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Primeval: New World Season III

von

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[Folge 04] Mythische Welt

Vancouver - Downtown Eastside
 

Cindy Lenn war froh darüber, dass nur noch so wenige Leute auf den Straßen waren. Zwar war es bereits dunkel geworden, aber so war es beileibe nicht immer. In der Ferne vernahm sie den Alarm eines Streifenwagens und beschloss heute besonders vorsichtig zu sein.

Sie starrte auf ihre rechte Hand und versuchte das Zittern in ihr zu unterdrücken. Verflucht, das letzte Mal war einfach zu lange her, das wusste sie. Sie brauchte dringend Nachschub, sonst konnte sie für nichts mehr garantieren.

Sie wurde extrem unruhig als sie die leere Stelle auf der anderen Straßenseite erblickte.

Will stand nicht an derselben Stelle wie sonst, was hatte das zu bedeuten? War er krank oder besaß er sonst irgendeinen Grund abgängig zu sein? Hatten ihn womöglich sogar die Bullen erwischt? Das Zittern in Cindys Hand wurde stärker und sie versuchte klar zu denken. Sie brauchte Will und das unbedingt.

Sie atmete ein paar mal durch und beobachtete dann wie jemand aus einer Seitengasse trat. Sie erkannte den Typen, auch er war ein Kunde von Will.

Erleichtert schnappte Cindy nach Luft. Wenn die Cops in der Nähe patrouillierten war es logisch, dass Will sich an einen ruhigeren Ort zurückzog.

Es war alles in bester Ordnung. Will war da und würde er geben wonach es sie verlangte. Sie eilte über die Straße und ein Wagen hupte auf, der plötzlich bremsen musste. Doch die junge Frau kümmerte das nicht, sie wollte einfach nur zu Will.

In der Mitte der Gasse erkannte sie ein kleines Licht, scheinbar hatte sich dieser gerade eine Zigarette angezündet. Erst reagierte dieser achtsam als unangemeldet eine Person auf ihn zu rannte.

Will musterte Cindy von oben bis unten und erkannte ihren Zustand unverzüglich. Er nahm die Zigarette aus dem Mund und blies in ihre Richtung.

„Cindy-Schätzchen, wir haben uns lange nicht gesehen.“, flötete er, obgleich er genau wusste, dass nur wenige Tage vergangen waren.

Seine Kundin nickte aufgeregt und kramte in ihrer Tasche.

„Zu lange.“, stimmte sie zu und holte ein Bündel Geldscheine hervor.

Sie reichte sie Will und dieser sah sich nach allen Seiten um. Dann zog er eine kleine Plastiktüte hervor und hielt sie in Cindys Richtung. Diese wollte bereits danach greifen, doch Will zog sie wieder zurück. Erst schnappte er sich das Geld und warf Cindy die Tüte hin, wie einem Hund einen Knochen.

Die junge Frau bückte sich und umklammerte die Tüte mit ihren zitternden Händen.

Ein glücklicher Ausdruck stieg in ihr Gesicht und Will zählte die Scheine.

„Immer wieder gern.“, presste er heraus und rauchte seine Zigarette weiter.

Cindy schien ihn jedoch nicht mehr zu beachten und auch einen Abschiedsgruß schien sie nicht für nötig zu halten.

Schnell eilte sie mit der Tüte davon und stolzierte über die Straße. Diesmal war sie noch unaufmerksamer, doch zum Glück befuhr gerade niemand die Gegend.

Auf der anderen Seite angekommen, zog sie sich in den Park dahinter zurück um von niemandem beobachtet zu werden. Langsam öffnete sie die Tüte und streute einen Teil des Inhalts auf ihre Handfläche. Langsam verrieb sie das weiße Pulver und konnte gar nicht erwarten sich eine Line zu ziehen. Doch dann hielt sie plötzlich inne.

Sie hielt die Tüte hoch und betrachtete sie genauer. Ungläubig riss sie ihre Augen auf. Die Tüte war nur bis zu 2/3 gefüllt. Die anderen Mal war sie randvoll, was nur fair war bei den Preisen, die Will verlangte.

Nun wurde Cindy klar, dass dieses Arschloch sie gelinkt hatte. Vermutlich glaubte er seine Kundin wäre ohnehin zu dämlich um den Unterschied zu merken. Aber nein, so ließ die Frau nicht mit sich umgehen.

Sie beschloss zurückzulaufen und ihrem Dealer die Meinung zu geigen. Sie würde entweder das zuviel bezahlte Geld zurückverlangen oder mehr Stoff. Im günstigsten Falle zweiteres. Sofort verstaute sie die Tüte in ihrer Tasche und eilte den Weg zurück den sie gekommen war.

Bald war sie aus dem Park getreten und sah sich nach der fraglichen Gasse um. Auf der anderen Straßenseite erkannte sie sie, und auch den Mann der gerade rauchend hinaus trat. Will wirkte diesmal aber alles andere als relaxt, sondern eher hektisch und schwer atmend. Der Dealer sah sich nach allen Seiten um und schien unschlüssig zu sein.

Was war geschehen? War ihm etwa die Polizei auf den Fersen? In diesem Fall musste auch Cindy flüchten, denn es sehe nicht gut aus, wenn sie mit Stoff erwischt werden würde.

Ein heulendes Geräusch drang durch die Nacht, das jedoch nicht vom Klang einer Polizeisirene stammte. Eher… von einem Tier.

Will stolperte nun lag kauernd auf dem Boden. Cindy beobachtete wie etwas die Gasse hinaus geschossen kam und auf ihren Dealer zuschritt. Es war zu dunkel um es genau zu erkennen, doch Cindy glaubte einen Hund zu erkennen.

Einen wirklich sehr großen Hund. Die junge Frau konnte sich nicht erinnern so einen großen je gesehen zu haben.

Sie hörte Will schreien, scheinbar hatte er große Angst. Hatte der Besitzer die Kontrolle über seinen Köter verloren und dieser lief nun frei herum?

Was als nächstes geschah konnte Cindy nicht glauben. Der Hund… begann sich aufzurichten und stand nun auf zwei Beinen.

Cindy schüttelte ungläubig den Kopf. Sie hatte doch noch gar nichts von dem Stoff probiert, also warum hatte sie nun diese Hallus? Lag es an den ersten Entzugserscheinungen? Nein, was sie da sah war eindeutig real, egal wie unrealistisch es auch wirkte.

Ein weiteres, klagendes Heulen seitens des Hundes, der Cindy inzwischen mehr an einen Wolf erinnerte. Als er sich nun auf Will stützte und begann seine Zähne in den Körper des Dealers zu schlagen, konnte Cindy nur mühsam einen Aufschrei unterdrücken. Sofort ging sie hinter einem parkenden Geländewagen in Deckung und vermied alles wodurch sie sich bemerkbar machen konnte.

Sie wusste nicht wie lange sie still hielt, Sekunden oder Minuten.

Dann erhob sie sich langsam und spähte um das Auto herum.

Will lag reglos am Boden, um sich herum bildete sich eine Blutpfütze.

Über stand jemand, doch es wirkte nicht mehr wie ein haariges Tier. Cindy erkannte die Umrisse eines Menschen. Er trug einen weiten Mantel und einen dicken Bart. Sie wusste nicht was genau er mit Wills Leiche anstellte, doch kurz darauf begann er zu fliehen und bog um eine Ecke.

Cindy war nun allein und wusste nicht was sie tun sollte. Doch eines wurde ihr nun klar. Bei dem Monster das Will getötet hatte… handeltet es sich eindeutig um ein Geschöpf aus Mythen und Legenden. Einem Werwolf.
 

Vancouver - Downtown Eastside
 

Detective Adrian Harlow schlug die Tür seines Dienstwagens zu und vergaß nicht diesen abzuschließen. Besonders in dieser Gegend war es äußerst riskant ihn offen zu lassen. Es kam des Öfteren vor, dass Autos geklaut wurden. Geschah dies auch mit einem Polizeifahrzeug konnte sch der Detective seinen Job gleich an den Nagel hängen.

Auf der anderen Seite wirkte es äußerst unwahrscheinlich, dass sich ein Dieb in diese Szenerie wagen würde. Alle Zugänge waren mit Absperrband versiegelt worden und überall standen Streifenwagen herum. Jeder Kleinkriminelle würde sicher 20 Meter Abstand zu diesem Tatort halten.

Ein Streifenpolizist grüßte seinen Vorgesetzten und Harlow grüßte zurück. Es war noch sehr früh und er wunderte sich selbst, dass er ohne Morgenkaffee schon annähernd wach war. Auf dem Boden erkannte er überall Blutspuren, die mit forensischen Kärtchen markiert worden waren. Es war klar, dass hier jemand gewütet hatte. Entweder das Opfer hatte sich nach einem Schuss oder einer Stecherei hier entlang geschleppt, oder der Täter war so mit Blut besudelt, dass es auf seiner Flucht von ihm abfiel.

Es dauerte nicht lange, bis Harlow das weiße Leichentuch erkannte und darauf zusteuerte. Daneben kniete ein älterer Mann, der das Tuch auf einer Seite angehoben hatte, es aber sinken ließ, nachdem er Harlow erkannte.

Der Detective kniete sich ebenfalls hin und musterte die Fundstelle.

„Guten Morgen, Detective.“, wünschte ihm Dr. Liebhert, der Gerichtsmediziner.

Der Detective nickte nur stumm, die Aussage mit dem guten Morgen wollte er so nicht unterstreichen.

„Was haben wir hier?“, kam er gleich zum Punkt.

Der Gerichtsmediziner begann damit den oberen Teil der Leiche abzudecken. Harlow drehte sein Gesicht weg als der Oberkörper der Leiche sichtbar wurde.

Es war ein junger Mann mit Tattoos und Piercings. Er war fast vollständig mit Blut bedeckt, das aus zahlreichen Wunden klaffte.

„Das sind keine Stichverletzungen.“, murmelte Harlow, der es mehr als Aussage als Frage meinte.

Dennoch stimmte ihm Liebhert zu.

„Nein, seine Haut wurde an einigen Stellen aufgerissen, mit etwas scharfem, Klauenförmigem.“, verriet er.

Genauso hätte es Harlow ebenfalls beschrieben. Die Verletzungen waren Gleichmäßig und wiederholten sich.

„Also handelte es sich um einen Tierangriff. Was meinen Sie, ein Hund?“, fragte er den Mediziner.

Liebhert zögerte etwas.

„Das war meine erste Theorie, aber dann untersuchte ich die Verletzungen genauer. Die Risse sind ungewöhnlich tief und die breite der Klauen ist ebenfalls seltsam. Es ist so als hätte das Tier den armen Kerl mit seinen Pranken neidergestreckt und dann sein Maul eingesetzt. Aber selbst ein Bullterrier würde so nicht vorgehen und gleich mit dem Maul nach vorne preschen.“, erzählte er.

Der Detective nickte und betrachtete die Leiche genauer. Es stimmte, die Bissspuren an seinem Hals waren eindeutig.

„Was war es dann? Ein Berglöwe vielleicht?“, schlug er vor.

Liebhert schüttelte augenblicklich den Kopf.

„Negativ. Auch wenn ich kein Experte bin, kann ich sagen, dass sie Klauen von Katzen wesentlich spitzer sind und eine gänzlich andere Form besitzen. Und selbst wenn sich einer hier her verwirrt hätte, bestünde für ihn kein Grund einen Menschen anzufallen. Nein, die Verletzung würde ich eindeutig einem Hund zuordnen, aber wenn dann einer Spezialzüchtung. Ich habe einem Kollegen Fotos der Verletzungen geschickt, doch auch er kannte keine Rasse zu der sie passen konnten.“, gestand er.

Harlow nickte und dachte kurz nach.

„Wissen wir bereits wer er ist?“

Der Mediziner bejahte.

„Will Cohen, ein kleiner Dealer hier in der Gegend. Verständigt hat uns eine seiner Kundinnen, sie sitzt dort drüben.“, berichtete er.

Harlow wand seinen Kopf und erspähte eine junge Frau, die neben einigen Uniformierten saß und Kaffee oder Tee trank.

„Wir haben eine Zeugin? Was hat sie ausgesagt?“, hakte HArlow nach.

Liebhert kaute auf seiner Unterlippe herum und schien nicht gleich antworten zu wollen.

„Laut ihrer Aussage… hielt sie den Angreifer erst für einen großen Hund. Durch das Heulen später dann für einen Wolf. Er griff Cohen an und riss ihn in Stücke. Die Zeugin versteckte sich und nachdem sie wieder hinsah, war der Wolf verschwunden. Das heißt nicht ganz. Sie sagte aus, dieser habe sich in einen Menschen verwandelt und wäre dann geflohen.“

Harlow musterte erst Liebhert, dann die Zeugin.

„Ein… Werwolf?“, hakte er skeptisch nach.

Liebhert räusperte sich.

„Nun, Sie dürfen nicht vergessen, dass die Zeugin Drogen konsumiert hat.“, wand er ein.

Harlow seufzte. Inzwischen spürte er den Morgen ohne Kaffee wirklich.

„Aber… könnte es sich rein theoretisch um einen Wolf gehandelt haben?“, hakte er nach.

Liebhert starrte ihn an als würde Harlow fragen welche Farbe der Himmel hätte.

„In Vancouver?“

Harlow verzog sie Lippen und musterte erneut die Leiche.

„Aber welches Tier soll diese Verletzung dann hervorgerufen haben?“, wollte er eine Klärung auf seine Frage.

Liebhert überlegte kurz.

„Ich bin kein Zoologe, aber kennen Sie nicht jemanden vom Wildtier-Kontrollteam? Vielleicht fragen Sie einfach mal dort nach.“, schlug er vor.

Harlow gefiel nicht in welche Richtung diese Ermittlung verlief.

Er kratzte sich am Kopf und nickte dann.

Ja, das würde er dann wohl mal tun.
 

Cross-Photonics
 

Wann genau hatte sich die Stellenbeschreibung eigentlich geändert? Tobys Aufgabe war von Anfang an eigentlich recht klar gewesen. Als das mit den Anomalien anfing, unterstützte sie Evan und Dylan so gut sie es konnte mit dem Orten der Anomalien. Sie entwickelte sogar das Mess-Gerät durch welches das Team prüfen konnte, wie lange eine Anomalie noch offen blieb. Als Harold Kanan dazu stieß, wurde ihr die Leitung über ein ganzes Team übertragen. Ein ziemlich große Aufgabe, der sich Toby jedoch mit Schwung und Elan widmete. Worauf sie jedoch nicht gefasst war, war dass sie zu Harolds Sekretärin degradiert wurde. Ungläubig starrte sie auf den Berg Akten vor sich.

Der Millionär selbst hatte sich bereits dem nächsten Schriftstück gewidmet.

„Und… damit soll ich genau was machen?“, hakte die junge Frau nach.

Harold sah zu ihr auf, als müsste er ihr erklären, wie sie ihren Job zu machen hätte.

„Hören Sie. Nur weil Cross jetzt wieder da ist, bedeutet das nicht, dass Sie Ihre Arbeit schweifen lassen können. Ich möchte, dass Ihre Abteilung sämtliche Berichte ausfüllt und auf jeden Sicherheitsmangel des letzten Jahres eingeht.“, ordnete er an.

Toby seufzte resigniert.

„Ist es weil Mac gerade in London ist um dem ARC Bericht zu erstatten? Suchen Sie jetzt verzweifelt nach einem Ersatz den Sie quälen können?“

Harold verengte seine Augen und schien zu überprüfen, ob es sich dabei um einen Scherz handelte.

„Es mag ja sein, dass Evan Cross nicht so sehr den Chef raushängen lässt. Ich wundere mich ohnehin wieso sein Laden vor mir noch nicht Pleite gegangen ist.“

Toby musste unwillkürlich grinsen. Der Grund war Angelika. Sie hatte sich um alles gekümmert, während der Freigeist Evan sich um seine Passion kümmern konnte. Seit sie weg war, war es an Harold den Laden am Laufen zu halten. Er hatte jemanden für die Projekte von Cross-Photonics eingestellt, die nicht mit den Anomalien zu tun hatten, aber dennoch musste er alles absegnen.

Er opferte sich für das Team auf und das wusste Toby genauso zu schätzen wie sicher Evan selbst. Ohne Harold gäbe es Cross-Photonics sicher gar nicht mehr. Sei es sein Führungsstil oder die Finanzspritze seines eigenen Firmen-Imperiums.

Toby erklärte sich schließlich einverstanden die Akten abzuarbeiten und ließ Harold weiterarbeiten. Sie schlug die Tür zu dessen Büro zu und beschloss seine Arbeit zu würdigen. Auch wenn es hieß dafür seine Sekretärin zu spielen. Zugegeben, sein letzter Sekretär wurde von einem Ceratosaurus gefressen, eine helfende Hand würde dem Millionär sicher nicht schaden.

Sie schritt die Treppe zum Kontrollzentrum hinab und stieß kurz darauf mit jemandem zusammen.

„Verzeihung.“, sagte jemand und Toby erkannte eine blonde Frau vor sich.

„Gut, dass ich dich erwische!“, fing sich Sam schnell wieder und blickte auf die Uhr.

„Ich muss noch etwas für Evan erledigen, aber oben wartete jemand der ihn sprechen will. Ich glaube jemand aus Amerika.“, sprach sie.

Toby brauchte etwas, bis sie sich erinnerte. Evan hatte ja angekündigt, dass Colonel Kirkland vom AT1 jemanden nach Kanada schicken wollte um Informationen auszutauschen.

„Also… wärst du so nett und könntest du diese Person in den Besprechungsraum führen?“, fragte Sam bittend.

Normalerweise ließ sich Toby nicht so einfach einlullen, auch nicht von der kindlichen Miene die Sam extra schnitt.

Dann entsann sie sich aber, dass sie immer noch die Akten im Arm hielt. Jemanden zu empfangen war sicher angenehmer als Papierkram durchzuarbeiten.

„Also gut, ich kümmere mich darum.“, enttäuschte sie Sam nicht und diese drückte sie kurz und suchte dann das Weite.

Toby schritt zu ihrem Tisch und legte den Aktenberg beiseite. Dann stolzierte sie zum Fahrstuhl und kramte nach ihrem Sicherheitsausweis. Sie entriegelte den Mechanismus und stieg ein. Sie fuhr über die Tasten und wählte das Erdgeschoss, in dem sich die Lobby befand.

Die Tür schwank auf und Toby trat hinaus. Sie blickte sich um und steuerte auf den Empfang zu. Die Frau lächelte an und Toby erkundigte sich wo der Mitarbeiter des amerikanischen Teams sei. Die Empfangsdame verwies auf den Warteraum gleich rechts neben der Lobby. Toby nickte dankbar und setzte ihren Weg fort. Sie bog um die Ecke und warf einen Blick in den Raum. Zuerst zu den Stühlen, dann zu der breiten Couch. Doch niemand saß darin. Ihr Blick richtete sich vorwärts und erkannte schließlich jemanden, der vor einem Automaten stand. Einige Münzen wurden eingeworfen und bald darauf kullerte ein Schokoriegel aus dem Ausgabefach.

Langsam wagte sich Toby näher und räusperte sich leise.

Die Person vor dem Automaten wand sich um, den Riegel noch in der rechten Hand.

Toby starrte in das Gesicht, einer jungen, attraktiven Frau mit Brille und gebundenem Zopf.

„Hi!“, reagierte diese perplex.

„Hi.“, kam auch nicht mehr von Toby.

Ein paar Sekunden herrschte Stille, dann rang Toby nach Worten.

„Ich… wusste nicht, dass du es bist, den sie schicken.“, gestand sie.

Die Repräsentantin des amerikanischen Teams steckte den Riegel weg und reichte Toby die Hand.

„Tut mir leid, ich dachte, dass hätte der Colonel erwähnt. Ansonsten hätte ich dir natürlich eine Mail geschrieben.“, sagte sie sofort.

Toby schüttelte schnell den Kopf und reichte der Frau auch ihre Hand.

„Nein… ist schon in Ordnung. Ich bin nur etwas überrascht, das ist alles.“, gestand sie und legte ihr bestes Lächeln auf.

„Ich hoffe es ist eine angenehme Überraschung.“, erwiderte das AT1-Mitglied.

Toby reagierte überrascht, bejahte dann aber natürlich.

„Auf jedenfall! Ich habe mich über die Emails von dir wirklich gefreut. Auch… wenn ich dir Fachbegriffe nicht wirklich verstanden habe.“

Die Frau mit der Brille wirkte nun etwas beschämt.

„Tut mir leid, ich fange leider sehr schnell an zu fachsimpeln.“, entschuldigte sie sich.

In Wahrheit hatte sich Toby für jedes einzelne Wort von ihr interessiert, auch wenn sie ihr das so nicht sagen konnte.

„Ich habe gehört Evan Cross ist heroisch zurückgekehrt.“, kam die Repräsentantin nun zum eigentlichen Thema.

Toby nickte und verwies auf den Ausgang.

„Ja, ich bringe dich gerne zu ihm. Ihr könnt dann so viel reden wie ihr wollt.“, schlug sie vor.

Die Repräsentantin lächelte ihr zu und setzte sich dann in Bewegung.

„Ja, ich freue mich bereits Informationen auszutauschen. Und… wenn wir Zeit finden, könnten wir uns ja auch noch etwas unterhalten.“, meinte sie und sah Toby erwartend an.

Diese stimmte ihr ohne zu zögern zu.

„Gerne doch!“, erwiderte sie etwas zu enthusiastisch wie sie fand.

Dann zeigte sie Lexi Gray den Fahrstuhl, der sie zum Kern von Cross-Photonics führen sollte.
 

Cross-Photonics, Besprechungsraum
 

Kyle ging immer wieder unruhig auf und ab, während Evan, Dylan und Luke ihm mit den Augen folgen. Es war der Mann aus der Zukunft gewesen, der die drei zu sich bestellt hatte.

„Nur damit ich es richtig verstehe. Ich erzähle euch vom Untergang der Zivilisation und ihr… rennt einfach los um irgendeine kleine Anomalie zu verschließen?“, schien er wenig Verständnis aufzubringen.

„So klein war sie am Ende auch wieder nicht…“, murmelte Luke, der sich noch gut an die riesige Meeresbestie erinnern konnte.

„Hey, du hast uns um Hilfe gebeten, nicht umgekehrt, richtig? Wir haben auch noch andere Arbeit.“, wand Dylan ein.

Kyle hasste es seiner Mutter zu widersprechen, es gelang ihm nicht einmal ihr in die Augen zu blicken.

„Wie bitte? Es ist ja nicht so als würde dieses Problem nur meine Zeit betreffen. Nur weil das Ereignis euch erst in 10 Jahren ereilen wird, bedeutet das nicht, dass wir unendlich Zeit haben.“, protestierte er.

Dylan wirkte streng, die Situation musste für Kyle wirklich unerträglich sein.

Evan erhob sich nun und schritt auf seinen neuen Freund zu. Er ergriff seine linke Schulter und zog ihn etwas weiter weg.

„Hör zu, ich verstehe dich ja! Damals, als ich glaubte Julian Harrison würde die ganze Welt mit seiner Annexions-Anomalie auseinander nehmen wollen, machte ich dasselbe durch. Ich tat alles in meiner Macht stehende um das Ereignis aufzuhalten. Aber damals hatte ich einen Plan. Du musst zugeben, dass uns einige Informationen fehlen, richtig? Wir müssen verhindern, dass sich in der Zukunft diese Anomalien öffnen, doch wissen wir warum sie sich öffnen? Wir wissen weder etwas über diese Vorkommnisse noch über den Feind. Ohne Strategie können wir die nächsten 10 Jahre unruhig umherlaufen und uns den Kopf zerbrechen. Wir werden schon einen Weg finden, aber solange dürfen wir nicht zulassen, dass noch mehr von diesen Tieren durchkommen, verstehst du?“, flüsterte er Kyle zu.

Dieser starrte ihn an, aber auch wenn Evan recht hatte, war es schwierig wieder nach Fassung zu ringen. Der blickte über den Rücken des Cross-Photonic Leiters hinweg. Dylan wirkte immer noch aggressiv und Luke hatte begonnen mit den Fingern auf der Tischplatte herumzuklopfen.

„Ich weiß, es muss komisch sein. Dylan in jung und dann sitzt sie dir noch direkt gegenüber.“, schien Evan dessen Twist zu bemerken.

„Hast du jemals deiner Mutter widersprochen als du noch klein warst?“, flüsterte Kyle zurück.

Evan überlegte kurz, blieb ihm die Antwort aber schuldig. Seine Eltern waren leider schon früh gestorben, aber dennoch versuchte er sich in den Zeitreisenden hineinzuversetzen.

Kyle hatte im Prinzip alles verloren. Seine Familie, seine Freunde, sein Zuhause. Und dann wiederum nicht. Er hatte eine Chance das alles wieder zurückzubekommen. Doch er brauchte die Hilfe von Evan und den anderen. Ursprünglich plante er im Jahr 2052 zu bleiben, doch es war Evan gewesen, er ihn mit Gewalt zum Gehen bewogen hatte. Die Invasion in der Zukunft zu verhindern war somit Kyles einzige Aufgabe. Ihn interessierten keine unbedeutenden Anomalien, da diese ohnehin keine Rolle spielten, sollte sich der Lauf der Zeit wiederholen. Die Warterei und Untätigkeit schien ihm zuzusetzen.

Er trat ein paar Schritte nach vorne und wand sich an Dylan und Luke.

„Tut mir leid, ich war wohl etwas zu forsch. Ich schätze… ich brauche einfach eine kleine Auszeit.“, brummte er.

Evan empfahl ihm den Pausenraum, zwei Stockwerke über ihnen. Kyle stimmte zu und brach das Meeting für heute ab. Er schlenderte zur Tür und öffnete sie. Kaum war sie offen, schien neuer Besuch anzustehen. Er nickte den beiden Frauen zu und empfahl sich dann.

Kaum war er aus dem Blickfeld verschwunden, wagten sich die beiden in den Besprechungsraum.

„Also…“, begann Toby, doch Evan kam ihr zuvor.

„Richtig! Miss Gray, habe ich recht? Tut mir leid, im Moment geht bei uns alles drunter und drüber.“, hastete er zu dem Gast und reichte Lexi die Hand.

Die Paläontologin wirkte schon beinahe etwas eingeschüchtert, erwiderte den Gruß aber sofort.

„Es freut mich hier zu sein. Ich soll Sie von Colonel Kirkland grüßen und Ihnen zu Ihrer Rückkehr gratulieren. Ich hörte Sie wären einige Zeit in der Kreidezeit festgesessen, das muss eine interessante Erfahrung gewesen sein.“

Evan räusperte sich nun.

„Das Wort interessant würde ich zwar weniger in den Mund nehmen, aber ja, ich bin froh wieder hier zu sein. Sie… haben uns etwas mitgebracht?“, hakte er nach.

Lexi nickte schnell.

„Ja, ein paar Akten, aber sie waren zu schwer und liegen noch in meinem Mietwagen oben.“, gestand sie.

„Kein Problem, Luke wird sie nachher holen und herunterschleppen.“, hatte sich auch Dylan erhoben und der jungen Frau zugenickt.

„Werde ich?“, schien der Student nicht von allein darauf gekommen zu sein den Gentleman zu spielen.

Dennoch erhob auch er sich und richtete Lexi seinen Gruß aus.

„Das ist also die weibliche Version von mir.“, stellte er musternd fest.

Evan, Dylan und auch Toby verdrehten den Kopf, nur Lexi blieb so charmant wie man es von ihr erwartete.

„Toby, wieso zeigst du ihr solange nicht Cross-Photonics?“, kam es von Evan.

Doch scheinbar war Toby bereits allein auf die Idee gekommen.

„Ich wusste ja, dass ihr gerade eine Besprechung habt, also habe ich Lexi bereits etwas herumgeführt. Die IT-Abteilung, die Lazarett-Sektion und auch die Waffenkammer, für die sie sich überraschenderweise auch interessiert hat.“

Lexi lächelte verlegen.

„Aber… halten Sie mich jetzt bitte nicht für einen Waffen-Otaku oder sowas. Ich wollte mir nur einmal diese EMDs ansehen, die sogar einen T-Rex zur Strecke bringen sollen können.“, erzählte sie.

Evan grinste und bot der Wissenschaftlerin einen Stuhl an.

„Donovan kann Ihnen sicher mehr darüber sagen, falls er schon hier ist. Auf der anderen Seite sind wir gerne dazu bereit Ihrer Behörde die Baupläne zu schicken.“, bot Evan an, auch wenn er bezweifelte, dass die Waffenliebenden Amerikaner wirklich mit EMDs in Produktion gehen würden.

Lexi wollte etwas sagen, wurde aber von einem Klingeln gestoppt.

Dylan griff sich in die Tasche und holte ihr Handy heraus. Entschuldigend blickte sie in die Gruppe und nahm das Gespräch an.

„Ja? Was für eine Art Problem? Klar können wir uns das ansehen, aber… Moment, ist er sich da sicher? Einverstanden wir sehen uns das an. Schicken Sie mir bitte die Adresse.“, führte sie eine hastige Konversation und legte dann auf.

Alle Blicke waren nun auf sie gerichtet, da das Wort ‚wir’ wohl sie alle betraf.

„Das… war gerade Detective Harlow. Er wurde zu einem Leichenfund gerufen, es sieht ganz nach einem Tierangriff aus. Der Experte sagt aber aus, er habe noch nie solche Bissspuren gesehen. Noch dazu fand man den Toten mitten in Downtown, selbst Hunde werden dort kaum gehalten.“, berichtete sie.

Einige verdutzte Blicke folgten.

„Wir… hatten aber doch gar keinen Anomalie-Alarm.“, kam es von Toby.

Dann war es Luke, der demonstrativ den Arm hob.

„Naja, ausgeschlossen ist es nicht. Wir hatten vor einem Monat einen Anomalienalarm in dieser Gegend. Wir sind hingefahren, doch die Anomalie hatte sich bereits wieder geschlossen. Da es eine sehr verarmte Gegend ist, gab es auch keine Kamera durch die wir überprüfen konnten ob etwas durchgekommen war.“, erzählte er.

Dylan stimmte ihm zu, auch sie erinnerte sich an den Einsatz.

„Das wäre durchaus möglich. Ein Tier könnte uns entgangen sein und treibt sich nun in der Gegend herum. Wenn es jetzt schon einen Menschen angefallen hat, sollten wir es auf jedenfall untersuchen. Detective Harlow erwartet uns in einer Stunde in der Rechtsmedizin.“, erklärte sie.

Evan dachte kurz nach und gab dann seinen Segen.

„Gut, sehen wir uns die Sache an. Donovan soll den Wagen vorfahren, wir statten dem Detective einen Besuch ab.“, wand er sich an Dylan und Luke.

„Also…“, kam es nun von Lexi Gray.

„Würden Sie erlauben, dass ich Sie begleite? Wenn es eine Leiche gibt, könnte ich womöglich anhand der Verletzungen sagen mit welchem Tier wir es zu tun haben.“, schlug sie vor.

Evan überlegte kurz, wurde dann aber von Luke unterbrochen.

„Naja… ich könnte das sicher auch. Kommt… auf die Abdrücke an.“, wollte er nicht hinter der Wissenschaftlerin zurückstehen.

Dylan räusperte sich hörbar neben ihm.

„Es ist etwas anderes Abdrücke aus Büchern mit echten in menschlichen Überresten zu vergleichen.“, bemängelte sie in dem Wissen, dass Luke zwar ein großes Fachwissen besaß, aber nie an echten Tatorten gearbeitet hatte.

„Das ist kein Problem, ich habe bereits unendlich viele Abdrücke und Überreste, die mein Team von Expeditionen mitgebracht hat ausgewertet.“, stellte Lexi nochmals ihre Nützlichkeit in den Raum.

Luke wirkte etwas eingeschnappt, doch der Teamleiter nahm keine Rücksicht darauf.

„Gut, dann treffen wir uns in 10 Minuten in der Tiefgarage.“, schlug er vor.

Doch Toby zog ihn kurz zur Seite und flüsterte ihm etwas zu.

„Hey, wäre es möglich, dass ich euch begleite?“, fragte sie bittend.

Evan überraschte dieser Wunsch etwas, immerhin hatte sich Toby bisher nicht oft für Außeneinsätze begeistern können.

„Ich will nur sagen… Lexi war zwar bei einigen Expeditionen dabei, aber wir sind quasi für sie verantwortlich. Bitte lass mich euch begleiten, damit ich auf sie aufpassen kann. Wenn ihr etwas zustößt, würde das unserer Beziehung zu den Amerikanern sicher sehr schaden.“, wand sie ein.

Evan wollte einwenden, dass Toby genauso wenig Felderfahrung hatte wie Lexi Gray, sollte es wirklich zu einem Feuergefecht kommen. Dann kam ihm jedoch die Überlegung, dass es vielleicht Toby persönlich war, welche die Verantwortung für Lexi übernehmen wollte. Schließlich segnete er es ab und den gab das Startsignal für die Mission.
 

Vancouver – Städtische Rechtsmedizin
 

Es war ein fremdartiges Gefühl eine Mission ohne passenden Alarm zu beginnen. Auf der anderen Seite fühlte sich der Ex-Soldat bei seiner Ehre gepackt. Es wäre seine Aufgabe gewesen sicher zu gehen, dass auch wirklich nichts durch die Anomalie gekommen war. Durch seinen Fehler war nun eine Person tot und eine wilde Kreatur lief noch frei herum.

„Parken Sie einfach neben diesen Streifenwagen dort. Harlow hat uns herbestellt, also sollten wir auch die polizeilichen Vorteile nutzen.“, meinte Evan und wies auf eine leere Stelle vor dem Gebäude hin.

Donovan nickte, hoffte aber, dass die Leute das hier auch wussten und der Van nicht abgeschleppt werden würde. Die zuständigen Leute würden dann die EMDs sowie den Rest der Anomalienausrüstung in der Hand bekommen und sich bestimmt wundern was sie damit anstellen sollten. Dennoch folgte er der Anordnung und parkte in der freien Stelle.

Während Donovan im Wagen blieb, stieg der Rest aus und schritt auf das Gebäude zu.

„Müssen wir vorher unsere Taschen leeren?“, fragte Luke, doch Dylan rollte nur mit den Augen.

Dies war kein Gerichtsgebäude, auch wenn sich einige Polizisten darin aufhalten würden.

Evan meldete sich am Empfang an und erwähnte, dass Detective Harlow sie sprechen wollte. Die Frau beschrieb ihnen den Weg und wies auf einen Fahrstuhl. Evan bedankte sich und die Gruppe setzte ihre Reise fort.

Evan betätigte ein paar Tasten und wartete bis die Tür schwank. Mit einer einladenden Handbewegung wollte er den Damen den Vortritt lassen. Nur Dylan musste Luke zurückziehen, der die Einladung wieder mal auf sich bezogen hatte.

Lexi trat als erste hinein und schenkte Toby ein Lächeln, als sich diese neben sie stellte. Der Fahrstuhl war auch wirklich eng wie sie fand. Besonders als sich Evan und der Rest ebenfalls noch hineinquetschen wurde die Computer-Expertin eng an die Besucherin aus Amerika gedrückt.

Sie murmelte eine Entschuldigung hervor und presste sich mehr an die Wand.

Es ging ein paar Stockwerke nach unten, bis der Tür die Lifttür endlich aufging und den Blick freigab.

Der Gang wirkte sehr steril, nur einige Bilder klafften an den Wänden. Eine vereinzelnde Pflanze stand in der Ecke herum und aus einem Raum wurde nun eine rollbare Trage geführt, die von zwei weiß gekleideten Männern geschoben wurde. Tobys Stirn zog sich in Falten, als sie die Erhöhung darunter bemerkte. Allerdings wollte sie sich gegenüber Lexi nichts anmerken lassen. Die Paläontologin hatte bereits so viel mehr gesehen als sie. Toby war bisher lediglich einmal in einer anderen Zeit. Sie begleitete Evan und die anderen um einen verschwunden Jungen zu finden, der es sich ausgerechnet erlaubte im Pliozän, 5 Millionen Jahre in der Vergangenheit zu verstecken. Dort hatte Toby das Team um Colonel Kirkland kennen gelernt, in dem auch Lexi Mitglied war. Toby war sofort von ihr beeindruckt gewesen, auch wenn sie nicht gleich wusste warum. War es ihre Intelligenz? Ihr Mut? Vielleicht auch ihre Leidenschaft große Gefahren auf sich zu nehmen, nur um das sehen zu dürfen, was den meisten Menschen verwehrt blieb.

Nachdem sich Dylan nach dem Weg erkundigt hatte, waren sie beinahe am Ziel. Sie folgten dem Gang gerade aus und waren vor einer Doppeltür angekommen auf dem dick und gut lesbar das Wort Pathologie geschrieben stand. Sie klopften sicherheitshalber an, bevor sie es wagten die Ruhe der Toten zu stören.

Sie fanden sich in einem mittelgroßen Saal wieder, der genauso wirkte wie jene aus TV-Krimis. Rechts erhoben sich die Kästen, in denen die Leichen Zwischengelagert wurden, während im Saal genug Platz für Untersuchungen war. In der Mitte des Saals standen zwei Personen, die sofort auf die Neuankömmlinge aufmerksam wurden. Ein älterer Mann in weißem Kittel und ein Schwarze mit weitem Mantel.

Detective Harlow winkte das Team zu sich und verwies auf den Rechtsmediziner.

„Das ist Dr. Liebhert, er obduziert die Leiche. Und das… sind die Experten die ich angefordert habe.“, stellte er das CPT vor.

Der Rechtsmediziner schien erst sie, dann Harlow zu mustern. Man konnte es ihm nicht verdenken, immerhin wirkte niemand im sonderlich wie ein Experte.

Evan erblickte die Leiche unverzüglich, auch wenn sie von einem Leichentuch verdeckt war. Liebhert begann nun das Opfer bis zum Hals aufzudecken. Das Gesicht des Mannes wirkte noch wesentlich heil, doch ab dem Hals hingen lose Hautstücke herab.

„Todesursache war eine Durchtrennung der Arteria carotis communis.“, verriet er und wies auf den Hals.

Lexi Gray trat näher um sich die Verletzung genauer anzusehen.

„Was wurde zuerst durchtrennt? Die Carotis interna oder externa?“, hakte sie nach.

Liebhert hob eine Augenbraue, antwortete aber unverzüglich.

„Die Externa. Sind Sie Medizinerin?“, wollte er wissen.

Lexi schien überrascht, verneinte aber hastig.

„Nein, nur Zoologin. Und Paläontologin. Und Archäologin.“, erklärte sie.

Harlows fragender Blick traf Evan, scheinbar wollte er wissen wen genau Evan da mitgebracht hatte.

„Dann sind Sie in Ihrer Eigenschaft als Zoologin hier? Ich meine, schließlich werden wir es kaum mit einem urzeitlichen Wesen zu tun haben, richtig?“, sprach der Rechtsmediziner.

Lexi wollte etwas erwidern, wurde aber von Evans strengen Blick abgehalten.

Dieser wusste bereits, dass Lexi gerne und ausschweifend redete. Jedoch mussten sie diesen Fall äußerst behutsam angehen und nicht zu viele Informationen durchsickern lassen. Sie hatten bereits Glück genug mit Harlow jemanden bei der Polizei zu haben den sie einweihen konnten.

„Nun… um das Tier zu identifizieren, müsste ich mir noch den Rest der Leiche ansehen.“, gestand Lexi und rückte ihre Brille zurecht.

Der Rechtsmediziner nickte, stellte sich vor den Tisch und hob das Leichentuch an. Lexi begab sich neben ihn und inspizierte das Opfer genauer. Evan wurde die Sicht versperrt, doch er hätte ohnehin darauf verzichten können die entstellte Leiche anzusehen. Nach einer Weile senkte Liebhert das Leichentuch wieder und Lexi schien zu überlegen.

„Also…“, erklang es nun von weiter hinten.

Luke schritt nach vorne und wies auf das Leichentuch.

„Ich bin ebenfalls Zoologe. Naja so gut wie. Ich würde die Verletzung auch gerne inspizieren.“, entschied er.

Liebhert musterte ihn kurz, war dann aber einverstanden. Er zog das Leichentuch nochmals zurück und gab den Blick auf den aufgerissenen Leib des Mannes frei. Das Blut wurde bereits abgesaugt, die Organe die durch die Öffnungen zu sehen waren jedoch noch nicht entnommen.

Luke hielt es genau 10 Sekunden aus. Dann griff er sich plötzlich an den Bauch und begann auf den Boden zu kotzen. Sein Mageninhalt entleerte sich und Harlow und Liebhert starrten ihn perplex an.

Evan und Dylan rollten nur mit den Augen und Toby entschuldigte sich für den Studenten.

„OK… ich habe genug gesehen!“, krächzte Luke und die Leiche wurde wieder bedeckt.

Liebhert seufzte.

„Und Sie sind wirklich Zoologe?“, fragte er kritisch.

„So ist es! Und außerdem Kryptozoologe um präzise zu sein.“, verteidigte sich Luke.

Er gab ja zu mehr Abbildungen in Lehrbüchern studiert zu haben als lebendige Kadaver, aber der Anblick gerade schockierte ihn wirklich.

Der Rechtsmediziner nahm nun eine skeptischer Haltung ein.

„Soll das ein Scherz sein? Sie glauben doch nicht wirklich an einen Werwolf, oder?“

Bei letzterem Teil spitzten sich die Ohren des Teams.

„Werwolf?“, hakte Evan nach und sah prüfend zu Harlow.

Dieser kratzte sich verlegen am Hinterkopf und begann dann zu erzählen. Über die Wolfslaute, dass er auf zwei Beinen stand und sich am Ende sogar in einen Menschen verwandelte.

Liebhert drückte noch einmal aus, dass er diese Erzählung für absoluten Unsinn hielt. Dann wurde er angepiept und entschuldigte sich, da er eine neue Leiche in Empfang nehmen musste. Sobald er aus der Pathologie verschwunden war, war es möglich freier zu reden.

„Wie gesagt, das alles muss nichts bedeuten. Die Frau ist drogenabhängig, sie hat es sich bestimmt nur eingebildet.“, gab Harlow zu bedenken.

Toby näherte sich nun Lexi und betrachtete diese. Die Wissenschaftlerin war immer noch in ihrer Starre gefangen und schien zu überlegen.

„Also… es ist nicht schlimm wenn du nicht weißt welches Tier es war.“, wollte sie die junge Frau aufheitern.

Lexi blickte sie überrascht an, schüttelte dann aber den Kopf.

„Nein, ich weiß bereits mit was wir es zu tun haben. Ich frage mich nur warum der Mann angegriffen wurde.“, meinte sie.

Damit erweckte sie natürlich die Aufmerksamkeit des Teams.

„Hatte die Kreatur nicht Hunger?“, hakte Evan nach.

Lexi verneinte augenblicklich.

„Nein, zum einen wurde nur die Carota externis durchtrennt, das bedeutet es war nur ein gezielter Biss. Hätte das Tier ihn als Nahrung angesehen, hätte mehr Bisse gefolgt und es hätte ihn wahrscheinlich irgendwo hingeschleppt um ihn restlos zu verwehren. Nein, es muss ihn aus irgendeinem Grund als Bedrohung angesehen haben.“, spekulierte sie.

Für Evan war die Frage warum das Opfer sterben musste jedoch zweitrangig. Wichtiger war, womit sie es zu tun hatten.

„Was haben Ihnen die Verletzungen gesagt?“, war es Dylan, welche die Preisfrage stellte.

Lexi nickte ein paar mal aufgeregt.

„Die Aussage der Zeugin stimmt mit den Verwundungen überein. Es sind definitiv die Krallenvertiefungen eines Hundes bzw. Wolfes. Ich denke wir haben es mit einem Canis Dirus aus dem späten Pleistozän zu tun.“, kombinierte sie.

Dylan blickte hilfesuchend zu Luke.

„Der Canis Dirus lebte vor allem in Nord und Südamerika. Er besaß eine durchschnittliche Länge von etwa 1.0 Meter und man könnte ihn als Vorfahren der heutigen Wölfe bezeichnen.“, ratterte er herunter.

Lexi protestierte jedoch sogleich.

„Ja, das wird in vielen Lehrbüchern angeführt, ist so aber nicht richtig. Auch wenn er den Körperbau eines Wolfs besaß, war er wesentlich größer und eher der Vorfahre der heutigen Hunde.“, korrigierte sie ihn.

Luke presste etwas beleidigt die Lippen zusammen und Dylan konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Evan nickte verstehend.

„Wir suchen also nach einer Wolf… oder hundeartigen Kreatur die auf zwei Beinen läuft und sich bei Vollmond in einen Menschen verwandeln kann.“, sagte er abschätzig.

„Nun, was das stehen anbelangt… der Canis Dirus war recht groß und hatte starke Hinterbeine. Wenn er sich bedroht fühlte, konnte er sein Gewicht nach hinten verlagern und so für kurze Zeit aufrecht stehen um größer und gefährlicher auf den Gegner zu wirken. Etwa vergleichbar mit der Männchenstellung der heutigen Hunde. Das stützt meine These, dass er das Opfer als Bedrohung ansah.“, erzählte sie.

Evan schien zufrieden, damit hätten sie schon mal die Hälfte des Rätsels gelöst.

„Und konnte er sich auch zufällig in einen Menschen verwandeln?“, fragte er Lexi provokant.

„Äh… nein… ich…“, stotterte sie leicht.

Toby hustete demonstrativ und schob Evan weg.

„Er will dich nur ärgern, beachte ihn einfach nicht.“, nahm sie sie in Schutz.

„Sagen Sie… gibt es sonst noch etwas an der Leiche was seltsam war?“, wand sich Dylan an Harlow.

Dieser überlegte kurz und nickte dann.

„Da gibt es wirklich was. Scheinbar wurden dem Opfer vor dessen Tod das Bargeld aus der Brieftasche gestohlen, genauso wie dessen Armbanduhr.“, berichtete er.

Die Überraschung war natürlich recht groß. Ein urzeitlicher Wolf… oder Hund der sich hin und wieder in einen Menschen verwandelte, Leute umbrachte und sie beklaute?

„Will Cohen, ein kleiner Drogendealer. Downtown war schon immer ein gefährliches Pflaster, aber wenn dort jetzt auch noch Urzeitmonster herumlaufen, macht das meinen Job nicht leichter.“, fügte Harlow hinzu.

Evan klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schultern und versprach, dass sie sich der Sache annehmen würden. Noch hatte er zwar keine Ahnung wie, denn sie besaßen zwar ein Ortungsgerät, jedoch nur für Anomalien. Aber diese hatte sich bereits vor einem Monat geschlossen. Wie sollten sie den Canis Dirus also aufstöbern? Diese Frage beschäftigte nicht nur ihn, sondern das ganze Team, als sie wenig später das Gebäude der Rechtsmedizin verließen.

„Hey… ich denke ich habe da eine Idee.“, schoss es nun aus Toby heraus.
 

Vancouver - Downtown Eastside
 

„Wir haben übrigens keine Silberkugeln dabei.“, bemerkte Donovan beiläufig, als er in den Rückspiegel blickte.

Evan seufzte resigniert. Er hatte bereits Lukes Sprüche über sich ergehen lassen müssen, der taktische Leiter des Teams musste jetzt auch nicht noch damit anfangen.

„Aber stellt euch einmal folgendes vor. Es ist eine Kreatur aus der Zukunft, die sich durch Genexperimente in einen Menschen verwandeln kann, oder auch umgekehrt.“, warf Luke in den Raum.

Ein strenger Blick seitens Dylans folgte.

„So etwas wie Werwölfe gibt es nicht und wird es auch nie geben.“, stand für sie fest.

Dann räusperte sich Lexi Gray um sich bemerkbar zu machen.

„Ich halte mich zwar für sehr aufgeschlossen, teile diese Ansicht aber. Auf der anderen Seiten gehen wir bei Area 51 der Spur nach, dass viele Mythen und Legenden sowie Fabelwesen nur entstanden weil Menschen in der Vergangenheit Kreaturen aus Anomalien begegnet sind, die damals noch nicht erforscht worden sind.“, erzählte sie.

„Also sowas wie Nessi?“, hakte Toby nach, die direkt neben der Paläontologin saß.

Diese nickte aufgeregt.

„Ja, beispielsweise ein Plesio oder ein Elasmosaurus.“, gab sie an.

Donovan verzog die Lippen. Er war selbst einem dieser Monster begegnet und an ihnen war nichts mythisch.

„Wie sieht es mit Big Foot aus?“, interessierte es ihn aber dennoch.

„Ein Gigantopithecus, ein Riesenaffe aus dem Pleistozän wie unser Verdächtiger in diesem Fall.“, sprang Lexi sofort darauf ein.

„Und Drachen?“, kam der nächste Vorschlag von Dylan.

Nun brauchte Lexi etwas um zu überlegen.

„Vermutlich ein Dracorex.“, sagte sie dann.

„Wie sieht es mit Aliens aus?“, versuchte es auch Luke.

„Mutierte Fledermäuse aus der Zukunft.“, verriet Lexi und schien es sogar ernst zu meinen.

„Und der Weihnachtsmann?“, kam es nun von Evan.

Alle Augen richteten sich auf ihn.

„Naja… vielleicht kann man nicht alle Sagengestalten logisch erklären.“, gestand die Wissenschaftlerin.

„Hey, sagen Sie das nicht. Luke glaubt immer noch an ihn.“, stichelte Dylan und der Student reagierte etwas beleidigt.

Die Gruppe wurde etwas durchgerüttelt, als Donovan plötzlich hielt.

„Wir sind da.“, verkündete und die die anderen warfen einen Blick aus dem Fenster.

Harlow hatte ihnen die Adresse des Tatorts gegeben, die Beamten schienen bereits abgezogen worden zu sein. Donovan parkte am Straßenrand und das Team stieg aus. Dylan gab dem Ex-Major den Rat abzuschließen, ansonsten war es gut möglich, dass der Van in Windeseile gestohlen wird. Auf der anderen Straßenseite prangte ein langes Absperrband, die Stelle an dem der Drogendealer von dem vermeintlichen Canis Dirus erwischt wurde.

Dylan ließ ihren Blick schweifen und stieß einen Fluch aus.

„Tut mir ja sehr leid, doch ich bezweifle, dass ich in dieser Gegend die Fährte des Tieres aufspüren könnte.“, gab sie zu.

Evan zeigte dafür vollstes Verständnis. Selbst ohne Abgase und einer Vielzahl an fremden Gerüchen, benötigte es einen erdigen Grund um etwaige Fußspuren zu identifizieren. Auf dem harten Steinpflaster dieser Gegend war es unmöglich.

„Wir bräuchten einen Spürhund um das Tier zu finden.“, murmelte Donovan.

Toby hantierte gerade mit ihrem Handy und schüttelte dann den Kopf.

„Nein, dafür bräuchten wir eine Geruchsprobe von dem Tier, welche wir nicht haben. Doch ich habe einen anderen Anhaltspunkt, lasst mich nur machen.“, sprach sie und schritt dann vorwärts.

Evan wollte sie fragen was sie vorhatte, beschloss dann aber ihr zu vertrauen. Toby ging voraus und der Rest des Teams folgte ihr in einigem Abstand. Nach wenigen Minuten waren sie am Ende der Straße angelangt und Toby schritt auf einen Laden zu. Sie gab den anderen ein Handzeichen zu warten und war kurz darauf in dem Geschäft verschwunden.

„Ein Pfandladen?“, fragte Lexi überrascht.

Dylan lächelte ihr zu und bat sie sich zu gedulden, auch wenn sie selbst keine Ahnung hatte welcher Idee Toby gerade nachging.

Dennoch machten sie es sich auf ihrer Position bequem und warteten die 5 Minuten die Toby brauchte um wieder aus dem Gebäude herauszutreten.

Mit einem Grinsen im Gesicht steuerte sie auf das Team zu.

„Was wolltest du da drin?“, hakte Dylan nach und Toby gab sich verschwörerisch.

„Der Detective meinte doch, dass dem Opfer das Geld und die Armbanduhr abgenommen wurden, richtig? Und wo wird man Diebesgut am besten los?“

Weitere Erklärungen waren unnötig, Evan und die anderen verstanden sofort.

„Wow… das war klever von dir.“, meinte Lexi zu Toby.

Diese musste aufpassen nicht rot zu werden und gab sich weiterhin souverän.

„Und was hat der Verkäufer gesagt? Ist ein Werwolf hineinspaziert und wollte die Uhr gegen Bares tauschen?“, hakte Luke nach.

Toby verneinte natürlich und erzählte, dass der Verkäufer ihr die Person beschrieben hatte, zumindest nachdem sie diesem ein paar Scheine überreicht hatte.

„Er kennt die Person, welche die Uhr dagelassen hat. Scheinbar handelt es sich um einen Obdachlosen namens Hank. Der ist öfters bei ihm um Sachen einzutauschen. Angeblich wohnt er in einer der verlassenen Mietswohnungen in der Gegend hier.“, berichtete sie.

Natürlich war ihr klar, dass der Verkäufer wissen musste, dass diese Gegenstände unmöglich alle dem Obdachlosen gehören konnten, aber scheinbar drückte er des Öfteren ein Auge zu. Sah man sich die Gegend hier genauer an, war vermutlich die Großzahl an Waren im Laden gestohlen.

„Mit anderen Worten, wenn wir diesen Obdachlosen finden, erzählt er uns vielleicht was er gesehen hat.“, kombinierte Dylan.

Toby stimmte ihm zu, das wäre auch ihr nächster Vorschlag gewesen.

Die Suche nach Hank erwies sich jedoch etwas schwieriger als erwartet. Die Mietswohnung war schnell gefunden, doch ihnen begegneten mehr Obdachlose als ihnen lieb waren. Obwohl das Gebäude bereits Innen sowie Außen bröckelte und wahrscheinlich schon mit Schimmel durchwachsen war, hatten es sich viele Menschen darin bequem gemacht die sonst keinen Ort zum Bleiben hatten. Das Team hatte sich aufgeteilt, während Dylan, Luke und Donovan die unteren Etagen abgrasten, übernahmen Evan, Toby und Lexi die oberen Stockwerke. Zuerst begegneten sie einer älteren Frau, die jedoch entweder taub war, oder nichts mit ihnen zu tun haben wollte. Beim nächsten Versuch scheiterten sie an einer Sprachbarriere, da auch viele Ausländer hier residierten. Im zweiten Stock fanden sie endlich jemand zuverlässigen und nachdem sie ihm ein paar Scheine in die Hand drückten, verriet er, dass der Mann namens Hank ein Zimmer im 5ten Stock bewohnte.

Die drei dankten ihm und setzten ihren Weg fort. Toby sah Lexi an, dass sie sich in der Umgebung absolut nicht wohl fühlte. Den dreien war anzusehen, dass sie absolut nicht herpassten und wurden von neugierigen, sowie skeptischen Augen durchbohrt. Toby hätte Lexi in diesem Moment am liebsten zugeflüstert, dass sie sie beschützen würde, entschied sich dann aber dagegen. Das wäre vermutlich zu peinlich gewesen. Die Treppe knarrte unter jedem Schritt und verlieh den Eindruck, dass sie jeden Moment einbrechen konnte, trotz der zierlichen Statur der beiden Frauen.

Im 5ten Stock angekommen, war es wesentlich ruhiger und bald war das gesuchte Zimmer gefunden, dass ihnen der Obdachlose beschrieben hatte. Die war nur angelehnt, doch Evan klopfte trotzdem zweimal daran. Dann drückte er Tür auf und trat ein. Toby und Lexi folgten ihm und fanden sich bald in einem leeren Apartment wieder. So dachten sie zumindest.

Aus einem Nebenraum hopste nun eine Gestalt und hielt etwas in die Luft. Lexi kreischte auf, als ihr der Lauf eines Gewehrs ins Gesicht ragte.

Toby überlegte was sie tun sollte, doch sie war nun mal nicht Donovan. Dieser wäre trainiert genug gewesen um nach vorne zu springen, nach dem Gewehr zu greifen und es wegzureißen. Danach hätte er dem Angreifer ins Gesicht geschlagen und ihn zu Boden gestoßen. Doch der Ex-Soldat war nun mal leider nicht hier.

„Hey, hey! Immer mit der Ruhe!“, rief Evan empört.

Der Bewaffnete war genauso wie sie es erwartet hatten. Er trug einen langen, zerschlissenen Mantel und etwas, das den Begriff Vollbart weit überspannte. Lange wuchtige Haare und skeptische Augen. Noch dazu den Gestank, den beide Frauen rochen, obwohl der Obdachlose weit genug von ihnen entfernt stand.

„Das hier… ist mein Haus!“, brüllte er wild.

Evan wollte einlenken, dass es eine Wohnung und nicht ein Haus war, verzichtete aber darauf.

„Tut uns leid, dass wir hier so einfach eindringen. Aber wir brauchen eine Auskunft von Ihnen.“, versuchte es Evan mit verhandeln.

Die Unruhe des Mannes zerschlug er damit aber nicht, im Gegenteil. Der Obdachlose musste sie für Polizisten halten und würde die Waffe sogar noch wirklich gegen sie einsetzen.

Toby kramte in ihren Taschen und das Gewehr zielte nun auf sie.

„Nicht schließen! Ich will… nur etwas Geld herausnehmen, sehen Sie?“, erklärte diese und zog ein paar Scheine hervor.

Die Augenbrauen des Obdachlosen schnellten nach oben, scheinbar hatten sie damit sein Interesse geweckt. Der Mann namens Hank tat ein paar Schritte zurück, senkte sein Gewehr aber nur sporadisch.

„Wurden Sie… Zeuge davon was gestern Nacht hier in der Nähe geschah?“, wagte es Evan dann zu fragen.

Hank musterte ihn und nickte dann.

„Seid ihr Cops? Dieses… dieses Ungeheuer hat ihn einfach zerfleischt.“, schien er immer noch große Angst zu haben.

Damit stand zumindest fest, dass sie den Richtigen gefunden hatten. Auch war klar, warum sich der angebliche Werwolf plötzlich in einen Menschen verwandelt hatte. Hank hatte sich kurz nach dem Angriff zur Leiche gewagt und diesen um dessen Wertsachen erleichtert.

„Können Sie das Tier beschreiben?“, hakte er nach.

Hank zögerte einen Augenblick.

„Es… war ein riesiger Wolf! Er hat sich auf den Kerl gestützt und seine Krallen an ihm gerieben.“, erzählte er.

„Und… wissen Sie in welche Richtung das Tier verschwunden ist?“, wollte Toby wissen und reichte Hank das Geld.

Dieser nahm es vorsichtig entgegen und überprüfte ob es echt war.

„Ja und auch woher es gekommen ist. Ich war drüben, bei der alten Chester-Fabrik. Hinter dem Gebäude lagern immer alte Radkappen die ich dann verscherbeln kann. Als die Kreatur aus der Fabrik kam ging ich in Deckung. Ich folgte ihm und sah was es anrichtete. Nach dem Angriff habe ich es zwar nicht verfolgt, aber es lief denselben Weg wieder zurück den es gekommen ist.“, berichtete er.

Evan nickte den beiden Frauen zu und dankte Hank dann für seine Auskunft.

„Vielen Dank, Sir. Wir werden Sie nicht weiter belästigen.“, versicherte er und gab Toby und Lexi ein Zeichen, dass sie das Apartment nun verlassen würden.

„Das… war ein Monster. Sie sollten ihm nicht zu nahe kommen.“, rief ihnen Hank beim Hinausgehen hinterher.

Evan stimmte ihm in Gedanken zu, allerdings gab es da ein kleines Problem.

Es war nun mal ihr Job.
 

Vancouver - Downtown Eastside, Chester-Fabrikation
 

Als das CPT die Chester-Fabrik endlich erreicht hatte, wurde es auch bereits dunkel. Das würde nicht nur die Suche erschweren, sondern auch eine mögliche Auseinandersetzung mit dem Canis Dirus.

Donovan parkte in sicherem Abstand und öffnete die hintere Ladeklappe. Die Gruppe stieg aus und ließ sich von dem ehemaligen Major die EMDs reichen. Evan wies sie an, sie auf geringere Stärke zu stellen, immerhin hatten sie es diesmal mit keinem Riesen zu tun und wollten den Wolf lediglich betäuben.

„Was machen wir eigentlich mit ihm, wenn wir ihn haben?“, fragte Dylan interessiert.

Evan brauchte etwas um zu verstehen was sie meinte.

„Stimmt, die Anomalie hat sich bereits geschlossen, es wird uns nichts übrig bleiben als das Tier erst einmal bei Cross-Photonics unterzubringen.“, sagte er.

Am einfachsten wäre es gewesen, mittels dem Opener eine Anomalie ins Pleistozän zu öffnen und den Canis Dirus zurückzuschicken. Doch dummerweise war das Gerät explodiert, als Evan die Anomalie im Hochhaus schließen wollte. Doch er hatte keine Wahl gehabt, andernfalls hätten er, Dylan und Ange es nicht lebend herausgeschafft.

„Was soll’s, ich habe mir schon immer ein Hündchen als Haustier gewünscht.“, fügte er hinzu.

„OK… welche ist meine?“, fragte Lexi und tastete über die Impulsgewehre.

Donovan blickte zu Evan und dieser schob sich vor die Waffenkiste.

„Danke, Sie haben uns bisher sehr geholfen. Aber den Rest schaffen wir auch so.“, drückte er sich so freundlich wie möglich aus.

Lexi wirkte verblüfft, für sie schien es logisch zu sein an Missionen teilzunehmen. Toby schob sie sanft beiseite, damit Donovan die Wagentür wieder schließen konnte.

„Weißt du was? Du bist hier zu Gast und solltest nicht arbeiten. Überlass die Jagt am besten den Männern. Und Luke.“, schlug sie vor.

Etwas wehmütiges war in Lexis Augen zu lesen.

„Sie dürfen sich das Tier später gerne ansehen, wenn wir es gesichert haben.“, bot Dylan an, was die Paläontologin etwas aufzuheitern schien.

Nach Tobys Zutun ließ sich Lexi dann doch überzeugen beim Van zu bleiben und auf den Rest des Teams zu warten.

Evan nickte seinen Freunden zu und in schnellen schritten begannen sie sich an den Eingang heranzupirschen. Sowohl Dylan als auch Luke versicherten ihm, dass die Ohren des Wolfes sehr gut ausgebildet waren und er jede kleine Bewegung hören wurde. Es war unmöglich völlig geräuschlos die ganze Fabrik abzusuchen, weshalb sie beschlossen dicht beieinander zu bleiben.

Auch wenn der Mond draußen noch etwas Licht spendete, innerhalb der Fabrik war es völlig dunkel. Natürlich war das CPT gut ausgerüstet und konnte sich für den Fall Taschenlampen aus den dafür angebrachten Halterungen ziehen.

„Ich muss sicher nicht erwähnen, dass Wölfe auch gut im Dunkeln sehen können, oder?“, flüsterte Luke.

Evan wäre es lieb gewesen, der Student hätte es sein lassen, auch wenn die Information sicher nützlich war.

Der Canis Dirus konnte sich bestimmt in jeder möglichen Ecke verstecken, ohne dass die Suchstrahlen ihn überhaupt erreichten. Donovan bildete die Vorhut, obwohl Dylan ebenfalls dazu prädestiniert gewesen wäre. Dennoch musste sie zugeben, in ihrem alten Job bisher keinen Wölfen begegnet zu sein. Diese Ehre wurde den Parkrangern in den umliegenden Wäldern Kanadas überlassen. Der Canis Dirus war zwar kein direkter Wolf, musste aber viele Eigenschaften mit ihnen teilen. Hier in dieser fremden Umgebung gefangen zu sein, abseits seines Zuhauses und seiner Jagdgründe, hatten bestimmt Einfluss auf ihn genommen. Er würde sehr aggressiv und uneigensichtig agieren.

Dylan reagierte auf ein Geräusch und wies auf eine Treppe die zu einer höheren Ebene führte.

Donovan nickte den anderen zu, beschloss aber alleine mit Evan nach oben zu steigen. Vier Personen auf einem Fleck waren definitiv ein zu leichtes Ziel. Dylan und Luke sicherten den Aufstieg und leuchteten nach oben.

Die beiden Männer waren kurz darauf auf der Ebene angekommen und versuchten sich zu orientieren. Überall standen schwere Maschinen herum, was die Fortsetzung des Weges noch erschwerte.

Evan wollte gerade Blinksignale nach unten geben um Dylan und Luke zu signalisieren, dass es sicher war, da preschte ein Schatten hinter einem der Geräte hervor.

Evan oder Donovan konnten gar nicht so schnell reagieren, da schoss der Schatten zwischen ihnen hindurch, die Treppe hinab.

„Vorsicht!“, brüllte Evan, dem die Lautstärke nun herzlich egal war.

Luke der unten an der Treppe stand merkte es zuerst und zog Dylan beiseite. Beide krachten zu Boden, wie letztens bei dem Dryptosaurus Zwischenfall. Diesmal wurde zum Glück keiner von ihnen verletzt, der Schatten huschte direkt an ihnen vorbei. Evan und Donovan hasteten die Treppe hinab und halfen den beiden auf.

„Es hat sich auf vier Beinen fortbewegt, es ist definitiv der Canis Dirus den wir suchen.“, atmete Dylan schwer.

Aber auch mit dieser Information ließ sich nicht recht viel anfangen. Die vier Teammitglieder leuchteten in alle Richtungen, doch der Schatten blieb verschwunden.

„In die nächste Halle.“, gab Donovan Order und Evan stimmte ihm zu.

Die Gruppe bewegte sich dicht an den Wänden entlang und verließ den Eingangsbereich durch eine Tür. Der Durchgang war eher schmal und auch die Halle dahinter von Fließbänden durchzogen. Hier gab es enorm viele Versteckmöglichkeiten, was den Abschluss der Mission nur noch erschwerte.

Dann erklang ein schauriges Heulen, doch niemand im Team konnte die Richtung einschätzen.

„Die EMDs oben lassen.“, befahl Donovan, auch wenn sich das eigentlich erübrigte.

Auf der anderen Seite konnte der Canis Dirus blitzschnell zugreifen und die Reflexe seiner Jäger mussten geschärft sein.

Luke leuchtete gerade über den Boden, als Dylan ihn zurückriss. Stumm deutete sie auf eine Stelle vor ihnen. Die anderen erkannten sofort was ihr aufgefallen war. Da diese Fabrik verlassen war, scherte sich auch niemand mehr um den Putz. Und genau das schien dem CPT zu Gute zu kommen, als sich vor ihnen der staubige Boden auftat, in dem eindeutig Abdrücke zu erkennen waren.

Evan gab den anderen ein Zeichen und sie trennten sich für eine geringe Distanz. Die Abdrücke führten zur Verarbeitung eines Fließbands und je näher das Team ihm kam, umso mehr Laute wurden hörbar. Es war wieder das Heulen, diesmal aber wesentlich schwächer als vorhin. Donovan wies auf eine Abdeckplane und nickte Evan zu. Im Geiste zählten sie bis drei und rissen die Plane weg.

Dylan und Luke sorgten für Licht, rissen jedoch kurz darauf überrascht die Augen auf.

„Was zum…“, entfuhr es Dylan und auch die anderen wollten nicht so recht glauben was vor ihnen lag.

Hinter der Plane und im Inneren einer runden Maschine wurde ein Nest gebaut, in dem drei kleine, flauschige Babys kauerten. Gut, Babys war vermutlich übertrieben, allen dreien wuchs bereits ihr Fell. Verspielt rollten sie sich umher und heulten, oder besser gesagten quiekten die Eindringlinge an.

„OK, damit hätte ich jetzt nicht gerechnet.“, staunte Donovan, doch um die Situation zu analysieren blieb wahrlich keine Zeit.

Staub wirbelte hinter ihnen auf und so schnell sie konnten, drehten sie sich um. Keine Sekunde zu spät, denn der Schatten war von oben zu ihnen herab gesprungen und heulte was das Zeug hielt. Im Licht der Taschenlampen näherte sich der Canis Dirus und fletschte seine Zähne. Doch bevor er angriff, verlagerte er sein Gewicht auf die Hinterbeine um sich aufzurichten.

„Jetzt ist unsere einzige Chance!“, rief Evan und die anderen verstanden.

Es war Dylans Schuss der das Tier zuerst traf, danach folgte Donovans. Luke und Evan machten sich zwar auch bereit, doch eine weitere Salve war nicht mehr nötig.

Der Canis Dirus wurde von den Impulsen getroffen und sank zu Boden. Ein letzter quälender Laut, dann begann er zu träumen. Dylan und Luke sicherten den Körper und gaben dann Entwarnung.

„Ich denke die hier müssen wir nicht betäuben?“, fragte Donovan und wies auf den Nachwuchs.

Diese stellten wahrlich keine Gefahr dar, doch er wollte sich bei den Experten sicherheitshalber Rat holen.

Doch weder Dylan noch Luke fanden dies notwenig.

„Deswegen ist er also so schnell nach unten und hierher. Um seine Kinder zu schützen.“, kombinierte der Zoologe.

Evan behielt den Nachwuchs weiterhin im Auge, doch diese schienen nicht einmal mitbekommen haben, dass ihr Elternteil friedlich vor ihnen schlummerte. Er sah zu seinen Leuten, bis ihm die Blässe in Dylans Gesicht auffiel. Schnell bückte sich die Frau und begann den Wolf zu untersuchen. Die Männer verzogen die Gesichter, als sie die Beine des Tieres auseinander schob und gegen den flachen Bauch drückte.

„Ähhh… Dylan?“, räusperte sich Evan.

Doch diese drehte sich nur zu ihnen um und schüttelte den Kopf.

„Das hier… ist ein Männchen.“, verkündete sie dann.

Evan schluckte und verarbeitete die Situation.

„Luke, ich nehme nicht an, dass die Canis Dirus Männchen Kinder austragen konnten?“

Luke schüttelte leicht den Kopf.

„Nenn mir mal ein männliches Lebewesen welches das kann.“, fand er die Frage recht unnötig.

Sofort erhoben die Mitglieder des Teams wieder ihre EMDs und waren sich eines sicher.

Es war noch nicht vorbei.
 

Vancouver - Downtown Eastside, Chester-Fabrikation
 

Lexi fuhr sich mit beiden Händen über die Oberarme und bereute, dass sie ein T-Shirt mit kurzen Ärmeln trug.

„Wenn… dir kalt ist, kann ich nachsehen, ob im Van noch ein Overall liegt.“, bot Toby an.

Doch Lexi lehnte ab, immerhin war es ihre eigene Schuld nicht zu bedenken, dass es in Kanada wesentlich kühler war.

„Sie… sind jetzt schon recht lange da drin.“, schwang etwas Sorge in ihrer Stimme mit.

Toby musste ihr zwar zustimmen, konnte sie aber beruhigen.

„Ja, die Jungs wissen was sie tun. Donovan ist ein erfahrener Soldat, Dylan kennt sich mit wilden Tieren bestens aus und Evan hat sogar ein Jahr in der Kreidezeit überlebt. Und Luke… ist eben Luke.“, tat sie die Sache ab.

Lexi nickte.

„Ja, es ist immer gut einen Experten im Team zu haben.“, stimmte sie zu.

Toby spielte mit ihren Fingern herum und wünschte sich tatsächlich, dass Evan und Co bald wieder zurück waren. Nicht weil sie sich groß um sie sorgte, sondern eher, dass es seltsam war, mit Lexi allein zu sein.

„Aber… ich bin von deinen Fähigkeiten ebenfalls beeindruckt. Du bist definitiv schlauer als Luke.“, erlaubte sie sich zu sagen.

Lexi taxierte sie mit ihren Blicken und wartete ab.

„Meinst du? Du… kennst mich doch nicht einmal.“, erwiderte sie.

Autsch!

„Äh… naja, ich meine im Gegensatz zu ihm hast du drei Doktortitel, das sagt schon einiges aus. Außerdem… hätte ich nichts dagegen dich genauer kennen zu lernen.“, gestand sie.

Lexi schluckte und blickte zu Boden.

„Ich… habe mich wirklich sehr über deine Mails gefreut.“, wechselte sie das Thema.

Toby wirkte überrascht, antwortete aber sogleich.

„Ja, ich mich über deine natürlich auch. Ich habe sogar die Visual Novel angespielt, die du mir als Anhang geschickt hast.“

Nun huschte ein Lächeln über Lexis Wangen.

„Schon ok. Wenn dir sowas nicht zusagt, musst du dich nicht damit abgeben nur um mir einen Gefallen zu tun.“, sagte sie schnell.

Toby schüttelte augenblicklich den Kopf.

„Aber nein, es war wirklich sehr interessant. Allerdings… komme ich irgendwie nicht zum richtigen Ende, weil ich nicht weiß welche Route ich auswählen muss.“, erwiderte sie.

Lexi musterte sie prüfend und kicherte dann kurz.

„Das ist wirklich das geringste Problem. Im Notfall kann ich dir dabei helfen.“, versprach sie.

Toby freute sich und nahm das Angebot gerne an.

Die beiden waren so abgelenkt, dass ihnen der Schatten, der langsam auf die zutrottete entging.

Erst als ein paar Kieselsteine rasselten, wurden die beiden Frauen auf ihn aufmerksam.

„Nicht… bewegen.“, raunte Lexi Toby zu.

Diese Warnung war unnötig, denn Toby war beim Anblick des abpirschenden Tieres ohnehin zu Eis erstarrt.

„Wieso… ist es hier?“, flüsterte sie, erhielt aber keine Antwort.

Der Canis Dirus vor ihnen richtete sich nun auf und Lexi nutzte die Gelegenheit und packte Toby am Oberarm.

„Komm!“, stieß sie hervor und drückte Toby in den Laderaum des Vans. Danach sprang sie selbst hinein und griff nach der Innentür. Auch Toby hatte sich wieder gefangen und übernahm die andere Hälfte. Gemeinsam zogen sie die Türen zu und hörten wie der Wolf außen dagegen stieß.

„Tut mir leid, eigentlich sollten sich Evan und die anderen darum kümmern.“, meinte Toby entschuldigend.

„Schon in Ordnung, bei uns läuft auch nicht immer alles nach Plan.“, zeigte Lexi Verständnis, auch wenn sie mit der Angst haderte.

Nach dem einen Stoß wurde es draußen ruhig und die Frauen seufzten erleichtert. Scheinbar hatte der Canis Dirus aufgegeben, da er immerhin kein Metall überwinden konnte.

Lexi rieb sich erneut die Oberarme und Toby stutzte. Warum… war es im Inneren des Vans genauso kühl wie draußen? Panisch riss sie die Augen auf, als sie den Grund erkannte. Die Tür zur Fahrerkabine stand offen, Donovan schien sie vorhin nicht geschlossen zu haben. Sie dachte daran die Tür zu schließen, doch da war es bereits zu spät.

Der Canis Dirus sprang auf den Sitz und reckte seine Nase in die Höhe. Toby sah hilfesuchend zur Waffenkiste, doch das Team hatte sämtliche EMDs mitgenommen. Im Laderaum des Vans befand sich nichts außer den Sitzen und einem Wagenheber.

„Oh mein Gott!“, stieß Lexi hervor als die funkelnden Augen des Wolfes ihre trafen.

Der Canis Dirus versuchte sich zwischen den Sitzen durchzukämpfen, was ihm aber nur halb gelang. Er streckte seine Pranken aus und heulte gefährlich.

„Ah!“, schrie Lexi als eine Pfote ihre Stirn traf. Eine der Krallen hatte sie gestreift und sie hatte augenblicklich zu bluten begonnen.

Toby trieb den Wagenheber nach vorne und stieß ihn gegen den Kopf des Tieres.

Diese beschwerte sich mit einem Heulen, dachte aber nicht daran aufzugeben.

„Was sollen wir tun?“, fragte Lexi ängstlich.

Toby schluckte, die Idee die ihr gerade kam war sehr gefährlich.

„OK… nimm den Wagenheber und halte ihn in Schacht. Ich werde inzwischen in die Fabrik laufen und Evan und die anderen verständigen.“, schlug sie vor.

Lexi starrte sie ungläubig an.

„Spinnst du? Das geht niemals gut, der Canis Dirus wird auf dich aufmerksam und holt dich ein. Du bist nicht einmal annähernd so schnell wie er!“, protestierte sie.

Doch Toby glaubte keine andere Wahl zu haben.

Der Wolf vor ihnen drängte sich immer mehr zwischen die Sitze durch und hatte sich bald freigekämpft.

Toby griff nach dem Tür griff, wurde aber von Lexi gestoppt. Diese hatte Tobys Hand ergriffen und sah sie flehend an. Toby spürte die Wärme und den Druck von Lexis Hand, die sie nicht gehen lassen wollte.

„Pass… auf dich auf.“, flüsterte sie kraftlos und Toby versprach es ihr.

„Schließ die Tür hinter mir.“, sprach sie und schlüpfte dann nach draußen.

Lexi bewaffnete sich mit dem Wagenheber und stieß ihn gegen den Schädel des Wolfes.

Dieser knurrte, zog sich aber daraufhin zurück. Vermutlich nahm das Geräusch der fliehenden Beute wahr. Lexi musste dabei zusehen, wie sich der Canis Dirus zurückzog und aus dem Van verschwand. Mit nur einem Ziel, nämlich Toby zu verfolgen.

Diese rannte inzwischen mit voller Kraft Richtung Fabrikeingang. Zumindest war dies der Plan.

Immer weitere unter heftigem Keuchen und Schnaufen hastete sie weiter. Sie stolperte, kämpfte sich aber schnell wieder auf. Sie verzichtete darauf auch nur einen Moment inne zu halten und zu überprüfen ob sie verletzt war, geschweige den blutete. Alles was ihr Tunnelblick zuließ war der Eingang dem sie sich näherte. Obwohl es riskant war, wagte sie einen Blick nach hinten. Keine Spur von dem Canis Dirus. Sie hielt an und fürchtete, das Tier würde bei Lexi bleiben und diese anfallen.

Sie vernahm das Klirren von Scherben in ihrer Nähe und beobachtete wie Teile eines Fensters zu Boden fielen. Sofort starrte sie zum Eingang und erkannte den Schatten der sich davor schob. Sie hatte die Kreatur hoffnungslos unterschätzt. Diese hatte lediglich eine Abkürzung benutzt um seine Beute einzuholen.

Toby schritt zurück, das Tier nicht aus den Augen verlierend.

Der Canis Dirus sprang erneut ins Freie und taxierte Toby mit den Augen eines Jägers. Plötzlich ertönte eine Hupe und der Schädel des Wolfes schwank umher.

Lexi schien die Situation erkannt zu haben und wollte den Canis Dirus nun mit lauten Geräuschen ablenken.

Toby selbst nutzte ihre Chance und begann wieder zu rennen. Aber wohin? In die Fabrik konnte sie nicht mehr, da der Wolf davor stand. Zurück zum Van war es zu weit.

In ihr stieg Panik auf und sie tat genau das, was sie hätte nicht tun sollen. Sie rannte blindlings los, ohne Ziel. Im Moment wollte sie einfach nur Lexi davor bewahren von dem Tier angegriffen zu werden. Durch das Hupen war der Canis Dirus erst verwirrt, doch das würde nicht lange anhalten.

Toby hatte bereits einige Gebäude hinter sich gelassen, wagte es aber nicht zurückzuschauen. In nicht allzu weiter Entfernung vernahm sie noch mehr Hupen, das bedeutete Menschen. Zwar bezweifelte sie, dass der Canis Dirus vor mehr Leuten aufgeben würde, aber zumindest hatte sie dann Hilfe. Sie bog um eine Ecke und fand sich auf einem Gehsteig wieder. Kaum 10 Meter Entfernung erkannte sie den Tatort von heute Nachmittag. Sie musste einen Ort finden, wo sie sich verstecken konnte. Ohne auf den Verkehr zu achten spurtete sie los und überquerte die Straße in Eiltempo. Auf der anderen Seite angekommen ließ sie schließlich ihre Ausdauer im Stich und sie hasste sich dafür. Jetzt rächte sich die Tatsache, dass sie zu sehr vor Computern herumhing und keinen Sport trieb.

Obwohl sie nicht wollte, musste sie anhalten um zu verschnaufen. Hinter ihr bereits das bedrohliche Heulen und sie wand ihren Kopf.

Der Canis Dirus war ebenfalls auf der anderen Straßenseite angelangt, doch er hingegen brauchte keine Pause. Glücklich darüber seine Beute endlich eingeholt zu haben sprintete er los und preschte wie ein Blitz auf Toby zu.

Diese war schon nahe daran ihre Augen zu schließen und von ihrem Leben Abschied zu nehmen als…

Als sie gerettet wurde.

Kaum war der Canis Dirus auf die Straße gesprungen, schon wurde er volle Breitseite von einem Wagen erfasst. Das Tier wurde in hohem Bogen weggeschleudert und landete am Straßenrand. Regungslos blieb es dort liegen und Toby konnte ihr Glück kaum fassen.

„Toby? Wo steckst du?“, hörte sie die Rufe.

Wenige Sekunden später bogen Evan und die anderen um die Ecke. Toby ließ sich auf die Knie fallen und hätte heulen können. Während Dylan und Donovan den toten Canis Dirus sicherten, eilten Evan und Luke zu ihrer Freundin.

Diese atmete schwer und sah Evan hilfesuchend an.

„Es ist alles gut, du hast es geschafft.“, versicherte ihr Boss und half ihr auf.

„Wir helfen dir zum Van zurück.“, gab Luke Bescheid.

Der Van!

„Was… ist mit Lexi?“, fragte Toby stockend.

Die Antwort sollte sie gleich eine Minute später erfahren. Lexi Gray wartete vor dem Van auf sie und fiel ihr in die Arme, als sie zurück war.

„Gott sei Dank ist dir nichts passiert.“, brachte sie hervor.

Toby hatte zu viel Kraft verloren um die Umarmung zu erwidern, doch das Gefühl das sie gerade empfand schien ihr die Hetzjagd wert gewesen zu sein.

„Nach… Hause…“, stöhnte Toby nur noch.

„Klar. Das hast du dir verdient.“, erwiderte Evan stolz.
 

Cross-Photonics
 

Toby war während der Rückfahrt auf den Sitzen eingeschlafen. Dylan hatte sich nicht beschert, als sich ihre Freundin nur einmal kurz anlehnen wollte, dann aber ihren Kopf auf Dylans Schulter legte.

Donovan hatte zusammen mit Luke den betäubten Canis Dirus sowie des Jungen ins Innere des Fahrzeugs verfrachtet, während Evan und Dylan sich um die Überreste des Weibchens gekümmert hatten.

Den Verlust ihrer Mutter konnten sie dem Nachwuchs nicht ersparen, doch für sie hatte es nun mal Priorität, dass keine weitere Person mehr verletzt wurde.

Toby wachte erst wieder auf, nachdem sie bei Cross-Photonics angekommen waren. Dylan begleitete sie und Lexi zur Lazarett-Sektion, wo Dr. Fridkin die beiden erst einmal durchquerte.

Evan ließ die schlafenden Wölfe sicher abtransportieren und in einem abgeschlossenen Raum unterbringen. Morgen würde er Harold bitten einen geeigneten Lebensraum für sie zu finden, wenn sie sie schon nicht wieder zurück in ihre Zeit schicken konnten. Evan und Dylan fanden Kyle im Aufenthaltsraum vor, auch er schien einen harten Tag gehabt zu haben. Er schlief auf der Couch und Dylan machte sogar Späße darüber ihn zuzudecken. Evan musste bei dem Gedanken schmunzeln, dass sie dies in der Zukunft vermutlich andauern getan hatte, als Kyle noch klein war. Dylan hatte Detective Harlow angerufen und ihm Entwarnung gegeben. Der böse Werwolf würde nicht weiter zuschlagen und die Leute würden wieder sicher sein. Gut, so sicher man in diesem Viertel auch sein konnte.

Luke betrat gerade die Lazarett-Sektion und erblickte Lexi. Auf ihrer linken Stirnhälfte prangte ein großes Pflaster und sie wirkte leicht mitgenommen. Toby saß neben ihr und fühlte sich verantwortlich.

„Hey, alles in Ordnung?“, fragte der Student mitfühlsam.

Lexi nickte sofort und versicherte ihm, dass sie hart im nehmen war.

„Ich muss zugeben… Sie sind wirklich gut.“, brachte Luke nun etwas kleinlaut hervor.

Toby und Lexi begriffen nicht gleich, dass er der Paläontologin damit ein Kompliment machen und ihre Fähigkeiten anerkennen wollte.

„Danke. Ich bin sicher Sie wären genauso hilfreich gewesen, wenn ich nicht da gewesen wäre.“, sagte Lexi nun.

Toby verdrehte kaum merklich die Augen, scheinbar war sie anderer Meinung.

Dennoch nahm Luke das Kompliment an.

„Aber Sie kennen nicht zufällig ein Hotel in der Nähe? Ich bin noch nicht dazu gekommen eines zu suchen.“, gestand Lexi nun etwas kleinlaut.

Luke hob überrascht die Augenbrauen.

„Also… ich bezweifle, dass Sie jetzt noch etwas finden werden. Wieso… übernachten Sie nicht einfach bei Toby?“, schlug er vor.

Dafür erntete er einen scharfen Blick seitens seiner Freundin, auch wenn er nicht verstand warum.

„Was denn? Würde ich sie einladen bei mir zu übernachten, könnte man das sicher falsch verstehen.“, wand er ein.

Lexi blickte nun fragend zu Toby und diese seufzte.

„Ja… natürlich, kein Problem. Ich habe nichts dagegen, du kannst gerne bei mir pennen.“, erwiderte sie.

Lexis darauf folgendes Lächeln waren für Toby die sämtlichen Strapazen des Tages wert.

Lexi wollte zuvor noch einmal zu ihrem Wagen, um die Akten abzuliefern, wegen denen sie extra angereist war. Luke wurde als Packesel missbraucht und trug sie in Evans, Schrägstrich Macs Büro. Lexi schloss den Mietwagen wieder ab und folgte Toby zu ihrem Wagen.

Die Fahrt dauerte kaum eine halbe Stunde und beide Frauen spürten die Erschöpfung als sie die Treppe zu Tobys Wohnung hinaufstiegen.

Diese schloss auf entschuldigte sich sogleich für die Unordnung. Lexi wehrte schnell ab, immerhin hatte Toby noch gar nicht ihre zu Gesicht bekommen.

„Warte, ich stelle schnell Kaffee auf.“, kam es Toby in den Sinn und sie verschwand in die Küche.

Lexi trat ein paar Schritte nach vorne und schwankte leicht. Sie war in Tobys Zimmer angekommen und musste erst mal auf das Bett setzen.

„So, der Kaffee dauert etwas.“, kehrte Toby zurück und musste mitansehen, wie sich Lexi an die Stirn fasste und an dem Pflaster kratzte.

Daraufhin folgte ein strenger Blick.

„Tut mir leid, aber das Jucken will einfach nicht aufhören.“, rechtfertigte sich die Paläontologin.

Toby wollte davon allerdings nichts hören.

„Gut, ich sehe es mir genauer an.“, meinte sie und verschwand kurz darauf aus dem Schlafzimmer.

Lexi erkannte erst wohin sie ging, nachdem sie mit einem kleinen Glas und Wattebäuschen zurückgelehrt war. Scheinbar hatte sie ihrem Badezimmer einen Besuch abgestattet und Sachen zusammengekramt, die hilfreich sein könnten.

„Also… du musst dich nicht bemühen.“, wehrte Lexi schnell ab.

Doch mit Toby schien man nicht verhandeln zu können und langsam begann sie das Pflaster abzuziehen. Ihre Augen verengten sich.

„So schlimm?“, fragte Lexi nun etwas misstrauisch.

Toby verneinte augenblicklich.

„Aber nein. Ich werde die Wunde reinigen und ein neues Pflaster draufkleben.“, erklärte sie und begann einige der Wattebausche mit dem Inhalt des Glases zu tränken.

„Ist das Alkohol oder Desinfektionsmittel?“, hakte Lexi nach.

Im Grunde konnte es ihr ja egal sein, da beides unangenehm brennen würde.

Kaum hatte der Wattebausch ihre Stirn erreicht, zuckte sie zurück.

„Du musst schon stillhalten, wenn du keine Infektion kriegen willst.“, bemängelte ihre Ärztin.

Lexi presste die Lippen zusammen und wirkte trotzig. Dennoch ließ sie Toby näher an sich heran und diese tupfte nun vorsichtig die Wunde ab.

Lexi stöhnte gequält, doch Toby kannte kein Erbarmen. Sie wollte nicht, dass sich der Kratzer entzündete oder vielleicht noch schlimmeres. Bald hatte sie alle Stellen gesäubert und fuhr nun mit dem Wattebausch langsam an Lexis Schläfe hinab.

Diese ergriff nun vorsichtig Tobys Armgelenk und zog es nach unten.

„Ich… muss noch ein Pflaster draufkleben.“, stammelte Toby plötzlich.

Lexi rang sich ein Lächeln ab und zog Toby weiter zu sich nach unten.

Beiden war klar, dass die Versorgung des Kratzers nun keine Rolle mehr spielte. Genauso wenig die Ereignisse des heutigen Tages.

Die Lippen der beiden näherten sich einander an und fingen sich in der Mitte. Toby stellte die Utensilien beiseite und umklammerte Lexis Taille mit beiden Händen. Diese machte es ihr gleich und sie waren sich gleich noch näher.

Toby küsste Lexi zärtlich und fuhr ihr über die Haare, ohne dabei die Wunde zu berühren. Nur schwer konnten sie sich voneinander trennen.

„Wie lange wolltest du nochmal hier bleiben?“, fragte Toby leise.

Lexi lächelte sie an.

„Mein Rückflug geht in 3 Tagen.“, flüsterte sie ihr ins Ohr.

„Dann… sollten wir keine Sekunde verschwenden.“, schlug Toby vor und ließ sich zusammen mit Lexi aufs Bett fallen.

Dann begannen sie sich wieder zu küssen und warteten ab, was die Nacht noch so bringen mochte.



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