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Juliprinzessin

von

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Part 2


 

*

Part 2

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Julian
 

Eigentlich spürte ich die Ernsthaftigkeit, die in seinen Worten lag erst, als sich unsere Lippen zum ersten Mal suchten.
 

Es geschah nicht an demselben Tag, an dem wir uns gefunden hatten, es war der Tag darauf, und die Spannung zwischen uns war derart gewachsen, dass sie nach Entladung suchte. Doch wir beide wussten uns bis zum Schluss zu beherrschen, obwohl ich das Glimmen des Feuers in Neos Augen schon ganz am Anfang entdeckt hatte.

Hunger. Gier. Ich würde nicht so weit gehen und sagen, dass ich Schiss bekommen hatte, als er mich so anschaute, aber ein wenig mulmig war mir schon. Schließlich konnte ich mich kaum mehr an meinen letzten Kuss erinnern, so lange war es her. Und mit einem Mann, das war zusätzlich noch eine ganz andere Liga, glaubte ich. So wie Neo aussah, war er sicher ziemlich harsch und fordernd. Zudem fürchtete ich, er könnte mich auslachen oder wenigstens über meine Unbeholfenheit schmunzeln, die ich wahrscheinlich an den Tag legen würde. Denn obwohl ich mich zu Neo hingezogen fühlte, so richtig vertrauen konnte ich ihm noch nicht.
 

Doch entgegen meiner Zweifel war er butterweich. Fast schon jungenhaft-unschuldig. Als er mich im Flur seines Hauses zum Abschied an sich zog und mir erst einen zaghaften Kuss auf das Kinn gab, so, als wollte er prüfen, ob ich auch weiter gehen würde, schien von diesem direkten, ja fast schon leicht obszön wirkenden Neo nichts mehr übrig geblieben zu sein. Vielleicht schwelte noch ein kleiner Rest seiner mir bekannten Art in dem gespannten Zucken seiner Mundwinkel, als er mich für ein paar endlos lange Sekunden anschaute. Und sein Blick war nach wie vor der eines Wilden, eines Raubtieres, welches darauf aus war, Beute zu machen. Aber es machte nichts mehr mit mir. Jedenfalls nichts Negatives. Eher bescherte es mir äußerst positive Empfindungen und für einen Augenblick lang meinte ich endlich das gefunden zu haben, nach dem ich immer gesucht hatte.
 

Diese beiden Tage waren mir wie ein Traum vorgekommen, unwirklich und nicht greifbar. Jetzt, wo er mir seine Lippen aufdrückte, realisierte ich das umso intensiver. Es war wie Wachküssen, es war wie ein Zurückholen in die Wirklichkeit, in das Leben. Eine Implosion meiner selbst. Ein Wasserfall, nur aus Gefühl.

Es gibt eigentlich gar kein Wort, um auch nur annähernd den Zustand zu beschreiben, in dem mich seine Lippen versetzt hatten. Ein Gemisch aus Trance und Erregung, alle Sinne geschärft und doch vernebelt. Ein inneres Zittern, ein Beben gepaart mit dem Wunsch nach mehr, nach Größerem, nach immer Größerem. Gefühlsintensivierung.

Es endete mit einem Zungenkuss, der dermaßen hart durch meinen Körper fuhr, sodass ich die Nachwehen dessen sogar zu Hause noch spüren konnte. Und selbst jetzt war all das Empfinden noch immer zum Greifen nah. Mir fiel es schwer, mich zu konzentrieren, ich benahm mich meiner eigenen Ansicht nach wie ein verliebter Esel und nervte mit meinem Kopf, der dauernd in den Wolken hing auch meine Bandkollegen. Diese mussten mich einmal mehr darauf aufmerksam machen, dass die Drums sich nicht von allein spielten.

Vivians strenges Gesicht holte mich nach und nach zurück in die Realität. Aber wie lange würde dieser Zustand währen? Ständig rasten die Bilder von Neo durch meinen Kopf, die vielen Eindrücke, die mir schon fast unbekannt vorkommenden Empfindungen. Wie attraktiv er war, wie sehr ich es mochte, wenn sich der Ansatz eines Grinsens auf seinem Gesicht bildete. Wie sehr mich sein Umgehen mit den Zigaretten faszinierte, das schon beinahe an ein verführerisches Spiel angrenzte. Man hätte mir einen ganzen Film von ihm schenken können, der ihn nur in ganz alltäglichen Situationen zeigte, ich hätte ihn verschlungen wie andere Menschen den neuen Streifen mit Denzel Washington. Jede seiner Bewegungen wusste mich in ihren Bann zu ziehen, dann verkrampfte ich mich vor Spannung und wusste weder aus noch ein. Und dann war da ja noch diese eine Gewissheit, die alles zu überschatten wusste.

Er war mein. Mein Mann. Mein Neo. Aber das wussten nur wir beide und vielleicht seine Schwester, die uns im Flur gesehen hatte. Meinen Bandkollegen hatte ich nichts erzählt, denn die dummen Sprüche vor allem aus Vivians Mund konnte ich schon förmlich hören. Vielleicht wäre ich zu dem jetzigen Zeitpunkt tatsächlich ausgerastet, wenn er mir die Überzeugung von Neos Gefühlen auszureden versucht hätte. Und das hätte er. Mit einer hundertprozentigen Sicherheit.
 

Proberaum. Ach ja. Ich befand mich nicht mehr im Flur von Neos Haus und genoss unseren immer fordernder werdenden Kuss. Ich saß hinter meinem Drumkit und sollte eigentlich den Takt zu Fighter vorgeben. Anstelle aber schien ich Löcher in die Luft gestarrt zu haben, so lange, bis Viv sich vor meine Funzel geschoben hatte und mir mit der Hand vor dem Gesicht herumwedelte.

"Erde an Juke, jemand zu Hause?"

Ich schüttelte verdattert den Kopf, um wieder zu mir zu finden.

"Ja, ähm...ich war nur grad in Gedanken, sorry", sagte ich, aber mehr als einstimmiges Gemurmel und leises Gelächter erntete meine Entschuldigung nicht.

"Das war nicht zu übersehen", grinste mich Christian von der Seite her an und Theon rollte mit den Augen. "Du bist schon den ganzen Tag überall, aber nicht im Proberaum."

Er hatte natürlich Recht. Und dass sie es ärgerte, das konnte man ihnen nicht verübeln. Ich schämte mich etwas und beschloss, ab jetzt jeglichen Gedanken, der auch nur im Entferntesten mit Neo zu tun hatte sofort abzuwehren. Doch kaum kam mir sein Name wieder in den Kopf, schon begann jemand die Kurbel für das unablässige Kopfkino zu betätigen. Es nahm einfach kein Ende mehr. Neo fraß mir noch den letzten Funken Verstand. Wenn ich es den anderen wenigstens hätte erzählen können. Aber das ging nicht. Es ging einfach nicht. Punkt.
 

"Ich glaube, mit unserem Traumtänzer hier werden wir heute nichts mehr anfangen können", seufzte Viv, nachdem er mich lange genug mit Blicken auf Herz und Nieren geprüft zu haben schien und wandte sich von mir ab. Die restliche Bande stimmte ihm wohl zu, denn sie ließ seine Meinung unangefochten im Raum stehen. Nur Sammy schielte mich noch aus den Augenwinkeln an und ich wollte ihm am liebsten ein ziemlich mürrisches 'Was guckst du so?' entgegenschleudern, aber die Betitelung als Zicke konnte ich mir genauso gut sparen. Deswegen war es letztlich der andere, der das Schweigbattle verlor und den Mund öffnete.

"Aber ich würde schon ganz gerne mal wissen, was Juke im Kopf herumgeistert...", sagte er mehr zu den anderen als zu mir. "Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, er sei verknallt, aber..."

Volltreffer. Die Hitze ließ meinen Kopf pochen. Herr im Himmel, lass mich nicht rot werden, betete ich, denn mein Geheimnis sollte weiterhin ihr sicheres Versteck in meiner Brust haben.

Anscheinend machte sich jedoch kaum einer Gedanken über meine sicher ziemlich tomatengleiche Optik, denn prompt brach ein wildes Gemutmaße über meine heimliche Liebe aus, welches aber höchstwahrscheinlich nicht ernst gemeint war. Wenn mein Schädel nur halb so rot war wie heiß und jemand hätte davon Notiz genommen, dann wäre das ganze Gespräch wohl anders ausgefallen. So deckte ich meine Gefühle wieder artig zu und grinste brav ob ihrer absurden Vermutungen. Dass es Neo war, dem ich mein Herz geschenkt hatte, darauf kamen sie nicht. Das beruhigte mich ungemein, auch wenn ich gleichzeitig ziemlich verwundert darüber war. Es war noch gar nicht so lange her, vielleicht einen Monat, an dem mir Viv noch höchstpersönlich weiszumachen versuchte, dass Neo nur ein abgekartetes Spielchen mit mir und meinen Gefühlen spielen wollte. Wenn er es tatsächlich schon vergessen hatte, dann durfte ich mit Recht behaupten, dass sein Gedächtnis nicht weiter als von der Wand bis zur Tapete reichte. Aber es war mir ja ganz lieb.

Nur leider gab es ja hin und wieder mal diese kleinen Märchen vom Zufall zu hören, welcher bei manchen Menschen auch als das Schicksal bekannt war. So sehr ich geglaubt hatte, mein kleines Geheimnis wäre sicher hinter meinen verschlossenen Lippen aufbewahrt, so sehr schimpfte ich mich schon wenige Minuten später einen Idioten, denn selbst kleinen Kindern war bewusst, dass jede Heimlichkeit irgendwann an das Tageslicht kam. Das war so etwas wie ein Naturgesetz.
 

Noch immer erfüllte das konfuse Stimmengewirr der Jungs den Raum, aber sie alle verstummten mit einem Mal, als sie die Türklingel vernahmen. Ja, wir hatten eine Klingel an unserem Proberaum, schließlich konnte nicht jeder einfach so hier rein stürzen, wie es ihm gefiel, denn es bestand die Gefahr, dass wir den Schreck unseres Lebens bekamen, wenn uns jemand aus der tiefen Konzentration auf das Spiel herausriss.

So wäre es heute zwar nicht gekommen, aber wahrscheinlich hätte es dennoch einen Toten gegeben. Verreckt an einem Herzinfarkt. Und dieser Tote wäre niemand geringeres als ich gewesen.

Ich wünschte, ich wäre derjenige gewesen, der sich dazu erbarmte unseren Besucher zu empfangen, aber anstelle hatte sich Viv bereits in Bewegung gesetzt und es dauerte gar nicht lange, bis man ihn in einer ziemlich ärgerlichen Tonlage reden hörte.

"Oh, ich glaube, es gibt Stunk", meinte Jason und gluckste belustigt vor sich hin. Auch die anderen amüsierten sich ziemlich und rissen Witze von Viv mit einer Bratpfanne in der Hand, über die ich als einziger nicht lachen konnte. In meinem Kopf kreisten tausend Gedanken auf einmal und dann tauchte neben Vivs Stimme auch noch eine weitere auf, der unseres Gitarristen in Lautstärke und Ärgerlichkeit in nichts unterlegen.

Noch ehe ich es mir versehen konnte stolzierte auch schon Neo in seiner ganzen Pracht in den Proberaum, mit einem charmanten "...ach, fick dich doch" auf den Lippen, das ohne Zweifel Viv galt. Seine Stirn war gerunzelt, sein Blick sprach Bände und offenbarte Mordgelüste. Als er jedoch mich erblickte, hellte sich seine Miene augenblicklich auf.
 

Ich sah, wie er seinen bereits lächelnden Mund öffnen wollte, kam ihm allerdings zuvor. Beinahe fiel ich über mein Schlagzeug, als ich vom Hocker sprang um auf ihn zuzustürmen und an die Seite zu ziehen. Dass die anderen glotzten, als würde gerade ein UFO direkt vor ihrer Nase landen, versuchte ich zu ignorieren ebenso wie Vivian, der nun ebenfalls herzugekommen war und irgendetwas faselte von wegen Rausschmeißen und irrem Stalker. Ich aber zerrte Neo am Kragen seines ärmellosen Shirts wie ein Hund am Halsband weg vom Geschehen und stellte ihn dann mit glühendem Eifer zur Rede.

"Was machst du denn hier?", zischte ich, selbst schon fast ärgerlich. "Woher weißt du überhaupt, dass hier unser Proberaum ist? Und dass wir hier sind?"

Neo aber ließ sich von mir überhaupt nicht beeindrucken. Er grinste mich in Grund und Boden und verpasste mir einen Kuss auf die Nase, wofür ich ihm in diesem Augenblick am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte, weil es mein ganzes Geheimnis ruinierte. Wir befanden uns zwar außer Hör-, aber keineswegs außer Sichtweite.

"Ich weiß eben alles, Spätzchen", brummte er in einer beinahe lasziven Tonlage und versuchte dabei, seine Hände auf meine Hüften zu legen, doch ich wich ihm aus, trotzdem es mir gleichzeitig unglaublich missfiel, seinen Berührungen zu entkommen, waren sie doch genau das, dem ich schon den ganzen Tag nachhing.

"Lass...", murmelte ich, obwohl ohnehin schon alles zu spät war, aber ich war eben etwas ärgerlich gestimmt. "Ich hab dir doch gesagt, dass die anderen nichts von uns wissen sollen, weil...du weißt schon, warum."

"Ach, komm, Juli", argumentierte Neo, packte mich an den Unterarmen und dieses Mal wehrte ich mich nicht gegen ihn. "Sie hätten es irgendwann sowieso erfahren. Und es ist besser, wenn du es schnell hinter dich bringst...och, Süßer, hör auf zu schmollen. Es ist zwar ganz niedlich, aber..."

Ehe ich es mir versehen konnte hatte er mir seine Lippen auf meine gedrückt und obwohl ich es wollte, ich konnte ihm nicht einmal böse sein. Ich schämte mich lediglich tierisch für die Szene, weil jeder sie mitansehen durfte. Ich, Julian, ungeoutet und verknallt in einen Typen, den gewisse Personen beinahe schon als Feind der Band betrachteten, stellte all meine Gefühle zur Schau. Es war so peinlich. Die Scham saß mir im Nacken und schüttete mir kalte und gleichzeitig heiße Schauer über den Rücken.
 

"Ich wollte aber nicht, dass sie es wissen", grummelte ich und senkte meinen Blick hinunter zu unseren Schuhen, fixierte Neos schwere Stiefel. "Und jetzt hast du das gesamte Geheimnis ruiniert..."

"Sorry, aber ich mag Geheimnisse eben einfach nicht."

"Aber ich."

Seine Hände wanderten von meinen Armen hinauf zu meinen Wangen. Ich guckte ihn wieder an. Wie ein treudoofer Hund von unten hinauf und entdeckte etwas in Neos Blick, welches schon manchmal zum Vorschein gekommen war. Das Raubtier. Prompt begann es in meinem Bauch zu ziepen.

"Was hältst du davon", setzte Neo nun an und klang ganz begeistert, "wenn wir einfach eine neue Heimlichkeit aushecken?"

Er presste die Lippen aufeinander, was sehr viel aussagte. Vielleicht sogar mehr als einfache Worte. Zudem musste ich verblüfft feststellen, dass ich es ihm gleichtat, als er seine Fingerspitzen über meinen Hals gleiten ließ. Er schien dabei eine Stelle berührt zu haben, die geradewegs mit gewissen Bereichen zwischen meinen Beinen in Verbindung stand. Womöglich hatten dafür schon seine bloßen Blicke genügt. Ich konnte nicht leugnen, dass mich dieses Hungrige in seinen Augen nicht kalt ließ. Wenn ich genau hinschaute sah ich sogar, wie groß seine Pupillen waren und wie der Glanz in seinen Augen ermattete. Und dann wusste ich, an was er dachte. Was er sich in den lebhaftesten Farben ausmalte. Denn es war genau dasselbe, was auch immer wieder durch mein Hirn spukte. Was mich nachts kaum noch schlafen ließ.
 

"Ich bin sowieso gekommen, um dich abzuholen", erklärte Neo schließlich wieder beherrschter und schüttelte sein schönes, langes Haar. "Ich dachte mir, dass wir vielleicht noch etwas Schönes machen könnten. Also, wenn du dann mit der Probe fertig bist."

Etwas Schönes. Wie er es betonte. Es ließ keinen Raum für Interpretationen. Und ich scherte mich nicht einmal darum. Erst wenn sich mein Verstand wieder einmischen sollte, würde ich wohl Fracksausen bekommen, mutmaßte ich im Stillen.

"Ich glaube, ich bin fertig...", äußerte ich leise und schielte unsicher hinüber zu den restlichen Bandmitgliedern, denen unser Geturtel allem Anschein nach irgendwann langweilig geworden war, denn jetzt ruhten ihre skeptischen Blicke längst nicht mehr auf uns.
 

"Warte kurz, ich regle das und dann können wir los", gab ich Neo zu verstehen, löste mich sacht von ihm und steuerte dann auf die anderen zu. Als ich vor ihnen stand, schien ich wieder in den Mittelpunkt des Interesses gerückt zu sein, denn fünf Augenpaare musterten mich prompt ziemlich abwartend.

Mit einem Mal kam ich mir vor wie ein Fremder, und das unter meinen eigenen Freunden. Ich spürte so etwas wie Abwertung in den Blicken Vivians und teilweise auch Theons und die restlichen Gesichter verrieten mir von ihrer Gleichgültigkeit, die sich jedoch mit einem winzig kleinen Funken Neugierde vereinte. Vielleicht bildete ich mir das alles aber auch nur ein, weil ich mich im Moment nicht so richtig wohl in meiner Haut fühlte. Vielleicht war es aber auch wirklich genau so. Ob Vivian mich jetzt hasste, fragte ich mich fast schon panisch. Ich wollte nicht, dass er das tat. Und gleichzeitig sagte ich mir, dass das mit Neo ganz allein meiner Entscheidung unterlag. Er musste damit klarkommen oder es bleiben lassen. Ganz einfach.
 

"Ähm...braucht ihr mich noch? Wenn nicht, dann kann ich gehen...oder?"

Zumindest Christian, Jason und Sammy gingen noch während ich sprach wieder zur Tagesordnung über, ich hörte, wie sie Scherze rissen, in denen ich oder Neo allerdings keine Rolle spielten. Theon war der Nächste, der sich kurz darauf um alles und nichts kümmerte und mich stehen ließ. Mir kam es schon beinahe so vor, als ignorierte er mich gar. Nur Vivian tat ein paar Schritte auf mich zu und blieb schließlich direkt vor meiner Nase zu stehen. In diesem Augenblick hasste ich ihn dafür, dass er ungefähr einen halben Kopf größer maß als ich und er zu mir hinabschauen musste, um meinen Blick einzufangen. Da ich allerdings ohnehin sofort auswich und viel lieber an die weiße Tapete hinter meinem Drumkit starrte, war dieser Fakt sehr schnell vergessen.

"Ich weiß, dass du es nicht magst, wenn wir uns in deine Angelegenheiten einmischen", begann Viv nun mit ruhiger Stimme zu sprechen. "Aber ich habe mich mit den anderen unterhalten und sie alle sind der Meinung, dass es dir nicht gut tut, wenn du dich zu sehr von diesem Kerl mitreißen lässt. Juke, er-"

"Ist nicht gut für mich, ich weiß, ich weiß", stöhnte ich genervt auf, wollte mich umdrehen und wieder zu Neo gehen, aber Vivians Hand packte mich noch rechtzeitig am Ärmel, sodass ich im Reflex anhielt und ihm doch noch ins Gesicht schaute.

"Du willst es nicht hören, aber wenn man die rosarote Brille aufhat, sieht man nicht klar. Du magst verknallt in den Typen sein, weil er dich verknallt gemacht hat. Aber..." Er seufzte tief und fuhr dann fort. "Du bist nur ein Ersatz für ihn. Weil er mich nicht haben kann. Vor wenigen Wochen, da war er noch ganz verrückt nach mir und jetzt verspricht er dir die große Liebe? Das ist seltsam, oder nicht?"

"Du bist nicht mein Vater, Vivian!"

Während er sprach, hatte ich die Empörung und die Wut in mir immer stärker werden gespürt. Nun aber war das Maß voll. Was bildete sich dieser Typ eigentlich ein? Dass er mich bevormunden konnte, wie es ihm beliebte? Pah, nicht mit mir. Ich wusste mehr über Neo als er es jemals tun würde. Ich war derjenige, der in seine Augen gesehen, der aus seinen Lippen die Wahrheit sprechen gehört hatte. Es waren keine Worte, es war dieser Kuss, der mir sein Herz versprochen hatte. Vivian war taub für all diese Dinge, natürlich war er es, denn sie hatten nicht zu ihm gesprochen, sondern nur zu mir. In einer Sprache, die nur Neo und ich verstanden. In einer Sprache, in der es keinen Ausdruck für Lüge gab.
 

Es fiel mir nicht schwer, meinen Ärmel Vivs Griff zu entziehen, Neo einzusammeln und ohne ein Wort des Abschieds die Tür anzusteuern. Ich musste raus hier, raus aus dieser Höhle, in deren Atmosphäre ich zu ersticken drohte. Ich wollte weg von meinen Bandkollegen und besonders gern wollte ich Vivian nicht mehr sehen müssen. Warum merkte er nicht selbst, dass wir uns mit diesen immer gleichen Gesprächen unaufhörlich im Kreis drehen? Manchmal dachte ich tatsächlich, dass er eifersüchtig auf mein Glück war. Aber das erschien mir dann doch zu absurd, um daran glauben zu können. Schließlich hatte er Theon und die beiden wirkten in vielen Situationen wirklich sehr verliebt auf mich. Oder konnte er es schlichtweg nicht ertragen, dass Neo ihm keine Aufmerksamkeit mehr entgegenbrachte, weil er es im Grunde genossen hatte, wie er sich nach ihm verzehrte? Wenn dem wirklich so sein sollte, dann war Vivian ein Arsch. Und dann wusste ich nicht, ob ich überhaupt noch sein Freund sein wollte.
 

"Hey, mach dir keine Gedanken", versuchte Neo mich aufzumuntern, als wir kaum einen Schritt aus der Tür getan hatten. "Der Kunde spinnt doch. Hat sie nicht mehr alle. Der will sich nur wichtigmachen."

"Ja, wahrscheinlich...", erwiderte ich mit dünner Stimme und erhielt für meine offensichtliche Niedergeschlagenheit einen Kuss auf die Wange. Das genügte, damit Neo meinen Blick erfolgreich einfangen konnte. Prompt sah ich, dass aus seinen Augen wieder diese heißen Funken sprühten.

"Ich werde dafür sorgen, dass du ihn und seine blöden Sprüche vergisst", tuschelte er mit einem Lächeln auf den Lippen.

"Aha", machte ich gleichermaßen zaghaft wie interessiert. "Und wo willst du mich das alles vergessen lassen? Bei mir? Ich habe Platz, und es stört keiner..."

Neo aber legte den Kopf schief und zog eine Schnute.

"Eigentlich dachte ich eher, dass wir zu mir gehen", meinte er. "Weil...ich hab da schon alles vorbereitet..."

Diese Worte ließen meine Augenbrauen vor Erstaunen in die Höhe zucken. Er hatte Vorbereitungen getroffen? Was er damit wohl meinte? Was gab es denn groß vorzubereiten, wenn man...na ja, wenn man miteinander schlafen wollte? Mir kamen ein paar Dinge in den Sinn, nach denen ich mir allerdings nie im Leben zu fragen gewagt hätte, erschienen sie selbst mir viel zu kitschig und mädchenhaft. Und doch sah ich vor meinem geistigen Auge einen angedunkelten Raum, in dem hunderte von Kerzen brannten, nur für uns. Nur für mich. Sollte ich mich dafür schämen, dass mir diese Vorstellung ein warmes Gefühl in das Herz zauberte? Egal, wie die Antwort auf diese Frage ausfallen sollte, ich tat es. Aber nur ganz kurz. Denn dann wies ich sie als ausgemachten Schwachsinn von mir. Neo war nicht so. Neo war kein Romantiker, der seinen Liebsten mit großen Gesten verführte und ihn in ein Bett besäht mit Rosenblättern lockte, um sich dort zu liebevollem Kuschelsex hinreißen zu lassen. Er war ganz anders.
 

Dass ich Recht hatte, stellte ich fest, als ich in sein Zimmer trat. Keine einzige Spur von Rosenblättern oder schweren Vorhängen, die das Kerzenlicht in der Dunkelheit erstrahlen lassen sollten. Es wirkte wie ein ganz normales Jugendzimmer, so wie ich eins hatte, als ich so alt war wie Neo. Poster von Bands, die ich nicht kannte schmückten die Wände. Mein Blick wanderte zu einem Foto, welches Lovex zeigte, aber es war nicht sonderlich groß. Mir fiel lediglich auf, dass Viv in der Mitte stand und beinahe wie der Bandkopf wirkte, natürlich gemeinsam mit Theon. Ich hingegen befand mich klein und fast schon unscheinbar im Hintergrund.

Und was, wenn Viv doch Recht hat? Wenn ich wirklich nur ein Ersatz für Neo bin? Ein Notnagel?

Ich wischte diese Gedanken beiseite, ermahnte mich, nicht zu viel in so ein bescheuertes Bild zu interpretieren. Es war purer Schwachsinn, und ich erhielt den Beweis, als ich meinen Blick wie zufällig zu Neos Nachtschränkchen wandern ließ.

Ich erkannte das Bild natürlich sofort wieder. Es war jenes, welches wir ganz kurz vor unserem ersten Kuss aufgenommen hatten. Beinahe musste ich lachen, als ich in die beiden breit grinsenden Gesichter blickte, die einfach nur doof aussahen, wie es eben immer so war auf Fotos. Aber das zählte nicht. Das was zählte, war unsere feste Umarmung und Neos Hand auf meinem Rücken, die mich näher an seine Brust drängte. Und die Tatsache, dass er es in einen Rahmen gesteckt und auf seinem Nachtschrank abgestellt hatte, obwohl es so hässlich war.
 

"Ist was?", vernahm ich Neos Stimme, die mich zurück in die Realität holte. Meine Blicke glitten über den bildschönen jungen Mann, der sich heute zum ersten Mal in meiner Anwesenheit eine Zigarette angesteckt hatte und genüsslich den bitteren Qualm inhalierte.

"Nö", machte ich nur knapp und schüttelte den Kopf.

Dass ich vorhin fast schon enttäuscht war wegen der fehlenden Kerzen und Blumen hatte ich ganz vergessen. Dafür rückte nun die Nervosität vermehrt in den Vordergrund, als Neo mich bei der Hand nahm und mich mit zu seinem Bett zog.

Mit einem Plumpsen kam er auf der Matratze zum Sitzen, ich landete auf seinem Schoß, besser gesagt auf seinem rechten Oberschenkel und kicherte etwas, ganz wie ein kleines Mädchen. Aber Scham dafür empfand ich dieses Mal nicht. Wieso sollte ich auch? Ich spürte doch nur zu deutlich, dass Neo es mochte, wenn ich mich weich gab, weich und etwas verletzlich. Obwohl er der Jüngere war, so gefiel er sich dennoch in der Rolle meines starken Beschützers, meines edlen Ritters, der ihn gegen alle Widrigkeiten der Welt verteidigte. Und wenn ich ganz ehrlich war, dann mochte ich das genauso gern wie er.
 

"So, Julchen", setzte er an, räusperte sich und quetschte den letzten Rest seiner Zigarette in dem ebenfalls auf dem Nachttisch stehenden Aschenbecher breit. Dann wendete er sich wieder ganz mir zu. Intensiver denn je, wie es mir erschien, was vielleicht an seiner Hand lag, die auf meiner Hüfte ruhte und mit ziemlicher Sicherheit nicht zuletzt an diesem tiefen, tiefen Blick aus seinen hübschen Augen, die so viel Liebe, aber auch so viel Verdorbenheit auszustrahlen wussten. "Was meinst du, was wir jetzt machen sollen?"

Ich grinste breit, und obwohl er es offensichtlich nicht wollte, tat er es mir gleich. Die Finger, die eben noch auf meiner Hüfte gelegen hatten, piekten mich nun in die Seite, sodass ich auflachte. Laut und quietschig. Julian, Julian, ob er dich kastriert hatte? Oder hatte er dich in ein Mädchen verwandelt?

"Sag, sag, sag!", forderte Neo unter Gelächter, ich aber konnte aufgrund meines zuckenden Zwerchfells ohnehin nicht antworten und wollte es auch nicht, aber ich war von seinem Schoß geklettert und robbte auf allen Vieren über die Matratze, deutete eine vermeintlich verzweifelte Flucht an. Vermeintlich, weil ich mich schon im nächsten Augenblick nur zu gerne von Neo packen und mit dem Rücken auf das Bett pinnen ließ.

Er war nun direkt über mir, und die Spitzen seiner langen Haare fielen mir ins Gesicht und kitzelten mich an der Nase. Augenblicklich schüttelte er seine schwarze Mähne, sodass sie jetzt nur noch über seine rechte Schulter floss. Erst jetzt bemerkte ich, dass er mich im festen Griff hatte, dass seine Finger sich um meine Handgelenke geschlossen hatten und ich mich kaum mehr bewegen konnte. Der warme Druck seines Körpers auf meinen schränkte mich zusätzlich in meiner Freiheit ein. Aber kümmerte es mich? Nein, mitnichten. Ich genoss es sogar.
 

"Hast du schon mal darüber nachgedacht, wie es sein wird, mit mir?", säuselte Neo, während er seine freie Hand über meinen Oberkörper gleiten ließ, mir Brust und Bauch begehrlich massierte. In mir begannen die ersten Wogen der Lust hin und herzuschwappen. Zunächst fühlten sie sich noch klein und flach an, aber schon bald schlugen sie höhere und stärkere Wellen. Er musste nur die Knöpfe meines Hemdes öffnen und etwas von meiner nackten Haut entblößen, damit ich fast nicht mehr ich selbst war. Ich schloss die Augen und wollte nichts lieber, als mich von diesen Gefühlen treiben zu lassen. Es war schön, so schön. Und dabei hatten wir noch nicht einmal angefangen...
 

"Natürlich hast du schon mal darüber nachgedacht", antwortete Neo an meiner Stelle auf seine Frage, da ich mich schon längst nicht mehr dazu in der Lage sah. Ich befürchtete, meine Stimme würde beben, wenn ich den Mund aufmachte, sich überschlagen, in einem Keuchen münden. Wahrscheinlich aber war es genau das, was er wollte. Hören, wie meine Lust die Luft in meinen Lungen zum Vibrieren brachte. Dass ich meine körperlichen Reaktionen längst nicht mehr zu kontrollieren vermochte und es ganz an ihm war, sie zu dirigieren.

Es begann mit einem Kuss auf den Mund, der zugleich in ein forderndes Spiel ausartete. Ich spürte, dass dies nicht der Neo war, der mir unseren ersten Kuss beschert hatte; dieser Neo hier war der, der sich auch Viv an den Hals geworfen hatte, voll Gier, voll Verlangen. Das, was er hier mit meinem Körper veranstaltete, war so geschickt, so aufreizend und gleichzeitig so obszön, dass ich nicht anders konnte und nicht nur einmal mit zittriger Stimme nach mehr verlangte. Seine Lippen schienen überall zu sein und seine Zunge tanzte über meine empfindlichsten Hautstellen, als wollte sie sie herausfordern, noch sensibler zu werden und noch stärkere Reaktionen meines Körpers hervorzurufen. Eigentlich wollte ich ihn anschauen, wenn ich zum ersten Mal mit ihm schlief, seinen wundervollen männlichen Körper betrachten und ihn an mich drücken, so eng es ging, aber ich verlor mich ganz und gar in meiner Rolle des Empfängers, des Genießers. Und Neo schien es zu gefallen, mich so gekonnt zu spielen wie ein Instrument, mir Töne und Empfindungen zu entlocken, die ich in dieser Intensität noch nie zuvor gespürt hatte. Besonders sein Mund war der edle Himmel und die heiße Hölle zugleich, besonders dann, als er mich hart und heftig oral befriedigte.

Ganz kurz fürchtete ich, dass seine Schwester oder seine Eltern mich hören könnten, aber bald schon schlitterte ich so nah an den Abgrund der Lust, dass ich nicht mehr denken, sondern nur noch spüren konnte. Spüren, wie er mich immer tiefer in sich trieb, wie mich dieser Druck in meinem Körper immer weiter verschlang, mit einer Gnadenlosigkeit, die mir alle Gliedmaßen zusammenzupressen schien. Letztlich raste die geballte Lust durch mich hindurch und ich schrie auf, nicht mehr wissend, wie ich diesem Wahnsinn standhalten sollte, der sich in mir abspielte. Doch dann war es auch schon vorbei und ich blieb lediglich schwer atmend liegen, blinzelte die weiße Zimmerdecke an.
 

"Mh, und was ist mit mir?"

Neo schob sich über mich, schaute mich aus fragenden und gleichzeitig glasigen Augen an, in denen noch immer der pure Hunger schwelte.

"Ich will auch noch auf meine Kosten kommen, Spätzchen."

Ja, okay. Das sah ich ein. Das war sein gutes Recht. Aber ich hatte keinen blassen Schimmer, wie ich es anstellen sollte. So geübt, wie Neo mich zu verwöhnen wusste, so würde ich das niemals hinbekommen. Ich hatte ihm gesagt, dass ich noch nie einen Mann hatte. Und trotzdem sollte ich nun aktiv werden.

In Gedanken sah ich meine Hände bereits über seinen Körper gleiten, hinab, immer weiter hinab, bis zu seinem Penis, der sich mir in freudiger Erwartung entgegenreckte, zuckend und rot angeschwollen. Doch ich wagte es nicht, mich zu bewegen. Nicht nur aufgrund der Tatsache, ich würde nicht gut genug sein, sondern auch, weil ich nicht wusste, ob ich mich dazu durchringen könnte, sein bestes Stück anzufassen. Natürlich, ich besaß dieselbe Ausstattung wie er und es wäre eine Lüge gewesen, hätte ich gesagt, ich würde mich niemals selbst berühren. Aber auch wenn es Neo war - ich scheute mich davor, meine Finger um sein dickes Glied zu legen. Zum Glück musste ich das auch gar nicht. Neo hatte eigene Pläne entwickelt, Pläne, die mir ziemlich gefielen, als er mich in sie einweihte. Weil Worte noch keine Taten darstellten.
 

Wahrscheinlich meinte er in meinen Augen die Zustimmung für das gelesen zu haben, auf was es nun hinauslaufen sollte, denn er streckte sich so weit aus, dass er die Schublade des Nachtschränkchens erreichen konnte und brachte dort eine kleine Tube samt einem Kondom zum Vorschein. Ich war nicht blöd, ich wusste, was er vorhatte und nun wusste ich auch, aus was seine Vorbereitung bestand. Blümchen, Kerzen - ich war wirklich ein Volltrottel. Neo ging es vor allem um die Fleischeslust, um das Finden von Befriedigung und nicht um irgendwelche romantischen Kuschelstunden. Und um ehrlich zu sein: Ich konnte damit leben. Denn wenn ich tief in mich hineinhorchte, dann flüsterte mir mein Gewissen, dass ich es ebenso nötig gebraucht hatte wie er. Und der letzte Funken Lust war noch längst nicht verglüht, jetzt, wo ich ihn betrachtete und wusste, wie nah er mir gleich kommen würde.

Doch zunächst versicherte er sich, ob ich das hier tatsächlich wollte.
 

"Okay, also...darf ich dich ficken?"

Seine Stimme, heiser und rau, wollte nicht so recht mit diesen achtsamen Worten harmonieren. In ihr schwelte das pure Verlangen, welches mir den Verstand wegblies, denn noch nie in meinem Leben hatte ich einen Mann auf diese Art sprechen gehört. Es war faszinierend, wie der immer so beherrscht wirkende Neo genau wie ich nicht mehr so recht Herr über seinen eigenen Körper zu sein schien. Diese Feststellung kroch mir geradewegs zwischen die Beine und zog ohne Erbarmen an meinen Eingeweiden. Und es gab nur eine Antwort, die ich ihm auf seine Frage zu liefern bereit war.

"Du darfst", nickte ich beharrlich, schluckte aber hastig, als ich merkte, dass sich eine erneute Woge des Verlangens auf meine Stimmbänder gelegt hatte.

Neos funkelnde Blicke glitten über mich, nahmen meinen ganzen Körper ein; er wirkte auf mich wie ein Pirat, der seinen Schatz erkundete. Das, was ihm gehörte. Und so war es auch.

"Gut, dann...winkle die Beine an...", wies er mich an, aber es war ein unsicheres Hauchen und keine harsche, bestimmte Aufforderung, so wie ich es eigentlich erwartet hatte.

Verwundert zog ich die Knie an meinen Körper, woraufhin Neo sich an mich drängte, sein eigenes Glied in der Hand und es mit schnellen Bewegungen rubbelte. Aber nur kurz. Denn dann schüttelte er den Kopf und meinte, ich solle mich lieber auf den Bauch legen, das würde leichter werden.

Dass er unsicher war, spiegelte sich in seinen Taten und in seinen Blicken wider. Und es übertrug sich auf mich. Zwar tat ich das, was er von mir verlangte, aber sobald ich ihn nicht mehr sehen konnte, wusste ich gar nicht mehr, ob ich wirklich wollte, dass er mich...

"Warte, warte", ließ ich beinahe schon eine Spur zu panisch verlauten und drehte mich zumindest soweit auf die Seite, dass Neo wieder in mein Blickfeld rückte. "Ich...tus bitte nicht. Ich glaub, ich kann noch nicht...sorry..."

"Shh, nicht entschuldigen", brummte Neo, und dieses Mal hörte es sich unpassender Weise wesentlich bestimmter an. "Ist mir auch ganz Recht auf eine Art...ich war noch nie aktiv."

Die Spannung, die meine Muskeln sich verkrampfen ließen, wich augenblicklich aus meinem Körper und ich sackte mit lockeren Gliedern schwer in Neos Kopfkissen, mit dem Gesicht voran.

Langsam aber sicher wurde die ganze Sache ziemlich anstrengend, gestand ich mir ein, aber Sex im richtigen Leben hatte eben nichts mit den Szenen gemein, die man in Film und Fernsehen zu sehen bekam und erst Recht spielten wir nicht in einer Liga mit professionellen Pornodarstellern. Deswegen brauchten wir naturgemäß länger. Und das war in Ordnung. Aber erregt war ich nun schon längst nicht mehr. Eigentlich wollte ich nur noch pennen, aber das eröffnete ich Neo natürlich nicht. Der schien nämlich noch immer scharf zu sein und im Grunde wollte ich gern für seine Befriedigung zur Verfügung stehen. Sei es als Dankeschön für seinen vorzüglichen Blowjob aber auch, weil ich ihn doch liebte.

Gerade machte ich Anstalten, mich wieder auf den Rücken zu drehen, aber Neo hielt mich entschieden davon ab.

"Bleib so liegen", knurrte er. "Ich weiß, was ich jetzt sehr geil finden würde..."

Er hatte also einen neuen Plan. Wortlos drückte ich meinen Bauch zurück auf die Matratze und wartete ab, auch wenn mein Misstrauen nun leicht anstieg.

"Aber nicht heimlich doch ficken", warnte ich Neo mit leiser Stimme, der aber lachte hinter mir auf, allerdings klang es nicht fies oder hinterhältig, wie man vielleicht erwartet hätte, keineswegs.

"Was denkst du denn von mir, Süßer?", amüsierte er sich, während ich spürte, wie ein Gewicht auf meinen Po drückte und etwas Sanftes, Federgleiches meine Wirbelsäule hinabstrich. "Ich bin dein Freund und kein Schwerverbrecher. Ich mache nichts, was du nicht auch willst."

Noch heute erinnere ich mich an jenen Augenblick, an die Melodie dieser zarten Worte, die ich so aus Neos Mund niemals erwartet hätte. Ich weiß noch, wie die Schmetterlinge in meinem Bauch zu flattern begannen und wie ich mit einem Mal in die ganze Welt und in das Leben verliebt zu sein schien. Doch in Wirklichkeit galten all meine Gefühle nur einer einzigen Person. Es war die, die den Deckel des Gleitgelfläschchens mit einem unüberhörbaren Klacken öffnete und wenig später die feuchte Kälte großzügig zwischen meinen Pobacken verteilte. Ob er sah, dass ich mir mit zusammengekniffenen Augen auf die Lippen biss, um ein ausgleichendes Keuchen zu vermeiden, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass er erst ganz still war, aber als er meine Backen auseinanderdrückte und ganz eindeutig seinen Penis dazwischenschob plötzlich ziemlich ungehalten schnaufte. In beinahe schon wahnsinnigem Tempo rieb er sich irgendwann gegen meine sensiblen Innenseiten und ich ließ es geschehen, ebenfalls ziemlich angetörnt ob dieses mir unbekannten Spieles, das zudem selbst in mir ein Kribbeln zu wecken wusste. Ich mochte das feuchte Gefühl zunehmend und auch Neos Länge, die immer dicker und schwerer zu werden schien, bis sich ein warmer Strahl aus zäher Flüssigkeit auf meinem Rücken ergoss. Neos tiefes, dumpfes Knurren, welches den Raum in diesem Augenblick erfüllte, zog mich komplett in seinen Bann und ich war mir ganz sicher, dass dies das erotischste Geräusch auf der ganzen Welt sein musste. Währenddessen musste ich wegen der Gewissheit, sein Sperma auf meinem Rücken zu haben, in mich hineinschmunzeln. Und plötzlich kam mir die ganze Szene doch ziemlich pornomäßig vor. Aber es war nicht so, dass ich mich am liebsten darüber beschwert hätte, nein. Ich entdeckte gerade, wie sehr ich auch etwas schmutzigere Spielchen schätzte und Sex nur wirklich Spaß machte, wenn zum einen die Gefühle stimmten und zum anderen nicht zu sehr auf Sittlichkeit und Ordnung geachtet wurde. Manchmal musste man sich einfach gehen lassen, sich etwas trauen und das Gehirn ausschalten. Und ganz ehrlich: Diese Dinge fielen mir in Neos Gegenwart nicht sonderlich schwer.
 

*
 

"Juli?"

"Mh?"

Ich brummelte nur, weil ich viel zu faul war, um große Reden zu schwingen. Zumal ich jetzt auch noch meine heimlich ersehnte Kuschelstunde bekam.

Im Augenblick konnte ich mir einfach nicht Gemütlicheres und Schöneres vorstellen, als meinen Kopf an Neos Brust zu schmiegen und ein wenig die Augen zu schließen. Wenn er weiterhin geschwiegen hätte, wäre mein Dämmerzustand wahrscheinlich gar in ein kleines Nickerchen ausgeartet, aber nun galt es, meine Lauscher zu spitzen, schließlich schob mir mein Freund bereits die Haare hinter die Ohren, damit ich auch recht gut vernehmen konnte, was er mir zu sagen hatte. Dabei blinzelte ich ganz müde und beobachtete seine sich bewegenden Lippen.

"Du weißt ja, dass ich keine Geheimnisse mag", sagte er leise und begann nun auch noch, mich im Nacken zu kraulen, als wäre ich sein kleiner Kater. "Deswegen sag ich dir jetzt, auf was ich im Bett stehe."

Nun hatte er meine Neugierde eindeutig geweckt. Mit großen Augen schaute ich zu ihm auf und fing dabei sein bildhübsches, wenn auch ziemlich freches Lächeln ein.

"Ich finds ziemlich geil, wenn man mir eine klatscht", gab er schließlich ohne Umschweife zu und ich war prompt so von der Rolle, dass ich mich von ihm löste und mich beinahe aufsetzte. Seine Hand, die auf meinem Oberarm landete und mir beruhigend über die Haut streichelte, hielt mich jedoch davon ab. So legte ich mich also wieder hin, mein skeptisches Stirnrunzeln blieb allerdings bestehen und das war es auch, was Neo ein belustigtes Glucksen entlockte.

"Ja, ja, ich weiß, was du jetzt denkst", nahm er vorweg und schob sich eine Hand zwischen Kopf und Kissen, dabei blickte er die Decke an und schien sich nicht mehr so recht entscheiden können, ob er weiterlachen oder eine ernste Miene aufsetzen sollte. "Du denkst jetzt: 'Boah, was hab ich für ein perverses Schwein als Freund? Hätte ich das mal eher gewusst...'"

"Nein", berichtigte ich ihn, wenn auch noch immer ziemlich verwirrt aufgrund seiner seltsamen Vorliebe. "Das denke ich nicht..."

Er ging gar nicht auf meine Worte ein, redete einfach weiter über seinen seltsamen Fetisch.

"Tja, ich weiß ja selbst nicht, warum das bei mir so ist...ich bin eben ein kleiner Masochist."

Er zuckte mit den Schultern.

"Viv hat mir damals im Klo auch eine geklatscht...und ich fands geil. Irgendwie..."

"Du erwartest nun aber nicht, dass ich SM-Spielchen mit dir vollführe?", hakte ich verunsichert nach, aber Neo schielte mich nur aus den Augenwinkeln heraus an und schlang dann wieder den Arm um meinen nackten Körper.

"Quatsch", versicherte er mir. "Ich erwarte gar nichts von dir. Ach, im Grunde wissen wir beide doch noch gar nicht so wirklich, was wir eigentlich wollen."

"Na doch", kam es wie aus der Pistole geschossen aus meinem Mund. Wir sahen uns einen Moment lang schweigend an, bis ich mit dem herausrückte, was ich sagen wollte. "Dich will ich."

Es war das Ehrlichste und Aufrichtigste, das ich wahrscheinlich jemals zu einem Menschen gesagt hatte. Aber es kam mir in diesem Moment einfach angebracht vor. Denn es waren nicht nur Worte, es war Gefühl. Gefühl, welches versuchte, sich in Wortform zu zwängen, was aber stets mehr schlecht als recht gelang. Doch es genügte, um Neo wissen zu lassen, wie es in mir aussah. Und so gerührt, wie ich ihn jetzt erlebte, so hätte ich es nie für möglich gehalten.

"Du bist so zuckersüß, Juli", hauchte er mir gegen meine Wange, um dann seine Lippen behutsam auf meine zu drücken. Auch wenn ich diesen Kuss wirklich genoss, so brannte doch noch eine wichtige Frage auf meinen Lippen.

"Liebst du mich?", wollte ich wissen, als wir uns ein Stück weit voneinander gelöst hatten, Neos Gesicht meinem aber noch immer so nah war, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren konnte.

"Hey, Julilein, natürlich liebe ich dich, du bist doch meine Prinzessin", erwiderte mein Freund mit einem Lächeln und küsste mich noch immer lächelnd auf den Mund. "Und ich bin dein Prinz. Auch wenn der dumme Vivian da anderer Meinung ist. Aber weißt du was? Wir werden ihm schon noch beweisen, dass das zwischen uns was Großes ist. Warte nur, bis wir alle als Opis um einen Tisch herumsitzen und Viv dann, alt und verschrumpelt, den kahlen Mund aufmacht und sagt: 'Das is ja doch Liebe, das zwischen euch. Hätt ich nicht gedacht. Krasser Scheiß.'"

Er imitierte einen zahnlosen Menschen so überzeugend, dass ich nicht anders konnte als lauthals loszulachen. Die Bilder, die er mir dazu in den Kopf gezaubert hatte, waren aber fast noch herrlicher. Vivian als alter Opa, das würde ich mir immer dann vorstellen wollen, wenn er mal wieder einen Keil zwischen Neo und mich zu treiben versuchte. Und er würde sich wahrhaftig die Zähne ausbeißen, wenn er mich weiterhin von seiner Ansicht überzeugen wollte. Denn zwischen Neo und mich passte kein Blatt Papier.
 

Er war mein Prinz und ich seine Prinzessin. Und unser Ross, das war die Liebe. Es würde niemals alt und lahm werden. Da war ich mir ganz sicher.



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