall nur Sand, Kiesel, vertrocknete Felder und noch mehr Kiesel. Bäume schien es genauso wenig zu geben wie bei ihnen.

„Warum werden wir durch die Wüste geschickt? Findet unser Lehrmeister das unterhaltsam?“, beschwerte sich Vasin halblaut und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Wir hätten auch in Richtung Norden gehen können, da gibt es Seen, kühleres Wetter und angeblich sogar Blumen. Echte, keine aus Metall nachgefertigten.“

„Kannst du mal deinen Mund halten? Wir sind auf einer Läuterungswanderung, nicht auf einer Erkundungsreise. Also sei leise.“ Kaans Laune war inzwischen noch schlechter geworden, da er von den dreien am meisten die starke Sonneneinstrahlung zu spüren bekam und heute Nacht mit einem schmerzhaften Sonnenbrand zu kämpfen hatte.

Vielleicht wäre er dann sogar insgeheim dankbar, nicht auch noch in einem Stoffzelt, direkt auf sandigem Untergrund übernachten zu müssen.

Die Siedlung kam näher, im selben Maße stieg bei allen die Vorfreude auf Schatten und etwas Anständiges zum Essen anstelle des behelfsmäßigen Proviants. Ihre Reise war alles, unnötig beschwerlich und langandauernd, nur nicht gut durchdacht und ausgeführt, was daran lag, dass sie heute Morgen ohne große Vorbereitung losgeschickt worden waren. Eine typische Laune ihres Lehrmeisters.

Eine Steintafel mit den eingeritzten Worten „Großsteinstadt“ ließ Kaan herablassend seufzend. „Wenn das eine Stadt ist, bin ich ein ausgebildeter Energieverwalter. Beschönigungen sind immer noch Lügen.“

„Und dass sie aus Steinen besteht, hätte ich bei den Felsen hier niemals erwartet“, schloss Vasin sich an. Ausnahmsweise waren sie einer Meinung: Der Siedlungsname gefiel ihnen beiden nicht.

Trotz ihres Missfallens übertraten sie die Ortsgrenze, die neben dem Schild unübersehbar in den Weg gegraben worden war, und begaben sich auf die Suche nach einer Herberge, die sie sich von dem wenigen Geld, das sie mit sich trugen, bezahlen konnten. Da ihr Lehrmeister gerne geizte, waren solche Zwischenfälle nicht mit einberechnet worden; so etwas passierte einfach nicht.

„Entschuldigung, können Sie uns eine Herberge empfehlen?“, fragte Lavanya nach einer halben Stunde erfolgloser Suche eine Frau, die vor einem kleinen Laden die Auslage zurechtrückte. Ihre zwei Begleiter wollten auf keinen Fall ihr Unvermögen eingestehen und irgendwen um Hilfe fragen, also musste sich Lavanya einschalten.

Die Frau musterte das kleine Trüppchen erst skeptisch, schilderte ihnen aber gut verständlich den Weg und wünschte ihnen viel Erfolg.

„So macht man das.“

„Halt dich lieber fest, sonst fällst du runter und brichst dir vielleicht den Arm“, entgegnete Kaan, der solche Aussagen gar nicht gerne hörte. „Denn dann können wir dir gar nicht mehr helfen. Und Heiler sind teuer.“

Eine Danke wäre auch sehr ungewöhnlich gewesen.
 

„Das ist doch dreist! Nur weil diese Leute hier im letzten Winkel wohnen, müssen wir fast den doppelten Preis zahlen.“ Kaan warf den Rucksack etwas grober als nötig zu Boden und zuckte zusammen, als ein Klirren ertönte. „Verhexte Steinechse, mir reicht es.“

Vasin musste sich ein Lachen verkneifen; Lavanya hob erst gar nicht den Kopf von ihrem Schlafstein, um das neue Unheil zu bewundern.

Einerseits hatte Kaan recht, es war ärgerlich, dass sie nicht einfach ein Zimmer für alle hatten nehmen können, sondern nun auf den Kosten von zwei saßen. Leider herrschten in diesem Dorf noch etwas andere Sitten und es war nicht gerne gesehen, wenn die Zimmer gemischtgeschlechtlich bezogen wurden. Andererseits durfte Kaan nicht zu laut fluchen, immerhin pflege er auch noch alte Verhaltensmuster und behandelte Lavanya nicht wie einen gleichwertigen Kollegen. Sie war eine Frau, da begann das Problem.

„Ist der Stein wenigstens bequem? Ich kann mir das nicht vorstellen. Wobei, unsere Betten aus Metall unterscheiden sich wahrscheinlich nicht so sehr davon.“ Um nicht noch mehr Zerstörung zu hinterlassen, räumte Kaan den durchweichten Rucksack aus und hängte ihn über einen Steinklotz, der als Stuhl diente.

„Es geht.“ Es war nur ziemlich gewöhnungsbedürftig, hier wurden nicht so viele Lagen Stoff über den Sockel gelegt wie bei ihnen daheim. Vielleicht hatten sie auch nicht ganz so dickes Material oder es mangelte daran, weshalb man sich nicht viel davon leisten konnte. „Könntet ihr nun die Steine entfernen?“

„Oh.“ Peinlich berührt, weil sie Lavanyas Verletzungen im Laufe des Tages ganz vergessen hatten, fasst Vasin nach ihrer Hand. „Du hast gar nichts mehr deswegen gesagt…“

Selbst wenn, sie hätten es sowieso bis zu dem Zeitpunkt, bis sie die Herberge erreichten, verschoben, weil in der prallen Sonne arbeiten fast doppelt so viel Konzentration kostete wie im Schatten. Sie besaßen nämlich keine Utensilien, um die Steine auf herkömmliche Weise zu entfernen.

„Wir kümmern uns jetzt darum.“ Kaan stellte sich auf die andere Seite des Steins und betrachtete prüfend Lavanyas Handflächen; ihre Knie wurden teilweise von den Überresten ihrer Stoffhose bedeckt. „Könntest du…“ Er machte eine auffordernde Handbewegung und vorsichtig zog sie die Hosenbeine bis zu den Oberschenkeln hoch. „Danke.“ Man sah ihm an, dass er zwar meisterlich unfreundliche Kommentare verteilen konnte, aber solche Situationen ihm mehr als unangenehm waren. Dabei stand Lavanya weit davon entfernt, sich nackt vor ihnen auszuziehen.

„Ich glaub, darum solltest du dich kümmern.“ Ein seltener Satz aus Vasins Mund, aber manchmal sah er ein, dass Kaan das größere Talent hatte, wenn es um Präzisionsarbeit mit Energie ging. Was kein Wunder war, immerhin befand er sich ein halbes Lehrjahr vor ihm.

Dieses Mal verzichtete Kaan sogar auf eine spitze Bemerkung. Stattdessen nahm er eine kniende Haltung an, sammelte seine Energie, formte damit kleine Haken und zog damit die Steinchen aus Lavanyas Haut, einen nach dem anderen. Für gewöhnliche Steine hatten sich einige sehr tief in ihre Haut gegraben; entweder hatte sie großes Pech gehabt oder sie waren auf eine besondere Sorte Stein getroffen.

Tapfer biss sich Lavanya auf die Unterlippe, um nicht durch einen Schmerzenslaut Kaan aus seinem Zustand der völligen Konzentration zu reißen. Das hätte nur unnötigen Energieverlust bedeutet und die Angelegenheit ungemein verkompliziert. Sie konnte froh sein, dass er das Herausziehen übernahm, Vasin hätte ihr noch dutzende Hautfetzen dabei rausgerissen.

„Verhext, das tat weh.“ Vorsichtig wischte sie sich mit dem Finger eine Träne aus dem Augenwinkel. Aber wenigstens war sie nun die Fremdkörper los; ohne Energiezunahme hätten sie das tatsächlich nur mit Hilfsmitteln geschafft, die sie nicht besaßen.

„Wir sollten ihr trotzdem noch eine Salbe kaufen. Die haben hier bestimmt eine Apotheke. Und vielleicht auch was für deinen Sonnenbrand…“

„Weißt du, wo eine ist?“

„Fragt die Frau an der Theke, die muss es wissen, wenn sie hier arbeitet“, kürzte Lavanya das Thema ab. „Und haltet Ausschau nach einer neuen Wasserkanne. Vielleicht verkaufen die hier so etwas.“

Ohne größere Proteste machten Kaan und Vasin sich auf den Weg, während Lavanya seufzend ihre zerrissene Hose betrachtete. Es war kein Lieblingsstück gewesen, alle ihre Kleidungsstücke hatten rein funktionellen Zweck, aber es bedeutete, sie entweder zu flicken oder Geld in eine neue zu investieren. Leider konnte man mit der Energie keine neue erschaffen.

Es gab Grenzen für den Gebrauch von Energie: Man konnte keine Krankheiten heilen, keine Dinge aus dem nichts erschaffen und nur eine bestimmte Menge davon benutzen, bevor man völlig erschöpft war und Ruhe brauchte. Das unterschied Energie von der gefürchteten Magie, die es angeblich irgendwo im Südosten geben sollte.

Lavanya hielt es für Unsinn, immerhin widersprach Magie völlig den Naturgesetzen; Energie dagegen schloss sie nicht aus. Man konnte Gegenstände bewegen, ohne sie zu berühren, man konnte durch Erhitzen der Energie Kerzen entzünden oder durch Kälte Insekten einfrieren, wenn man sie lagern wollte. Und man konnte zerstören, wenn man zu viel Energie anwandte. Aber nichts Neues schaffen, nichts ohne Nadel und Faden wieder zusammenflicken und erst recht keine Wunderheilungen durchführen. Ein Grund, warum es immer von nützen war, eine Apotheke zur Hand zu haben.

Aber eine Verwendung war noch möglich, wenn es auch schwierig zu erlernen war und nicht jeder die Veranlagung dafür besaß.

Lavanya packte eine Tonscherbe aus, die zum Glück in einem der anderen Rucksäcke untergekommen war, sonst wäre sie bei ihrem Aufprall zerbrochen. Aus ihrer Hosentasche nahm sie ein kleines Gefäß mit Glasstaub und rieb eine geringe Menge davon auf die Scherbe. Nun musste sie sich nur noch konzentrieren und schon konnte sie den Tonscherbenreflektor zum Einsatz bringen. Durch seine geringe Größe und ihr noch nicht ausgereifter Umgang damit bedeuteten Abstriche bei Farbgebung und keinen Ton, aber es genügte, um zu sehen, was draußen vor sich ging. Der Reflektor konnte ihr zeigen, wie Vasin und Kaan durch eine enge Gasse gingen und sich über irgendetwas uneinig waren.

Ihr Lehrmeister hatte ihr Talent dafür entdeckt und ihr aufgetragen, es auszuweiten. Mit dieser Fähigkeit als Schwerpunkt als Schüler der Energieverwaltung konnte man hohes Ansehen erreichen, selbst als Frau. Und daher übte sie oft genug, damit umzugehen. Meistens beobachtete sie ihre Kollegen, um sicherzugehen, dass sie nicht ihre Pflichten über ihr Rivalitätsgehabe vernachlässigten. Davon wussten beiden natürlich nichts und sie würde sich hüten, es ihnen zu erzählen. Sie wussten von ihrer Fähigkeit, interessierten sich aber nicht weiter dafür, da sie selbst beide beim Versuch, mit dem Tonscherbenreflektor Bilder einzufangen, kläglich gescheitert waren.

Natürlich verwendete Lavanya ihren Reflektor nur dann, wenn sie wusste, dass Vasin oder Kaan irgendeiner Arbeit nachging; sie wollte keinen der beiden bei irgendetwas erwischen, was sie nicht sehen wollte. Dann hätte sie gar nicht mehr mit ihnen reden können.

Im Moment bestand eine solche Gefahr nicht; sie standen vor einer niedrigen Hütte mit einem Zeichen, dass man hier Medizin jeder Art erwerben konnte, die zum Glück noch geöffnet war, und diskutierten wieder auffällig.

Doch dann wurde ihre Aufmerksamkeit von zwei Personen abgelenkt, die sie ohne ersichtlichen Grund ansprachen. Das sah nicht als, als wollten sie nur höflich sein.

Lavanya wartete nervös, was das zu bedeuten hatte.
 

***
 

„Ihr seid nicht von hier, oder?“, fragte eine der zwei jungen Frauen, die sich knapp als Felipa vorgestellt hatte. „Hier kennt fast jeder jeden, deshalb unsere Neugier.“

„Nein, sind wir nicht“, ging Vasin sofort auf das Gespräch ein, während Kaan abwartend neben ihm stand und nicht recht wusste, was er davon halten sollte. Im Gegensatz zu seinem Kollegen befürchtete er hinter der freundlichen Art eine Masche, sie um ihr Geld zu erleichtern. Dem sollte besser Abhilfe geschaffen werden.

„Ich besorge die Salbe für Lavanya, du wartest hier.“ Vasin würde sich sowieso in nächster Zeit nicht von den zwei Frauen losreißen können, dafür kam es zu selten vor, dass ihm eine aus heiterem Himmel Beachtung schenkte.

„Und warum seid ihr hier? Bestimmt nicht freiwillig, das hier ist eine abgelegene Stadt, die meisten kennen sie nicht einmal.“

„Ja, das war eher Zufall. Meine Kollegin hat sich verletzt und wir müssen sie versorgen.“

Die zwei Frauen warfen sich vielsagende Blicke zu. „Seid ihr Mienenarbeiter auf der Durchreise?“, hakte die andere, Gasira, nach.

„Nein, bei uns wird jeder Kollege genannt.“ In manchen Gebieten war das nur unter Mienenarbeiter üblich. „Wir sind Schüler der Energieverwaltung und sind… auf einer Bildungsreise.“ Strafreise klang nicht sehr vorbildlich und so genau würde man bestimmt nicht nachfragen, weshalb es sie hierher verschlagen hatte.

„Seid ihr nicht die, die Wind heraufbeschwören und Häuser in Brand stecken können?“

„Naja.“ Da hatte jemand große Erwartungen. „Wenn mal viel übt, dann schon. Bestimmt.“ Nur durften sie das nicht, das verstieß gegen die Grundsätze eines Schülers. Nur denjenigen, die die Ausbildung abgeschlossen hatten, war so etwas gestattet.

Die Hälfte seiner Antwort hatten die zwei gar nicht gehört, weil sie aufgeregt angefangen hatte, einander etwas zuzuflüstern, was Vasin nicht verstand. Etwas verwirrt stand er nun wartend neben ihnen und hoffte, dass man das Wort wieder an ihn richtete.

Was schließlich auch geschah; ihre Blicke ruhten auf ihm.

„Weißt du“, berichtete Felipa mit einem aufgeregten Unterton, „es gibt bei uns eine Art Legende. Unser Dorf hat Schwierigkeiten mit den Felsköpfen, schon seit sehr langer Zeit, und angeblich soll irgendwann jemand von außerhalb kommen, der uns von dieser Plage befreit. Du kennst Felsköpfe?“

„Noch nie gehört. Aber was ist mit dieser Legende?“ Das klang alles sehr mysteriös und ziemlich abenteuerlich.

„Felsköpfe sind bösartige Lebewesen, wie der Name sagt aus Stein. Sie haben keine Körper, nur einen Kopf, teilweise viele Meter hoch und hunderte Steinladungen schwer. Jetzt beginnt wieder die Jahreszeit, in der sie unsere Felder zerstören, unsere Nutztiere fressen und aus Laust und Laune Menschen und Gebäude mit Steinen bewerfen. Jedes Jahr gibt es dadurch viele Tote und Verletzte.“

Vasin konnte nicht bestreiten, dass es zu einem gewissen Teil lächerlich klang; wie Geschichten seiner Großmutter über Flugechsen und Wandervampire.

„Aber es gibt diese Legende; also eigentlich eher eine Prophezeiung. Laut ihr kommt ein junger Mann mit besonderen Kräften zufällig in unser Dorf, stellt sein Können unter Beweis und befreit uns von diesen Wesen.“

„Und ihr meint, dass ich…“ Vasin wusste gar nicht, was er sagen sollte.

„Dass du was? Ein gutgläubiger Sandfischangler bist? Ja, das glauben sie dir sofort. Was erzählt ihr ihm für einen Unfug? Irgendwas mit einer Prophezeiung? Nicht ernsthaft.“

„Kaan, sei einfach still“, unterbrach ihn Vasin wütend. „Du hast doch keine Ahnung!“

„Und ob ich Ahnung habe, nämlich davon, dass sie dich reinlegen. Sie machen dir schöne Augen, nehmen dich mit und wenn du morgen früh aufwachst, hättest du kein Geld mehr, wenn du überhaupt welches dabei gehabt hättest. So sieht es aus. Hab ich recht?“ Mit verschränkten Armen sah Kann zu den beiden Frauen hinüber, die offensichtlich sehr erbost von den Anschuldigen waren.

„Ihr glaubt uns nicht? Schön, dann kommt wenigstens mit und überzeugt euch, dass die Felsköpfe keine Erfindung von zwei Lügenschwestern sind.“ Sie nahmen Vasin in die Mitte, Kaan wurde vollkommen übersehen, und zogen ihn durch ein paar Straßen, bis sie das Ende der Siedlung erreichten.

„Ich sehe, dass ich nichts sehe“, rief ihnen Kaan zu, der ihnen trotz der ablehnenden Haltung gefolgt war. Man konnte Vasin nicht mit den beiden allein lassen, ohne Schaden anzurichten.

„Und jetzt schweig für eine Minute und sieh nach vorne“, befahl Gasira. Ausnahmsweise tat Kaan, wie ihm geheißen, und beinahe hätte er die Salbe fallen gelassen.

In einiger Entfernung und trotz der aufkommenden Dämmerung zu erkennen bewegten sich die Berge. Zumindest sah es so aus; riesige Massen schoben sich von rechts nach links über die Ebene, mache schienen zu hüpfen wie zu lang gekochte Kaninchenaugen.

„Das ich nicht wahr. Verhext und zugefroren, das kann nicht sein.“ Kaan fing an, an seinem Sehvermögen und seinem Verstand zu zweifeln; Vasin brachte kein Wort über die Lippen.

„Seht ihr, keine Lüge.“ Triumpf schwang in Felipas Stimme mit.

„Dann stimmt das auch mit der Prophezeiung?“

„Kannst du bitte aufhören, von diesem Unfug zu reden? Daran glaubt doch keiner. Jedes Kidn weiß, dass Prophezeiungen nur dazu da sind…“

„Ich bin der Auserwählte!“

„Bist du nicht, du bist nur ein untalentierter Energieschubser ohne einen Funken Selbstachtung, der alles dafür tut, um Anerkennung zu bekommen.“

„Und du bist ein widerlicher, selbstverliebter Teufel.“

„Entschuldigung, könnt ihr vielleicht aufhören, euch anzubrüllen? Wir sind uns sogar sehr sicher, dass einer von euch der Auserwählte ist. Wir wissen nur nicht, wer.“

Sofort beendeten die beiden ihren fliegenden Wechseln an Beleidigungen.

„Falls das wirklich stimmen sollte, was ich nicht glaube, werde ich das sein. Ich bin besser im Umgang mit Energie, habe mehr Erfahrung und bin nicht so dumm und falle auf jeden Trick hinein.“ Wie so oft war Kaan von sich uneingerschänkt überzeugt und geizte nicht damit, es in aller Öffentlichkeit zu zeigen.

„Nein, ich, denn mich haben sie zuerst angesprochen“, hielt Vasin verzweifelt dagegen. Leider hatte er keine besseren Argumente zur Hand.

Zu seinem Glück werteten Felipa und Gasira nicht aufgrund von Kaans arroganter Ansprache. „Wir wäre es, wenn wir das herausfinden? Dabei können sich auch noch andere aus unserer Stadt ein Bild von euch und euren Fähigkeiten machen und unsere Theorie unterstützen. Sagen wir, in einer Stunde auf dem Marktplatz, er befindet sich nicht weit von der Apotheke entfernt. Findet ihr den Weg allein dorthin oder braucht ihr Unterstützung?“

„Sehen wir so aus? Natürlich nicht.“ Über eine solche Unterschätzung ihres Könnens konnte Kaan nur missbilligend den Kopf schütteln. „Komm, Verlierer, in einer Stunde zeig ich dir, wer hier von der Prophezeiung angekündigt worden ist.“
 

***
 

„Das ist nicht euer Ernst!“ Lavanya, die den ganzen Ablauf ohne das Wissen über die Gespräche verwirrt verfolgt hatte, fühlte sich wie in eine Teigmaschine geworfen. „Ihr nehmt denen das bitte nicht ab.“

„Ich nicht, aber der da.“ Kann wies abfällig auf Vasin, der seit ihrer Rückkehr vor Nervosität ziellos durch Lavanyas Zimmer irrte. Er schien nicht einmal wahrzunehmen, dass er sich sonderbar benahm.

„Das ist ein Streich der Siedlungsbewohner. Niemand nimmt heutzutage Prophezeiungen noch für voll.“ Verzweifelt rang Lavanya um Gründe, sich diese Idee aus dem Kopf zu schlagen.

„Bedenke, wo wir hier gelandet sind: Die sind noch nicht in der Neuzeit angekommen, beachte die Regeln in dieser Herberge. Und vor allem existieren diese Felsengehirne tatsächlich. Wenn bei mir solche tagein, tagaus Unruhe stiften und ich machtlos dagegen bin, würde ich irgendwann auch in alles meine Hoffnung setzen.

„Felsenköpfe. Sie heißen Felsenköpfe“, murmelte Vasin mehr zu sich selbst als zu seinen Kollegen. Seine Finger spielten so aufgeregt mit dem Zipfel seines Überwurfs, als wollte er ihn abreißen.

„Und der setzt seine Hoffnung auf Ruhm, Erfolg und Bewunderung durch die Gelegenheit, nachher gegen mich zu gewinnen. Was ein Spinner.“

„Ihr geht nicht. Das ist vielleicht sogar eine Falle. Bleibt hier, ruht euch aus, dann können wir bald weiter.“ Mit Nachdruck versuchte Lavanya, ihnen diese Flausen auszutreiben. Sie waren hier zur Durchreise, nicht zum tragischen Heldenspielen.

„Wir sind Schüler der Energieverwaltung, was sollen die gegen uns unternehmen? Gar nichts. Was können wir einsetzen? Unsere Kraft. Also, wir sind klar im Vorteil. Ich wüsste nicht, warum ich mich hier verkriechen soll, damit die denken, ich hätte Angst vor einer Niederlage. Nein, wir gehen da hin und Ende.“

Keiner der beiden ließ mit sich reden.
 

***
 

Es hatten sich so viele Leute auf dem Marktplatz versammelt, als handelte es sich bei Kaan und Vasin tatsächlich um Berühmtheiten und nicht nur um zwei zerstrittene Schüler. Diese Tatsache beunruhigte Kaan, während Vasin fasziniert um sich blickte und dabei ein paar Mal fast seinen Kollegen umrannte.

„Das ist doch verhext“, murmelte Kaan immer wieder zu sich. „Verhexte Flugechseneier, wenn das ein Trick ist, dann haben sie sich sehr viel Mühe gegeben.“ So einen Aufwand zu betreiben, um zwei Fremde hinters Licht zu führen, stand in keiner Relation zum Ergebnis.

„Das ist kein Trick, versteh es endlich. Die suchen wirklich nach jemanden, der ihre Prophezeiung erfüllt.“Die Vorfreude ließ Vasin nervös die Finger verschränken.

„Aber das ist doch lächerlich!“ Kann war hin und her gerissen zwischen Abwertung dieses Prozesses und dem Gedanken, Vasin seine Grenzen aufzuzeigen.

„Da seid ihr, wir warten alle auf euch.“ Felipa winkte sie in die Mitte, ohne Schwierigkeiten kamen sie durch die Menschenmasse. „Ich weiß, für euch muss das sehr seltsam sein, aber einer von euch wird uns helfen können.“

Das konnte sie laut sagen, Kaan war skeptisch wie in der ersten Minute. Die ganze Szene kam ihn merkwürdig vor; diese vielen Bewohner, die es sich trotz der vorangeschrittenen Stunde nicht nehmen ließen, sich das Kommende anzusehen. „Und was sollen wir tun?“

„Ihr werdet diesen Stein zerstören müssen.“ Felipa zeigte auf ein paar Siedlungsbewohner, die sich abmühten, einen hüfthohen Felsbrocken zwischen den anderen hindurchzuzerren. „Das ist natürlich nur die erste Probe. Aber für den Anfang sollte es genügen.“

„Das ist nicht gerecht“, zischte Kaan Vasin zu. „Ich habe heute schon Energie verbraucht und du nicht.“ Was besonders auffiel, wenn es sich um große, gebündelte Mengen Energie handelte.

„Dann musst du dich doppelt anstrengen“, entgegnete Vasin nur. Ihn störte das nicht, im Gegenteil, dieser Umstand verschaffte ihm einen bedeutenden Vorteil. Ansonsten wäre es fraglich, ob er gegen Kaan ankam.

Bevor Kaan ihn noch weiterhin wegen seines unfreiwilligen Nachteils angiften konnte, hatte der Fels seinen Zielort erreicht und alle Anwesenden richteten ihren Blick auf die zwei jungen Männer. Es war nicht die Zeit, vor aller Augen ihren Zwist weiter auszutragen.
 

***
 

Lavanya sah aus der Ferne zu. Sie konnte immer noch nicht fassen, dass sich die beiden auf so einen Unfug einließen, aber es war kein Wunder. Sobald der eine etwas tat, musste der andere nachziehen und ihn übertrumpfen. Und wobei eignete sich das besser als vor einem Publikum, das nicht nur aus Lavanya und ihrem Lehrmeister bestand.

Und sie ahnte, dass es kein gutes Ende nehmen würde. Kaan war noch erschöpft und dadurch nicht in Hochform und Vasin dadurch im Vorteil. Sonst verhielt es sich anders und Kaan ging als Sieger hervor. Er benahm sich dann noch arroganter als ohnehin schon und Vasin verzog sich entmutigt für mehrere Stunden in irgendeine Ecke, aber nach spätestens zwei Tagen war die Lage wieder entspannt oder eher genauso wie zuvor.

Aber diese Konstellation hatte es bisher noch nicht gegeben und das würde Kaan gar nicht gefallen, denn er verlor nicht, aus Prinzip nicht.

Und es kam wie erwartet: Kaan sammelte zwar jeden verbliebenen Rest seiner Energie und feuerte ihn auf den Felsen, aber außer einigen Rissen erreichte er nicht viel. In den Mienen der Siedlungsbewohner erkannte Lavanya Enttäuschung und Unmut, was wiederum in Kaan große Wut entfachte. Das war eine offene Demütigung für ihn, die sein stolzes Wesen nicht ertrug.

Ebenso wie die Tatsache, dass Vasin mit wenigen Energiestößen den Felsen durchbohrte und mehr als einem Umstehenden Steinsplitter ins Gesicht schleuderte.

Lavanya schlug fassungslos die Hände vors Gesicht; diese Suche nach dem Auserwählten ließ bei den beiden jegliche Gedanken an die Regeln der Energieverwaltung in Vergessenheit geraten.

Aber sie war machtlos dagegen; durch den Reflektor konnte sie nicht kommunizieren, mit ihren Verletzungen war das Laufen mühsam und dauerte viel länger als gewöhnlich und sich durch die Menge zu schlängeln gehörte schon in gesundem Zustand zu keinen ihrer Fertigkeiten.

Ein Desaster; auf das verhexter Weise von den Bewohnern nicht mit Ärger reagiert wurde. Einige Sekunden brauchte Lavanya, um zu erkennen, was dort nun geschah.

Die Menge ging nicht auf Vasin los, weil er Menschen verletzt und in Gefahr gebracht hatte; sie feierte ihn, als wäre er eine neugeborene Gottheit, der man Verehrung und Demut entgegenbringen musste.

Die ganze Situation war für die Bewohner vollkommener Ernst, für sie war Vasin der Retter, der ihnen nach langer Zeit endlich zur Hilfe eilen würde.

Und Kaan interessierte niemanden als glücklosen Zweitplatzierten.



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