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Bullum Solare

von

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Ein Tag im Leben der Akane Tayo

Die Nacht war schon längst hereingebrochen, als in einer einsamen Gasse Tokios eine junge Frau laut schrie und zur gleichen Zeit eine andere junge Frau von einem hysterischen Signal aus dem Schlaf gerissen wurde.

Es lief immer nach demselben Schema ab: Ein Opfer wurde attackiert, ihr Amulett machte eigenwillige Piepsgeräusche, sie verwandelte sich, wurde teleportiert, inzwischen wurde dem Opfer die halbe Lebensenergie geraubt, sie tauchte auf, kämpfte entweder mit dem Angreifer selber oder einem Monster, Züchtungen genannt, das so hässlich war, dass man sich übergeben möchte, sie brachte es um und zuletzt betete sie, dass das Opfer überlebt hatte. Neuerdings war nur anders, dass sie eine Skimaske mitnahm, damit, falls wie schon zweimal passiert, die Sailorkriegerinnen auftauchen würden, man ihr Gesicht nicht sehen konnte.

Sailor Sun kam am Tatort an – wieder bei dem Gebäude, in welchem Mamoru Chiba wohnte – , als die grünhäutige Frau mit den Schlangenhaaren ein Mädchen, das nicht älter als die Kriegerin war, an den Haaren zerrte. Das Mädchen schrie und an der Verfärbung der Haut ins Graue erkannte man, wie ihr jede Sekunde mehr und mehr ihrer Lebensenergie über die Haarwurzeln ausgesaugt wurde. Ihre Falten kamen allerdings wohl daher, dass sie eine Drogensüchtige war.

„Lichtpeitsche, sieg!“, rief Sailor Sun und Geißel schlug gegen die Hand der Frau mit den Schlangenhaaren. Sie ließ die Haare des Mädchens los, die hart zu Boden fiel. Vor einigen Jahren hätte Sailor Sun noch versucht dem Opfer einen weichen Fall zu ermöglichen, nun gab sie sich lieber Mühe, die hässliche Frau zu erwischen. Die Geißel schwang sich um deren Handgelenk, Sailor Sun zog fest daran, die Frau mit den Schlangenhaaren fiel nieder.

Sailor Sun gefiel das Ergebnis nicht, eigentlich hatte sie auf den Hals der Schlangenhaarefrau gezielt. Auch nach Jahren Praxis war nicht jeder Wurf ein Treffer. Sie hasste das.

„Duuu...“, knurrte die Frau, als ob sie sich schon lange kennen würde, dabei war das erst die zweite Auseinandersetzung. Sailor Sun kannte noch nicht mal ihren Namen, aber wohl würde sie nichts falsch machen, sie „Medusa“ zu nennen, obwohl sie das schon bei der letzten Lakeiin gemacht hatte. Wohl ihre Schwester. Oder Mutter. Oder Tochter. Jedenfalls war die alte Medusa dümmer gewesen, als die momentane Gegnerin.

„Licht...“ Doch sie konnte den Zauberspruch (oder wie auch immer sie das nennen sollte) nicht zu Ende sprechen, Medusa war schneller. Sailor Sun spürte zahlreiche Volt durch ihren Körper strömen, doch mehr vor Schreck als vor Schmerz ließ sie die Peitsche los – obwohl das Kostüm, das sie trug, viel knapper war, als das, was sie privat trug, machte es ihren Körper robuster. Jedoch konnte es nicht den Schock mindern, als irgendetwas, was sich wie ein kräftiger Windstoß anfühlte, aber wohl keiner war, sie nach hinten schleuderte. Sailor Sun wurde von einer Straßenlampe gebremst, an der sie sich den Kopf anschlug.

Wider Erwarten war Medusa nicht auf eine weitere kämpferische Auseinandersetzung aus. „Wir sehen uns wieder!“, verabschiedete sich. Eine Druckwelle zwang Sailor Sun in die Knie und Medusa verschwand durch eine Art Riss in der Dimension, wie die Feinde immer zu nutzen pflegten. An ihrer Stelle erschien eine Kreatur mit den Körper eines Menschen, der Behaarung einer Ratte und Spritzen an allen möglichen Stellen des Körpers. Hässlich, aber Sailor Sun hatte schon schlimmeres geschehen.

Die Kreaturen waren leicht zu besiegen und dienten wohl nur, dass Feinde vom Kaliber des Weibes mit den Schlangehaaren verschwinden konnten. Warum einige regelmäßig verschwanden, hatte Sailor Sun noch nie wirklich durchschaut. Entweder waren sie als Schergen für ihre Auftraggeber zu wichtig oder wussten, dass sie Sailor Sun unterlegen waren. Beides schien ihr plausibel.

Die Spritzen-Kreatur stieß einen Schrei aus. In diesem Moment fiel Sailor Sun ein, dass die Kreaturen nur leicht zu besiegen waren, wenn sie ihre Waffe hatte – das Monster stand auf der Peitsche.

Wohl weglocken. Sailor Sun rannte los und wurde von einer Art Energiestrahl, dessen Nähe schon auf der Haut brannte. Leider musste sie feststellen, dass das Monster sich nicht vom Fleck bewegte, sondern seinen Kopf und Oberkörper in alle beliebigen Richtungen drehen konnte. Das machte die Beschaffung der Peitsche ein wenig schwieriger.

Nicht nachdenken, nur handeln. Sailor Sun rannte im Zickzack auf das Monster zu – worauf man sich verlassen konnte war, dass die Monster nie sonderlich intelligent waren. Die Kreatur konnte kaum kalkulieren, wohin Sailor Sun laufen würde. Bloß einmal kam sie dem Energiestrahl gefährlich nah, sodass eine kleine Brandwunde auf ihrem Oberarm bleiben würde.

Sailor Sun schlüpfte durch die gespreizten Beine der Kreatur und ergriff die Geißel. Aufheben konnte sie die Waffe jedoch nicht – die Kreatur hatte noch immer ihren Fuß darauf gestellt und war zu schwer um nur von zwei Mädchenarmen umgestoßen werden zu können. Leider ahnte sie das nicht. Sailor Sun trat gegen den Rücken der Kreatur, die noch gar nicht gemerkt hatte, wohin sie verschwunden war, doch nun auf die Kriegerin aufmerksam wurde. Sailor Sun starrte plötzlich in das aufgerissene Maul der des Ungeheuers, das gleich einen Energiestrahl speien würde.

„Lichtpeitsche, sieg!“, sprach sie hastig.

Ihre Waffe war schneller als das Wesen, und dass die Kreatur auf der Geißel stand, hatte seine Vorteile. Sofort begann es zu brennen und schrie, während des sich in eine Häufchen Asche verwandelte.

Sailor Sun keuchte. So robust ihr Körper in dem Kostüm auch war, so konnte es nicht verhindern, dass ihr Herz raste. Auch nach Jahre langer Tätigkeit konnte sie eine gewisse Angst nicht abschalten, die sich in Keuchen, Schwitzen und heftigem Herzklopfen äußerte. Summa summarum musste man aber sagen, dass der Job recht einfach gewesen war.

„Und dafür bin ich wieder einmal aus dem Bett gejagt worden...“ knurrte sie.

Sailor Sun trat zu dem Mädchen. Sie war bewusstlos, atmete jedoch noch. Ihr Puls war schwach, doch das konnte auch von den Drogen gekommen sein, deren Konsum eine frische Einstichnadel am Handgelenk verriet. Sailor Sun freute sich immer über solche Opfer – da musste man sich keine Gedanken machen über die Verwunderung, warum jemand auf dem Straßenrand ohnmächtig war.

Trotz ihrer Drogensucht hatte sich das Mädchen eine schicke Armbanduhr leisten können. Sailor Sun überlegte sich, diese als Gegenleistung an sich zu nehmen – das machte sie nämlich viel zu selten. Doch dann fiel ihr Blick auf das Ziffernblatt. Die Armbanduhr verriet eine Uhrzeit von 2:53.

„Dreck...“ fauchte sie und beschloss die Dame mit ihrem Koma alleine zu lassen. Wenn sie noch etwas Schlaf bis zum Weckerklingeln um 6:30 haben wollte, sollte sie sich beeilen, nach Hause aufzubrechen.
 

Als der Weckruf sie brutal aus einem abstrakten Traum riss, hatte Akane kaum drei Stunden geschlafen. Diese fühlten sich jedoch wie nur fünf Minuten an. Ihr Körper schien eine Tonne zu wiegen, das Aufrichten war ihr schon lange nicht mehr so schwer gefallen. Sie überlegte, ihre Vorlesung zu schwänzen, entschied sich aber dagegen, da sie direkt danach mit dieser Ami Mizuno zur Projektbesprechung verabredet war. Eineinhalb Stunden mehr oder weniger Schlaf machten für sie keinen großen Unterschied. Und falls sie es gar nicht mehr ertragen sollte, konnte sie noch immer während der Vorlesung ein kurzes Nickerchen machen... oder während der Projektbesprechung. Sowie sie Mizuno einschätze, würde die Hochbegabte das ganze Projekt eh an sich reißen.

Akane schleppte sich ins Badezimmer. In ihrem Schädel hämmerten Schmerzen, wobei sie nicht unterscheiden konnte, ob diese aufgrund des Schlafmangels oder dem Schlag auf den Kopf von heute Nacht hervorgerufen wurden. Im Prinzip war dies auch egal, solange es keine Gehirnerschütterung war.

Im Bad erschrak Akane vor ihrem eigenen Spiegelbild. Seit vier Tagen nicht mehr gewaschene, verfettete Haare, Augenringe, Falten auf der Stirn, viele kleine Unreinheiten auf der Haut, ihr Nasenpiercing war leicht entzündet. Sie hatte sich damit abgefunden keine Schönheit zu sein, doch wie eine alte Schabracke zu wirken, war sogar ihr zu viel. Ausnahmsweise trug sie ein wenig Make-Up und Maskara auf. Wenn man sich allerdings nicht schminken kann, bringen solche Hilfsmittel auch nichts.

Sie seufzte. Anblicke wie dieser zwangen sie dazu einen inneren Monolog durchzuspielen:

Mein Name ist Akane Tayo. Ich bin zwanzig Jahre alt und studiere im zweiten Semester an der Todai-Uni Informatik. Mein Aufnahmeprüfungsergebnis gehört zu den besten 70, was allerdings weniger an meiner Intelligenz liegt, als an Konsequenz und Fleiß. Dass ich ein gewissenhaftes Arbeitstier bin, traut man mir allerdings aufgrund mehrerer Piercings an Nase, Augenbrauen und Ohr, sowie eines Komodowaran-Tattoos am Unterarm nicht zu. Geboren bin ich in Osaka, mein Vater ist Pianist in Russland, meine Mutter eine tote Biochemikerin, die mit einem Patent für einen Enegerydrink ohne Taurin Millionen verdient hat. Ich habe mehrere reptilische Haustiere, die alle keinen Namen haben, und stehe auf Science Fiction. Meine Lieblingsband ist AC/DC. Seit drei Jahren wohne ich zusammen mit meiner elf Jahre älteren Schwester Rika in Tokio. Rika hält sich für eine Künstlerin, unterrichtet an einer Kunsthochschule und ist Eigentümerin einer Galerie, in der ich oft unbezahlt Wachhund spiele. Das ganze wäre halbwegs erträglich, wäre ich nicht vor acht Jahren in einen intergalaktischen Rachefeldzug des Ex-Kaisers eines zerstörten Imperiums auf der Sonne hineingezogen worden. Der Gute hat im Sinn, die so genannten Sailorkriegerinnen, Nachkommen von irgendwelchen adeligen Weibern, wegen denen er aus dubiosen Gründen angepisst ist, umzubringen. Meine Aufgabe ist es – idiotischerweise – selbst als Sailorkriegerin namens Sailor Sun diesen Freak und seine Mannschaft aufzuhalten, die wahllos irgendwelche Frauen angreifen, um die Gesuchten zu finden. Mein Name „Sun“ kommt daher, dass ich offensichtlich meine Superkräfte aus derselben Quelle wie mein Gegner beziehe – diese Quelle wollen sie neben der Vernichtung der Sailorweiber ebenso zurück, sogar noch inbrünstiger, wie es mir manchmal vorkommt. Von meiner zweiten Identität darf niemand wissen, sicherheitshalber entblöße ich mich auch vor den Hauptangriffzielen des angefressenen Ex-Kaisers nicht; sind nämlich ziemlich dämliche Puten, auch wenn sie mir langsam auf die Schliche zu kommen scheinen. Verdanken habe ich den ganzen Dreck einem fetten Leguan.

Jeden Morgen ging sie den inneren Monolog durch, um sich ihrer skurrilen Identität bewusst zu werden, würde sich aber dennoch noch immer gerne in die Irrenanstalt sperren lassen. Zahlreiche Narben, ein eigenartiges Amulett und der fette Leguan in ihrem Zimmer, der so intelligent war wie ein Mensch, aber nicht sprechen konnte, ließen Akane noch immer nicht ganz glauben, eine Art Superheldin zu sein, wie sie aus zahlreichen Mangas und amerikanischen Comics kannte. Sie erwartete jeden Moment aufzuwachen, wieder zwölf Jahre alt, lebend in Osaka und mit vielen engen Freunden – letzteres hatte sie seit ihrem Umzug nicht mehr gehabt, was die Schuld ihres Superhelden-Jobs war.

Nach dem Zähneputzen und Anziehen setzte sich Akane auf ihr Bett. Die Uhr verriet, dass sie trödelte. Wenn sie sich nicht bald überwand und in die Uni aufbrach, hätte sie gleich liegen bleiben und schwänzen können.

Warum müssen diese Dreckskerle in letzter Zeit immer nachtaktiv sein?, fragte sie sich und Akane massierte ihre Schläfen.

Der fette Leguan schlief noch in seinem Terrarium. Sollte sie das wirklich auf sich sitzen lassen?

„Du kommst mit!“, fauchte sie, packte das Tier am Hals und zog es aus dem Terrarium. Der fette Leguan zappelte und schnalzte hysterisch mit der Zunge.

„Jetzt hör auf mich zu beschimpfen. Von einem, der den ganzen Tag pennt, kann ich mal ’n bissl Solidarität erwarten.“

Der fette Leguan protestierte weiter. Akane ignorierte dies und legte ihn über die Schulter. „Immerhin gibt’s jetzt gutes Fressi, Fetti. Ich hab noch Pancakes von gestern übrig.“ Das beruhigte den Leguan ein wenig.

Akanes Zimmer befand sich im zweiten Stock des Einfamilienhauses, auf dem drei Hypotheken lagen. Als sie die Treppen hinunter in die Küche ging, hörte sie die Geräusche aneinander schlagender Töpfe und Teller, sowie fluchendes Gemurmel. Es war Rika, die gerade mit dem Gasherd kämpfte. Akane glaubte zu träumen – seit wann kochte ihre Schwester? Beziehungsweise, seit wann versuchte sie nachzudenken? Beides war im Moment jedenfalls sichtlich zum Scheitern verurteilt.

„Das wird nix, wenn du den Topf auf die falsche Herdplatte stellst.“

Rika warf Akane einen wütenden Blick über die Schultern zu. „Halt’s Maul, Klugscheißerin.“

Akane überhörte die Beleidigung. „Seit wann bist’n du vor elf auf?“

Rika drehte den Gasherd ab und überhörte Akane. „Was macht das Ding da unten?“ Gemeint war der fette Leguan. „Ich hab dir gesagt, ich will die Viecher nicht außerhalb deines Zimmers sehen.“

„Ich schlepp ihn in die Uni mit. Meine Studienkollegen glauben mir nicht, wie fett er is.“ Wo sie es nun aussprach, kam ihr das Reptil tatsächlich sehr schwer auf der Schulter vor, was wiederum Auswirkungen auf den Druck in ihrem Kopf ausübte. Sieben Kilo wog er, dabei war ein etwas klein geratenes Exemplar.

„Schaff ihn aber bald raus.“

„Nach dem Frühstück.“ Akane holte die Pancakes aus dem Kühlschrank und wärmte sie in der Mirkowelle. „Warum bist’n schon auf?“

„Ayano Yukino kommt heut zum Mittagessen vorbei. Wenn ich was Tolles zaubere, schenkt sie mir eines ihrer Bilder für die Galerie.“

Akane war so amüsiert, sodass sie für ein paar Minuten ihre erdrückende Müdigkeit vergaß. Auch nur der Gedanke, ihre Schwester, die manchmal vergisst, wie man die Mikrowelle bedient, könne etwas Anständiges kochen, wäre einen Sketch in einer Comedy-Show wert. „Tu dir nicht weh“, kicherte sie und holte die Pancakes aus der Mirkowelle. Um rechtzeitig bei der Vorlesung anzukommen, würde sie das Frühstück wohl unterwegs essen müssen. „Bye, Rika!“

„Warte kurz, Aki-chan!“ Akane zuckte zusammen – wenn Rika sie so nannte, war das nie ein gutes Zeichen. „Würdest du bitte erst nach sechzehn Uhr nach Hause kommen? Du weißt, wie peinlich du mir bist.“

Akane hatte schon lange akzeptiert, dass diese Aussage keine Beleidigung, kein Urteil, kein Witz, sondern eine schlichte Tatsache war. Sie hörte es trotzdem noch immer nicht gerne, vor allem, wenn dadurch die Hoffnung schwand bald wieder ins Bett zu kommen.

„Wie immer. Schon klar.“ Akane warf die Tür hinter sich zu.
 

Ami Mizuno war eine der Sailorkriegerinnen und nannte sich Sailor Merkur. Akane hatte die Identitäten der Objekte der Begierde des rachelustigen Ex-Sonnenkaisers erfahren, als eine gewisse Galaxia ihr Unwesen trieb. Sie waren auf dieselbe Schule gegangen – Akane war den Damen zwar nie aufgefallen, allerdings verhielten sich die Kriegerinnen alles andere als unauffällig. Ein gewisses Gespür für Übernatürliches und man entdeckte sie beim „Macht-der-Was-Auch-Immer-Nebel“-Schreien. Auf Anraten des fetten Leguans hatte sie sich aus dem Kampf herausgehalten und war ganz zufrieden damit. Dummerweise hatte das Treiben der intergalaktischen Gegnerin die Fährte der Sonnenkaiserschergen weg von Osaka nach Tokio gelockt...

Mizuno war wohl die, die Akane immer am angenehmsten der Kriegerinnen vorkam. Kontakt wollte sie dennoch keinen haben und erhielt ihn nur unfreiwillig, als der Uni-Professor sie für ein Forschungsprojekt als Partnerinnen bestimmte – Proteste hatten nichts geholfen.

„Was machst du da?“

Mit dieser Frage kommentierte Ami Mizuno Akanes auf dem Tisch des Lesesaals liegenden Kopf.

„Schlafen...“

Weil sie ihre Augen auf die Tischplatte gerichtet hatte, konnte sie Mizunos verdutzen Gesichtsausdruck nicht sehen. Wahrscheinlich hätte sie sich amüsiert. „Falls du müde bis, wir können gerne auf morgen verschieben.“

Was heißt falls... Akane war müde. Und ihre Kopfschmerzen waren noch immer nicht verschwunden. „Nee, du mach mal. Ich kann eh erst um 16:00 heim. Kakerlakenholokaust.“ Die Freunde und Geschäftspartner ihrer Schwester als Schädlinge zu bezeichnen gefiel ihr.

Mizuno schwieg eine Zeit lang, die Akane nicht einschätzen konnte, weil sie tatsächlich in einen Sekundenschlaf gefallen war. Unterbrochen wurde dieser von Mizunos zitternder Stimme: „Also, ich habe gestern ein paar Themenvorschläge herausgearbeitet. Magst du sie sehen?“

Akane hob den Kopf. Mizuno sah aus irgendeinem Grund verängstigt aus. Obwohl sie lieber ihren Kopf auf der Tischplatte gelassen hätte, übernahm sie von ihrer Projektpartnerin die Notizen. Die Frau hatte eine saubre Druckschrift, aber mit den Themenvorschlägen konnte Akane so gut wie gar nichts anfangen. Sie verstand sie auch kaum, Akane gab der Müdigkeit und den Kopfschmerzen Schuld. Jedoch war sie überrascht, dass entgegen ihrer Erwartungen die Hochbegabte das Projekt nicht an sich riss. Wohl gehörte sie dann zu den Exemplaren, die alle zunächst als gleichberechtigt behandelte, aber später die Oberhand gewann, frei nach dem Motto, sie wolle dem dummen Partner nur belehren.

„Such dir dein Lieblingsthema aus“, befahl Akane.

„Wirklich? Du hast nicht gerade zufrieden mit meinen Vorschlägen gewirkt.“ Mizuno redete mit ihr, als wäre Akane erst drei und sie eine Mutter. Wie gerne sie hier weg wollte...

„Das wird wahrscheinlich daran liegen, dass ich kaum drei Stunden geschlafen hab.“

Mizuno zwang sich ein Lächeln auf die Lippen. „Ich schlafe in letzter Zeit auch schlecht.“

„Ich hakle in der Nacht.“

„Oh. Was machst du denn?“

„Bin Stripteasetänzerin.“ Mizunos Mimik zu Folge, glaubte sie Akane sogar. Akane beschloss ihre Projektpartnerin in diesem Glauben zu lassen, sonst hakte sie noch so lange nach, bis ihr rausrutsche, dass sie die komische Kriegerin mit der Skimaske war, die zweimal den Sailorkriegerinnen den Hintern gerettet hatte. Außerdem schien ein solcher Job in Männerbars nicht gerade die Sympathien zu fördern.

Mizuno räumte die Zettel weg. „Verschieben wirs’s auf morgen.“ Pause. „Du bist aus Osaka, nicht wahr?“

Ach, da hatte die Gute erkannt, dass Arbeiten heute keinen Sinn machte, wenn sie nicht alles selbst übernahm, und nun wollte sie Smalltalk führen. „Hört man’s?“, fragte Akane.

„Ein wenig.“

Akane war der Meinung, noch immer im sehr tiefen Dialekt ihrer Mutterstadt zu sprechen. Zahlreiche Stimmen hatten allerdings schon gesagt, ihre Herkunft höre man nur mehr bedingt. Da auch Rika schon die tokioter Aussprache übernommen hatte, musste das wohl auch für sie gelten. Schade, sie war immer stolz auf ihren Osaka-Slang, dessentwegen sie man zu Anfangstagen in Tokio kaum verstand.

„Seit wann lebst du denn in...“

„Hör mal, ich hab null Bock mit dir über mein Leben zu reden und erst recht interessier ich mich nicht für deins. Wir sind dieses Semester Projektpartnerinnen, mehr nicht. Und ich hab keine Lust mit dir auch nur in irgendeiner Form zu arbeiten, deswegen würd ich vorschlagen, wir einigen uns heut auf eines deiner dummen Themen, machen uns ’ne Arbeitsteilung aus und hoffen auf die Bestnote. Oder du machst das ganze Projekt alleine, was mir sogar am liebsten wäre.“

Mizuno war regelrecht schockiert über die harsche Art, mit welcher Akane ihre Meinung kundtat. Oder über die Meinung selber. Die junge Frau sah jedenfalls aus, als würde sie anfangen zu schluchzen. Zu widersprechen traute sie sich allerdings nicht. „Okay...“, murmelte sie. „Da du deinen Leguan mit hast, wie wäre es mit einem Grafikprogramm zum Generieren von Reptilienschuppen?“

Interessant, dass Mizuno trotz der verbalen Attacke noch immer auf Akanes Interessen Rücksicht nehmen wollte.

„Wenn das genug Inhalt liefert... “

„Ich denke schon.“

Im weiteren Verlauf des Vormittags versprach Mizuno die Aufgabe zu übernehmen die wissenschaftliche Literatur zu durchwälzen und zusammenzufassen, während Akane Zahlen in den Computer eintippen würde. Und sobald die Aufgabenteilung erledigt wir, fing Mizuno wieder mit dem Smalltalk an.

„Das ist ein grüner Leguan, nicht war.“

„Jep.“

„Ziemlich klein geraten. Und ich wusste gar nicht, dass es die außerhalb des Terrariums so lange aushalten.“

Akane knurrte. Ein Exemplar, welches nur bedingt von dieser Welt stammte, musste sich nicht an biologischen Prinzipien halten, da war das Herumtragen durch halb Tokio noch das Harmloseste. Normale Leguane essen keine Pancakes oder können einen Tag lang in einen Eiskasten gesperrt werden.

„Hör mal, ich bin die Reptilienhalterin von uns, hör auf mich zu belehren.“ Mizuno zuckte zusammen. Offensichtlich hatte sie mit son einem bissigem Tonfall noch immer nicht gerecht, obwohl sie schon über eine Stunde diesen über sich ergehen hatten müssen. Akane beschloss noch einen draufzusetzen: „Wir sind fertig. Jetzt verzieh dich. Ich würd hier gerne noch ’ne Stunde pennen.“

Mizuno schien den Tränen nahe und packte wortlos ihre Sachen. Erst im Gehen wagte sie wieder zu sprechen: „Tschüss Akane.“

„Tayo.“

„Bitte?“

„Für dich noch immer Tayo.“
 

Weil im Lesesaal zu viel los war und sie sich gestört fühlte, ging Akane in die Galerie „RikArt“, um sich dort auszuruhen. Wenn ihre Schwester das herausfand, würde es zwar ein Geschrei geben, da Akane die Galerie nur mit Rikas Erlaubnis betreten durften, aber da der einzige Zeuge ein Leguan war, der nicht sprechen konnte, würde sie es nur schwer herausfinden.

Der Boden war unangenehm, die herumhängenden Bilder hässlich, doch der Schlaf erfüllte seinen Zweck. Schon beim Hinlegen merkte sie, wie ihre Kopfschmerzen vergingen... es handelte sich also wirklich nur ein Symptom der Müdigkeit und nicht einer Gehirnerschütterung. Akane schlief sofort ein, auch wenn der fette Leguan auf ihrem Bauch und ihrem Brustkorb herumzappelte. Einen Wecker stellte sie sich nicht, sie würde so lange schlafen wie nötig. Geweckt wurde sie schlussendlich von einem Schrei.

„Eine Obdachlose!“

Akane richtete sich erschrocken auf, und spürte einen Pappbecher gegen ihre Stirn knallen.

„Was zum Teufel machst du hier?“, schrie Rika. Die erste Frau, die entsetzt reagiert hatte, war eine fast weißhaarige, kleine Frau mit strengen Augen.

„Ich hab mich hier hingelegt“, rechtfertigte sich Akane. „Harte Nacht...“

„Mir sind deine schlechten Begründungen egal! Hast du daran gedacht, dass deine Blödheit Rückwirkung auf mich haben kann! Du blamierst mich schon wieder vor meinen so wichtigen Gästen! Ich hab dir gesagt, dass du die Galerie nicht betreten sollst, wenn ich nicht mein Einverständnis gebe! Hier liegen Sachen im Wert von was weiß ich wie viel Yen rum!“ Rikas Blick fiel auf den fetten Leguan. „Und das Ding hast du auch noch mitgenommen!“

Rika redete so schnell, dass Akane sie nicht unterbrechen konnte. Inzwischen hörte sie nicht mehr zu, sondern musterte die weißhaarige Frau, bei der es sich vermutlich um Ayano Yuki handelte, und zwei komplett schwarz gekleideten Herren. Irgendwann ersetzte Rika das Schreien durch Luftholen.

„Bist fertig?“

„JA!“, schrie Rika hysterisch.

„Leihst du mir die Autoschlüssel, damit ich rascher nach Hause komm?“

„VERGISS ES! BEWEG DEINEN HINTERN HIER RAUS!“

Akane verdrehte die Augen und gehorchte. Den Leguan trug sie wie ein Kind in den Armen. Als sie nach Hause kam, beschloss sie noch eine Runde zu schlafen und betete, dass diese Nacht nicht ihr Amulett, mit welchem sie sich verwandelte, bloß keinen Alarm schlug, dass der angepisste Sonnenkaiser irgendjemanden attackierte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Zu Akanes Osakadialekt: Amis Behauptung stimmt nicht... Akane spricht in sehr tiefem Dialekt. Um das zu unterstreichen, wollte ich sie und Rika ursprünglich Wienerisch reden lassen, bin aber davon abgekommen, weil ich denke, das würde nicht zum Grundtenor der FF passen (auch wenn Ansätze gegeben sind). Der Leser soll sich an dieser Stelle einfach vorstellen, dass sie in einem Kauderwelsch daherredet und sich nicht wundern, wenn manche Charaktere sie nicht verstehen.
Im übrigen redet auch der Gegner Mithras im einem ähnlich starken Osaka-Dialekt... Grund wird irgendwann verraten. Komplett anzeigen

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