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Cold

von

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Perfekt

Perfekt
 

Fassungslos schaute Alea auf die ihr so bekannte Schrift. Sie spürte, wie die Tränen ihr in die Augen schossen und ihr die Sicht nahmen. Was hatte das zu bedeuten?
 

Sehr geehrte Miss Smith,
 

ich sehe mich außer Stande noch weiterhin für Sie zu arbeiten. Ich danke Ihnen für die Jahre, die ich Ihnen dienen und unter Ihnen lernen durfte und für die viele Zeit, die Sie für mich opferten. Ich weiß, dass ich undankbar und egoistisch bin, wenn ich jetzt gehe, doch mein Verlassen ist persönlicher Natur und würde sich niemals ändern lassen.

Ich bitte Sie um Verzeihung und erflehe Ihren Segen.
 

In Ehrerbietung,

Jack Sullivan
 

Sie konnte es Minuten später noch immer nicht fassen. Er war weg. Meinte er das wirklich ernst? Und was für persönliche Gründe hatte er angesprochen? Er konnte doch nicht einfach gehen! Das ging nicht! Sie hatte ihm nicht die Erlaubnis gegeben, eigenständig zu denken und eigenmächtig Entscheidungen zu treffen, nein, nein, nein, Jack hatte hier vor Ort zu sein, damit sie ganz weit weg sein konnte, ohne sich Sorgen zu machen und er hatte sich um alles hier zu kümmern, weil sie sonst den Kopf verlor und er hatte ihr Bäder einzulassen, weil sie sonst furchtbar unangenehm wurde und er hatte die Herausforderer auszusondern, sonst musste sie sich ja mit den ganzen Deppen herumschlagen und er hatte die Rechnungen zu begleichen, und die Priesterschaften in Schach zu halten und ihren Vater zu bespaßen und … und …

Auf einen Schlag wurde Alea klar, wie abhängig sie von diesem Mann geworden war, ohne es zu merken. Wie stark sie auf seine Unterstützung gebaut hatte und wie sehr sie ihn brauchte. Nicht nur hier vor Ort, wie ihr schlagartig bewusst wurde.
 

Alea war in wenigen Minuten Aufbruchbereit. Sie hatte keine Ahnung, wo sie nach Jack suchen sollte und wusste auch nicht, wo er herkam. Ihr wurde schlecht. Zwei Jahre waren sie nun schon ein Team in der Arena und er wusste alles über sie. Die Größe ihrer Unterwäsche – 38 und D-Cup 90 – ihre Lieblingsmarmelade – Amrenabeerenmarmelade – ihre Lieblingsseide – 77% Seide, 23% Baumwolle – und noch so viele unnütze Sachen mehr, die nur er sich gemerkt hatte. Wie sie ihre Limonade gerne trank – drei Eiswürfel, die Kohlensäure bitte schon abgestanden. Wie viele Haarbänder sie im Durchschnitt besaß – 132. Wie lange sie ungefähr im Bad brauchte, danach beim Frühstück und beim Anziehen und wie viele Schuhe sie besaß. Zu viele, um sie zu zählen. Dass sie niemals gebügelte Kleidung trug und nicht zuließ, dass jemand anderes als die von ihr ausgesuchten Hausmädchen in ihren Privatgemächern putzten und ihre Wäsche machten und dass sie schnelle Musik lieber mochte, als langsame. Dass sie Kassetten nicht ausstehen konnte und Kabel liebte. Dass sie es mochte, ihre Kabel zu kleinen Knubbeln zusammenzurollen und sich jeden Tag darüber freute, dass er sie aufgemacht hatte, damit sie sie wieder zusammenrollen konnte.

Er wusste alles über sie.

Alles.

Und sie nichts.

Nicht einmal, woher er kam, wo er eigentlich gelebt hatte, bevor sie ihn aus seinem Alltag gezerrt hatte – nämlich sicherlich nicht in der SAI, wo er gearbeitet hatte – oder ob er eine Familie hatte. Wenn er eine hatte, hatte Alea sich ihr gegenüber denkbar schlecht verhalten.

So wie ihm gegenüber.
 

„Papa.“ Ihr Vater schaute von seiner Arbeit auf und legte den Kopf schräg, als er ihre Besorgnis wahrnahm. „Ja, Engel? Du siehst erschrocken aus – hast du deine Tage bekommen? Ich habe leider keine Tampons mehr, die letzten habe ich Maddy aus der Forschung geben müssen, vor zwei Tagen. Damit wärt ihr Perioden-Schwestern, ist das nicht aufregend?“

Alea stutzte einen Moment, doch sie war viel zu sehr an die Absonderlichkeiten ihres Vaters – die sich ja auch auf sie ausgeweitet hatten – gewöhnt, als dass sie sich weiter darum kümmerte. Sie schüttelte den Kopf und erwiderte: „Nein, aber ich muss von dir wissen, wo Jack früher gelebt hat.“

„Jack?“, wiederholte Ludwig und runzelte die Stirn. Alea seufzte. „Ja, Jack, Papa. Jack Sullivan. Meine Rechte Hand.“ Ludwig nickte langsam. „Natürlich, Jack. Seine Familie ist eine Ansammlung von hoch dotierten Physikern und Astrologen und sicherlich noch immer hier in Saimin ansässig. Jack ist, soweit ich weiß, der einzige von ihnen, der jemals ein Pokémon angefasst hat. Es ist also fraglich, ob seine Familie so erpicht darauf ist, dass er wieder nach Hause kommt.“ Alea wurde blass. „Ich glaube, sie wohnen in der Nähe der Natur und Technik Universität.“ Ludwig deutete auf die Kaffeemaschine und da Alea dieses Spiel bereits kannte, kochte sie ihm wortlos seinen Kaffee. Überrascht hob ihr Vater die Brauen, sagte jedoch nichts zum Gehorsam seiner Tochter.

„Wie geht es Raphael?“, erkundigte er sich lieber. Alea nickte. „Gut. Er wird übermorgen ankommen.“ Sie setzte ihrem Vater den Kaffee vor und fixierte ihn. „Und vermutlich um meine Hand anhalten, also reiß dich ein bisschen zusammen, ja?“ Ludwig lachte und trank prüfend einen Schluck vom Kaffee, nickte beiläufig, wie, um ihn abzusegnen und sagte dann: „Wenn er mich vorher um die Erlaubnis fragt, ja.“

Alea stöhnte. „Ich bin erwachsen, Ludwig.“ Besagter zuckte mit den Schultern und widmete sich wieder seiner Arbeit, was für seine Tochter ein unweigerliches Zeichen dafür war, dass sie zu gehen hatte. Heute tat sie es widerstandslos und überließ ihrem Vater diesen Punkt. Ihr war es im Moment sowieso viel wichtiger, dass sie Jack fand, denn er war derjenige, der all die Nummern der Hochzeitsplaner hatte raussuchen dürfen, die für Alea in Frage kamen und nun …

Ach, was machte sie sich vor.

Es waren nicht nur die Telefonnummern oder die Verpflichtungen. Es war Freundschaft, die sie antrieb.
 

Alea hielt vor dem beeindruckenden Gebäude inne, das die Türklingel Sullivan trug. Darunter stand in eigentümlicher Schrift Klingeln verboten!, also tat Alea genau das: sie klingelte.

Es rumpelte und krachte hinter der Tür, die schließlich von einer knittrigen, mürrisch dreinschauenden alten Dame geöffnet wurde „WAS?!“, herrschte sie Alea an, die sofort auf Abstand ging. Kühl blickte sie zu der Alten herab und obwohl ihr die Gebote des Großen durch den Kopf schossen, erwiderte sie im Befehlston: „Mein Name ist Alea Smith und ich verlange, Jack Sullivan zu sprechen. Sofort.“ Die Alte musterte sie von oben bis unten und Alea sah sich genötigt, das „Sofort!“ noch einmal drängender zu wiederholen. Grunzend verschwand die Alte und ließ sie auf der Türschwelle stehen. Alea seufzte ihren Ärger heraus und lugte dann neugierig um die Ecke, doch schon wurde ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen.

„NICHT GUCKEN!“, krähte die Alte von Innen und kurz danach war wieder ihre Stimme zu hören. „JACK! BESUCH!“

Alea verstand wirklich nicht, warum Jack aus der reizenden Atmosphäre geflohen war, die hier herrschte.
 

Es vergingen nur wenige Minuten, da stand ein ungekämmter und unrasierter Jack vor ihr, dessen weißes Hemd Kaffeeflecken aufwies und dessen Gürtel nur halb geschlossen war. Seine müden Augen weiteten sich schreckhaft und er straffte sofort seine Haltung, auch wenn das wenig half bei seiner miserablen Verfassung. „M-Miss Smith!“, bekam er mit krächzender Stimme hervor und Alea zog die Augenbrauen verärgert zusammen.

„Was soll das?“, verlangte sie zu wissen und Jack zog die Tür hinter sich eilig zu. „Verzeihung, Miss Smith, ich hatte nicht erwartet, dass Sie hier herkommen und habe vergessen, heute Morgen zu duschen und mich zu rasieren. Die Forschungen meines Vaters halten mich sehr auf Trapp, deshalb-“ Alea unterbrach ihn wirsch. „Ich meine nicht deinen absolut leidigen Aufzug, sondern dein Verschwinden!“

Stille senkte sich über die beiden. Eine sehr unangenehme Stille, während der Jack ihrem Blick auswich und Alea sich immer weiter zu fragen begann, welche persönlichen Gründe dahinter stecken mochten, dass Jack gegangen war. Es war ja wohl kaum die Forschung seines Vaters. Oder?

„Jack?“ Der Blonde zuckte zusammen und seufzte. „Darf ich reinkommen?“, bat Alea mit ungewohnt sanfter Stimme und ihr Assistent nickte geschlagen. Irgendetwas war hier faul und sie musste dem nachgehen.
 

Als sie zur Tür reinkamen, stolperten sie beinahe über die alte Krähe, die Alea mit hasserfüllten Augen musterte. Alea blickte ebenso zurück und als die Alte den Blick abwandte, wusste Alea, dass sie gewonnen hatte und vor ihr nichts mehr zu befürchten hatte. Stolz reckte sie das Haupt und folgte Jack durch die großzügige Eingangshalle in die Küche. Eine Küche, die nicht so aussah, als ob sie wirklich jemand nutzte, genau wie bei ihr. Es überraschte Alea, dass Jack ebenfalls aus guten Verhältnissen kam und einmal mehr kam ihr der Verdacht, dass er mehr Mittel hatte, als sie selbst und theoretisch gar nicht arbeiten bräuchte. Erst recht nicht als ihr Assistent. Warum er es dann trotzdem tat? Hm. Wahrscheinlich aus dem gleichen Grund, weshalb er es jetzt nicht mehr wollte und Alea musste herausfinden, was das war.

Sie setzten sich an die große Tafel und angespannt wartete sie darauf, dass Jack zu reden begann. Es dauerte Minuten, dann sagte er: „Es tut mir leid, wenn du verärgert bist.“ In der Öffentlichkeit und im Job hatte er sie stets Gesiezt. Selbst ab und an im persönlichen Gespräch war er noch in das Sie gerutscht und Alea hatte ihn stets dafür geachtet, so professionell zu sein. Dass er es jetzt nicht tat, stellte einmal mehr klar, dass es keinerlei berufliche Gründe für sein Verschwinden gab, sondern tatsächlich lediglich private.

Das war schlecht.

Berufliche Probleme wie zu wenig Geld, zu viel Verantwortung, zu wenig Achtung hätte Alea ohne weiteres beheben können. Private jedoch … Sie nickte stumm.

„Ich … Ich werde dich jetzt wahrscheinlich überrumpeln und die letzten zwei Jahre völlig zunichtemachen, wenn ich dir meinen Grund für all das hier verrate, deshalb frage ich dich, ob du es wirklich wissen willst.“ Jack wusste die Antwort bereits. Aleas harte blaue Augen lagen unbarmherzig auf ihm – sie würde jeden Preis zahlen, den er verlangte, solange er wiederkam. Er seufzte. „Ich werde nicht wiederkommen“, flüsterte er und wich ihrem Blick aus. Alea erstarrte. „Warum?“

„Weil du heiraten wirst.“

Verwirrt blinzelte Alea ihren Assistenten an und berührte ihn sachte am Unterarm. Alleine diese Berührung ließ ihn zusammenfahren und sie ging wieder auf Abstand, noch verwirrter als zuvor. „Aber das hat doch nichts mit dir zu tun“, versuchte sie ihn zu beruhigen. „Zwischen uns bleibt doch alles beim Alten.“

Der Schmerz, der ihr aus den klaren blauen Augen entgegen stach, ließ sie wissen, dass sie etwas Falsches gesagt hatte. „Genau das wird das Problem sein“, hauchte er, „du wirst dann Raphael haben.“ Und langsam dämmerte es Alea. Ihre Augen weiteten sich und vorsichtig schüttelte sie den Kopf, weil sie nicht glauben konnte, in welchem Umfang Jack sie tatsächlich überrumpeln und alles zunichtemachen würde. Sie hätte nie … Sie HATTE nie … Wie hatte ihr das nicht auffallen können? All die Andeutungen, all die peinlichen Momente, all die geröteten Wangen, all die sehnsüchtigen Blicke, all die geöffneten Lippen, all die dezenten und weniger dezenten Blicke, all die leidenschaftlichen Beteuerungen, all die harte Arbeit, all die Leidenschaft, all die Sehnsucht, all die Liebe.

Liebe.

All die Liebe. Sie hatte sich selbst Jahrelang bemitleidet dafür, dass sie auf einen Mann gewartet hatte, der sie vielleicht gar nicht liebte und das Gleiche jenem wundervollen Menschen angetan, der hier vor ihr saß? Sie stöhnte. „Warum hast du nur nie etwas gesagt?“, rutschte es ihr heraus, ehe sie etwas dagegen hätte tun können und Jack schaute auf den Tisch. „Wie hast du es angestellt?“, fragte er zurück und sie schüttelte den Kopf.

Keine Ahnung. Im Grunde gar nicht. Es war einfach so passiert, zwischen ihr und Raphael, auch wenn in keiner Weise die drei Worte gefallen waren und auch, wenn sie sich noch immer unsicher war, ob das wirklich die Realität war und er wirklich kommen würde.

Wäre sie in der Lage, die drei Worte von sich aus auszusprechen?
 

Sie verstand.

Sanft griff sie nach Jacks Hand und sah ihm fest in die Augen. „Es tut mir leid.“ Jack nickte nur und zog seine Hand zurück. Es musste ihm so wehtun, von ihr berührt zu werden und zu wissen, dass sie niemals ihm gehören würde. Es musste so schmerzen, sie vor Glück strahlen zu sehen, zu wissen, dass er sie für immer an einen anderen Mann verloren hatte. Zu wissen, alles für sie getan zu haben und nicht dafür wiederzubekommen, während dieser Mann nichts getan hatte und alles dafür bekam.

„Bei der Göttin“, stöhnte Alea und schlug sich die Hand vor die Augen. „Ich habe dich all diese Leute anrufen lassen! All diese Besorgungen! Ich … Oh, Jack!“ Ihr wurde bewusst, wie viel Hoffnung in ihm gekeimt sein musste, wie sehr er plötzlich doch daran geglaubt hatte, dass sein Wunsch wahr werden würde und dass sie ihn schlussendlich fragen würde, ob er ihr ganzes Leben bei ihr bleiben würde. Und wie bitter enttäuscht und verletzt er gewesen sein musste, als er erfahren hatte, dass es nicht seine Hochzeit war, die er dort mitplante, sondern die eines anderen Mannes.

Mit der Frau, die er liebte.

Jack lächelte schwach. „Du konntest es nicht wissen“, verteidigte er sie selbst jetzt noch und Alea blickte ihn lange Zeit an. Ach nein? Er schüttelte den Kopf als Antwort auf ihre stumme Frage und lächelte breiter. Noch immer versuchte er alles, um diese Lüge aufrecht zu erhalten und sie zu schützen und es tat Alea alles so leid. So, so leid. Es ließ sich nicht mehr rückgängig machen, nein, aber sie würde es wiedergutmachen. „Ich werde die Hochzeit verschieben. Ich werde kein Wort mehr darüber verlieren und dich nicht mehr miteinbeziehen. Und ich werde bis Raphael hier ist, keinerlei Hoffnung oder übertriebenes Glück versprühen – kommst du dann wieder?“ Sie zog die Augenbauen bittend zusammen und griff wieder nach seiner Hand, drückte sie fest und lehnte sich zu ihm rüber. Flehentlich biss sie sich auf die Unterlippe und sie wusste, dass sie nun mit seinen Gefühlen spielte, doch ein Leben ohne ihn war für sie unvorstellbar und unerträglich.

Jack zögerte. Zögerte lange genug, um Alea hoffen zu lassen und um sie dann bitter zu enttäuschen. „Tut mir leid, Miss. Ich werde Sie schon wieder verärgern …“, murmelte er und stand langsam auf, entzog sich damit nicht nur ihrer Nähe, sondern auch dem Gespräch. Er wich ihrem Blick aus, als er sagte: „Ich bitte Sie, jetzt zu gehen. Mein Vater braucht meine Hilfe…“

Und Alea ging.
 

Rückblickend betrachtet, war sie ungeheuer unverschämt und kalt zu Jack gewesen. Sie hatte immer geahnt, dass da mehr war, als lediglich die Arbeit, die ihn an sie band und sie hatte das ausgenutzt. Unterbewusst, manchmal auch mehr als das. Und das machte sie – so eine kalte Schlampe sie auch war – innerlich fertig.
 

Am nächsten Morgen, war ihr erster Gedanke, dass Jack sie nicht geweckt hatte. Ihr zweiter war, dass er das sicherlich nie wieder tun würde. Und der dritte, das sie ihn anrufen musste.

Doch sie tat es nicht.

Sie war zu stur und zu stolz und glaubte sich in Sicherheit vor ihren eigenen Gefühlen. Sie liebte Raphael und er würde morgen ankommen und …

… in diesem Moment klingelte ihr Headset und sie betätigte den kleinen Knopf an der Seite. „Smith?“, meldete sie sich verschlafen.

„Sweetheart?“ Ihr Herz machte einen noch müden, doch eindeutig freudigen Hüpfer und sie setzte sich kerzengerade im Bett auf. „Darling“, hauchte sie und lächelte leise. „Ein schöner Morgen, von dir geweckt zu werden.“ Raphael am anderen Ende lachte verhalten und sie witterte den Braten.

Etwas stimmte nicht.

Er bestätigte es ihr mit seinen nächsten Worten: „Sorry, Darling, aber ich schaffe es zu morgen nicht.“ Alea stutzte und hielt in der Bewegung inne, die Beine über das Bettende geschlagen, die Bettdecke noch in der Hand. „Was soll das heißen?“, fragte sie schneidend. Raphael erwiderte vorsichtig: „Dass ich dich noch einen Tag länger warten lassen muss. Azuz geht es schlecht und ich kann ihn nicht alleine in der Arena lassen – Tiara ist doch aufgebrochen, das weißt du doch.“ Aleas Hände ballten sich zu Fäusten und ihr Herz krampfte sich zusammen. „Ja“, sagte sie tonlos.

„Dann verstehst du also, warum ich einen Tag später komme?“

„Ja.“

„Gut. Ich wollte dich nur wissen lassen, dass ich es nicht vergessen habe.“ Alea brüllte, tobte, wütete innerlich und das einzige, was ihre Lippen verließ, waren kühle, beherrschte Worte. „Du kannst es aber ruhig vergessen, Raphael.“

„Was?!“

„Ich bin dein Spiel leid. Wenn morgen Azuz dazwischen kommt, ist es übermorgen Tiara und in drei Tagen dann Jahrzei und ehe ich mich versehe, sind wieder acht Jahre ins Land gegangen, in denen ich allein auf dich gewartet habe.“

„Alea, das ist Unsinn, ich..“

Alea schnitt ihm hart und kalt das Wort ab: „Unsinn? Meine Gefühle sind also Unsinn für dich? Du hast mich einmal vor dem Altar sitzenlassen, ein zweites Mal lasse ich es nicht mehr so weit kommen.“ Raphael schwieg eine Weile, dann fragte er: „Wovon redest du, Alea? Ich habe dich nicht sitzenlassen.“ Alea kamen die Tränen, doch sie war noch immer beherrscht. Sie fauchte: „Du erinnerst dich nicht daran, weil du voll bis oben hin warst! Wir waren vor acht Jahren soweit, dass wir heiraten wollten, doch du bist abgehauen. Warum habe ich mich wohl so lange nicht bei dir gemeldet? Warum bin ich dir wohl aus dem Weg gegangen? Oh, Leviathan, gnade dir der Große – ich bin nicht länger gewillt, dir aus dem Weg zu gehen oder mich bei dir zu melden. Das war es.“

„Alea, warte doch!“

„Vergiss es. Du bist es einfach nicht wert, dass ich noch weiter warte!“
 

Und damit war der große Traum von der perfekten Hochzeit, der perfekten Liebe und der perfekten Zukunft geplatzt.

Ludwig hatte Stunde um Stunde mit einer vollkommen aufgelösten Alea zu kämpfen, die kein richtiges Wort zwischen dem Schluchzen hervor bekam und die sich immer wieder aus seinen Armen hervor kämpfte, um wütend zu toben und die gesamte Einrichtung zu zerlegen. Gezielt Bilder, die sie von Raphael hatte oder Andenken, die er ihr geschenkt hatte. Ludwig begann zu verstehen und ließ zu, dass Alea tat, was sie eben tat, wie er es immer getan hatte.

Irgendwann hatte sie sich beruhigt. Sie lag zusammengekrümmt auf dem Bett. Ludwig fuhr ihr über das lange Haar und fragte sanft: „Soll ich ihn für dich beseitigen?“ Verlockendes Angebot, doch Alea schüttelte den Kopf. Er war es nicht wert, er war es einfach nicht wert! Das versuchte sie sich einzureden, die Wahrheit war jedoch, dass sie Raphael zu sehr liebte, als dass sie ihn tot sehen wollte. Ludwig nickte und kraulte ihren Nacken, was sie sofort etwas entspannte. „Kann ich sonst irgendwas für dich tun, Engelchen?“

„Hol Jack“, schniefte sie und Ludwig hielt kurz in der Bewegung inne, ehe er sie weiter streichelte. „Bist du dir sicher? Immerhin…“

„Hol ihn einfach!“ Einer weinenden, trauernden und wütenden Frau wiedersprach man nicht, deshalb beeilte sich Ludwig, den gewünschten Mann zu beschaffen und eine Stunde später, stand er in den privaten Gemächern, in die er sich immer gewünscht hatte: Jack Sullivan. Verwirrt, aber sauber rasiert und geduscht, mit sauberem Hemd und gebügelter Hose. Er brauchte nur Sekunden um zu wissen, was geschehen war, dann setzte er sich vorsichtig neben Alea auf das Bett und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Miss Smith, ich bin da.“
 

Aleas Welt war zusammengebrochen. Die kleine heile Welt, die sie sich aufgebaut hatte, seitdem sie angefangen hatte, Raphael zu lieben, war komplett zerstört. Sie war sich bewusst, wie erbärmlich sie sich verhielt und obwohl ihr Stolz zerschmettert neben ihr auf dem Boden lag und laut nach ihr schrie, war sie nicht in der Lage, ihn wieder zu kitten. Nicht jetzt. Noch nicht.

Sie zuckte zusammen, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Er war da. Jack war da. So, wie er immer da gewesen war.

Ehe sie sich versah, hatte sie sich zu ihm umgerollt und ihren Kopf auf seinen Schoß gebettet, die Augen an seine Seite gepresst, damit er sie nicht weinen sah. Er roch nach einem hölzernen Duschgel und nach Rasierschaum – aber auch nach Schweiß. War er den ganzen Weg zu ihr gerannt? Der rasselnde Atem und das donnernde Herz bestätigten ihre Vermutung und langsam setzte Alea sich auf, die Augen verquollen, das Nachthemd verrutscht, die Haare wirr – so scheußlich, wie Jack sie noch nie in ihrem ganzen Leben gesehen hatte. Aber er lächelte warmherzig. So, wie er immer gelächelt hatte, wenn sie genau dieses Lächeln brauchte, wenn sie eine Schulter brauchte, eine Aufmunterung, irgendetwas, an dem sie sich festhalten konnte. Sie zog den Rotz hoch. „Ich sehe beschissen aus“, bemerkte sie und Jack strich ihr zögern Strähnen aus dem Gesicht. Sie ließ es schweigend zu.

„Unsinn. Sie sehen wie immer bezaubernd aus, Miss Smith.“ Sie schniefte abermals und blinzelte ihn an, gequält. „Du blinzelst immer schneller, wenn du lügst.“ Er lachte und schüttelte den Kopf. „Nein. Heute nicht.“ Und sie begriff, dass er sich das Weinen verkneifen musste und tat es an seiner Stelle. Sie warf sich an seine Brust und hielt sich daran fest, lauschte dem hurtigen Herzschlag und dem stockenden Atem, ließ zu, dass er ihr über den nur spärlich bekleideten Rücken strich und vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter.
 

Er war nicht Raphael. Er würde es nie sein.

Er war etwas viel Besseres, etwas viel Wertvolleres. Er war Jack Sullivan, Assistent, immer da, immer professionell, immer lächelnd. Er würde nicht gehen. Er sah niemals ihren Körper, sondern ihr Herz. Alea schlug die Augen auf und schaute zu ihm, verrenkte sich und küsste ihn.

Es war ein Versprechen, so überraschend für ihn, wie für sie selbst.

Es war ein Versprechen, dass ab jetzt alles anders werden würde. Besser. Bezaubernd. Perfekt.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Luthien-Tasartir
2017-10-04T22:33:04+00:00 05.10.2017 00:33
Gosh, wieso hab ich eigentlich nie was zu dem OS geschrieben?
Eigentlich war ich ja gerade auf der Suche nach ner anderen FF von dir... Stattdessen schwelge ich jetzt in wieder erwecktem Fangirldasein. Himmel, es ist so verdammt goldig!!! ;//////;


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