Kapitel 2
Und er betrachtete sie. Sie, die sich dem Stück so sehr zugewandt hatte, es genoss. Er hatte ihr die Karte zum Geburtstag geschenkt. Denn er wusste, welch große Freude er ihr damit machte. Er erfreute sich selbst an ihrer Freude, dem Glitzern in ihren Augen, der Spannung, die von ihrem Körper Besitz ergriffen hatte. Hochkonzentriert, war sie ein Teil des Stücks, des Schauspiels selbst. Ihr Rücken – gestreckt, wie der einer heranschleichenden Katze. Und das Kleid, das ihn nur halb verhüllte – es war einfach und dennoch elegant geschnitten. Als er es vor wenigen Wochen im Schaufenster einer Boutique gesehen hatte, war’s ihm einen Augenblick lang so, als habe er die Hand geöffnet und eine Schneeflocke darin gefunden. Die Farbe – frisch, leuchtend blau, wie ihre Augen. Und der Stoff fühlte sich warm und weich an und war dennoch kühl. So wie ihre Haut, die er soeben zu streicheln begonnen hatte. Nur mit einem Finger. Dem Zeigefinger. Seltsam – gerade mit ihm. Er schmunzelte, auch wenn’s ihm einen Stich durchs Herz jagte. Hatte dieser Finger nicht ihr gehört, als sie noch klein, ein Kind gewesen war? Hatte sie sich nicht an ihm festgehalten, wenn sie Kummer hatte und getröstet werden wollte? Und nun? Sie kein Kind, kein Mädchen mehr – bedurfte sie des Fingers überhaupt noch? Er schnappte nach Luft, sah, wie sich ihre Schultern hoben und senkten – rasch, aber intensiv. Wie sich das Licht, obwohl auf die Bühne gerichtet, doch auf ihnen niedergelassen zu haben schien und sie wie eine Aura umgab. Es war wundervoll, diesem Schauspiel mit den Augen folgen zu dürfen. Doch wagte er‘s nicht, seine Hand über ihren Rücken gleiten zu lassen. Zu viel der Nähe? Der Vertraulichkeit, die das bisherige Verhältnis zerstören würde? Aber hatte sie sich seiner Berührungen erwehrt?
