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Two Sides of a Coin

R. Lutece²
von

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Free your mind

As my heart comes to life

A feverish embrace that I can't hide

Like spark to a flame

Feel it in my heart that this won't fade
 

Free to rise again

And an end against all odds

We'll overcome

Together we are one
 

To Feel Alive – Iameve
 

~*~*~*~*~*~*
 

Free your mind
 

Zum zweiten Mal schon las er die Zeile, doch noch immer ergab sie keinen Sinn.
 

Mit einem Seufzen rieb sich Robert über die Augen und verharrte kurz in einer leicht resignierenden Haltung, ehe er wieder aufsah. Auch beim dritten Mal wirkte die mathematische Formel eher als würde er tausend Hamster sehen, anstatt einer Lösung. Von der unlogischen Seite her betrachtet waren natürlich keine Hamster auf dem Blatt, aber es ergab genau so viel Sinn, wie wenn er nur die Buchstaben las. Er warf die Notizen an das Fußende des Bettes auf dem er lag und ließ sich schlecht gelaunt zurück ins Kissen sinken.

„Du solltest dich nicht überanstrengen.“, mahnte ihn Rosalind, die gerade zur Türe eintrat und das Schauspiel schon von der Treppe aus betrachten konnte. In ihrer Hand hielt sie ein Tablett, auf dem eine dampfende Teekanne stand, zwei Tassen, ein Kännchen Milch und auch etwas Gebäck. Ihr Gesichtsausdruck war neutral, aber doch, in ihren Augen konnte er die milde sehen, mit der sie ihn bedachte. Darin lag auch Verständnis. Seit über zwei Wochen war er ans Bett gefesselt und hatte nicht viel mit sich anfangen konnten. Hatten sie doch beide gedacht, dass er sich schneller erholen würde, nachdem es am ersten Tag dann doch noch recht gut um ihn gestanden hatte. Ein Irrtum, wie er sehr schnell festgestellt hatte.

Gestern erst waren die Reparaturen am Schlafzimmerboden oder an der Decke des Arbeitszimmers – je nach dem aus welchem Winkel man es betrachtete – beendet worden. Danach waren sie beide vom recht kargen und rein obligatorischen Gästezimmer ins Schlafzimmer ungezogen. Obwohl Rosalind nur ungern fremde Menschen im Haus hatte, abgesehen von der Dame am Empfang, hatte sie sich und auch nur nach dem die ersten Latten abgebrochen waren, doch dazu entschlossen das Loch nicht als dauerhafte Gegebenheit zu akzeptieren. „Der Schneider war eben da und hat deine Kleidung gebracht.“, informierte sie ihn und stellte das Tablett auf einem kleinen runden Tisch ab, der genau dort stand, wo vor einigen Tagen noch das Loch geklafft hatte. Er stand hier auch nur, weil die Treppe ein Abstieg vom Mount Everest war und Robert keine Kraft hatte das zu bewältigen. Damit hatte sich auch der Lebensmittelpunkt seiner Schwester verändert. Seit dem zweiten Tag hatte er sie so genannt, denn eine andere Bezeichnung war ihm nicht eingefallen und selbst wenn sie er war, war sie es auch wieder nicht. Zwei Personen derselben Sache. Zwillinge. Das erleichterte es für sie und für die anderen Menschen in Columbia.

„Deine Nase.“, mit diesen Worten riss sie ihn nicht nur wieder aus seinen Gedanken, sondern reichte ihm auch ein Taschentuch, das er für einen kurzen Augenblick desorientiert ansah. Robert war nicht in der Lage es zu nehmen, sondern starrte es an, bis Rosalind es ihm unter die Nase hielt. Erst jetzt fiel ihm der metallische Geschmack von Blut auf seinen Lippen auf. Ein kleiner Rückfall.

Der stechende Kopfschmerz ließ nicht lange auf sich warten. Jedes Mal wenn er daran dachte, das Rosalind nicht seine Schwester war, sondern eine andere Version seines selbst, dann stellte sich genau jener Schmerz ein. Als würde das Universum selbst nicht akzeptieren können, das es ihn nun hier gab. Die Erinnerungen an seine Vergangenheit waren überblendet worden mit ihren oder eher gesagt so, als hätte sie ihr ganzes Leben schon einen Zwilling gehabt. Doch wenn er versuchte diese falsche Erinnerungen zu fassen, sie genauer zu betrachten, dann verschwammen sie, als hätte das Universum einen Stein hinein geworfen und alles verwischt. Die eigenen, wirklichen Erinnerungen waren ebenso schwammig. Es war rein instinktiv. Wenn Rosalind ihn fragte und er nicht darüber nachdachte, dann konnte er ihr antworten, sonst geschah immer dasselbe.
 

Es setzte eine Desorientierung ein, Nasenbluten und Kopfschmerzen. Immer dasselbe. Er hörte sie reden, aber alles klang so fern und dumpf.
 

Erschöpft und er wusste nicht einmal warum, schloss er die Augen und driftete ab.
 

Als Rosalind erkannte, dass ihr Bruder das Bewusstsein verloren hatte, überprüfte sie seinen Puls – nur zur Sicherheit. Ihre Sorge um ihn war groß und gar nicht so unberechtigt. Es hatte sich gebessert, ja, doch gut, war es bei weitem noch nicht. „Außer Lebensgefahr.“, flüsterte die Physikerin und tupfte das restliche Blut ab. Kaum hatte ihr Bruder die Augen geschlossen, hatte auch das Nasenbluten nachgelassen. Sie versuchte sich mit den Worten selbst zu beruhigen, doch sie war es ganz und gar nicht. Was … wenn es ein Fehler gewesen war? Der Größte überhaupt? Der Gedanke ihn zurück zu schicken quälte sie, aber die Vorstellung, dass er starb war noch viel schlimmer, das konnte sie nicht zulassen. Wenn es die nächsten Wochen keine sichtbare Veränderung gab, dann musste er wieder gehen. Es musste sein. Traurig faltete sie die Hände auf ihrem Schoss zusammen – das Taschentuch hatte sie immer noch in der Hand – und sank in sich zusammen. Selbst wenn er viel schlief und nicht länger als eine Stunde wach war, so genoss sie jedes Gespräch mit ihm. Zu Beginn hatten sie noch mehr unterschiede entdecken wollen, nur ging es ihm danach immer so schlecht, das er für Stunden kaum ansprechbar war. Bis sie darauf gekommen war, das es an den Erinnerungen lag. Eine Erkenntnis die sie im selben Moment gehabt hatten.
 

Unterschiede gab es einige.
 

Columbia gab es bei ihm nicht und auch nicht Comstock. Er mochte sein schwebendes Atom gefunden haben, doch keinen Sponsor, der das Potential förderte. Ein Physikprofessor an der Universität von Princeton. Ohne Zweifel eine der angesehensten Universität der Welt und ein großer Erfolg, doch kein Vergleich zu einer fliegenden Stadt. Selbst wenn sie an Comstock gekettet war, gab es hier keine Regeln, die ihr etwas verbaten. Schnell hatte Rosalind gelernt sich die Maske der Politik aufzusetzen, sich offen zu beugen, selbst wenn man anders dachte. Es gab viele Wege um ein Ziel zu erreichen und eines davon war sich selbst zu kontrollieren, hartnäckig zu sein und vollkommen eisern seinen Weg zu gehen – ohne Rücksicht. Eigenschaften die Robert auch hatte, aber nicht so ausgeprägt. Er war intelligent, ebenso kontrolliert aber doch … menschlicher oder einfach nur offener. In seinem Leben wurde ihm vermutlich auch nicht jede Schwäche zum Verhängnis. Nein, seines war womöglich einfacher gewesen.
 

Man konnte Stunden darüber philosophieren. Wer hatte mehr Glück? Sie, weil sie jede Forschung durchführen durfte die sie wollte und alles finanziert bekam oder er, der keinen täglichen Spießroutenlauf hatte gehen müssen um zu bekommen was er wollte? Immerhin hatte Robert Comstock noch nicht kennen gelernt, doch sie wusste genau, das er dasselbe wie sie denken würde: Verrückt. Realitätsfern, aber mächtig.

Rosalind faltete das Taschentuch zusammen und richtete die Bettdecke ordentlich hin, damit er sich nicht verkühlte, ehe sie das Taschentuch in die Wäsche gab. Abwesend wusch sie sich die leichten Blutspuren im Bad ab und überlegte was sie mit Robert machen könnte. Was für eine Lösung gab es, außer Musik? Einfach nur die Zeit? Ganz nach dem Motto: Zeit heilt alle Wunden? Sie gab nicht viel auf Metaphern, aber um seinetwillen hoffte sie, dass es besser werden würde. „Madame Lutece?“, fragte eine zaghafte Stimme und als Rosalind den Kopf hob, sah sie ihre Empfangsdame, die am Treppenabsatz stand und nicht wagte den ersten Stock zu betreten. „Was gibt es Sarah?“, fragte sie in ihrem emotionslosen Tonfall, der den Eindruck erweckte, das sie nur ungern mit Personen sprach die einen niedrigeren IQ besaßen wie sie. „Vater Comstock hat ein Telegramm für sie geschickt. Es ist sehr eilig.“, die Stimme von Sarah war gegen Ende hin immer kleinlauter geworden und Rosalind wusste, das Robert sie dafür getadelt hätte. Sarah war so schüchtern, das sie mit jedem „Buh“ bereits tot umfiel. Auch die geschäftige Stimme der Wissenschaftler brachte sie jedes Mal an ihre Grenzen. An und für sich hatte Rosalind nichts gegen sie, das einzige was sie störte, war eben dieses … dieses duckende Verhalten. Das was von Frauen erwartet wurde und etwas das sie selbst nicht leiden konnte. Sarah erinnerte sie jeden Tag daran, was sich ihre Mutter für sie gewünscht hätte. Was hatte Rosalind nur gestritten, nur um studieren zu dürfen? Alles. Sie hatte alles geopfert.

Auch ihre Familie.
 

„Wenn du durch diese Tür gehst, dann habe ich keine Tochter mehr.“
 

Das Echo der Worte ihrer Mutter hallte in ihrem Kopf wieder. Sie war gegangen und sie hatte studiert.
 

„Madame Lutece?“, fragte Sarah erneut und musterte sie sorgenvoll. „Ist alles in Ordnung?“, „Natürlich.“, antwortete sie lediglich und nahm das Telegramm endlich in Empfang. „Sie können gehen Sarah.“, „Sehr wohl, Madame.“ Zügig ohne dabei den Eindruck von Hast zu erwecken ging Sarah nach unten und verschwand schnell durch die Eingangstüre zum Vorzimmer. Nur wiederwillig drehte Rosalind das Telegramm um und las deren Inhalt.
 

Madame Lutece STOP

20 Uhr Dinner STOP

Erwarte Ihr Kommen STOP

Comstock
 

Reichte es nicht wenn sie ihn einmal die Woche sehen musste? Jetzt schon zweimal?
 

Schlecht gelaunt rieb sie sich die Stirn und kehrte zurück ins Schlafzimmer wo Robert noch immer im Tiefschlaf lag. Sie warf das Telegramm auf das Tablett neben dem Tee und schenkte sich anschließend etwas ein. Der Earl Grey würde hoffentlich ihre Laune etwas anheben oder sollte sie noch etwas arbeiten? Nein, nicht jetzt sofort. Noch im Stehen schenkte sie sich die Milch an und setzte sich anschließend hin. Was wollte Comstock von ihr? Ein beunruhigendes Gefühl beschlich sie und breitete sich in ihrem ganzen Körper aus. Das war nie ein gutes Zeichen. Mit beiden Händen umschloss sie die Tasse und stütze ihre Ellenbogen auf dem Tisch ab, den Blick auf das Telegramm gerichtet. Die Antwort würde wohl nicht wie von Zauberhand darauf erscheinen, also wand sie sich ab und sah zu Robert.
 

Vor fünf Minuten noch war sein Gesicht aschfahl gewesen, doch jetzt hatte es schon wieder etwas Farbe angenommen. Wie lange er dieses Mal nicht ansprechbar war?
 

Rosalind stand noch einmal auf um sich das Notizbuch zu nehmen, das er vor wenigen Minuten einfach weggeworfen hatte und blätterte im Gehen durch, bevor sie sich wieder zu ihrem Tee setzte. Es war eines ihrer Bücher, wie sie damals ihre ersten Versuche gemacht hatte. Ob er sehen wollte, wie sie gearbeitet hatte? Bestimmt. Sie würde es auf jeden Fall wissen wollen. In Nostalgie verfallen überflog sie ihre Notizen, musterte die Zeichnungen und trank hin und wieder etwas von dem Tee. Sie hatte schon zwei weitere Tassen getrunken, als sich ihr Bruder wieder regte und mit einer Hand an den Kopf fasste. Ahja, die Schmerzen. Gemächlich stand sie auf und ging langsam auf ihn zu. Sein Blick war noch verklärt, doch er schien sie zu erkennen. „Schon gut.“, flüsterte sie leise und klang wie eine besorgte Mutter, die am Bett ihres kranken Kindes stand. „Schlaf weiter.“, flüsterte sie leis. Robert kämpfte gegen die Müdigkeit, das konnte man deutlich sehen, doch seine Versuche zu reden erstickte sie im Keim. Sanft legte sie ihm eine Hand unter das Kinn, als Zeichen das er nicht reden brauchte. „Ich weiß du willst nicht.“ Angestrengt und vor allem genervt atmete er hörbar aus, doch er beugte sich dem Willen seiner Schwester und zeigte Einsicht. Es gäbe für ihn heute keine Möglichkeit mehr wirklich wach zu sein und wenn dann erst spät abends. Vorsichtig setzte sich Rosalind auf die Bettkante und begann ein altes Wiegenlied zu summen. Ihre Mutter hatte es ihr immer vorgesungen, damals als das Verhältnis noch nicht zerrüttet gewesen war.
 

Ein Lächeln umspielte Roberts Mundwinkel schon nach den ersten Tönen. Er kannte es. Seine unruhigen Bewegungen mit dem Kopf wurden langsamer und langsam aber sicher driftete er wieder in den Schlaf. Sein Verstand selbst war für wenige Minuten wach, aber unendlich müde. Er fühlte wie Rosalind kurz eine Hand an seine Stirn hielt, so als würde sie seine Temperatur fühlen, dann glitten ihre Fingerspitzen weiter und strichen ihm kurz durch das Haar. Sie war besorgt, das wusste er. Es war keine Vermutung oder etwas ähnliches, sondern er war vollkommen überzeugt, dass sie so fühlte. Er wusste nicht warum, aber es war so. Als würden selbst ihre Gefühle synchron agieren. Das war nicht möglich, das war ihm auch bewusst. Darüber müsste er mit ihr reden diese These … diese wunderschöne Musik. Sie lähmte seinen Gedankengang und bevor er sich bewusst wurde, dass er am Einschlafen war, war es schon geschehen.
 

Ein paar Minuten blieb sie noch am Bett sitzen und musterte seine Gesichtszüge, die selbst im Schlaf nachdenklich wirkten. Er war ihr so ähnlich und doch auf seine eigene Art ganz anders. Nur widerwillig löste sich Rosalind von seinem Anblick, doch die Uhr tickte unaufhörlich und zeigte bereits 19 Uhr an. Die Sonne war am Untergehen und tauchte den Himmel in ein kräftiges Rot. Schweigend und fast schon schlecht gelaunt brachte sie das Tablett mit dem Tee nach unten, wo sie vom Koch empfangen wurde. Innerlich fluchte sie – warum hatte sie ihm nicht abgesagt? Mit dem Essen bei Comstock brauchte sie dessen Dienste heute nicht. Aber mit Roberts Rückfall und ihrem Schwelgen in Nostalgie hatte sie es vergessen. „Monsieur Roché.“, grüßte sie ihn und stellte das Tablett ab. „Ihre Dienste werden heute Abend nicht benötigt.“, „Aber Madame …?“, „Ich habe eine Einladung erhalten und werde nicht zugegen sein … sie …“, Rosalind stockte und dachte kurz nach, „Könnten für meinen Bruder eine kleine und leichte Mahlzeit zubereiten. Sollte er aufwachen und Hunger haben. Ein paar belegte Brote dürften genügen.“, „Sehr wohl Madame.“, „Es tut mir Leid für die Umstände. Nächstes Mal werde ich Ihnen früher Bescheid geben.“ Sein Tonfall hatte seine Enttäuschung hörbar Preis gegeben und rein aus Höflichkeit hatte sie sich bei ihm entschuldigt, doch in ihren Worten lag kein ehrliches Gefühl. Nur Geschäftssinn.
 

Mehr gab es nicht zu reden und sie drehte sich auf den Absätzen ihrer Schuhe um und ging ins Arbeitszimmer an den Schreibtisch. Sie schrieb für Robert eine kleine Notiz, sodass er sich nicht sorgte, wenn sie nicht da war. Den Zettel legte sie ihm ans Nachtkästchen, ehe sie sich ihrer Garderobe zuwandte, die leider einen etwas gehobenen Standard für ein Dinner mit Comstock verlangte. Das Kleid selbst war champangerfarben, äußerst schlicht und entsprach der aktuellen Mode. Sie wählte dazu farblich passende Schnürstiefel, ganz ähnlich ihren Alltagsschuhen. Ihre Frisur frischte sie nur auf, änderte jedoch nichts daran, dazu sah sie keinen Anlass. Selbst wenn sie ein Abendkleid trug – es war immer noch Comstock. Nur wiederwillig und mit gequältem Gesichtsausdruck verließ sie das Labor und als sie die Türe hinter sich ins Schloss zog, verschwand auch dieser.
 

Alles wirkte wie immer. Die strenge, korrekte Physikerin, welche Columbia ihre Flügel verliehen hatte lief durch Emporia um Vater Comstock zu besuchen.
 

Es war bereits dunkel als Robert nach der Lampe am Nachtkästchen tastete und sie einschaltete. Er brauchte etwas um sich an das Licht zu gewöhnen und um sich daran zu erinnern wo er war. Sein Blick viel direkt auf Rosalinds Notiz, die er kurz in die Hand nahm um sie durchzulesen. Ob er diesen Propheten auch einmal kennen lernen musste? Ihm war nicht danach, nicht wenn er den Gesichtsausdruck seiner Schwester sah, wenn sie von ihm erzählte. Vorsichtig richtete er sich auf, immer darauf achtend ob nicht doch ein Schwindel einsetzte. Es wirkte schon fast so, als wäre er ein alter Mann. Wie in Zeitlupe schlug er die Bettdecke zurück und setzte beide Füße auf dem Boden ab. Bewegung. Er musste seine Glieder strecken, bewegen, etwas gehen. Irgendetwas, nur nicht liegen. Zwei Anläufe brauchte er, dann stand er. Noch etwas wackelig, aber bereit sich nach dem versprochenem Essen umzusehen. Laut ihrer Notiz musste der Koch – ah da stand es – auf dem kleinen Tisch in der Mitte des Raumes. Dort fanden sich zwei abgedeckte Sandwiches, so wie eine Karaffe mit Wasser. Seine Hände zitterten als es sich etwas einschenkte und das Glas in die Hand nahm. Schon die wenigen Schritte hatten ihn einiges an Kraft gekostet, genug um sich zu setzen.

Auch sein Hunger hielt sich in Grenzen, selbst wenn das Essen vorzüglich schmeckte. Gerne hätte er das erste Sandwich ganz aufgegessen, doch ähnlich wie mit dem Stehen konnte er nach schon wenigen Bissen nicht mehr. Zusammen mit dem Wasserglas wankte er zurück zum Bett um sich wieder hinzulegen. Eine gewünschte Wanderung um nicht ganz so verspannt zu sein, konnte er nicht machen.
 

Er dachte auch nicht über das Nasenbluten oder seine Vergangenheit nach. Einfach nur den simpelsten Dingen nachgehen, das war sein Ziel.
 

„Du bist wach.“
 

Robert hatte sich gerade hingesetzt, als er die Worte vernahm und sofort wieder senkrecht stand. Das Herz schlug ihm bis zum Hals als er sich umdrehte und in das leicht amüsierte Gesicht seiner Schwester sah. Sie wirkte erschöpft, nicht wie nach einem langen Arbeitstag, sondern mental, als lastete ein Gewicht auf ihren Schultern das er nicht sah. Noch bevor er die Frage stellen konnte winkte sie ab. „Nicht heute.“, „Es scheint wichtig zu sein.“, „Ist es. Morgen.“ So karg ihre Konversationen sein konnten, so viel sagten sie auch aus. Andere mochten, dass nicht sehen, sie schon. Sie verschwand hinter dem Paravent und beendete damit das Gespräch. Nicht das er es nicht hätte wieder aufgreifen können, doch ihre Haltung machte deutlich das es für heute genug war. Während sich Rosalind umzog legte sich Robert wieder hin und schloss die Augen, bis die Matratze etwas einsank, durch ihr Gewicht.
 

„Denk nicht so viel nach.“, seufzte sie und deckte sich zu. „Ich denke in letzter Zeit zu wenig.“, „Betrachte es als Urlaub?“ Ein leises Schnauben verließ seinen Mund, doch es klang wenigstens etwas amüsiert. „Schmerzen?“, „Die üblichen.“, „Mhm …“
 

Manche mochten es nicht verstehen, wenn sie sich an ihren Bruder schmiegte und fast schon glücklich die Augen schloss. Es war seltsam, aber für sie war es der lebende Beweis nicht allein zu sein. War es nicht gleichzeitig auch narzisstisch und egoistisch? Vermutlich, doch nach dem Schrecken heute brauchte sie seine Anwesenheit mehr, als je zuvor. Comstock wurde immer noch verrückter, das bewies er täglich aufs Neue.
 

Es war Robert, der das Licht löschte und sich anschließend ebenso sehr an seine Schwester schmiegte, wie sie an ihn.
 

Niemals würden sie wieder allein sein.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2013-10-30T06:37:57+00:00 30.10.2013 07:37
hmmm, irgendwie dachte ich mir schon im ersten Kapitel, er ist mir sympathischer als sie. sie wirkt so kalt und arrogant.
aber wenn man bedenkt, wie es in der damaligen zeit für eine frau gewesen sein musste, sich wissen und bildung zu erkämlfen, einen stand in der männerwelt.... ist es irgenwie schon verständlich, dass sie viel härter würde, als ihr bruder.
schön auch, wie du beschreibst, wie wichtig es für sie ist, jemanden zu haben, der ihre einsamkeit vertreibt.
sehr schön :)
Antwort von:  Aphelios
30.10.2013 08:08
Danke für die Kommentare :3
Evtl musst du es richtig einstellen bei den Benachrichtigungen?

Jaein, denn das sie keine echten Zwillinge sind wäre auch im RPG viel später aufgekommen. Jetzt hast du dich selbst gespoilert xD

Ist sie auch. Von dem was man im Spiel mitbekommt ist Robert viel sanfter und vor allem moralischer, während Rosalind gar keine Einsicht zeigt. Erst als er sie damit erpresst zu gehen, lenkt sie ein. Irgendwie ist das zwischen ihnen auch eine sehr traurige nebengeschichte und wie Rosalind anmerkt "Am Ende wird alles in Tränen enden".


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