Chapter VII – The Jury is still out!
Den ganzen Weg über zu ihnen nach Hause herrschte eisiges Schweigen, so kalt und frustrierend wie der Winter, der sich mit einem einsetzenden Schneesturm bemerkbar machte. Den ganzen Weg über gruben sich Nejis Finger schmerzhaft in Hinatas Hand. Ihr war schlecht, wahnsinnig schlecht von allem, was geschehen war und allem, was noch geschehen würde.
Vor ihrem inneren Auge tauchte Naruto auf, sein Körper, der schlaff auf dem kalten Boden lag, sein Gesicht voller Blut. Er hatte den Kampf um sie verloren, vielleicht hatte er sogar gewusst, dass er verlieren würde – doch das hatte ihn nicht davon abgehalten, sich für Hinata einzusetzen. Für viele mochte Naruto ein Versager und ein Schwächling sein. Für Hinata war er stark, sogar stärker als ihr Cousin.
Der frisch gefallene Schnee knirschte leise unter ihren Schritten. Jeder einzelne fiel Hinata unendlich schwer, denn jeder einzelne Schritt brachte sie zurück, zurück in ihren goldenen Käfig. Neji zerrte sie ungeduldig hinter sich her, am liebsten würde Hinata sich losreißen und davonlaufen, aber ihr fehlten die Kraft und der Mut dazu. Außerdem war es genug – genug für einen Tag, nicht nur für sie.
Hinatas müde Augen erblickten ihr Elternhaus, aus den Fenstern floss das warme Licht, schillerte verschwommen im dichten Tanz der Schneeflocken, die wild um sie herum wirbelten. Die Wärme des Hauses ließ Hinata innerlich frösteln. Sie wünschte, sie wollte im Boden versinken, sich allem entziehen, das ihr noch bevor stand.
„Gut, er ist noch nicht da …“, murmelte Neji vor ihr leise. Der kommende Schnee verschluckte die meisten seiner vor Wut geraunten Worte. Was er meinte, war Hinatas Vater. Sein Auto stand noch nicht in der Einfahrt. Eigentlich sollte das Hinata beruhigen, so würde ihr nur Ärger von einer Person blühen. Auf der anderen Seite konnte Neji wirklich unangenehm werden und ohne ihren Vater gab es niemanden, der ihn zurückhalten konnte. Weder ihre Mutter, noch ihre Tante waren zu Hause.
Als sie vor der Haustür angekommen waren, drehte Neji sich zu ihr um und starrte ihr eisig in die Augen. „Jetzt muss ich dich loslassen, aber wehe, du läufst mir davon, ich schwöre dir …!“
Hastig schüttelte Hinata ihren Kopf. Langsam und widerwillig lösten sich Nejis Finger von ihrer Hand. Der Schlüssel verschwand knirschend im Schloss und Hinata ließ ihre Schultern hängen.
Ich komm hier nie wieder raus …
Neji schloss die Haustür auf und stieß Hinata unsanft hinein. Hastig streifte sie ihre Schuhe von ihren Füßen, presste Narutos Weihnachtsgeschenk fest gegen ihre Brust und rannte los.
„Hey! Ich bin noch nicht fertig mit dir!“, brüllte Neji und kam ihr hinterher geschossen.
Aber ich mit dir! Ihre Füße trugen sie zwar schlackernd, aber wenigstens schnell die Treppen hinauf. Hinata hörte Neji deutlich hinter sich her hechten – sie wollte gar nicht wissen was er mit ihr machte, wenn er sie zwischen die Finger bekam.
Sie sah bereits ihre Zimmertür, sie stand sperrangelweit offen und wirkte einladender denn je. Gleich hatte sie es geschafft, nur noch ein paar letzte Schritte …
Sie hörte deutlich Nejis keuchenden Atem, seine schweren Schritte dröhnten in ihren Ohren. Er war ein so viel schnellerer Läufer als sie.
Krachend fiel die Tür ins Schloss, Hinatas Herz hämmerte wie verrückt in ihrer Brust, als wolle es aus ihrem Brustkorb ausbrechen und auf ihren Zimmerboden einen Stepptanz aufführen.
Neji hämmerte im selben Takt gegen die Tür und brüllte wie ein wilder Stier. „Mach die verdammte Tür auf, du elender Feigling! Sofort!“ Das Holz erzitterte unter seinen heftigen Schlägen. Hinata wusste, wie hart Neji zuschlagen konnte und traute ihm durchaus zu, ein Loch in die Tür boxen zu können.
Sie sollte von der Tür weggehen, sich irgendwo verstecken. Hinatas Körper gehorchte ihr einfach nicht, sie saß an der Tür gelehnt und spürte Nejis harte Schläge im Rücken.
Plötzlich war es ruhig.
Eine unheimliche Stille breitete sich im Haus aus. Hinata hörte ihren Wecker leise auf dem Nachtisch ticken, hörte vereinzelt Autos an ihrem Haus vorbeirauschen – dann war es komplett still, als hielte die Welt gespannt ihren Atem an.
„Mach die Tür auf!“, rief Neji etwas leiser und klopfte wieder, diesmal mit angemessener Kraft.
Hältst du mich für bescheuert? hätte Hinata am liebsten zurückgerufen. Vermutlich würde ihr Cousin das auch noch eiskalt bejahen. Schweigend lehnte sie ihren Kopf gegen die Tür. Das Holz war warm, weil das ganze Haus kostspielig beheizt wurde, in ihrem Zimmer war es allerdings kühler als sonst. Das Fenster stand immer noch offen, wenn Hinata wollte, könnte sie jetzt einfach …
Ihre Gedanken wanderten zurück zu Naruto; sie hatte ihm nicht helfen können, hatte es kaum versucht. Ein Stich in ihrer Brust verriet ihr, dass sie sich schuldig fühlte, weil sie sich nur hinter seinem Rücken versteckt hatte, statt sich ihrem Cousin ernsthaft in den Weg zu stellen und ihren Standpunkt zu verteidigen. Sie wollte eigenständig sein, wollte selbst Entscheidungen treffen und für sie gerade stehen und als es darauf ankam, hatte Hinata sich wieder nur hinter jemanden versteckt – sich auf alles und jeden verlassen, nur nicht auf sich selbst. Vielleicht hatte Neji recht, vielleicht konnte sie vieles einfach nicht allein … Hinata fühlte sich so nutzlos wie immer. Sogar ein Geschenk hatte Naruto ihr gemacht und sie hatte das Gefühl, ihm nicht mehr als Schmerz und Schwierigkeiten gebracht zu haben.
Ihre Augen fühlten sich heiß an und ein Kloß bildete sich in ihrer Kehle. Bittere Tränen tropften von ihren Wangen und ihrer Nase und landeten auf der kleinen Schachtel auf ihrem Schoß. Ihre Schultern bebten und sie fühlte sich einem Zusammenbruch nahe. Sie sackte in sich zusammen, krümmte sich und weinte leise.
Selbstmitleid, Verzweiflung, Einsamkeit.
Nun blieb Hinata nur noch eines, abwarten. Denn für jedes Zimmer gab es einen Zweitschlüssel, für ihres vermutlich sogar drei und es war nur eine Frage der Zeit bis Neji den holte.
„Du willst nicht, hm? Ich tu dir auch nichts, wenn du die Tür aufmachst …“, versuchte Neji es erneut und riss damit Hinata aus ihren wehleidigen Gedanken. Sie drückte sich weiter stumm gegen die Tür.
„Komm schon, dein Vater kommt bald nach Hause, mach einfach die Tür auf und wir reden. Nur reden.“
Hinata schüttelte ihren Kopf.
Es gibt nichts mehr, worüber wir reden müssen!
Sie hörte Neji frustriert aufseufzen. Er lief den Gang auf und ab, dann lehnte er sich wieder gegen die Tür. „Dann reden wir eben so“, schlug er kühl vor und Hinata konnte praktisch sehen, wie er seine Arme fest vor seiner Brust verschränkte.
Neji mochte sie kennen, aber sie kannte auch ihn.
„Warum bist du weggelaufen?“, fragte er, es klang fordernd und immer noch wütend, aber er hatte seinen Zorn wieder unter Kontrolle gebracht. Vermutlich würde er Hinata tatsächlich nichts mehr antun, sie wollte ihm aber nicht ins Gesicht sehen müssen. Noch nicht.
Hinata öffnete ihren Mund, kein Wort kam heraus. Sie konnte nicht; jedes Mal, wenn sie ihren Mund öffnete um irgendetwas zu sagen, stiegen ihr erneut Tränen in die Augen und nahmen ihr die Sicht und die Kraft zu sprechen.
„Hinata!“ Wieder klopfte Neji gegen die Tür.
Ihr Kopf lag auf ihren Knien, ihre Tränen kamen und gingen, in ihrem Innern herrschte ein Tumult von Gefühlen, so dass sie sie bald nicht mehr einordnen konnte. Da waren Wut und Trauer, wahnsinnige Angst, Freude und Zuneigung – alles durchsetzt von Verzweiflung und dem Wissen, dass Neji bald die Tür aufschließen würde.
Hinatas Hände krampften sich um Narutos Geschenk, krallten sich in die weiche Schachtel und es fühlte sich an, als könne sie nie wieder loslassen. Ihre Finger fühlten, dass die Schachtel feucht war und sich eine schmierige Flüssigkeit an ihre Fingerkuppen setzte.
„Komm schon, sag mir wenigstens warum du weggelaufen bist.“ Etwas rutschte über das Holz. Es hörte sich an, als hätte sich Neji hingesetzt.
Wenn sie nicht bald redete, würde er bestimmt die Tür aufsperren – Hinata wusste das, aber alles, was aus ihrem Mund drang, war unverständliches Schluchzen. So wie immer.
Seufzend lehnte Neji sich gegen die Tür. Ihm war irgendwie die Lust vergangen, sich den Schlüssel zu holen, die Tür aufzusperren, und Hinata … außerdem konnte Hiashi jeden Augenblick nach Hause kommen und Neji hatte wirklich keine Lust zu erklären, wie es dazu kam, dass er seine Tochter durch das Haus hetzte und diese schon wieder heulte wie eine Babyrobbe. Zumal er gut 70 Prozent des Problems gar nicht erklären konnte.
„Du musst schon mit mir reden oder ich sperre wirklich die Tür auf!“ Neji spürte wie er schon wieder die Geduld mit seiner Cousine verlor. Hinata war einfach so anstrengend.
Er hörte es leise nuscheln auf der anderen Seite, aber er verstand kaum ein Wort und drückte sein Ohr gegen das Holz.
Was mach hier eigentlich? So ein Kinderkram! „Was? Ich versteh dich nicht!“
„Ich wollte frei sein …“
Neji runzelte seine Stirn. Sie wollte frei sein? Was hatte das denn nun wieder zu bedeuten?
„Aber du bist doch frei!“, rief er verwundert zurück.
„Nein! Bin ich’ nich’ … Bin ich nie …“
Verständnislos schüttelte er seinen Kopf. Weiber! „Ich verstehe nicht, was du von mir willst … Wenn hier irgendjemand nicht frei ist, dann bin das ja wohl ich!“, antwortete er und fuhr sich über sein Gesicht. Hinata nach Hause zu bringen war wohl nur die halbe Miete.
„Ich darf fast nichts selbst entscheiden … Ich darf nie ich selber sein … Ich mache immer nur das, was du willst!“
Neji presste wieder sein Ohr gegen die Tür und widerstand dem Drang, den Schlüssel zu holen und allem ein Ende zu machen, aber Hinata redete jetzt endlich und das war mehr als fortschrittlich.
„Wir … Ich meine … Oh Mann, okay, was meinst du damit, du willst Entscheidungen treffen?! Du triffst doch jeden Tag irgendwelche … Entscheidungen und so was.“
„Ich will auch mal was alleine machen können, weggehen und … das, was alle anderen auch machen!“
Ach, so einfach ist das? Nur weil sie mal weggehen wollte, dieses ganze Theater?! Wie gern würde er jetzt durch die Tür greifen und fest zupacken.
„Du bist weggelaufen, weil du mal frei sein wolltest und weil du … alleine raus wolltest?!“ So langsam kam seine Wut doch wieder zurück. Dieses Mädchen trieb ihn noch in den Wahnsinn!
„Ich … wollte meine eigene … Entscheidung treffen …“
„Das war eine blöde Entscheidung! Du weißt genau, dass dein Vater mich massakriert, wenn ich dich aus den Augen verliere und dann auch noch da draußen, du …!“
„Wer massakriert dich?“
Neji hatte das Gefühl, ins eiskalte Wasser geworfen worden zu sein. Sofort sprang er auf seine Beine und drehte sich um. Hinter ihm stand sein Onkel, die Arme vor der Brust verschränkt und Denkerfalten im Gesicht.
Oh, na großartig! „Äh …“
Hiashis Augen wanderten zu Hinatas geschlossener Zimmertür, anschließend wieder zurück zu seinem Neffen. „Was ist denn los?“, fragte er Neji mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Ach … nichts. Hinata hat nur einen schwierigen Tag …“, murmelte Neji, wenn er Glück hatte … und er hatte Glück – Hiashi nickte ihm nur zu, was so viel hieß wie: „Gut, dann kümmer dich drum.“
„Ich hol Hanabi von ihrem Leistungskurs ab, ich bin in einer halben Stunde wieder da. Bist dahin …“, sein Zeigefinger deutete auf Hinatas Tür, „will ich, dass das erledigt ist!“ Dann wandte Hiashi sich ab und verschwand die Treppe hinunter.
Als die Haustür krachend ins Schloss fiel, atmete Neji erleichtert aus.
„Vater …?“, murmelte es leise durch die Tür.
„Der ist los, Hanabi abholen. Und wir reden jetzt noch mal über deine … äh, Freiheit und das alles …“