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Kleines Radieschen

von

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Der große Bruder

Die Bilanz der Zerstörung war eigentlich relativ gering und der Schaden schnell durch Routine beseitigt. Luzifel hatte nun schon viele Aufnahmen darüber gesehen, wie sein kleiner Bruder anderen das Leben schwer machte, er selber war bisher nie betroffen gewesen. Warum auch immer, Michael sparte sich in seiner Gegenwart einen Feuerangriff auf Plüschtiere und Co.

Generell benahm er sich ganz anders, doch darauf fiel Luzifel bloß eine zumindest ansatzweise vorhandene Bindung ein, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatte.
 

Zwar wimmerte Michael auch auf seinem Arm, als sie das Bad wieder betraten, doch er nahm den Umstand des Badens als leider notwendiges Ärgernis zur Kenntnis und schaute zu, wie sein Bruder langsam in die Wanne stieg, in dabei auf dem Arm haltend und selbst beim Hinsetzen noch ohne jeglichen Kontakt. Das war in Ordnung, weil er dieses Ritual kannte, zu Anfang hatten sie etwas kämpfen müssen. Nun würde er auf Luzifels Arm bleiben und nur langsam nach und nach mit dem Wasser in Berührung kommen, er hielt sogar seinen Fuß bereitwillig hin und ließ sich ein paar Tropfen aus der vertrauten Hand gefallen.
 

Ein kurzes Quengeln, dann drehte er ein paar dunkle Haare zwischen seinen Fingern ein und wurde wieder ruhiger, als nicht nur Tropfen, sondern auch die waschende Hand sein Bein trafen.

Etwas tiefer gerutscht saß er auf dem Bauch seines Bruders, selber nun etwas im Wasser, in das er aus Prinzip einmal reinschlug und dann zu Luzifel aufblickte, der nur ein wohlwollendes Lächeln über hatte. Die dünne Shorts, welche er als Badekleidung trug, weckte das Interesse Michaels, der den nassen Stoff flüchtig berührte. Spielen wollte er im Wasser nie und trotzdem setzte Luzifel immer eines des Gummitiere mit hinein, das jedoch gnadenlos ignoriert wurde.
 

Mit den Händen fuhr er über den kleinen, runden Rücken und verteilte etwas Wasser und Schaum, wusch verdächtige Tomatenflecken herunter. Ob er wirklich mit in die Wanne steigen musste, war fraglich denn das ganze Waschen dauerte meist nur ein paar Minuten und er durfte sich danach ebenfalls umziehen, aber somit verband er seine eigene Körperpflege mit der seines Bruders.
 

Mit einem Waschlappen wurden Arme und Beine gesäubert, bei den Haaren erstarrte Michael und griff fest an die Shorts seines Bruders, starrte apathisch auf dessen Bauch; er wollte ihm dabei ins Gesicht sehen können, um zumindest ansatzweise eine Regung zu deuten.
 

„Gleich vorbei“, lobte er ihn leise und ließ den feuchten Stoff noch einmal behutsam durch Michaels Gesicht gleiten, als dieser mit der Hand abgewehrt hatte, es selber zu tun oder wenigstens berühren zu wollen. Die Flügel sollte er vielleicht auch bald mal reinigen, aber der heutige Tag war anstrengend gewesen. Für sie beide.
 

Wasser lief an den langen Beinen herunter, als Luzifel sich wieder erhob und achtlos aus der Wanne stieg, Michael wieder auf dem Arm, der ergeben an seinem eigenen Daumen lutschte und den Kopf auf der Schulter des Bruders ruhen hatte, die Augen unruhig von einer Ecke zur anderen huschend.
 

Er trocknete ihn ab und ließ ihn im Handtuch, zog sich selber eine bequeme Stoffhose an und sorgte dann dafür, dass das Baby endlich ins Bett kam; wickeln war kein Thema und lief in ähnlich sicherer Routine wie das Baden ab, dann gab er ihm noch einen Kuss auf die Stirn und deckte ihn zu, verließ den Raum lautlos.
 

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Mitten in der Nacht war dann das Schreien da und Luzifel kämpfte sich aus seinem Bett, ging mit leisen Schritten in das Kinderzimmer direkt gegenüber. Als das Licht den Raum flutete, sah er Michael im Bettchen stehen, wieder dicke Krokodilstränen in den Augen.

Wortlos strich er ihm über den Kopf und überlegte allen Ernstes, mit in das Bettchen zu steigen und sich zu ihm zu legen, doch es war erschreckend klein und Luzifel eben genau das Gegenteil. Er gab auf, dazu war er zu müde also streckte er die Arme aus und hob den kompakten Körper hoch, summte eine willkürliche Melodie. Er wollte wirklich nur noch schlafen, dieses eine Mal würde es schon in Ordnung sein und so fischte er sich noch die Schlange aus dem Bett – das einzige Plüschtier, welches er noch nie ersetzen musste – und verließ so zusammen mit Kind den Raum, um wieder in sein eigenes Zimmer zu gehen. Dort legte er sich mit einem Seufzen ins Bett, ließ Michael auf seiner Brust liegen und stellte zufrieden fest, wie dieser seinen neuen Schlafplatz wohlwollend akzeptierte. Das Wimmern und Weinen verebbte, unbeholfenes Reiben am eigenen Auge und dann rutschte wieder der Daumen in den Mund. So schlief er Sekunden später ein und Luzifel akzeptierte sein Schicksal als Kindermatratze, deckte sie zusammen etwas zu und schlief beinahe zeitgleich mit ihm ein.
 

Er hatte nun zehn Monate gebraucht, ehe er sich sicher werden konnte. Ammen und Bezugspersonen hatten sich stetig gewechselt und sie alle waren durch seinen kleinen Test durchgefallen. Anweisungen waren eine runde Sache, auch wenn sie nicht immer leicht erfüllt werden konnten. Bisher hatte er niemanden erlebt, der sich dem widersetzt hatte und gerade deswegen rechnete er Raphael die letzten Stunden hoch an. Er sparte mit Lob und Anerkennung an andere, dennoch gefiel es ihm, dass endlich jemand Rücksicht auf die Bedürfnisse des Kindes nahm.
 

Ha, Luzifel selbst würde ihm unter keinen Umständen die verhasste Banane hereinzwängen!
 

Nun war er sich sicher, dass er endlich gehen konnte – bald, wenn er ihn hatte aufwachsen sehen.

Er wollte Michael nicht irgendwann gegenüber stehen und dann raten müssen, ob er es wirklich war oder ob sein Pulsschlag noch der war, den er jetzt kannte; das flatternde Herz eines Kindes, schnell und stetig.
 

Sie würden ihn quälen, doch eigentlich hätte er ihn schon unlängst abgeben müssen – es war eigentlich nicht gestattet, dass aus privaten Aspekten Kinder aufgezogen wurden und nur weil er dieses tadellos talentierte Verhalten an den Tag legte, hatte Luzifel sich überhaupt erst durchsetzen können und die kurzfristige Aufsicht für sich entschieden.
 

Als er ihn jetzt aus dem Armen gab, sah er Unbehagen im Baby, das zuvor bei Raphael so ganz anders reagiert hatte. Aber heute ging es nicht um einen Babysitterjob, er würde umziehen. Die Elementarengel hatten kaum eine andere Wahl, als sich später miteinander abzugeben und ob Raphael wirklich gut für ihn war – nach einem Tag und dazu als junger, unerfahrener Engel, der die Ewigkeit nicht einmal erahnen konnte – sei dahingestellt, dennoch hatte Luzifel Hoffnung.
 

Und es versetzte seinem Herzen einen nicht zu leugnenden Stich, als er Michaels verwirrten Ausdruck bemerkte, kaum dass er – das erste Mal – aus den gewohnten Räumlichkeiten getragen wurde.
 

„‘zifel?“, hörte eben genau Angesprochener seinen eigenen Namen aus Kindermund und schloss die Tür, damit er die neuerlichen Tränen nicht sehen musste.

Die letzte Berührung seiner Finger in dem weichen Haar würde für ihn ewig andauern.



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