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Leben und nicht Leben lassen

von

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Das Innere des Schlosses war noch dunkler als seine Außenmauern und so kalt, dass Eleonore am ganzen Körper Gänsehaut bekam. Sie wusste nicht genau warum sie für diese Hochzeit nur dieses dünne Seidenkleid anziehen musste. Ihre Mutter hatte etwas von alten Traditionen und der besonderen Feierlichkeit erzählt, doch sie war zu diesem Zeitpunkt zu aufgeregt, um richtig hinzuhören.

Dabei war das Ganze nicht einmal eine Überraschung. Das Abkommen war seit ihrer Geburt getroffen worden. Die einzige Möglichkeit es aufzulösen wäre der Tod von ihr, oder ihrem zukünftigen Ehemann. Diesem war sie dank ihrer guten Ausbildung und dem relativen Wohlstand ihrer Familie niemals nah genug gekommen. Und nun war der Zeitpunkt da die Vereinbarung einzuhalten.

Die Familie ihres Bräutigams lebte etwa 3 Tagesreisen zu Pferde entfernt, allerdings hatten sie nicht das Glück ein Schloss auf ihrem Gebiet ihr eigen nennen zu dürfen, sie hatten sich in uralten Höhlen und Minenschächten nieder gelassen. Natürlich versprachen diese eine relative Sicherheit, doch wie alle Menschen waren sie darauf aus, ihre Situation stetig zu verbessern. So hatte der Großvater ihres Zukünftigen begonnen, die Felder und das Vieh der Bauern ihrer Nachbarn zu überfallen. Sie plünderten nicht nur, sondern brannten auch vieles nieder, machten Brunnen und Land unbrauchbar. Die Zeit der Haremar stand kurz bevor und Eleonores Großvater konnte es sich nicht erlauben seine Schutzbefohlenen in einen zermürbenden Krieg zu führen. So schickte er nur einen einzigen Boten, mit einem Vorschlag. Ein Bündnis zwischen beiden Herrscherfamilien. Besiegelt mit der Heirat ihrer zukünftigen Kinder. Es war ein kriecherischer, wenig glorreicher Vorschlag, doch leider auch der Vernünftigste der gemacht werden konnte, um so viele Leben wie nur möglich zu retten. Sowohl seine Frau, als auch die des Gegners waren zu diesem Zeitpunkt schwanger. Der Vorschlag wurde angenommen und die Geburt der Kinder mit Spannung erwartet.

Leider brachte ihre Großmutter und auch die Großmutter ihres Versprochenen einen Jungen zur Welt, was Erleichterung auf der einen Seite und Zorn und Enttäuschung auf der anderen auslöste. Denn dies war die einzige Bedingung ihres Großvaters gewesen, eine Heirat.

Erst in der nächsten Generation wurden es ein Junge und ein Mädchen. Eleonores Vater hatte ihr gesagt, dass ihr Großvater auf so etwas spekuliert hatte, allerdings war seine Hoffnung, dass es noch länger solch eine Gleichheit gegeben hätte umsonst gewesen.

Nun musste Eleonore dafür bezahlen, dass es Frieden gab. Beide Familien würden nach der Hochzeit in diesem Schloss leben, die Höhlen würden den Arbeitern überlassen werden und ihr Vater würde sich nun mit der Verwaltung und dem Schutz zweier Gebiete herumplagen müssen. Doch zumindest, gab es nicht mehr Krieg als notwendig.

Sie war nun 16 Jahre alt, länger hatte ihr Vater die Hochzeit nicht hinaus schieben können und bis vor zwei Wochen hatte sie den Gedanken daran, dass es bald soweit sein würde recht erfolgreich verdrängen können. Ablenkungen gab es mehr als genug. Das Training im Schwertkampf, der Bogenschießunterricht, die Angriffe der Haremar, das Helfen in der Küche, auf den Feldern, bei der Viehzucht und natürlich die Ausritte mit Rio und Flynn.

Flynn. Das Herz wurde ihr so schwer, dass sie kaum noch aufrecht gehen konnte. Sie versuchte die Gedanken an ihn weit weg zu schieben, doch wie immer scheiterte sie daran kläglich. Glücklicherweise kam in diesem Moment ihre Mutter um eine Ecke der weitläufigen Flure geeilt. Ihr Gesicht glühte vor Aufregung und sie wirkte sehr erleichtert, als sie Eleonore sah.

„Kind! Da bist du ja! Alles wartet nur auf dich. Nun komm endlich!“ Sie nahm ihre Hand und zog sie mit sich. Eleonore war, als würde ihre Mutter noch leise flüstern: „Umso schneller haben wir beide es hinter uns.“ Sie senkte ergeben ihren Kopf. Natürlich, wozu es noch länger hinaus zögern? Vielleicht sah sie alles zu schwarz. Warum sollte ihr Leben dadurch so viel schlechter werden?

Krampfhaft versuchte sie ihr rasendes Herz mit diesen Gedanken zu beruhigen.

Ihre Mutter stieß die massive Holztür des größten Saales auf. Er war nur spärlich mit Blumen und Blättern geschmückt, doch Eleonore kam er feierlicher vor als jemals zuvor.

Auf einem Tisch standen verschiedene Speisen, sogar ein ganzes Schwein hatte man für heute aufgetragen. Davor, in einer kleinen Gruppe, standen ihr Vater, ihre Großmutter, ihr Bräutigam, sowie seine Eltern. Scheinbar waren sie bis eben noch in eine angeregte Unterhaltung vertieft. Bei ihrem Erscheinen verstummten sie sofort und blickten erwartungsvoll zu ihr. Eleonore strich ihr Kleid glatt, straffte erneut die Schultern und lief mit erhobenem Haupt auf die Gruppe zu, gefolgt von ihrer Mutter. Ihr Vater schlang den Arm um ihre Schultern und zog sie nah an sich ran. Mit seiner üblichen lauten und überschwänglichen Art, stellte er ihr ihre baldigen Schwiegereltern und deren Sohn vor. Zwar hatte sie alle drei schon am Abend zuvor bei ihrer Ankunft gesehen, doch war dort kaum Zeit gewesen sie näher zu betrachten, oder auch nur ein Wort mit ihnen zu wechseln. Eleonore versuchte so gut es ihr möglich war zu lächeln. Sie reichte ihrem Schwiegervater die Hand, ein hochgewachsener, noch sehr junger Mann, mit schwarzen Haaren und dunklen Augen. Als er sie ergriff, verrutschte sein Ärmel etwas, und zeigte den Ansatz einer langen Narbe. Scheinbar war er ein richtiger Kämpfer. Ihre Schwiegermutter war sein genaues Gegenteil, klein, mit kurzen, blonden Haaren. In ihrem Gesicht lag kein Zeichen von besonderer Intelligenz, aber ihr Lächeln wirkte echt und ihr Händedruck war warm und herzlich. Nun blieb nur noch der Sohn. Er war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, jedoch etwas kleiner. Nicht unattraktiv, auf den ersten Blick. Doch Eleonore lief es kalt den Rücken hinunter, als sie in seine Augen blickte. Arrogant und kalt schauten sie auf sie herab. Scheinbar hatte er nur Verachtung für seine Braut übrig. Nach dem kurzen Händeschütteln wischte er sich sogar die Hand an seinem Mantel ab und schaute geringschätzig in der Halle herum. Niemand schien es zu bemerken. Niemand außer Eleonore, die sich fühlte, als hätte ihr Herz aufgehört zu schlagen.

„Nun, wollen wir dann endlich anfangen?“, brummte der Vater dieses von der Situation nicht sehr begeisterten jungen Mannes.

„Aber ja, natürlich. Kommt ihr beiden. Wir wollen Rarango nicht weiter warten lassen.“ Ihr Vater nahm ihren Arm und führte sie auf die kleine Empore zu, auf welcher Bereits Rarango, der stärkste Magier ihres Gebietes stand und mit seinen alten Augen zwar müde, aber aufmerksam alle musterte. Seine Lippen waren zusammengekniffen und seine grauen, buschigen Augenbrauen gerunzelt. Scheinbar war er mit dieser ganzen Sache ebenso wenig einverstanden wie Eleonore. Sofort fühlte sie sich ein wenig besser. Sie war nicht ganz allein mit ihrem Kummer und nicht nur Rio hielt zu ihr. Doch, das Gefühl verflog, als ihr Zukünftiger sich neben sie stellte. Sie wusste was nun kam, hatte die letzten zwei Wochen an nichts anderes mehr denken können. Rarango würde eine Rede halten, irgendetwas über die Wichtigkeit dieser Verbindung, würde betonen welche Vorteile es hätte, wenn wir unsere Gebiete zusammen gegen unsere Feinde verteidigen würden. Dann würde er seinen Stab heben, eine knorrige alte Wurzel, an dessen Spitze sein Magie-Stein saß und ihn über sie beide schwingen. Ihre Mutter hatte ihr erzählt, danach würden goldene Funken um sie herum fliegen und damit sei der Bund für immer geschlossen. Bei dem Gedanken wurde ihr erneut schlecht.

„Namik, Herr des Höhlenschutzgebietes und Marian, Herrin des Höhlenschutzgebietes, euer Sohn Nicodemo, wird heute wie auch ihr ein Teil unserer Familie. Tahir, Herr des Schlossschutzgebietes und Elisa, Herrin des Schlossschutzgebietes, eure Tochter Eleonore wird heute ihr Schicksal erfüllen.“ Eleonore merkte, dass Rarango seine Worte sehr bewusst gewählt hatte. Vermutlich ahnte er besser, als sie dachte, wie sie sich fühlte und welch riesige Belastung dies für sie war und vermutlich auch, dass sie ihr Herz an einen seiner Schüler verloren hatte.

„Was ist das für ein Geräusch?“, fragte plötzlich ihre Mutter und zerrte sie damit aus ihren Gedanken. Einen kleinen Moment lang fürchtete Eleonore, ihr Herz würde inzwischen so laut schlagen, dass alle um sie herum es hören konnten, doch dann bemerkte auch sie es, eine Art klappern. Sie sah sich um und horchte angestrengt, es kam von dem mit Essen beladenen Tisch. Die Teller und Becher und die große Platte auf der das Schwein lag, wackelten und erzeugten dadurch das Klappern. Dann spürte auch sie es durch die Sohlen ihrer Lederschuhe. Der Boden vibrierte.

„Die Haremar“, flüsterte ihr Vater.



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