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Leben und nicht Leben lassen

von

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Rios Arme glänzten vom Schweiß, als er nun schon die 5. Barrikade zwischen den Bäumen hervor schleppte. Zum Glück tatkräftig unterstützt von mehreren jungen Männern. Er sah Eleonore ankommen, gefolgt von den Magiern. Zwar ärgerte er sich kurz darüber, dass sie ihren Pflichten nicht ordentlich nachkam und lieber mit Flynn zusammen Bücher in das Schloss trug, aber wie hätte er ihr böse sein können, so glücklich wie sie in diesem Moment lächelte?

Kurz überkam ihn die Erinnerung an seine eigene Frau. Sie starb vor 17 Jahren, bei einem Angriff der Haremar. Als Eleonore geboren wurde, war er das erste Mal wieder glücklich. Auch sie hatte sich Momente des Glückes verdient.

„Wie sieht es aus Rio?“, fragte plötzlich Tahir, welcher soeben wieder eingeritten war und sein geschecktes Pferd direkt neben ihm zum Halten brachte.

„Nun, uns fehlte die Vorbereitungszeit, aber wir werden es schaffen. Die Orte sind so gut wie leer und Rarango ließ mir sagen, dass auch die Feldarbeiter gewarnt sind.“ Tahir nickte bedächtig und schaute sorgenvoll auf das Schloss.

„Gut gut…was denkst du Rio, werden sie nun immer früher kommen?“ Rio seufzte schwer und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Ich weiß es nicht. Und hoffe es noch weniger.“ Kurz schwiegen beide, dann trieb Tahir sein Pferd wieder an und Rio machte sich wieder an die Arbeit. Die Männer wussten, dass es im Augenblick nichts brachte darüber nachzudenken.

Da kam Eleonore zurück aus dem Schloss gerannt und rief jeden herbei, der in der Lage war ein Schwert gerade zu halten. Viele ihrer Krieger waren erst seit kurzem in der Ausbildung. Diese begann für die Kinder der Farmleute mit dem 11. Lebensjahr. Normalerweise trainierte eine Gruppe zweimal in der Woche, doch die besonders engagierten Jungen und Mädchen setzten ihr Training selbstständig nach der täglichen Arbeit fort. Wirklich für den Kampf gegen die Haremar eingeteilt wurden sie erst, sobald sie 15 waren. Eleonore war selbstverständlich eine Ausnahme, da sie, seit sie 3 Jahre alt war, jeden Tag ihres Lebens damit verbracht hatte zu lernen wie man kämpfte. Sie strahlte volle Entschlossenheit und Kampfeswillen aus, als sie ihre Männer um das Schloss verteilte und die Jüngeren in ihre Aufgaben einwies. Immer wieder fasste sie bei den Befestigungen mit an und war schließlich ebenso in Schweiß gebadet wie Rio. Am späten Nachmittag schließlich, waren alle, soweit es eben ging, auf ihren Plätzen und instruiert.

Eleonore schob sich eine Haarsträhne von der Stirn und lehnte sich gegen die Steinwand des Schlosses. Sie hoffte, dass ihre Männer noch genug Energie zum Kämpfen hatten. Als die Haremar das letzte mal zu früh gekommen waren, war sie gerade 14 Jahre alt. Sie konnte sich noch ganz genau daran erinnern, denn damals wurde gerade von ihren Eltern darüber diskutiert, ob sie bereits jetzt verheiratet werden sollte. Das frühe Auftauchen der Haremar hatte dem ein Ende gesetzt, da niemand wusste, ob sie nun immer unregelmäßig kommen würden. Doch danach waren sie wieder in ihren halbjährlichen Rhythmus verfallen.

Damals hatten sie die Barrikaden auch so überstürzt aufbauen müssen. Sie hatte zu dem Zeitpunkt noch nicht so eine Verantwortung für die Truppe, doch schon damals war ihr aufgefallen wie wenig Kampfeswillen die Männer nach so einem langen Tag noch hatten. Und wie viele von ihnen damals starben. Eleonore schüttelte unwillig den Kopf. Sie waren auf sie vorbereitet, sie würden überleben, sie würden das Schloss verteidigen.

Langsam entfernte sie sich von der Mauer und blickte die Barrikaden prüfend an. Dann drehte sie sich um und ihr Blick wanderte nach oben auf den Wehrgang. Auch da hatten sich Bogenschützen versammelt, aber vor allem waren es Magier die sich dort tummelten. Eleonore sah ihnen dabei zu, wie sie ihre eigenen Vorbereitungen trafen.

Magie war eine höchst komplizierte Angelegenheit. Sie war nicht nur von einem sehr starken Willen abhängig, sondern auch von Konzentration und Vorbereitung. Ein wichtiger Bestandteil war natürlich der Stein. Die jüngeren Schüler trugen sie um den Hals direkt auf der Haut, solange, bis sie sich ohne eine direkte Berührung komplett auf ihn fokussieren konnten. Dann durften sie ihn in einem Beutel an ihrem Gürtel mit sich herum tragen. Aber erst wenn sie vollkommen sicher darin waren wie ihr Stein beschaffen war, wie schwer er war, aussah, dann war es ihnen erlaubt sich einen Stab aus einem Ast, oder einer Baumwurzel zu schnitzen und ihren Stein darin zu befestigen. Dies galt als hohe Ehre und manche Magier erreichten diese Stufe nie. Große Erfolge konnten sie natürlich trotzdem erzielen, wie man an Flynn sah.

Es kam darauf an, der Wirklichkeit seinen Willen aufzuzwingen. Flammen entstanden nicht einfach von sich aus in der Luft, ebenso wenig wie Funkenschauer, oder bunte Katzen. Man brauchte eine genaue Vorstellung von dem, was man erschaffen oder erreichen wollte. Natürlich konnten auch andere solch eine Vorstellung entwickeln, doch erst der Stein setzte diese in die Realität um. Die Schwierigkeit bestand nun also darin sich sowohl auf den Zauber, als auch auf den Stein zu konzentrieren und das ohne sich von irgendetwas ablenken zu lassen. Es war schwer und sehr mühsam. Zudem bedurfte es einer genauen Absprache, wenn viele Magier auf einmal zauberten. Denn wenn ein Magier das Gegenteil von dem zaubern wollte, was ein anderer gerade tat, dann hoben sich beide gegenseitig auf und gar nichts passierte. So wurden die Magier oben in verschiedene Gruppen aufgeteilt, um nicht ein heilloses Durcheinander auszulösen. Eleonore versuchte einen Blick auf Flynn zu erhaschen, doch sie konnte ihn zwischen all den Menschen nicht erkennen.

„Eleonore! Komm zu mir!“ Erschrocken, als hätte man sie bei etwas verbotenem ertappt, drehte sie sich um und sah ihren Vater nach ihr winken. Schnell lief sie zu ihm. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und sah sie ernst an.

„Mein liebes Kind. Dieser Tag war nicht leicht für dich, für keinen von uns. Ich weiß, dass du trotzdem tapfer sein wirst. Aber versprich mir auch auf dich aufzupassen, bring dich in Sicherheit, wenn es zu gefährlich wird. Du bist die Erbin, die zukünftige Herrin. Denk immer daran!“ Seine Finger gruben sich inzwischen so sehr in ihre Schulter, dass es wehtat, doch Eleonore verzog keine Miene und nickte ernst. Diese Ansprache machte er jedes Mal, wenn sich die Haremar näherten. Aus gutem Grund. Es gab in jedem Gebiet immer nur einen Erben. Mehrere hatten in der Vergangenheit immer zu Intrigen geführt und Leid und Kriege verursacht. Wozu sich das Leben noch schwerer machen, als es sowieso schon ist? Sie würde vorsichtig sein, aber auch kein Feigling.

Er gab sich damit zufrieden, klopfte ihr noch einmal auf die Schulter und ging dann wieder auf die andere Seite des Schlosses. Als er aus ihrem Blickfeld verschwunden war, schaute sie wieder nach oben. Flynn konnte sie immer noch nicht entdecken. Da wurde das anhaltende Vibrieren des Bodens, an welches sie sich schon so gewöhnt hatte, dass sie es kaum noch war nahm, plötzlich um ein vielfaches heftiger. Sofort drehte sie sich um und ihr Blick glitt zum Wald.

„Es geht los“, sagte Rio, der neben sie getreten war.

„Ja. Oh verdammt, das wird heftig!“ Eleonore spürte dieselbe Beklommenheit in ihrer Magengegend wie kurz vor ihrer Hochzeit.

„Es wird schon gut gehen.“ Rio versuchte zuversichtlich zu klingen. Eleonore nickte nur und starrte weiter die Baumwipfel an. Sie sah die Blätter erzittern. Zu dem Vibrieren kam nun noch ein regelmäßiges Stampfen dazu. Ihr Herz begann im Gleichklang mit dem Stampfen zu schlagen.



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